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Kunz Borgmam, ein aus dem Kloster entsprungener, hart verfolgter Mönch, konnte gegen seine Feinde keine andere Sicherheit finden, als daß er mit der schönen Nonne Beate, die er verführt und dann entführt hatte, sich in den Schutz des großen Teufels begab, der den geistlichen Herrn gern aufnahm und ihm alle mögliche Sicherheit verhieß. Er war ein schlauer, ränkevoller Kopf, der sich in Gefahren wagte, weil er Klugheit und List besaß, ihnen zu entkommen. Freudig nahm er den einträglichen Auftrag an, daß er den Aufenthalt Luitgards erforschte und ob sie in Quedlinburg bei der Äbtissin sey. Er überlegte hin und her, wie sein Unternehmen am klügsten anzufangen, damit es ihm sicher gelänge. Zum Begleiter bat er sich den Wolf Urlshausen aus, einen ränkevollen Gesellen, dem er einen Theil seines Verdienstes versprach, mit dem er schon manchen Streich ausgehn ließ, welcher ihm völlig ergeben war. Wolf mußte im Gehölz vor Quedlinburg verweilen und Kunz ritt, wie der Knappe oder Schildträger eines vornehmen Ritters, hinein.
Bei der Wache, die er am Thore fand, meldete er, daß er von dem Graf Dedo von Wettin abgesandt sey, um der Äbtissin eine wichtige Nachricht mündlich zu hinterbringen. --
Der Wächter entgegnete:
»Sie wird Euch heute schwerlich vor sich lassen, da aus allen Himmelsgegenden Gäste einpassirt sind, denen sie einen großen Schmaus gibt.« --
»Aber ich muß, ich muß sie sprechen, mag sie alle Herrn und Fürsten zu Gast geladen haben.«
Als er eine lange Weile vor dem Thore gewartet hatte, kam eine Art von Hausvogt und fragte ihn: Was sein Begehr sey. --
»Die Äbtissin zu sprechen.« --
»Das könnt Ihr heute nicht, sie hat Gäste, sitzt an der Tafel und läßt sich nicht stören. Sagt's mir, was Ihr habt, bei guter Gelegenheit will ich's ihr vermelden.« --
»Was die Äbtissin allein nur wissen kann und darf, das werd' ich Euch nicht plaudern.« --
»So wartet bis zum andern Morgen.« --
»Ich könnte wohl so lange warten,« sagte Kunz mit bedenklicher, geheimnißvoller Miene, »aber die Sache, die ich bestellen soll, hat Eile. Wenn aus der Verzögerung Übles entsteht, wollt Ihr das verantworten? Seht, mein Roß ist naß, ich mußte mit dem Winde reiten und aus Kurzweil thut man das nicht.« --
»Wer seyd Ihr denn, wo kommt Ihr her und wer hat Euch abgesandt?« --
»Ich bin eine Art von vertrauter Freund von dem Graf Dedo von Wettin, sein erster Diener, von ihm komme ich. Gleich nach seiner Ankunft von dem Baiernherzog Heinrich, gab er mir den Auftrag an die Äbtissin und befahl, mit größter Eil zu reiten.« --
»So wartet noch ein Weilchen, ich bringe Euch Bescheid.« …
Sogleich wurde ihm das Thor geöffnet, man ließ ihn ein, er mußte sich in der Nähe desselben halten. Der Diener kam bald wieder und sprach:
»Hab' ich's Euch nicht gesagt, die Äbtissin läßt sich heute nicht von Euch sprechen. Zieht Euer Roß in Stall, Ihr sollt gut bewirthet werden. Wenn's der Äbtissin gelegen ist, will ich Euch zu ihr führen.« --
»Nun,« sagte Kunz, »das muß ich mir gefallen lassen. Begegnet der Äbtissin Unfreundliches, daß sie sich im Vergnügen nicht stören lassen und meine kurze Rede nicht anhören will, so ist das nicht unsere, es ist ihre Schuld.«
Kunz wurde in ein großes Zimmer geführt, wo eine Menge fremder Diener, mit denen der Äbtissin ein lustiges Leben trieb. Es wurde gescherzt und gelacht, gelärmt und getobt und er nahm Antheil an der Spaßerei.
»Hier geht's wohl hoch her,« sagte er, »wie am kaiserlichen Hofe.« --
»Warum sollte es das nicht,« entgegnete ein Diener der Äbtissin, der nicht wenig hochmüthig war, daß er in ihrem Dienste stand, »ist sie doch eine Kaisertochter und hat wohl größere Einnahmen, als eine Kaiserin.« --
»Wird heute nicht ein Fest, zu Ehren einer Fremden, gefeiert, die zum Besuch hier ist?« --
»Das ich nicht wüßte,« entgegnete der Diener. »Es geht hier alle Tage herrlich und in Freuden. Die Markgräfin von Meißen soll hier seyn, sagt man, ich habe sie nicht gesehen; aber um ihretwillen macht eine Äbtissin den Aufwand nicht.« --
»Das glaub' ich wohl,« sagte Kunz, »eine Kaisertochter gibt sich um eine Markgräfin nicht die Mühe, wenn es ihr ungelegen ist, daß sie den Finger ins Wasser taucht.« --
»Das wollt' ich meinen,« entgegnete der Diener mit stolzem Selbstgefühl und reckte seinen Kopf empor, als widerführe ihm selbst eine große Ehre
Frohen Muths, da Kunz nicht mehr zweifelte, daß Luitgard hier wäre, weil der Bediente von der Anwesenheit ihrer Mutter sprach, wollte er sich aufs Lager niederlegen, als er abgerufen und zur Äbtissin geführt wurde. Er faßte seine ganze Geisteskraft zusammen, um sich nicht zu verrathen, die kluge Frau zu überlisten und es mit Gewißheit zu erfahren, ob Luitgard in Quedlinburg sey. Das große Zimmer, in dem er die Äbtissin fand, war hell erleuchtet, sie saß auf einem prachtvollen Rohrsessel und bei ihr waren mehrere Frauen. Als er sich tief verneigt hatte und neugierig mit einem Blick die Frauen durchmusterte, sah er eine Jungfrau von wunderbarer Schönheit. Das ist Luitgard, sagt' es in ihm und keine andere.
Mit hoher Würde sprach die Äbtissin:
»Ihr müßt sehr Wichtiges an mich zu bestellen haben, ich muß es glauben, sonst hätt' ich's nicht verstattet, daß Ihr in Person vor mir erschienet. So redet nun, ich will Euch hören.« --
»Was Ihr allein nur wissen dürft, erlauchte Frau, das darf ich nicht Vielen sagen. Mit einem Eide mußt' ich mich verpflichten, meinen Auftrag, wie ein heiliges Geheimniß, zu bewahren und ihn keinem Sterblichen zu verrathen. Kann ich also nicht mit Euch allein reden, so muß ich schweigend wieder von dannen ziehen.« --
»Was könntet Ihr mir für ein großes Geheimniß melden, ich glaube nicht daran!« --
»Ob Ihr daran glaubt oder nicht, das ist nicht meine Sache, ich will nur thun was mir befohlen ist. Könnt Ihr mich allein nicht sprechen, ich habe nicht längere Zeit zu verlieren, so reite ich fort und Ihr bezeugt mir, daß ich hier gewesen bin. Besteht nicht so fest auf Euerm Willen, die Reue und der Schade möchte nachkommen.«
Die Äbtissin erhob sich von ihrem Sitze, sie gebot Kunzen ihr zu folgen und begab sich in ein Nebenzimmer. Als er selbst die Thür fest zugemacht hatte, sagte sie:
»Ihr kommt vom Grafen von Wettin? Was der mir Großes zu bestellen hat und durch seinen Diener! Könnt er nicht selber kommen!« --
»Er kam krank von der Reise, seine Genesung konnte er nicht abwarten, weil das, was er Euch sagen läßt, keinen Aufschub leidet.« --
»Nun, so redet kurz, es ist schon Mitternacht.« --
»So kurz will ich reden, daß Ihr's begreift, es ist keine Kleinigkeit, weshalb Ihr noch ein Stündchen länger wacht.«
Leiser redete Kunz also:
»Ihr wißt es, wie der Graf, mein Herr, dem Kaiser ergeben ist und, um ihm seine Ehrfurcht und Liebe zu beweisen, kein Opfer scheut und für ihn Alles leiden und thun kann. Er durchzog in unbekannter Gestalt die Altmark, ich allein war sein Begleiter. Dort erfuhr er, ein mächtiger Ritter rüste sich, um Luitgard, die junge Markgräfin von Meißen, Euern Händen mit Gewalt zu entreißen.«
Zornig fuhr die Äbtissin auf:
»Wer ist der Verwegene, der solchen Frevel beginnen will! Seine Tollkühnheit verlache ich! An diesem Gemäuer kann er sich mit seiner Rotte den Kopf wund und blutig stoßen. Ist der mächtige Ritter, dessen Ohnmacht ich verspotte, nicht des Markgrafen Luthers Sohn?« --
»Der kann's nicht seyn, der siechet und kränkelt und denkt wohl eher an den Tod, als an ein vermessenes Wagestück.« --
»Nun, so nennt mir den Verbrecher, der diese Mauern, der meine Nähe nicht achtet. --
»Den kann ich Euch nicht nennen.« --
»Aber wer weiß es denn, daß Luitgard hier ist?« --
»Graf Dedo von Wettin.« --
»Und von wem erfuhr er das?« --
»Sicher von dem Herzog Heinrich, deß Vertrauter er ist.« --
»Wißt's, der Herzog ist ein Plauderer, ein Weib, dem man kein Geheimniß mittheilen muß, wenn's die Welt nicht erfahren soll.« --
»Der Graf bietet Euch seinen möglichsten Beistand an, um die verbrecherische That zu verhüten, daß Euch die kaiserliche Braut nicht entrissen wird. Droht in der Ferne Gefahr, so kommt er selbst, Euch Nachricht davon zu geben. Für des Kaisers Wohl und Liebe läßt er sein Leben.«
»Dankt dem Grafen in meinem Namen für den Dienst, den er mir anbietet, sagt ihm aber auch zugleich, daß ich Macht genug zu haben glaubte, den Frevlern den Rückweg mit blutigen Köpfen zu weisen. Aber wundern muß ich mich, daß der Graf ein solches Geheimniß mir entdeckt, ich denke, er ist Werners Seelenfreund?« --
»Ihm gilt der Kaiser mehr, als Werner. Und wer Böses verhüten kann, muß sich der, um einer höhern Pflicht zu dienen, nicht auch von seinem besten Freunde trennen?« --
»Da denkt der Graf edler, als die meisten Menschen.« --
»Aber,« sagte Kunz, um ganz gewiß zu seyn, ob Luitgard hier wäre, »wie ist die schöne Braut verblüht! Früher sah ich sie in Meißen, da waren ihre Wangen roth, wie Rosen.« --
»So, habt Ihr das bemerkt? Wenn Otto aus Italien wiederkehrt, wird sie wider aufblühen.«
Die Äbtissin ging nach einem Schranke hin, kam zurück, drückte Kunzen ein gutes Botenlohn in die Hand und sagte:
»Grüßt den Graf und sagt ihm meinen Dank für seine Fürsorge, er hat es gut gemeint.«
Kunz wurde durch eine Nebenthür entlassen. Er war im Herzen froh, daß er den verheißenen Lohn verdient hatte und Wernern gewisse Nachricht geben konnte. Da der Mond helle schien, sattelte er sein Roß und verließ, sogleich nach Mitternacht Quedlinburg. Bald kam er an dem bestimmten Orte an, wo er seinen Mitgesellen Wolf Urlshausen fand, dem er die frohe Botschaft brachte:
»Luitgard ist in Quedlinburg, die versprochene Summe ist verdient.«
Die betrügerische Rolle war aber noch nicht ausgespielt, Wolf sollte sie vollenden. Kunz zog sich mit den Rossen ins dicke Gebüsch zurück und Wolf ging, als der Morgen graute, nach Quedlinburg. Er verlangte die Äbtissin zu sprechen. Es hieß, sie schlafe noch und dürfe in ihrer Ruhe nicht gestört werden.
»So führt mich zu ihr, wenn sie erwacht ist,« bat er.
Sie erwachte mißmüthig. Gleichgültig war ihr die Nachricht doch nicht, die ihr der Graf von Wettin sagen ließ und sie glaubte, daß größere Vorsicht nöthig sey und daß Luitgard sorgfältiger bewacht werden müßte. Die Spatzierreisen sollten unterbleiben, die Wachen sollten verdoppelt, die Thore vor der Dämmerung verschlossen und in der Nacht nicht geöffnet werden. Sie war beim Anzuge, als ihr gemeldet wurde, daß ein unbekannter Wanderer, der über die Elbe von Magdeburg komme, sie zu sprechen verlange.
»So läßt man mir selbst am Morgen keine Ruhe,« sagte sie höchst verdrießlich, »laßt den Menschen kommen, daß ich ihn schnell abfertige.
Als Wolf vor ihr stand, sagte er:
»Ich wanderte in dieser Nacht auf der Heerstraße, da begegnete mir ein Reiter: Er hielt still vor mir und fragte: Wo gehst du hin? Ich antwortete: Nach Sondershausen. Da wirst du, fuhr er fort, über Quedlinburg gehen. Das werde ich, erwiederte ich. Nun, fing er also zu reden an: Du kannst dir um die Äbtissin ein Verdienst erwerben, und dir vielleicht ein gutes Botenlehn verdienen, wenn du ihr sagst: Der, welcher um Mitternacht ihr die Lüge aufbürdete, daß ein mächtiger Ritter die Entführung Luitgards mit Gewalt erzwingen wolle, war ein Betrüger. Sie könne sich davon leicht überzeugen, wenn sie den Graf von Wettin selber zu sich kommen lasse, der es ihr kund thun müsse, daß er keinen Boten an sie abgeschickt hätte. Der junge Werner habe seine Liebe gegen Luitgard aufgegeben, seit er's wisse, sie habe sich mit Otto verlobt.«
Zornig rief die Äbtissin aus:
»Ist es so weit gekommen, daß man es wagt, mit einer Kaisertochter Scherz zu treiben? Eine solche Kränkung fordert Strafe und meine Rache soll sie an dem Übelthäter vollziehn! Geh, Bube, und laß Dir's Botenlohn von dem bezahlen, der mich betrogen hat.«
Wolf von Urlshausen war in seinem Geiste sehr zufrieden, daß er mit diesem Abschiede entlassen, wurde. Der Auftrag, den ihm Kunz gab, schien ihm nicht gefahrlos zu seyn, aber er wollte nicht muthlos seyn und mußte dem Obern gehorchen. Zu seinem größten Verdruß fand er, nach langem Suchen in dem Walde, seinen Gefährten dennoch nicht und mußte den Weg zu Fuß antreten. Diesseits Magdeburg war's, wo er seinen Namen aus einem kleinen Gebüsch rufen hörte, er drehte sich um und sah Kunzen.
»Höre,« sagte dieser, »ich mußte mich mit der Flucht retten, es waren mir Verfolger auf den Hacken. Ich fürchtete, Dich so bald nicht wieder zu sehen, doch hab' ich auf Dich hier gewartet. Die Rosse haben einige Stunden geruht, rasch setze Dich auf, ich denke, wir sind der Gefahr, gefangen zu werden, noch nicht entronnen.«
Ohne Zeitverlust nahmen die beiden Räuber, die sich für Kaufleute aus Hamburg ausgaben, den Weg über Wollmirstedt, Stendal, Gardeleben und kamen am späten Abend vor dem Schloßthore von Salzwedel an. Werner hatte die Botschaft mit unruhvoller Sehnsucht stündlich erwartet. Am Ende zweifelte er, ob er Nachricht erhalten werde. Sein Entschluß war gefaßt, daß er nach wenigen Tagen zu Günzel nach der Gegend von Werben hinreisen wollte, theils deshalb, ob er nicht bei ihm Kundschaft einziehen könne, theils, daß er ihn auch mit tüchtigen Leuten versehen sollte, um das Wagestück, Luitgard in Freiheit zu setzen, auszuführen. Von seinem Vater durfte er keinen Beistand erwarten, dieser hatte fest erklärt:
»Kann ich Dein Leben retten, oder Dir einen Dienst erweisen, der mich und Dich nicht in augenscheinliche Gefahr stürzt, so will ich Dir aus allen Kräften und selbst mit meinem Blute dienen; Dich aber in einer Sache unterstützen, die, wenn sie Dir auch gelingt, nur ein böses Ende gewinnen muß, das verbeut mir Klugheit und Selbsterhaltung. Wie könnt' ich den Kaiser zum Zorn gegen mich reitzen und womit soll ich die Strafe abwenden, die er an mir vollziehen kann. Willst Du Deine Leidenschaft nicht bändigen, so mußt Du das Unglück leiden, was sie Dir bereitet; aber mich sollst Du nicht mit in den Schlund des Verderbens hinabziehen.«
Obgleich Werner den Vater nicht erbitten konnte, daß er ihm genugsame Mannschaft gab, Quedlinburg mit Gewalt zu erstürmen, um die schöne Beute zu entführen, so hatte er doch durch Versprechungen und die Liebe, mit der ihm Alle ergeben waren, einige zwanzig Mann insgeheim gewonnen, die sich verschworen, ihn nicht zu verlassen und wenn es ihnen das Leben kosten sollte. Sie wollten seinem Befehle gehorsamen und wenn sie in die Hölle gehen mußten. Außerdem hatte er auch ein tüchtiges Werkzeug gefunden, das sich vortrefflich gebrauchen ließ, um auf dem Wege der List einen Versuch zu wagen. Der Hofcapellan, Benedikt Sturtz, welcher zugleich markgräflicher Beichtvater war, hatte einen Vetter in einem nahen Kloster, Cajetan Sturtz, der seinen Oheim in Salzwedel oft besuchte. Werner mochte den jungen Geistlichen wegen seines aufgeweckten Gemüths, seiner lustigen Einfälle und des weltlichen Sinnes, den er in seiner Gesellschaft zeigte, wohl leiden.
Cajetan kannte Werners Liebesgeschichte und sagte:
»Wenn Ihr mir nur erst mit Gewißheit den Ort nennen könnt, wo Eure Luitgard eingesperrt ist, so will ich Euch wohl ersprießlichere Dienste thun, als es Eure Schwerter vermögen. Wißt, die Geistlichkeit hat einen Schlüssel, der zu allen Herzen und Thüren paßt. Unter dem Schirm der Heiligkeit ist schon Großes genug gewonnen worden. Was von meiner Lippe kömmt, das glaubt man ohne Betheurung und das Schaafskleid verbirgt den Schalk, der im Innern sitzt. Den Verstand verlieh uns Gott und es ist sein Gebot, auf's beste damit zu wuchern, warum sollt' ich Euch einen Dienst versagen, den ich Euch erweisen kann? Es ist nicht genug, daß ein Christ kein Arges thun, er soll auch Böses verhüten. Euch ist Unrecht geschehen, und ich sehe mich als das Werkzeug der höhern, gerechten Macht an, es wieder gut zu machen. Vertraut mir nur, sagt mir Bescheid, wenn Ihr den Aufenthaltsort Eurer Braut entdeckt habt und nehmt mich mit Euch. Es versteht sich, daß Ihr mich hinterher mit einer guten Pfründe lohnt. Ich denke, so ein Prior oder Abt könnte ich eben so gut, wie mancher leere Dickkopf seyn, der seine Würde nicht seiner Geschicklichkeit, sondern der Vetter- und Gönnerschaft verdankt.« …
Werner nahm ein solches Anerbieten gern an und versprach, wenn es nöthig sey, davon Gebrauch zu machen.
Aber wie groß war Werners Freude, als sich Kunz bei ihm melden ließ! Er eilte ihm nach dem Thore entgegen und bat, daß er den Schloßhof nicht beträte, damit seine Erscheinung nicht dem Vater ruchbar werde, der an der Tafel saß und mit mehrern Rittern tapfer zechte.
Der Räuber begrüßte Wernern freundlich und sagte dann:
»Vor allen Dingen muß ich Euch im voraus melden, ich gebe die Waare, die ich verkaufe, nicht eher weg, bis ich dafür bezahlt bin. Seht, da ist ein Mitgeselle, der mir große Dienste leistete, dem habe ich eine ansehnliche Bezahlung gelobt und ich muß ihm Wort halten. Ihr glaubt es nicht, wie oft mir Vornehme Großes versprochen und auch das Kleinste nicht gehalten haben. Mit dürren Worten will ich's Euch also sagen: Erst müßt Ihr zahlen und dann sollt Ihr weiter hören.«
Werner betheuerte heilig, daß er ihm die versprochene Belohnung in dieser Stunde geben wolle, wenn er ihm Nachricht von Luitgard brächte. Seine Neugierde sey quälend. --
»Zerplagt Euch nicht mit vergeblichen Worten, es bleibt dabei,« sagte der Räuber, »erst das Geld und dann die Nachricht. Ihr seyd mein Oberhaupt nicht, daß ich mich auf Euern Befehl in den Schlund einer großen Gefahr stürzen müßte und, wenn man Leben und Freiheit für einen Andern wagt, so darf sich's der nicht befremden lassen, wenn er eine erkleckliche Summe dafür erlegen muß.«
Als Werner sich überzeugte, der verdammte Kunz sey nicht zu erweichen, so gab er ihm einen Führer mit, der ihn nach einem entlegenen Wächterhause hinweisen mußte, wo er vom Rosse steigen und ihn erwarten sollte. Um, wenn der Räuber eine zu große Summe forderte, nicht noch einmal nach dem Schlosse zu gehen, wenn er nicht genug brächte, nahm Werner die größere Hälfte seiner Baarschaft mit und wollte nach dem Wächterhause eilen. Da begegnete ihm Godila auf der Treppe, die ihn fragte, als sie sah, daß er schwer trug, wohin er mit dem Beutel voll Geld wolle. Der Vater habe schon nach ihm gefragt.
