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Wer nach den Sundainseln kommt, hat einen Wunsch, einen meistens schlecht verhehlten: Wenn ich einmal einen Elefanten schießen könnte!
Wem die Sundainseln eine Heimat wurden, hat einen Wunsch, einen nicht verhehlten: Niemals wieder einen Elefanten schießen!
Ich war noch nicht lange dort. Also war der erste Wunsch noch rege. Einen Jagdtag in der Woche hatte ich mit meiner Pflanzgesellschaft fest vereinbart. Wenn man's zusammenzählte, es war schon allerlei, was ich geschossen hatte. Aber eine Lücke war dazwischen, eine große, so groß wie eben Elefanten sind.
»Herr,« sagte der Spursucher, als der Jagdtag anbrach, »Herr, ich hätte einen, glaub' ich.«
Wenn unser Spursucher etwas glaubte, so war das mehr, als wenn ein Weißer etwas sicher wußte. Ich brauchte nicht zu fragen, was er glaubte. In seinen Augen stand mein Wunsch, der Elefant, wenn auch nur in einer Größe, wie man ihn vermittels eines umgekehrten Fernrohrs hätte sehen können.
Es war früh am Morgen. Die Welt so frisch, wie sie in der Nähe des Äquators nur in einer Morgenstunde ist, in jener knapp nach Sonnenaufgang.
Der Urwald nahm uns auf. Er ist oft beschrieben worden. Ich bewundere den Mut von solchen 28 Schreibern. Ein Urwald läßt sich nie beschreiben. Eines Goethe Feder würde dran zerknicken. Ein Urwald ist ein Stück von Gott. Ist von Gott durch alle Federn dieser Erde mehr beschrieben worden als der Saum von seinem Mantel, der die Erde streift auf seinem Morgengange?
Eine halbe Stunde waren wir gegangen. Nein, nicht gegangen. In einem Urwald geht man nicht, durch einen Urwald klettert man.
An einer Stelle blieb der Spursucher stehen. Er zeigte auf den Boden: »Hier sind sie gegangen – zwei, ein alter und ein junger.«
Ich hätte fragen können: »Woran siehst du das?« Ich fragte nicht. Woran ein Spursucher selbst auf Felsengrund noch Spuren wittert, dafür fehlen uns die Sinne. Spursucher sind Gesandte der Natur. Sie haben's in den Fingerspitzen. Spursuchen lehrt man nicht. Spursucher ist man oder ist es nicht.
Nur um einen Spaß zu machen, sagte ich so nebenbei: »Zwei Elefanten also – kannst du mir auch sagen, wann sie hier vorbeigekommen sind?«
Er betrachtete nachdenklich eine herabhängende Liane, wiegte den Kopf und sagte: »Vor nicht ganz einer Stunde, Herr – sie können noch nicht weit sein.«
Spursucherlatein, dachte ich, diesmal macht er dir was vor. Alles, was recht ist, aber für so dumm soll er dich nicht halten: »Vor nicht ganz einer Stunde, sagst du – Dschudi, sei so gut und zeig mir einmal deine – deine Elefantenuhr, nach der du diese Zeit berechnet hast.« 29
»Gern, Herr, gern – du brauchst dir bloß das anzuschauen.« Er wies auf die tief herabhängende Liane: »Kannst du es erkennen?«
»Was erkennen, Dschudi?«
»Diesen Wassertropfen auf dem tiefsten Punkt der Liane. Hier hat ein Elefantenfuß ein wenig von der Erde abgestreift, die an ihm hing. Morgentau floß auf den gleichen tiefsten Punkt die Liane herunter, hat das Stückchen Erde angefeuchtet. Tropfen reißen sich los. Die ersten Tropfen sind noch völlig trüb. Nach und nach werden sie etwas klarer. Ich hab' es im Gefühl, wie klar sie binnen einer Stunde werden müssen, wie klar in anderthalb, wie klar in zwei, nach mehr als drei Stunden ist kein Stückchen abgestreifte Erde mehr darinnen sichtbar, sie sind völlig klar – dieser Tropfen da – schau, wie der Sonnenstrahl sich drinnen bricht – bedeutet nicht ganz eine Stunde – laß uns eilen, Herr, damit wir sie zu guter Zeit erreichen.«
Es war ein mühsam Vorwärtskommen. Dazwischen wieder ging es rascher. Nach ein paar Stunden tat sich eine Lichtung auf.
