Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Gott in dir

Als Geistwesen bist du ein Teil des unendlichen Bewußtseins und der unendlichen Weisheit. Als ein Teil von ihr bist du eine ewig wachsende Kraft. Sie kann nur zu-, nie abnehmen, und hat, aus dem Abgrund der Zeiten kommend, sich ewig steigernd, deine Intelligenz zu ihrem heutigen Standard hinaufgebaut. Jedes deiner Leben hat unbewußt etwas an Kraft hinzugebracht. Jedes geistige Ringen, sei es gegen Schmerz, gegen Laster, Ringen um eine Fertigkeit, ein Geschick, ein Wissen, eine Kunst – Ringen mit dir selbst aus Unzufriedenheit, in Erkenntnis deiner Mängel – das alles war ein Vorwärtstreibendes – hinein zu steigender Macht, hinauf zu relativer Vollendung deiner selbst, und durch Vollendung zu Glück – denn Glück ist der Sinn des Lebens.

Heute sind mehr wünschenswerte geistige Anlagen dein eigen, als je zuvor, gerade deine Unzufriedenheit, die steigende Selbstkritik beweisen es. Wäre der Geist nicht klarer, er würde diese Mängel nicht wahrnehmen, vor allem nicht unter ihnen leiden. In der Amplitude der Erkenntnisse schwingst du aber vielleicht jetzt eben durch den tiefsten Punkt. Du überwertest deine Mängel im ersten Entdeckerschreck. Glaubst sie im Wachsen und es ist nur optische Täuschung – aus der Annäherung an die Wahrheit entstanden. Der Gott in dir, die ewig ausblühende Kraft in dir hat einen Mangel deines Charakters aufgedeckt, aber noch nie war dieser Mangel seiner Ausmerzung so nahe.

Unter dem Haus befand sich eine verpestete Höhle und ein verborgener Infektionsherd. Das Aufdecken brachte gewiß keine vergnüglichen Sensationen, aber besser dran wie vorher sind die Bewohner gewiß, und daß jetzt ausgemistet wird, da gibt's keinen Zweifel. Der Rutengänger: »Erkenntnis«, der verborgene Jaucheadern findet statt der goldenen, ist größeren Lobes wert ... niemand braucht vor seinen Fehlern zu erschrecken – sie sind in ihm – gewiß, eben wie der Gott in ihm ist, der sie aufdeckte.

Seit neunzehnhundert Jahren ist dem Menschen immer gesagt worden, er sei ein »Sündenlümmel«, die Welt ein »Pfuhl«. Man hat es ihm so lang gesagt, bis man ihn wirklich fast so weit hatte, und die Welt glücklich auch. Der erste Satz des ersten Buches, den das chinesische Kind in der Schule lernt, lautet: »Der Mensch ist gut.« Jeden Menschen von vornherein als Gentleman behandeln heißt, ihm die Pose so lang suggerieren, bis sie zur »zweiten« und schließlich ganz einfach »Natur« geworden ist.

Niemand braucht zu jammern: wie soll ich all dieser Schwächen Herr werden, ich gebe es auf, weiter an mir zu bessern. Aber du besserst ja jetzt. Jeder geistige Protest ist eine Verwandlung der Seele. Nur kann nicht alles in einem Tag – einer Woche – einem Jahr vollbracht werden. Auch in künftigen Existenzen wird nie eine Zeit kommen, in der du gar nichts an dir zu bessern mehr finden dürftest. Die Verbesserung aber setzt notwendig ein Limitiertes voraus: das eben zu Verbessernde. Jeder Mensch baut sich auf aus neuen Farben, neuen Kräften als lebendigen Tempel Gottes, und der Eckstein, den die Baumeister verworfen hatten, ist die Selbstachtung, das große, heilige Ich; nicht das kleine von heute, aber das Idealbild seiner selbst, das jeder in sich lebendig austragen soll.

Kein Talent hört je zu wachsen auf, so wenig als der Baum im Winter. Wer Malen, Deklamieren, Billardspielen lernt, – irgend etwas, was immer es sein möge, der wird nach einer Pause von einem Monat oder einem Jahr, oder auch von zwei Jahren, – erstaunt bemerken – ist nur die Fremdheit ersten Außerübungseins einmal behoben, um wieviel besser er es kann als früher; wie ihm neue Gesichtspunkte, neue Methoden in der Stille gekommen sind, ohne Denken, Wollen und Hinzutun seinerseits.


