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Als der Termin vorüber war, den der große Teufel dem Markgraf Luther gesetzt hatte, an welchem er ihm seinen Sohn unverletzt überliefern wollte, kam, statt dessen, ein Schreiben an, in dem es also lautete:
»Seyd meinetwegen unbesorgt, die Freiheit abgerechnet, auf die ich verzichten muß, hat man mir in meiner Gefangenschaft keine böse Miene gemacht. Noch möchte eine Woche hingehn, ehe ich zu Euch kommen kann; aber daß ich noch hier bleibe, das ist nicht Günzels Schuld, der Allmächtige will es so.
Werner.«
Das Schreiben war von einer fremden Hand abgefaßt, die Unterschrift allein war von dem Sohne, und Godila wollte bemerken, die Züge wären mit zitternder Hand geschrieben. Es entstanden allerlei Fragen, warum sich Werner länger unter den Räubern aufhielt und welches Hinderniß ihm der Allmächtige in den Weg legte, daß er noch nicht erschien.
Der Markgraf fuhr endlich mit der Vermuthung hervor:
»Er lebte in der Einsamkeit, von rohen, gesetzlosen Räubern umgeben; hätte ihm gar die schöne Boja, die uns der Graf von Wettin, wie eine der Feen schilderte, die Fesseln der Liebe angelegt? Wer weiß, wie liebkosend und freundlich sie ihn umgab, um den schönen Jüngling in ihr Netz zu locken! Wenn er aus Neigung und zum Dank sich mit einem Räubermädchen verbinden wollte, da entstünde ja zwischen mir und dem großen Teufel eine ehrenvolle Verwandtschaft!«
»Wie viel Arges und Thörichtes könnt Ihr doch von Eurem Geschlechte denken,« sagte Godila recht unwillig. »Kennst Du Deinen Sohn so wenig, daß er sich so weit vergessen könnte, und, um der schönen Boja willen, seiner Luitgard untreu werden? Fester glaube ich an seine Redlichkeit und Tugend. Er befindet sich in einer Lage, wo die zärtliche Neigung zu seinem Herzen gewiß keinen Zugang finden kann. Wenn er nur nicht hart darnieder liegt und dies das Hinderniß ist, wodurch ihn der Allmächtige länger von uns trennt. Wer weiß, wer diese Zeilen schrieb und ob er nicht gezwungen wurde, seinen Namen zu unterzeichnen. Die Angst, die mich martert, ist groß, ich fürchte allerlei Unglück.« --
»Und was nützt das Fürchten?« sagte der Markgraf. »Harre geduldig aus, wo Du Dir die Noth nicht vom Halse werfen kannst.«
Um seine Gattin zu beruhigen, schickte der Markgraf zwei gerüstete Männer mit einem ansehnlichen Geschenke an Günzel von Kuhberg nach dem Walde und hieß ihn bitten, seinem Sohn, wie er es versprochen hätte, die Freiheit wieder zu schenken, oder ihm gültige Gründe anzuführen, weshalb derselbe nicht käme. Thäte er Wernern Zwang und Gewalt an, so werde er seine ganze gewaffnete Macht aufbieten, seine Rotte zu zerstören, und wehe dann ihm, wenn er in seine Hände fiele.
Nach zwei Tagen kamen die Abgeschickten wieder und meldeten dem Markgraf:
»Als wir etwa zwei Stunden in dem Walde geritten waren und es nicht wußten, welchen Weg wir nehmen sollten, um unsern Auftrag auszurichten, ritten wie querfeldein in das Gebüsch. Auf einmal wurden wir von acht Räubern überfallen. Als wir meldeten, wir wären vom Markgraf abgesandt, um ihrem Oberhaupte eine wichtige Nachricht zu melden, da führten sie uns, indem wir von den Rossen steigen mußten und sie uns die Augen verbunden hatten, auf einen großen Platz, der von mehrern Hütten, aus Laube geflochten, bedeckt war. In eine dieser Hütten wurden wir geführt und scharf bewacht.
Uns reichte man Essen und Trinken in Überfluß und von unsern Rossen sagte man, daß sie in guter Verwahrung wären und reichliches Futter hätten. Es hieß, daß Günzel ausgezogen sey und vor dem andern Morgen nicht wieder kommen werde. Vor Sonnenaufgang entstand ein immer lauter werdendes Getöse auf dem Platze, Waffengelärm und Sprechen von vielen Männerstimmen. Schon einige Stunden war die Sonne am Himmel, als ein großer, riesenmäßiger Mann, noch in gutem Alter, in glänzender Rüstung in die Hütte trat und sagte: Ihr kommt vom Markgraf Luther. Entledigt euch eures Auftrags. Es war der große Teufel selbst. Wir sagten ihm jedes Wort wieder, was ihr uns, ihm zu sagen, befohlen hattet.
Schweigend lächelte er ein Weilchen und sprach dann: ›Der Markgraf muß meine Macht schlecht kennen, wenn er sich einbildet, daß ich mich vor seinen Gewaffneten fürchte. Mit dieser Drohung richtet er nichts aus. Er hüte sich, daß er nicht in meine Gewalt fällt. Aber dem Vaterherzen, das sich nach dem Sohne sehnt, will ich diese Sprache verzeihen. Mein Wort hätt' ich gehalten und ihm Wernern an dem festgesetzten Tage geschickt, wenn er nicht in eine Krankheit verfallen wäre, die ihm das Reisen unmöglich machte. Er blieb aus freiem Willen länger hier. Jetzt ist er auf dem Wege der Genesung. Sobald ihm der Arzt das Reisen erlaubt, kömmt er in Salzwedel an.‹
Als wir ihm von Euch das Geldgeschenk überreichen wollten, schob er's mit den Worten zurück: ›Der Markgraf weiß es ja; daß ich kein Lösegeld verlange. Ich nehme nichts von ihm an. Sind ihm aber einige tausend Goldgülden nöthig, so will ich sie ihm auf ein Jahr leihen, dann ist meine Rolle ausgespielt, mein Krieg, den ich mit den reichen Geizhälsen, den Betrügern und den räuberischen Rittern führe, hört auf, und ich lebe dann mit aller Welt in Frieden. Damit der Markgraf nicht zweifelt, daß ich die Wahrheit von seinem Sohn sage, mögt Ihr ihn selber sehen und sprechen. Kommt und folget mir.‹
Wir folgten ihm. Er führte uns nach einer großen, dichtgebauten Laube. Da lag Werner auf einem reinen, weichen Lager, mit erblaßtem Gesicht, neben ihm saßen zwei Frauen, vornehm gekleidet, und eine Jungfrau von wunderbarer Schönheit, die ein junger Ritter in den Armen hielt.
Freundlich und heiter wurde Werners Miene, als er uns erkannte. Er fragte nach Euch, der Markgräfin und nach Luitgard. Von der Letztern konnten wir ihm keinen Bescheid geben.
›Wenn Ihr zurück zu meinem Vater kommt,‹ sprach er, ›so meldet es ihm, daß es mir, während meiner Gefangenschaft, deren Härte mich sehr drückte, so erging, als ob ich unter meinen besten Freunden wäre. Güte und Liebe hat mich in meiner schweren Krankheit gepflegt. Bei meinem Leben beschwör' ich den Markgraf, daß er nichts Feindliches wider Günzel unternimmt, dem ich Dank schuldig bin. Sobald ich mich stark genug fühle, komme ich, und keine Gewalt hält mich zur. Das sagt den Eltern und verweilt Euch länger nicht.
Ehe die Nacht eintrat, durften wir die Laube nicht verlassen; und ein Führer brachte uns auf den rechten Weg.«
Zur Beruhigung seiner Gemahlin theilte ihr der Markgraf diese sichere Nachricht mit.
Werner hatte die Wahrheit geredet, wenn er durch die Abgesandten seines Vaters ihm diesen Bescheid mittheilen ließ, der für die Behandlung, die er von Günzeln und dessen Gattin und Tochter erfuhr, so rühmlich sprach. Hätte er die Trennung von Luitgard, und daß er gar nichts von ihr erfuhr, ruhiger ertragen können, so würde er sich im dem Räuberstaate, der ihm viel Unterhaltendes und Lehrreiches darbot, so übel nicht gefühlt haben.
Er sah eine muthige Männerschaar, die in jedem Augenblick bereit war, Leben und Freiheit aufzuopfern. Ungehorsam war ein großes Verbrechen. Die Störer der Einigkeit wurden verbannt. Günzel übte strenge Gerechtigkeit, aber er konnte auch großmüthig und gütig seyn. Guten Rath nahm er an, selbst Widerspruch ließ er sich gefallen. Verräther. verschwanden und man wußte nicht, wo sie geblieben waren. Geheime Unternehmungen gegen den Bund, die zu seiner Auflösung führten, wurden mit unerbittlicher Strenge geahndet.
Es herrschte ein munteres, regsames, kräftiges Leben unter der Rotte, und immer war man in der gespanntesten Erwartung. An jedem Tage liefen Nachrichten von den Siegen und Niederlagen, von Gewinn und Verlust ein. Die Bande entschied oft die heftigsten Fehden, die unter den Rittern herrschten. Günzel wurde hoch geachtet, gefürchtet und geliebt, und Niemand sprach von ihm ein beleidigendes Wort.
Er hatte seine Obern, mit denen er zu Rathe saß, seine Klugen, denen er wichtige Geschäfte auftrug. Wo die Gefahr oft am größten war, da stellte er sich an die Spitze. Die größere Zahl der Räuber diente nur zu Werkzeugen, um unter der Anführung Anderer Plane auszuführen. Dreimal hat die Rotte Günzeln, einmal mit Gewalt, zweimal durch Bestechung aus dem Kerker frei gemacht. Die Zahl der Räuber wurde durch Zulauf immer größer, und endlich entstanden Exspectanten. Wo er mit seiner Bande war, da durfte kein Anderer sein Handwerk üben, er ließ ihn aufgreifen und nach dem Gesetz bestrafen. Mehr als einen Ritter sah Werner in Günzels Lager, der mit ihm Verträge abschloß und seine Freundschaft erkaufte.
Wirklich waren es Günzels Gattin und Tochter, zwei Wesen von hoher Liebenswürdigkeit und echt menschlichem Sinne, die einen tiefen Eindruck auf Werners Seele machten. Was die weibliche Güte Sanftes, Weiches, Bescheidenes und Mildes hat, das fand er in ihrem Charakter. Oft zähmten sie Günzels Ungestüm und seine aufbrausende Härte. Sie waren des Umhertreibens seit fünf Jahren müde, und hatten ihn bestimmt, sein gefährliches Geschäft im künftigen Jahre niederzulegen, um von dem Geraubten, das er an geheimen Orten vergraben hatte, in einer Gegend, wo er unbekannt war, in Frieden zu leben.
Wäre Werner mit Luitgard nicht verlobt gewesen, und hätte er's nicht erfahren, daß Hans von Gerken ihr Geliebter war, sein Herz hätte den vielfachen Reizen der schönen Boja nicht widerstehen können. Wenn ihre Mutter ihm in seiner Krankheit, wie einem Sohne, beistand, so pflegte ihn Boja wie eine Schwester. Nächte saß sie bei seinem Lager, da seinem Leben Todesgefahr drohte. Er lernte auch Hans von Gerken kennen, dem er's nicht verdachte, daß er das reizende und zärtliche Räubermädchen zu seiner Braut erkohren hatte. Er und Boja sprachen oft von ihrer Liebe, und sie hörte es gern, wenn Werner von Luitgard redete.
Als er sich endlich so stark fühlte, daß er die Reise nach Salzwedel antreten konnte und an einem Abend von Günzel Abschied nahm, sagte dieser zu ihm:
»Ich habe ein großes Unrecht an Euch begangen, aber Ihr müßt es verzeihen und nicht rächen. Ein Versprechen verführte mich dazu und das Geld hat mich geblendet. Hätte ich Euch früher so gekannt, wie nun, Euern Verräther hätte ich durchbohrt und Euch nicht so lange gefangen gehalten. Braucht Ihr meine Dienste, ich biete sie Euch an, da, wo augenscheinliche Gefahr droht, könnt Ihr sicher darauf rechnen. Bald ziehn wir aus dieser Gegend, nach der Priegnitz, wo wir viel Arbeit, viel Böses gut zu machen finden. Vermöget Euern Vater, nicht unserer Gewalt die seine entgegenzusetzen, der Sieg ist zweifelhaft und kostet Menschenleben. Ein Räuber weiß zu sterben, da der Tod auf die Gefangenschaft folgt. Wir züchtigen manchen Buben, der das Strafgesetz verspottet. Bleibt mir gewogen.« …
Günzel entfernte sich, und Werner sah ihn nicht wieder.
Werner dankte der Gattin des Räubers, sie nahm seinen Dank nicht an, und erwiederte:
»Ein Dienst, den ich Euch aus Pflicht, Mitleid und Liebe erwies, ist reichlich schon vergolten.
»Der schönen Boja standen die Thränen in den Augen, als er von ihr schied. Sie küßte seine Stirn.
»Ihr dürft mich nicht verachten,« sagte sie, »Ihr wißt's, wie hoch die Liebe zum Guten und zu Euch in meinem Herzen angeschrieben steht. Freundlich werdet Ihr mich anblicken, wenn wir uns unter andern Verhältnissen wieder sehen. Hütet Euch, Ihr habt einen bösen Freund, der Euch ins Unglück stürzen mochte. Jetzt nicht, aber später, darf ich Euch seinen Namen nennen. Ein Eid bindet mit die Zunge. Lebt wohl, und seyd Ihr bei Eurer Luitgard glücklich, dann vergeßt auch Boja nicht. Oft werd' ich mit Gerken von Euch reden.« …
Die Thränen rollten ihr über die Wangen, sie riß sich von ihm los, als er reden wollte und -- verschwand.
Ein Wagen, mit weichem Moos ausgelegt und zwei Rossen bespannt, mit einer Wache versehn und einem tüchtigen Führer, stand, als der Abendstern am Himmel funkelte, vor Werners Hütte bereit. Es wandelte seinem dankbaren, menschlichen Gemüthe eine Art von Wehmuth an, als er einen Ort verlassen mußte, wo er gütige, theilnehmende Seelen kennen lernte, die er hier nicht zu finden glaubte. Einer liebenden Neigung, die seiner Liebe zu Luitgard keinen Abbruch that, welche die treffliche Boja in ihm geweckt hatte, gab er sich ohne Schranken hin. Dies unvergleichliche Wesen wünschte er mit Luitgard auf seinem Lebenswege noch einmal zu sehen, um ihm zu danken, das ihm wie ein Engel erschien, welches ihm der Nacht des Todes entführte.
Vieles hatte er gelernt, auch das, daß selbst Räuber groß und edelmüthig handeln und so musterhaft einem Oberhaupte gehorchen können, wie es manche Bürger in einem Staate nicht thun. Diese und ähnliche Vorstellungen, begleitet von wehmüthigen Gefühlen, ließen es zur lebendigen Freude, seine Eltern wieder zu sehen, nicht kommen, und entzogen selbst dem glänzen Gemälde, das ihm seine Phantasie vorzauberte, die hellen Farben.
Mit dem Gedanken an Luitgard vermischte sich immer das Andenken an Boja, und als Jungfrau betrachtet, wußte er's nicht, welcher von Beiden er den Vorzug geben sollte. Bei ruhigem Nachdenken wiederholte er die Worte Günzels, die ihm sehr aufgefallen waren: »Hätt' ich Euch früher so gekannt, wie nun, Euern Verräther hätte ich durchbohrt.« »Hütet Euch,« sagte Boja, Ihr habt einen bösen Freund, der Euch ins Unglück stürzen mochte.« Wer, fragte er sich sinnend, ist der Verräther, wer der böse Freund?
Von der Falschheit und Niederträchtigkeit gewisser Menschen, die um Ehre und Geld das Leben eines Freundes aufopfern, da seine Seele selbst rein von diesen Lasterflecken war, hatte er keine Begriffe. Daß der Graf von Wettin sein Unglücksstifter war und unter der Larve des Wohlwollens, ihm auch, wenn er dafür, nach seiner Forderung, bezahlt wurde, den Dolch in die Brust gestoßen, hätte, das ahnete Werner nicht. Er würde den Verbrecher nie enthüllt haben, wenn er ihm nicht auf eine andere Weise in entblößter Gestalt gezeigt wurde.
Für seine Meinung viel zu früh, hielt der Wagen vor einer hohen Mauer und einem Riesenthore stille.
»Nun steigt aus,« sagte einer seiner Führer, »bis hieher sollten wir Euch bringen und nicht weiter.« --
»Das ist ja nicht Salzwedel!« sagte der junge Markgraf verwundert. »Soll ich hier in ein anderes Gefängniß eingesperrt werden?« --
»So müßt Ihr nicht von Günzel denken,« antwortete der Führer, »der Euch mehr als eine Wohlthat erwiesen hat. Er hält sein Wort und Ihr seyd frei.« --
»Aber wohin habt Ihr mich denn geführt?«
»Ihr haltet hier vor der Burg Rohrberg, der Ritter von Dannenberg wird Euch freundlich empfangen, er ist ein treuer Anhänger Eures Vaters und vorbereitet auf die Erscheinung eines hohen Gastes.« --
»Vor Rohrberg bin ich?«
»Da seyd Ihr.«
Es galt nur ein Wort und das Thor flog auf. Die Burg war auf der einen Seite erleuchtet und der Räuber sagte:
»Seht, Lichter brennen in der Burg, der Herr harret Eurer.«
Der Wagen verschwand jetzt mit den Begleitern und der Thorwart, als das Thor verriegelt war, sagte zu Wernern:
»Es war mir befohlen, die ganze Nacht zu wachen und, wenn es gefordert wurde, sogleich das Thor zu öffnen. Dachte ich doch, der Kaiser selbst wollte den Burgherrn besuchen. Wahrscheinlich seyd Ihr ein Fußbote, der seine Nähe anmeldet.« --
»Ich weiß von keinem Kaiser, führt mich zu Euerm Herrn, dem ich nicht unbekannt bin.«
Als die Burgthür geöffnet wurde, trat Wernern der wohlbeleibte, centnerschwere Ritter entgegen, machte ein befremdendes Gesicht und fragte:
»Seyd Ihr's denn, um den ich die Nacht durchwachen mußte und der meine Leute wach hielt? Wenn ich den verfluchten Günzel nicht fürchtete, ich würde ihm nicht so aufwarten. Ihr müßt bei ihm in hohen Gnaden stehen. Als einen vornehmen Herrn ließ er Euch bei mir anmelden und ich seh's Euch an, Ihr seyd ein ordinairer Mann. Gehört Euch das mächtige Roß, was gestern Abend hier ankam? Vermuthlich habt Ihr's, als eine gute Beute, einem stattlichen Ritter abgenommen.« --
Mit verstellter Stimme sagte Werner:
»Ihr seyd kein freundlicher Wirth und rechnet mir die Beschwerden her, die ich Euch mache. Lieber möcht' ich von Euch gehn! Günzel hat Euch mehr Güte zugetraut, als ich verspüre. Beschaut mich in Euerm Zimmer bei Lichte und sagt es dann, ob Ihr mich auf mehrere Stunden herbergen wollt. Wenn der Tag graut, reite ich weiter.« --
»Nun,« sagte der korpulente Ritter, »so kommt und laßt Euch näher schaun. Viel Bekanntschaft hab ich eben nicht unter den Räubern und -- mag sie auch nicht.«
Die Gattin des Ritters saß mit ihren drei Töchtern in dem Zimmer und sie hatten in der Nacht dem Vater Gesellschaft geleistet. Er erkannte Wernern nur halb und rief aus:
»Bei allen Heiligen, wenn ich nicht irre, so seyd Ihr Werner, unseres Markgrafen Sohn! Nur zu blaß und mager kommt Ihr mir vor und unscheinbar ist Eure Bedeckung.« --
»Ja, ja, ich bin Werner! Dem Tode bin ich so eben entronnen.« --
»Haben Euch die Räuber losgelassen? Gott, wie haben Eure Eltern nach Euch geseufzt! Was mögt Ihr gelitten haben! Die Rotte sollte man in den Abgrund der Hölle begraben, die verfluchte! Was ist das für ein Land, in dem man solche Räuber noch duldet! Welche Schmach thaten sie Euch an!«
»Keine, sie sind so böse nicht, ob ich sie auch nicht gut nennen will. Es giebt Ritter, die gleiches Unheil anrichten, wie sie, und man bestraft sie auch nicht. Doch davon laßt uns nicht reden.«
Die Frau und die Jungfrauen starrten Wernern an, sein Anblick erregte ihr Mitleid und bewegte sie bis zu Thränen, da sie jetzt einen blassen, kränkelnden Jüngling vor sich sahen, den sie nur in frischer, kraftvoller Jugendblüthe gesehen hatten.
Werner merkte ihre Theilnahme, sie that ihm wohl, sie rührte ihn und er sprach:
»Bald werde ich völlig wieder gesund seyn, noch stehe ich auf schwachen Füßen; aber das ist keines Menschen Schuld, der leben und sterben läßt, hat's gethan. Vor meiner Braut möcht' ich jetzt nicht erscheinen, die meinte gar, ich wäre ein Gespenst und sie flöhe vor mir.«
Während Wernern alle nur möglichen Erfrischungen gereicht wurden und man ihn nöthigte, von allen anzunehmen, erzählte er von den Reizen, der Liebenswürdigkeit, der zarten, menschlichen Güte Boja's. Die Aufmerksamkeit der Töchter war aufs höchste gespannt und sie wünschten dies Wunderkind zu sehen.
Der Ritter von Dannenberg gab Wernern vor dem Schlafengehn das Versprechen, daß er ihn mit den Seinen am folgenden Morgen selbst nach Salzwedel begleiten wollte, um die Freude zu sehen, wenn Luther und Godila den langersehnten Sohn wieder umarmten. Werner wollte in aller Frühe wegreiten und nahm das Anerbieten mit Dank an. Aber die Sonne stand schon hoch am Himmel, als er vom süßen Schlaf erwachte. Er fühlte sich sehr gestärkt, zog sich rasch an und eilte in den großen Saal hinab, wo er mehrere Ritterfamilien aus der Nachbarschaft, aus Dähre, Kuhfeld, Dambeck, Wallstawe &c. in größtem Schmucke fand, die ihn begrüßten und ihm Glück wünschten. Sie alle wollten seinen Einzug in Salzwedel zu einem glänzenden machen. Der Ritter von Dannenberg ließ diese Nachbaren einladen, nach Rohrberg zu kommen, wenn sie Wernern, den der große Teufel losgelassen hätte, sehen und ihm das Geleite nach Salzwedel geben wollten.
Ehe man den Zug, der aus mehr als vierzig Personen bestand, antrat, wurde erst gegessen und tapfer auf Werners Gesundheit getrunken, der kaum den vierten Theil eines Bechers leerte. In Salzwedel wußte man nichts von der Loslassung Werners. Der Burgwart meldete also die Ankunft einer großen Schaar zu Roß. Die Zugbrücken wurden aufgezogen, Pfeil- und Bogenschützen auf die Mauer gestellt und alles zu einem feindlichen Angriff vorbereitet.
»Am Ende,« sagte der Markgraf, als große Steine und Balken auf die Mauer geschafft wurden, um die Erstürmer zu zerschmettern, »am Ende ist Alles Trug und List gewesen, was mir Günzel von Kuhberg vorgegaukelt hat und er erdreistet sich, an mir selbst ein Bubenstück zu üben. Wenn er sich an mir vergreift, das soll ihm theuer zu stehen kommen. Nieder mit den Räubern ohn' Erbarmen, aber den großen Teufel bringt mir lebendig, den braten wir in Öl.«
Der Zug bemerkte es, daß man in der Burg auf einen feindlichen Angriff gefaßt war und als er der Mauer näher kam, flogen ihm schon einige Pfeile entgegen.
