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X.

Das Vergnügen wie die Anstrengungen der Reise, der Reiz des Wechsels, die Aufgaben seiner neuen Laufbahn gaben Fritz Hombert bald die Ruhe des Geistes wieder. Nur noch mit Schaudern dachte er an die verhängnisvolle Leidenschaft, die ihn schließlich unfehlbar in den Abgrund gezogen hätte. Er fand in der Gesandtschaft die freundlichste Aufnahme; gute Empfehlungen ebneten ihm den Weg, sein angenehmes Äußere sprach von vornherein für ihn, eine ungekünstelte Bescheidenheit ließ seine Talente nur noch wertvoller erscheinen; bald nahm er auch in der Gesellschaft eine angesehene Stellung ein, und es eröffnete sich ihm eine glänzende Zukunft.

Bernerette schrieb ihm mehreremale. Sie fragte scherzhaft, ob er wirklich abgereist wäre, und ob er bald zurückzukehren gedächte. Er antwortete ihr zuerst nicht, aber da sie nicht aufhörte zu schreiben und die Briefe immer dringender wurden, verlor er die Geduld. Er schrieb ihr und machte seinem Herzen Luft. Er fragte sie in den bittersten Ausdrücken, ob sie ihren zwiefachen Verrat vergessen hätte, und er bat sie, ihm in Zukunft erheuchelte Liebeserklärungen zu ersparen, durch die er sich nicht länger narren ließe. Er sagte weiter, er könne übrigens der Vorsehung nicht dankbar genug sein, daß sie ihm bei Zeiten die Augen geöffnet habe, sein Entschluß sei unwiderruflich, und er werde Frankreich wahrscheinlich erst nach einem langen Aufenthalt im Auslande wiedersehen. Nach Absendung dieses Briefes fühlte er sich erleichtert, und es war ihm, als sei nun erst das Vergangene für immer abgethan. Bernerette schrieb seitdem nicht wieder, und er erfuhr auch nichts mehr von ihr.

Eine ziemlich reiche englische Familie bewohnte ein hübsches Haus in der Umgegend von Bern. Fritz wurde dort vorgestellt; drei junge Mädchen, von denen die älteste erst zwanzig Jahre alt war, dienten dem geselligen Verkehr in diesem Hause zu nicht geringer Zierde. Die älteste war von bemerkenswerter Schönheit; es blieb ihr nicht verborgen, welchen lebhaften Eindruck sie auf den jungen Gesandtschaftsattaché ausübte, und sie zeigte sich nicht unempfänglich dafür. Doch war seine Heilung noch nicht vollständig genug, als daß er sich hätte einer neuen Leidenschaft hingeben können. Aber er fühlte nach so vielen Aufregungen und Kümmernissen das Bedürfnis, sein Herz einem ruhigen und ungetrübten Gefühle zu öffnen. Die schöne Fanny wurde nicht seine Vertraute, wie es Fräulein Darcy gewesen war, aber auch ohne daß er ihr seine Schmerzen beichtete, ahnte sie, daß er eben erst von schwerem Seelenleiden genese, und da ihm ihre blauen Augen Trost zu gewähren schienen, so ließ sie dieselben oft auf ihm ruhen.

Das Wohlwollen führt zur Sympathie, und die Sympathie bereitet der Liebe den Weg. Nach drei Monaten war die Liebe noch nicht gekommen, aber sie war nahe daran, in die Herzen einzuziehen. Menschen mit einem so zärtlichen und zugleich so weiten Herzen wie Fritz können nur beständig sein, wenn sie sich zugleich vertrauensvoll hingeben können. Gerard hatte wohl recht gehabt, als er damals sagte, Fritz würde Bernerette länger lieben als er glaubte, aber Bernerette hätte ihn auch lieben müssen, wenigstens dem Anschein nach. Bringt man schwache Herzen zu sehr in Aufruhr, so handelt es sich bei ihnen um Sein und Nichtsein; sie müssen brechen oder vergessen, denn sie sind außer Stande, einer Erinnerung, die ihnen schmerzlich ist, Treue zu bewahren. Fritz gewöhnte sich von Tag zu Tag mehr daran, nur für Fanny zu leben, und bald war von ihrer Verheiratung die Rede. Der junge Mann war nicht bemittelt, aber er erfreute sich einer gesicherten aussichtsreichen Stellung; die Liebe, die alles ausgleicht, sprach zu seinen Gunsten. Man beschloß, den französischen Hof um einen weiteren Beweis seiner Wohlgeneigtheit anzugehen, und als zweiter Gesandtschaftssekretär sollte dann Fritz Fannys Gatte werden.