»Mutter,« sagte er, in seinem Gemüthe sehr unruhig, »verrathet es nicht dem Vater, es ist ein Bote hier, der mir Nachricht von Luitgard bringt, den muß ich bezahlen.« …
Die Markgräfin wollte weiter reden, aber Werner ließ sich nicht halten und ging auf einem Seitenwege nach dem Wächterhause hin.
»Nun, was willst Du von mir haben, Du mißtrauischer, ungläubiger Hecht, der Du denkst, daß alle Menschen Betrüger sind.« --
»Zählt nur auf, wenn's genug ist, will ich's sagen.
Werner fing an zu zählen und der Beutel war noch nicht zur Hälfte geleert, als Kunz sagte:
»Nun keinen Heller mehr.« …
Sechs Goldgülden warf Werner, dem die Summe, die er aufgezählt hatte, zu klein schien, noch auf den Tisch, aber der Räuber sprach:
»Keinen Heller mehr. Ihr sollt sehen, daß Ihr mit einem ehrlichen Manne zu thun habt, der's nicht wie Tausende da nimmt, wo er's kriegen kann und sich zum Diebe macht.«
Als Kunz das Geld eingestrichen und wohlverwahrt hatte, erzählte er die Manier, wie er zur Gewißheit gekommen sey, daß Luitgard in Quedlinburg wäre und daß er sie im Zimmer der Äbtissin, neben ihrer Mutter sitzend, selbst gesehen hätte. Er solle nun aber auch eilen, daß er sein Wagestück ausführe. Käme er aber nicht mit List zu seinem Zweck, mit Gewalt werde es ihm schwer gelingen.
»Kunz,« sagte Werner, »kannst Du's bei dem Himmel und der Hölle schwören, daß sie in Quedlinburg ist? Betrügst Du mich nicht? Wenn das wäre, Du würdest großes Unheil anrichten, ich müßte Dich bei Günzeln verklagen und wie hart der eine solche Schande und ein solches Verbrechen straft, das weißt Du selbst.« --
»Die Wahrheit darf ich nicht beschwören, geht hin nach Quedlinburg und seht und hört und Ihr könnt Euch davon selbst überzeugen. Auch ich habe ein Gewissen und kenne einen Richter, der böse Thaten straft.«
Werner bekümmerte sich weiter nicht um die Räuber, er eilte nach dem Schlosse zurück und traf ins geheim Anstalten zu seinem Unternehmen. In der Nacht wollte er aufbrechen. An demselben Abend wurde ein Bote abgeschickt, welcher dem Mönch Cajetan die Nachricht von dem Zuge nach Quedlinburg bringen mußte und ihn einladen, sich in der Nacht vor dem Thore einzufinden. Cajetan wußte sich beim Prior sogleich mit der Lüge zu beurlauben, der Hofkapellan sey plötzlich krank geworden und verlangte ihn zu sprechen.
Der Markgraf, der sich am Abend im Weine gütlich gethan hatte, lag in einem festen Schlafe und war seiner Sinne nicht mächtig. Die auserwählten Knechte führten, in voller Rüstung, so leise, als es geschehen konnte, die Rosse aus dem Thore. Da stand Cajetan, der schon ängstlich wartete. Er meldete sich bei Werner, setzte sich auf ein lediges Roß und so ging der Marsch im Vollmondsschein vorwärts. Wenn Werner den Gedanken dachte, daß er vielleicht, nach Verlauf einer Woche, schon seine geliebte Luitgard in seinen Armen, an seiner Brust hielt, da wallte sein Herz in unaussprechliche Entzückungen über. Aber welch ein Kampf mußte bestanden, welche Hindernisse mußten besiegt werden, ehe er zum Ziele kam! Konnte das Unternehmen nicht mißlingen? Was konnte ihm einen glücklichen Ausgang verbürgen? Und wenn Luitgard in seiner Gewalt war, wohin sollte er mit ihr fliehen! Fast mußte er fürchten, daß er bei seinem Vater keine Aufnahme fand. Sollte er zu dem Räuber Günzel gehn, wo er auf eine Weile sicher war, das wollte er um Luitgards willen nicht. Jetzt fiel ihm Boja und ihre Mutter ein. Da, da in Buschewitte, sagte es in ihm, da ist der Ort, wo sie sich so lange verborgen halten kann, bis sie öffentlich erscheinen darf.
Nach etlichen Stunden rief Werner Cajetan zu sich und sagte ihm, daß Luitgard in Quedlinburg sey und es wäre sein Vorsatz, sie in Freiheit zu setzen, wenn's auch sein Leben kosten sollte. --
»Euer Leben muß es nur nicht kosten, was hättet Ihr dann für Eure Arbeit für einen Lohn,« sagte der Mönch. »Luitgard würde dann auch in eine größere und härtere Sclaverei fallen und Euch gewiß keinen Dank wissen, daß Ihr sie erlösen wolltet. Solltet Ihr aber Gewalt brauchen müssen, wahrlich so ist Euer Häuflein viel zu klein. Die Äbtissin wird den ihr anvertrauten Schatz sicher sorgsam bewahren, daß er nicht leicht zu erobern ist. Es möchte dabei blutige Köpfe setzen und vielleicht vergebens Blut vergossen werden. Ein Klosterbruder, der in Quedlinburg einst war, hat mir's gesagt, es gibt dort himmelhohe Mauern. Ich sehe es wohl, nur Vorsicht und List kann hier siegen und ich denke ich werde nicht das fünfte Rad am Wagen seyn. Laßt mich allein, daß ich eine Weise aussinne, wie die schöne Braut am besten zu erbeuten ist.« --
»So sinnt und denkt, ich will Euch nicht stören und was Ihr Listiges erfunden habt, das theilt mit treulich mit, damit ich sehe, ob's nicht eine Windblase ist, die bei der Berührung eines Lüftchens zerplatzt.« --
»Glaubt, was in Klöstern ersonnen wird, das hat Grund und Boden und wer keinen dummen Kopf hat, der kann da lernen.«
Magdeburg, wo der Bischof Gieseler wohnte, der kein Freund des Markgraf Luther war, ging Werner in großem Umwege vorüber und nahm den Weg über Wollmirstedt, durch einige Dörfer, bis er auf die Höhe kam, an deren Fuße das heutige Dorf Hedersleben liegt, wo die Natur in dem Bodegrunde in ihrer Herrlichkeit erscheint, von dem südwärts der schöne, nebliche Harz den mannichfaltigsten Rahm bildet. Hier hielt er sein Roß an und verlor sich gedankenvoll im Anblick Quedlinburgs.
»Da ist sie also,« sprach's in seiner Brust, und mächtige Gefühle wurden in ihm wach, »die du mehr als dein Leben liebst! Sie seufzt nach dir, und feurig, ungestüm ist nach ihr dein Verlangen. Wie wirst du sie erretten! Götter, ich flehe euch an, nur diesmal steht mir bei mit eurer Macht und schickt mir eure Engel! Erlöset die Unschuld aus den Ketten ihrer Peiniger. Ach, wie wird mir seyn, Luitgard, mein Leben und mein Alles, wenn ich an diese Brust dich drücke; wenn du erzählst von deinen Schmerzen, deiner Liebe! Wie wird mir seyn! Besteh' ich glücklich diesen Kampf, dann wird der Himmel weiter walten.«
Der Zug bewegte sich langsam von der Anhöhe herab und übernachtete in dem Eichengehölze, das in der Gegend von dem jetzigen Ditfurth, seine Wipfel, hoch in die Luft emporstreckte. Von hier aus wurde Conrad von Billingen, ein Vertrauter Werners, in der Nacht zu Fuße, wie ein Landmann gekleidet, abgeschickt, welcher Kunde einziehen sollte. Er blieb für Werner viel zu lange aus und kam erst wieder zurück, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Man wollte seinen Bescheid abwarten, ehe man für das kühne Unternehmen etwas that. Unerschrockenheit und Muth, dachte Werner, ist ein scharfes Schwert, das zerbrochen wird, wenn es nicht mit Klugheit geführt wird.
Werner schalt auf Conrad, als er zurück kam und machte ihm den Vorwurf, daß er ihn viel zu lange warten ließ. --
»Nun, poltert nur,« sagte Conrad, und ließ sich nicht aus seiner Fassung bringen. »Erst hört mich an und urtheilt dann, ob ich zu lange blieb. Die hohen Mauern zu übersteigen, ist unmöglich, das dicke Thor kann keine Macht zersprengen, die ausgestellten Wachen bieten unsern Schwertern und Spießen höhnend Trotz. Wolltet Ihr mit Gewalt etwas wagen, so wäre das eben so, als ob eine Mücke mit ihrem Flügel einen Thurm einschlagen wollte.« --
»Das sind untröstliche Nachrichten,« sagte Werner, »die es nicht verdienten, daß Ihr so lange liebt.« --
»Nun, nun »beruhigt Euch nur, das Bessere kömmt hinten nach. Als es Tag war, öffnete sich die Pforte, Leute, Diener und Dienerinnen gingen aus und ein. Da fragte mich eine Art von Pförtner:
›Was stehst du hier so müßig und sperrst das Maul auf. An die Arbeit, Faullenzer!‹
Da erwiederte ich:
›Geld und Müh ließ ich mir's kosten, die große Äbtissin zu sehen, von der der Priester mir so Rühmliches erzählte.‹ --
›Die kannst du sehen,‹ sprach er, ›es heißt, daß sie zum Graf nach Blankenburg heut' reist. Ein Diener brachte den Befehl, das Schloßthor auf einen Wink zu öffnen. Tritt näher, daß du sie so recht anschauen kannst.‹ …
Er führte mich durch die Pforte und nahm mich mit in seine Stube.
›Wo kömmst du her, Landsmann,‹ fragte er jetzt. --
›Geradewegs von Meißen.‹ --
›Daß deine Sprache eine fremde ist, das hört' ich wohl. Von Meißen?‹ --
›Möcht' ich auch unsere verehrte Markgräfin sehen und nur eine Sylbe mit ihr sprechen. Ich weiß es, die ist hier, mit ihrer Tochter und diese ist des Kaisers Braut.‹
›Und,‹ sagte der Thorwart, ›was wolltest du mit der Markgräfin sprechen?‹ --
›Was ihr vielleicht kein Anderer sagt. Sieh', darum kam ich her. Du thust vielleicht dem ganzen Lande einen großen Dienst, wenn du mich zu ihr führst. Die klare Wahrheit will ich ihr bekennen, die sie aus keinem andern Munde hört.‹ --
›Und diese Wahrheit wäre?‹ --
›Daß Unruh und Unordnung aller Art in Meißen ausgebrochen ist, seit der Herr im Lande fehlt und auch die Markgräfin nicht mehr da ist. Du weißt ja, wie die Mächtigen hausen, wenn die Fürsten fehlen. Mir ist mein Zug- und Ackervieh genommen und ein Ritter hat mir die Tochter gestohlen. Kannst du Erbarmen mit einem Unglücklichen haben? Mit einem tiefgekränkten Vater?‹
›Das kann ich,‹ sagte der Thorwart, ›und werde einen Weg finden, daß du die Markgräfin sicher sprechen sollst. Vor Abend aber, ehe sie mit der Äbtissin von Blankenburg zurück kömmt, kann das nicht geschehen, so lange mußt du warten.‹
Noch eine Stunde mußt' ich warten, die mir so lange dauerte, als ob ich in der Hölle bratete, da kam die gewaltige Frau, die Eure Luitgard im Verschluß hält, prachtvoll gekleidet, groß, stark und voll Majestät, auf einem Zelter angeritten, der stolz einherschritt. Ihr zur Seite die Markgräfin, ein glänzendes Gefolge und Bewaffnete zogen ihr nach. Die Äbtissin blitzte mich mit ihren großen Augen an, ich mußte den Blick zur Erde niedersenken, mir war, als ob sie mir zurufen wollte: Mensch, du führst Falsches gegen mich im Schilde!
Unter den andern Frauen war keine so jugendlich, ich musterte sie genau, die mich vermuthen ließ, daß es Eure Luitgard wäre. Als der Zug vorüber war, sagt' ich zu dem Thorwart:
›Ich Narr, warum hab' ich die Markgräfin nicht angeredet? Ach, sie ist mild und herablassend und hat ein Ohr und Herz für die Klagen des Armen. Wie wird es den Meinen ergehen, die mich zu lange entbehren müssen! Führt mich zur Tochter der Markgräfin, auch die ist hier, daß ich ihr meine Sache vortrage, sie mag sie dann der Mutter erzählen, daß diese durch eine schnellere Rückkehr der allgemeinen Unordnung steuert und größere Übel verhütet, die dem Lande drohn!‹
Durch inständiges Bitten und den weinerlichen Ton meiner Stimme, ließ sich der Thorwart, da seine Gattin zuredete, bewegen, daß er mich nach dem Schlosse hinführte. Ein großer Kerl von Diener stand in der Thür.
›Ein armer Landmann aus Meißen,‹ sagte der Thorwart, ›welcher seine Noth der Markgräfin klagen will und da diese nicht hier ist, ihrer Tochter. Er erzählte, in ganz Meißen sey's bekannt, daß des Markgrafen Tochter hier lebe.‹
›So folge mir,‹ sprach der Diener.
Er führte mich zu dem Schirmvogt, der mir allein die Erlaubniß ertheilen konnte, zu Luitgard zu kommen. Hoh, wie fuhr mich dieser Schirmvogt an! Er meinte, ich müßte rasend seyn, wenn ich mir einbildete, daß mich die Prinzessin sprechen werde. Ein Bauer dürfe nicht vor ihr erscheinen. Fremde, das sey Befehl der Äbtissin, sollten sich ihr nicht nahen.
›Pack' dich, Bauer,‹ sagte er, ›und warte mit deinem Gesuch, bis die Markgräfin nach Meißen kömmt.‹
›Schirmvogt, daß ihr's nur wißt, ich bin der Ritter Bernhard von Oschatz,‹ sprach ich.
Er machte große Augen und fragte:
›Warum habt Ihr euch so verkleidet, wenn Ihr ein Ritter seyd!‹ --
›Darum, daß Niemand meinen Gang hieher verrathen könnte. Meuterei, Unfug und Toben herrscht in Meißen. Der Rotte, die des Landes Wohl umkehren will, bin ich feind. Wüßte sie, daß ich hieher ging, ihr Unwesen der Markgräfin zu melden, sie würde mich erschlagen. Des Aufruhrs Flamme lodert, die Markgräfin muß kommen, daß sie sie lösche. Wollt ihr mich nun abweisen, denn länger kann ich hier nicht säumen; so muß ich's einst bekennen, wenn sich das Verderben mehr ausbreitet, das hat der Schirmvogt in Quedlinburg verschuldet. Laßt mich unserer Luitgard nur als den Ritter Bernhard von Oschatz melden, sie wird mich sicher nicht zurückweisen.‹
›Seyd ihr nicht ein Betrüger, wie neulich Einer, der der Äbtissin einen argen Possen spielte?‹ --
›Schirmvogt,‹ sagte ich mit verstelltem Zorn, ›vergeßt nicht, daß ihr mit einem Ritter redet, der mehr als einmal neben dem Markgraf Eckard und in Weimar, bei dem Herzog Bernhard, zur Tafel saß. Kommt nach Meißen, fragt nach mir und man wird euch sagen; wer ich bin. Doch will ich die Erlaubniß, vor Luitgard zu erscheinen, um ihr mein Anliegen vortragen zu dürfen, nicht von euch erbetteln. Wollt ihr mich nicht zu ihr führen, so zieh ich wieder meine Straße und ihr mögt dann zusehen, wie eure Ungefälligkeit belohnt.‹
Mit zürnendem Blick sagte der Schirmvogt:
›So kommt, ich will euch bei der Prinzessin melden und werd' es selber hören, ob euer Name so berühmt ist, als ihr mir einbilden wollt.‹ --
›Das werdet Ihr hören.‹
Mit klopfendem Herzen, daß meine List leicht verrathen werden könnte, folgt ich dem Schirmvogt; aber dennoch richtete ich, hin und her, meine ganze Aufmerksamkeit auf den Gang, der zum Zimmer der Luitgard führte, damit ich ihn leicht finden könne, wenn ich ihn Euch oder einem Andern zeigen müßte. Man möchte Euch auf Eure Frage nach ihrem Zimmer, wenn man es merkt, daß Ihr sie rauben wollt, die rechte Antwort nicht geben, noch schwerer würdet Ihr einen willigen Führer finden.
Er ging in die Thür hinein und ließ mich vor derselben stehen. Laut hörte ich nach einer Weile Luitgard also reden:
›In welcher Tracht er auch erscheint, laßt den Ritter herein, er ist meines Vaters Freund und mir wohl bekannt.‹ --
›Ritter,‹ sagte der Schirmvogt, ›ihr habt nicht gelogen, ihr seyd der Prinzessin willkommen, sie will euch sprechen.‹
Da trat ich ins Zimmer und schlug die Thür fest hinter mir zu.
›Schweigt, schweigt,‹ sagte ich zu Luitgard, ›verrathet mich nicht, ich bin ein Bote, der euch Kunde von Werner bringt.‹
Ihre Gesichtsfarbe veränderte sich, sie erblaßte, Freude und Schmerz kämpfte auf ihrem Gesichte. Hoch und tief hob und senkte sich ihre Brust, sie fragte beklommen:
›Von Werner kommt ihr? Lebt er, ist er todt? Was läßt er der Unglücklichen melden, die in einem glänzenden Kerker nach ihm seufzt? Kann, will er mich nicht erlösen? Soll ich, wie eine Beute dem Otto in die Hände gerathen? Redet, was wißt ihr von Werner! O, könnt ich mit euch gehn!‹ …
In welch einer Bewegung war Luitgards ganzes Wesen! Sie seufzte, sie zitterte, die Augen standen ihr voll Thränen.
›Werner,‹ sagt' ich, ›ist in der Nähe, er kömmt, er will euch mit sich nehmen!‹ --
›Ach, Gott,‹ seufzte sie, ›verbeut mir's nicht ein heiliges Gesetz, ihm zu folgen? Darf eine Jungfrau mit dem Jünglinge gehn? Die Welt wird mich verachten, die Eltern werden mich verfluchen! Soll die Tugend nicht mächtiger seyn, als die Liebe? Muß ich mich nicht selbst überwinden?‹ --
›So bleibt in Quedlinburg,‹ sagt ich mit finsterm Ernst, ›und sinkt, wenn Otto wiederkehrt, in seine Arme. Könnt ihr euch auch das Verbrechen verzeihen, was ihr an Werner begeht? Die Gelegenheit, das gut zu machen, was Menschen böse gemacht haben, wollt ihr von euch weisen? An fremdem Unrecht Theil nehmen? Euch mit einem schweren Verdacht beflecken? Ach, ihr habt Wernern nicht so lieb, wie er euch hat und ihr wolltet seinen Tod. Kann er ohne euch noch ferner leben? Er kann es nicht!‹«
»Conrad,« sprach Werner, »da habt Ihr wahr besprochen. Was sagte sie darauf?«
»Mit kräftiger Stimme und gehobenem Muthe entgegnete sie, indem sie den Blick zum Himmel richtete:
›Herr, ich ehre deinen Rath und Willen! Es ist dein Geist, der in mir redet: folge Wernern, von dem des Vaters Hochmuth dich trennen will. Ritter, ich folge! Aber von Wachen bin ich umstellt, himmelhohe Mauern verwehren die Flucht! Wie kann mich Werner erlösen?‹ --
›Mit Gott ist Alles möglich,‹ sagt' ich, ›er gab dem Menschen Kraft, daß er mit Muth und festem Willen auch Großes vollführen kann. Haltet euch bereit, vielleicht ist Werner in zwei Stunden hier. Ich darf nicht langer säumen.‹
Seht,« sagte Conrad zu Wernern, indem er einen kostbaren Ring vorzeigte, »im Augenblick, wo ich von ihr schied, zog sie diesen Ring vom Finger und sagte:
›Der ist mir aufgepreßt, er rührt von Otto her, ich schenke ihn an Werner, der ihn nach Willkühr brauchen mag, er ist mir verhaßt.‹
Als ich aus dem Schlosse trat, stand der Schirmvogt da und sagte:
›Ihr hattet eine lange Unterredung mit der Prinzessin.‹ --
Ich erwiederte:
›Sie wollte mich bis zur Rückkehr ihrer Mutter bei sich behalten, aber, wie gesagt, ich habe keine Zeit zu verlieren. Im nächsten Dorfe steht mein Roß. Merkt ihr's nun, daß ich kein Mann von der niedern Classe bin? Fragt Luitgard nun nach mir und sie wird euch Bescheid geben. Meinen Dank, der nicht in Worten besteht, behaltet ihr für eure Gefälligkeit zu gute und, ehe ihr's euch selbst verseht, kommt ein Geschenk aus dem Meißnerlande für euch an. Lebt wohl, vielleicht sehen wir uns bald wieder.‹«
Werner war vor Freude und Hoffnung ganz außer sich, er zweifelte nicht mehr, so wenig Grund er noch dazu hatte, das Unternehmen werde ihm gelingen. Er rechnete es für einen außerordentlich günstigen Glücksfall, daß heute just die Äbtissin von Quedlinburg abwesend war und daß sie einen Theil der bewaffneten Mannschaft mitgenommen hatte.
