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Jeroschin

Jeroschin Samile war, wie Conrad uns bereits sagte, ein Mann aus einem der edelsten pomesanischen Geschlechter; ein Mann, den Tugend, Rechtschaffenheit und Verstand noch mehr adelten, als seine Geburt, welche ihn seinen Landsleuten ehrwürdig machte. Nicht nur ehrwürdig, auch furchtbar war er den deutschen Rittern längst durch das Gerücht von seiner Weisheit, und durch die blutige Erfahrung, die sie oft von seiner Tapferkeit gemacht hatten.

Jeroschin war der Besitzer großer Ländereien im Königsberger Gebiete, ein Abkömmling der uralten Beherrscher des Landes, ein eifriger Anhänger seiner Landesgötter, und auf diese Art einer der hartnäckigsten Gegner des deutschen Ordens. Jahrelang hatten ihn die Ritter als einen solchen gekannt und gefürchtet, bis ein Zufall die Verhältnisse umkehrte, und ihn zu ihrem Freunde und Verbündeten machte.

Ritter Heinrich Ulenbusch, der Held, dessen Namen wir schon zwei Mal genannt haben, stieß einst, als er den Rückzug der fliehenden Ordensritter deckte, auf Jeroschins Leute. Jeroschin selbst befand sich bei der Schar, die gegen die Wenigen, welche an Ulenbuschs Seite fochten, schier für ein kleines Heer zu rechnen waren; doch hielt das Ordensvolk an Heinrichs Seite tapfer Stand, bis fast alle rund um ihn her sanken, und er selbst, aus zwanzig Wunden blutend, kaum das Schwert mehr zu halten vermochte. – »Laßt uns sterben, Brüder!«, rief er den wenigen, die noch an seiner Seite fochten, zu: »laßt uns sterben! unser Tod ist glorreich; Tausenden der Unsern rettet er das Leben!« Jeroschin hatte an diesem Tage vier Söhne durch Ulenbuschs streitbare Faust verloren. Rache gegen den, der ihn, so nahe am Grabe, jeder Stütze beraubte, ihn, den grauen Alten, kinderlos machte, wäre es Jeroschinen nach damaligen Grundsätzen vielleicht zu verzeihen gewesen: doch Rache war's nicht, was der edle Preuße gegen den Helden fühlte, nur Bewunderung. Gern hätte er ihm das Leben gefristet; er bot ihm Gnade an; aber man urteile, ob ein Mann, wie Ulenbusch, das Leben unter dieser Benennung annehmen konnte. – Jeroschin wusste seinen Worten Nachdruck zu geben. Seinem Wunsche nach, sollte und musste sein tapferer Feind leben, leben wider seinen Willen. Keine Viertelstunde, und Jeroschins Übermacht hatte so weit gesiegt, daß Heinrich ganz allein, zwar ohne weitere tödliche Wunde, aber auch ohne Waffen, mitten unter seinen Feinden, den Tod erwartend, da stand, und das Leben annehmen musste. – »Ich bin in eurer Hand«, lallte er mit schwacher Stimme, als Jeroschin ihn unter den Arm fasste, um seine schwankenden Schritte nach seinem nahen Schlosse zu leiten; »ich bin in eurer Hand; es war der Wille der Vorsicht; ich darf nicht wider sie murren. Gott gebe mir den Tod an meinen Wunden! wird mir diese Bitte nicht gewährt, so bitte ich euch, Jeroschin, laßt mich von eurer tapfern Faust sterben; ich liebe mein Leben nicht; des seid ihr Zeuge: aber unbeschimpft und ohne Qualen wünsche ich es doch aufzugeben.«

»Dafür bürge euch mein Eid!«, rief Jeroschin, und drückte Ulenbuschs zitternde Rechte; »entweder ihr lebt, oder sterbt rühmlich durch meine Hand; meine Macht, mein Ansehen und meine Treue gibt euch volle Sicherheit.«

Jeroschin hatte für den Argwohn seiner Landsleute schon zu viel und zu freundlich mit den deutschen Rittern gesprochen. Seine Macht und sein Ansehen, auf die er mit Grunde bauen konnte, wurden ihm genommen; sein treues gegebenes Wort war zu schwach, Ulenbuschen zu retten. Den Mann, dem er Leben oder rühmlichen schmerzlosen Tod versprochen hatte, musste er unter langen Qualen sein Leben ausatmen sehen. Ulenbuschs sterbender Blick suchte den seinigen. – »Ich vergebe dir, Jeroschin!«, stammelte er; »vergib auch du mir den Tod deiner Kinder!«

Jeroschin litt wenigstens so viel, als der, für dessen Mörder er sich ansah, und dessen letzte Worte sein Herz durchbohrten. Sein unverstellter Gram um den deutschen Ritter machte ihn, so wie seine vorher gehenden zahllosen Bemühungen, ihn zu retten, in den Augen seines Volkes zum Landesverräter. Man stieß ihn aus; er floh zum damaligen deutschen Hochmeister Poppo von Osterna. Ulenbuschs Tod hatte ihm die blutgierige Religion seines Vaterlandes zum Abscheue gemacht; er ward ein Christ. Einer schönern Eroberung konnte sich das Christentum in den damaligen Zeiten nicht rühmen, als derjenigen, welche sie an diesem edlen Manne gemacht hatte; die Ritter wussten sie zu schätzen; aber sie erwarteten mehr von ihr, als sich mit Jeroschins Redlichkeit vertrug. Er war seinem Vaterlande, das ihn ausstieß, nicht untreu geworden, indem er seiner Religion entsagte. Aller Rat, alle Anschläge, die man von seiner Weisheit und Erfahrung zu ziehen hoffte, bezogen sich nur auf kluge Schonung. Er haßte die Grausamkeit, die ihm sein Volk verhaßt gemacht hatte, auch an den Christen; er hielt es für Gottlosigkeit, sein Vaterland zur Dankbarkeit für den Schutz, den er bei den Rittern fand, an sie zu verraten, und so geschah es freilich, daß er dem größern Teile von ihnen erst gleichgültig, dann lästig ward, und endlich, um weitern Unannehmlichkeiten zu entgehen, sich zur Flucht entschließen musste.

Conrad von Feuchtwangen, und Ulrich von Magdeburg, beides edle Männer, die sich in vielen Stücken von seiner Weisheit leiten ließen, und in ihm einen Freund und Vater verehrten, halfen ihm bei seiner heimlichen Entkommung: sie vergaben dem Orden nichts durch diese Tat; sie ersparten nur einigen Unedlen die Beschämung, sich an einem Manne vergangen zu haben, der besser war und redlicher, als tausend geborne Christen.


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