»Was ist der Sinn des Lebens?« – – – Niemand kann den Sinn des eigenen Lebens bestimmen, den bestimmt ein größeres Gesamtschicksal – ein Gesetz, das herrscht und führt. Wohin? Zu einer immer sich steigernden, grenzenlosen Befähigung für Glück. Mit immer feineren, weiseren, lichteren Organen in das Glück hineinwachsen, das tun wir alle täglich und stündlich – mag der Schein noch so sehr dagegen sprechen. Die Schmerzen, die wir leiden, stammen aus dem gleichen Wachstum des Geistes, der uns immer härter und härter gegen das anpreßt, was des Elends Ursache, damit wir sie doch endlich merken sollen und diesen Schmerz als Beweis nehmen dafür, daß wir auf einen Abweg geraten sind und heraus müssen, koste es, was es wolle. Und wem es todernst ist, wer aus tiefster Seele schreit nach dem rechten Weg, zu dem wird immer etwas kommen und ihn führen; denn es ist eines der tiefsten und feinsten Gesetze, daß kein echter Ruf unerwidert bleiben kann. Jedes starke, echte Verlangen oder Gebet muß das Erbetene bringen. Menschen, die vom Mißgeschick verfolgt scheinen, können die anständigsten, die besten Menschen sein, aber sie sind »hartmäulig« an ihrer Seele; sie merken absolut nicht, wohin sie das Schicksal haben will; wie ein Pferd, das immer wieder zitternd, unter Peitschenhieben vor dem Hindernis ausbricht. – Wo Leid ist, ist Irrtum – wo Schmerz ist, muß immer etwas falsch sein. Schmerz ist der Kompaß für das Kurshalten nach den Inseln der Seligen. – Es gibt in dem kleinen Kreis der Wissenden heute ein paar so in Harmonie mit dem Unendlichen, daß die Linie ihres Schicksals das Leid der groben Abwege nicht mehr kennt. Diese Wenigsten behalten daher absichtlich einen kleinen Defekt, irgendeine »schwache Stelle« ihrer Physis – um für ganz feine Abweichungen von der Wahrheit noch eine irdisch körperliche Bussole zu haben, etwas, woran auch der geringste Fehler offen, sozusagen noch fleischlich »ausschlagen« kann.

Der Sinn des Lebens! – Lerne so zu leben, daß jeder neue Tag die Sicherheit immer gesteigerter Fülle, immer feinerer und reinerer Freuden auf seiner Stirn trägt; daß so etwas wie »Stunden, die man totschlagen müsse«, nicht einmal mehr in der Vorstellung existieren können. Die animalische Seligkeit, das tierische Vergnügen an der Sonne, die Ekstase des Atmens: die Lebenerhöhende genießen lernen; sich erheben über Krankheit und Leid, so Herr über den Gedanken werden, daß er fern, frei ausgesandt nach Willen, wie ein »Dshin« des arabischen Märchens, dem Herren bringt, was dessen Begehr: Haus und Land, Nahrung, Kleidung, Freund und Geliebte – alles ohne Raub oder Unrecht an anderen, denn der »Dshin« schafft – er nimmt nicht. So an Macht gewinnen, daß der Geist nach Belieben seinen Körper veredeln, verjüngen, verwandeln kann und ihn behalten nach Lust, ohne daß einer seiner Teile sich schwäche, welke oder verfalle. Von immer neuen Brunnen der Freude trinken und von dem Trunk anderen reichen, immer ein Geber, ein Bringer werden, allen willkommen, niemandes Feind .. das ist der Sinn des Lebens, in Regionen, wo Menschen, ebenso »real« wie wir, nur lebendiger als wir, gelernt haben und immer noch weiter lernen, den Himmel aus der Erde zu schöpfen. – Das ist unabänderliches, wenn auch fernes Schicksal jeder individuellen Seele – es gibt einfach kein Entrinnen vor dem endgültigen Glück. In dem Maße, als der Geist durch seine Leiber wächst, lernt er alle Qualen, die er leidet oder gelitten hat, als weise Püffe werten, um ihn aus Sackgassen herauszutreiben in die Richtung, die von allem Leid wegführt: einer Lebenserhöhung entgegen, in der die Zeit dahinsinkt wie in einem erregenden Schauspiel, in der Liebesekstase, in Musik und herrlicher Gefahr.