»Nun, Mönch,« sagte er zu Cajetan, »nun beweiset, daß Ihr an Klugheit dem listigen Conrad überlegen seyd. Er ist zwar in keine Klosterschule gegangen, wo man allerlei Ränke lernt, das Volk dümmer zu machen und zu betrügen, aber klug ist er doch, wie ein Fuchs und Sperling. Rathet, was sollen wir nun thun? Mit Gewalt wird wenig auszurichten seyn, helft uns durch Trug und List, daß ich zum Ziele komme.« --
»Das will ich, da Trug und List immer besser sind als Gewalt, wo es nur Tod und Wunden regnet. Setzt Euch auf die Rosse und folgt mir.« --
»Ein Mönch,« sagte Werner, »ist ein schlechter Anführer, wenn's zur Fehde geht. Ihr Geistlichen treibt mit dem Munde des Wesens viel und glaubte man Euern Worten, so sollte man denken, Ihr könntet den Himmel stürmen; seht Ihr aber ein Schwert blitzen und soll's zur That kommen, so kriecht Ihr feige in eine Ecke, wie die Katzen, wenn's regnet, und donnert. Nun sagt mir doch, was habt Ihr denn für eine List? Euerm Kopfe allein kann ich das Wichtigste, was mir bevorsteht, das Leben und die Freiheit Vieler, allein nicht anvertrauen, Ihr müßt sie mir, Conrad und Melchiorn offenbaren, befleißigt Euch aber der Kürze.«
Als Cajetan die drei von der übrigen Mannschaft auf die Seite genöthigt hatte, theilte er ihnen seinen Plan stückweise mit, unterrichtete sie, welche Rollen sie spielen müßten und Alle waren der Meinung, wenn auf die Art, die der Mönch in seinem Kopfe entworfen hatte, Luitgard nicht frei werden könne, daß es sonst keine gäbe. Den wichtigsten Auftrag erhielt Conrad von Bellingen, der sollte mit Werner und Melchior Luitgard vom Zimmer holen. Den kostbaren Ring erbat sich der Mönch ebenfalls, den Luitgard Wernern zuschickte, indem er sagte:
»Der muß den Glauben noch fester gründen, daß ich von Otto komme.«
Der Mönch ritt in seiner Klostertracht voran, Werner folgte ihm mit den Seinen nach. Die Quedlinburger standen verwundert stille, als sie einen Geistlichen an der Spitze eines Reitertrupps sahen, den er anzuführen schien oder der ihm, weil er von hohem Range war, zur Begleitung diente.
Ohne Aufenthalt kamen sie bis vor das Schloßthor, wo sie Halt machten. Der Mönch ließ stark an dasselbe anklopfen und als gefragt wurde, wer man sey und was man begehre, erwiederte der Mönch mit gebietendem Ton:
»Ruft mir sogleich den Schirmvogt her, ich will ihn sprechen und sagt ihm, ein Erzbischof ist nicht gewohnt, vor einem verschlossnen Thore lange zu halten.«
Bald kam der Schirmvogt und fragte:
»Wer seyd, was wollt Ihr hier?« --
»Ich bin der Erzbischof Williges von Mainz, wenn Ihr's nicht wißt, der Lehrer des Kaisers Otto III. und will Eure Äbtissin besuchen, die mich eingeladen hat.« …
Der Schirmvogt öffnete die Pforte, trat heraus, um den vornehmen Herrn in Augenschein zu nehmen.
»Wenn Ihr Bedenken tragt,« sagte der Mönch mit harter Stimme zu ihm, »so nehmt diesen Ring, der den Werth von mehr, als tausend Goldgülden hat, von Eurer Äbtissin erhielt ich ihn selbst zum Geburtstagsgeschenke, zeigt ihn der hochgebietenden Frau und sie wird mich daran erkennen. Daß aber ein Schirmvogt einen Erzbischof vor dem Thore warten laßt, das soll Euch bei Eurer Frau nicht zur Empfehlung dienen.«
Demüthig und unterthänig sagte der Schirmvogt:
»Die Äbtissin ist in Blankenburg beim Graf.« --
»So, soll ich so lange mit meinem Gefolge vor dem Thore halten, bis sie kommt? Jetzt befehle ich's Euch bei schwerer Verantwortung, daß Ihr sogleich das Thor öffnen laßt.«
Der Mönch drehte sich jetzt zu den Reitern um und sprach:
»Melchior von Wilzleben, Ihr reitet in Galopp nach Blankenburg und meldet der Äbtissin Mathilde, der Erzbischof Williges hält, wie ein Bettler, vor ihrem Thor und der Schirmvogt will ihn nicht einlassen.« …
Als Melchior sogleich mit dem Rosse aus dem Zuge bog, um davon zu sprengen, sagte der Schirmvogt, der es recht gut wußte, daß Williges Erzbischof von Mainz war und der es natürlich fand, daß er die Reise mit einer so starken Begleitung gemacht hatte:
»Gnädigster Herr, man kann nicht jedem Unbekannten trauen und wer mehr, als einmal betrogen ist, der wird mißtrauisch.« --
»Also meint Ihr, ein Erzbischof könne auch betrügen? Diese Sünde soll Euch schwer vergeben worden.!« --
»Vergebt sie mir,« flehte der Schirmvogt und rief zugleich mit lauter Stimme dem Thorwart zu, das Thor zu öffnen.
Im Hinreiten nach dem Schlosse sah es Werner, daß Gewaffnete auf ihren Posten standen, doch fürchtete er nicht ihre Zahl und wenn sie noch einmal so groß gewesen wäre. Zwei von den Reitern blieben am Thore zurück, sprachen mit dem Thorwart und geboten ihm, es nicht zu verschließen, weil Otto bald selbst, verwundet und krank, ankommen werde. Der Erzbischof sey darum nur vorausgeritten, um die Äbtissin auf diesen Trauerfall vorzubereiten.
Der Schirmvogt führte den vermeinten Erzbischof in ein Zimmer, der ihm sagte:
»Ihr kennt das große Unglück nicht, was ich beauftragt bin, der Äbtissin zu melden. Hört und staunt. Der Kaiser Otto kömmt mit dem Markgraf Eckard und einem glänzenden Gefolge aus Italien nach Mainz, mich zu besuchen. Am folgenden Tage offenbart er mir die Absicht seines Besuchs, daß ich mit ihm nach Quedlinburg reisen soll, um ihm und seiner Luitgard, die er sich zur Braut erkohren hat, am Hochaltar den Ehesegen zu ertheilen. Die Ehre und Liebe konnte ich nicht verweigern. Otto reitet mit seinem Gefolge voraus, eine Stunde später kam ich mit den Meinen nach. Und Himmel, was hatte sich da zugetragen! In der Ferne höre ich ein heftiges Männergetobe, Schwertergeklirr und fürchte Böses. Als ich naher kam, war ich Zeuge eines mörderischen Kampfes.«
»Wißt Ihr's, daß der Sohn des Markgrafen Luther, Werner genannt, der frühere Geliebte Luitgards war?« --
»Man hat davon gesprochen. -- Bewaffnete waren in wildem Getümmel. Die Feinde ergriffen die Flucht, Otto lag, schwer am Arme verwundet, auf dem Grase. Tröstend trat ich zu ihm hin. Der Markgraf Eckard setzte mit seinen Leuten den Flüchtlingen nach, und als er zurückkehrte, hatte er den Stifter dieses Straßenmordes, den verwegenen Werner, gefangen. Mit Stricken wurden ihm und seinen Gesellen die Hände auf den Rücken gebunden. Es wird über die Übelthäter ein schweres Blutgericht ergehn. Seht also, ich bin ein Trauerbote, der die Äbtissin auf das Unglück vorbereiten will. Morgen, so dem Kaiser kein Unfall begegnet, kömmt er hier an. Die Hochzeit wird nun wohl verschoben werden, und wenn ich mein Geschäft vollendet und den Kaiser lebend gesehen habe, reise ich nach Mainz zurück. Die arme Luitgard wird sich sehr betrüben.« --
»Ja, das wird sie, wenn sie den Kaiser liebt. Noch mehr aber ist die Äbtissin zu beklagen.«
Der Schirmvogt machte jetzt eine Bewegung, als wenn er das Zimmer verlassen wollte, und sagte:
»Ich will es anordnen, daß Mann und Roß verpflegt werde.« --
»Laßt nur, laßt nur, Schirmvogt,« sagte der Mönch, »das hat noch Zeit, ich bin selbst ungewiß, ob ich nicht, nach einer kurzen Ruhe, nach Blankenburg reite. Die Nachricht, die ich der Äbtissin geben muß, drückt mich, wie eine schwere Last, die ich los zu werden wünsche.«
Jetzt klopfte es dreimal an die Thür, der Mönch ging rasch hinaus, setzte sich auf sein Roß, und sagte, als er auf demselben saß:
»Wir reiten nach Blankenburg.«
Der Schirmvogt mußte sich gar sehr wundern, daß vier Reiter, diese waren Werner, Luitgard, Conrad und Melchior, schnell vorausritten, und daß die Andern langsamer nachfolgten. Eh sie das Thor erreichten, war es schon geöffnet. Als alle Reiter durchs Thor waren, jagten sie in schnellem Galopp, nicht den Weg nach Blankenburg zu, sondern den nach Ditfurth hin.
Noch wußte in der Abtei Niemand eine Sylbe davon, daß Luitgard geraubt war, als der Gärtner zum Schirmvogt kam und meldete, daß er von dem Zimmer herab ein gewaltiges Weibergeschrei gehört habe, was immer wieder anhebe. Es müsse ihnen entweder Gewalt geschehen oder sonst ein Unglück begegnet seyn. Man müsse ihnen zu Hülfe eilen. --
»Da wohnt ja die Markgräfin mit ihrer Tochter,« sagte der Schirmvogt verwundert, »wie könnte denen ein Unglück begegnet seyn! Auch ist die Tochter allein.« --
»Schirmvogt, glaubt, was Ihr wollt, das heftige Schreien habe ich gehört, woher es auch kommen mag.«
Der Schirmvogt ging mit raschen Schritten und mit neugieriger Ängstlichkeit die Treppen hinauf und hörte, ehe er noch die Thüre des Zimmers erreicht hatte, das Geschrei mehrerer Frauenstimmen. Als er die Thüre öffnen wollte, fand er sie verschlossen. Er wollte sie aufsprengen, dazu aber fehlte ihm die Kraft.
»Nur ruhig, getrost,« sprach so laut, daß man es im Zimmer hören konnte, »ich werde mit der größten Eile Anstalt treffen, daß die Thür geöffnet wird! Nur eine kurze Weile noch!« …
Sogleich hörte das laute Wehklagen auf und er hörte Frauenstimmen reden, die Worte aber konnte er nicht verstehn. Schon war er in der größten Angst, daß Luitgard ein Unglück begegnet sey, daß sie aber entführt wäre, daran dachte seine Seele nicht, ob er sich gleich das Benehmen des Erzbischofs und seiner Leute nicht enträthseln konnte.
Welch ein Anblick, als die Thüre geöffnet war und der Schirmvogt ins Zimmer trat! Jutta von Bobringen, die Freundin Luitgards, und Wilna, ihre Zofe, lagen, an Händen und Füßen gebunden, auf der Erde. Ihre Wangen glühten wie Feuer und ihr Gesicht war mit Schweiß übergossen.
»Himmel und Hölle,« rief der Schirmvogt aus, als ob er vernichtet werden sollte, »was ist das? Ist's doch, als ob Mörder und Räuber hier gewesen wären! Wo aber ist die Prinzessin?« --
»Das wißt Ihr nicht,« sagte Jutta, »die ist geraubt. Sie ging nicht gezwungen, freiwillig, ängstlich und mit Freuden!« --
»Nun, so bin ich verloren! Mit meinem Leben sollte ich für sie haften! Ein falscher Erzbischof hat mich betrogen! Pfaffen sind die Teufel auf der Erde! Erzählt, wie war es denn?«
Jutta und Wilna baten zugleich, daß man sie erst von den Banden befreien sollte, dann wollten sie ihm die abscheuliche Schreckensgeschichte mittheilen. Als die Tücher gelöst waren, begann Jutta also:
»Da saß Luitgard und stickte, sie seufzte viel und sprach wenig. Es war, als ob sie eine Ahnung hätte, daß ihr Seltsames begegnen werde. Ich suchte ihre trübe Stimmung aufzuheitern. Sie wurde nicht leichter in ihrem Sinne. Wir hörten. es, daß Mehrere zur Treppe herauf kamen. Mit erblaßtem Gesicht stieß Luitgard die Worte aus:
›Ach, wenn das Otto, der Stifter meiner Qual wäre!‹
Die Thüre öffnet sich, drei Ritter treten ein, wir fuhren vor Schreck zusammen. Der Eine naht sich Luitgard und spricht:
›Erkenne mich, Luitgard, ich bin Werner.‹
Sie sank ihm sprachlos in die Arme.
›Fasse Dich, sey mächtig, die Eile kann uns retten und Zögern bringt Gefahr.‹ …
Er warf ihr einen Mantel um, setzte ihr einen Helm auf und umgürtete sie mit einem Schwerte.
›Nun, folge mir,‹ sprach er.
Sie schien alle Kraft verloren zu haben, keines Gedankens fähig zu seyn, es stürmte in ihr, sie hatte keinen Willen und -- folgte, wohin man sie zog.
Wilna und ich stellten uns vor die Thüre und drohten laut zu schreien, wenn man den Versuch, Luitgard zu entführen, wagen wollte. Ein Ritter setzte, mit teuflisch grimmigem Gesicht, die Spitze seines Schwertes mir auf die Brust und drohte:
›Schweigt Ihr nicht augenblicklich und gebt ihr einen Ton von Euch, so muß ich zustoßen. Besser, daß ein Mensch umkömmt, als daß viele im Kampfe gemordet werden.‹
›So binden wir sie,‹ sagte der andere Ritter oder Räuber. Der, welcher sich Werner nannte, trat mit entblößtem Schwerte an die Thüre und sprach:
›Um unsern Zweck zu erreichen, dürfen wir die härtesten Mittel nicht scheun.‹
Unter den gräßlichsten Drohungen mußten wir schweigen und uns binden lassen. Luitgard sprach kein Wort, als sie neben Werner aus dem Zimmer ging, aber ihre Knie schwankten, sie taumelte, er mußte sie führen. Die Thüre wurde verschlossen. Das ist unsere Unglücksgeschichte, sonst wissen wir von Luitgard nichts. Unsere Macht war zu schwach, der Übergewalt zu steuern, und selbst, wenn wir unser Leben zum Opfer brachten, wir hätten doch die böse That nicht verhütet. Uns kann die Äbtissin nicht strafen, aber wehe Euch, wenn Ihr Euch täuschen ließet! Konnte Euch der letzte Betrüger nicht warnen, der die Äbtissin anführte?« --
»Bin ich denn klüger als sie?«
Er rannte in sinnloser Wuth die Treppe hinab, brüllte mit lauter Stimme den Befehl, daß alle Gerüsteten sich auf ihre Rosse werfen, dem Jungfrauenräuber nachsetzen und einer großen Belohnung von der Äbtissin gewärtig seyn sollten, wenn sie des Kaisers Braut den Klauen eines schändlichen Buhlen entrissen. …
Der Schirmvogt stellte sich an die Spitze der Schaar, die aus dreißig Mann bestand, und jagte auf der Straße nach Ditfurth fort. Unterwegs erhielt er immer von den Hirten auf dem Felde und von Reisenden, die ihm begegneten, Nachricht, wohin Werner mit seiner Beute gegangen war. Diesseits Wollmirstedt, jenseits Olvenstedt, stieß er auf den Trupp. Er schickte einen von seinen Leuten ab und ließ Wernern sagen, wem er ihm die geraubte Braut des Kaisers nicht gutwillig überlieferte, so werde er sie ihm mit Gewalt nehmen, Er solle Menschenlehen und Blut schonen. Sie aber würden, bis zum letzten Mann, nicht vom Kampfplatze weichen.
Schon in der Ferne merkte Werner die Verfolger. Er jagte, um jeder Gefahr zu entkommen, mit Luitgard und dem Mönche, der nicht Lust hatte, sich in eine blutige Fehde einzulassen und mit Recht fürchtete, daß er für die Rolle, die er, als Erzbischof, spielte, schlecht bezahlt werden würde, wenn man ihn gefangen nahm, auf Wollmirstedt zu Hier war Werner unter sicherer Beschützung, in dem Gebiete seines Vaters, wo es kein Quedlinburger mehr wagen durfte, ihn anzugreifen. Er überließ es Conrad und Melchior sich mit dem Volke der Äbtissin herumzuschlagen.
Conrad ließ dem Schirmvogt sagen: die Beute, von der er rede, sey nicht mehr bei ihm und er könne sie ihm daher auch nicht überliefern. Übrigens verlachten markgräfliche Leute die Gewaffneten der Äbtissin und erwarteten ihren Angriff ohne Furcht, wenn sie von ihnen an Anzahl auch sechsfach übertroffen würden.
Der Schirmvogt hatte es unterwegs wohl erwogen, daß die Äbtissin im Grimm, daß er sich betrügen ließ, eine schwere Strafe über ihn verhängen werde Er mußte auf jeden Fall die Flucht ergreifen, wenn er seinem Unglück entgehen wollte. Der größte Schmerz für ihn war der, daß er sich von einem geliebten Weibe und seinen Kindern trennen mußte, und nicht wußte, wie hart die Behandlung war, die sie erfahren würden. Auch das sah er ein, daß er durch seine Entweichung gegründete Veranlassung zu dem Verdachte gab, als habe er sich von Werner bestechen lassen und mit ihm in Übereinstimmung gehandelt. Werner war es allein, der ihn rechtfertigen und seine Unschuld ans Licht stellen konnte. Die Furcht vor einer harten und unverdienten Strafe siegte; er faßte den Entschluß, zu Werners Gefolge, als ein Flüchtling, überzugehn, Gnade und Ungnade von ihm zu erwarten, ihn um seinen Schutz zu bitten und ihm zu beweisen, daß der verschmitzte Erzbischof, dem er vertraute, Schuld an seinem Unglück sey.
Als ihm dieser Gedanke durch die Seele fuhr, sagte er zu seinen Leuten:
»Erwartet mich hier, ich will sehen, ob sich in Güte unterhandeln läßt, eh wir's mit blutiger Gewalt versuchen.«
Da gab er seinem Rosse die Sporen und sprengte nach dem Haufen hin.
»Wo ist Werner, der Entführer der Prinzessin? Wichtiges hab' ich mit ihm zu reden, und der schändliche Priester, der mich so arg betrog, daß ich ihm für seine Hinterlist die volle Zahlung gebe, ihm das Schwert in die Brust stoße, daß er nicht ferner Schande treiben kann?« sagte der Schirmvogt. --
»Gemach, gemach, Schirmvogt,« redete ihn Conrad an, »wir sind alte Bekannte. Kennt Ihr den Ritter Bernhard von Oschatz nicht?« --
»Ja, ja, nun kenn ich Euch. So seyd Ihr eine Rotte Betrüger, die das Land durchzieht, um Unheil anzurichten.« --
»Sprecht weiter diese Sprache nicht, wir sind hier die befehlenden Herrn. Was wollt Ihr mit Werner sprechen? Daß er Euch seine Braut wieder gibt? Das möchte wohl so wenig geschehn, als ein Frommer den Teufel küßt. Er ist mit ihr in Wollmirstedt und wohl noch weiter. Spart Euch die weite Reise und eilt, der Äbtissin Bescheid zu bringen. Hört, Schirmvogt, wär ich an Eurer Stelle, ich kehrte nicht dahin zurück. Ihr habt Euch eine Suppe eingebrockt, die ich mit Euch nicht auslöffeln mag.«
»Kommt mit mir,« sagte der Schirmvogt, »ich muß Euch ein Geheimniß anvertrauen.« …
Als sie Beide sich eine kleine Strecke von der Schaar entfernt hatten, sprach der Schirmvogt: »Ich fürchte den Grimm der Äbtissin und kehre nicht nach Quedlinburg zurück. Bittet für mich, daß Werner mich in seine Dienste nimmt, den treusten Diener soll er an mir haben.« --
»Ist das Euer Ernst, so könnt Ihr auf seine Güte rechnen.«
Den Quedlinburgern. ließ man sagen, sie sollten nur zurückreiten, den Schirmvogt behielten sie als Gefangenen. Der Bote, der die Nachricht brachte, wurde auf der Stelle niedergehauen. Mit entblößten Schwertern kam der Haufe herbeigestürzt und es begann ein Kampf auf Tod und Leben. Der allgeliebte Schirmvogt sollte gerettet werden. Endlich mußten die Quedlinburger die Flucht ergreifen. Vierzehn Todte lagen im Staube und Elf waren schwer verwundet.
Der Schirmvogt brüllte mit lauter Stimme den Seinen zu, daß sie ihre Schwerter in die Scheiden stecken, Blut und Menschenleben schonen sollten, aber eine wilde, unbändige Wuth hatte die Geharnischten der Äbtissin ergriffen, daß sie kein Ohr für seine Bitten hatten. Jeder Einzelne schien sich's zur heiligsten Pflicht gemacht zu haben, lieber auf der Stelle das Leben zu lassen, als ohne den von der Äbtissin bochgeschätzten und von Allen werthgehaltenen Schirmvogt in Quedlinburg wieder zu erscheinen. Ihm selber brach das Herz, als er die Todten sah und die Seufzer der Verwundeten hörte. Thränen rollten über seine Wangen, zwei von seinen theuern Bekannten waren unter ihnen. Er ließ es seine erste Sorge seyn, den Ritter Conrad zu bewegen, daß er sich mit gütigem Mitleid der Schmerzvollen annähme, und es thaten es alle Gesunde mit einem Erbarmen, die den Schirmvogt bis tief in der Seele rührte.