»Die glauben,« sagte Werner, »wir sind Räuber, Wenden oder sonst Feinde, laßt uns ihnen den Irrthum vertreiben. Ritter von Dannenberg, reitet vor, meldet dem Markgraf, daß sich ihm Freunde nahen; verrathet es aber nicht, daß ich in der Schaar bin.« --
»Dazu wählt einen Andern,« sagte der Ritter, »wenn es rasch gehn soll, das Roß könnte unter mir zerbrechen.« …
Jobs von Dähren sprengte im sausenden Galopp davon, der Zug machte Halt, und wartete seine Rückkehr ab. Wernern schlug vor Freude das Herz hoch auf; Alle dachten sich die frohe Überraschung, wenn der Markgraf und Godila, statt der Feinde, wie sie glaubten, nun ihren Werner sahn.
Als Jobs von Dähren vor das Schloßthor kam, meldete er, daß die Schaar nicht aus Feinden, sondern aus Freunden bestehe, die eine gute Botschaft bringen, nicht sich gegen den Markgraf empören, sondern sich mit ihm freuen wollten. Er bat um Einlaß und nannte seinen Namen. Nach einer Weile wurde die Pforte geöffnet, zwei Gewaffnete standen innerhalb derselben, denen er wohl bekannt war, die ihn zum Markgraf führten. Luther stand auf dem Schloßplatze und erwartete den Abgesandten.
»Ihr solltet mir gar einen vergeblichen Schreck einjagen,« sagte der Markgraf: »Es sind jetzt bedenkliche Zeiten, wo man auch seinen Freunden nicht trauen kann. Ich halte es, wie Ihr sehet, mit der Vorsicht.« --
»Diesmal,« sagte Jobs, »hattet Ihr sie nicht nöthig, da wir wider Euch nie Böses im Schilde führten. Wir kennen unsere Pflicht und ehren unsern Oberherrn.« --
»Aber warum kommt Ihr denn so zu Hauf und so uneingeladen?« --
»Weil wir Alle benachrichtigt wurden, daß Euer Sohn den Räuberhänden entkommen sey und ehe die Sonne untergehn wird, bei Euch erscheinen will. Wir trugen Leid mit Euch, wir denken uns mit Euch zu freuen.« --
»Wer gab Euch die frohe Nachricht?« --
»Der Rohrberger, er ist mit in dem Zuge und kann Euch vorläufig Vieles von Wernern erzählen.«
Der Markgraf schickte mit gutem Bedacht einen Ritter mit, welcher den Freudeboten begleiten mußte. Unterdeß ließ er seiner trauernden Godila die frohe Botschaft melden, die mit ihrer Dienerschaft auf dem großen Platze erschien. Die großen Thore rauschten auf, Werner ritt an der Spitze des glänzenden Zugs und als er die Hälfte des Hofs geritten war, setzte er sein Roß in Galopp und flog den Eltern entgegen. Die ganze Schaar folgte ihm nach. Als er vom Rosse gestiegen war, öffnete er seine beiden Arme und rief aus:
»Ich bin's, Ihr müßt mich kennen!«
Da rief Godila voll Staunen und Entzücken aus:
»Du bist's, es ist Werner, unser Sohn!« --
Nach den ersten Umarmungen und der hohen Freude des Wiedersehens, überzog eine tiefe Trauer das Angesicht der Mutter und sie klagte mitleidsvoll:
»Ach, wie blaß bist Du, wie abgezehrt, kaum bist Du noch zu kennen!« --
»Wer an einer harten Krankheit litt, Mutter, der kann hinterher nicht, wie ein Gesunder, blühen. In Eurer Nähe werd ich bald völlig wieder genesen.« --
»So ist's«, sprach der Markgraf. »Ich preise Gott, daß ich Dich lebendig wieder sehe. Godila, verdirb uns durch Deine Klagen den Tag der Freude nicht. Nun, Ihr Ritter alle mit Euren Weibern und Töchtern, Euch muß ich danken für Eure Theilnahme. Ihr bleibet heute bei mir, so gut ich Euch bewirthen kann, so soll's geschehen. Der Freudewein soll nicht fehlen, wie's aber mit den Gerichten wird, das ist der Weiber Sache.«
Alle zogen ins Schloß ein, und der Jubel wurde lauter. Werner erzählte nur die Hauptsache von seiner Gefangenschaft und seinem Aufenthalte im Walde, dann aber schlich er seiner Mutter nach und fragte nach Luitgard.
»Von der,« entgegnete sie »haben wir nichts erfahren, auch von ihren Eltern nichts. Daß Du von den Räubern gefangen genommen wurdest, das haben wir ihnen kund gethan; ob Du aber wieder in Freiheit wärst oder nicht, darnach ließen sie nicht fragen. Es ist doch eine sonderbare Art von Freundschaft, wenn man sich nicht um seine Freunde, wenn sie im Unglücke sind, bekümmert. Fast zürnt Dein Vater auf Eckard. Luitgards Anblick hab' ich sorgfältig vermieden, der würde mich zu lebhaft an einen Schmerz, der mein Mutterherz zerriß, erinnert haben. Was konnte ich der Tiefbetrübten auch zu ihrem Troste sagen!«
Am späten Abend wurde das Schloß von Gästen leer und bis nach Mitternacht mußte Werner von den Räubern erzählen.
Werner faßte vor dem Einschlafen den Plan, sobald seine Kräfte gewachsen seyn würden, zu seiner Luitgard zu reisen; aber er vermochte es nicht. Die Freude der Eltern über die Ankunft des Sohns verwandelte sich am Morgen schon in eine desto größere Trauer. Er erwachte nach einem kurzen, unruhigen Schlafe, war in Schweiß gebadet, und fühlte sich, wie an allen Gliedern gelähmt. Er konnte nicht einmal laut um Hülfe rufen. So lag er, mit und ohne Bewußtseyn, bis tief in den Tag hinein.
Es war verboten, ihn nicht in seiner Ruhe zu stören. Endlich konnte sich die Mutter nicht mehr halten, den langentbehrten Sohn zu sehen, und der Markgraf, vom Vaterherzen fortgezogen, folgte seiner Gemahlin nach. Aber wie erschraken sie, als sie Wernern, fast mit dem Tode ringend, erblickten! Seine Zunge war so schwer, daß er nur die Worte lallen konnte:
»Ich muß sterben, grüßt meine Luitgard.«
Sogleich wurde ein Arzt herbeigeholt, der den Eltern die Gefahr nicht verschwieg, in der das Leben Werners schwebte. Angstvolle Wochen verflossen, bis endlich die Hoffnung seiner Wiedergenesung erschien. In dieser Zeit war es, wo auf Werners Bitten, ein Bote mit der Nachricht an Eckard geschickt werden mußte, daß Werner zwar wieder von dem großen Teufel in Freiheit gesetzt sey; aber an einer schweren Krankheit, die nun überstanden wäre, so noch leide, daß er keine weite Reise unternehmen könne.
Der Markgraf Luther sprach nur zu deutlich in dem Schreiben seine Empfindlichkeit aus, daß ihm Eckard in seinem Unglücke keinen Beweis von herzlicher Theilnahme gegeben hätte. Daß der Markgraf von Meißen bei dem Kaiser in Aachen gewesen war, und daß es dort hoch herging während seiner Anwesenheit, das wußte Luther. Der Zweck der Reise, und das was in Quedlinburg zwischen dem Kaiser und Luitgard vorfiel, das wußte er nicht, und, wie wir's wissen, er glaubte es nicht, daß ein Mann so treulos an seinem Worte werden kann.
Diese Nachricht von Luther, daß Werner frei, daß er von seiner Krankheit genesen sey, war für Eckard, weil er keine reine, gute Sache hatte, schreckhaft und beunruhigend. Der Bote von Salzwedel wurde so versteckt gehalten, daß Schwanehilde und Luitgard nichts von seiner Ankunft erfuhren. Eckard wagte es durchaus nicht, zum Markgraf zu reisen und ihm das Geheimniß der Verlobung Otto's und Luitgards zu offenbaren, es sollte vielmehr in Meißen oder Merseburg geschehen, wo er einen freien Rücken hatte; deshalb lud er Luthern mit dringenden Bitten zu sich, weil er ihm wichtige Eröffnungen zu machen hätte, und ihm allein.
Luther theilte den Seinen den Brief mit, der in höflicher Form abgefaßt, in dem Luitgards mit keiner Sylbe erwähnt war. Werner sagte:
»Denkt denn der Markgraf, daß die Liebe zu seiner Tochter in mir ausgestorben ist? Er traut mir kein Herz zu. Sein Wort mag er brechen, aber das meine will ich halten, und wenn es Blut und Leben kostet.« …
Was der Bote weiter sagte, davon erfuhr Werner kein Wort.
»Nun,« sagte der Markgraf, »soll ich denn reisen, oder bleiben? Neugierig bin ich doch, was Eckard, dessen Freundschaft ich fast bezweifeln muß, mir Wichtiges zu sagen hat. Du, Werner, darfst Dich mit Deiner schwachen Gesundheit auf den weiten Weg nicht wagen.« --
»Reiset Ihr nur, ich bleibe hier, und bringt mir gute Botschaft von Luitgard, die wird meine beste Arznei seyn. Wenn ich nicht mehr wie ein Gespenst bin, will ich sie wieder sehn. …
Godila, die oft die Blitze des Zorns auslöschte, die der hitzige Luther auf seine Gegner, zu seinem Schaden, schleudern wollte, begleitete ihn, da sie besorgt war, es könne unter den Freunden zu heftigen Auftritten kommen. Sie wollte auch Luitgard in der Liebe zu ihrem Sohne bestärken und von Schwanehilde, die sie über alles liebte, eine Erklärung vernehmen, weshalb sie der Freundin so wenig Theilnahme bei dem Schmerze bewies, den sie, während der Gefangenschaft des Sohnes, empfand. Werner gab der Mutter Geschriebenes an Luitgard, das sie der Braut einhändigen sollte.
Ein Ungewitter überfiel den Markgraf Luther nicht weit von Oschatz, und er mußte dort die Nacht verweilen, und konnte Meißen, wie er sich's vorgenommen hatte, nicht erreichen. Hier fand er eine Herberge, wo er einkehrte. Der Wirth hielt ihn für einen thüringischen Ritter, welcher zum Markgraf beschieden sey, und er gab sich ihm nicht zu erkennen. Neugierig sagte der Wirth:
»Sicher kommt Ihr aus Thüringen und wollt zu unserm Markgraf, ihm Glück zu wünschen.« --
»Welches Glück sollte ich dem wünschen,« sagte Luther, »ich denke, dem geht's so schon wohl genug.« --
»Wißt Ihr die Neuigkeit nicht, die das ganze Land erfreut und unsern Markgraf ehrt?« --
»Nein, die weiß ich nicht, sagt sie mir doch, daß ich mich mit Euch freuen kann.« --
»Je, daß seine Tochter verlobte Braut des Kaisers Otto ist.« --
»Das läßt sie wohl bleiben,« sagte der Markgraf, dem die Sache zweifelhaft schien, den aber auch das bisherige Betragen Eckards gegen ihn, zum Glauben an die ihn höchst unangenehm überraschende Neuigkeit zwang. Im Zorn stieß er die Worte unbedachtsam aus:
»Kann denn in Euerm Lande eine Jungfrau die Verlobte von zwei Jünglingen seyn? Luitgard ist meines Sohnes Braut, daß Du's nur weißt, verdammtes Schwatzmaul, des Markgrafen Luther von Brandenburg.« --
»Schimpft und spaßt doch nicht,« sprach der Wirth mit unstäter Miene, aus der Verlegenheit und empfundene Beleidigung sprach, »ich kann das von meinen Gästen nicht leiden. Der Teufel mag's wissen, daß Ihr ein Markgraf seyd, ich seh' Euch nicht dafür an. Und wenn Ihr wirklich einer wäret, so könnt Ihr's unserm Herrn doch nicht verdenken, daß er seine Tochter lieber eine Kaiserin, als eine Markgräfin werden sieht!« --
»Ihr Leute handelt mit der Redlichkeit, wie mit dem Gelde, wer Euch am meisten zahlt, der gilt Euch für den Besten.«
Mit zorniger Miene sagte der Markgraf zu seiner Godila:
»Wäre das die wichtige Sache, die mir Eckard offenbaren will? Hätte ich darum die weite Reise unternommen, um die verhaßteste Neuigkeit zu hören? Nein, es kann nicht seyn; wenn auf der Erde noch Treue und Glauben gelten! So wortbrüchig kann kein Markgraf handeln! Eckard, nimm dich in Acht, Werners Arm wird stärker werden, das Schwert weiß er zu führen, und wer ihm das Herz zusammendrücken will, den schont er nicht und ob er auch drei Kaiserkronen trüge!« --
»Armer Werner, arme Luitgard!« seufzte Godila. --
»Nur unsern Sohn, seine treue Liebe, mit der er an ihr hing, betraure, nicht sie, wenn sie wirklich Otto's Verlobte ist. Wer, wer konnte sie zwingen! Mädchen sind eitel; nach Glanz und Ehre trachten sie, und wo ihnen diese geboten wird, lassen sie sich schwach finden.« --
»Nein, so ist Luitgard nicht, so ist sie nicht! Der Zorn müsse Dich nicht ungerecht machen! Aber, wie kann Dich ein bloßes Mährchen vielleicht, das ein lustiger Wanderer erdacht und dem neugierigen Wirth aufgebunden hat, so in Harnisch jagen! Ehe Du richtest, mußt Du erst Verdammliches finden.«
Scheinbar beruhigte sich der Markgraf, aber es wollte in seinem Gemüthe doch zu keiner rechten Stille kommen. Die Zweifel, die ihn bestürmten, verschwieg er seiner Godila, Diese mußte dagegen einen geheimen Kummer bekämpfen. Sie fürchtete mit Recht, wenn es Werner erfuhr, daß Luitgard des Kaisers Braut sey, daß dieser Schlag seine ohnehin schwache Gesundheit zerstören und ihn ins Grab stürzen würde. Luitgard war der helle Stern für ihn, der seinem Leben Glanz und heitere Schöne gab; ging ihm auch dieser unter, so war sein Daseyn mit einer dicken Trauernacht umzogen, in der er mit seinem innern Schmerz unterging. So innig und zärtlich Luitgard ihren Werner liebte, so war sie doch noch ein junges, schwaches, durch glänzende Vorspiegelungen, durch eiteln Schimmer, durch Versprechungen und Drohungen leicht verführbares Mädchen. Eckard war von Hochmuth aufgebläht, es war also wohl möglich, daß seine Leidenschaft die Befriedigung suchte und fand, die heilige Pflicht der Worttreue verletzte. Die edelgesinnte Schwanehild, welche gewiß nie etwas anderes wollte, als daß Luitgard mit Werner verbunden würde, war doch nur ein schwaches Weib, das gegen den Gatten mit durchgreifender Gewalt nicht auftreten konnte, und wenn Eckard mit rauhem Ungestüm zufuhr, nachgeben mußte.
Als noch dunkele Schatten das Land bedeckten, da waren unsere Reisenden schon auf dem Wege nach Meißen. Es ging mit großer Eile, weil Luther sich im Innern gepeinigt fühlte und baldmöglichst zur Gewißheit kommen wollte. Es war übrigens sehr gut, daß er von dem Wirth in Oschatz die Neuigkeit erfuhr, sie trug wesentlich dazu bei, daß sein Zorn sich abkühlte, daß sich die Wellen seines Ungestüms einigermaßen besänftigten, und daß er mehr Herr seiner Leidenschaft wurde.
Doch fing das Blut schneller in seinem Kreislaufe die Adern zu durchströmen, als Luther Meißen immer näher kam und an den schönen Ufern der Elbe hinritt. Godila suchte ihn durch die Erzählung allerlei Geschichtchen zu zerstreuen und ihn durch freundliche Worte an sich zu locken, aber Ein Gedanke hielt ihn fest, er sprach wenig. Als sie endlich vor dem Schloßthore hielten und es geöffnet werden sollte, sagte er mit finsterm Gesicht:
»Nun werden wir es bald erfahren, ob ein Markgraf auch wortbrüchig werden kann. Wer treulos ist, der wird dafür gestraft, und es findet sich immer Einer, der das Verdammungsurtheil einer höhern Gerechtigkeit an ihm vollzieht.« --
»Nicht doch, nicht doch,« bat Godila, »so geredet, wenn man über die Schwelle eines Freundes treten will.«
Aufs freundlichste, ganz nach alter Weise, wurden die Gäste von dem Markgraf Eckard und seiner Gattin empfangen. Die Frauen umarmten sich mit schwesterlicher Liebe. Es wurde davon geredet, daß sie viel zu lange getrennt von einander gelebt hätten.
»Welche finstere Wolken,« sagte Luther. mit großem Ernst, »standen in der Zwischenzeit über meinem Haupte; aber sie sind vorübergezogen mit ihren Blitzen und ich hoffe, ein heiterer Tag soll nun anbrechen. Aber, daß ihr Euch um uns so wenig bekümmertet, als ob wir in ruhiger Freude lebten, da Ihr's doch wußtet, wie zweifelhaft es mit dem Leben unsers Werners stand. Die Freundschaft, denk ich, zeigt und bewährt sich im Unglücke. Hättet Ihr Ähnliches an Eurer Luitgard erlebt, wir wären gewiß nach Meißen gekommen. Auch fragt Ihr nicht, warum uns Werner nicht begleitete.«
Eckard gerieth in Verlegenheit, er stammelte eine Reihe von Entschuldigungen her, worunter auch seine Reise auch Aachen, die Krankheit Luitgards war, die auf keinem festen Boden ruhte …
»So, so, in Aachen waret Ihr und bei dem Kaiser. Was kann der Jüngling von einem Markgrafen wollen?« fragte Luther. --
»Bei gelegener Zeit,« entgegnete Eckard, »sollt Ihr das erfahren, noch reden wir von andern Dingen.«
»Wo ist denn Luitgard?« fragte Godila, »das gute Kind wünsch' ich zu sehen. Sie ist auch krank gewesen, wie unser Werner! Ich sehne mich, sie wieder zu umarmen und hätte auch Manches an sie von meinem Werner zu bestellen. Gewiß hat sie die Nachricht, daß unser Sohn in Räuberhände fiel, sehr erschreckt und geängstigt.« --
»Eben diese Nachricht,« antwortete Schwanehilde mit einem wahren Trauergesichte, »zog ihr die tödtliche Krankheit zu. Noch ist ihre Wange blaß und sie blüht noch nicht wieder in ihrer frischen Jugend.« --
»O, laßt mich ihr die gute Botschaft bringen, daß Werner frei, daß er von seiner Krankheit genesen ist, daß er treue Liebe in seiner Brust bewahrt. Ach, er hätte uns gern begleitet, das könnt Ihr wohl denken; aber seine körperliche Schwäche hielt ihn noch zurück. Beim Abschied sagte er mit großer Rührung: ›Reiset ihr nur und bringt mir gute Botschaft von Luitgard, das wird meine beste Arznei seyn.‹ Kann ich ihm die bringen?«
Eckard gab, statt seiner Gemahlin, diese Antwort:
»Die Herzogin von Weimar verlangte sie auf eine Weile, um sie, zum Besten ihrer Gesundheit, zu zerstreuen, dort ist sie und sie wird nicht eher zurückkehren, bis wir sie abholen.« …
»So, so,« sagte der Markgraf, »warum holt Ihr sie denn nicht von Quedlinburg oder noch besser, von Aachen ab. Die Sache kömmt mir sonderbar vor. Ist's doch, als ob man sie darum entfernt hätte, daß wir sie nicht sehen und sprechen sollten; als ob man sie aus Werners Nähe verbannen wollte, im Fall der mit uns hieher gekommen wäre. Vor ihm könnt Ihr sie nicht verbergen, er findet sie; bringt sie nach Constantinopel, er wird sie suchen; verschließt sie in ellendicke Mauern, die wird er durchbrechen. Mächtig und treu ist seine Liebe, auch durch ein Meer von Flammen kann er schwimmen, um sie zu erreichen. Eine solche Liebe lob' ich mir, es ist die alte, treue, die nicht weicht und wankt, die beständig bleibt, bis in den Tod. Mit ihr nur kann er leben und ohne sie sucht er den Tod. Ich dächte doch, nun wäre es Zeit, daß wir unsern Kindern ein lange verschwiegenes Geheimniß offenbarten und endlich den Tag bestimmten, wo ihre Verlobungsfeier gehalten werden soll. Eine Neigung, die sich so erprobt hat, muß gekrönt werden. Wir gaben uns als Männer, seit Jahren, ein heiliges Versprechen, wir müssen es, als Männer, halten. Fluch und Schimpf und Rache dem, der es gebrochen hat, oder willens ist, es zu brechen.«
Eckard verstummte eine Weile, es herrschte eine gedankenvolle Stille, Schwanehilde erblaßte, Godila zitterte und erwartete angstvoll den Bescheid, Luthers Wange war feuerroth und seine Augen funkelten. Er stand in kräftiger Stellung, mit gutem Gewissen da, als ob er Waffen hätte, um einen Gegner siegreich zu bekämpfen. Fast kleinlaut und verlegen entgegnete Eckard:
»Warum Ihr aber darin Zweifel setzt, ob Luitgard in Weimar sey.« --
»Je nun, voll Trug und List ist die Welt und den Freunden, die man für die besten hält, ist oft nicht zu trauen. Habt Ihr die Erfahrung noch nicht gemacht? Ihr werdet mir die Reihe derselben doch nicht vermehren?« --
»Harte Worte,« sagte Eckard und sein Auge wurde finster und leuchtender. »Was Ihr da aber von Quedlinburg und Aachen sprecht, das kann ich mir nicht enträthseln.« --
»Das also könnt Ihr nicht? Nun, so will ich's thun. Man pflegt wohl zu sagen, Kinder und Narren reden die Wahrheit, bisweilen pflegt das zu geschehen. Das gestrige Ungewitter, was die Wege hier auch schlüpfrig gemacht hat, trieb uns in Oschatz in eine Herberge. Da war ein Wirth nach gewöhnlicher Weise, der nach Neuigkeiten forscht und, wenn man hören will, welche auskramt. Er hielt mich für einen thüringischen Ritter, der nach Meißen reiste, dem Markgraf Glück zu zu wünschen und wißt Ihr wozu? Daß er seine Tochter mit dem Kaiser vermähle. Ich stieß, wie angedonnert, in der ersten Überraschung die Worte aus: ›Kann denn in eurem Lande eine Jungfrau die Verlobte von zwei Jünglingen seyn? Luitgard ist meines Sohnes Braut, verdammtes Schwatzmaul, daß du's nur weißt, des Markgrafen von Brandenburg.‹ Nicht wahr, Eckard, das ist doch nur ein Mährchen, was der Oschatzer erzählte, eine ersonnene Lüge, an die man nicht glauben kann. Ihr werdet sie jetzt mit Worten und später mit der That widerlegen. Männer und Markgrafen, wie wir sind, spielen nicht mit Versprechungen, wie die Kinder mit Nußschaalen, die sie nach Willkühr zerbrechen oder ganz lassen. Wer Ehre und Gerechtigkeit in einem Lande beschützen soll, der muß sie selber üben. Nun, sagt doch, wie steht's denn mit der Sache?«
»Klaren Wein will ich Euch einschenken, Ihr sollt Alles, wie es ist, erfahren,« fing Eckard an. »Das Versprechen, daß sich unsere Kinder, wenn sie zu Jahren und Verstand gekommen wären, mit einander verheirathen sollten, hatten wir uns in Liebe und Freundschaft, aber doch immer, ohne klugen Vorbedacht, gegeben. Es konnte ja wohl kommen, daß unsere Kinder es später erkannten, daß sie nicht für einander paßten, und in diesem Falle mußten wir unser gegebenes Wort aufgeben, da wir sie nicht zwingen durften, es zu erfüllen. Bei diesem Bündniß, das wir in gutmüthiger Unbedachtsamkeit schlossen, berücksichtigten wir auch eintretende, zufällige Nebenumstände nicht, die für sie Nachtheile herbeiführten, oder sie großer Vortheile beraubten, wenn wir trotzig auf unserm Versprechen beharrten. Stillschweigend setzte ich dabei voraus, daß sich unser Wort nach solchen Umständen richtete, und daß sich's löste, sobald es die Macht des Schicksals geböte, es aufzuheben. Wenn z. B. Euer Werner sich glücklicher durch eine andere Braut heirathen konnte, als durch Luitgard, so wäre ich billig gewesen, und hätte Euch dies zugestanden. Dieselbe Gesinnung traue ich Euch zu.«
»Eckard, die Vorrede, so künstlich sie geschmiedet ist, verstehe ich wohl und kann mir's im Voraus denken, zu welchen Aufschlüssen sie führt. Der Wirth, in Oschatz war besser unterrichtet, als ich. Eh Ihr weiter erzählt, erlaubt mir noch ein Wort. Wenn bei einem Versprechen solche Bedingungen, wie Ihr aufstellt, statt finden, so kann ich ohne Gewissensscrupel einen Eid brechen. Bei ihm handelt sich's aber ums klare, deutliche Wort, ohne hinterlistige Auslegung, womit die Treulosigkeit sich beschönigt und das Laster ein Mäntelchen sucht, um seine häßliche Blöße zu bedecken. Am besten ist's, daß wir's auf die Entscheidung unserer Kinder ankommen lassen. Werners Gesinnung in der Liebe kenne ich, fest wie Eisen ist sie, und der Rost keiner Zeit kann sie antasten. Laßt Eure Luitgard von Weimar kommen, so schwer mir's fällt, so lange von meinem kränkelnden Werner fern zu bleiben, ich bleibe doch, weil ich der gewissen Hoffnung bin, ihm eine erwünschte Antwort mitzubringen. Indeß erzählt nur weiter.«
»Der Kaiser,« fuhr Eckard fort, »hat um ihre Hand geworben.« --
»Nicht wahr, weil er ein Kaiser war, habt Ihr sie ihm gegeben?« --
»Das hab ich, weil ich sicher glaubte, Ihr würdet einem solchen Glücke nicht hindernd in den Weg treten.« --
»Einem solchen Glücke! Nennt Ihr den eiteln Glanz und vergängliche Hoheit ein Glück? Bei mir heißt es eine schwere Bürde. Ist Luitgard auch mit diesem Glücke einverstanden? Unsere Grundsätze, das merk' ich heute erst, liegen so weit auseinander, wie Himmel und Erde, und welches die rechten sind, ein Kind kann das entscheiden. Durch ein kleines Beispiel erläutert sich die Sache. Gesetzt, ich kaufte um einen festbestimmten Preis ein Roß von Euch, und ein Anderer böte Euch hinterher eine größere Summe, dürft Ihr's dem verkaufen? Die Sache paßt nicht, aber doch der Vergleich. Was haltet Ihr von einem solchen Verkäufer? Das Gesetz verurtheilt ihn zur Strafe.«
Eckard schwieg und Luther fuhr fort:
»Wenn ich überzeugt werde, daß Luitgard um eines Kaisers willen, die Hand meines Sohnes zurückstieß, daß sie darum der Liebe, die von zarter Kindheit an ihr Herz bewegte, entsagte, daß sie keinen Sinn für seine Neigung mehr hatte, daß sie alle Beweise seiner Zärtlichkeit, wie ein untaugliches Kinderspielwerk, von sich warf, daß sie ihn vergaß und in Otto's Arme sank, nun, dann bin ich zufrieden gestellt und Werner wird sich beruhigen. Eine Jungfrau, welche aus leidiger Eitelkeit, Stolz und Hochmuth zu futtern, solch ein unverzeihliches Spiel mit den heiligsten Gefühlen treibt, ist keine Braut für meinen ehrlichen Sohn, er wird sie leicht vergessen, verabscheuen. Habt Ihr aber die unväterliche Grausamkeit begangen und sie gezwungen, dem Kaiser ihre Hand zu geben, ihr Herz wird nie das seine seyn, mit List und Gewalt, mit Überredung oder Versprechen, dann lastet auf Euch eine schwere Schuld, und diese Schmach zu rächen, muß ich der Gerechtigkeit überlassen. Wißt, Werner kann in Wuth gerathen, sein Schwert ist in der Scheide nicht eingerostet, Himmel und Erde bewegt er, um seine Luitgard zu gewinnen. Ihr könnt sein Ungestüm nicht bändigen, seiner Rache keine Grenzen setzen, seinen Arm nicht lähmen, ich kann es auch nicht. Sein Leben und das Eure setzt er aufs Spiel, und Gewinn und Verlust gilt ihm gleichviel.