Auch das indische Nirwana ist nichts außerhalb des Menschen Liegendes. Es ist hier in der Lotusblume des Herzens: »Geist ist sein Stoff, Leben sein Leib, Licht seine Gestalt«. Und die Reihe der Entwicklung: ein nur aus Nahrung bestehendes Selbst, in diesem steckt, wie in einer Kapsel, das odemartige Selbst, in diesem das emotionelle Selbst, in diesem wieder das erkenntnisartige, das »manasartige« genannt, als innerstes endlich das wonneartige Selbst .... »fürwahr dieses ist die Essenz, denn wer die Essenz erlangt, den erfüllet Wonne, denn wer möchte atmen, wer leben, wenn in dem Weltraum nicht diese Wonne wäre. Er (der Atman, der Geist) ist es, der diese Wonne schaffet, denn wenn einer in diesem Überkörperlichen, Unaussprechlichen, Unergründlichen den Frieden, den Standort findet, dann ist er zum Frieden eingegangen, wenn aber in ihm noch eine Höhlung ist, ein anderes, dann hat er Unfrieden, es ist der Unfriede des, der sich weise dünkt« (Vedanta).

Es kann nicht oft genug betont werden: in der Serenität liegt das Geheimnis aller Erfüllung. Nicht polternd hoffen, nicht reißend begehren, nicht sein Herz heraussehnen! Nur milde Gewißheit festhalten durch Schlaf und Wachen, daß jede Arbeit, jede Mühe, jedes Unternehmen gelingen muß. Daß Entfaltung, Steigerung im Heute nur Stufe sind zur Steigerung und Entfaltung im Morgen. Die Reise nach fernen Ländern, die du erträumst, hat deinem Herzen so sicher zu sein wie der morgige Sonnenaufgang. Unruhe, Sorge sind sinnlose Worte geworden dem, der weiß, seine ureigenste Mission, sein Triumph – als Maler oder Redner, Bildhauer, Architekt, Kaufmann, Erfinder, sei etwas so von selbst Verständliches, wie die Treppe hinaufzugehen.

In einem relativ vollendeten Leben muß es so kommen, wenn uns die richtige und fruchtbare Anwendung der Gedankensubstanz – ihre anziehenden und abstoßenden Kräfte so vertraut geworden, wie Atmung und Herzschlag jetzt ... Wenn wir lebendig erkannt haben werden, der richtig geformte Wunsch sei ein geistiges Seil, um Gelegenheiten, Kräfte, Mittel, Helfer so gewiß heranzuziehen, wie der Muskel des Armes ein Ruderboot mit dem Tau ans Land zu ziehen vermag.

Wir geben ja auch heute ruhig ein Telegramm auf und sorgen uns herzlich wenig, daß es den Bestimmungsort etwa nicht erreiche, weil wir über das wahre Wesen der Elektrizität noch so gut wie gar nichts wissen. Ob sie ein magnetischer Wirbel im Äther, ob es überhaupt einen Weltäther gebe oder ob dieser bloß als Hilfshypothese zulässig und wenn, ob als ideale Flüssigkeit zu denken oder röhrenförmig und von der Zähigkeit des Stahles? All das sind Fragen der mathematischen Physik und da diese – – es ist das eben ihre Größe und ihre Qualität – – – durch ungeheuere Denkumschaltung alle zwanzig Jahre sich von Grund aus ändert, so wissen wir heute ebensowenig, was Elektrizität ist als zu Zeiten Franklins, aber sie verwenden, haben wir gelernt und eine dieser Verwendungen ist, sie Botschaften tragen zu lassen. So ist auch die Verwendung der Gedankenkraft eine rein praktische Frage, ist Sache des Experiments – das steht jedem offen – soll gerade von jedem höchst persönlich erprobt werden. Wer die psychischen Phänomene, wie sie hier gelehrt werden, ohne Probe ablehnt, einfach aus dem Grund, weil sie unerklärlich scheinen, müßte auch logischerweise es ablehnen, sich mit den Einrichtungen von Telephon und Telegraph bekannt zu machen, insolange ihm das Wesen der Elektrizität selbst unbegreiflich bleibt. Eigentlich dürfte dieser Vorsichtige auch nicht leben – denn was Leben ist, weiß niemand.