»Wer hat nun eigentlich das Blutvergießen angerichtet, und wer ist Schuld an dem Tode und den Wunden dieser Braven?« sprach der Schirmvogt; »wer hat mich hinweggerissen von den Meinen und von meiner Gebieterin, bei der ich Ehre und Brot hatte, als ein verwünschter Priester! Du, Bube, der du die Wahrheit üben sollst, die du verkündigst und deinen Stand mißbrauchst, um desto sicherer und ungestraft, Bosheit aller Art zu üben, der Rache des Allgerechten wirst du nicht entfliehen, und kann mein Schwert dich je erreichen, so soll sich's umkehren in deinem falschen Herzen.« --
»Schirmvogt,« sagte Conrad, »ich merke es wohl, Ihr seyd ein wackerer, braver Mann, den's Unglück hart verfolgt. Laßt die Wuth fahren und bändigt Euern Zorn. Wenn uns Böses begegnet, Ruhe und Gleichmuth beweisen, das ehrt den Menschen. Gewiß, der Priester, so schlecht er auch seyn mag, Gutes hat er doch gestiftet. Treibt Euern Haß gegen ihn nicht zu weit. Ohne Gottes Zulassung wäre uns das gefährliche Werk nicht gelungen. Gebt mir die Hand darauf, daß Ihr verzeihen wollt, sonst kann ich Euch nicht zu Wernern führen.« --
»Nein, ich kann nicht verzeihen! Führt mich vor einen Abgrund hin, stürzt mich hinein, so ist ein Leben zu Ende, was ich selber hasse und nicht lange mehr ertragen kann! In Quedlinburg wird man mich einen Verräther nennen, die Meinen müssen mich verfluchen, und die Redlichen werden mit Abscheu meinen Namen nennen. Ritter, denkt Euch ganz in meine Lage und Ihr werdet es von mir nicht mehr fordern, daß ich dem Stifter alles Unheils verzeihen soll.«
Als die Ritter nicht weit mehr von Wollmirstedt entfernt waren, schien es so, als ob durch freundliches Zureden die wilde, feurige Hitze des Schirmvogts abgekühlt sey. Er sprach ruhiger, und dachte nur mit bitterm Schmerz an die Seinen.
Conrad ging selbst zu Werner, der mit Luitgard auf dem Schlosse war, um ihnen von dem blutigen Kampfe Nachricht zu geben, in dem sieben Altmärker ihr Leben eingebüßt hatten und drei leicht verwundet waren, besonders aber, um seiner gütigen Fürsorge den betrogenen und geachteten Schirmvogt zu empfehlen. Werner hielt die schöne Luitgard im Arm, als er in die Thüre trat, welche ein blasses Gesicht hatte und deren Auge feucht von Thränen war, die sie vergoß.
»Nun, Conrad,« sagte Werner, »mit Gott ist die That vollendet, ich und Luitgard wir preisen den Allmächtigen ?dafür, Ihr bringt uns doch nicht eine Hiobspost?« --
»Die bringe ich,« antwortete Conrad. »Der Schirmvogt kam zu uns herüber, um Luitgard loszubitten, und im Fall Ihr sie ihm nicht ließet, sich Euch als Gefangenen zu ergeben. ›Nach Quedlinburg,‹ sprach er, ›ob ich auch ein Weib und Kinder habe, kann ich nicht zurückkehren. Wie würde die ergrimmte Äbtissin mit mir handeln?‹ Den Schirmvogt frei zu machen, stürzten die Seinen wie Bestien auf unsern Haufen. Es sind Todte geblieben und Schmerzvolle tief verwundet. Nehmt Euch des Schirmvogts gütig an, er ist ein braver Mann, er verdient Euer Mitleid, Ihr dürft ihn nicht ins Unglück gerathen lassen.« --
»Da sey Gott vor,« sagte Werner, »mein letztes Brot will ich mit ihm theilen. Ist er in der Nähe, so führt ihn zu mir, daß ich ihm das selber sage.«
Als Conrad mit ihm über den Schloßhof hinging, kam ihnen der Mönch entgegen, der nichts Böses ahnete, und mit dem Ritter die Freude theilen wollte, daß der Fang so gut gelungen, war. Als er den Schirmvogt ansichtig wurde, sagte er zu diesem:
»Ei, ei, seyd Ihr denn auch hier? Gewiß habt Ihr Euern Dienst aufgegeben und wollt mit uns ziehen.« --
»Mit Dir nicht, geistlicher Unhold,« donnerte ihn der Schirmvogt an, »denn Dein Weg führt zur Hölle. Die Schuld meines Unglücks und der Tod vieler Braven liegt auf Deinem Gewissen. Stirb, Du betrügerische Schlange, Du hast nur Gift! In Deinen Adern fließt Drachenblut.«.
Der Schirmvogt riß das Schwert mit Macht und Blitzesschnelle aus der Scheide, um einen mörderischen Streich nach dem Mönche hinzuthun, dieser aber sprang von der Seite, fand sein Heil in schleuniger Flucht, und Conrad fiel dem Racherfüllten mit den Worten in die Arme:
»Macht Euch doch durch Wuth nicht noch unglücklicher, als Ihr so schon seyd! Wie würde der Mord eines Mönchs gerächt werden, und kein Kaiser könnte Euch vor der Strafe schützen. Laßt den Richter seyn, vor dessen Stuhl auch Könige erscheinen müssen, bei dem kein Ansehen der Person gilt. Kommt zu unserm Werner, er wird Euch gütig aufnehmen, und so weit er's vermag, wird er Eure Wunden heilen«.
Beim Eintritte in das Zimmer sagte der Schirmvogt mit finsterer Stirn und niedergesenktem Haupte:
»Ihr seyd in der Freude, ich aber bin in tiefem Kummer. Nicht fälschlich habe ich meine Pflicht gebrochen, die ich einst der Äbtissin schwor, schändlich hat man mich betrogen, und wahrlich, bei Gott könnt Ihr das nicht verantworten. Meine Ruhe, meine Ehre, mein ganzes Lebensglück habt Ihr mir geraubt, mich von den Meinen gerissen, ohne die ich keinen Tag froh seyn konnte. Was wird mein Schicksal in der Zukunft seyn! Könnt Ihr mir das wiedergeben, was Ihr mir raubtet? Ach, ein Glück, an dem so viele Seufzer und Thränen hängen, das auf falschen Wegen erbeutet wurde, kann nie in Frieden und Freude genossen werden. Laßt mich niederstoßen durch einen Eurer Knechte, daß ich frei werde vom Leben, das auf mir, wie eine schwere Bürde liegt.« …
Hier schwieg der Schirmvogt, ein tiefer Seufzer kam über seine Lippen.
»Schirmvogt, werdet ruhiger,« sagte Werner, »es haftet auf Euch keine Schuld. Ein listiger Mönch hat Euch betrogen. Böses habt Ihr nicht gewollt. Nach den Mitteln durfte ich nicht fragen, mir war jedes ein willkommnes, um Luitgard aus den Händen der Äbtissin zu befreien. Was thut ein Vater nicht, der die Seinen vom sichern Verderben retten kann. Aber rechnet mit Gewißheit auf meine Dienste. Was ich zu Euerm Besten thun kann, das soll mit einem Eifer geschehen, als ob Ihr der Erste meiner Freunde wäret. Ich halte Wort, so wahr ein Gott mir helfe. Laßt nur den Sturm vorüber, der nun losbrechen wird, dann sollt Ihr gerechtfertigt werden. Laßt die Euern kommen, ich habe Brot für Euch und sie, wie eine Äbtissin. Nun, Schirmvogt, beruhigt Euch, mehr kann ich jetzt nicht für Euch thun, und haltet Euch an den Ritter Conrad, er ist Eures Vertrauens und Eurer Achtung werth.«
Mit tiefer Rührung blickte Luitgard den Schirmvogt an, der die Trauer des Mannes zu Herzen ging, und sagte dann mit bewegter Stimme:
»Das könnt Ihr glauben, was Werner Euch verspricht, das wird er heilig halten. Aus seinem Munde kam nie ein unwahres Wort. Werdet doch nur ruhig und vergrößert meine Angst und meinen Kummer nicht. Laßt's von Gott uns hoffen, daß auf die trüben, heitre Tage folgen.« …
So sprach sie und Thränen rollten über ihre Wangen.
Werner ließ seine Leute nach Salzwedel aufbrechen und behielt nur ein kleines Gefolge und den Schirmvogt bei sich.
Nun müssen wir in Gedanken nach Quedlinburg zurückkehren.
Ehe der Schirmvogt mit seiner Schaar davon eilte, um die Räuber Luitgards einzuholen und ihnen Otto's Verlobte wieder zu entreißen, beauftragte er den Hausvogt, sich sogleich aufzumachen und der Äbtissin den Unfall zu melden, der ihr begegnet sey.
»Hört, Schirmvogt,« brummte der alte Bruno, »wenn Ihr, Angenehmes zu melden habt, da geht Ihr immer selbst zur Äbtissin hin, ist ihr aber Unglück zu benachrichtigen, dazu bin ich gut genug. Man kann sich am Ende dem, dem man immer Böses hinterbringt, so zuwider machen, daß er uns nicht mehr mit seinen Augen sehen mag. Da ist der alte Nickel, das ist Euer gehorsamer Diener, den braucht zu der Sendung, mich laßt aus dem Spiel.« --
»So packe Dich, »Du Grobhans, ich brauche Dich nicht,« sagte der Schirmvogt und wählte einen andern Boten.
Unter dem Schloßgesinde herrschte die größte Unordnung und ein ängstliches Getöse, als man den Raub erfuhr. Man glaubte, daß die That nicht hätte vollzogen werden können, wenn sich der Schirmvogt nicht hätte bestechen lassen. Seine Gattin, die solche böse Reden hörte, sagte: sie wolle ihr Leben für die Redlichkeit ihres Mannes einsetzen. Die Mauern wurden nun mit aller Mannschaft besetzt, die Thore verrammelt, und überhaupt Anstalten gemacht, als ob man mit jedem Augenblicke einen feindlichen Überfall fürchtete.
Die: Äbtissin saß in Blankenburg zur Tafel, es wurde gescherzt und gelacht, so daß sie ihren stolzen Ernst ganz vergaß, ihrer Hoheit und Sorgen nicht mehr gedachte und heiterer gestimmt wurde. Die frohe Gesellschaft regte in ihr ein heiteres Leben an. Aber die Erfahrung sollte sich aufs neue bewahrheiten, daß zwischen der Freude und der Trauer eine sehr feine Linie gezogen ist, und daß die eine sich oft schnell in die andere verliert. Es durfte der Äbtissin nicht verheimlicht werden, daß ein Eilbote von Quedlinburg angekommen sey, der sie sogleich zu sprechen verlange. Als ihr dieß gesagt wurde, stand sie auf und sagte:
»Was könnte sich denn in meiner Abwesenheit Großes ereignet haben? Muß ich auch in jeder Freude gestört werden? O! der lästigen Hoheit, die zu keiner Zeit unangetastet bleibt!«
Als in einem besondern Zimmer der Bote vor ihr erscheinen mußte, sagte der:
»Der Schirmvogt läßt Euch sagen, daß die Meißnerin, ich glaube, daß sie Luitgard heißt, am hellen Tage von einer Anzahl listiger Buben geraubt und entführt worden ist. Der Schirmvogt ist mit einer Zahl Bewaffneter auf der Nachjagd, ob er die Räuber aber einholen und ihnen die Beute abnehmen wird, wer kann das wissen!«
Die Äbtissin konnte so leicht nicht aus der Fassung gebracht werden, dieser Unfall aber erschütterte sie augenblicklich, so, daß sie, wie eine Wüthende ausrief:
»Das hat der verdammte Werner gethan! Nun, wenn er sich auch in den Mittelpunkt der Erde verbürge, er wird entdeckt werden, und diese freche, nicht zu verzeihende That soll aufs härteste bestraft werden. Geht nur,« sagte sie zu dem Boten, »ich folge Euch auf dem Fuße nach.«
Mit funkelnden Augen und zorniger Miene trat sie in den Speisesaal, wo die Anwesenden ihrer neugierig harrten, um zu erfahren, was sich für ein Ereigniß zugetragen hätte. Die Markgräfin, erschrak, als sie die Miene der Äbtissin sah, weil sie das Unglück ahnete, was sich zugetragen hatte.
»Nun,« fragte sie, »erlauchte Frau, was ist's, daß Ihr eine so zornige Miene habt?« --
»Ja, was ist's, was ist's,« entgegnete sie mit zitternder Lippe, »Eure Tochter folgte ihrem Buhlen, der sie aus meinen Mauern weggeführt hat. Wie sollen die Verbrecher büßen!« --
»Wer hat's Euch denn gesagt, daß Luitgard folgte, und wie redet Ihr von einem Buhlen! Konnte die Schwache der größern Gewalt widerstehen? Hört erst und entscheidet dann.« --
»Ist Werner etwa nicht der Buhle? Hätte er sie entführen können, wenn sie mit Gegengewalt kämpfte, wenn sie laut um Hilfe schrie? Gewiß, der Wille zur bösen That hat ihr nicht gefehlt, sie hat dem Aftergeliebten das Spiel leicht gemacht. Entschuldigt sie nur nicht und wartet; die Wahrheit muß ans Licht kommen. Nicht ohne Absicht blieb sie heute in Quedlinburg zurück. Das schändliche Complott wird entdeckt werden, und wehe, wehe den Theilnehmern! Wißt Ihr's nun, warum sich Luitgard so unglücklich bei mir fühlte? Für Hohes hat sie keinen Sinn, für Gemeines ist sie geboren.« --
»Äbtissin, so redet nicht, wenn Ihr mich nicht beschimpfen wollt. Wißt, ich bin eines Markgrafen Frau, der auch wohl ein Kaiser seyn könnte. Habe ich nicht einen Bruder, der ein Stolz Deutschlands ist? Jedes Unrecht, das Ihr gegen meine Tochter und mich begeht, das werden sie rächen und wenn Ihr zehnmal die Tochter eines Kaisers wäret, dem man mit dem Namen, der große Otto, schmeichelt. An Euch will ich meine Ehre nicht verlieren, habt Achtung gegen mich und meine Luitgard!« --
»Gegen die? Woher sollte mir die kommen! Ich bin kein unverständiges Kind, drum müßt Ihr auch nicht Widersprechendes von mit fordern. Laßt Euern Zorn nur fahren, er ist sehr übel angebracht, und wer meinen Vater erniedrigen will, der erniedrigt sich selbst.
Graf, laßt eilig die Rosse vorführen, daß ich die saubere Geschichte bald selbst erfahre. Die Braut dem Kaiser rauben, als ein Dieb durch meine Thore sich schleichen, meine Mauern nicht achten, gegen Ordnung und Gesetz freveln, wenn es dafür keine Strafe gäbe, wer wäre ferner seines Lebens, seiner Freiheit und seines Eigenthums noch sicher? Mag Werner sie entführen; mag er vor dem ganzen Reiche ihre jungfräuliche Ehre beflecken, auf diese Weise soll sie seine Braut nicht werden, und wenn alle Fürsten Deutschlands es wollten! Noch gibt es ein mächtigeres Schwert, das das Haupt solcher Schuldigen trifft!«
Sie konnte ihren Grimm nicht bändigen, und verließ, ohne förmlichen Abschied zu nehmen, den Graf und die Seinen. Die Markgräfin ritt ihr eine Stunde später nach, und dachte an demselben Tage noch Quedlinburg zu verlassen.
In Quedlinburg selbst tobte die Äbtissin wie ein Ungewitter, besonders sprach sie in harten Ausdrücken gegen den Schirmvogt. Sie ließ seine Gattin zu sich rufen und brach in eine Fluth beleidigender Reden gegen den Schirmvogt aus.
»Hat er sich bestechlich finden lassen,« sagte sie, »so soll er dafür mit seinem Leben bezahlen.« --
»Nein, Äbtissin,« sagte die unglückliche, erschrockene, Frau, »er ist ein treuer Diener. Wäre er den Entführern nachgeeilt, wenn sein Gewissen nicht rein wäre? Ihr dürft dem Unschuldigen kein Unrecht thun? Schändlich ist er überlistet, und wer hat immer den rechten Verstand, um allen Ranken zu steuern.« --
»Daß er dem Buben nacheilte, beweist seine Unschuld nicht. Wer Böses gethan hat, der muß es zu bemänteln suchen, er muß die Obrigkeit täuschen, damit sie ihn, den Verbrecher, nicht strafen kann. Ihr wißt also nichts von einer Gemeinschaft, in der Euer Gatte mit den Räubern stand? Bekennt es dreist, das soll Euch frei machen von der Strafe. Verräth sich's später, daß Ihr von der That gewußt und doch geschwiegen habt, so soll und wird Euch gleiches Verderben treffen.« --
»Äbtissin, ich bin unschuldig, mein Gatte ist es auch, von der Gerechtigkeit fürchte ich kein Verderben. Laßt mich auf alle Foltern spannen, ich kann nicht wider ihn bekennen.« --
»Daß er sich die Braut, die ich ihm auf die Seele band, am Tage rauben ließ, ist das nicht abscheulich?« --
»Fragt erst nach, ob er's verhüten konnte.« …
Die Äbtissin warf ihr einen zornigen Blick zu und hieß sie gehn.
Sie wollte Jutta von Bobringen und Wilna vor sich kommen lassen, als diese vor ihr selbst erschienen und ihr die Mißhandlung erzählten, die sie erfahren hatten. Von ihnen hörte es die Äbtissin selbst, daß Werner der Räuber war, und daß sich Luitgard nicht mit aller Gewalt sträubte, ihm zu folgen. Auch erzählten sie von dem falschen Erzbischof.
»Nun,« sagte sie, »wenn dieser ein wirklicher Geistlicher ist und ergriffen wird, so soll er langsam über glühenden Kohlen geröstet werden, zum Vorschmack der Hölle, der er nicht entkommen wird. Ist nicht der Schirmvogt ein geheimes Mitglied der Bande? Habt Ihr nicht auch davon gehört?« --
»Gehört habe ich davon,« sagte Jutta, »aber das ist nicht immer wahr, was die Leute reden und glauben. Der erste Betrüger hat Euch ja auch getäuscht. Der hellste Verstand ist nicht immer gewaffnet, das höllische Spiel teuflischer Ränke zu entdecken und zu zerstören. Der Schirmvogt ist ein frommer Mann. Mit welcher Angst mag seine Seele jetzt kämpfen! Wenn er den Räubern die Beute nicht wieder entreißt, so fürcht' ich, daß er nie vor Euch wieder erscheint, und auch sein Außenbleiben ist kein Zeugniß gegen seine Unschuld. Wartet nur noch eine kurze Zeit, so wird sich das verwickelte Ganze entfalten.«
Die Äbtissin schickte dem Schirmvogt zwei Reiter entgegen, die ihr eilig Nachricht bringen sollten, ob er sich der geraubten Luitgard bemächtigt hätte. Auf diese warf sich jetzt ihr Zorn, und sie sagte:
»Wenn sie dem Buhlen nicht freiwillig folgte, so konnte er sie dazu nicht zwingen. Die Lust, eine böse That zu begehn, die alle weibliche Ehre nicht achtet, hat sie fortgetrieben. Nun, wer sich so schuldig macht, der kann von seinem Richter weiter nichts, als Strenge erwarten.«
Die Markgräfin, als sie angekommen war, ging vor dem Zimmer, der Äbtissin vorüber, und ob es gleich schon spät am Tage war, so ertheilte sie doch ihren Leuten den Befehl, daß sie sich schleunig zur Abreise anschicken mußten. Als die Rosse auf dem großen Platze hielten, begab sie sich zur Äbtissin und sprach:
»Ich möchte ungern in Haß und Unfrieden von Euch scheiden. Zürnt einer unglücklichen Mutter nicht länger und seyd verzeihlich, wie der Vater im Himmel es ist. Ich habe Euch nicht beleidigt, Ihr aber habt mich tief gekränkt.« --
»So, meint Ihr das?« sagte die Äbtissin, mit weggewandter Miene. »Es kann Euch sehr gleichgültig seyn, wie ich von Euch denke. Freilich seyd Ihr eine unglückliche Mutter, und wohl Euch, wenn Ihr nicht leidet, was Ihr verdient habt. Ich aber möchte um keinen Preis eine Tochter erzogen haben, die ein heiliges Versprechen bricht, mit einem Abentheurer in die Welt hineinläuft, wider Pflicht, Ehre und Gewissen handelt.« --
»Äbtissin, »jedes Wort, was Ihr da redet, schlägt mir eine neue Wunde. Nein, Ihr habt es nie empfunden, wie fest das Mutterherz mit der Tochter verbunden ist, auch wenn diese menschlich fehlte. Solche Gefühle sind Euch fremd geblieben‚ sonst könntet Ihr nicht so hart mit mir seyn. Wäret Ihr gütiger, so würdet Ihr mich trösten und bemitleiden. Ach, vielleicht geh ich einer schmerzvollen Zukunft entgegen. Daß aber Luitgard Wernern entrissen werden sollte, den sie zu lieben begann, als sie fähig war, Liebe zu empfinden, das habe ich nie gewollt, das ist meines Gatten Sache, und es schmerzt mich, daß er dafür dulden muß. Hat es aber Otto gewußt, daß Luitgards Herz Wernern angehörte, und er begehrte sie dennoch zur Gemahlin, so hat er die heiligsten Gesetze der Natur verkannt, die sich nach Willkühr nicht verändern lassen.« --
»Markgräfin, Ihr findet vielleicht einen Andern, der für Eure Worte ein Ohr hat, ich bitt' Euch, schont das meine. Laßt uns ruhig über die Sache seyn, die Zukunft wird den Saamen entwickeln, den der Werner ausstreute, wozu ihm Eure Tochter die Hand bot und, Beide ernten davon die Frucht. Das aber beschwöre ich Euch, meine Rache verfolgt die Thäter und wo ich erreiche, da ist ihr Richterstuhl. Gehabt Euch wohl, wir möchten einander im Leben wohl nicht wieder sehen.«
Die Äbtissin machte eine kleine Verbeugung, kehrte sich um, ging nach dem Nebenzimmer und ließ die Markgräfin stehn. --
»Wahrlich,« rief ihr diese nach, »das ist nicht höflich, mich so zu behandeln! Solch eine Entehrung hat mir noch Niemand geboten. Auch Ihr reizt mich zur Rache.«
Als Schwanehilde mit ihrem Gefolge vor dem Thore war, warf sie die Frage auf:
»Wohin reisen wir?« --
»Nach Meißen, denk' ich,« sagte der Ritter von Wilzleben. --
»»Nicht nach Meißen,« entgegnete sie, »dort ist's, wie ausgestorben. Soll ich, Einsame, dem Kummer, der Sehnsucht erliegen? Ich muß mein Leben für meine Tochter fristen, gewiß bedarf sie meines Rathes, meiner Fürsprache, meiner Beschützung. Mach Salzwedel reisen wir.« --
»Nach Salzwedel, sagte Witzleben erstaunt, »nur nicht dahin! Ihr würdet ja den Verdacht auf Euch laden, als ob die Entführung mit Eurem Mitwissen geschehen sey, oder« --
»Was eine Äbtissin davon denkt, das ist mir gleichgültig. Ich folge meinem Herzen und dieses weist mich nach Salzwedel hin, Gottes Stimme, die in ihm redet, sie will ich nicht überhören. Dort hoff' ich meine Tochter zu finden.«
Der Wunsch der Markgräfin mußte Ihrem Gefolge für Befehl gelten und so schlugen sie den Weg nach Salzwedel ein. Die Äbtissin erhielt eine Stunde später davon Nachricht.