Aber, Markgraf, Markgraf, wie konnte Euch die Hoheit so blenden und Euch zur Wortbrüchigkeit verleiten! Meint Ihr denn, daß ich ein Knecht bin, den man nach ungerechter Willkühr behandeln kann? Fluch und Rache dem Übeltäter, der mir so ins Mark der Seele greift und meiner Wunden nicht achtet. Aufgefordert habt Ihr mich zum Rächer meines Sohnes. So lange die Sonne mich bescheint, bin ich Euer Feind. Ihr habt die Freundschaft, die unter uns bestand, mit Füßen getreten. Wohin Euer Vergehen führen wird, das wissen nur die Götter. -- Komm, meine Godila, hinweg von diesem Orte, wo Treue und Glaube ausgezogen sind, wo die Unredlichkeit, wo Hochmuth waltet; laß uns Wernern die Trauerpost bringen, hier kann länger unser Aufenthalt nicht seyn.« --
»So laß uns nach Weimar reisen, der edle Herzog Bernhard wird uns trösten und Luitgard uns beruhigen.«
Schwanehilde zeigte jetzt die Macht der weiblichen Überredung. Thränen quollen ihr aus den Augen, sie faßte den Markgraf Luther am Arm, und sagte mit flehender Geberde:
»Markgraf, setzt auch den Fall, daß Euer Freund, den Ihr bisher, wie einen Bruder liebtet, aus menschlicher Schwachheit gefehlt hat, wollt Ihr ihn darum, wie einen Verdammten von Euch stoßen? Ach, dann war Eure Liebe zu ihm nicht so stark und mächtig, als ich's glaubte! Wie willig verzeiht ein frommes Herz dem Freunde, wenn es strauchelt. Hättet Ihr denn nie gefehlt, und hat der Allgerechte Euch die Sünde nicht vergeben? Losreißen wollt Ihr mein Herz von Godila's Herzen? Womit hätte ich denn diesen Schmerz verschuldet? Glaubt Ihr denn, daß Ihr mich nicht kränkt, wenn Ihr meinen Gatten durch Verachtung und Haß betrübet? Und, was habe ich Euch Böses zugefügt? Ich bitte Euch, bleibt nur eine Nacht bei uns, vielleicht legen sich die Wogen Eures Zorns, und Ihr scheidet wenigstens mit einem nicht so erbitterten Gemüthe von Meißen. Ach, Ihr solltet nicht so feindlich gegen einander anfahren, wer weiß, ob Ihr Euch auf dem fernern Lebenswege nicht noch die Hand zur wechselseitigen Hülfe geben müßt. Markgraf, bei Eurer Seligkeit flehe ich's von Euch, verlaßt uns heute nicht, hört auf meine Bitten, daß Euch Gott vor seinem Tone einst höre, wenn Ihr ihn anfleht um Gnade. Wollt Ihr?« --
»Ja, ich will,« entgegnete der Markgraf, »daß Ihr seht, wie mein Herz nicht von Stein ist, und wie hoch ich Eure Tugend ehre.«
Eckard entfernte sich auf eine lange Weile, unter der Zeit suchte Schwanehilde Luthern immer mehr zu besänftigen. Im Innern stürmte es fort, im Äußern stellte er sich ruhiger.
»Aber,« sagte er, »ich kann mir's wohl denken, wenn ich Eckards Hochmuth erwäge, daß er sich zu der Unthat, zwei liebende Herzen zu trennen und seine Tochter unglücklich zu machen, verleiten ließ; aber unbegreiflich bleibt mir, daß Luitgard zu dem verbrecherischen Bunde ja sagte: Strafte sie denn ihr Gewissen nicht? Schauderte sie vor dem Vergehen nicht zurück? Für frommer und treuer in der Liebe hätt' ich sie gehalten.« --
»Ach,« sagte Schwanehilde, »nur sie verdammet nicht, sie ist die Unschuld selbst. Sie schwieg, als der Vater redete, sie sagte ja, als er befahl. Wie ein Lamm folgte sie. Der Glaube, der Allmächtige werde sie retten und sie, dem Willen der Menschen entgegen, in Werners Arme führen, ist's, der sie noch aufrecht erhält. Täuscht sie aber auch dieser Glaube, so wird sie untergehn. Was hab' ich nicht geredet, um diese Verlobung zu hintertreiben! Aber hört denn ein Mann, den die Leidenschaft verblendet hat, auf eines Weibes Stimme? Macht er nicht dann besonders den Druck seiner Leidenschaft schwerer? O, ich ahne Schreckliches, was sich noch ereignen wird. Aber, ich flehe Euch an, übt an Eckard nicht Rache, ich muß ihn, herrlicher Eigenschaften wegen, lieben und schneidet Ihr einen Pfeil, der ihn treffen soll, so zielt damit zuerst nach meinem Herzen. Sein Tod ist mir das Zeichen, daß ich auch sterben muß und sein Gram vertrocknet die Quellen meines Lebens. An der Großmuth, die auch den Beleidiger schont, erkennt man den edlen Sinn des Menschenfreundes.«
Eckard wollte nicht allein in der Gesellschaft mit Luthern seyn, er hatte also mehrere Ritter und Frauen zu sich geladen, die sich im großen Saale versammelten. Dahin bat er den Markgraf, daß er ihm folgte. Mehrere Bekannte fand Luther unter den Gästen; aber er spann mit Keinem eine Unterhaltung an und blieb ernst und einsylbig.
Als die Pokale noch gefüllt wurden, suchte er sein Lager und legte sich nieder. Godila ließ ihn nicht lange allein. Er verriegelte fest die Thür und stellte sein gezogenes Schwert neben sich, indem er sagte:
»Der Freund, der mich gewissenlos betrügen kann, dem trau' ich Ärgeres zu, dagegen muß ich mich waffnen. Reisen wir morgen nach Weimar?« --
»Ja, ja, wir müssen Luitgard sprechen, um Wernern bessern Bescheid zu bringen, als uns hier. gegeben werden kann.«
Aber Luitgard war nicht in Weimar, sie war im Schlosse zu Meißen und mußte sich auf des Vaters Befehl verborgen halten. Unbekannt blieb's ihr nicht, daß Luther und Godila im Schlosse waren und sie brannte vor Begierde, die Eltern ihres Werner zu sprechen, um sich zu rechtfertigen, um es sie wissen zu lassen, wie ihr Herz nur ihm gehöre und wie sie durch ihn Erlösung von dem ihr angezwungenen Otto erwarte.
Der Markgraf konnte nicht zum Einschlafen kommen, es war ihm, als ob ein Berg auf seiner Brust läge, der ihm das Athmen erschwerte. Am besorgtesten war er, wie sein Sohn die Schreckensnachricht ertragen werde, daß seine Luitgard die Verlobte. des Kaisers sey. Seine Gesundheit hatte sich noch nicht wieder festgestellt und konnte auf eine Weise erschüttert werden, die ihm das Leben kostete. Daß er so gutwillig einem Kaiser die Braut nicht überließ, das glaubte der Vater gewiß, und, welche Stürme mußten sich über seinem Kopfe wirbeln, wenn er mit List oder Gewalt dem Kaiser die Braut entriß! Bann und Acht, Verlust aller Würden, das war die sichere Strafe und kein Fürst durfte ihn schützen.
Um Mitternacht war's, wo es an die Thür faßte, um sie zu öffnen. Luther griff erst nach seinem Schwerte und fragte dann:
»Welch Gespenst will meine Ruhe stören! Es findet mich munter und gewaffnet.« …
Godila war aufgewacht und fragte zitternd:
»Was ist's?« --
»Je, es rüttelt an der Thür und will herein.«
Als er schwieg, hörte man folgende Worte:
»Markgraf, macht auf, Luitgard ist's, sie muß und will Euch sprechen.« --
»Luitgard ist in Weimar,« erwiederte er, »Ihr dürft mich nicht foppen.« --
»Um aller Heiligen willen, öffnet mir die Thür, erkennt es an der Stimme, daß ich Luitgard bin und verschuldet es nicht, daß ich mich durch lauteres Reden verrathe. Um Gottes willen, macht auf!« --
»Bist Du's wirklich, meine Luitgard?« fragte Godila. --
»Ich bin's.« --
»Wohlan, so öffne ich Dir die Thür.«
Godila stand auf von ihrem Lager, und Luitgard, mit einer brennenden Kerze in der Hand, sank ihr mit den Worten in die Arme:
»Nur an diesem Mutterherzen ist mir wohl!« …
Zugleich rollten ihr Thränen von den Wangen … Godila faßte, halb erschrocken, das Mädchen ins Auge, da sie es so blaß und abgemagert sah und that die Frage:
»Bist Du's wirklich, meine liebe Luitgard? Du hast Dich sehr verändert und kaum hatte ich Dich gekannt.« --
»Ja, ich bin es selbst,« sagte sie mit bebender Lippe, »es hat sich Vieles verändert, aber,« -- sie richtete ihr Auge himmelwärts und sprach mit feierlicher Stimme: »Der Allwissende, der weiß es, daß meine Liebe zu Werner in diesem Herzen ewig fortbesteht.« --
Als sie diese Wort sagte, richtete sich der Markgraf von seinem Lager auf, streckte Luitgard seine Rechte entgegen und sprach:
»Das ist ein Ehrenwort, von treuen Lippen gesprochen! Komm, und reiche mir die Hand. So sollst Du meine Schwiegertochter werden und wenn sich Kaiser und Reich dazwischen stellen. Aber Dein Vater plauderte uns vor, daß Du in Weimar wärst?« --
»Ach, es ist schlimm, wenn das eine Tochter sagen muß, der Vater macht gar Vieles aus mir und sagt Vieles von mir, was ich nicht für recht erkenne, darum zwingt er mich auch, Vieles zu thun, was ich mir, als seine Tochter, nicht erlauben würde. So ist der Gang den ich zu Euch hieher that, gewiß unrecht, denn er ist dem Verbote des Vaters zuwider, aber ich mußte ihn gehen, wenn ich mit Ketten wäre angeschmiedet gewesen.«
Godila zog Luitgard neben sich auf einen Sitz nieder, schloß beide Arme um ihren Nacken und küßte ihr die Lippe.
»Ja, Du liebes, treues Kind,« sagte sie, »welchen Balsam bringst Du mir, den ich in Werners Wunden gießen kann!« …
Sie fragte nach Werner und der Markgraf und seine Gattin erzählten ihr Alles, was sie von ihrem Sohne wußten, vorzüglich aber erwähnten sie seiner sehnsuchtsvollen Liebe, die er fest in seiner Brust gegen sie bewahrt hätte. Auch sie offenbarte mit voller Wahrheit Alles, was ihr in der Zwischenzeit begegnet war, wo sie sich um Wernern härmte und ihn nicht sah. Der Markgraf sagte:
»Wie aber wird es möglich seyn, Dich aus den Klauen Deiner Feinde zu befreien, ehe sie Dich zum Traualtar hinschleppen, daß Du an den Kaiser geschmiedet werden sollst?«
»Markgraf, wie das möglich ist, das weiß ich selber nicht. Die Flucht darf ich nicht ergreifen, das redet wider mein Gefühl, es würde mir zur Unehre angerechnet werden. Das, das ist Eure oder meines Werners Sache. Wird mir die Hand zur Flucht geboten, so weise ich sie nicht zurück. Doch übereilt Euch nicht, ich sehe einen günstigen Zeitpunkt voraus, wo mein Erlösungswerk vollendet werden soll. Wie Ihr's wissen müßt, so macht der Kaiser einen Zug nach Italien, mein Vater will ihn begleiten und erst nach seiner Rückkehr soll das verwünschte Hochzeitfest gefeiert werden. In dieser Zwischenzeit erfindet Mittel, mich von dem unerträglichen Joche zu befreien, das man mir auflegen will. Der Glaube, auf ewig mit Werner verbunden zu werden, ist die einzige Quelle meines Trostes, meiner Ruhe, versiegt mir aber auch diese, so sind die an meinem Tode Schuld, die mich in dies Unglück stürzten oder die, welche nichts thaten, um mich von demselben zu erretten.«
Godila übergab Luitgard die geschriebenen Zeilen von Werner, sie las sie mit thränenvollen Augen und sagte dann:
»Wenn sich die Gelegenheit findet, so überreich' ich Euch ein Antwortsschreiben; aber auch ohne dieses wißt Ihr's ja, wie ich ihn liebe und könnt's ihm mündlich sagen.« …
Jetzt schlich Luitgard leise aus der Thüre, und kam unbemerkt auf ihrer Stube wieder an, Es war ihr leichter ums Herz, sie fand ihre Zofe Wilna wachend, die um ihren geheimen Gang wußte und sie mit Zittern zurück erwartete.
Am Morgen mußte sich Eckard und Schwanehilde sehr wundern, daß der Markgraf und Godila fast heiter gestimmt waren. Von der Verlobung wurde keine Sylbe erwähnt und man redete von vergangenen Zeiten. Eckard war ruhiger und glaubte, daß Luther bei mehrerem Nachdenken es verzeihlich fand, daß er einen Kaiser lieber zum Schwiegersohn zu haben wünschte, als einen Markgrafensohn. Fast war es Mittag, als die Gäste von Meißen schieden. Leise raunte Schwanehilde Godila ins Ohr:
»Macht die vergebliche Reise nicht nach Weimar, Ihr findet Luitgard dort nicht.« --
»So ist sie hier,« entgegnete Godila, »und Ihr verbergt sie uns.« …
Schwanehilde schwieg und senkte den Blick zur Erde.
Als der Markgraf Luther sein Roß besteigen wollte und für die gastfreundschaftliche Aufnahme dankte, sagte er mit Zorn und Rührung:
»Die Schwelle dieses Hauses, das ich für den Sitz der Freundschaft und Liebe hielt, werde ich hinfort nie wieder betreten. Einen Freund hab' ich im Leben verloren, den ich wie einen Bruder liebte.« --
»Vergeßt,« bat Eckard, »das Geschehene und wendet mir Euren Haß nicht zu. Versöhnt Euch mit mir.« …
Indem er dies sagte, streckte er ihm die Hand entgegen.
»Nein, nein,« sagte Luther, »ich bin kein falscher, ich bin ein ehrlicher Mann und kann die Hand nur denen geben, deren Treue und Beständigkeit ich achte. Vielleicht daß uns der Himmel im Leben wieder versöhnt, für jetzt ist der Markgraf von Brandenburg Euer Feind, den Ihr nicht für so großmüthig halten sollt, daß er Böses mit Gutem vergelten kann. Verdient Euch nur viel Ehre durch den Zug mit dem neuen Schwiegersohn nach Italien, so werdet Ihr meiner Freundschaft nicht bedürfen.« …
Godila und Schwanehilde umarmten sich und Beide weinten beim Abschiede Schmerzensthränen.
Eckard sah dem Markgraf schweigend nach und sagte dann:
»Welch ein hartes, rachsüchtiges Herz! Woher weiß er von dem Zuge nach Italien! Schwanehilde, hättest Du davon geplaudert? Geheimes könnt Ihr Frauen nicht verschweigen.« --
»Was geht mich der Zug nach Italien an, keine Sylbe habe ich davon geredet.«
Da Werner immer noch schwach war, suchte man ihm das Geheimniß, daß Luitgard mit dem Kaiser verlobt sey, zu verbergen. Man gab ihm die Versicherung, daß sie ihn mit ungeschwächter Zärtlichkeit liebe und Godila konnte ihm auch ein Antwortsschreiben von Luitgard überreichen, das ihre Betheuerungen bestätigte. Von ihrer Verlobung hatte sie nichts gemeldet und die Kundmachung derselben Godila überlassen.
Luther aber bestellte nun Kundschafter, die es ihm meldeten, wenn der Kaiser und der Markgraf Otto in seinem Gefolge, nach Italien zog. Litt dieser Kriegszug keinen Zweifel mehr, so mußte es Werner erfahren, in welcher Gefahr er schwebte, eine Geliebte zu verlieren, und die Mittel, sich ihrer zu bemächtigen, wollte der Vater ihm dann allein, ohne den fernsten Antheil daran zu nehmen, überlassen.
Die Folgen des Raubes der Kaiserbraut ließen sich leicht berechnen, aber wie waren sie zu vermeiden? Werner hatte sich ja von seiner Luitgard nicht trennen lassen, und wenn es ihm Freiheit und Leben kostete.
Mit dem Zuge Otto's nach Italien war es voller Ernst. Als Otto ein Jahr früher (996) aus Deutschland in Ravenna ankam, war der Papst Johann XV. gestorben. Er übte den Machtstreich, daß er seinem Vetter Bruno, einem Sohne des Herzogs Otto von Kärnthen, also einem Deutschen, die päpstliche Würde verlieh. Der Erzbischof Willigis und der Bischof Adelbald von Worms führten den neuen Papst nach Rom, wo er eingeweiht wurde und den Namen Gregor V. erhielt. Bald kam Otto selbst nach Rom, wo der Papst ihn salbte und krönte.
Sobald der Kaiser Rom wieder verlassen hatte, zettelte der mächtige Crescentius eine Verschwörung gegen den Papst an, setzte ihn ab, und erhob den Griechen Philapatos auf den päpstlichen Stuhl, der sich Johann XVI. nennen ließ. Um die Partheimacher in Rom zu bestrafen, und dem verstoßenen Gregor seine entrissene Würde wieder zu schaffen, ging Otto nach Italien.
Auf die erste Einladung war Eckard bereit, Otto'n nach Italien zu folgen. Erst dann, das wurde beschlossen, sollte die Vermählung mit der schönen Luitgard vollzogen werden, wenn er aus Italien zurückgekehrt war und die Papststreitigkeiten geendet hätte.
Eckard selbst verrieth dem Kaiser seine Besorgnisse, daß Werner, während seiner Abwesenheit, verwegene Versuche machen könne, um sich der Luitgard zu bemächtigen. Man müsse sie gegen die Gefahr sicher stellen, und jedes kühne Unternehmen, was wider sie gemacht werden könne, im Voraus vereiteln.