»Bscht«, sagte Dschudi, »erst den Wind feststellen.«
Er feuchtete den Zeigefinger an, hielt ihn in die Höhe, spürte an der frischen Kälte, wo der Wind herstrich und sagte: »Es ist gut, wir haben Gegenwind.« Dann schob er sich langsam weiter vor zur Lichtung, überdachte seine Augen, winkte rückwärts, machte eine Röhre aus der Innenhand, lugte durch und flüsterte: »Durch die Zweige kannst du einen sehen – schau.« 30
Es war ein junger Elefant. Ein Männchen. Seine Stoßzähne waren schon ganz annehmbar. Es war der Mühe wert, ihn zu erlegen. Ich fieberte vor Jagdlust. Schon hob ich die Büchse.
»Man sollte wissen«, raunte der Spursucher, »ob es seine Mutter ist, die ihn begleitet, oder nur sein Vater.«
»Das macht mir keinen Unterschied – wenn's sein Vater ist, erlege ich ihn auch.«
»Und wenn's die Mutter ist?«
»Die hat ja keine Stößer, die laß ich laufen.«
»Aber sie nicht dich, wenn sie's gewahr wird – du wirst dich schon entschließen müssen, sie dann auch zu schießen.«
»Auf keinen Fall.«
»Dann erlegt sie uns – verlaß dich drauf, Herr.«
»Ich verlaß mich auf mich selber,« stieß mir das Jagdfieber großspurige Worte ins Maul, und ich hob die Büchse wieder.
Ein Elefant hat nur zwei Stellen, die ihm tödlich sind bei einer Büchsenkugel. Die eine Stelle liegt dicht hinter den Ohren. Sie wird oft verfehlt. Die andere befindet sich in zweidrittel Höhe seiner Stirne in der Mitte. Dort hat die Natur in der soliden Schädeldecke unter der überall gleichgespannten Haut eine Höhlung freigelassen, reichlich groß genug, um einen Menschenarm hindurchgreifen zu lassen. Zwei dicke Nerven und Sehnenbündel kreuzen hier ins Innere des Elefanten.
Ein Zweig knackte.
Der Elefant wendete sein Gesicht voll zu uns herüber. Es gab keine Wahl mehr zwischen Ohr und 31 Stirne. Ich zielte und schoß. Der Elefant schwankte, blieb aber aufrecht. Ich schoß ein zweitesmal.
»Genug!« schrie mir der Spursucher ins Gesicht. Ich hörte nicht darauf. Ich schoß ein drittesmal. Der Elefant fiel um. Lautlos. Nur die jungen Bäume, die er umriß, krachten und zerbrachen.
»Hinüber!« rief ich, »laß uns seine Zähne holen!«
»Was fällt dir ein, Herr – morgen oder übermorgen – denke an den zweiten!«
Da stand er schon, der zweite, neben dem gefallenen aus dem Dickicht gebrochen – ratlos, seinen Rüssel schwingend. Er hatte keine Stößer.
»Die Mutter!« flüsterte der Spursucher erschrocken, »lass' uns eilen!«
Er zog mich. Ich konnte nicht von der Stelle. Die Augen vermochte ich nicht abzuwenden von dem Schauspiel, das sich jetzt entrollte.
Die Mutter trompetete sanft. Es klang, wie wenn eine Menschenmutter einem umgefallenen Kindchen zuredet, sich aus eigener Kraft doch wieder aufzurichten.
Aber die Hauer ragten reglos in die Luft. Das Trompeten wurde stärker. Sie begriff nicht, was hier vorgegangen war. Sie strich mit ihrem Riesenrüssel über ihres Kindes Leib, halb zornig: »Steh doch endlich auf?«
Die Hauer bewegten sich nicht.
Das Trompeten wurde klagend, jammernd, heulend. Sie schob den Rüssel unters Kind, half mit den Füßen nach, versuchte es mit allen Kräften wieder 32 hochzubringen. Halb gelang es ihr, den Sohn zu heben. Dann fiel er wieder um, leblos.