Ehe Menschen die Elektrizität zu verwenden wußten, war ebensoviel von ihr da – war sie ebenso gewaltig wie heute, für unsere Bequemlichkeit, unsere Macht aber so gut wie nicht vorhanden, weil uns eben Methode und Übung abging, ihr Kraft und Richtung zu geben. Die überwältigende Macht der Gedankenströme wird bis zum heutigen Tag nicht nur vergeudet, nein ärger: durch Unwissenheit und lebenslange Gewohnheit arbeiten wir unsere Batterien nach der verkehrten Richtung. Schlag auf Schlag wird Übelwollen, Neid, Hohn und Gegrinse – irgendeine Form von Gemeinheit und Häßlichkeit akkumuliert und dann entladen – alles reale Gedankensubstanz durch üble Transformatoren geleitet – anderen vielleicht zum Schaden und uns gewiß.

Der Eckstein aller erfolgreichen Bemühung in dieser und jeder anderen Existenz: nie in Gedanken etwas unmöglich nennen. Nie auf den ersten Impuls hin eine noch so wilde oder verwegene Idee abweisen. Erst abwarten, bis die Instinkte sich gesammelt haben, denn sie sind nicht immer präsent. Dann erhebt sich vielleichterst jener feine Schauder der Frühe, an dem nur jene teilhaben, die im Aufgang der Dinge stehen. Das größte und reinste Wunder – wäre es allen sichtbar, dauerte aber nur einen Augenblick – es fiele durch das Hirn der Menschheit glatt durch. Je verblüffender, phantastischer ein Gedanke, um so mehr Zeit muß ihm zur Wirkung zugebilligt werden. »Unmöglich«, zu rufen, weil etwas unmöglich scheint, heißt die verhängnisvolle Gewohnheit der Ablehnung überhaupt züchten. Das Bewußtsein ist da wie ein Gefängnis voll verriegelter Türen gegen das Unendliche draußen – und drinnen bleibt einsam der eine kleine Mensch. Zu irgendeinem Ziel in sich »unmöglich« sagen – zu ewiger Jugend, zur Unsterblichkeit im Fleische, ist Sünde wider den Geist, da es ihn hindert, durch dich hindurch sich selbst zu wirken. Oder ist es nur Verzögerung? Denn stemm dich wie du willst, stell dich quer, strample im Leeren, es gibt auf die Dauer keinen erfolgreichen Widerstand gegen die Vervollkommnung aller Dinge (dich inbegriffen), aber mit jedem vorlauten »unmöglich« wird eine passagere Barrikade aufgeworfen.

Stets sich sagen: es ist möglich für mich, alles zu werden, was ich bewundere. Es ist möglich für mich, Schriftsteller, Künstler, Redner, Erfinder zu werden – gleichwie schön, geschmeidig, gesund und glücklich. Dann hast du die Türen weit geöffnet in den unsichtbaren Tempel des Inneren. Das »Ich kann nicht« war der Riegel, der dich vor dir selbst verschloß.

»Gegen jede Hoffnung hoffen« ist eine hohe Weisheit, die bisher nur von der Liebe erreicht wurde.

Die weiße Magie des Wünschens wird keiner aus fremder Erfahrung lernen; seien Zeugnis und Beispiel noch so einleuchtend, die Wunder des fremden Lebens noch so gewaltig. Diese können immer nur als Anregung, als ein Vorschlag dienen, nie als Beispiel, denn wie es allgemeine Gesetze gibt, denen alle unterstehen, so auch individuelle, weil eben jeder Mensch einzig, unvergleichbar und unersetzlich ist. Ich kann nicht in deiner Spur zum Glück gelangen und du nicht in der meinen, denn wir kommen aus verschiedenen Richtungen der Ewigkeit her. Unsere Wesenskerne sind mit Leben, das einander fremd, behangen – nicht zwei Worte haben für zwei Menschen die gleiche Bedeutung, geschweige die gleichen Erfahrungen. Wenn der Eisbär jauchzt, bekommt der Tiger Frostbeulen ...