»Es wäre doch schrecklich,« sagte Eckard, »wenn ein Abentheurer, dem keine Pflicht und keine Rücksicht heilig ist, vor dem deutschen Reiche das Schauspiel aufstellte, einem Kaiser die Braut zu entreißen. Wenn ich Euch nach Italien begleite, wie kann ich sie bewachen und Anfälle von ihrer Person abwenden? Wie wollt Ihr sorgen?«
Otto erkannte es wohl, daß der Markgraf Recht hatte, und es kam folgender Plan zu Stande, der unter dem Siegel der größten Verschwiegenheit und des Geheimnisses ausgeführt werden sollte. Der Kaiser beorderte in aller Eile einen Herold nach Quedlinburg mit einem Schreiben, in dem er die Äbtissin bat, daß sie, so lange er von Deutschland abwesend sey, Luitgard gegen den Sohn des Markgrafen Luther in Schutz und Verwahrsam nehmen sollte.
Die Äbtissin zeigte sich bereit, dem Kaiser diesen Liebesdienst zu erweisen, und das um so mehr, da sie sich mit der jungen Braut mütterlich zu befreunden dachte, bat aber, daß sie ihr in Quedlinburg selbst überliefert werde. Der Weg von Meißen bis hieher sey ein weiter, und es könne sich auf demselben Ungünstiges ereignen, wofür sie nicht verantwortlich seyn wolle. Wäre aber Luitgard erst in ihren Mauern, dann solle sie ihr keine Gewalt entreißen. Übrigens stimmte sie auch sehr dafür, daß ihr Aufenthalt verborgen gehalten werde, damit in keinem Kopfe der Gedanke an einen Versuch entstehe, ihr Luitgard mit List oder Gewalt zu rauben.
Eckard eilte vom Kaiser nach Meißen, um die Abreise seiner Tochter nach Quedlinburg zu veranstalten und sie selbst der Sorge der Äbtissin zu übergeben. Er wollte, indem er große Tagemärsche machte, im Fall der Kaiser schon abgereist sey, ihn wieder einholen.
Als er von der besorgten Liebe des Kaisers um Luitgard, zu seiner Gattin und Tochter redete, und von ihrem Aufenthalt bei der Äbtissin in Quedlinburg, während seiner Abwesenheit in Italien sprach, da schwieg Luitgard, weil ein Schmerz, der größer war, als sie ihn ertragen konnte, ihr Herz gewaltsam zusammendrückte. Sie mußte verzweifeln, wenn sie in der Gewalt der Äbtissin, wie eine Gefangene war, daß Werner zu ihrer Erlösung irgend etwas thun könne. Unersteigliche Mauern waren es, sie hatte sie gesehen, in die sie eingekerkert wurde. Welch eine Wache konnte Mathilde aufbieten, um ein Heer von Feinden abzuschlagen! Die Ritter der Umgegend mit ihren Gewaffneten standen ihr, auf den ersten Ruf zu Gebote.
Luitgard mußte es nun sogar wünschen, daß Werner jeden Befreiungsplan aufgab, der nur zu seinem Verderben ausfallen konnte. Sie sank in die tiefste Traurigkeit, und das einzige Rettungsmittel, was man ihr übrigließ, war die Flucht. Wenn sie nicht anders aus dem Netze kommen konnte, in das man sie zu verstricken suchte, so wollte sie auch die Flucht nicht scheuen.
Indeß sie sich mit diesen und ähnlichen Gedanken beschäftigte, sagte Schwanehild zu Eckard:
»Die Tochter will man gar von meiner Seite reißen? Was soll mich trösten, wenn ich, wie eine Wittwe, hier einsam seufzen muß?« --
»Willst Du mit Deinem Leben dafür stehen, daß Werner nicht sinnlose Versuche macht, um unserer Tochter die Ehre zu rauben, uns mit Schmach zu bedecken, der ihm das Leben kosten muß? In welche Verantwortung könntest Du selbst gerathen? Mein Gott, so verkennt doch des Kaisers Liebe nicht.« --
»So können wir nach Weimar zu meinem Bruder ziehn; sind wir dort nicht eben so sicher, wie in Quedlinburg?« --
»Was geht Bernharden des Kaisers Braut an, und will er sich den Markgraf Luther zum Feinde machen? Bei der Äbtissin ist sie am besten aufgehoben. Mit Mutterliebe wird sie diese hegen. Nur auf eine kurze Zeit bist Du von ihr getrennt und frühes Wiedersehen erwartet Dich. Aber, bei allen Heiligen muß ich Dich beschwören, daß Du den Aufenthaltsort Luitgards nicht verräthst, das könnte die schrecklichsten Folgen nach sich ziehn.«
»Nun, Luitgard,« sagte der Markgraf zu seiner Tochter, »mußt Du nicht die Fürsorge des Kaisers ehren?« --
»Die, daß ich von der Mutter gerissen und eingesperrt werden soll? Fürchtet man sich vor Werner? Den Leib kann man von ihm trennen, ich muß der Gewalt folgen, aber meine Seele wird ihn umschweben.« --
»Mädchen, versündige Dich nicht an einer heiligen Pflicht. Dem Kaiser hast Du Dein Wort gegeben, treu mußt Du's ihm halten.« --
»Das mußte ich ihm geben, und halten will ich's, so lange es möglich ist. Aber warum wollt Ihr uns nicht nach Weimar reisen lassen, wenn ich nicht hier bleiben soll? Die Äbtissin kann ich nicht lieben, kein Herz hab' ich für sie. In Weimar darf ich meine Schmerzen klagen, die ich in Quedlinburg in meinem Innern verschließen muß. Nach Weimar laßt mich, wenn Ihr mich nach Eurer Rückkehr lebendig wieder finden wollt.« --
»Des Vaters Willen gelte Dir, wie ein Gottesgesetz, die Zeit wird kommen, wo Du mir dankest, daß Du Deiner Neigung nicht folgen durftest.« --
»Vater, Ihr sollt es sehen, die kommt nie, nie!«
Am späten Abend traf der Markgraf die nöthigen Anstalten zur Abreise nach Quedlinburg. Sein unerschütterter Wille siegte, und die trauernde Schwanehilde mußte sich gefallen lassen, was sie nicht verhindern konnte. Sie seufzte:
»Ein Schwert geht mir durch die Seele, und die Schmerzen, die es leidet, verdanke ich dem, von dem ich Liebe nur erwarten kann. O, könnte ich mit meiner Luitgard sterben, so wäre Krieg und Unruhe vorbei.« …
Sie weinte, aber Eckard sagte:
»Was ich versprochen habe, muß ich halten.« --
»Dem Kaiser also, dem Markgraf nicht?« sagte Schwanenhilde, zog den Schleier über ihr Gesicht, faßte Luitgard an der Hand, und sagte zu ihr:
»Komm, laß uns mit einander reden, es droht uns eine lange Nacht, wo wir geschieden von einander leben müssen. Laß uns das aufgelegte Kreuz so lange tragen, bis unsere Kräfte unter ihm brechen.«
Daß die Mutter schon in dieser Nacht von der Tochter getrennt werden würde, das hatten Beide nicht geahnet. Als sich der Markgraf sogleich nach Mitternacht von seinem Lager erhob, und sich leise aus dem Zimmer schleichen wollte, erwachte Schwanehild und fragte:
»Was soll das Frühaufstehen! die Hähne krähen noch nicht.« --
»Ich führe Luitgard nach Quedlinburg,« entgegnete er. --
»Das heißt so recht mit dem Raube bei Nacht und Nebel davon ziehn,« sagte sie mit Ingrimm und schmerzlicher Wehmuth. --
»Wenn Dir's auch nicht gefällt, so scheint es mir doch gut, und es soll und muß geschehn! Wer sich mir widersetzen will, der findet mich gewaffnet. Es schweige jedes Widerwort.«
Der Markgraf weckte Luitgard selbst, bat sie gütig, daß sie sich reisefertig machen sollte, und versprach, der Aufenthalt in Quedlinburg werde nicht von langer Dauer seyn. Sie solle sich ruhig und geduldig fügen. --
»Ja,« sagte sie, in aufgebrachter Gemüthsstimmung, »zur allmächtigen Güte Gottes hoffe ich's, daß ich nicht lange in diesem Gefängniß bleiben werde, wo eine Äbtissin sich als Kerkermeisterin hat dingen lassen. Es erschien ja so manchem Unglücklichen, der ohne seine Schuld litt, schon ein Erlöser, auch ich werde ihn schauen. Wo ist meine Mutter? Von ihr darf ich doch Abschied nehmen? Heilige Gefühle habe ich schon verläugnen müssen, versagt mir die bittersüße Freude nicht, die Gute, welche mit mir leidet, noch einmal an mein Herz zu drücken. Einer verhängnißvollen Zeit werde ich entgegengerissen, ich weiß nicht, ob ich die Mutter wieder sehe.« --
»In Schmerz scheidest Du von Deiner Mutter, in Freuden wirst Du sie wieder sehen. Das finstere Dunkel, was Euch umgibt, was für Euch schrecklich ist, wird verschwinden, Ihr werdet Euch in hellem Lichte sehen und dem danken, den Ihr jetzt verwünschet. Eile, es wartet Alles auf Dich zur Abreise.« --
Eben hatte der Markgraf das Zimmer verlassen, als Schwanehilde in demselben erschien. Wehmuthsvoll umarmte sie die Tochter und sagte:
»Fasse Muth, das Harte zu ertragen, Gott gibt Dir Kraft, daß Du das Schwere leicht findest. Seufzer und Thränen ohne Zahl wird mir die Trennung von Dir kosten; denn seit Du geboren wurdest, warst Du noch keinen Tag von mir getrennt. Hoffe, glaube, das Ungewitter geht voran, ihm folgt der heitere Tag der Ruhe. Über Dornen führt der Weg zum Heil. Selbst die, welche Anstalten treffen, unser Glück zu zertrümmern, die müssen, wider ihren Willen, Alles thun, es nur fester zu bauen. Sollte der Allgewaltige es zugeben, daß in seinem unermeßlichen Reiche Gutes oder Böses, ohne seine Zulassung, geschieht? Widerstrebe der Äbtissin nicht, sie ist des Kaisers Werkzeug nur, verrathe nicht Abneigung gegen Otto, Du weißt, scharf ist ihr Auge, sie kann in dem Herzen lesen, das möchte für Dich von großem Nachtheil seyn. Kannst Du aber Wernern nicht vergessen, so mildere das allzumächtige Gefühl der Liebe gegen ihn. Mir scheint's nicht so, daß er je seinen Zweck erreicht und, ist ihm seine Freiheit, sein Leben lieb, will er einst die Würde, als Churfürst, behaupten, so muß er ihn fahren lassen. Der Himmel hat Euern unzertrennlichen Bund nicht gewollt und Ihr könnt und dürft ihm nicht erzwingen. In Weimar, wenn ich allein erst bin und die Einsamkeit nicht mehr erdulden kann, wohin ich reise, wird sich die Größe meines Kummers mildern. Nun laß uns scheiden. Leb wohl Luitgard! Wie, mit welchem Herzen werden wir uns wiedersehen!« …
Tochter und Mutter umarmten sich und eine große Zeit verfloß, ehe sie das Schicksal wieder vereinte.
»Willst Du von der Mutter nicht Abschied nehmen?« fragte der Markgraf Luitgard. --
»Wir haben blutige Thränen geweint,« entgegnete sie, »der Schmerz hat unsere Herzen gebrochen, er soll nicht erneuert werden. So folg' ich Euch denn, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird und seinen Mund nicht aufthut. Macht Euch das nicht traurig?« --
Er schwieg.
Ohne Unfall wurde die Reise vollendet. Einen Tag vor seiner Ankunft schickte der Markgraf einen Boten nach Quedlinburg voraus und ließ der Äbtissin die Stunde seiner Nähe melden. Durch denselben Boten ließ sie ihn und Luitgard freundlich begrüßen und ihr sagen, daß es die höchste Freude für sie sey, die treugeliebte Kaiserbraut auf eine längere Zeit in ihrer Gesellschaft zu wissen. Der Mensch setzte noch ganz besonders hinzu, daß es die Äbtissin wünsche, der Markgraf solle in der Dämmerung, und ohne alles Geräusch, seinen Einzug halten, um alles Aufsehen zu vermeiden.
»So ist's auch recht, »seufzte die traurige Luitgard, die niedergeschlagener wurde, je mehr sie sich Quedlinburg nahten, »einem Leichenzuge muß unser Kommen gleichen, denn hier, hier wird meine Freude, meine Freiheit und wer weiß, ob nicht mein Leben selbst, zu Grabe getragen.«
Sie wurde von der Äbtissin mit wahrer, mütterlicher Güte aufgenommen, welche ihr gelobte, die Zeit, in der sie von ihrem geliebten Otto getrennt leben müßte, ihr möglichst erträglich zu machen. Sie fürchte nicht, daß er länger in Italien verweilen werde, als die höchste Noth seine persönliche Gegenwart erfordere, und dann werde er in die Arme der geliebten Braut zurück eilen und die Wunden der Sehnsucht heilen.
»Betrübt Euch,« fuhr sie fort, »die Entfernung von der theuern Mutter, so dürft Ihr ja nur bitten, daß sie Euch öfter besucht. Nicht bin ich besorgt, daß Euch die neue Lage langweilen werde, Ihr findet sicher in ihr manche angenehme Zerstreuung; vielleicht auch eine gleichgestimmte Seele, an die Ihr Euch mit Liebe kettet. Überdies seht die schöne lachende Natur, in naher Ferne, das wunderliebliche Harzgebirge. Seyd Ihr eine Freundin der Natur, so muß Euch hier ihr hoher Reitz viele Freude gewähren. Es werden Euch Zimmer angewiesen, von denen Ihr herrliche Aussichten habt. Bildet Euch nicht ein, Ihr wäret eine Gefangene, oder eine ins Kloster eingesperrte Nonne, Euch bleibt, unter meiner Aufsicht, die Freiheit, welche Ihr wünschen könnt. Otto's Vorsicht müßt Ihr schätzen, daß er Euch meinem Schutze anvertraut, damit kein kecker Abentheurer Euch bestürmen, zu unerlaubten Schritten zwingen kann und sich so selbst in eine Gefahr stürzt, die ihm eine große unvermeidliche Strafe zuziehn würde. Und nun, gute Luitgard, da ich Euch meine ganze Liebe gelobe, schenkt mir auch Euer Vertraun, daß späterhin uns diese Zeit, wo wir beisammen lebten, in der Erinnerung eine angenehme seyn möge. Aus meinem bunten, an großen Erfahrungen so reichen Leben will ich Euch Vieles mittheilen, was Euch für die Folge als Lehre, Rath und Warnung dienen kann.«
Die Äbtissin befahl jetzt einer Dienerin, daß sie Luitgard ihre Zimmer anweisen mußte, damit sie ihre Reisekleider ablegte und sich andere Kleidung anzog. Als sie mit dem Markgraf allein war, sagte sie zu ihm:
»Recht blaß kömmt mir Eure Tochter vor und so still und sinnig, das ist kein gutes Zeichen.« --
»Wie kann das anders seyn,« entgegnete Eckard, erlauchte Frau, das Reisen hat sie angegriffen, auch lebte sie seit ihrer zarten Jugend fast keine Stunde von der geliebten Mutter getrennt. Darob härmt sie sich und muß sich erst an diese Abgeschiedenheit gewöhnen. Habt nur Geduld mit ihr und seht sie an, wie eine Kranke, die gütig und nachsichtsvoll behandelt seyn will, wenn sie desto früher genesen soll.« --
»Nun daran soll's nicht fehlen. Wenn ihr Herz nur nicht an einer andern Wunde leidet, die kein Arzt heilen kann! Wer kann uns dafür stehn, ob sie Werners Bild nicht noch liebend in der Seele trägt!« --
»Auch das kann wohl seyn. Das Andenken an einen Freund, der mit uns Hand in Hand auf dem Jugendpfade wandelte, verlöscht nicht so leicht; doch steht in ihr die Liebe gegen Otto höher angeschrieben. Wenn sie mit ihm vertrauter ist, dann wird kein anderes Gefühl, kein anderer Gedanke sie mehr in ihrem Glücke stören.« --
»Hofft Ihr das gewiß?« --
»Ich muß es hoffen.«
Schon am Abend nahm der Markgraf Abschied von der Äbtissin und seiner Tochter, da er am andern Morgen sehr früh seine Reise antreten und Otto nacheilen wollte.
»Nun, meine liebe Luitgard,« sagte er bei der Trennung von ihr, »Du wirst Dich bald an Deine neue Lage gewöhnen, sie ist eine freundliche und, allenthalben kömmt Dir die mütterliche Güte entgegen. Suche Deine Sehnsucht nach der Heimath zu bekämpfen. Kannst Du dem Verlangen, die Mutter zu umarmen, nicht widerstehen, so erlaubt es die erlauchte Äbtissin, daß sie Dich besuchen darf. Wer solch einer Zukunft entgegen geht, wie Du, dem kann die Gegenwart nicht dunkel seyn.«
Luitgard hörte den Vater ruhig an; aber, als er ihr die Hand zum Abschiede reichte, stand keine Thräne in ihrem Auge.
»Nun sind wir allein, geliebte Luitgard,« sagte die Äbtissin, »Ihr dürft Euch keine Art des Zwangs anthun und wie Ihr Eure Zeit verleben wollt, das soll lediglich von Euch abhängen. Seyd Ihr lieber allein, als in Gesellschaft, so habt Ihr Eure Zimmer. Wollt Ihre kleine Arbeiten vornehmen, so soll Euch Alles, was Ihr dazu bedürft, gereicht werden. Was Ihr zum Schreiben braucht, es liegt auf Eurer Stube. Liebt Ihr das Lesen, so will ich Euch von meinen Büchern geben. Fast von jedem Alter findet Ihr Personen Eures Geschlechts in meinen Mauern, mehrere von Geist und feiner Bildung, die Ihr zu Euerm nähern Umgange wählen könnt. Öfter sehe ich hier Gesellschaften, an denen Ihr Theil nehmen könnt. Täglich erheitern wir uns in der freien Luft. In den weitläuftigen Gärten könnt Ihr umhergehn, doch nie ohne eine Führerin. Hättet Ihr sonst eine Lieblingsneigung, so will ich die gern befriedigen. Ihr müßt so frei und ungebunden seyn, als ob Ihr in der väterlichen Behausung wäret. Glaubt es, daß ich Euch, als die Braut meines hochgeliebten Otto, recht zärtlich liebe. Kennt Ihr seinen zarten, gütigem Sinn, wie ich ihn kenne; wißt Ihr's erst in der That, wie unaussprechlich er Euch liebt daß Ihr ihm werther seyd, als eine Krone, Ihr müßt Euch, glücklich fühlen. Sein Herz hat Euch erkohren und keine Nebenabsicht leitet seine Wahl. Lohnt seine Liebe mit aller Zärtlichkeit, mit der ein weibliches Wesen lieben kann, dies sucht er nur, dies hofft er bei Euch zu finden, er wird's Euch leicht machen, daß Ihr's ihm gewährt.
Verkennt mich nicht, wenn ich mit Euch aufrichtig, wie eine Mutter mit der Tochter, rede. Ich weiß es wohl, daß eine frühere Liebe Euer Herz gefangen hält, sie aber gehört jener Zeit an, wo das Gefühl nur, nicht der Verstand in uns waltet. Wie wär' es Euch zu verargen, daß Ihr da Liebe erwiedertet, wo Euch Liebe entgegen kam! Bewahrt sie immer die zarte Neigung gegen den Sohn des Markgrafen, die Euch natürlich ist. Der Dank, den Ihr ihm schuldig seyd, da er durch manche Freude Euerer Jugendleben erheiterte, fordert Euch dazu auf. Grausam und unnatürlich wäre der, der's von Euch verlangte, daß Ihr ihn hassen, daß Ihr das Andenken an ihn in Euch vertilgen solltet. Und, gewiß hat er ein gutes Gemüth, er liebt Euch ferner auch mit gleicher Treue. Aber diese Neigung darf sich nicht über die Liebe erheben und stärker seyn, als sie, die Ihr Otto gelobt habt. Vergeßt es nie, ein heiliges Versprechen ist's, was Euch an ihn bindet und. Eure Tugend wurde es verdunkeln, wenn Ihr ihm in Eurer Brust einen niedern Rang einräumtet. Mit falscher Neigung soll kein Weib den Gatten täuschen. Er will Euch glücklicher machen, nie müßt Ihr ihn als den betrachten, der Euch ein größeres Glück entriß. Prüft die Worte, die ich mit Euch rede, überlegt sie wohl, laßt den Verstand und das Gefühl zugleich entscheiden, Ihr habt jetzt Zeit dazu. Gehorsam seyd Ihr auch, als eine gute Tochter, dem Vater schuldig. Nur das, was Ihr gelobt habt, das müßt Ihr traulich halten, es gibt kein Widerruf. Ein Fürst in Glanz und hohen Ehren war's, der sich einst, als ich noch in frischer Jugend blühte, um meine Hand bewarb. Mein Vater und meine Mutter riethen ernstlich zu der Verbindung. Ein geheimes Gefühl entschied in mir für einen unberühmteren Jüngling. Der Vater hob den Umgang mit ihm auf, den ich mit ihm pflog, er trennte mich von Ihm. Damals flossen meine Thränen, ich seufzte über Härte, aber die Folgezeit hat mich's gelehrt, weise war der Rath meines Vaters und vor vielen Unfällen, die ich hätte. erleiden müssen, hat er mich geschützt. Ach, meine Luitgard, wenn wir jung und unerfahren sind, da erscheint uns so Vieles in glänzendem Lichte, wir sehen seine Schatten nicht und Wohlthat ist's für uns, wenn der Eltern Geist und Rath, oft wider unsern Willen, uns eine andere Bahn führt, als die ist, die wir gehen wollten. Spiegelt Euch an meinem Beispiel, wenn ihr dessen bedürft, ich denke wohl, es kann Euch nützlich seyn.«
Luitgard fand, daß ihr die Äbtissin nachsichtsvolle Güte erwies. Sie gestand ihr aufrichtig, daß sie die Liebe zu Werner aus ihrer Seele nicht verbannen könne, daß sie aber auch der Pflicht eingedenk seyn werde, die sie Otto'n gelobt hatte. Wenn man nicht Unnatürliches von ihr fordere, so werde sich die Liebe zu Otto, den sie noch zu wenig kenne, in ihr ansiedeln, und dann würde sie sie treu, wie ein Heiligthum bewahren. Allzusehr habe sie der Vater übereilt und viel zu viel verlangt von ihr, was nur der Leichtsinn, der an nichts mit fester Neigung hängt, leisten könne. Sie versicherte der Äbtissin ihre Liebe, ihr Vertrauen. Diese schloß sie in ihre Arme und sagte:
»Ihr seyd wahr und aufrichtig, das muß ich ehren.«
Als Luitgard mit Wilna, ihrer Zofe, allein war, lobte sie die Äbtissin und pries ihre Güte.