Endlich kam dieser glückliche Tag heran; die Neuvermählten hatten sich eben erhoben, und Fritz hielt wonnetrunken sein Weib in den Armen. Er saß nahe am Kamin; da ließ ihn ein Knistern des Feuers und ein Aufflackern der Flamme erschauern. Infolge einer sonderbaren Ideenverbindung stand plötzlich der Tag vor seinen Augen, da er, es war zum erstenmale, mit Bernerette auch so dicht am Kamin des kleinen Zimmers saß. Ich überlasse einen weiteren Kommentar zu diesem seltsamen Spiele des Zufalls denen, die gern an Vorahnungen glauben. Jedenfalls ward Fritz im selben Augenblick ein Brief mit dem Poststempel Paris überbracht, der ihm Bernerettes Tod anzeigte. Ohne sein Erstaunen und seinen Schmerz zu schildern, begnüge ich mich, den Abschiedsbrief des armen Mädchens an ihren Freund wiederzugeben; die, in dem ihr eigenen, halb heiteren, halb traurigen Stile geschriebenen Zeilen werden dem Leser eine Aufklärung über ihr Verhalten geben:

 

»Ach, Fritz, Du wußtest wohl, daß es ein Traum war. Wir konnten nicht in Ruhe leben und glücklich sein. Ich habe von hier fortgehen wollen; ein junger Mann hat mich besucht, der mich in der Zeit meines Ruhmes in der Provinz kennen gelernt hatte; er hatte sich in Bordeaux in mich vergafft. Ich weiß nicht, wie er meine Wohnung ausfindig gemacht hat; er ist gekommen und hat sich mir zu Füßen geworfen, als wenn ich noch eine Theaterprinzessin wäre. Er hat mir sein Vermögen angeboten, an dem nicht viel ist, und sein Herz, an dem garnichts ist. Es war am nächsten Tage, erinnere Dich! Du warst von mir gegangen, und hattest mir wiederholt erklärt, Du reistest ab. Ich war nicht gerade in freudiger Stimmung und wußte auch nicht recht, wo ich mein Mittagessen hernehmen sollte. Ich ließ mich mitnehmen. Unglücklicherweise konnte ich es dabei nicht bewenden lassen, und ich habe mich entschlossen zu sterben.

»Ja, mein lieber guter Freund, ich wollte Dich auf immer verlassen. Ich hätte keinen Beruf ergreifen können. Indessen das zweitemal war ich dazu entschlossen. Aber Dein Vater hat mich noch einmal aufgesucht; siehst Du, das hast Du nicht gewußt. Was sollte ich ihm sagen? Ich versprach, Dich zu vergessen; ich bin zu meinem Anbeter zurückgekehrt! Ach, wie langweilig war es bei ihm! Ist es meine Schuld, daß mir alle Männer häßlich und dumm vorkommen, seit ich Dich liebe? Aber ich kann doch nicht von der Luft leben; was soll ich machen?

»Ich töte mich nicht, mein Geliebter, ich bringe es nur zum Ende; und es ist kein großer Mord, den ich begehe. Meine Gesundheit ist nichts mehr wert und auf immer zerrüttet. Das machte alles nichts, wenn nicht die Langeweile wäre. Es heißt, Du verheiratest Dich; ist sie schön? Lebe wohl, lebe wohl! Gedenke bei schönem Wetter des Tages, da Du Deine Blumen begossest. Ach, wie ich Dich so schnell geliebt habe! Als ich Dich sah, war es wie ein plötzlicher Umsturz in mir, und ein Schauer ergriff mich. Ich bin sehr glücklich bei Dir gewesen. Lebe wohl.

»Hätte es Dein Vater gewollt, so würden wir uns niemals verlassen haben; aber Du hattest kein Geld, das war das Unglück, und ich ebenso wenig. Wäre ich in einem Weißwarengeschäft gewesen, so würde ich doch dort nicht geblieben sein; also was willst Du? Das ist nun das zweitemal, daß ich wieder von vorn anfange; es will nicht gehen.

»Ich versichere Dir, es ist kein toller Einfall, daß ich sterben will, ich habe meine guten Gründe. Meine Eltern (Gott verzeihe es ihnen!) sind wiedergekommen. Wenn Du wüßtest, was sie aus mir machen wollten! Es ist zu abscheulich, ein Spielzeug des Elends zu sein und sich so hin und her gezerrt zu sehen. Als wir uns zuerst liebten, wenn wir da sparsamer gelebt hätten, wäre es besser gewesen. Aber Du wolltest ins Theater gehen und uns möglichst vergnüglich die Zeit vertreiben. Wir haben schöne Abende in der Chaumière verlebt.