Am folgenden Abend kamen die wenigen zurück, die den Kampf mit Werners Leuten bestanden hatten. Es waren darunter mehrere Verwundete. Sie erzählten, daß der Schirmvogt zu den Feinden hingeritten sey, um Wernern zu bewegen, Luitgard herauszugeben, statt dessen aber habe man ihn gefangen mit fortgeführt. --
»Überlieferte er sich nicht freiwillig den Feinden?« fragte die Äbtissin. --
»Das steht nicht zu glauben,« meinten Einzelne, »wer kann indeß Gedanken in Menschenherzen lesen, das ist nur Gottes Sache.
Die Äbtissin meldete den Vorfall dem Kaiser nach Italien. Übrigens unterließ sie's nicht Kundschafter umherzuschicken, daß sie den Aufenthalt Werners und Luitgards erführe, um sie aufgreifen zu lassen und an dem Verführer eine gesetzliche Strafe zu vollziehen. An den Kaiser hatte sie so geschrieben, daß er sein Heirathsprojekt aufgeben mußte. Er selbst war jetzt in eine so höchst unangenehme Lage verwickelt, daß. er an die Liebe nicht denken konnte und Italien nicht verlassen durfte.
Gregor der V. starb plötzlich. Otto besetzte den päbstlichen Stuhl mit seinem ehemaligen Lehrer und Liebling, dieser war Gerbert, ein durch Gelehrsamkeit ausgezeichneter Mann. Zuvor war er Erzbischof zu Rheims. Er hieß Sylvester II. Dieser vom Kaiser erwählte Pabst mißfiel den vornehmen Römern so sehr, daß sie Empörung stifteten, auf seine Absetzung drangen und da sich Otto dazu nicht bewegen ließ, belagerten sie ihn drei Tage förmlich in seinem Pallast. Endlich kam's zu einem Waffenstillstand. Der Kaiser hielt von oben herab an das Volk eine bewegliche Rede und besänftigte dadurch die aufgebrachten Gemüther. Aber die erlittene Beleidigung schmerzte ihn so sehr, daß er alle seine Freunde in Italien und Deutschland zur Ahndung derselben aufforderte. Aber eine große Lebensveränderung ließ es nicht zur Ausführung des Racheplans kommen.
Mißmuthig und unzufrieden saß Eckard an der Tafel, als ihm die Meldung geschah, daß ein Bote mit einem Schreiben von der Äbtissin aus Quedlinburg da sey, welches derselbe ihm überreichen wolle. Otto befahl, der Bote solle vor ihm erscheinen.
»Nun,« sagte er, »die Wetter den Unglücks haben mich seit einiger Zeit zu ihrem Ziele gemacht; soll ich auch aus Deutschland Widriges erfahren? Wäre Luitgard krank geworden? Wollte sie ihr Versprechen nicht halten? Hat sich noch Ärgeres zugetragen? Mir ist so, als ob ich nicht Erfreuliches erwarten dürfte.« --
»So denkt von meiner Luitgard nicht, daß sie ihr Wort brechen könnte. Sie ist von redlichen Eltern und ist nicht an Wankelmuth und Unbeständigkeit gewöhnt.« --
Nun,« sagte Ullrich von Beichlingen, »die Kinder werden nicht immer den Eltern ähnlich und das ist gut, wenn diese nicht taugen. Ich kenne Väter, die wortbrüchig wurden und Töchter, denen ein Versprechen so heilig war, wie ein Eid.« --
Entrüstet frage Eckard: »Wen meint Ihr damit?« --
»Wen's trifft, Markgraf, und wenn's den Kaiser selber träfe.« --
»Solche Gemeinsprüche mag ich aber nicht leiden, man nenne den, den man tadeln will, bei seinem Namen.« --
»Markgraf, Ihr könnt mir nicht gebieten, was und wie ich reden soll, oder nicht. Ich bin nun einmal ein Freund von solchen Gemeinsprüchen, womit man auf einen Schlag viele Gewissen rüttelt. Laßt mich doch reden, wie ich will, wenn Ihr mir nicht beweisen könnt, daß ich Euch beleidigen wollte.«
Der Bote, ein dem Kaiser wohl bekannter Mann, trat ins Zimmer, überreichte Otto das Schreiben, welcher sagte:
»Steht Alles in Quedlinburg nach Wunsch?« --
»Leset nur,« entgegnete der Bote verlegen, »es steht gewiß besser in dem Schreiben, als ich's Euch sagen kann.«
Otto erbrach den Brief und rief aus, als er die ersten Zeilen gelesen hatte: »Eine verwünschte Geschichte! Die Äbtissinn fängt mit Klagen an. Wie sich die Sache wohl enden wird.«
Die Schuld, daß Otto das Ärgerlichste an seiner Braut erlebte, suchte die Äbtissin geschickt von sich und ihren Leuten abzulehnen, und wälzte sie einzig auf Werner hin, der die schändlichste List anwandte, um sein Bubenstück auszuführen. Auf Luitgard schalt sie nicht, weil sie wußte, die Jungfrau stand in seinem Herzen hoch angeschrieben. Von ihr hieß es in dem Briefe:
»Wer weiß welche Mittel der Sinnlose anwandte, um sie mit Gewalt zu zwingen, daß sie nachgeben mußte. Es kann auch wohl seyn, daß sie sich von einem Menschen überreden ließ, dem sie ihr Vertrauen von Kindheit an geschenkt hatte.« --
Gegen: den Übelthäter werde sie, als Reichsverweserin mit der größten Strenge verfahren. Wenn es möglich sey, so rathe sie, daß er aus Italien komme, damit der für sie so höchst ärgerliche Handel in möglichst kurzer Frist geendet werde.
Otto war Feuer: und Flamme, als er den Brief gelesen hatte. Man bemerkte es schon, während des Lesens, daß heftige Veränderungen in seinem Innern vorgingen, sein Auge strahlte feuriger, es zuckte in seinem Gesichte und auf seiner Stirn bildeten sich Falten. Er warf den Brief mit Unwillen auf die Tafel und sagte:
»Das feindlich Schicksal zwickt mich jetzt mit allen Zangen. Ehre und Ansehen soll ich verlieren, und auch das Glück meiner Liebe. Markgraf, daß Ihr's nur wißt, Luthers Sohn hat Eure Tochter mit List entführt. Sie ist nicht mehr in Quedlinburg, sie folgte dem verhaßten Buhlen. Kann auch eine Jungfrau meine Braut noch seyn, die vor der Welt mit solchem Makel befleckt ist? Unschuldig mag sie seyn, aber der Glanz ihrer Tugend ist mit einem finstern Schatten überzogen. Was wollt Ihr thun? Welchen Entschluß soll ich fassen? Ich weiß es nicht. Wußtet Ihr's aber, daß Werner so in Eure Tochter vergafft war, so hättet Ihr es nicht dulden müssen, daß sie mir ihr Jawort gab.« --
»Kaiser,« entgegnete Eckard, »mir ist, als ob mich der härteste Schlag gelähmt hätte, beschwert mich nicht mit Vorwürfen. Das Herz möchte mir springen. Wäre der verwegene Bube hier, den Kopf müßt' ich ihm spalten. Aber, das schwöre ich, meine Tochter ist unschuldig! Gebietet, daß er aufs härteste gestraft werde.« --
»Mit seiner Bestrafung sind die losen Mäuler mir nicht gestopft, die Böses von Luitgard reden werden, und von einer Kaiserin muß die Welt nur Gutes zu sagen wissen.«
Die Unruhen in Rom waren keineswegs so weit gestillt, daß der Kaiser die Stadt verlassen und seine Reise nach Deutschland antreten konnte, er mußte vielmehr fürchten, daß eine größere Empörung ausbreche, wenn er nicht mehr zugegen sey. Er war auch mit Anstalten und Zurüstungen beschäftigt, um mächtig aufzutreten und seine Gegner in Furcht und Schrecken zu jagen. Die vielen Verdrießlichkeiten, die ihm begegnet waren, hatten so nachtheilig auf seinen Körper gewirkt, daß seine Gesundheit wankte. Er schien, über die Morde, die er geschehen ließ, immer unruhiger in seinem Gewissen zu werden. Nicht abzureisen, das blieb sein Entschluß.
Eckard glaubte an seiner Seite den Kaiser nicht verlassen zu dürfen, weil er besorgt war, daß sich Feinde finden würden, die Alles aufboten, um die Heirath zu hintertreiben. Diese Schadenfreude wollte er seinen Gegnern und vorzüglich dem Markgraf Luther nicht machen. Aber seine ganze Wuth ergoß sich über Werner. Er schwor, den Verbrecher zu durchbohren, wo er ihm begegnete.
Der Kaiser schrieb an die Äbtissin und sagte in dem Briefe, daß er's ihrer Weisheit überlasse, was sie in der verwünschten Sache thun wolle. Die Hauptsache von seiner Lage, die ihn an Italien fessele, meldete er ihr auch.
»Ob ich Deutschland wieder sehe, das rauhe und unfreundliche, mir widrige«, hieß es in der Schrift, »das weiß Gott. Meine Gesundheit steht nicht fest, und daran sind die stürmischen Geisteserschütterungen Schuld.« …
Der Markgraf gab auch einen Brief an seine Gattin mit, in dem er sich heftig über Luitgard, als über eine pflichtvergessene Tochter, beklagte. Er forderte sie auf, nichts unversucht zu lassen, um sie dem Entführer zu entreißen, dem er sie auch dann nicht zur Gattin geben werde, wenn der aufgebrachte Kaiser auf ihre Hand Verzicht leiste.
Mit zerstörtem, unruhvollem Herzen kam die Markgräfin, nach einer höchst beschwerlichen und angreifenden Reise, in Salzwedel an. Erschöpft und wahrhaft abgemattet, stieg sie vom Roß und schwankte nach der Thür. Die Dienerschaft, der sie wohl bekannt war, empfing sie mit tiefer Unterthänigkeit.
»Seyd Ihr allein in diesem Schlosse!«« fragte sie mit innerem Mißbehagen.
Ehe sie eine Antwort erhielt, trat der Haushofmeister hervor und vermeldete:
»Der Markgraf und die Markgräfin, um das bittere Mißvergnügen zu versüßen und sich zu zerstreuen, machen auf der Nachbarschaft einen Besuch, und kehren, wenn der Abend graut, unfehlbar zurück. Laßt's Euch bis dahin allein gefallen, ein Eilbote soll Eure Ankunft dem Markgraf kund thun. Ach, in diesen Tagen ist viel von Euch geredet worden und schmerzlich hat man Euch bedauert!« --
»So, ja wohl bin ich zu bedauern,« sagte die Markgräfin mit wehmuthsvoller Miene und große Thränen traten ihr in die Augen, »ich bin hieher gekommen, um Trost zu suchen.«
Der Haushofmeister öffnete die Thüre eines Zimmers, Schwanehilde ging hinein und sie befahl ihm, daß er ihr folgen sollte. Als sie sich auf einen Ruhesessel niedergelassen hatte, fragte sie:
»Warum ist Eure Herrschaft mißvergnügt und sucht sich zu zerstreuen?« --
»Wüßtet Ihr das noch nicht, so werdet Ihr eine Neuigkeit erfahren, die Euch erschüttern muß. Soll ich schweigen, soll ich reden, ich weiß es selber nicht!« --
»Redet!«
»Werner entfernte sich heimlich mit unsern Tapfern. Vor wenigen Tagen kehrte das kleinere Häuflein zurück, und unter ihm sind Verwundete. Sie sagten aus, daß Werner Eure Tochter mit List von Quedlinburg entführt habe. Darüber ist der Markgraf und die Markgräfin voller Sorgen, weil sie fürchten, die That wird kein gutes Ende nehmen.« --
»Aber wo ist Werner, wo ist meine Tochter? Sie soll und muß mir nach Meißen folgen. Wenn sich der unbesonnene Werner so recht muthwillig ins unvermeidliche Unglück stürzen will, so soll er doch meine Tochter nicht mit hinabziehen. Wo ist sie?« --
»Davon weiß hier kein Mensch ein Wort.«
Als sie so sprachen, kam der Markgraf und die Markgräfin mit Godila. Der Haushofmeister ging ihnen bis vor die Thüre entgegen und meldete die Ankunft der Markgräfin. Der abgeschickte Bote hatte einen andern Weg genommen und war dem Markgraf nicht begegnet. Er verstummte und war voll Unruhe, Godila überfiel ein Schreck und ihre Wange erblaßte. Sie ging schweigend zu Schwanehilden hin, bot ihr die Hand und sagte:
»Unsere Kinder, an denen wir viele Freude zu erleben hofften, machen uns viel Kummer. In unserer Trostlosigkeit wollen wir nicht untergehen und bedenken, ein mächtiger, gütiger Geist lenkt die Menschenherzen; und es ist ihm ein Leichtes, den Schmerz in Freude zu verwandeln.« --
»Wer, wer ist der Stifter dieses Schmerzes,« entgegnete Schwanehilde mit finsterm Blicke, »niemand anders, als Euer Sohn.« --
»Das ist er wohl,« sagte der Markgraf, »aber dennoch dürft Ihr ihm nicht so gehässig zürnen. Wer hat ihn zu der That gereizt, die ich selbst nicht billigen kann? Ermeßt die Größe seiner Liebe zu Eurer Tochter, daß er ein solches Wagestück unternehmen konnte. Die Gefahr, die für ihn daraus entstehen kann, hat er sicher erwogen, aber sie konnte ihn nicht schrecken. Ein Anderer, dem Luitgard nicht, wie ihm, das höchste Gut des Lebens war, hätte es zugegeben, daß sie dem Kaiser, wie ein Wesen ohne Herz und Willen überliefert wurde. Das müßt Ihr auch bedenken, es kann Euer Urtheil über ihn milder stimmen. Ob ich anders gehandelt hätte, als er, das glaube ich nicht. Eckard, Eckard, mit seinem Hochmuth, der nach immer größern Ehren strebt, hat unsere Kinder unglücklich gemacht, das mag er bei Gott und seinem Gewissen verantworten.«
Der Markgraf entfernte sich, und Godila war bemüht, die schmerz- und sorgenvolle Schwanehild so gut zu trösten, als sie's bei dem eigenen Kummer vermochte, der ihr am Herzen nagte. Alle ausgeschickte Boten nach der Ferne und Nähe, konnten den Aufenthalt der Liebenden nicht erforschen und kamen ohne Bescheid zurück.
Spät in der Nacht kam Werner in Salzwedel an, ohne daß man im Schlosse von seiner Ankunft etwas merkte. Er war gefaßt, daß ihn der Vater hart anfahren würde, und hatte sich sich geschworen, die möglichste Ruhe zu behaupten, und bei seinen Vorwürfen nicht in Hitze und Zorn zu gerathen. Höchst unangenehm aber war's ihm, als er hörte, daß auch die Markgräfin da sey, und er war sehr erfreut, daß er seine geliebte Luitgard bei dem Ritter von Gerken und der liebevollen Boja zurückließ, von der sie mit schwesterlicher Güte empfangen wurde. Werner verließ seine Braut nicht eher, als bis er einen Priester fand, der über sie Beide den Ehesegen sprach. Luitgard war seine Gattin geworden und eine menschliche Gewalt konnte sie nun nicht mehr von ihm trennen. Er verließ sie mit dem Bescheid, daß er sie nach Salzwedel führen wollte, wenn sich der etwanige Zorn des Vaters gelegt hätte.
»Von meiner Mutter,« sagte er zu ihr, »darfst Du nichts fürchten, sie wird Dich, wie eine leibliche Tochter, in ihre Arme schließen.« --
»Ach.« bat Luitgard weinend, als er von ihr Abschied nahm, »verlaß mich nicht auf lange Zeit, ohne Dich bin ich in Angst und Furcht und träume von möglicher Gefahr. Du nur bist's, der mich mit seinem Leben schützt.«
Ehe Werner vor seinem Vater erschien, hatte dieser schon von der Ankunft seines Sohnes gehört. Er verließ eilig das Lager, zog sich rasch an, und ging zu seinem Sohne, den er noch in tiefem Schlaf vergraben fand. Er rüttelte ihn wach und sagte:
»Und Du kannst schlafen, auf dem die Last einer That ruht, die Niemand billigen kann?« --
»Vater, es ist keine böse That, die mein Gewissen beunruhigt. Mag sie die ganze Welt verdammen, mein Herz verdammt sie nicht. Wenn ich Luitgard ohne Hülfe schmachten ließ, dann hätte ich an ihr ein Verbrechen begangen, was mir kein Priester, selbst Gott nicht, verzeihen konnte. Wollt Ihr nicht hart und ungerecht gegen mich seyn, so müßt Ihr Euch ganz in meine Lage denken. Habt Ihr je geliebt, wie ich liebe, so hättet Ihr gethan, was ich that. Mir sollt' ich Luitgard rauben lassen, es zugeben, daß sie die Gattin eines Mannes wird, dem sie abgeneigt ist? Verschulden sollte ich's, daß ein früher Tod ihrem gramvollen Leben ein Ende macht? Hat das ihre Zärtlichkeit und Treue um mich verdient? Vor Gottes Richterstuhl konnte sie mich verklagen. Wäre meine Sache nicht Gottes Sache, es wäre mir fürwahr nicht so leicht geworden, sie zu entführen.«
Der Vater schwieg eine Weile und sagte dann:
»Wird Otto auch so urtheilen?« --
»Wenn er menschlich denkt, ja, und denkt er anders, so muß ich ihn verachten.« --
»Du magst ihn verachten, aber das Schwert seiner Rache wird Dich erschlagen.« --
»Erschlägt mich das, so werd' ich mit dem Bewußtseyn sterben, daß mein Leben mit einer frommen That endete.« --
»So wird den Raub Niemand nennen.« --
»Nennt Ihr denn das einen Raub, wenn man ein Gut zurück nimmt, was uns entrissen ist? An mir wollte man einen Raub begehen.« --
»Aber wo ist Luitgard?« --
»Die ist in Sicherheit und wohl aufgehoben, kein spähendes Auge kann sie finden. Hätte ich Euern Zorn nicht gefürchtet, hätte ich nicht besorgt, daß Ihr sie unsanft anfahren würdet, ich hätte sie mitgebracht.« --
»Verwickele mich nicht in dein Unrecht … Ich kann und will sie nicht sehen.« --
»Vater, um des Kaisers willen, wollt Ihr die Gattin Eures Sohnes verstoßen?« --
»Gattin, Gattin,« sagte der Markgraf mit finsterm Ernst, »das ist sie nicht, Du willst, sie soll es werden; aber kann sie's, da sie sich mit einem feierlichen Ja dem Kaiser, verlobt hat?« --
»Vater, sammelt Ruhe, fahrt nicht zornig über mich her, wenn ich Euch ein Geheimniß entdecke, Das Ja, was Luitgard mit widerstrebendem Herzen, gepreßt von ihrem Vater, der sie wie ein gefühlloser Tyrann behandelte, aussprach, hat keine Gültigkeit und kann sie nicht an Otto binden. Um bösen Reden zu entgehen und ehrenrührige Urtheile zu vermeiden, um Luitgard, selbst wenn sie gezwungen werden möchte, die Rückkehr zu erschweren, mußte ein Priester den Ehesegen über sie und mich sprechen. Sie ist nicht mehr meine Braut, meine Gattin ist sie.« --
Fast erschrocken rief Luther aus:
»Unsinniger Sohn, wohin hat Dich die Leidenschaft geführt! Wie eigenmächtig hast Du gehandelt! Wie vergrößerst Du Deine Schuld und Dein Verbrechen!« --
»Daß ich die Braut durch die Bande der Ehe mit mir verbinden lasse, die mir, als eine solche, von ihrem Vater selbst bestimmt war, die mich vor Allen in der Welt zu ihrem Gatten erkohr, das sollte ein Verbrechen seyn? Ich denke, es ist eine Tugend, daß ich sie einem fremden Manne nicht überließ, ein Zeugniß meiner Treue, der Vorsicht, die die Unschuld durch keinen Bedacht kränken lassen will. Vater Ihr müßt Euch nicht wundern, daß ich anders handele, als es Eure alte Vernunft für recht erkennt; das Herz befolgt andere Gesetze und diese sind den Menschen von Gott auch eingegeben. Erhebt sich aber zwischen dem Verstande und dem Herzen ein Krieg, so ist es leicht zu entscheiden, ob dieses oder jener siegen wird. Was ich that, dabei bleibe ich fest und sollte mir's das Leben kosten.« --
»Unglücklicher Sohn, mehr als dieses, Deine Ehre kann es kosten, meine Ruhe, meine Würde. Weißt Du, daß die Markgräfin hier ist?« --
»Das weiß ich.« --
»Sie vermuthete ihre Tochter hier zu finden und will sie mit nach Meißen nehmen« --
»Ich habe nun größere Rechte an. die Tochter, als die Mutter, Luitgard ist mein. Soll sie, wenn sie ihr nach Meißen folgt, wiederum in den Kerker nach Quedlinburg wandern? Dann möchte es nicht so leicht werden, sie aus demselben zu erlösen. Wer wird seine Gattin solchen Gefahren bloßstellen! Mit ihr will ich leben, mit ihr kann ich sterben!«
Als der Markgraf seinen Sohn verlassen hatte, meldete er Schwanehilde und Godila die Ankunft desselben mit dem Zusatz, daß Luitgard nicht mit ihm gekommen sey. Schwanehilde wollte ihn sogleich sprechen und sagte:
»Ach, der Grausame, er zermalmt mir das Herz! Gehört die Tochter nicht der Mutter! Er soll und muß sie in meine Arme führen.« --
»Nur das fordert nicht von ihm. Er behauptet, daß er größere Rechte an sie hat, als eine Mutter, weil sie seine Gattin ist.« --
»Gattin wäre sie?« --
»Ja, ja, ein Priester hat sie durch den Ehesegen verbunden.« »So verwandele sich,« sprach die sonst so weiche, gütige Schwanehilde, von Schreck und Zorn überfallen, »dieser Segen in Fluch. Wißt, Euer Sohn ist Verbrecher, er hat meine Luitgard entehrt! O, du armes, unglückliches Kind, zur Schande hätt' ich dich geboren? Kein gutes Wesen hat dich diesem Verführer überliefert! Dein Leben muß in Schmach enden, wie würde ich mich deines Todes freuen! Ach, ich hab' es nicht geahnet, daß ich solchen Schmerz an dir erleben würde! Dein Herz war rein von jedem Flecken, Werner hat's verdorben! Das also wäre nun der Lohn für die Liebe, die er von mir so oft erfuhr?«
»Markgräfin,« sagte der Markgraf, »Ihr vergeßt Euch im Zorn, Ihr redet ungebührliche Worte. Laßt Euch von Euerm Schmerze nicht zu Beleidigungen fortreißen, die mir das Mark in allen Knochen erschüttern. Wenn das Härteste geschehen ist, wenn's nicht zu ändern steht, so muß man es mit Ruhe und Weisheit tragen. Betet für Eure Tochter, wenn Ihr für meinen Sohn nicht beten wollt, und vertraut der Güte des Allmächtigen, der auch das, worüber wir uns härmen, in Freude verwandeln kann.« --
»Nur mit dieser Hoffnung schmeichelt mit nicht, auch der Allmächtige läßt aus schlechtem Saamen keine guten Früchte wachsen.«
Jetzt trat Werner ins Zimmer, vorbereitet auf die Vorwürfe, womit ihn die erzürnte Schwanehilde überhäufen würde. Er ging ihr mit Ruhe und ohne Verlegenheit entgegen, Godila, die sein leidenschaftliches Ungestüm kannte, zitterte, wie dieser Auftritt enden werde. In ihrem Mutterherzen hatte er mehr als einen Fürsprecher. Die kühne That, mit der er seine geliebte Luitgard in Freiheit setzte, konnte sie nicht tadeln, nur für die Folgen desselben war sie ängstlich besorgt.