Sie lief ums Kind herum, versuchte es nun von der andern Seite. Alles umsonst. Endlich hatte sie begriffen: Tot.
Jetzt ließ sie ab vom Kind. Hoch hob sich ihr Rüssel in die Luft und schwang nach allen Seiten wie ein ungeheurer Pendel.
»Herr, Herr, geschwind, eh' es zu spät ist!«
Ein schreckliches Brüllen drüben. Die Mutter hatte den Zusammenhang begriffen, den Zusammenhang zwischen Büchsenknallen und dem toten Kinde. Der Wind hatte umgeschlagen. Die Witterung des Mörders ihres Kindes sog sich in den Rüssel. Über die Lichtung herüber kam es gestampft.
Wir rissen aus. Die Stämme würden uns schon schützen.
Ein Gedröhn hinter uns: Die Mutter hatte meinen weißen Tropenanzug zwischen den Stämmen leuchten 33 sehen. Ich sah sie auf den Baum herstürmen, hinter dem ich stand. Ich flitzte im Winkel ab zu einem andern. Die Mutter hatte den andern Baum erreicht, umschlang mit einem gewaltigen Rüsselhieb diesen Baum und, wie sie dachte, mich, den Feind. Ein Krachen und ein Schleudern hin und her – der Baum lag auf der Erde. Der Rüssel tastete umher – er suchte mich und fand mich nicht. Da hatten die kleinen Augen schon meinen neuen Stand entdeckt. Ein neues Stampfen gradeaus – von mir ein neuer Winkelhaken hinter einen andern Baum – und wieder dieses grauenhafte Krachen, Schleudern und Umarmen – schon ragte eine neue Wurzelkrone himmelwärts. Wieder das entsetzenvolle Tasten nach dem Feinde, wieder die Enttäuschung, wieder die funkelnden Elefantenäuglein, die mich entdeckten. Gebrüll und Stampfen nach dem neuen Standort . . .
So trieben wir es eine Weile. 34
Wohl behielt ich kaltes Blut, wie einer, der da weiß, es geht ums Leben. Da, von der Seite die flehende Stimme des Spursuchers, dessen dunklen Bronzeleib der Elefant im Wald nicht sah: »Herr, du mußt die Mutter töten!«
»Eine Mutter töt' ich nicht!«
»Sie tötet dich – glaub' es mir, sie hält es länger aus als du und ich!«
»Wir werden es ja sehen.« 35
Weiter ging die stampfende, die krachende, die schnaubende und brüllende Hetzjagd. Meine Füße fingen an zu zittern. Ich wußte, wenn das Zittern erst in meine Arme aufstieg, die die Büchse hielten, war die Wahl vorüber und das Spiel verloren.
Da schlug ich keinen Haken mehr. Unbeweglich stand ich hinter meinem letzten Baum. Eine ungeheure graue Masse raste heran. Zwei unwahrscheinlich kleine Augen sah ich nah und näher kommen. Mein Gewehr lag fest im Anschlag. Unverrückbar hatte ich die Stelle auf der Elefantenstirne, wo die Sehnen und die Nerven zwischen den Augen sich unter der schrundigen Haut kreuzten, im Auge. Ich wußte, traf ich irgend eine andere Stelle, war es nur ein Flohbiß für die racheschnaubende Mutter.
Ich vermochte es, zu warten und zu warten. Näher sollten noch die blut- und wuterfüllten Augen kommen, immer näher. Aber als sie ganz nahe waren, sah ich plötzlich, daß sie gar nicht blutig waren, gar nicht wuterfüllt, nur traurig, unendlich traurig – nie sah ich wieder, auch bei Menschenmüttern nicht, die grauenhafte Trauer in den Augensternen.
Ich vermochte nicht zu schießen. Ein Zittern fühlte ich von den übermüdeten Füßen herauf in meine Arme schießen.
»Herr, schieße, schieße!«
Mechanisch drückte der Mittelfinger ab. Glatt und sauber fuhr die Kugel durch das Loch ins Hirn. Träge krachte eine ungeheure Masse ins Gestrüpp. Tot war eine Mutter.
Nie mehr schieß' ich Elefanten. 36