»Es scheint,« sagte sie, »daß meine Gefangenschaft hier sehr erträglich seyn wird. Wenn ich die Zukunft nicht fürchten müßte, wenn meine Mutter um mich wäre, so würde ich heitere Augenblicke haben. Aber Wernern kann ich nicht vergessen, er schwebt mir unablässig vor der Seele, und die Sehnsucht nach ihm ist mir quälend. Wie fest man auch das Netz gewebt hat, in dem man mich gefangen hält, ich muß, ich muß es doch zerreißen. Gewiß bin ich umstellt von Wachen, die jeden meiner Schritte verrathen und viele Augen lauern. Zweimal schon schaute ich vom Fenster hinab und maß die Höhe, ob es nicht möglich wäre, durch einen Sprung der schrecklichen Stunde zu entgehen, wo Otto aus Italien kömmt, und ich mich ihm überliefern soll; doch, grausenvoll ist diese Höhe, und der Sturz hinab ist nur für den, der ewig von dem Leben scheiden will. Könnte ich einem Boten in der Luft die Nachricht anvertrauen, daß ich hier nach Wernern wie eine Eingesperrte seufze, er würde das Höchste wagen, um mich zu erlösen! Kann er's erfahren, daß man mich hieher verbannt hat, daß man mich hier, wie ein Opfer, aufbewahrt? Zwar dunkel ist meine Zukunft, doch die Hoffnung soll mich nicht verlassen daß es in ihr heller werden wird.«
Es wurde min der Zeit ruhiger in Luitgards Herzen. Sie wählte manche Beschäftigung, die sie zerstreute. An Unterhaltung ließ es die Äbtissin nicht fehlen, wenn sie bei ihr war. Sie suchte Alles auf, um Luitgard zu vergnügen. Zu ihrer Freude fand sie's selbst, daß sich die schöne Braut aufheiterte. Unter den Nonnen war es insbesondere Jutta von Bobringen, der Liebling der Äbtissin, mit der sich Luitgard inniger verband. Kein Tag verfloß, wo die Beiden nicht bei einander waren. Edler, frommer Sinn erzeugte gegenseitiges Vertrauen, und es kam unter ihnen bald zu einer herzlichen Freundschaft. Luitgard entdeckte ihr das Geheimniß ihrer Liebe, und Jutta verschloß es verschwiegen in ihrer Brust. An ihr fand Luitgard eine theilnehmende, mitleidvolle Seele.
»Markgräfin,« sagte diese, »was hindert Euch denn, wenn die Gewalt auf's Höchste steigt, Euch dem Kaiser anschmieden zu wollen, laut zu erklären: daß Eure Neigung mit seiner Liebe in offenbaren Widerspruche steht? Da, wo das Glück des ganzen Lebens redet, muß die Vatergewalt schweigen. Ihr habt zu viel nachgegeben, darum wird's Euch schwer, es zurückzunehmen. Wahrlich, es schmerzt mich tief in der Seele, daß der Mann, der Euch hienieden der Nächste aller Menschen ist, von Leidenschaft verblendet, Euch so behandelt, als ob er der ärgste Feind von Euch wäre. Wo ist das Gesetz, das uns verpflichtet, uns auch in den Willen derer sclavisch zu fügen, die uns eine Neigung aus dem Herzen reißen, die uns zu einer Verbindung hintreiben wollen, gegen die sich unsere ganze Natur empört? Ihr könnt es selbst ermessen, was von Beiden strafbarer ist, daß ihr dem Vater einen Gehorsam entsagt, den er nach göttlichen und menschlichen Rechten nicht von Euch fordern kann, oder daß ihr Wernern das heilige Versprechen nicht haltet, was ihr ihm gegeben habt. Die Wahl ist leicht, und bald und kräftig müßt Ihr sie entscheiden. Das Schwanken und Zweifeln ist der Makel schwacher Seelen. Ein festes Gemüth überlegt und prüft, faßt dann einen Entschluß, und ergreift Mittel, ihn ins Werk zu richten. Seht, so würde ich handeln, und hätte ich von jeher so gehandelt, fürwahr, so wäre ich keine unglückliche Nonne.«
Luitgard fand, daß Jutta ganz recht hatte, und es war in ihr nicht ungewiß, was sie thun wollte, wenn sie nicht auf eine andere Weise der Gewalt entzogen würde, die man ihrem Herzen anthat. Aber ein Monat war in Hoffen und Harren schon verflossen, und keine Sylbe hatte sie von Wernern gehört, er gab kein Zeichen von sich, ob er zu ihrer Erlösung herbeieilen und das Möglichste thun wollte, um sie aus den Händen der Äbtissin zu befreien. Vielleicht wußte er's nicht, daß sie in Quedlinburg eingesperrt lebte. Sie suchte und fand keine Gelegenheit, um ihm ihren Aufenthaltsort kund zu thun. Auch Jutta weigerte sich, das gefährliche Geschäft zu übernehmen, um ihm Nachricht von seiner Geliebten zu ertheilen.
»Wem ich auch auf mich selbst keine Rücksicht nehme, und in meinem Innern bereit bin, für Euch Alles zu wagen,« sagte sie, »so bin ich doch der Ruhe meiner Eltern heilige Pflichten schuldig, die ich nicht verletzen darf. Was aus mir werden würde, wenn ich als Verrätherin Eures Hierseyns entdeckt wurde, das könnt Ihr selbst berechnen, und die Möglichkeit, mich in Verantwortung und Strafe zu stürzen, wollt Ihr sicher nicht. Laßt nur den Himmel walten, er hat wunderbare Wege, die Nacht der Geheimnisse aufzuhellen, und dahin Licht zu bringen. wo Alles dunkel ist.«
Bald machte Luitgard folgende Vorstellung noch besorgter, weshalb sie sich auch von Jutta nicht völlig ruhig sprechen ließ, der sie ihre Vermuthung mittheilte.
»Es ist doch möglich,« sagte sie, »wenn es Werner von seinen Eltern selbst erfahren hat, daß Du Otto'n das Jawort gabst, daß seine Liebe gegen Dich erkaltet ist. Forderte er's nicht von Dir, daß Du Deine Neigung unerschütterlich bekennen und kein falsches Nachgeben verrathen solltest? Viel Unangenehmes hast Du Dir, auf eine Weile, erspart; aber hast Du ihm nicht Gefahr und Last aufgewälzt, das Unrecht, was Du begingst, wieder gut zu machen? Durch Deine Nachgiebigkeit bist Du des Kaisers Braut geworden und wie hoch wird man ihm das Verbrechen anrechnen, wenn er Dich Otto'n entreißt. Hat er Dir's nicht zugetraut, daß Dich die Liebe zu ihm stark, wie eine Heldin, machen werde und in dieser Hoffnung hast Du ihn getäuscht. Wird er's auch seinen Eltern glauben, daß Deine Liebe zu ihm in Deiner Seele noch mit gleicher Stärke fortglüht? Ach, ein, Jüngling, der, wie Werner liebt, macht auch riesenhafte Forderungen an die Geliebte und, wenn sie diese nicht erfüllt, so ist's dieselbe wunderbare Macht, die die Flamme entzündete und nährt, welche sie wieder auslöscht. Könntest Du nur mit ihm selber reden, Dich Ihm verständigen, Dich vor ihm rechtfertigen, Deine Thränen, als Betheuerungen, daß er Dir das Höchste im Leben ist, sprechen lassen! Wie auch, wenn ihm der Vater mit grellen Farben die Gefahr schildert, in die er sich stürzt, wenn er Versuche macht, ein Eigenthum zu erobern, was sich einem Andern hingab, und was ihm entrissen ist! Hat er nicht das Urtheil der Welt gegen sich, und wird er's nicht erkennen, daß ihn dieses verdammlich finden muß? Wer mag den Streit und Kampf um ein Gut, wenn mit dessen nur wahrscheinlichem Besitz Verlust der Ehre, der Freiheit und des Lebens droht! Wird er, der Redliche, das Unrecht unterstützen, was Du begehst, wenn Du an dem Kaiser zur Wortbrüchigen wirst? Stark und mächtig sind die Seelen im Kampfe der gerechten Sache, aber so manchem Held entsank das Schwert, wenn er's für Unklares schwingen sollte.« --
»So wäre es denn ein Wort, ein abgedrungenes Ja gewesen, was mich auf ewig von dem Quell meines Glücks entfernt? So hätt' ich mir denn selbst die Grube gegraben, in die man mich stürzen will? Und nicht auf Werners Mitleid dürfte ich rechnen, der das Recht hat, saßen zu können: ›Die Schmerzen, die sie leidet, hat sie verdient.‹«
Luitgard sank in tiefe Traurigkeit. Sie mußte sich große Gewalt anthun, um es der Äbtissin nicht zu verrathen, von welchen geheimen Schmerzen sie gefoltert wurde. Während sie mit diesen niederdrückenden Gedanken schwanger ging, war Werner zu ihrer Befreiung in starker Geschäftigkeit.
Just in der Zeit, wo Werner allein war und auf seine Genesung hoffte, indeß er auf die Rückkehr seiner Eltern und auf erwünschte Nachricht von Luitgard wartete, überraschte ihn ein ganz unvermutheter Besuch. Dedo Graf von Wettin erschien vor ihm mit den scheinbar herzlichsten Freundschaftsbezeugungen und wünschte ihm Glück, daß er nicht mehr in den Händen der verdammten Räuber sey. Eigentlich war er abgesandt, um zu erforschen, ob Werner seine Liebe zu Luitgard aufgegeben hätte. Es war ihm aber verboten, von ihrer Verlobung mit Otto eine Sylbe zu verlauten.
»Nun,« sagte Werner, »die Räuber verdammt nicht, sie mögen Verbrecher seyn, daß sie fremdes Eigenthum nicht respektiren, aber ich kann mich über sie nicht beklagen. Mit mir meinten sie's sehr gut und ich fühle mich zum Dank gegen sie verpflichtet. Als Ihr glücklich entkommen waret, fiel ich in eine große Krankheit, mein Leben verdank' ich ihrer Pflege. Ohne Lösegeld schenkte mir Günzel die Freiheit. So uneigennützig handeln viele Ritter gegen ihre Gefangenen nicht. Und, daß Ihr's nur wißt, verrätherisch hat mich ein Bube den Räubern überliefert. Als ich von der schönen Boja schied, da sagte sie zu mir mit bedeutungsvoller Miene: ›Hütet Euch, Ihr habt einen bösen Freund, der Euch ins Unglück stürzen möchte.‹ Hin und her hab' ich gesonnen, um den bösen Freund zu entdecken, aber ich kann ihn nicht finden: Zu groß erscheint mir die Schandthat, daß ein Mensch seinen Freund den Räubern überliefert, daß ich sie Niemanden zutrauen kann. Welchen Gewinn könnt' er von dem Verbrechen haben! Gäb' es ja ein solches Ungeheuer auf Erden und käme sein Verbrechen ans Licht, mit glühenden Zangen müßte es gezwickt werden. Seyd Ihr nicht meiner Meinung? Drachenblut voll Gift durchstrotzt seine Adern und ich möchte nicht einmal damit ein gutes Schwert beflecken. Graf, was meint Ihr wohl, wer dieser Freund seyn könnte? Ich ahne ihn nicht.«
Der listige Graf von Wettin, der die Gewalt hatte, sich selbst zu beherrschen, verzog keine Muskel im Gesicht und ob es auch in seinem Innern stürmte, so verrieth er's doch durch keine Miene, nicht durch Verlegenheit und den zitternden Ton der Stimme, daß er der böse Freund war, der auf seinen Verrätherlohn noch hoffte. Dreist und ohne Stocken entgegnete er:
»Glaubt mir, daß Ihr einen solchen bösen Freund auf Erden nicht habt, der mit Euch die schändliche Posse spielen konnte. Gäbe es wirklich einen solchen, nun, so kenne ich keine Strafe, die für ihn hart und grausenvoll genug wäre. Wie aber würde er sich dem Räuber so gröblich verrathen, der, wenn er menschliches Gefühl hat, davor zurückschaudern müßte. Die Sache ist ein Mährchen, von Günzel ersonnen, seinen Räuberstreich zu bemänteln, sicherer zu rauben, da er Euch als Geißel hatte und hinterher durch den Schein der Uneigennützigkeit Euern Vater und Euch zum Dank und zur Achtung zu verpflichten. Traut doch einem Räuber nicht so viel Gutes zu, Ihr müßt es wissen, wer ein Laster so frech und offenbar übt, der ist zu allen aufgelegt. Das, was man an ihm als Tugend sieht, ist nur Schein und Verstellung. Boja ist entweder getäuscht, oder sie wollte Euch täuschen.«
»Graf, es wird Euch nicht leicht, meinen Glaube an Günzels Tugend umzustoßen, noch weniger, mich zu überzeugen, daß ich keinen so bösen Freund auf Erden hätte. Für jetzt mag das schwarze Geheimniß, das ein Teufel in menschlicher Gestalt ersann, auf sich beruhn, die Zeit hat die dicken Schleier der verborgensten Laster schon gelüftet und wer weiß es, welchen Arm die höhere Gerechtigkeit schon ausersehen hat, es zu bestrafen. Ihr also könnt wir auch den Freund nicht nennen?« --
»Weil ich an keine Lüge glaube, darum kann ich Niemanden das Verbrechen zutrauen.«
Werner befahl, daß dem Gaste Nahrungsmittel aller Art vorgesetzt wurden und sagte:
»Eßt und trinkt, so viel Ihr wollt, so lange es Euch schmeckt, ich aber kann Euch nicht Gesellschaft leisten, da mir's so recht noch nicht munden Will Ihr müßt mir's ansehn, wie krank ich gewesen bin. Der Tod spielte mit meinem Leben und viel fehlte nicht, so hätte er gewonnen.« …
Der Graf aß und trank, wie ein Durstiger und Hungriger, um es nicht zu verrathen, daß ihm Werners Rede den Appetit verderben hätte.
»Ist's doch so still und öde hier,« fing Dedo an, »als ob Alles ausgestorben wäre. Sonst herrschte doch ein munteres Leben.« --
»Es hat geherrscht, Graf Dedo, und, wenn nicht Alles über den Haufen fällt, was meine Hoffnung glaubt, so wird die Freude wiederkehren. Nach dem Sturme des Unglücks pflegt eine ruhige, freude- und lustreiche Stille immer einzutreten. Euch kommt's so fremd nur vor, wo nicht viele Stimmen lärmen, weil Ihr an das Getöse der Großen, das diese stets umschwirrt, gewöhnt seyd. Was habt Ihr denn davon, daß Ihr an Otto's Hofe, da Ihr in Wettin ein Herr seyn könnt, den gehorsamen Diener macht. Wollt Ihr Euch mit fremden Federn schmücken und ein Amt erschleichen, das Euch Zwang und Bürde auflegt? Wohl dem, der nach freiem Willen leben kann und den die Thorheit nicht narrt, im Glanze eines so großen Herrn zu wandeln. Ihr habt einen schlüpfrigen Weg betreten und könnt leicht fallen. Wie sich's verlautet, so seid Ihr des Baiern Liebling, der schon einmal nach der Kaiserkrone griff und gewiß den Plan nicht aufgegeben hat, sie, wenn es seyn kann, auf seinen Kopf festzudrücken. Nehmt Euch in Acht, der kränkliche Mann soll sonderbare Launen haben; sind diese gut, so hebt et Euch zum ehrenvollen Licht empor, sind sie's aber nicht, so stößt er Euch hinab in die Nacht der Verachtung. Ich denke so, wenn ein Jeder bei seines Gleichen bliebe, so ginge er einen sicherern Gang.« --
»Markgraf, darauf verlaßt Euch, daß ich den gehe. Mein Ziel, nach, dem ich strebte, hab' ich nie verfehlt. Ich weiß es, daß mich Otto achtet. Zu jung bin ich noch, als daß ich von der Bahn des Ruhmes weichen sollte. Was ist ein Graf in seinem Lande, den nur die Knechte ehren! Nach Höherm steht mein Sinn. Der Herzog Heinrich meint es gut mit mir, sollt' ich seine Liebe schnöde zurückweisen? Erniedrigung hat man von mir noch nicht gefordert und in Ottos und Heinrichs Nähe hab' ich's empfinden, daß ich keine Null bin. Harte Worte habt Ihr gegen mich gesprochen, die ich fast übelnehmen könnte, wenn mir sonst Euer Gutmeinen unbekannt wäre. Aber auch den Freund müßt Ihr schonen, er hat eine empfindliche Seite, wo's ihn schmerzt. Wer da kämpft, von Theilnahme getrieben, nach unserm Wohlseyn sich zu erkundigen, dem gebührt freundlicher Empfang.« --
»Na, Graf,« sagte der gutmüthige Werner und ergriff dessen Hand, »wiegt doch nicht mißtrauisch jedes Wort, was ich redete und deutet es nicht übel, ich hab's ja nicht böse gemeint.« --
»Wenn's so ist, kann ich gern verzeihen. Ist der Markgraf nicht hier?«
Ganz aufrichtig erzählte Werner, daß seine Eltern nach Meißen gereist wären. --
»Und,« fragte Dedo neugierig, »Ihr bliebet hier, Ihr reistet nicht mit?« --
»Ließ mich denn meine von der Krankheit nachbleibende Schwäche reisen?« --
»Welche Gefahr und Beschwerde übernimmt ein Jüngling nicht, um seine Braut zu sehn. In einer Sänfte konntet Ihr Euch tragen lassen. Die Mädchen haben einige Grillen, wenn sich Luitgard nur nicht von Euch entwöhnt, da sie Euch so lange nicht sah.« --
»So ist sie nicht, wie viele andre Mädchen.« --
»Wundern aber muß sie sich, daß Ihr auf Monate ihres Anblicks entbehren konntet.« --
»Sie wird's erfahren, welche hindernde Umstände es mir unmöglich machten sie zu sehn.« --
»Darum also reiste Euer Vater nach Meißen, um Euer Wegbleiben bei Luitgard zu entschuldigen!« --
»Nicht darum, sondern da Eckard ihn ausdrücklich einlud, zu ihm zu kommen, weil er Wichtiges mit ihm zu verhandeln hätte. Was wird es anders seyn, als daß er mit meinem Vater ernstlich über meine Verbindung mit Luitgard redet, und den Tag vielleicht bestimmt, wo die Hochzeitfeier seyn soll.« --
»Das glaube ich nicht, das würde sich nicht passen; der Bräutigam, nicht die Braut, sucht in der Regel die Hochzeit zu beeiligen.«
Der Graf von Wettin blieb drei Tage bei Werner, und trug sehr wesentlich durch seine Unterhaltungsgabe dazu bei, daß die Zeit. angenehm dahin schwand. Durch sein scheinbar offenes, freundliches und liebevolles Wesen, vertilgte er in Werners Brust jede Spur des Mißtrauens und Verdachts, das dieser wider ihn hegen konnte, und gewann sein ganzes Wohlwollen und sein Vertrauen wieder. Werner nöthigte ihn gar sehr, bis zur Rückkehr der Eltern bei ihm zu bleiben, aber er schob dringende Geschäfte vor, die ihm keinen längern Aufenthalt in Salzwedel gestatteten.
Wernern, da er keine Lust hatte, Vergnügen und Zerstreuung in der Umgegend zu suchen, wurde jeder Tag länger und unerträglicher, ehe seine Eltern erschienen und ehe er Nachricht von seiner Luitgard erhielt. Am Abend hatte er einen Eilboten beordert, der nach Meißen reiten, und die Rückkehr seiner Eltern beschleunigen sollte. Ehe er aber abging, öffneten sich die Thore und die Ersehnten erschienen.
»Wie steht's mit Luitgard?« das war seine erste Frage. --
»Luitgard ist gesund,« entgegnete der Markgraf, »sie liebt Dich noch und wird Dich ewig lieben.« --
»Und was war denn die wichtige Sache, weßhalb Euch Eckard so dringend einlud, nach Meißen zu kommen?« --
»Eine mündliche Unterredung, daß Luitgard, da sie durch Krankheit geschwächt sey, vor Verlauf eines Jahres nicht heirathen könne.« --
»Wer hat denn die Heirath mit ihr früher erzwingen wollen! Hat sie die Krankheit angegriffen? Ist ihr Gesicht mager und blaß? Ist für ihr Leben noch Gefahr?« --
»Gefahr ist für ihr Leben nicht, daß sie aber sehr krank gewesen ist, davon sieht man die Spuren noch. Auch ist ihr Gemüth nicht heiter. Bist Du erst völlig stark und gesund, so magst Du selbst nach Meißen reisen.«
Die wahre Lage der Dinge erfuhr Werner von seinen Eltern noch nicht. So groß sein Verlangen war, Luitgard zu sehen, seine körperliche Schwäche und kleine Rückfälle erlaubten es immer noch nicht, sich auf die Reise zu wagen. Er wurde mürrisch und zürnte auf seine schwache, zerbrechliche Gesundheit.
Eckard war unterdeß im Gefolge Otto's und mit einem starken deutschen Heere in Italien angekommen. Als sich der Kaiser mit drohender Miene Rom nahte, ergriff der falsche Papst, Johann XVI., die Flucht. Die Römer, welche Otto's Ungnade fürchteten, und besorgten, er werde Rache an ihnen nehmen, daß sie seinen Vetter, Gregor V., seiner Würden entsetzt hatten, begingen den unmenschlichsten Streich an dem geflüchteten Johann XVI. Man setzte ihm nach, holte ihn auf der Flucht ein, und -- wie abscheulich -- schnitt ihm Zunge und Nase ab, stach ihm die Augen aus, und führte den so Gequälten, zu seiner Beschimpfung, auf einem Esel rücklings sitzend, durch die Straßen.
Crescentius, der Stifter der Unordnung, daß Gregor V. seinem Nebenbuhler weichen mußte, wurde dem Kaiser überliefert, der ihn, ohne Barmherzigkeit, enthaupten und ihn bei den Beinen aufhängen lieb.
An einem Nachmittage kam Werner von Rohrberg mit einem kleinen Gefolge zurück. Vor ihm ritt ein ungerüsteter Reiter, der auf der Straße nach Salzwedel war. Werner gab seinem Rosse die Sporen und holte ihn bald ein.
»Wer seyd Ihr,« fragte er den Unbekannten, »wo kommt Ihr her, wohin wollt Ihr, und was ist Euer Gewerbe? Ihr seyd kein Mann aus unserer Gegend und kommt von der Ferne her.« --
»Das komm ich,« erwiederte der Fremde. »Die andern Fragen, die Ihr sonst an mich thatet, werde ich einem Andern, als Euch, beantworten. Ihr habt kein Recht, mich auszuforschen.« --
»Nun, wer ist denn der Andere?« --
»Es ist der Markgraf selbst.« --
»Seyd doch nicht so geheimnißvoll, ich bin sein Sohn.« --
»Und wäret Ihr sein Bruder, Ihr werdet nichts von mir erfahren. Nichts soll mich bewegen, das Wort zu brechen, was ich gegeben habe.« --
»Was ist das für ein Wort?« --
»Kein anderes, als daß ich das, was ich dem Markgraf melden soll, keinem Andern plaudere. Nun laßt mich zufrieden, es ist nicht fein, wenn man Künste anwendet, einem Boten Geheimes abzulocken, was er nicht verrathen soll.« --
»Ist Luitgard, des Markgrafen Tochter, sehr krank, ist sie wohl gar gestorben? … Redet, seyd Ihr ein Trauerbote? Wißt, sie ist meine Braut.« --
»Nun, das Eine kann ich Euch sagen, daß ich weder gehört habe, ob sie krank oder todt ist.« --
»Von Meißen kommt Ihr also, vom Markgraf Eckard?« --
»Von Meißen, ja; aber nun fragt mich weiter nicht, und zürnt mir nicht, wenn ich Euch auf jede Frage die Antwort schuldig bleibe.«
Mit dem Boten zugleich ritt Werner in das Schloßthor, stieg von seinem Rosse, ging zum Markgraf und sagte:
»Da ist ein Bote, der von Meißen kömmt. Die Nachrichten, die er Euch bringt, verschweigt er mir hartnäckig. Ich zittere, ob nicht Luitgard ein Unglück begegnet ist. Laßt den Menschen vor Euch kommen, gebietet ihm, daß er in meiner Gegenwart sagt, was er weiß. Ich brenne vor Begierde, es zu wissen. Was für ein Geheimniß könnte er von Meißen bringen, das ich nicht wissen dürfte.« --
»Doch vielleicht ein solches, das Dich erschüttern könnte, wenn Du's hörst«. --
»Wie's auch laute, wenn's mich betrifft, so muß ich's doch erfahren. Ich ahne Schreckliches, Ihr müßt mich bald beruhigen, wenn das Übel der Krankheit für mich nicht gefahrvoller zurückkehren soll, als es von mir gewichen ist.