Schwanehildens Gedanken verwirrten sich, es stand ihr kein Wort zu Gebote, was sie sagen wollte, als Werner vor ihr stand. Mit einer Freimüthigkeit, die sich keines begangenen Unrechts bewußt ist, redete er sie also an:
»Ihr glaubt gegründete Ursache zu haben, mir zu zürnen, als ob ich das größte Unrecht begangen hätte. Konntet Ihr's doch selbst nicht billigen, daß mir der Markgraf Eckard meine Luitgard entriß und sie an Otto verhandeln wollte. Ein elender Feigling ist der, welcher unthätig zusieht, wenn man ihm das Theuerste rauben will. Ich glaube recht, ich glaube als Mann gehandelt zu haben und keinen Vorwurf zu verdienen.« --
»Eure That will ich nicht richten,« sagte Schwanehilde, »sie wird von Andern gerichtet werden; aber das müßt Ihr, mir meine Tochter wieder geben.« --
»Wahrlich, Markgräfin, Ihr wißt nicht, was Ihr Böses für Euch und Eure Tochter bittet. Das größte Leid fügte ich Euch Beiden zu, wenn ich diese Bitte erfüllte. Soll Euch Luitgard nochmals von Meißen geholt und in den Kerker nach Quedlinburg: gebracht werden? Wollt Ihr sie, Ihr, die zärtlichste der Mütter, mit Vorsatz unglücklich machen? Fordert auch nicht zu viel von mir! Leichter kann ich Euch mein Leben, als Luitgard hingeben. Heiligere Pflichten, als je, binden mich jetzt an sie. Hört's; wenn Ihr's nicht wißt, sie ist meine Gattin, freudig sagte sie ihr Ja.« --
»Ist eine solche Ehe, auf der Flucht geschlossen, auch gültig?« --
»Wenn die Herzen der Verlobten dafür stimmen, so ist sie gültig.«
Die Markgräfin konnte den Ort, wo Luitgard verborgen lebte, nicht erforschen. Da ihr Werner es nicht zugestand, daß die Tochter mit nach Meißen zurückkehrte, reiste Schwanehilde, im Herzen tief betrübt, noch an demselben Tage ab.
Auf inständiges Zureden der Mutter und auf Werners Bitten, erlaubte es der Markgraf endlich, daß Luitgard in der Nacht in das Schloß zu Salzwedel eingeführt wurde. Ihr Aufenthalt sollte geheim gehalten werden, Aber er wurde dennoch verrathen.
Mehrere Wochen waren in Ruhe verstrichen, und die Gemüther erholt sich von den heftigen Erschütterungen, die sie erlitten hatten, als ein Herold von Quedlinburg erschien, der ein Schreiben überreichte, welches des Inhalts war: daß Werner und Luitgard, bei angedrohter Acht, im Nichterscheinungsfall, in Magdeburg vor der Äbtissin erscheinen sollten, um Rede und Antwort, wegen ihres unerlaubten Betragens, zu geben. Die Äbtissin war, in Otto's Abwesenheit, Reichsverweserin, und wollte man nicht die Vollziehung der Acht, so mußte man gehorchen. Der Markgraf selbst wurde ernstlich angemahnt, Sorge zu tragen, daß die Schuldigen unter keinerlei Vorwand ausblieben.
Werner war in der größten Verlegenheit und Luitgard zitterte vor Angst. Es war bei ihm keineswegs entschieden, daß er an dem festgesetzten Tage in Magdeburg vor der Äbtissin erschien. Was mußte er von der erzürnten Frau fürchten! Indeß rückte der verhängnißvolle Tag immer näher, und es mußte ein bestimmter Entschluß gefaßt werden. Werner schwankte noch immer, als der Vater ihm die wichtigsten Gründe vorhielt, weßhalb er gehorchen müsse. Die um ihren Sohn so besorgte Godila flehte ihn sogar an, daß er sich dem Befehl der Äbtissin unterwürfe und demüthig ihre Gnade anflehte. Mit heftigem Brausen dürfe er gegen sie nicht hervorfahren, denn sie habe alle Mittel in der Hand, um ihm zu schaden und Rache zu üben.
Werner war also entschlossen, die verwünschte und auch gefürchtete Reise nach Magdeburg anzutreten, um sein Urtheil zu empfangen. Flehentlich aber bat er Luitgard, ihn nicht zu begleiten, und ruhig und sicher, während seiner Abwesenheit, im Vaterhause zu bleiben. Mit heftiger Gemüthsbewegung warf sich Luitgard in seine Arme und sagte unter Thränen:
»Nein, Werner, nur das fordere nicht von mir, daß ich hier bleiben und Dich allein reisen lassen soll. Mich würde Sorge und Kummer um Dich tödten. Sterben kann ich, mit Dir in den Tod gehen; aber leben ohne Dich, das kann ich nicht. Gott hat uns verbunden, wir dürfen uns nicht trennen. Ein Schicksal laß uns leiden, und wenn es die Rache noch so schwer macht, es wird uns leicht, wenn wir es gemeinsam tragen. Wäre die Äbtissin im Zorne gegen Dich ungerecht, so kann ich für Dich bitten und vielleicht ihr Herz erweichen. Einen möglichen Dienst könnte ich meinem Werner erweisen und sollte es nicht thun!«
So inständig Godila die theure Tochter bat, Salzwedel nicht zu verlassen, sie ließ sich nicht bewegen, da zu bleiben. Die verhängnißvolle Reise wurde angetreten, und der Markgraf gab seinem Sohn ein zahlreiches Gefolge zu seiner Sicherheit, besonders darum mit, daß ihm unterwegens seine geliebte Luitgard nicht geraubt werben konnte. Überhaupt war er in banger Ahnung besorgt, wenn man Werner auch wieder frei ließ, daß man ihm Luitgard entreißen werde, und man hatte Gründe genug, den Raub zu rechtfertigen.
Vor Magdeburg hatte eine Anzahl Bewaffneter, auf Befehl der Äbtissin, den vorgeladenen Schuldigen schon erwartet und nahm ihn und Luitgard, als ob sie zwei Verbrecher wären, in Empfang. Als sie durchs Thor passirt waren, gab der Anführer des Trupps Befehl, daß die Beiden von ihren Rossen steigen und den Weg zu Fuße nach dem erzbischöflichen Pallast, wo Mathilde residirte, machen sollten. Werner sträubte sich und wollte sich diese Demüthigung nicht gefallen lassen, aber der Oberste sagte:
»Sträubt Euch nicht, Gehorsam fordert die Äbtissin von Euch, ich muß darauf bestehen, daß Ihr gehorcht. Wenn ich ihr Eure Widerspenstigkeit melde, so werdet Ihr Euer Schicksal nur verschlimmern.« --
»Nein, ich gehorche nicht, ich bin eines Markgrafen Sohn und fordere, daß man mich meines Standes würdig behandelt. Ich habe kein Verbrechen begangen und werde mich vor meinen Feinden zu rechtfertigen wissen.« --
»Keinen Schritt, weiter, steigt vom Rosse oder ich lasse Euch mit Gewalt herunterreißen. Zwingt mich nicht zur Härte. Auch ich bin ein Diener, der gestraft wird, wenn er nicht thut, was ihm befohlen ist.« --
»So braucht Gewalt.«
Werner zog sein Schwert und seine Leute folgten seinem Beispiele. Sicher wäre es in Magdeburg zu einem blutigen Kampfe gekommen, wenn Luitgard nicht zugegen war, die durch die Macht ihrer Liebe, mit der sie auf Werners Herz wirkte, das Blutvergießen abwandete. Sie sagte mit flehender Miene und bittender Stimme:
»Mein Werner, wir sind in Feindes Händen, o, laß uns thun, was sie gebieten. Versündigen sie sich an uns, der Allgerechte wird sie strafen. Ein größeres Unglück laß uns nicht verschulden, die Reue möchte hinterher schrecklich seyn. Bei der Übergewalt muß auch der Löwe verlieren.«
Ohne ein Wort zu reden, stieg Werner vom Rosse und Luitgard folgte ihm nach. Er faßte sie an der Hand und sagte:
»Dein Rath ist für mich Gottes Stimme, so laß uns gehen.«
In Magdeburg war die Geschichte eine allgemein bekannte, daß Werner seine Luitgard, die des Kaisers Braut war, von Quedlinburg entführt hatte. Man bewunderte den Muth und die Furchtlosigkeit des Jünglings, der durch die feurigste Liebe ermächtigt, die Folgen nicht achtete, welche seine That nach sich ziehen konnte. Luitgard selbst hatte man als einen weiblichen Engel von unvergleichlicher Schönheit geschildert. Auf den Straßen war daher ein großes Gedränge von Neugierigen, die das junge Paar sehen wollten. Man fand, daß Beide in gleichem Grade schön waren und bewunderte Werners männliche Gestalt und den zarten Gliederbau und das reizvoll Gesicht Luitgards. In tausend Herzen bewegte sich ein inneres Mitleid und sie wünschten, daß das Schicksal günstig für die Liebenden entscheiden möchte.
In einem Gemach des erzbischöflichen Palastes, wohin Werner und Luitgard geführt wurden, kündigte man es ihnen an, daß sie mit bloßem Haar und entblößten Füßen vor der Äbtissin erscheinen müßten. Werner warf einen Zornblick zum Himmel; knirschte die Zähne, indem er zu seiner Geliebten sagte: »Ist's doch, als ob wir die ärgsten Verbrecher wären! Wie grausam und ohne Gefühl ist die Äbtissin, daß sie uns so erniedrigen kann! Die Rache muß ruhen, aber sie wird zu seiner Zeit, wie ein Wetter hervorbrechen und strafen. Luitgard, kannst Du auch noch gehorsam seyn, wenn Dir Schimpfliches geboten wird?« --
»Ich kann es, weil ich's muß, Du mußt es auch können,« entgegnete; sie mit erblaßtem Gesicht und bebender Lippe.
Sie nahm ihre Hauptbedeckung ab, zog die Strümpfe aus und sagte zu Werner:
»Laß mich nicht lange warten. Nicht der, welcher harte Befehle befolgt; ist strafbar, wohl aber der, welcher sie giebt.« …
Werner entblößte sein Haupt, die Füße und machte ein grimmiges Gesicht. In seinem Innern herrschte eine wilde Empörung, die Wuth loderte hoch in ihm auf, er war kaum seiner Sinne mächtig. Luitgard merkte den Sturm wohl, der in ihm tobte und flehte ihn an, daß er sich von einem gerechten Zorn nicht überwältigen lassen, sondern ihn beherrschen sollte.
Jetzt wurde die Thür des großen Saales geöffnet, Werner und Luitgard traten ein, sie sahen die Äbtissin als oberste Richterin, auf einem erhabenen Platze und, außer den Richtern und Zeugen, viele Vornehme, die sie hatte zu diesem Tage einladen lassen. Ihr zur Rechten hatte der Erzbischof Gieseler, ein Feind des Markgrafen Luther, seinen Platz genommen. Als Werner vor der Äbtissin stand und Luitgard ihm zur Seite, sah er ihr dreist und drohend ins Angesicht. Da im Saale eine wahre Todtenstille herrschte, unterbrach sie Werner, indem er mit kräftiger Stimme also sprach:
»Man hat mich nach Magdeburg gefordert, ich gehorchte, auf meines Vaters Zureden, dem Befehle, was will man denn von mir? Soll es als ein Verbrechen geahndet werden, daß ich ein geraubtes Eigenthum wieder gewonnen habe? Fragt Luitgard, ob sie in Quedlinburg, gezwungen und geschreckt, dem Kaiser nicht ihr Jawort gab! Fragt sie, ob sie eine zärtliche Neigung für ihn empfand. Von Kindheit an verband uns eine Liebe, wie sie auf Erden selten nur gefunden wird: Bedachte man's denn nicht, daß ich mir lieber das Leben als meine Luitgard rauben ließ? Seyd gerecht, Äbtissin, aber seyd es mit Weisheit und Güte. Straft nicht, Ihr habt einen Richter über Euch, der auch strafen kann. Laßt uns nicht lange, wie Bettler, vor Euch stehen und erwägt, daß Fürstenblut in unsern Adern fließt.«
Jetzt, als Werner schwieg, erhob sich die Äbtissin und sagte in feierliche, aber verweisendem Tone:
»Nur eine solche Sprache führt nicht. Der Schuldige soll sie sich nicht erlauben. Von dem Augenblick an, wo Luitgard dem Kaiser das Jawort gab, war sie seine Braut, nicht mehr die Eure und Ihr hattet keinen Antheil mehr an ihr. Das Verbrechen, das Ihr begangen habt, indem Ihr sie entführtet, wird der Kaiser rächen. Hattet Ihr denn auch keine Achtung gegen mich? Zu einem Unsinnigen machte Euch die Leidenschaft, der das Böse, was er mit ihr anrichtet, nicht wahrnimmt. Meine Entscheidung ist kurz, Ihr sollt sie sogleich erfahren, es ist mir unwohl in Eurer Nähe und ich muß es wünschen, Euch nicht lange vor mir zu sehen. Die sündliche Frucht Eures Raubes sollt Ihr nicht genießen, Ihr zieht heute noch aus Magdeburgs Thoren und Luitgard reist mit mir nach Quedlinburg. Es ist des Kaisers Sache, ob er eine Braut, die Ihr vor der Welt beschimpft habt, noch zu seiner Gattin wählen will. Entläßt er sie, was ich gewiß glaube, so mögt Ihr sie heirathen oder nicht, das soll mich nicht bekümmern, sie ist dann Keines Eigenthum, als ihrer Eltern.«
Eh' Werner ein Wort sprechen konnte, sank Luitgard vor der Äbtissin auf die Knie und flehte, unter Seufzern und Thränen:
»Äbtissin, die Welt nennt Euch so gut und mild, warum wollt Ihr gegen mich hart und grausam seyn! Als Werner in Quedlinburg erschien, daß mußt ich mußt ihm folgen, Ach, trennt mich nicht von ihm, wenn Ihr nicht an meinem Tode Schuld seyn wollt. Ich kann nicht von ihm lassen, ich habe nie einen Jüngling geliebt, als ihn. Grausam zwang mich mein Vater, das Jawort zu sagen; ich hätte nein gesagt, wenn ich seinen Zorn nicht fürchtete. Wie es in meinem Herzen stand, das wußte meine Mutter. Habt Erbarmen mit einem Wurme, der sich im Staube vor Euch krümmt. Erhört mein Flehn, daß Gott Euch einst an jenem großen Tage erhöre.«
»Das Flehn des Unrechts,« sagte die Äbtissin zu Luitgard mit Kälte, »soll mich nicht schwach machen und erweichen. Das Herz der Richter soll unbestechlich seyn. Die Trennung von Werner, der Euch beschimpft, Euer Glück zerstört hat, kann keine Strafe für Euch seyn. Steht auf und setzt Euch mir zur Seite. Wir aber, Werner, waren fertig und Ihr könnt nun gehen. Mit Euch habe ich nichts weiter zu schaffen; das Urtheil über Euch wird der Kaiser vollziehen, wenn er nach Deutschland kömmt und -- er kömmt vielleicht bald.«
»Äbtissin, Äbtissin, wir sind noch nicht fertig!« sagte Werner und Wut und Verzweiflung blitzte aus seinen Augen. »Weder Ihr noch der Kaiser habt noch Recht an Luitgard. Wenn Ihr sie von mir schiedet, so würdet Ihr ein großes Unrecht begehn, weshalb ich Euch verklagen könnte und, wenn sich nicht alle Lasterhaften mit Euch gegen mich verschworen haben, so müßt Ihr gestraft werden. Wißt, Luitgard ist meine Gattin, der Priester hat den Segen über uns gesprochen und ein Ehebett hat uns vereint. Nun, wollt Ihr dem Gatten die Gattin noch nehmen? Sagt, was berechtigt Euch dazu?«
»Lügner, Verbrecher, so kann's nicht seyn!« sprach die Äbtissin mit lauter Stimme. »Wollt Ihr mich betrügen!« --
»Ja, ja, so ist's,« sagte Luitgard, »und nicht anders.«
Sie hatte die Worte mit zitternder Stimme gesprochen und richtete, hocherröthend, den Blick zur Erde nieder. --
»Wäre es wirklich so,« sagte die Äbtissin höchst aufgebracht, »so ist Scham und Unschuld von Euch gewichen, so habt Ihr die Ehre Eures Geschlechts verwirkt. Nun, ich will dafür sorgen, um Eure Seele zu retten, daß Ihr in einem Kloster Buße thut. Das Urtheil ist gefällt, es bleibt unwiderruflich.«
Luitgard konnte nicht reden, ein Strom von Thränen floß über ihre Wangen, sie umschloß mit beiden Armen ihren Werner und er sagte:
»So, Äbtissin, laßt uns morden, unser Blut mag Eure Rache kühlen! Fährt kein Blitz aus den Wolken, der die Grausame erschlägt?« --
»Euch wird und muß er treffen! Entfernt den Rasenden!« --
»O, hätt' ich mein Schwert,« donnerte Werner, »dem teuflischen Spiel, was Ihr mit mir spielt, wollt ich bald ein Ende machen. Erst Ihr, dann ich!« --
»Schleppt ihn fort, er ist ein wüthendes Thier und kein Mensch!«
Auf den Befehl der Äbtissin traten Gewaffnete in den Saal, die Werner mit Gewalt von Luitgard rissen. Er tobte wie ein zorniger Löwe, aber die Übermacht schleppte ihn, besonders da er unbewaffnet war, aus dem Saale.
»Luitgard,« rief er ihr zu, »sorge für Dein Leben, ich rette Dich aus den Klauen einer Tyrannin!« --
Als die Thür zugeschlagen wurde, sank Luitgard in eine lange Ohnmacht. Werner zog sich rasch wieder an, umgürtete sich mit seinem Schwerte und, als er aufs Roß stieg, sagte er:
»Rächen will ich mich und fließen soll das Blut eines herzlosen Weibes!« …
Er jagte aus Magdeburg mit seinem Gefolge nach Wollmirstedt. Luitgard wurde nach Quedlinburg geführt, in ein Kloster gesperrt und so scharf bewacht, daß jeder Versuch, sie zu entführen, vergebens war.