Jedes Wesen muß die allgemeinen Gesetze individuell auswirken. Es ist ein allgemeines Gesetz, daß Wind Segelschiffe vorwärtstreibt, nicht jedes Schiff wird aber seine Leinwand gleich setzen. Es ist allgültiges Gesetz, daß Gedanken fern vom Körper einander beeinflussen und Resultate in der Körperwelt wirken, daß diese zum großen Teil abhängig sind von der Gedankenfärbung jener, mit denen wir, unbewußt, im spirituellen Ozean uns vermischen. Gerade deshalb aber wäre es verfehlt für mich, sähe ich jemanden von weit überlegenem Geist seinen Weg vorwärts finden, wollte ich seine Lebensweise, seine Methoden, seinen Verkehr sklavisch nachahmen. Wir haben Eisen und Phosphor und Schwefel, organisierte Minerale, Verbindungen und Aberverbindungen aller chemischen Elemente in einer Feinheit und Variation in unserem Körper, die physiologische Chemie noch lange nicht erschöpft hat. Wir haben in unserem geistigen Wesen die unsichtbaren Korrespondenzen all dieser Elemente und ihrer Verbindungen – subtil und unendlich verschieden gelagert bei jedem Einzelnen. Wer also, außer dir selbst, vermöchte die besonderen Aktionen und Reaktionen dieser einzigen Zusammensetzung, die dein ICH ist, zu beurteilen und zu lenken? Du mußt deine Freunde, deine Nahrung, deine Bewegung, alle hygienischen Maßnahmen des Leibes und der Seele selbst herausfinden durch Schärfung der Instinkte. Daß ein Mensch heute erst einen Arzt fragen muß, was er essen soll . . . . der es ebensowenig weiß, solche Instinktfremdheit kommt ja in der ganzen Natur höchstens noch bei einigen degenerierten Raubameisen vor, die nicht einmal mehr ihr Futter selber finden können und sich von Sklaven füttern lassen müssen. Der Arzt versteht im besten Fall etwas von Krankheit, aber nichts von Gesundheit, schon des seltenen Vorkommens der letzteren wegen. Er ist ja mit normalen, gesunden Menschen sein lebelang nicht in Berührung. Daher die wahnwitzigen Statistiken über die dem Menschen täglich nötige Eiweißmenge, zu der beispielsweise der große Liebig kam, weil er lauter aufgeschwemmte, mit Bierbäuchen behaftete deutsche Couleurstudenten zu Versuchsobjekten hatte, miserable Motoren, dreifachen Heizstoffes bedürftig. Wegen dieser am »untauglichen Objekt« konstatierten Eiweißmenge wurde dann die Blutbahn ganz normaler Menschen, besonders Kinder, in ganz Europa durch dreißig Jahre mit Eiweißgiften überladen; Blinddarmentzündungen, Gicht und Stoffwechselerkrankungen geradezu gezüchtet.

Jeder bessere Mensch hat in jedem Zweig seiner Tätigkeit, sei es Kunst, Wissenschaft, Geschäft, seine besonderen Methoden, so eigen, so differenziert, daß, wollte er sie erklären, kein Wortgitter fein genug wäre, sie zu fangen – und was seinen Leib, den Kern seiner Sinne betrifft ... da müßte er einen anderen fragen? Von früh auf Geruch, Geschmack, Gefühl schärfen an zarter Kost; nicht bei jeder Kleinigkeit sich als Medikament relativ » tonnenweise« in den Organismus schütten lassen, was dieser in homöopathischen Quantitäten selbst als Regulativ produzieren kann und soll.

Gewiß können Menschen mit größerer Erfahrung, allgemeine Gesetze betreffend, viel nützen und helfen, besonders als Erreger; durch die Hoffnung, die Kraft, den Mut, die sie verbreiten. Mit ihnen zu bestimmten Stunden, womöglich immer im gleichen Raum, zusammenzutreffen, sich zu besprechen in ernster und freundlicher Weise, ist von unabsehbarer Wirkung. Aber wer irgendeinen Menschen, Mann oder Frau, Prophet oder Heiligen, als unfehlbaren Führer und Autorität annimmt, und genau tut, was er sagt, ist aus der Richtung gekommen, denn er macht die Experimente eines anderen, der anders in seinen Elementen zusammengesetzt, auf die Umwelt verschieden reagiert und sie auf ihn.