Der Bote wurde hereingerufen, und mußte in Werners Gegenwart, seine Aufträge dem Markgraf kund thun. Er wußte weiter nichts zu melden, als der Markgraf Eckard sey dem Kaiser Otto nach Italien gefolgt. Auf dem Schlosse in Meißen herrsche eine trauervolle Stille.
Man habe die Markgräfin oft weinen sehen. Auf ihren Spaziergängen wäre sie immer von Frauen umgeben, Luitgard aber hätte man niemals bei ihr bemerkt. Einige meinten, sie liege vielleicht krank, andere, sie sey in Weimar, noch andere, sie habe ihren Vater nach Italien begleiten müssen. Die Verständigen aber sagten: die Markgräfin wäre nicht in Meißen, wenn sich ihre Tochter in Weimar aufhalte, und die Meisten hielten das für ein Mährchen, daß sie mit dem Vater nach Italien gezogen sey.
»So dunkel und verwirrt stehen die Sachen, daß selbst die Meißner nicht wissen, was sie davon denken sollen. Sind sie Euch aber wichtig, so werdet Ihr schon Mittel finden, das Räthsel aufzulösen.« Hier schwieg der Bote.
Werner fuhr mit seiner gewöhnlichen Heftigkeit auf und sagte:
»Nun mag sie brechen, diese baufällige Gesundheit. ich muß, ich muß nach Meißen und sollte ich unterweges sterben. Der Tod ist mir jetzt erwünschter, als eine Ungewißheit, in der ich zweifelnd umhergeworfen werde, ob Luitgard in Meißen, in Weimar oder in Italien gar ist. Was müßt' ich von mir selber halten, wenn ich länger hier ruhig bleiben könnte, die Hände in den Schooß legte und das Schicksal walten ließe.« --
»Werner, noch kannst Du nicht reisen.« --
»Legt eine diamantene Kette an, ich werde sie dennoch sprengen. So schwach ich mich noch fühle, ich hoffe auf eine Kraft, die mir von oben kömmt. Ein längeres Harren verzehrt meine letzten Säfte, und dann kann ich nur unthätig jammern und nichts wirken. Luitgards Nähe wird mich erquicken, wie die Sonne im Frühling den trägen, erstarrten Wurm. Sehen will und muß ich sie, und wäre sie am Ende der Welt. Vater, haltet mich nicht zurück, Ihr sollt es sehen, gesunder komme ich wieder.«
Alle Vorstellungen des Vaters und der Mutter, daß Werner seine Reise nur noch eine Woche aufschieben sollte, damit er mehrere Kräfte sammelte, waren vergebens. Auch auf die Möglichkeit, daß er vielleicht Luitgard nicht sehen werde, wollte man ihn vorbereiten; aber für solche Vorstellungen hatte er keinen Sinn und sagte:
»Liegt sie in der Erde, so setze ich mich auf ihren Grabhügel und beweine ihren Tod, der bald mein Leben enden wird; ist sie aber noch unter den Lebendigen, so muß ich zu ihr, wenn tausend Thüren sie verschlössen, wenn himmelhohe Mauern sie umthürmten, wenn Lanzen und Schwerter sie bewahrten. Es giebt eine gewaltige Macht, das ist die der Liebe, die es mit den größten Hindernissen aufnimmt, die den schwersten Kampf wagt und wenn die augenscheinliche Gefahr auch droht, uns hinab in die Wogen des sichern Verderbens zu stürzen. Was achtet der die Feinde, der siegen muß und, wenn er das nicht kann, mit Freuden in den Tod geht.«
Eh noch der Morgen graute, nahm Werner Abschied von seinen Eltern und ritt mit einem kleinen Gefolge von Salzwedel ab. Den großen Teufel und seine Rotte durfte er nicht fürchten, der war sein Freund. Väterlich ermahnte ihn der Markgraf, daß er nur kleine Tagemärsche machen sollte, damit er nicht von neuem in eine tödtliche Krankheit fiele.
Bitter weinte Godila beim Abschiede und ihr entfuhren die Worte:
»Die bange Ahnung, Dich nicht wieder zu sehen, drückt mir das Herz zusammen. Ach, wenn wir jetzt auf ewig von einander schieden! Willst Du's, ich bin in diesem Augenblick bereit, Dich zu begleiten. Welche Martern werd' ich empfinden, wenn ich mit Angst an Dich denken, wenn ich mit jedem Augenblicke fürchten muß, daß uns ein Trauerbote erscheint!« --
»Mutter, bleibt hier, der Vater bedarf Eurer. Unsichtbar mir zur Seite wandelt ein frommer, mich beschützender Engel, ich gehe auf guten Wegen. Eine innere Stimme sagt mir's, wir sehen uns froher wieder und kein Unfall wird mir begegnen. So lebt denn wohl, habt Dank für Eure Mutterzärtlichkeit.« …
Der Markgraf, der selten eine Thräne weinte, mußte sich die Wange trocknen, als er Werner nachsah und er sagte zu seiner tiefbetrübten Godila:
»Laß ihn nur gehn, wir konnten ihn nicht halten. Ich glaub' es selbst, der Lenker unserer Schicksale hat die Reise angeordnet, sie ist für Werner gut.«
Nicht so schnell als es Werner im Sinne hatte, konnte er den Weg bis Meißen zurücklegen. Er erkrankte dreimal unterwegs und war gezwungen, in verschiedenen Herbergen mehrere Tage still zu liegen. Er verwünschte seine wankende Gesundheit. Vierzehn volle Tage waren verflossen, eh er die Thürme des Schlosses von Meißen sah. Jetzt aber fühlte er sich auch von neuer Kraft gehoben. Der Hoffnung gab er größern Raum, als der Furcht. Den Gedanken, daß er Luitgard nicht sehen werde, konnte er gar nicht denken. Es war ihm in vieler Hinsicht lieb, daß Eckard nicht gegenwärtig war. Die Güte und Zärtlichkeit Schwanehildens erlaubte es sicher, daß er mit seiner Luitgard ohne Zwang und ungestört umgehen konnte.
Als er seine Ankunft durch einen vorausgeschickten Boten melden ließ, lag Schwanehilde vor dem Altar in der Kapelle auf den Knieen, und flehte den weisen und mächtigen Regierer menschlicher Schicksale an, daß er Luitgards Herz regieren, und ihr eingeben möge, was für sie das Beste sey. Sie hatte vor einer Stunde Nachricht von ihr und der Äbtissin erhalten, die sie zu einem Besuche nach Quedlinburg einlud, mit dem Bemerken, ihre Reise so geheim als möglich zu halten. Der kommende Morgen war zu ihrer Abreise bestimmt.
Wie aber wurde ihr ganzes Gemüth erschüttert, als sich Werner zu einem Besuche melden ließ! Abweisen konnte sie ihn nicht, verleugnen wollte sie sich ihm nicht lassen. Wie sollte sie seine Fragen nach Luitgard beantworten, da sie ihm die Wahrheit nicht sagen durfte! Sie war in der größten Verlegenheit. Ihr Herz hing mit mütterlicher Neigung an diesem Werner, und ihre Liebe gegen ihn wurde durch Theilnahme, die sie für ihn empfand, nur noch erhöht. Er erschien ihr als ein unschuldig Gekränkter, dem Eckard ungerechter Weise weh gethan hatte. So gern sie es wollte, das Unrecht konnte sie nicht gut machen. Daß aber Luitgard mit Werner glücklich und mit Otto unglücklich wurde, davon war sie fest überzeugt. Mit unveränderter Güte wollte sie ihn aufnehmen, und wenn sein heftiges Gemüth aufbrauste, es auf alle Weise zu besänftigen suchen. Daß sie ihn aber überreden könne, seine Rechte, die er an ihrer Tochter hatte, aufzugeben, das dachte sie nicht.
So freundlich und mild, wie ihr ganzes Wesen seyn konnte, ging sie dem über die Schwelle schreitenden Werner entgegen, reichte ihm nach alter Sitte traulich die Hand, welche er mit Ehrerbietung küßte, und hieß ihn willkommen. Sie erschrak über seine magere Gestalt, über sein blasses Gesicht, und sagte voll innigen Mitleids:
»Ihr müßt sehr gelitten haben! Seht Ihr doch aus, wie eine Leiche, die aus dem Sarge auferstanden ist.« --
»Markgräfin, ich war krank, sehr krank, und bin noch nicht gesund; aber ich denke in Meißen den Balsam zu finden, der Kranke meiner Art heilt. Ich glaube vierzehn Tage mußte ich von Salzwedel bis hieher reisen, und in drei Herbergen war ich meinem Ende nahe. Indeß werden körperliche Leiden leicht überwunden, wenn die Seele ohne Kummer ist, wenn Liebe und Theilnahme die Wolken zerstreut, welche das Herz umlagern. Ihr seyd jetzt wie eine Wittwe, der Markgraf ist nach Italien mit dem jungen Otto gezogen. Wozu ihm das wohl nutzen kann! Will er größere Ehrenstellen erwerben? Mir ist es unbegreiflich, wie er's über sich vermag, sich von Land und Leuten und von Euch sich zu trennen. So denk ich mir's, nur in der Nähe unserer Lieben ist der Himmel, sonst nirgends. Wie aber hat es mich gefreut, daß mir die liebe Luitgard die Versicherung durch meine Eltern geben ließ, daß ihr ganzes Herz noch an dem meinen hange, und daß sie dies durch einen Brief betheuerte.« --
Erschrocken sagte die Markgräfin:
»Werner, Ihr irrt. Als Eure Eltern sich hier aufhielten, war Luitgard in Weimar.« --
»Nein, ich irre nicht. Glaubt Ihr, daß ich wahnsinnig bin, daß Ihr so mit mir redet? Luitgard war hier, hier war sie, und hätte ich den Brief bei mir, den sie an mich hier, hier schrieb, so könnt ich den Euch zeigen. Ihr müßt die Wahrheit gelten lassen. Warum sprecht Ihr, daß Luitgard in Weimar war? Ihr sagt mir nun wohl gar, daß sie nicht in Meißen ist, und ich soll's glauben.« --
»Nein, Werner, in Meißen ist sie nicht.« --
»So finde ich sie in Weimar. Dahin will ich eilen, und sollte ich unterwegs, das ist möglich, auch den Tod finden. Ich muß, ich muß sie sehen, und selbst mein Leben setz ich daran. Markgräfin, wo ist sie? Von Euch lebte sie getrennt? Ihr lebtet einsam hier? Euer Mutterherz könnte sie entbehren? So könntet Ihr Eure alte Natur verleugnen? Luitgard ist hier, warum wollt Ihr mir das verschweigen! um aller Heiligen, um meines Lebens willen, beschwöre ich Euch, thut das nicht. Seht, ich bin ein Kranker, der an der Schwelle des Grabes steht, stoßt mich nicht hinein. Der Anblick Eurer Tochter, das wunderbare Wort der Liebe von ihren Lippen kann mich gesund machen.
Weiche, zarte, menschliche Mutter, die Ihr die Qual keines Wurmes sehen könnt, hättet Ihr nur kein Herz voll Erbarmen, für mich? Ist mir Luitgard abgeneigt geworden? Hält ein anderer Jüngling sie an den Banden der Liebe? Nun, so will ich auch denken, daß der Glaube an Gott eine Fabel ist, die ein weiser Thor erfunden hat, uns Unweise zu betrügen. Hätte sie denn kein Verlangen, mich zu sehen? Wollt Ihr sie getrennt von mir halten und sie martern, wie es kein Feind ihr thut? Sie lag einst unter Euerm Herzen, Liebe hat Euch die Natur gegen sie gebeten, und die heiligsten Gefühle, die ein Mutterherz umfaßt, könntet Ihr verleugnen? Wollt Ihr mich meine Luitgard nicht sehen lassen, so nehmt dieses Schwert, seyd stark wie ein Mann, und stoßt es in meine Brust. Sterbend will ich Euch als meine Wohlthäterin preisen, ob Ihr auch meine Mörderin seyd.«
Werner hatte sein Schwert gezogen und hielt es der Markgräfin hin, die davor zurückschauderte. Sie faßte ihn am Arm, und sagte mit bittender Miene:
»Stillt Euer Ungestüm, Ihr seyd zu heftig, es kann Euch tödten. Werdet ruhig, daß ich verständig mit Euch reden kann. Den Sturm, den Ihr erregt, halt' ich nicht aus. Ruhig, Werner, sonst muß ich mir Hülfe rufen. Flammen sind in Euern Augen, Eure Wangen zucken, ich hör Euch mit den Zähnen knirschen.« --
»Na,« sagte er, »redet, ich will Euch hören.« …
Abgemattet sank er auf einen Lehnstuhl nieder und seiner Hand entsank das Schwert.
Jetzt fing Schwanehilde mit bebender Lippe also an:
»Wißt Ihr's denn nicht, was sich hier ereignet hat, seit Ihr nicht in Meißen waret? Hätten Euch Eure Eltern das Geheimniß aus Liebe und Schonung verschwiegen, weil Ihr noch zu schwach waret, um Unangenehmes mit Muth und Ruhe zu ertragen? Das muß ich ganz gewiß aus Euern Reden und Euerm ganzen Betragen glauben.« --
»Nun, was ist es denn, so zieht doch nicht um den Berg und martert mich nicht langsam ! Soll ich sterben, so schlagt mich mit einem Blitze todt. Wäre Luitgard gestorben, so hätte man mich von Salzwedel nicht hierher reisen lassen, um das für mich schrecklichste Geheimniß zu erfahren. Ich brenne vor Neugierde, ich liege auf einer Folter, wo ich alle Qualen der Seele erfahre.« --
»Um Gotteswillen bitte ich Euch;« flehte die Markgräfin, »sucht innere Ruhe zu gewinnen, sonst muß ich mich von Euch entfernen, ich kann's nicht aushalten in Eurer Nähe, Mitleid und Besorgniß für Euch bricht mir das Herz. Könnt Ihr mir das versprechen?« --
»Ja, ich kann's versprechen, Gott stärke mich!«
»An einem Feste war's, der Herzog Bernhard mit den Seinen war auch zugegen, wo der jugendliche Otto meine Tochter zum Erstenmal in vollem Glanz ihrer Jugend sah. Sein Herz wallte in Liebe und Neigung gegen sie über. Bald kam ein Herold von ihm an Eckard abgesandt, der ein Schreiben überreichte, das eine Einladung nach Aachen enthielt und die offne Erklärung, wie Luitgards Schöne das Herz des kaiserlichen Jünglings gerührt hätte. Eckard kam von Aachen mit dem Bescheid zurück: Otto begehrt meine Tochter zur Gemahlin und -- ich habe sie ihm zugesagt.« --
»Zugesagt, zugesagt,« sprach Werner, »das ist nicht möglich, das konnte Eckard nicht! Wär ich denn ein kindischer Narr, mit dem man Kurzweil treiben kann? Gilt Luitgard dem Vater für eine Waare, die er an den verhandeln kann, der ihm die größte Summe dafür zahlt? Ist das Gefühl für Recht und Pflicht aus ihm gewichen und will er die Sitte einführen, daß man nach Willkühr sein Wort halten und brechen kann? Nein, damit bin ich nicht zufrieden, das empört mich, es reißt mich zur ungestümen Rache fort. Doch, vollendet nur die schreckliche Geschichte, die sich mir nicht auf der Erde, sondern in der Hölle ereignet zu haben scheint.«
»Ruhig,« bat Schwanehilde, »und Ihr sollt Alles hören. Traut mir es zu, daß ich den Bund, den Eckard mit dem Kaiser geschlossen hatte, nicht billigte, daß ich von Eurer Liebe zu Luitgard redete, daß ich's nicht verschwieg, wie für sie eine Verbindung mit Otto der Nagel zu ihrem Sarge wäre. Meine Stimme wurde überhört, die Stärke siegte und die Schwachheit erlag. Ach, es greift mir schmerzhaft in das Mark der Seele, aber ich muß die Wahrheit sagen, verschwiegen kann sie Euch nicht bleiben. Hingeschleppt wurden wir zur Äbtissin, mit widerstrebendem Herzen, nach Quedlinburg. Dort war Otto und erwartete in großem Glanze seine Braut. Überredet, gepreßt, gezwungen sagte Luitgard, so sehr sich's in ihrem Innern sträubte, so heftig es stürmte, als sie gefragt wurde, ob sie den Kaiser, als ihren künftigen Gemahl anerkenne, mit erblaßter Lippe, ja.« --
»Sie sagte ja? Das hätte sie nicht sagen müssen. Doch, die Lippe hat es nur gesagt, nicht das Herz. Sie ist dazu gezwungen. Sie ist mein, mein ist sie und kein Kaiser kann sie mir rauben. Aber, welch ein Mann ist dieser Eckard! Aus Achtung gegen Euch will ich ihn mit den verdienten Namen nicht bezeichnen. Liebt mich Luitgard, wie sie sonst mich liebte, noch?« --
Das dürft Ihr nicht bezweifeln. Die Thränen, die sie um Euch vergoß, sind nicht zu zählen. Aber, Werner, Ihr müßt von ihr lassen, wenn Ihr Euch nicht in den offenbaren Schlund des Verderbens stürzen wollt. Was vermögt Ihr gegen einen Kaiser! --
»Und wenn ich mich in ein Meer von Flammen stürze, was verliere ich weiter, als ein Leben, das ohne Luitgard eine Reihe von Qualen ist. Meint Ihr, daß ich einen Kaiser fürchte, der mir das höchste Gut entreißen will? Wenn er's weiß, daß ich Luitgard, seit meiner Kindheit, liebte, und er wählte sie dennoch zu seiner Braut, so hat er an mir den schändlichsten Raub begangen. Jedes Mittel biete ich auf, sie seinen Krallen zu entreißen. Aber, wo ist sie, das sagt mir, Ihr dürft es mir nicht verschweigen, wenn ich Euch nicht Theilnehmerin eines Verbrechens nennen soll, dessen Stifter ein Markgraf ist, das er an mir, an seiner einzigen Tochter beging.« --
»Nennt mich, was ich nicht bin, aber ihren Aufenthalt darf ich nicht verrathen, ein eidliches Versprechen verpflichtet mich zum Schweigen.« --
»Darf eine fromme Seele auch das beschwören, was sie als höchstes Unrecht verabscheuen muß? Ihr solltet mit Luitgard nicht nach Quedlinburg reisen! Ihr hättet sie warnen müssen, das falsche Ja auszusprechen. Markgräfin, Eure Tugend hat gefehlt, eine schwere Sünde habt Ihr begangen! Ach, wie schwach und fehlerhaft sind auch die besten Menschen, wenn die Versuchungen zum Bösen sie auf härtere Proben stellen! Ihr wollt es also nicht offenbaren, wo Eure Tochter ist?« --
»Werner, ich kann, ich darf es nicht.« --
»Nun, so wird der Himmel mir den Weg zu dem Orte zeigen, wo man sie gefangen hält und mit List oder Gewalt werde ich mir Bahn zu ihr machen. Auf meiner Seite ist das Recht und jede Seele, die das Laster haßt, wird mir Beistand leisten. Ist Luitgard in Weimar?« --
»Das schwör' ich Euch, da ist sie nicht.« --
»In Quedlinburg vielleicht, bei der alten Äbtissin, deren Schooßkind der junge Otto ist, die sie für ihn so lange im Verschluß hält, bis er aus Italien kömmt, wo sie sie ihm ausliefern will. Nicht wahr, ich hab's getroffen?«
Schwanehilde zögerte mit der Antwort und sagte dann:
»Ein Eid verpflichtet mich zum Schweigen.« --
»Nun, und Ihr sagtet doch, Luitgard ist in Weimar nicht, wollt Ihr nicht auch sagen, sie ist nicht in Quedlinburg? Mir geht ein Licht auf, Ihr habt mir's angezündet und ich werd' es zu erfahren suchen, ob's mich sicher führt ober nur blendet.«
Werner blieb die Nacht und mehrere Tage bei Schwanehilde. Ihre Reise nach Quedlinburg mußte sie aufschieben. Daß Luitgard nicht auf dem Schlosse war, davon überzeugte er sich. In den wenigen Tagen, wo er bei der Markgräfin war, stärkten sich seine Kräfte. Sie war mütterlich und gütig gegen ihn, das that ihm wohl. Sehr viel wurde von Luitgard gesprochen und die Markgräfin gestand es ihm offen, daß sie die Vermählung ihrer Tochter mit Otto durchaus nicht billige, aber sie wolle auch nichts thun, um sie zu hintertreiben. --
»Wißt Ihr nicht,« sagte Werner, »daß man sündigt, wenn man unthätig bleibt, da man Böses verhindern und Gutes befördern könnte? Ihr solltet auf unsere Seite treten, männlich und entschlossen und bedenken, daß Ihr dadurch viel Unheil abwenden könnt.« --
»Den Himmel will ich walten lassen,« sagte sie mit einem Seufzer. --
»Ja, der waltet, mit immer weiser Macht und Güte, aber dabei soll der Mensch auch geschäftig seyn, er hat Kräfte vom Himmel empfangen, und die Hände muß er nicht in den Schooß legen.«
Recht herzlich war der Abschied, den Werner von der Markgräfin nahm, sie war so mütterlich und gütig, daß er darüber tief gerührt wurde. Sie bat ihn in den letzten Augenblicken noch, nichts zu unternehmen, wodurch er sich und Luitgard schaden könne.
Er erwiederte:
»Die Mächte des Himmels und der Hölle biete ich auf, um Luitgard in meine Arme zu führen und wäre es dann auch ein Blitz, der uns Beide zugleich zerschmettert, wir werden fröhlich sterben.«
Statt aber seinen Weg in gerader Richtung nach Salzwedel zu nehmen, ging er absichtlich durch die Priegnitz. Der Gedanke, daß Luitgard in Quedlinburg bei der Äbtissin fest gehalten werde, hatte sich in ihm mehr bestärkt, da er eine Art von Verlegenheit in dem ganzen Wesen der Markgräfin bemerkte, so oft er den Namen Quedlinburg oder den der Äbtissin nannte. Ehe er aber Gewalt anwenden konnte, wenn die List nicht ausreichte, die Gefangene zu entführen, mußte er's zu erforschen suchen, ob Luitgard auch wirklich in Quedlinburg war. Von seinen Leuten traute er keinem so viel Verschlagenheit zu, daß er ihn als geheimen Kundschafter gebrauchen konnte. Da fiel ihm Günzel von Kuhberg ein, der gewiß in seiner Bande einen Tauglichen fand, der sich um einen guten Lohn bereit finden ließ, den Aufenthalt Luitgards auszuspüren und wenn sie tief in der Erde verborgen gehalten würde.
In Perleberg erfuhr es Werner ganz bestimmt, daß die gefürchtete Räuberbande in den Wäldern umherstreife, Dörfer plündere, Reisende anfalle, mehrere Stücke von den Viehheerden wegtreibe, Ritterburgen nicht unverschont lasse. Es sey im Werke, eine beherzte Schaar wider sie ausziehn zu lassen, um dem Unheil ein Ende zu machen, welches die Störer aller gesetzlichen Ordnung anrichteten. Die Räuber hausten jetzt zwischen Perleberg, Werben und Seehausen, diesseits und jenseits der Elbe und ihr Oberhaupt, der große Teufel, sagte man, hätte seinen Sitz in der Nähe von Werben aufgeschlagen und mache mit vielen seiner wendischen Landsleute gemeinschaftliche Sache, die ihm großen Beistand leisteten. Drei Ritter, die von Quitzow, Bredow und Saldern, seyen seine Gefangenen, die mit ihrer Mannschaft in seine Gewalt gefallen wären. Die Leute habe er frei gegeben, die Herrn aber behalten.