»Lebe wohl, Geliebter, zum letztenmale lebe wohl. Wenn ich mich wohler fühlte, wäre ich wieder zum Theater gegangen; aber ich kann nur noch flüstern. Mache Dir niemals Vorwürfe wegen meines Todes; ich weiß wohl, wenn du gekonnt hättest, wäre alles anders geworden; ich ahnte es und wagte es nicht auszusprechen, alles sah ich kommen, aber ich wollte Dich nicht beunruhigen.

»Das ist eine traurige Nacht, in der ich Dir schreibe, noch trauriger, glaube mir, als die, wo Du läutetest und mich nicht zu Hause trafst. Ich hatte Dich niemals für eifersüchtig gehalten; als ich erfuhr, daß Du zornig warst, hatte mir das Schmerz und Freude zugleich bereitet. Warum hast Du mich nicht erwartet? Du würdest gesehen haben, mit welcher Miene ich von meinem Glücke heimkehrte; doch das ist gleich, Du liebtest mich mehr als Du eingestandest.

»Ich wollte abbrechen, und ich kann nicht. Ich klammere mich an dieses Papier wie an einen Rest vom Leben; ich dränge die Linien eng aneinander; ich möchte, was ich noch an Kraft besitze, zusammenraffen und Dir senden. Nein, Du hast mein Herz nicht gekannt. Du hast mich geliebt, weil Du gut bist; aus Mitleid kamst Du zu mir und auch ein wenig zu Deinem Vergnügen. Wäre ich reich gewesen, so hättest Du mich nicht verlassen; das sage ich mir, und das ist das einzige, was mir Mut giebt. Lebe wohl.

»Möge Dein Vater niemals das Übel, das er angerichtet hat, zu bereuen haben! Jetzt, ja, was würde ich nicht darum geben, wenn ich etwas gelernt hätte und mir mein Brot verdienen könnte! Es ist zu spät. Könnte man als Kind sein ganzes Leben im Spiegel vor sich sehen, so würde es nicht solches Ende mit mir nehmen. Da es Dein Vater verlangte und Du abreistest, so glaubte ich kein Unrecht zu thun, wenn ich es mit einem andern Liebhaber versuchte. Noch nie habe ich so etwas Dummes gesehen, wie sein Gesicht, als ich ihm erklärte, daß ich in meine Wohnung zurückkehrte.

»Dein Brief hat mir jeden Trost genommen; ich habe zwei Tage am Kamin gesessen, ohne ein Wort zu sprechen oder mich zu rühren. Ja, ich bin zum Unglück geboren. Wenn Du wüßtest, was mich der gute Gott in den zwanzig Jahren meines armen Lebens hat ausstehen lassen! Als Kind ward ich geschlagen, und weinte ich, so schickte man mich hinaus. »Sieh mal, ob's regnet!« sagte mein Vater. Als ich zwölf Jahre alt war, mußte ich Bretter hobeln, und was für Verfolgungen hatte ich als erwachsenes Mädchen zu erdulden! Mein Leben ging dahin, indem ich den Versuch machte zu leben, und am Ende ausfand, daß ich sterben müßte.

»Segne Dich Gott, Dich, der mir die einzigen, einzigen glücklichen Stunden bereitet hat! Da habe ich doch einmal kräftig und frei aufgeatmet; Gott vergelte es Dir! Möchtest Du, lieber Freund, glücklich und frei sein können! Möchtest Du eine Liebe finden wie die Deiner sterbenden, Deiner armen Bernerette!

»Bekümmere Dich nicht; alles geht zu Ende. Erinnerst Du Dich an das deutsche Trauerspiel, das Du mir eines Abends vorlasest? Der Held des Stückes fragt: »Was werden wir rufen, wenn der Tod uns antritt?« – »Freiheit!« antwortet der kleine Georg. – Du hast geweint, als Du dieses Wort lasest. So weine! Das ist das letzte Wort Deiner Freundin.

»Die Armen sterben ohne Testament; doch schicke ich Dir eine Haarlocke. Als mir der Coiffeur einmal die Locken mit seinem Eisen verbrannt hatte, da wolltest Du ihn schlagen. Da Du also meine Haare nicht verbrannt haben wolltest, so wirst Du auch diese Locke nicht ins Feuer werfen.

»Lebe wohl, noch einmal lebe wohl, auf ewig.

Deine treue Freundin.

Bernerette.«

 

Wie es heißt, versuchte Fritz nach dem Lesen dieses Briefes Hand an sich zu legen. Ich will darüber nichts weiter sagen; die gleichgültige Masse findet in einer solchen That, wenn der Betreffende am Leben bleibt, nur zu oft etwas Lächerliches. Das Urteil der Welt ist in dieser Beziehung nicht gerade erfreulich; man lacht über den, der sich zu töten sucht, und, wer den Tod findet, wird vergessen.

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