Sich an einen Menschen hängen, ist immer ein Zeichen für die Sünde der Furcht. Am Kleinen, scheinbar Sicheren, weil Sichtbaren kleben, statt der unerschöpflichen, unendlichen Kraft selbst sich hinzugeben! In ihr zu schweben, sich an ihr hinaufgleiten lassen in das Lichte. Diese Kraft selbst wird nie ein Geschöpf erblicken, es sei denn in ihren wechselnden Gestalten: Sonne, Sternen, Blumen, Tieren; doch an ihm ist es, sie in sich selbst als den künftigen Erzengel der Erde in neuer Form zu verkörpern. Diese Kraft arbeitet in jedem, ob Mann, Frau oder Kind. Ganz gleich, auf welcher Stufe des Lebens, der Intelligenz oder der Ethik sie stehen mögen, heute sind sie klüger, stärker, besser als je zuvor, mag der Schein noch so sehr dagegen sprechen. Der Drang nach Verfeinerung, in allen Formen von Natur und Geist sich herauswindend aus der Materie, ist bis zu einer bestimmten Stufe der Entwicklung unbewußt. Der sehnsüchtige Gott ist an der Arbeit – auch im Betrunkenen, während er in den Straßengraben rollt. Der Geist will überall heraus und herauf: aus dem gemeinsten Lügner, dem verächtlichsten Schuft, und ein großer Fehler ist es, von irgendeinem zu sagen: »er sei vor die Hunde gegangen«; man solle ihn endgültig fallen lassen. Dieser Gedanke wirkt wie ein psychischer Stoß, der durch das Unsichtbare geht und den Menschen in die Brust trifft. Er wirft ihn zurück, ist ein retardierendes Element in dem blinden Mühen, aus einer Wolfsgrube innerhalb der Inkarnation herauszukommen, sowie der stumme Gedanke eines anderen gewiß auch uns unabsichtlich und oft gehindert hat, aus solch einer Patsche zu kommen: Patsche der Unentschlossenheit, Patsche der Abhängigkeit, der schlechten Laune, hämischer und hassender Gedanken. Jedes wegwerfende Urteil schadet nicht nur dem Verworfenen – es verschlechtert die Aura der Welt – hält sie ein winziges bißchen auf.

» Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« Das Ringen gegen die ewig krittelnden, hämischen, niederzerrenden Ausstrahlungen der Umwelt kann einen Menschen auch zu einem Punkt bringen, wo er, plötzlich positiv geworden, sich stählt und durch die Welt hindurchfährt wie ein Schwert. Die Kraft des rein positiv gewordenen Menschen ist maßlos, maßlos die Wirbel, die er durch seine gegenläufige Bewegung plötzlich im Geistäther erzeugt. Nur muß er einmal, irgendwann, irgendwo wieder eine Insel seinesgleichen finden, wo er negativ aufnehmend werden kann. Pausenlos positiv sein, hält niemand ein Leben lang aus.

Jeder aber hat das Recht, einer nörgelnden Umwelt zu sagen: »Ich ziehe zwar Zustimmung vor, hänge aber von keinem fremden Ja und Nein ab; der Gott in mir ist die einzige Instanz, die ich anerkenne. Vor seinem Urteil fällt jedes Sophisma dahin und an dem Runzeln seiner Braue bricht sich alle Flucht.«

Es wird im realsten Sinn Niemandem nützen, sich bei Mord, Betrug und Diebstahl mit unwiderstehlichem Zwang, mit Neurosen und Psychosen, sechserlei pathologischen Fachworten und sieben Sachverständigen herauszureden. Juristisch vielleicht – nach dem natürlichen und unendlichen Recht niemals, das seine eigenen Ahndungen für jedes mögliche Abirren hat. Die heutige Menschheit in dem kritischen Stadium ihrer Entwicklung, in dem sie schon Geistmacht genug hat, um gigantische Fehler zu begehen, leidet daher vielleicht mehr unter diesen Ahndungen als je und lebt infolgedessen in einer Haßhölle. So vielgestaltig ist gewiß noch nie gehaßt worden: nicht nur nach Kasten und Schichten, vertikal und horizontal wird gehaßt – – nein, auch noch in der Diagonale von Volk zu Volk wird »patriotisch« gehaßt und über quer von Partei zu Partei ... dazwischen zickzacken noch, wie gesprungene Äderchen am Leib der Menschheit, die zahllosen Privathasse von Herz zu Herz; alles nur, weil der Geist schon so stark geworden ist, daß sein Stemmen gegen die unendlichen Gesetze viel größere Wirkungen auszulösen vermag, als bei Tieren und primitiven Wesen.