Am folgenden Morgen trat Werner die Rückreise nach der Gegend an, die ihm als die bezeichnet war, wo er sicher den Räubern in die Hände gerathen mußte, Seine Leute warnten ihn, sich der Gefahr einer neuen und vielleicht ärgern Gefangenschaft nicht auszusetzen, aber er gab ihnen die Antwort:
»Mag der große Teufel die Gegend mit vielen Drangsalen belasten. Ohne daß ich Antheil an den Störungen der öffentlichen Ruhe habe, die er anrichtet, ist er mein Freund, von dem ich nichts Böses besorge. Er hat mir wohlgethan. Seine Thaten mag ich nicht richten und weiß es wohl, daß sie so wenig taugen, als die Räubereien der Ritter; aber das weiß ich ganz gewiß, er ist treuer im Worthalten, als mancher Markgraf, der mit heiligen Versprechungen spielt. Folgt mir ohne Zagen, ihr sollt es erfahren, daß ich euch nicht ins Unglück führe.«
Sie waren bis Mittag geritten, als sie, da ihre Rosse ermüdet waren, auf einem Grasplatz Halt machten und sie weiden ließen. Auf einmal scholl's in dem Walde von heftigem Gelärm. Die Rosse wurden gezäumt, Werner bestieg sie mit seinen Leuten und befahl, daß sie die Schwerter ziehn mußten: Ehe sie den Weg erreicht hatten, sahen sie, daß zwei Reiter auf demselben hinflogen, wovon der eine ein blutiges Gesicht hatte. Es währte nicht lange, da kamen ihnen vier Räuber mit Spießen entgegen, die seitwärts in den Wald wichen.
»Kommt, kommt!« rief Werner ihnen mit lauter Stimme zu, »Euch suchen wir, daß Ihr uns den Weg zu Eurem Günzel zeigt.«
Sie standen still und er wiederholte seine Worte.
»So steigt vom Rosse,« rief der eine Räuber, »und legt das Schwert ab, so wollen wir Euch hören!« --
»Helper,« rief ihm Werner zu, der den Räuber erkannte, »kennt Ihr mich nicht?« --
Nach einer kurzen, Weile sagte Helper:
»Seyd Ihr nicht Werner, des Markgrafen Luthers Sohn? Kommt näher, aber Eure Gewaffneten laßt zurück.«
Nach einer kurzen Unterredung verstattete es Helper, daß auch die Knechte ihrem Herrn nachkommen durften. Sie mußten sich wohl zwei volle Stunden durchs Gebüsch arbeiten, ehe sie im Räuberlager ankamen. Unterwegs sagte Werner zu den Räubern:
»Ihr treibt doch ein schlechtes und gefährliches Handwerk. Gewiß habt Ihr die zwei Reisenden, die durch den Wald auf ihren Rossen jagten, geplündert und verwundet. Ist's auch recht, daß Ihr die Heerstraßen so unsicher macht? Ihr müßt Euch selbst verdammlich finden. Alle Welt verflucht Euch und wünscht Euch in die Hölle. Wollt Ihr denn nicht auf eine ehrliche Weise Euer Brot verdienen? Und keine Stunde seyd Ihr Eurer Freiheit, Eures Lebens sicher.« --
»Werner, spart Eure weisen Lehren, bei uns sind sie übel angewandt,« entgegnete Helper, »Nur denen, welche Andern das Mark abpressen, nehmen wir das Geld ab. Von Reisenden fordern wir nur Zoll und freilich, wenn sie den verweigern, so nehmen wir das Ganze, gibt er nicht gutwillig, mit Gewalt. Wir treiben unser Handwerk auf eine grobe Art, aber es gibt der vornehmen Spitzbuben viele, die ihre Herrn und Land und Leute bestehlen und dabei herrlich und in Freuden leben. Es hat ein Jeder seine Weise, wie er sich durch die Welt hilft, die unsere fordert Klugheit, List, Anstrengung, Entsagung und Lebensverachtung. Eine kleine, zaghafte Seele taugt für unsere Gesellschaft nicht. Wir spielen immer mit Wagen, auf Gewinn und Verlust und glaubt, das gibt große Unterhaltung. Wären die Leute nicht so feige, so würde unsere Bande bald aufgehoben seyn; aber man fürchtet unsere Stärke, wie denn in der Welt der Tyrann immer ein unterthänigeres und gehorsameres Volk hat, als der menschliche gütige Fürst.«
Unter diesen und ähnlichen Gesprächen kamen sie in dem Räuberlager an und Helper führte Wernern in die Hütte Günzels, der mit seinen vornehmsten Mitverbundenen ein köstliches Mahl hielt. Als er Wernern erkannte, sprang er auf von seinem Sitze, reichte ihm freundlich die Hand und sagte:
»Ist's mir doch, als ob mein lieber Sohn von Mainz mir erschienen.« … Er wandte sich um und sagte zu seinen Gesellen: »Des Markgrafen Luthers Sohn. … Aber Ihr seht ja noch so blaß aus, wie eine Leiche und so mager, als ob Euch die Haut an die Knochen getrocknet wäre! So sehr hat Euch die Krankheit angegriffen? Ach, die Kinder der Großen sind verweichlicht, sie können nicht viel aushalten. Da seht uns an, in Wind und Wetter schwärmen wir umher, bei Frost und Hitze, wie baumstark unsere Leiber sind! Bleibt ein Jahr bei uns und Ihr werdet Riesenstärke erlangen. Aber was wollt Ihr, mich besuchen oder habt Ihr sonst ein Anliegen?«
»Euern Beistand habt. Ihr mir versprochen, ich mahne Euch an die Erfüllung Eures gegebenen Wortes und habe allerdings ein Anliegen in der wichtigsten Sache meines Lebens.« --
»Nun, ich habe ja so manchem braven Mann große Dienste geleistet, Euch versage ich meinen Beistand am wenigsten, da ich Euch ganz besonders liebe. Nun sprecht, was wollt Ihr?«
Werner sagte Günzel leise ins Ohr:
»Kommt mit mir auf die Seite, ich muß Euch allein sprechen.«
Als sie eine Strecke ins Gehölz gegangen waren, standen sie unter einer großen Eiche still. Hier erzählte Werner seine Unglücksgeschichte und, wie er Grund habe zu vermuthen, daß Luitgard in Quedlinburg bei der Äbtissin eingesperrt gehalten werde. Ehe er weitere Schritte thue, sie aus der Gefangenschaft zu befreien, müsse er's gewiß erfahren, daß seine Vermuthung kein Irrthum sey. Für's Erste verlange er einen klugen, listigen Kundschafter, der in Quedlinburg erforschte, ob Luitgard dort sey, dann Günzels Hülfe, wenn er ihrer bedürfe. --
»Der Kundschafter soll Euch werden,« sagte Günzel, »einer, ein Ausbund von List und Verschlagenheit, dem kein Geheimniß verborgen bleibt, der im Finstern sehen kann, wo andere Leute blind sind. Und sind Euch dann Arme von nöthen, so rechnet mit Gewißheit auf mein Versprechen. Aber Ihr wißt's, die Kerls stehen im Sold und je größer das Wagestück ist, das sie unternehmen, desto ansehnlicher wollen sie bezahlt seyn. Karg müßt Ihr Euch nicht finden lassen.« --
»Günzel, wenn Ihr mir helft, daß meine Luitgard frei wird, so mögt Ihr selbst den Preis bestimmen, ich zahle ihn voraus und zwar das Doppelte.«
»Erst die Arbeit, dann den Lohn. Ich vertraue Eurer Dankbarkeit. Doch versprecht in der Hitze nicht zu viel, es möchte Euch sauer werden, zu bezahlen. Wollt Ihr hinterher ein mehreres thun, so steht das in Euerm freien Willen. Die Sache ist abgemacht. Aber wo findet Euch der Bote, der Euch bestimmte Nachricht bringt?« --
»Nirgends anders, als in Salzwedel, ich reise dahin auf geradem Wege.« --
»Vergeßt es nicht, wenn Ihr von mir scheidet, daß ich Euch ein Zeichen mitgebe, was Ihr vorweisen könnt, wenn Ihr von meinen Leuten angehalten würdet, die Euch nicht kennen, damit Ihr nicht aufgehalten werdet. Sie achten dieses Zeichen und gebt Ihr das von Euch, so lassen sie Euch ungeschoren gehn, und wenn Ihr den Reichthum der Welt mit Euch führtet.«
Eibe sich Werner bei den Räubern niederließ, um, auf Günzels Bitten, an ihrem Mahle Theil zu nehmen, fragte er nach Boja und ihrer Mutter. Ihnen, sagte er, muß ich nochmals für ihre Liebe und ihr Mitleid danken. --
»Boja ist mit ihrer Mutter nicht mehr hier. Hans von Gerken hat sie Beide, doch mit meiner Bewilligung, mir geraubt. Meine Tochter ist eine glückliche Gattin. Die Mutter wollte nicht von ihr bleiben. Bald, bald lege auch ich mein Gewerbe nieder, mein Nachfolger ist gewählt. Auf dem Wege nach Salzwedel von hier wär's für Euch ein Umweg von wenigen Stunden und Ihr könntet in Gerkens Burg, Buschewitte; einsprechen, wenn Ihr ein so großes Verlangen habt, die Meinen zu begrüßen. Mit welcher Freude werden sie Euch empfangen! Wollte ich in diesen Tagen den Werbern nicht den Streich spielen und viere meiner gefangenen Leute befreien, unter denen eben Der ist, den ich Euch zum Kundschafter bestimmt habe, so würde ich Euch begleiten.« --
»»Habt Ihr keinen Andern? Den werdet Ihr nicht befreien.« --
»Das werde ich, da setze ich meinen Kopf zum Unterpfande. Der Weg ist schon gebahnt. Das Geld befreiet Schurken vom Henkertode und feile Seelen, die für Geld jedes Unrecht thun, gibt's in allen Ständen. Verlaßt Euch auf mich, in kurzer Frist erhaltet Ihr Nachricht, ob Eure Luitgard in Quedlinburg ist, oder nicht. Nicht für ehrlich sollt Ihr mich halten, wenn ich mein Versprechen nicht erfülle.«
Werner aß und trank in der Gesellschaft der Räuber, die durch allerlei witzige Einfälle das Mahl würzten. Vor seiner Trennung von Günzel fielen ihm die gefangenen drei Ritter, Quitzow, Bredow und Saldern ein und er sprach das Fürwort, daß man ihnen die Freiheit geben sollte.
»Nein,« sagte Günzel, »diesen Gefallen kann ich Euch nicht thun. Sie machten's in der Gegend viel ärger noch, als ich. Wo mehr, als ein Teufel tobt, da halten es die Leute nicht aus. Mir wollten sie das Handwerk legen und haben mir mit ihren Leuten so hart zugesetzt, daß ich an dreißig wackere Gesellen verlor. Der Sieg hat für mich entschieden. Sie sitzen, als Geißeln, hier, damit mich andere Ritter ungeschoren lassen. Wenn ich weiter ziehe ins Mecklenburgische vielleicht, wo's fette Ochsenköpfe gibt, da laß ich sie los, wenn sie mir ein Lösegeld bezahlt haben, das so schwer wiegt, wie sie selber. Kommt Ihr nach Buschewitte, so grüßt die Meinen, und, haltet Ihr Euch dort einige Tage auf, so geb' ich Euch Botschaft, wie's mit dem Kundschafter steht.«
Das Zeichen, was Günzel Wernern gab, damit er von Räubern unangetastet blieb, bestand darin, daß er sich langsam dreimal auf die Brust schlug und nach jedem Schlage die Worte sagte: Bowo Elmo.
»Vergeßt die Worte nicht,« sagte Günzel, »sie gelten auf zwei Tage. Lebt wohl und macht, daß Ihr wieder gesund und stark werdet. Solch ein knöcherner Bräutigam taugt nicht für eine Braut.«
Wirklich heiter und wohlgemuth, da ihm die Hoffnung leuchtete, daß er Luitgard aus der Gefangenschaft befreien und in seine Arme führen werde, setzte Werner seine Reise fort. Seine Kräfte wuchsen merklich. An die Schwierigkeiten, die mit der Befreiung der Geliebten verbunden waren und daß sie auch mißlingen könne, dachte er jetzt nicht. Ihr Wiedersehn entzückte ihn schon. Es fiel ihm wohl ein, daß der Kaiser ihm den Brautraub sehr übelnehmen konnte, aber wenn es ihm bekannt würde, wie treulos und ungerecht Eckard handelte, und daß er auf Luitgards Liebe nie rechnen konnte, dann mußte er, wenn er ein menschliches Herz hatte, verzeihn. Sollte er aber eine Zeit mit ihr nicht öffentlich erscheinen dürfen so konnte er sie ja, selbst in Buschewitte, oder unter Günzels Schutz, verborgen halten. Schon um die Nachricht mit nach Salzwedel zu nehmen, daß ein Kundschafter nach Quedlinburg abgeschickt sey, wäre er in Buschewitte eingekehrt, wenn ihn nicht sein dankbares Herz und eine unsträfliche Neigung, die er für die schöne Boja empfand, dahin gezogen hatte.
Als er aus einem Waldstück ritt, begegneten ihm zwei Ritter mit einem kleinen Gefolge. Sie kamen ihm näher, und als sie vorüber reiten wollten, fragte er, da er des Weges ungewiß war:
»Edle Ritter, führt dieser Weg nach Buschewitte?« --
»Werner,« erwiederte der Eine, »er führt dahin. Wollt Ihr die schöne Boja besuchen? Macht den Gatten nur nicht eifersüchtig, er weiß es, daß sie Euch liebt. Ein junger Edelmann traut seinem Weibe nicht völlig und wenn es ein Engel vom Himmel wäre.« --
Erstaunt fragte Werner:
»Wer seyd Ihr denn, daß Ihr mich kennt? Woher wißt Ihr's denn, daß mich die schöne Boja liebt?« --
»Erinnert Ihr Euch an den Beherzten nicht, der Euch mit dem Graf von Wettin im Walde gefangen nahm und Euch mit ihm zu Günzel führte?« --
»Ihr seht ja fürwahr wie ein stattlicher Ritter aus, seyd Ihr das geworden?« --
»Das bin ich immer gewesen. Aber sagt nur, erkennt Ihr mich denn?« --
»Wie sollt' ich das nicht!« --
»Welche böse Gewalt hat ein arges Spiel mit Euch gespielt? Ihr seht so bleich, so mager aus, als ob Ihr ein Gespenst wäret. Boja wird vor Euch erschrecken. Die Lust, einem Edelmann Anlaß zur Eifersucht zu geben, ist Euch gewiß vergangen. Macht, daß Ihr bald wieder gesund werdet, bleibt's so mit Euch länger, so müßt Ihr ins Gras beißen.« --
»Schon bin ich auf dem Wege der Genesung. Ihr meint also, daß man mich in Buschewitte nicht ungern sieht?« --
»Man wird Euch als den liebsten Gast empfangen.«
Als Werner den als Ritter verkleideten Räubern gedankt und ein Lebewohl gesagt hatte, rief der Eine, der ihn zuerst anredete, hinter ihm:
»Werner, noch ein Wort! Sagt mir doch, wo ist denn der Graf von Wettin geblieben?« --
»Der hält sich in der Nähe Otto's auf, leckt ihm vielleicht die Hände und denkt durch ihn ein großer Mann zu werden.« --
»Wenn Falschheit, Trug, List und Verrätherei die Mittel sind, ein großer Mann zu werden, so kann's ihm wohl gelingen. Aber Leute, die auf diese Weise groß geworden sind, werden oft schnell wieder klein. Hätte ich diesen Graf, wo ich ihn haben wollte, den Hals würd' ich ihm brechen. Er gehört zu dem Pöbel der Vornehmen, der mit allen Tugenden einen einträglichen Handel treibt und im Innern von Bosheit und Tücke starrt. Haltet den glatten Buben, wenn er wieder Euch begegnet, zehn Schritt von Euch fern, er ist wie eine schöngefärbte Schlange, die mit ihrem Zahne tödlich verwundet. Diese Warnung nehmt mit auf den Weg.«
Der Räuber kehrte rasch um und jagte mit seinem Rosse davon.
Werner mußte Dedo'n schlecht und verrätherisch finden, da so viele Stimmen ihn verklagten; er mußte es glauben, daß er insbesondere gegen ihn falsch und feindlich handelte, daß er aber in dem Complot war, der darauf ausging, ihm die Braut zu rauben und daß er ihn den Räubern überlieferte, darauf fiel er dennoch nicht.
Die Dämmerung brach an, als er mit seinem kleinen Gefolge vor Buschewitte erschien, das er, da es vom Walde umgeben war, gewiß nicht gefunden hätte, wenn ihm nicht ein Hirtenknabe den Weg dahin zeigte. Er ließ sich als ein umherziehender Ritter dem Burgherrn melden, der sich im Gebüsch verirrt hätte und, wenn ihm für die Nacht keine Herberge verstattet würde, um einen Führer bitte, der ihn auf die rechte Straße, die nach Salzwedel führe, bringen sollte.
Als Boja den Namen Salzwedel hörte, rief sie freudig aus:
»Wenn dieser Ritter Werner wäre!« --
»Wer er auch seyn mag,« entgegnete der Gatte, »wir beherbergen ihn, da die Nacht einbricht.« …
Sie selbst ging mit dem Gatten bis ans Thor hinab. Werner hörte ihre Stimme und sein Herz wallte in Freude über. Mit verstellter Sprache gab er auf Befragen die Antwort: Daß er von Werben komme und dem Markgraf Luther wichtige Botschaft überbringen müsse. Es wurde das Thor geöffnet und Gerken wunderte sich, einen Ritter zu sehen, der auf einem stattlichen Rosse saß und mit kostbarer Rüstung angethan war.
»Steigt herab,« bat er, »und laßt uns den kurzen Weg nach der Burg zu Fuße wandeln.« --
»Wo bin ich denn,« fragte Werner mit verstellter Stimme, »und wer ist der gastfreundliche Mann, der mir das Thor seiner Burg öffnen läßt?« --
»In Buschewitte seyd Ihr, bei dem Ritter Hans von Gerken. Und wer seyd denn Ihr?« --
»Ein Sohn Bodo's von Quitzow, den Günzel von Kuhberg gefangen hält. Ich will sehen, ob die Macht des Markgrafen nicht hinreicht, meinen Vater aus der Gefangenschaft zu erlösen. Mich selbst habe ich dem großen Teufel als Geißel angeboten, daß er meinen Vater losließe, als er mich aber ansah, sagte er: ›Was würd' ich an Euch haben, als in Kurzem eine Leiche. Geht erst hin und laßt Euch curiren, dann kommt wieder und ich will mich besinnen, ob ich den Tausch eingehe, der von Eurer Seite kindlich gemeint ist.‹« --
»Ritter, das sag' ich Euch zuvor, vom Markgraf dürft Ihr keinen Beistand erwarten, der hat mit den Wilzen vollauf zu thun und kann gegen den mächtigen Günzel keinen Krieg führen. Die weitere Reise könnt Ihr sparen. Ein Unmensch ist dieser Günzel auch nicht und wenn Euer Vater die Bedingungen erfüllt, die ihm gestellt werden, so bleibt er unverletzt und ist frei.«
Sie waren in der Burg angekommen und Werner wurde in ein Zimmer geführt, in dem noch kein Licht brannte, Hier war auch Boja's Mutter und Gerkens Eltern.
»Hätten mir nicht zwei Ritter, die mir begegneten und zuletzt ein Hirtenknabe, den Weg zu Eurer Burg gezeigt, im Walde hätte ich übernachten müssen. So gesellt sich im Leben oft ein guter Führer zu uns, wenn wir nicht wissen, ob wir zur Rechten oder zur Linken gehen sollen, der uns zum erwünschten Ziele hinzeigt. Seyd Ihr in diesem Walde wohl sicher gegen Räuber?« --
»Das bin ich, da ich mit der ganzen Welt in Frieden lebe.« --
»Wie macht Ihr's denn, um mit Räubern in Frieden zu leben?« --
»Wenn ihre Schaar so groß ist, daß ich sie nicht überwältigen kann, so zahle ich ihnen einen Tribut, dann aber bin ich sicher. Sie halten Wort und brachen ihr Versprechen nie.«
Jetzt wurden zwei Kerzen auf eine Tafel gestellt.
»Wollt Ihr Eure Rüstung nicht ablegen,« bat Gerken. »Ihr bleibt hier, so lange Ihr wollt und reitet weiter, wenn's Euch beliebt. Einen Führer durch den Wald will ich Euch dann auch mitgeben. Für Eure Leute und Rosse ist gesorgt, darum seyd unbekümmert.«
Als Werner seinen Helm abgesetzt, den Panzer losgeschnallt und seine Mütze aufgesetzt hatte, da stellte sich Boja einen Schritt näher, betrachtete ihn mit forschendem Blick und rief dann aus:
»Um aller Heiligen willen, das ist ja Werner! Der liebe Kranke, den wir pflegten! Leugnet's nicht, daß Ihr es seyd!« --
»Ja,« sagte er freudig, »ich bin's und Günzel hat mich her beschieden. Wer achtet einen Umweg von mehreren Stunden, wenn er seine Wohlthäter sehen und ihnen nochmals danken kann.« --
»Des Markgrafen Sohn?« fragte der alte Ritter. --
»Ja, der eben und kein Anderer.«
Mit deutscher Herzlichkeit reichte ihm Hans von Gerken die Hand und sagte:
»Einst zürnt ich Euch im Innern heftig und fürchtete, Ihr würdet mir die Braut verführen, nun ist sie mein und aller Zorn hat sich gelegt. Seyd mir willkommen! Boja, Du liebst Wernern, gieb ihm die Hand und drücke sie recht herzlich.« --
Sie that's. Da nahte sich ihm Boja's Mutter und sagte:
»Mein Herz bewegt sich vor Freude, aber auch vor Schmerz, da ich Euch wiedersehe. Über Euer Ansehn muß ich trauern. Könnt Ihr Euch denn von Eurer schweren Krankheit nicht erholen? Und, wenn man nicht völlig gesund ist, in die Fremde gehn! Wäre ich Eure Mutter, ich hätte Euch nicht abreisen lassen. Bleibt bei uns, unsere Liebe soll's versuchen, ob wir Euch wieder gesund pflegen können.« …
Boja liefen Thränen über die Wangen, als sie Wernern, der so frisch und blühend einst im Räuberlager erschien, abgemattet und bleich sah. Sie fürchtete, daß eine abzehrende Krankheit die Keime seines Lebens zerstörte. Er merkte es, daß sie ihn bedauerte und sagte:
»Nein, ich will und muß noch leben. Erst dann, wenn Luitgard in meinen Armen, als meine Gattin, ruht, und Gott hat's so beschlossen, dann will ich sterben.«
Frei und offen erzählte er Alles, was er von Luitgard wußte. Der alte Ritter Gerken schüttelte den Kopf und sagte:
»Werner, Ihr habt einen schweren Stand. Eure Luitgard aus den Händen der Äbtissin zu befreien, wie wird das gelingen! Und könnt Ihr auch das möglich machen, was mir unmöglich scheint, wißt Ihr nicht, welche Strafe auf dem Verbrechen steht, wenn Einer die verlobte Braut dem künftigen Kaiser raubt? Und wie möcht' es die Äbtissin an Euch ahnen, wenn Ihr die heil'gen Klostermauern so entweiht! Ihr wißt's wohl nicht, wie aufgeblasen sie, Otto des Großen Tochter, ist und wie sie Euch in alle Schlupfwinkel mit tödlichen Waffen verfolgen ließe! Die Rache eines Weibes ist grausamer, als die des Mannes und ihre Flamme will nur mit Blut gelöscht seyn. Um einer Jungfrau willen dürft Ihr so viel nicht aufs Spiel setzen.« --
»Ritter, weise mag Eure Rede seyn und klug, aber zu meinem Herzen stimmt sie nicht. Ihr vergeßt, daß Ihr ein Jüngling waret. Wer nicht Alles daran zu setzen vermag, seiner Geliebten einen wichtigen Dienst zu erweisen, der hat sie nie geliebt und sie vergeudet an ihn die zärtlichsten Neigungen ihres Innern.«
Mehrere recht glückliche Lage. verlebte Werner unter diesen herzlich gesinnten Menschen und heiterte sein Gemüth auf. Er hatte es ihnen gesagt, daß er hier einen Boten von Günzel erwarte, der ihm die Nachricht bringen solle, ob der Kundschafter in Werben aus der Gefangenschaft befreit und nach Quedlinburg abgegangen sey.