Werner war ein Wüthender; fast verließen ihn alle seine Sinne; er sprach vom Selbstmord. Nun sah er fast kein Mittel mehr, sich der Luitgard wieder zu bemächtigen, er mußte das Schicksal walten lassen. Geheim nährte er die Hoffnung, daß sich Otto mit ihr auf keine Weise verbinden werde, wenn er erfuhr, daß sie förmlich seine Gattin war. Konnte man sie im Kloster behalten, wenn man es gewiß wußte, daß sie Mutter werden würde? Er glaubte, man würde sie dann nach Meißen zurückkehren lassen. Von Eckard fürchtete er das Meiste. Die Plane seines Hochmuths waren zerstört, Werner mußte ihn als seinen erbittertsten Feind ansehen und mit Recht besorgen, daß er ihm, aus Rache, seine Tochter nicht geben werde.
Er wollte die Bande Günzels aufbieten, um, von ihr unterstützt, die Freiheit Luitgards mit Gewalt zu erzwingen. War sie in Quedlinburg; hatte sie die Äbtissin nicht in einem andern Winkel verborgen; wie war das zu erforschen? Er machte den großen Umweg über Werben und Seehausen, um mit Günzel zu berathschlagen; aber er hörte es mit Gewißheit, die Räuberbande sey verschwunden, und man wisse es nicht, wo sie geblieben sey. Auch Boja konnte ihm keine Auskunft über ihren Vater geben, und sagte nur, daß die Mutter sie verlassen hätte und zum Vater gegangen sey, der sie selbst abgeholt habe. Auch klagte sie ihm ihre Noth, daß der alte Schwiegervater ihr das Leben so sauer mache, weil sie keine Ritterstochter sey. Er sey es allein, der ihr das Glück der Liebe verbittere.
Am Abend kam Hans von Gerken. Als dieser die Art und Weise erfuhr, wie Werner seine Luitgard verlor, sagte er:
»Ihr waret wohl ein großer Narr, daß Ihr nach Magdeburg ginget. Die Reichsacht konnte Euch nicht schaden, gewiß wären Fürsten auf Eure Seite getreten und hätten den Streit zu Euern Gunsten entschieden. Aber verzagt nur nicht, der Himmel hat mehr Erbarmen, als eine eiskalte Äbtissin, Ihr werdet Luitgard wieder sehn.«
Niedergeschlagen kam Werner bei seinem Vater an und sagte zornig:
»Auf Euern Rath zog ich mit Luitgard nach Magdeburg, durch Eure Schuld habe ich sie verloren. Ich werde sie nicht wieder sehen, der Kummer wird sie tödten. Kein Wort des Mitleids wird sie hören; Niemand wird die Thräne von ihrer Wange wischen; der Kummer wird ihr Leben verzehren. Nun, wenn sie todt ist, dann giebt's für mich nur noch im Grabe Ruh, und ich will, ich muß sterben!«
In tiefer, schmerzlicher Trauer flossen Wernern die Tage dahin und seine Gesundheit fing wieder an zu wanken. Den trostreichsten Zuspruch gewährte ihm der Schirmvogt, der mit seiner ganzen Familie in Salzwedel unter einem fremden, angenommenen Namen lebte, der Mönch Cajetan und seine Mutter.
Weit unglücklicher, als Werner, war Luitgard. Die Äbtissin gab ihr anfangs, wo sie der Beruhigung am meisten bedurfte, da ihr Herz durch die Trennung von dem Gatten ganz zermalmt war, wirklich Beweise von Härte, die ihr höchst empfindlich waren. Sie glaubte, daß sie von Otto manchen Vorwurf hören würde, daß sie nicht wachsamer war, und so die beabsichtigte Entführung seiner Braut verhinderte, und eben dieß empörte sie noch mehr gegen Luitgard.
»Vergeßt nicht,« sagte Luitgard schon auf dem Wege nach Quedlinburg zu ihr, »daß ich kein Herz habe, um das ein Panzer liegt, jedes harte Wort, ob ich's auch nicht verdient habe, dringt mir, wie ein Pfeil, ins Mark der Seele. Ihr seyd mir Schonung schuldig, ich bin die Gattin des künftigen Markgrafen von Brandenburg. Güte sollt Ihr mir beweisen und Mitleid mit mir haben. Was nutzt's Euch denn, daß Ihr mich nach Quedlinburg schleppt, Ihr müßt mich ja doch wieder frei lassen. Otto wird mir nie seine Hand zum ehelichen Bunde reichen, und ich begehre sie nicht. Drum laßt mich los, und dahin gehen, wohin ich gehöre.«
Nach einigen Tagen wurde Luitgard in ein Kloster eingesperrt und aufs schärfste bewacht. So viel Kummer sie auch peinigte, sie wurde doch nicht krank.
Die Markgräfin, ihre Mutter, hatte von dem Verfahren der Äbtissin gehört, das sie sich gegen Luitgard erlaubte, und reiste nach Quedlinburg, um ihr es einzuschärfen; wie vergeblich es sey, die unglückliche Gattin Werners in einer so peinlichen Gefangenschaft zu halten. Als sie vor Mathilden stand, sagte sie:
»Es hat Niemand ein Recht an meiner Tochter, als ihr Gemahl. Kann sie sich auch entschließen, da sie das Weib eines Mannes ist, einem zweiten sich zu vermählen? Gebt mir meine Tochter heraus, ihr dürft und könnt nicht mit ihr schalten, wie Ihr wollt.« --
»Eure Tochter ist sie, das ist wahr, und ich muß eine Mutter bedauern, die solchen Schmerz an ihrer Tochter erlebt; aber das solltet Ihr doch selbst begreifen, daß Ihr nicht mehr das Recht habt, mit ihr zu schalten, wie Ihr wollt, das steht mir allein zu, und Ihr könnt es mir nicht nehmen. Sie hat dem Kaiser ihr Jawort gegeben, und so lange sie der dessen nicht entbindet, ist und bleibt sie seine Verlobte. Was sie eigenmächtig gethan hat, das macht sie von ihrem Versprechen nicht los. Sie ist mir zur Bewahrung überliefert, der Markgraf Eckard, ihr einsichtsvoller Vater, hat sie mir selbst übergeben. Wie also könnt Ihr's von mir fordern, daß ich das Vertrauen des Kaisers hintergehe? Nein, nein, Markgräfin, Ihr müßt ohne Eure Tochter die Rückreise nach Meißen antreten. Betrübt Euch das, so bedenkt, nicht ich bin an Eurer Trauer Schuld.«
Der Markgräfin standen die Thränen in den Augen, sie sagte:
»Nun, wenn Ihr denn Gründe zu haben glaubt, weshalb Ihr die Trennung zwischen mir und Luitgard noch unterhalten wollt, so werdet Ihr mir wenigstens das Eine vergönnen, meine Tochter zu umarmen. Ach, gewiß, wenn der Schmerz sie nicht zur Verzweiflung bringen soll, ist ihr der Trost nöthig, der vom Mutterherz kommt. Mit ihr will ich weinen, wenn ich ihr nicht helfen kann und ihr Schicksal der Führung Gottes überlassen muß.« --
»Markgräfin, Ihr werdet mich hart und unmenschlich finden, aber auch das kann ich nicht verstatten. Glaubt mir, sie ist nicht so unglücklich und trostlos, als Ihr es denkt. Vielleicht kömmt sie zur Erkenntniß ihres Unrechts und die schmerzliche Reue wird sie von der Sünde heilen, die sie begangen hat. Euer Anblick müßte sie erschüttern, wenn das Gefühl der Schaam noch nicht ganz in ihr erloschen ist; wie wollet Ihr sie aber trösten, da Eure Tugend doch gewiß die That nicht billigen kann, die sie begangen hat, und der Abschied von ihr würde Euch und ihr das Herz zerreißen. Seht, darum kann ich Euch nicht zu ihr lassen.« --
»Äbtissin, laßt Euch erweichen, bedenkt, daß ich eine unglückliche Mutter bin; ach, laßt Euch erbitten!« --
»Verschwendet nicht vergebliche Worte, ich habe ein Gesetz, nach dem ich handeln muß, dem ich unerschütterlich gehorche und wenn um mich eine Welt in Thränen schwämme und mir fluchte. Was recht ist, wie ich handeln muß, das hat mich mein Vater und meine Mutter gelehrt und ich bin kein Kind mehr, das unbedachtsam jeder Stimme folgt. Es thut mit leid, daß ich Euern Wunsch nicht erfüllen kann, der mir so gerecht, so natürlich scheint. Thut keine Bitte mehr, sie ist vergebens.«
So also mußte Schwanehilde Quedlinburg verlassen, ohne den kleinsten ihrer Wünsche erreicht zu haben. Ihr Herz war zerschlagen, solchen Schmerz hatte sie nie gefühlt. Nach Meißen, in die trostlose Einsamkeit, wollte sie nicht zurück, sie reiste nach Weimar zu ihrem Bruder. Dort wollte sie auf eine lange Zeit verweilen, um sich in der Nähe liebevoller und gütiger Menschen zu erholen und dem finstern Gram nicht zu erliegen Was sie suchte, was ihr verwundetes Herz bedurfte, das fand sie in Weimar.
Werner machte einige Versuche, um Luitgard wieder zu befreien, aber keiner gelang. Endlich stand ihm, ohne daß er's hoffen und glauben konnte, der Allmächtige bei, der Größeres thun kann, als die kurzsichtigen Sterblichen wissen oder verstehen.
Der Kaiser Otto war noch nicht stark genug, um die niederschlagenden Erfahrungen, die er in einer kurzen Zeit machen mußte, mit weiser Ruhe zu ertragen. Sein Körper war verweichlicht und leistete den Erschütterungen des Gemüths nicht den nöthigen Widerstand, der erforderlich ist, wenn die Gesundheit nicht erliegen soll. So sehr sich seine Freunde bemühten, ihn aufzuheitern und durch glänzende Hoffnungen, die sie ihm vorspiegelten, neuen Muth und Selbstvertrauen einzuflößen, ihre Arznei konnte die kranke Seele nicht heilen.
Otto hatte Anfälle von Schwermuth und weinte dann, wie ein Kind. Es schien, als ob er sich Gewissensbisse mache. Man hörte ihn einmal sagen:
»Das Blut der Schlachtopfer, die ich umbringen ließ, schreiet von der Erde zum Himmel Rache über mich!«
Er durchwachte ganze Nächte im Gebete, legte sich die beschwerlichsten Fasten auf, unterzog sich den härtesten Bußübungen, als ob er sich durch Kasteiungen den Himmel öffnen wollte, von dem er glaubte, daß er vor ihm verschlossen sey. Die geschicktesten Ärzte verschwendeten ihre Kunst an den kränkelnden Kaiser und erklärten es öffentlich, daß bei seiner zerrütteten Gemüthsstimmung, alle Arzneimittel vergeblich waren. Er starb nach einem kurzen Krankenlager.
Die Nachricht von dem Tode Otto's feierte Werner, als ein Freudenfest. Auch Luitgards Gemüth richtete sich von seiner Niedergeschlagenheit auf und faßte frohe Hoffnungen, als Jutta von Bobringen ihr meldete, daß Otto in Italien gestorben sey. Der historische Otto III. starb am 23. oder 24.1.2002; die Äbtissin Mathilde von Quedlinburg dagegen war schon am 7. oder 8.2.999 gestorben -- d. h. das Auftreten der Äbtissin im Folgenden ist anachronistisch. -- Anm.d.Hrsg.
Da Otto auf keinen Nachfolger bedacht war, so machten mehrere Fürsten in Deutschland Anspruch auf die Königswürde. Herzog Bernhard von Weimar, einer der mächtigsten und angesehensten Reichsfürsten, würde, wenn er sich um den Thron beworben hatte, gewiß Allen vorgezogen worden seyn; allein er war zu weise, als daß er sich von dem Glanze einer Krone verblenden ließ.
Am eifrigsten bewarb sich darum der stolze Markgraf Eckard von Meißen, der gleichsam aus Italien hergeflogen kam, um Stimmen zu sammeln, die für seine Wahl zum König sich vereinigten. Er war in der geschäftigsten Unruhe. Für die Befreiung seiner Tochter, die nach seinem Urtheile sträflich gehandelt hatte, that er noch nichts, so sehr ihn Schwanehilde auch darum bat. Seinen Zorn gegen Werner konnte er nicht stillen, der so strafbar und eigenmächtig verfuhr. Aber er wünschte es gar sehr, daß der ihm abgeneigte Markgraf Luther sein Freund wäre, der ihm bei der Wahl zum König gar sehr hinderlich seyn konnte. Demüthigen konnte er sich vor ihm nicht und ihn nicht um seine Freundschaft bitten, weil er auch fürchtete, daß dieser die Versöhnung, die er ihm anbot, nicht annahm.
Von vielen andern Mitbewerbern um die Krone, konnte sich Herzog Hermann von Schwaben die meiste Hoffnung machen, daß er sie erhalten werde, Er hatte einen sanften, gefälligen Charakter, viele Freunde und am meisten war ihm der Erzbischof Gieseler in Magdeburg geneigt. Wenigere Freunde, aber einen weit stärkern Anhang, hatte der Herzog Heinrich von Baiern. Auf seiner Seite standen, als die mächtigsten Stützen, der Erzbischof Williges von Mainz, die Bischöfe von Worms und Hildesheim &c.
Luther hörte von den vielfachen Bemühungen Eckards, sich durch alle Mittel Freunde zu werben, um den Preis einer Königskrone davon zu tragen, dieß schien ihm die beste Gelegenheit zur seyn, um an dem wortbrüchigen Freunde die empfindlichste Rache zu nehmen. Auf Ansuchen Eckards kamen die mehrsten sächsischen Fürsten zu Frose bei Magdeburg zusammen, um über die Königswahl zu berathschlagen. Der Markgraf glaubte seiner Sache gewiß zu seyn, und die Gemüther für die sichere Erfüllung seines Wunsches gestimmt zu haben. Mit alter Freundlichkeit begegnete er dem Markgraf Luther, reichte ihm die Hand und bot ihm Versöhnung an, wenn er ihm noch zürne. --
»Es ist immer ein böses Zeichen,« entgegnete Luther, »wenn man so bitten muß, wie Ihr, und darin liegt der sprechende Beweis, daß man ein Unrecht beging, was man bei gesundem Verstande und redlicher Güte hätte vermeiden können. Wahrlich, wenn Ihr es recht bedenkt, wie Ihr gegen mich und meinen Sohn, selbst gegen Eure Gattin und Tochter gehandelt habt, so könnt Ihr Euch die begangene Sünde nicht vergeben. Ich aber sage es aufrichtig, damit Ihr mich nicht für falsch halten mögt, zur alten Liebe und Freundschaft kann's nicht wieder unter uns kommen. Der Freund hat in unsern Augen den besten Werth verloren, wenn er unserer Verzeihung bedarf. Ihr habt Lust, König zu werden, nun, ich wünsche Euch Glück dazu, aber, aber« …
Luther sagte nichts weiter und ging fort.
Als die Fürsten und auch der Erzbischof von Magdeburg zu Frose in dem Saale waren, um sich über die Königswahl zu entscheiden, und die Augen Vieler schon auf Eckard gerichtet waren, da erhob sich Luther von seinem Sitze und sprach also:
»Übereilt Euch nicht, Ihr Herrn, in Eurer Wahl, seyd langsam und vorsichtig. Ihr müßt es wissen, wie wichtig es für's Reich ist, daß ein rechter König das Scepter führt. Hier kommt es auf die Person an und nicht auf unsere Neigung. Keine Art der Bestechung soll gelten. Habt Ihr denn gar nicht an den Herzog Heinrich gedacht? Er stammt aus einem Hause, das seit achtzig Jahren den Thron besessen hat, er ist starken. Geistes und kräftigen Gemüths. Soll keine Rücksicht auf ihn genommen werden? So Mancher will nur König werden, damit sein Hochmuth auf eine Weile gesättigt werde; wer aber aus einer Leidenschaft nach solcher Würde strebt, der wird ein schlechtes Oberhaupt. Für die Wahl, die wir treffen, sind wir Millionen verantwortlich. Durch einen Eid verpflichtet Euch, Niemanden eher Eure Stimme zu geben, als bis wir uns zu dem allgemeinen, ausgeschriebenen Reichstage in Werle versammelt haben. Das sage ich noch: wer seinem besten Freunde nicht Wort hält, wer sein Versprechen für eine Lockspeise bricht, die ihm vom Hochmuth dargeboten wird, dem geb' ich meine Stimme nie, nie, er kann kein guter König seyn.« --
Eckard, vom Zorn entflammt, seine sichere Hoffnung vereitelt zu sehen, sprang auf und donnerte Luthern an:
»Redet, meint Ihr mich?« --
»Nur gemach, Herr Markgraf, Ihr wollt ein König werden und könnt so in Wuth gerathen? Ein Solcher ist kein König für uns, dem weise Ruhe geziemt. Ja, ja, eben Euch meine ich. Habt Ihr mir das heilige Versprechen, meinen Sohn mit Eurer Tochter zu vermählen, nicht gebrochen? Erntet Ihr nicht den Lohn für Euern Wankelmuth? Eure Tochter laßt Ihr schmachten in der Gefangenschaft. Hört, sie ist meines Sohnes Weib, Ihr müßt sie frei machen.« --
»Ich! Ich nie!«
Es wäre vielleicht zu blutigen Auftritten, gekommen, wenn sich die Fürsten nicht ins Mittel schlugen, um die Ruhe zu erhalten. Der edle Bernhard von Weimar, welcher es Luthern durchaus nicht verargte, daß er so gegen seinen Schwager auftrat, da er's wußte, daß er ein schwer Beleidigter war, der es im Herzen mißbilligte, daß Eckard sich aus Hochmuth zu unverzeihlichen Mißgriffen verleiten ließ, stand auf, nahte sich Luthern, faßte ihn mit freundlichem Gesicht der Hand und sagte:
»Markgraf, Ihr müßt Eure Hitze mäßigen. Das Schwert soll unter Fürsten nie entscheiden. Ist Eure Sache eine gerechte, so wird sie nicht untergehen. Laßt das halbgezogene Schwert in die Scheide zurückfallen, wenn Euch an meiner Achtung was liegt, und stört den Frieden nicht.« --
»Wenn ein Mann zu mir redet, wie Ihr einer seyd,« entgegnete Luther, »so gilt mir sein Wort so viel, wie Gottes Stimme. Beleidigt mich Euer Schwager weiter nicht, wenn ich die Wahrheit rede, so soll's zu keiner Fehde kommen.«
Luther wußte es durchzusetzen, daß es in Frose zu der Königswahl nicht kam, und daß man sie bis zu dem anberaumten Reichstage in Werle verschob. Eckard machte mancherlei Versuche, und that nicht unwichtige Versprechungen, um Luthern für sich günstig zu stimmen; aber er erreichte seinen Zweck nicht, und dieser ließ ihm sagen: er hätte sich früher um das vierte Rad am Wagen bekümmern müssen.
Als Eckard in Werle wohl merkte, daß gleichsam eine Verschwörung unter den Fürsten gegen ihn angesponnen war, die nichts anders bezweckte, als daß er nicht zum König gewählt werden sollte, da brach er in zorniges Ungestüm aus und machte sich durch ehrenrührige und beleidigende Ausfälle allen Anwesenden im höchsten Grade verhaßt. Er stürzte gleichsam aus der Versammlung, da er endlich selbst zu fürchten schien, man werde solch ein ungeziemendes Betragen rächen. --
Luther sagte, als Eckard mit lautem Geräusch die Thür zugeschlagen hatte, im höhnischen Ton:
»Nun, habt Ihr noch Lust, einen Mann zum Könige zu erwählen, der sich nicht selbst beherrschen kann? Wehe dem Lande, das von einem solchen Herrscher regiert wird!« …
Es waren Alle einstimmig, daß man Eckarden die Krone nicht ertheilen könne.
Eckard hatte sich durch seine beleidigenden Reden die meisten Fürsten zu Feinden gemacht und mußte ihre Rache fürchten. Die Gefahr, die ihm selbst auf seiner Reise drohte, blieb ihm nicht unbekannt. Er glaubte, als er über Hildesheim und Paderborn gegangen war, bei dem Graf Siegfried von Nordheim so lange Sicherheit zu finden, bis der Sturm, der ihm drohte, vorüber sey.
Als er einst allein war, kam die Gräfin Adelheid zu ihm und sagte: sie wisse es ganz gewiß, daß Feinde auf ihn lauerten, die ihm vielleicht gar nach dem Leben trachteten. Er möge auf seiner Hut seyn. Nur auf dem sichersten Wege könne er seine Reise fortsetzen.
Durch diese Warnung scheu gemacht, reiste er, von einem Boten begleitet, in finstrer Nacht ab; aber dieser Bote verrieth den Stiefsöhnen Adelheids, Siegfried und Bruno, und ihren Brüdern, Heinrich und Otto, den Weg, den er nahm. Am folgenden Morgen setzten sie dem Markgraf nach, erreichten ihn vor Pölde, zwischen Nordhausen und Nordheim, begannen einen Kampf auf Leben und Tod, und -- ermordeten ihn. So endete der hochmüthige Mann, der um anderer Eigenschaften willen, unter dir Zahl der guten Fürsten zu rechnen ist.