Nun aber sind der Qualen und Leiden so viele geworden, das Falsche, ohne daß man wüßte, worin es besteht, lastet so erdrückend, daß auch die Sehnsucht, doch mehr über die Gesetze, an die all dies gebunden ist, zu wissen, übermächtig zu werden beginnt, auch im Stumpfesten. Darum wird dieser Sehnsucht entsprochen .... diese Fragen beantwortet werden; ist es doch das Naturgesetz kat' exochen: wessen der Menschengeist verlangt – – das muß sich ihm, je nach Kraft und Zahl der Wünschenden, rascher oder langsamer erfüllen. Je größer die Zahl der Fragenden, um so rascher, um so vollständiger wird die Antwort sein.

Es gibt ein magisches Wort, das den Kosmos zwingt: »Ich will« – mit dem Blut gesagt – mit den Generationszellen – mit der Seele.

Dampfkraft kam der vorigen Generation in ihrer Sehnsucht nach Überwindung des Raumes entgegen, das Fernsprechen, das Fernhören verwirklichte die Elektrizität. Beide waren ja immer schon da, aber es fehlte die weiße Magie wünschenden Verlangens in Millionen, um dann in den paar Hunderten zum Erfindergeist zu werden, und gerade aus diesen Kräften sich die Erfüllung zu holen. Doch auch sie sind nur wie Strohhalme als Wegweiser zur Entdeckung weit mächtigerer, weil feinerer und innerlicherer Hilfen – nicht Elementen draußen, Elementen drinnen, unsichtbaren, die dich und mich machen.

Die Unrast, das Unbehagen dies: »um Gottes willen anders« und »so kann es nicht weitergehen« von Millionen heute hinausgeschrieen als gefluchtes Gebet, reißt die Rasse aus dem Übel oder aus den dumpferen Formen, was identisch ist.

Es gibt zwei Wege tiefster Erschütterung, auf daß der Mensch außer sich gerate und also über sich hinaus: den Weg der Qual und den Weg der Freude. Der Weg der Freude hebt an, sobald die rein und instinktiv erkannten Gesetze des unendlichen Bewußtseins befolgt werden, nicht aus Angst vor dem nun wohlbekannten Leid, das jedes »Dagegenleben« auslöst, nein, aus innerster Bejahung.

Schiller definiert die Tugend als »Neigung zur Pflicht«. Faßt man »Pflicht« nur weit genug, als Harmonie mit dem Unendlichen, dann ist Tugend eben schon der Weg der Freude. Wir meinen: wenn die Menschheit zu dem weiseren Kurs sich überreden läßt aus Begier nach dem Entzücken, das er bringt – – aus Entdeckerfreude an dem Entschälen neuer Kräfte. Man ißt mit Maß von zarten Dingen, weil die Erfahrung eben gelehrt hat, wie sehr der Geschmackssinn auf diese Art sich steigert und mit ihm der Genuß. Wie Geruch und Geschmack in letzter Linie Heilinstinkte auslösen, von denen ein mit Tierblut, Nikotin und Alkohol verstumpfter Leib sich abgeschnitten hat. Man wird liebenswürdig und rücksichtsvoll gegen einen Freund sein, nicht aus egoistischer Furcht, ihn sonst zu verlieren, nein, weil liebenswürdig sein und rücksichtsvoll zur angenehmen Sensation geworden sind, wie das Atmen klarer und ozonisierter Luft. Alles hängt an der Verfeinerung – Vergeistigung, bis eben die Wandungen der Materie zwischen Mensch und Mensch fein genug geworden sind, um jede Zuckung durchvibrieren zu lassen als tat-twam-asi: das bist du. Je und je war Furcht das Fundament aller Gesetze, von nun an soll es die Freude sein. Der ganze Angstkomplex »Sühne« soll aus dem Bewußtsein der Menschheit gelöscht werden. Der »Versucher« wird künftig nur noch von der anderen Seite kommen ... wird »verführen« zu Güte, Weisheit und Verfeinerung durch die Werbekraft steigender Freude. Die Warnung durch Qual war nötig, solange die Menschheit roher war. Sie war nur mit der Peitsche zu erreichen ... Die Rasse war seelenblind, mußte somit durch schmerzhafte Püffe halbwegs wenigstens Richtung halten lernen. Bei klarem Sehen aber – und die Rascheren, die Feineren aus der Rasse haben schon angefangen damit, wird Leiden überflüssig. Brauche ich denn einen Mann mit einer Keule, um mich zu einem Fest zu treiben?


 << zurück weiter >>