Mit Schreck und tiefer Trauer erhielt Schwanehilde die Todesnachricht, daß ihr Gemahl unterwegs gemordet sey. Jetzt vergaß sie das Unrecht, zu dem er sich durch seinen ungezügelten Stolz verleiten ließ, und nur seine Liebe, seine Treue, seine Zärtlichkeit schwebten ihr vor Augen. Sie sank halb ohnmächtig auf ihre Knie nieder, betete laut und sprach:
»Herr, du hast mir An schweres Kreuz aufgelegt, hilf mir's tragen. Führe mich nicht in Versuchung, daß ich gegen dich murre. Bleibst du nicht mein Trost, so werde ich vergehen in meinem Elende.«
Als sie sich von den ersten Erschütterungen des heftigsten Schmerzes erholt hatte, schrieb sie einen Brief an die Äbtissin nach Quedlinburg, in dem es hieß:
»Einer unglücklichen Wittwe, die durch grausamen Mord ihren Gatten verlor, werdet Ihr die Tochter nicht länger vorenthalten und so ihr Leid vergrößern. Soll ich denn von Euch glauben, daß auch die kleinste Spur von Erbarmen in Euerm Herzen nicht zu finden ist? Otto, für den Ihr ungerechter Weise Luitgard gefangen hieltet, ist gestorben. Ihr seyd also an Eure Pflicht nicht mehr gebunden. Zögert Ihr aber länger mit der Freilassung Luitgards, so werde ich Euch bei dem Reiche und den Fürsten verklagen müssen.«
Darauf ertheilte die Äbtissin den kurzen Bescheid:
»Eigenmächtig handele ich nicht. Erhalte ich von dem neuen Könige den Befehl, Euch Luitgard auszuliefern, so halte ich sie keinen Augenblick länger zurück. Die Nachricht vom Tode ihres Vaters, den auch ich betrauere, soll ihr hier nicht mitgetheilt werden, damit sie nicht erschüttert wird. Sie befindet sich wohl, so weit sie es unter ihren Umständen seyn kann; denn es verräth sich schon, daß sie die unkeusche Frucht einer verbotenen Liebe unter den Herzen trägt. Behelligt mich mit keiner Bitte mehr, ich kann sie nicht erfüllen, und wartet die Wahl eines neuen Königs ab.«
Der grausame Mord Eckards war auch nach Salzwedel erschollen. Als Werner davon hörte, rief er aus:
»Weise Vorsicht, ich preise deine allmächtige Güte! Welches Hinderniß einer unzertrennlichen Verbindung mit Luitgard stünde mir noch im Wege!« …
Er wollte nach Quedlinburg eilen, um sie sich von der Äbtissin zu erbitten. Durch triftige Gründe ließ er sich bereden, daß er zuvor seine Mutter nach Wien begleitete, die die leidende Schwanehilde trösten wollte. Die Größe des Verlustes stand Schwanehilde hell vor Augen, als Godila und Werner vor ihr erschienen. Die Freundinnen fielen einander in die Arme und Godila sagte:
»Ich verlasse Dich nicht eher wieder, bis es in Deinem Gemüthe ruhiger geworden ist. Der feste Glaube an Gott und die Zeit hat Balsam für die tiefsten Wunden.«
Nach einigen Stunden zeigte Schwanehilde den Brief vor, den sie von der Äbtissin erhalten hatte, und der Inhalt desselben schlug in Werner auch die Lust nieder, die Reise nach Quedlinburg zu machen.
Der Herzog Heinrich von Bayern erfuhr es unterdeß wohl, daß es der Markgraf Luther war, der die Wahl Eckards hintertrieb, daß er nicht König wurde, ja, es wurde ihm sogar gesagt, wie lebhaft sich derselbe Luther für ihn verwandte. Dafür wußte er ihm Dank und sann auf eine angemessene Belohnung, wenn er die Königskrone empfing.
Fürsten und Bischöfe hatten sich an einem bestimmten Tage in Merseburg versammelt, um die Königswahl feierlich zu vollziehen. Früher waren schon Alle einstimmig, daß sie auf den Herzog Heinrich von Baiern fallen sollte. Der Markgraf Luther trug zu dieser Wahl ohnstreitig das Meiste bei. An dem Tage seiner Ankunft wurde Heinrich zum Könige gewählt.
Werner hatte seinen Vater absichtlich nach Merseburg begleitet und hier hoffte er mit Gewißheit die günstige Entscheidung seines Schicksals. Er wurde, als die Königswahl vorüber war, mit zur Tafel geladen, wo es sehr hoch und lustig zugleich herging. Werner konnte zu der Freude, die in der Gesellschaft herrschte, nicht kommen, weil der Gedanke an Luitgard ihn beunruhigte und weil er nicht gewiß war, was ihm Heinrich auf seinen Antrag um ihre Befreiung erwiedern werde. Sein stilles, fast niedergeschlagenes Wesen, da er sonst in jugendlicher Heiterkeit aufbrauste, fiel sehr auf, man durfte aber nicht nach der Ursache seiner Niedergeschlagenheit fragen, da sie Allen bekannt war.
»Werner,« redete ihn der Herzog Bernhard an, »seyd nicht mehr traurig, Euer Schicksal hat sich günstig gewendet, was Ihr begehret, wird Euch der König gewähren. Ich selbst will ein gutes Wort für Euch einlegen und, nun stört mich nicht durch Eure Trauer.« --
»Herzog, Ihr seyd gütig und wär's auf Euch angekommen, so wäre Luitgard Otto's Braut, des schwächlichen Italieners, nie geworden; aber bedenkt, ich habe Feinde, die mir zu schaden suchen, wo sie's können. Ein König ist doch auch nur ein schwacher Mensch, der nachgiebt, wenn ihm die Lüge als Wahrheit dargestellt wird. Er will's auch wohl mit seiner Verwandtin, der Äbtissin, nicht verderben.« --
»Ihr fürchtet zu viel und hofft zu wenig. Denkt an mich, ehe die Sonne viermal aufgeht, ruht Luitgard an Eurer Brust. Und träte dann der Fall ein, daß man Eure Wiedervereinigung verzögern oder verhindern wollte, so stehe ich Euch mit meiner ganzen Macht bei. Die baldige Rettung der Tochter aus der Gefangenschaft bin ich meiner unglücklichen Schwester schuldig.«
»Was redet Ihr da so ernst und eifrig mit dem Sohn des Markgrafen Luther,« fragte der Erzbischof Gieseler von Magdeburg, der nicht weit von Bernhard saß, »als ob Ihr die wichtigste Sache mit ihm zu verhandeln hättet?« --
»Nun, unwichtig ist die Sache auch nicht. Ihr geistlichen Herren wißt es nicht, wie lieb dem Gatten seine Gattin ist und wie schmerzlich er leidet, wenn sie von ihm gerissen und in Gefangenschaft gehalten wird. Es war die Rede von Luitgard und ihrer Befreiung.« --
»Ehe der König an ihre Loslassung denken und sie befehlen kann,« sagte der Erzbischof, »müssen noch viele Hindernisse beseitigt werden. Durfte Werner die verlobte Braut des Kaisers entführen? Beging er nicht eine üble That, daß er die geweihte Wohnung einer Äbtissin nicht respektirte? Daß er sich eines listigen Bubens bediente, der sich für einen Erzbischof ausgab, um seinen unerlaubten Zweck zu erreichen? Hatte denn der Vater in seine Heirath mit Luitgard gewilligt? Welche Antwort kann man auf die Fragen geben! Sollten solche Vergehungen nicht nach dem Gesetze geahndet werden, wer könnte dann im deutschen Reiche noch sicher und unangetastet leben!«
Werner hatte jedes Wort verstanden, was der Erzbischof sagte und der Zorn, den er nicht bändigen konnte, ließ ihn also reden:
»Ihr habt einst meinen Vater beim Kaiser angeschwärzt, Eure böse Zunge wollte ihn stürzen, nun, daß Euch nicht gelungen ist, wollt Ihr es Rache an dem Sohn nehmen. Was habe ich Euch gethan, daß Ihr so feindlich gegen mich auftretet! Wahrlich mein Arm müßte erlahmt seyn, wenn er nicht gegen den das Schwert zöge, der sich der Verbindung mit meiner Gattin in den Weg stellt. Die Liebe sollt Ihr verkünden und wollt nur Unheil stiften! Ihr solltet zu Eurer Ehre lieber schweigen, als daß Ihr solche lästerliche Reden führt. Habt Ihr den Herzog Bernhard nicht gehört? Ein Priester ist er nicht, aber ein zehnfach frömmerer Mann als Ihr.«
Der Erzbischof war betroffen, fürchtete den augenblicklichen, aufbrausenden und in Thätigkeit übergehenden Zorn eines Jünglings, der so verwegen reden konnte und auf seine hohe Würde gar keine Rücksicht nahm. Zornig wandte er sein Gesicht von Werner weg, biß sich in der Wuth auf die Lippen und sprach kein Wort, da er vorher bei guter Laune und sehr gesprächig gewesen war.
»Erzbischof,« fragte der König, »Ihr seyd ja plötzlich so still, als ob Euch Leides begegnet wäre, oder fühlt Ihr Euch unwohl?« --
»Je, da ist der Sohn des Markgrafen Luther,« sagte der Erzbischof, »der wirft mit verwegenen Worten um sich, als ob Jeder seines Gleichen wäre. Stopft ihm das Maul, sonst muß ich von der Tafel gehen.« --
»Wie aber kann ich ihm das Maul stopfen, da ich nicht weiß, was er Ungeziemendes geredet hat.«
Als der Erzbischof das Gespräch mittheilen wollte, stand der Herzog Bernhard auf und sagte mit lauter Stimme:
»Laßt mich sprechen, ich rede unpartheiisch.«
Wort für Wort, so gut es sein Gedächtniß behalten hatte, erzählte er das Gespräch, was zwischen dem Erzbischof und Werner statt fand und fällte hinterher sein Urtheil, dem alle Fürsten beistimmten. Jetzt nahm der König das Wort und sprach:
»Ein Freudenfest soll Niemand durch einen Streit stören, doch, da er entstanden ist, will ich die Sache, die ihn veranlaßte, als neuerwählter König schlichten. Werner, Ihr habt des Erzbischofs Würde verletzt und nicht den Rang bedacht, den er nicht bei Menschen allein, sondern auch vor Gott behauptet. Doch es geschah in der Hitze und Übereilung. Mit dem Beispiele, dem Beleidiger zu verzeihen und wenn es siebenmal siebzigmal geschehen müßte, geht uns der Erzbischof voran. Daß aber ein Gatte nach seiner Gattin verlangt, die von ihm getrennt lebt, das finden wir Weltleute natürlich. Wird sie sogar ohne Grund und Ursache gefangen gehalten, so kann er ihre Loslassung fordern und wer sie ihm verweigert, den muß er für ungerecht und grausam achten. Erzbischof, davon habt Ihr kein Gefühl, weil Euch die Erfahrung fehlt. Luitgard soll nicht länger leiden, was hat sie denn verbrochen, daß sie gepeinigt wird? Eckard versündigte sich an ihr, daß er sie zwang, ihrer Neigung zuwider, Otto'n das Jawort zu geben und Otto'n bethörte die Leidenschaft, sonst hätt' er sie nicht zu der seinen erkohren, da er wußte, wie sie Wernern mit ganzer Seele liebte und ihm von zarter Kindheit an, angehörte. Ja, Werner, morgen empfangt Ihr den geschriebenen Befehl an die Äbtissin, mit der Bedrohung meiner ganzen Ungnade, wenn sie Luitgard Euern Händen nicht überliefert. Erzbischof, laßt Euch diese Entscheidung gefallen, sie ist menschlich und gerecht. Auf wessen Seite Ihr in Frose standet und wem Ihr bei der Wahl zum König, Eure Stimme gabt, das weiß ich auch, drum bitt' ich Euch, daß Ihr nur nicht glaubt, ich habe aus Rache wider Euch für Markgraf Luthers Sohn so günstig entschieden. Gefällt mein Urtheilsspruch Euch, Ihr Herrn und Fürsten, so sprecht Ja.«
Und Alle sprachen ja. …
»Wo so viele Stimmen für eine Sache reden,« sagte der König, »da dürft und könnt Ihr nicht widersprechen.«
Werner hatte seinen Sitz verlassen, er war zum König gegangen, verneigte sich tief und sagte:
»Mir habt Ihr den ersten Beweis Eurer königlichen Gnade gegeben, ich danke Euch dafür, wie da redlichste Herz nur immer danken kann.« --
»Dankt nicht, ich glaube, daß ich nicht anders handeln konnte, wenn ich gerecht seyn wollte.« …
Luther hob den Becher in die Höhe und rief mit jubilirender Stimme: »Hoch lebe unser König!« und alle riefen nach: »Er lebe hoch!«
Der Erzbischof beherrschte seinen innern Verdruß, er stimmte mit in die allgemeine Freude ein, aber den König, Luthern und Wernern konnte er nicht ohne Zorn ansehn.
Am folgenden Morgen ließ sich Werner bei dem König melden und bat um den Befehl an die Äbtissin in Quedlinburg. Er wurde sogleich abgefaßt und Heinrich überreichte ihn Wernern mit den Worten:
»Die Äbtissin wird Euch Eure Luitgard herausgeben, das hoffe ich ganz gewiß; aber enthaltet Euch jedes harten Worts gegen sie auch dann, wenn sie Euch die rauhe Seite zukehren sollte. Eine Unart, die Ihr Euch in der Hitze gegen sie erlaubt, muß ich ahnden. Bedenkt, sie hat volle Ursache, auf Euch zu zürnen und wenn sie Euch das fühlen laßt, Ihr könnt ihr's nicht verargen.«
Werner dankte nochmals und reiste in derselben Stunde, in der er den Befehl empfangen hatte, nach Quedlinburg, mit dem Gefolge seines Vaters, ab. Kleine Besorgnisse, die ihm einfielen, konnte die Macht seiner Freude, nun mit Luitgard in unzertrennlicher Liebe zu leben, nicht schwächen.
Er kam vor dem Thore des Schlosses an, ließ sich melden, wurde aber nicht eingelassen, ob er der Äbtissin auch sagen ließ, daß er der Überbringer eines Befehls des Königs an sie sey. Sie ließ ihm mündlich wieder sagen: dem Befehl des Königs werde sie gehorsamen, da sie dadurch von einer ihr schon lange lästigen Bürde befreit werde. Er müsse aber noch eine Stunde verziehen, ehe sie ihm seine Beischläferin überliefern könne. Die Bestrafung seiner Frevel, die er zunächst an ihr begangen hatte, behalte sie sich vor, Wenn der neue König mehr als gütig gegen ihn sich bezeige, so werde er gegen sie auch nicht ungerecht seyn.
Schrecklich lange dauerte die Stunde, die ihm die Äbtissin zum Warten gesetzt hatte, Seine Begleiter mußten die Schwerter gezogen halten, weil er fürchtete, die rachsüchtige Frau werde einen Gewaltstreich an ihm vollziehn. Endlich öffnete sich die Pforte und Luitgard trat heraus. Werner sprang vom Rosse und umarmte seine Gattin mit aller Inbrunst des Herzens.
»Deine Wange ist kalt und feucht,« sagte Werner, »ist Dir Böses begegnet?« --
»Laß nur, laß nur,« sagte sie mit matter Stimme, »die Lehre Jesu gebeut: Überwindet das Böse mit Gutem. Die Äbtissin hielt mir beim Abschiede eine Strafpredigt, die mich bis zur Erde niederbeugte. Wie aber kam: ich denn zur Freiheit?«
Werner bat Luitgard, daß sie in aller Eil ein Roß bestieg und so ritten sie davon.
»Reiten wir nicht nach Meißen, zur unglücklichen Mutter?« fragte Luitgard, »sie bedarf zuerst des Trostes.« …
Werner hatte nichts dagegen und gewährte dem Kindesherzen die Ausübung einer heiligen Pflicht. Dann erzählte er ihr die Art und Weise, wie sie ihre Freiheit wieder erhielt. --
Plötzlich sagte sie, als ob sie ein Schreck überfiel:
»Ist der Vater noch in Italien oder in Meißen? Wie wird der mich anblicken, wenn er in Meißen ist! Ich fürchte mich vor ihm. Laß uns umkehren.« --
»Luitgard, Du darfst Dich nicht mehr vor ihm fürchten, auf Erden ist er nicht mehr, er ist dort, wo jeder Fürst und Mensch seinen Lohn empfängt, nachdem er gehandelt hat.« --
»Mein Vater tod,« rief Luitgard voll Schmerz aus, »tod mein Vater?« --
»Ja, er ist gestorben. Das Unabänderliche, was vom Himmel kömmt, und wenn's noch so wehe thut, das muß ein Christ mit Ruhe ertragen.«
Die Nachricht vom Tode des Vaters erschütterte Luitgard so gewaltig, daß sie laut zu weinen anfing. Nach einer Weile sagte sie:
»Ach, welche Wechsel hat das Menschenleben! Bald weint der Mensch Freuden- bald Schmerzensthränen! Ach, er war mein lieber, lieber Vater! Nur in der letzten Zeit, wo ihn der Hochmuth blendete, war er zu hart mit mir. Unzählbare Wohlthaten verdanke ich ihm! Auf seinen Armen trug er mich, an seinem Herzen ruhte ich sanft. Seine Seligkeit sey eine herrliche. So geht ihr von uns, ihr theuersten Freunde und bald folgen wir euch nach!«
Die grausame Art, wie Eckard sein Lehen verlor, verschwieg ihr Werner.
So schwer die Trauer auch war, die Schwanehilden über den Verlust ihres Gemahls niederdrückte, ihr ganzes Wesen erhob sich doch zur innigsten Freude, als sie ihre Luitgard, an Werners Seite erblickte.
»Der Himmel schlägt Wunden, aber er heilt sie auch wieder,« sagte die Markgräfin. »Menschen wollten es böse machen, Gott aber hat es gut gemacht.«
Als Luitgard von der Mutter die gewaltsame Todesart ihres Vaters erfuhr, da brach sie in neues Wehklagen aus.
Unzertrennlich blieb auf eine geraume Zeit die Tochter bei der Mutter und Werner wich nicht von ihrer Seite. Die finstern Wolken des Kummers und Grams verschwanden nach und nach und es wurde am Lebenshimmel heiterer. Wer mag das Glück schildern, was Werner und Luitgard empfanden, daß sie, nach so vielen Stürmen, ruhig und sicher bei einander lebten!
Der Markgraf Luther stellte ein großes Freudenfest an, wozu Freunde aus der Nähe und Ferne geladen wurden; um dir glückliche Umwandlung des Schicksals seines Sohns zu feiern, und das wurde zugleich sein Todtenfest. Von zu starkem, einige sagen mit Gift angefülltem Getränk berauscht, endete er, zum Schmerz aller Anwesenden, sein Leben.
Aus Achtung für die Verdienste des Vaters und bewogen durch ein Geldgeschenk von zweihundert Mark, welche Godila in den königlichen Schatz legte, erwählte König Heinrich II. Wernern zum nördlichen Markgrafen.
Die größte Schwäche in dem Charakter des Königs war die übertriebene Freigebigkeit gegen die Geistlichen, die im höchsten Grade unverschämt in ihren Forderungen waren. Gegen sie, die er als Diener Gottes und Austheiler der Seligkeit betrachtete, hatte er eine abergläubische Ehrfurcht. Es beunruhigte sein Gewissen gar sehr, daß er gerecht gegen den Erzbischof Gieseler von Magdeburg in Merseburg auftrat und er suchte seine Huld wieder zu gewinnen. In dieser Absicht schenkte man ihm die Stadt Arneburg. Werner glaubte ein näheres Recht an dieser Stadt zu haben, da sie in seiner Mark lag, und überdies einem seiner Verwandten gehört hatte. Laut gab er sein Mißfallen darüber zu erkennen und nannte den König ungerecht und einen Pfaffenknecht.
Das hörte Graf Dedo von Wettin, der sich die Gunst Heinrichs zu erschmeicheln verstand und in hoher Gunst bei ihm war. Da er Wernern haßte, den er unglücklich machen wollte, schwärzte er ihn beim König an. Dedo's Feindschaft ging weiter. Aus Besorgniß vielleicht, daß sich der Zorn des Königs legen und Werner ungestraft bleiben werde, wollte er ihm doch einen empfindlichen Schaden zufügen. Er ließ Wollmirstedt, eine zu Werners Erbgütern gehörige Stadt, in Brand stecken.
Nun hielt sich Werners Zorn nicht länger, der es kurz nachher erfuhr, daß es der falsche Dedo war, der ihn an die Räuber verrieth, und er sann auf blutige Rache. Mit zwanzig Kriegsleuten und seinem Vetter Friedrich von Walbeck zog er aus, da er erfahren hatte, daß Dedo in Tangermünde sey, und lauerte ihm in dickem Gebüsch an der Straße von Magdeburg auf. Dedo kam, und ob er gleich ein Gefolge von vierzig Bewaffneten bei sich hatte, griff ihn Werner hitzig an und opferte ihn seiner Rache.
Dieser Mord des königlichen Lieblings zog ihm Heinrichs völlige Ungnade zu. Er wurde seiner Würde entsetzt und in die Acht erklärt. Nur durch große Geldsummen erlangte er die Befreiung von der Acht, und die Wiederaufnahme zum deutschen Reichsgliede.
Alle diese Stürme störten doch den Frieden und das Glück der Liebe nicht, was er an der Seite seiner unvergleichlichen Luitgard genoß. Sie war der ihm von Gott zugesellte Engel, der alle Bitterkeiten des Lebens versüßte, der seine Seele ruhig sprach und ihm die Falten des Verdrusses von der Stirn wischte. Er kannte die Liebe, die Tugend seiner Gemahlin, ehrte sie, wie eine Heilige und trug sie auf Händen. Etwa neun Jahr lebte er mit ihr in einer musterhaften Ehe, als sie ihm der Tod, der die Bande der Liebe und Freundschaft auflöset, von der Seite riß.
Ende des letzten Bandes.
Blankenburg,
gedruckt bei E. W. Kircher.