An einem Abend, als Alle sich zum Schlafen niedergelegt hatten, kam der alte Ritter von Gerken zu Wernern, weckte ihn aus dem ersten Schlafe und sagte: »Was ich Euch jetzt offenbare, das müssen Eure Lippe ewig, verschweigen. Ach, es ist ein Dorn in meinem Herzen, der immer tiefer bohrt, daß mein Sohn die Tochter eines Räubers zur Gattin hat. So unschuldig, so gut sie ist, ich kann mich im Gemüth nicht mit ihr versöhnen, und wenn sie ein Engel des Himmels wäre. Wie hab' ich meinen Hans gebeten, gewarnt und bedroht, sich mit Boja nicht zu verbinden! Gegen meine Rede war sein Ohr taub. Er schwor, wenn ich die Heirath nicht zugäbe, sich selbst zu morden, oder unter die Räuberbande zu gehn. Das kleinste Übel mußt' ich wählen und der stärkste Vater läßt sich am Ende schwach finden, wenn er so bestürmt wird. Rechnet nur mir die Heirath nicht zur Schande und verschweigt es, daß sie eines Räubers Tochter ist. Den Tod wünsche ich mir, damit ich eine größere Schande nicht überleben muß. Zweimal war der verdammte Räuber Günzel hier und ich mußt' es leiden. Wie gern hätt' ich diesen Teufel, den Tausende verfluchen, mit eig'ner Hand ermordet. Schon hab' ich mir ein Plätzchen im Walde ausersehn, wo ich, als Einsiedler, meine Tage beschließen will. Könnt Ihr mich trösten?«
Als Werner dem Greise einige Worts zu seiner Beruhigung gesagt hatte, da pochte es mit solcher Gewalt an das Burgthor, daß man die Schläge in der Burg hörte. Es wurde Alles wach. Werner war im Begriff sich anzukleiden, als Günzel selbst vor ihm erschien, eine große schöne Rittergestalt, und sagte:
»Wie lieb ist's mir, Euch hier zu finden! So hat Euch doch die Liebe zu den Meinen hergezogen! Daß Ihr nach dem Wege von Buschewitte fragtet, das ist mir schon gemeldet. Nun der Kundschafter ist frei, seine Losmachung kostete kein Blut, aber Goldgülden, die Ihr bezahlen müßt. Sicher ist er schon in Quedlinburg und, so denke ich, in acht Tagen habt Ihr Bescheid. Ob Ihr sonst noch meiner Hülfe bedürfet, das könnt Ihr mir durch denselben Boten melden lassen, der Euch die Nachricht bringt.« …
Werner dankte Günzeln. Als er ihn am Morgen sprechen wollte, um Weiteres mit ihm zu verabreden, hieß es: Nach einem Aufenthalt von wenigen Stunden sey er in finsterer Nacht wieder fortgeritten. Werner brach an demselben Tage, von Segenswünschen begleitet, auch auf, setzte seine Reise fort und kam, gesunder als er weggeritten war, in Salzwedel an.
Kränkelnd war Werner von seinen Eltern weggereist, sie wußten es im voraus; daß er in Meißen keine freundliche Aufnahme finden werde; daß er das niederschlagende Geheimniß, was sie aus Mitleid und Schonung gegen ihn, ihm verborgen hielten, daß Luitgard mit Otto verlobt sey, gewiß erfahren würde. Sie ängstigten sich während seiner Abwesenheit, und fürchteten, wenn er lebendig zurückkehrte, ihn kränker und dem unvermeidlichen Tode nahe, wieder zu sehen. Die Elternfreude war unaussprechlich groß, als sie ihn besser und gesunder finden mußten und insbesondere, daß sein Geist lebendiger und sein Gespräch munterer war. Ruhiger schien er in seinem ganzen Wesen geworden zu seyn.
Als er auf den Markgraf Eckard zu sprechen kam, welcher Überredung, Zwang und seine Vatergewalt anwandte, um aus Hochmuth und Ehrsucht den Bund der Ehe zwischen Otto und Luitgard zu stiften, da brauste sein Zorn auf und er stieß harte Worte gegen ihn aus und betheuerte, daß er den Mann mit Feuer und Schwert vertilgen werde, wenn er die Gewalt dazu hätte. Er sey ein grausamer Vater, ein liebloser Gatte, ein Gottloser, der gewissenlos ein heiliges Versprechen übertreten hätte. Zur Rache gegen diesen Übelthäter forderte er selbst seinen Vater auf. Von dem Kaiser Otto sagte er:
»Ich will's ihm nicht verargen, daß ihn die Leidenschaft des Jünglings geblendet hat und daß ihn die Reitze meiner Luitgard bezauberten, denn wer ist in seinen Jahren seiner Sinne mächtig! Weiß er's aber, daß Luitgard mir, von ihrer zarten Jugend an, gehört, daß sie das theuerste Gut meines Lebens ist und nimmt er so wenig auf sie, als auf mich Rücksicht, nun so geschieht's ihm recht, daß ihm die Beute, die er mir rauben will, entrissen wird.«
Der Markgräfin ließ er Gerechtigkeit widerfahren und nannte sie eine unglückliche Gattin, die sich sclavisch dem Befehl ihres herrischen Gatten unterworfen habe und in ihrer weiblichen Schwäche nicht die Kraft besitze, ihm bis zu ihrem letzten Athemzug zu widerstreben. Sie sey eine leidende Mutter, die mit innerm Schmerz das Schicksal ihrer Tochter beseufze. Luitgard aber werde er Hülfe schaffen, der Himmel selbst müsse ihm seine Engel senden, um sie von einer Qual zu befreien, an der ihr Leben sich verzehre. Wem es kund werde, wie schändlich man an ihm gehandelt habe, der müsse sich mit ihm, zur Bestrafung der Übelthäter, verbinden.
»Warum Ihr es mir verschwiegt, daß Luitgard in Quedlinburg mit Otto verlobt sey, das weiß ich wohl; aber wahrlich, für eine solche Güte kann ich Euch nicht danken. Wie, wenn sich unglückliche Umstände so vereinigten, meinen Feinden günstig waren, daß sie, ohne mein Wissen, mit dem Kaiser vermählt wurde, durch wessen Schuld hatte ich sie dann verloren? Keinen Vorwurf will ich Euch machen, aber hättet Ihr mir nicht dann den Dolch ins Herz gestoßen, an dem mein Leben verbluten mußte? Seht, es giebt gallenbittere, tiefschmerzende Wahrheiten, die man dem Freunde dennoch nicht verschweigen muß, weil man ihm sonst die Grube des Verderbens öffnet, in die er sicher stürzt. Er erfahre die Gefahr von uns, die ihn bedroht, so kann er Mittel erfinden und anwenden, sie von sich hinweg, auf den Kopf derer zu lenken, die seinen Untergang beschlossen haben.
Aber,« fuhr er fort, »es ist mir eine mächtige Hülfe verheißen, auf die ich sicher bauen kann. Günzel von Kuhberg, der das Unrecht, was an mir begangen werden soll, mit innerm Abscheu fühlt, hat mir seinen Beistand gelobt und er ist schon jetzt geschäftig, den Ort auszukundschaften, wo Luitgard in Verwahrsam gehalten wird.« --
»Nicht doch, Werner, mit einem Räuber darfst Du nicht gemeinschaftliche Sache machen,« sagte der Markgraf mit Mißbilligung, »das würde Dich, wenn es offenkundig würde, einer schimpflichen Verantwortung bloßstellen.« --
»Vater, hier fragt sich's nicht, welche Mittel ich gebrauche, meine Zwecke zu erreichen, sondern daß ich mich der Person meiner Luitgard bemächtige, ehe Otto aus Italien kömmt. Sie soll, sie muß frei werden, wie, das mögen die verantworten, die mich zwangen, selbst der Macht der Hölle mich zu bedienen, um sie von den Banden zu erlösen, die man um sie geschlungen hat. Wollt Ihr mir so viel Reisige geben, daß ich, wenn es nöthig ist, einen Sturm gegen bestellte Wächter zu wagen, sie niederschlagen und meine Geliebte siegreich über ihre Leichen hinwegführen kann, wenn Gewalt für List gehen muß?« --
»Nein, das kann ich nicht. Wer sich gegen den Kaiser empört, den trifft eine schwere Strafe.« --
»Was nennt Ihr doch Empörung! Ist der Muth von Euch gewichen, wäret Ihr feige geworden? Also laßt mich's nur mit Günzeln wagen, es kostet eine Summe und das große Wagestück ist glücklich vollendet.« --
»Gesetzt, Luitgard käme in Deine Hände, wo würdest Du einen sichern Ort mit ihr finden?« --
»Wo, das hab ich mich noch nicht gefragt. In Eurer Äußerung liegt für mich der Bescheid, daß ich bei Euch kein Obdach finde. Ihr werdet vor uns dann Eure Thore verschließen lassen wie vor Verbrechern, mit denen man alle Gemeinschaft flieht. Klugheit und Vorsicht sind schöne Tugenden, werden sie aber auf Unkosten der Liebe und Freundschaft geübt, die der Sohn von dem Vater fordern kann, dann möcht' ich sie nicht rühmen. Vater, groß ist die Erde und der beschützende Gott, der ein Schild der Unschuld ist, hat allenthalben Orte, wo sie sich gegen die Pfeile der Bösen verbergen kann und diese werd' ich mit meiner Luitgard finden. Ist der Sturm vorüber, den man zu meinem Untergange aufregt, dann, das hoffe ich, werdet Ihr Euern Sohn doch nicht verstoßen.« --
»Das werd ich nie; aber der Sohn muß auch dem Vater nicht die Gefahr bereiten, daß er von Land und Leuten gejagt wird. Hast Du ein Recht, die größten Opfer von mir zu fordern?«
Werner verschwieg es seinen Eltern nicht, daß er mit gutem Grund vermuthete, daß Luitgard bei der Äbtissin in Quedlinburg eingesperrt gehalten werde, daß ein Kundschafter abgeschickt sey, um dies mit Gewißheit zu erforschen. Sobald er's mit Gewißheit wisse, daß sie dort und nirgends anders sey, werde er Anstalten zu ihrer Befreiung treffen. Es war nicht möglich, es ihm auszureden, daß er dieses kühne Unternehmen nicht wagte, was ihm doch nicht gelingen werde und nur dazu diene, ihn in augenscheinliche Gefahren zu verwickeln.
»Ach,« sagte er, »wer, wenn er Großes unternehmen will, nur nach der Gefahr fragt, der schwächt den Muth, er weicht zurück und, was er mit tapferer Hand gewinnen konnte, das geht ihm verloren.«
Acht Tage waren verflossen und es kam kein Bote an, der Wernern Nachricht gab, ob Luitgard in Quedlinburg sey oder nicht. Er wurde deshalb ängstlich und wußte nicht, im Fall der Kundschafter nicht ankam, was für ein Mittel er nun ergreifen sollte, um versichert zu werden, wo er die Geliebte fände. Der Markgraf aber und Godila wünschten nichts mehr, als daß ein solcher Bote nie erschiene.
Dem Leser ist es nicht unbekannt, daß die Markgräfin Schwanehilde im Begriff war, nach Quedlinburg zu ihrer Tochter abzureisen und daß es Werners Ankunft war, die sie noch länger zurück hielt. Nicht mit leichtem Herzen verließ sie Meißen, schwere Sorgen waren es, die sie beunruhigten. Daß Werner das Äußerste wagen würde, um Luitgard auf ewig mit sich zu verbinden, das glaubte sie gewiß. Was aber würde aus ihrer Tochter dann, wenn der Kaiser und Eckard aus Italien zurückkehrten und die That der Entführung rächten! Daß Jener aus Leidenschaft und Dieser, da er sich in den Erwartungen des Hochmuths getäuscht sah, für Wernern keine Güte und Nachsicht, sondern nur Wuth und Rache hätten, das ließ sich leicht berechnen. Sie sah es im voraus, wie vergeblich es war, wenn sie ihre Tochter ermahnte, die Neigung und Liebe gegen Werner aufzugeben, und ihm diese Erklärung selbst zukommen zu lassen und Otto das Wort der Liebe und Treue zu halten, was sie ihm gegeben hatte. Sollte sie mit ihr davon reden, daß Werner in Meißen gewesen war, daß sie ihm den Ort verleugnet, wo sie, wie eine Gefangene, dem Kaiser aufbewahrt wurde? Sie war ungewiß, was am klügsten zu thun sey.
Sie mußte sich, als sie den hohen Mauern Quedlinburgs nahte und vor dem Thore hielt, allen Zwang anthun, um ihre innere Unruhe der Äbtissin nicht zu verrathen, die es vielmehr forderte, daß die Mutter einer Tochter, die das seltene Glück hatte, eine Kaiserin zu werden, lauter Freude und Dank war. Einigemal schlug in ihr die Flamme des Entzückens auf, nach einer für ihr Herz viel zu langen Entfernung, die einzige und hochgeliebte Tochter wieder zu umarmen; aber sie erlosch, wenn sie dachte, daß Luitgard eine Trauernde wäre, die über die Gefahr seufzte, einen Geliebten zu verlieren, an dem sie mit ungetheilter Seele hing.
Nachdem sie sich hatte anmelden lassen, kam ihr Luitgard nicht zuerst und im ersten Augenblick freudig entgegen, nein, sie wurde zur Äbtissin geführt, die sie mit vornehmer Höflichkeit empfing und durch ihr Wesen es zeigte, daß sie eine Kaisertochter sey.
»Eure Tochter,« sagte sie, »die Euch längst schon mit Sehnsucht erwartete und die ihr lange auf Euch warten ließet, wird höchlich erfreut seyn, wenn sie von Eurer Ankunft hört. Es geschieht von meiner Seite nicht wenig, sie angenehm zu zerstreuen und volle Freiheit ist ihr auch gegeben; aber dennoch zeigt sie einen trüben, finstern Sinn, den keine Macht verscheuchen kann. Ich dächte doch, es müßte ihr hier wenigstens so gut, wie in Meißen, gefallen. Ein junges Mädchen hat oft Launen, die immer wiederkehren und nicht z. vertreiben sind.« --
»Ach, nein, Äbtissin, Launen hat Luitgard nicht; aber die Trennung von der Mutter wird ihr schwer zu tragen. Könnt Ihr das ihr verargen?« --
»Sie kann doch nicht immer bei der Mutter bleiben und müßte sich gewöhnen, unter Menschen, die sie lieben, die Alles thun, sie zu erheitern, gutes Muths zu seyn. Sie erscheint mir überhaupt als eine sonderbare Braut, wie ich sie in der Erfahrung noch nicht kannte. Seht die Jungfrau, die an der Hand eines schönen, feingebildeten, sie innigliebenden Jünglings, als Braut, der Stunde entgegengeht, die sie mit ihm auf ewig verbindet; dem, der von allen Glücksgütern umringt, welche die Erde dem Sterblichen gewähren kann, die Zukunft lachend und glänzend entgegen strahle, seht solch eine Braut, wie die innere Wonne ihr aus den Augen strahlt, wie Alles schöner und verklärter ihr erscheint und wie sie wähnt, im Himmel selbst zu seyn. Nur selten erscheint auf Luitgards Wange ein kurzes Lächeln, sie ist so still, so ernst, als ob sie geheimen Kummer in sich trüge. Störte ein anderes Gefühl, was sich freilich mit der Liebe zu Otto nicht vereinbaren läßt, ihre Ruhe? Kennte sie ein höheres Glück, als das, mit ihm und zwar mit einem Kaiser vermählt zu werden? Wenn Otto in ihr das nicht fände, was seine zarte Neigung sucht und wenn sie ihm das nicht gewähren könnte! Wenn sie's selbst nicht begreift, so sagt's ihr doch, als Mutter, welchen Ehren, welchem Glanze, welchen Erdenwonnen sie die Hand des schönsten Jünglings entgegenführen will. Ist's nicht der größte Triumph, den ihre Schönheit davon trägt, daß sie künftig eine Kaiserkrone trägt?«
»Erlauchte Äbtissin, fordert nicht zu viel von einem Kinde. Ich dächte, es wäre nicht zu tadeln, daß sich ihr frommes Gemüth nicht in jede Form paßt. Sie kann sich mit ihrer neuen Lage noch nicht vertragen. Ein Fehler ist es wahrlich nicht, daß sie so ernst und sinnig ist, daß sie nicht hüpfen, lachen, singen kann. An ein stilles, glanzloses Leben ist sie gewöhnt und das prunkvolle Geräusch, der vornehme Lärm, kann ihr nicht gefallen. Wie aber soll sie lauter Liebe, Neigung und Zärtlichkeit gegen einen Jüngling seyn, den sie erst kennen lernen muß. Ach, ein Gefühl, was von zarter Jugend in unser Herz sich senkte, was, durch Liebe genährt, in uns festwurzelte, kann so leicht nicht ausgerottet werden, wir bewahren es vielleicht, wie einen theuern Schatz, bis in den Tod.«
»So, so,« sagte die Äbtissin und ihr Gesicht verzog sich zum finstern Ernst. »Was rathet Ihr, soll ich von diesem Gefühl, das sich nicht ausrotten läßt, an Otto schreiben? Luitgard sollt' es offenbaren, davon reden, dann könnte Otto selbst entscheiden, ob eine Jungfrau mit einem solchen Gefühl seine Gattin werden kann.« --
»Äbtissin, Ihr seyd eine so weise, so erfahrne Frau und fordert Unnatürliches von meiner Tochter! Entschuldigen müßtet Ihr wenigstens und Geduld haben mit einem Herzen, das der schnellen Übergänge, von einer Neigung zur andern, nicht fähig ist. Schreibt an den Kaiser was Ihr wollt, ich kann's nicht hindern, für die Folgen, die Euer Brief nach sich zieht, bin ich nicht verantwortlich. Wollt Ihr mich nicht zu meiner Tochter führen lassen? Mich verlangt schmerzlich. sie zu umarmen.«
Die Äbtissin entfernte sich einige Minuten, kam dann mit einem heitern Gesicht wieder und sagte:
»Kein Mißvergnügen soll unser Zusammenseyn stören. Meine Bedenklichkeiten würdet Ihr verzeihen, wenn Ihr's wüßtet, wie ich diesen Otto liebe, wenn Ihr sein Gemüth kenntet. Den Wunsch, daß kein Hinderniß im Ehestande sein Glück störe, ist mir so natürlich. Glaubt Ihr nicht, daß es mein Gebet ist, daß auch Luitgard an seiner Seite die Wonne finden möge, der ich sie würdig achte?«
Die Thür öffnete sich und Luitgard trat ins Zimmer. Die Äbtissin hatte sie zu sich rufen lassen, ohne daß man ihr es sagen durfte, sie werde ihre Mutter sehen.
»Mutter, Mutter!« rief sie mit voller Freude aus, als sie sie erblickte, eilte zu ihr hin, umarmte sie und Thränen rollten über ihre Wangen.
Als die ersten Wallungen des Entzückens, was das Wiedersehn in liebenden Herzen anfacht, vorüber waren, da sagte Schwanehilde:
»Und Du bist hier so traurig? Und alle Güte, Dich heiterer zu stimmen, ist verloren?« --
»Mutter, Ihr wißt es ja, zur lachenden Freude kömmt es bei mir selten. Kann eine Tochter es vergessen, daß sie getrennt von der Mutter lebt? Mir geht's wie einer Pflanze in fremdem Boden, die lange siechet und kränkelt, ehe sie die Blätter wieder hebt. Eure Nähe kann mir ein Engel nicht ersetzen. O, mit Dank erkenne ich es, wie Alles liebend und gütig mich hier empfängt; aber doch richt' ich täglich meine Blicke nach dem geliebten Meißen hin. Da, wo unsere Wiege einstens stand, wo unsere Jugend fröhlich blühte, wo uns auf ihrem Arm die theure Mutter trug, da, da bleibt ewig unser Himmel, unsere rechte Heimath. Wohin uns dann das Schicksal verschlägt, da fühlen wir uns, wie in der Fremde. Verehrteste Äbtissin, war Euch anders, als das Band zerriß, das Euch an die liebevolle Gegenwart Eurer Eltern knüpfte? Bei wem es anders ist, der hat nie, nie geliebt, so, wie ich liebe.«
»Aber, Luitgard, die Äbtissin meint, Du seyst zu traurig, zu niedergeschlagen. Wie Du, müsse eine Braut nicht seyn, die einer so glänzenden Zukunft entgegen geht.« --
»Soll ich meinem Herzen Gewalt anthun, mich auch verstellen, das habt Ihr mich nicht gelehrt. Der Blick in eine glänzende Zukunft kann mich nicht erheitern, ich kenne ihre Reitze nicht und ohne Wolken wird sie nicht seyn. Zu jung, zu unerfahren bin ich noch, wie werd' ich mich in meine neue Lage finden! Das eben ist's, was mich zum Ernst stimmt, den man Traurigkeit nennt. Laßt mich in Meißen leben, so werd' ich seyn, wie Ihr mich haben wollt.«
Diese letzte Äußerung war's, die die Äbtissin gar sehr verdroß.
»Wär mir's nicht aufgetragen, Euch, so lange Euer Vater in Italien ist, in Quedlinburg zu hegen, so würd' ich Euch mit Eurer Mutter nach Meißen ziehen lassen,« sagte sie, »Thut Ihr doch bei der Freiheit, die Ihr genießet, als ob Ihr eine Gefangene wäret! O, ich weiß es wohl, was Eure böse Laune erzeugt, es ist die Neigung, mit der Ihr Euch an den Markgrafensohn gefesselt fühlt.« --
»Das ist keine böse Laune, verehrte Äbtissin, es ist gerechter Schmerz über ein Gut, das ich für's Leben zu besitzen glaubte, was mir genommen werden soll. Wie müßtet Ihr mich nennen, wenn es kein Zeichen verriethe, daß ich's empfinde, wie rein und schön diese Jugendliebe war. Seyd Ihr so fremd mit diesem Gefühl, daß Ihr mich deshalb tadelt? Würde nur ein geliebter Mensch in die Gruft gesenkt, an dessen Sarge Ihr nicht weintet und fühlt Ihr die Regungen der Wehmuth nicht mehr, wenn Ihr an ihn denket? Wäre es Euch denn gleichgültig, wenn Ihr aus der Euch bekannten, geliebten in eine fremde Welt versetzt würdet? Fühlt sich Euer Herz allenthalben einheimisch? Ach, eine Liebe, die in der Jugend entstand, in langer Gewohnheit sich stärkte, kann nicht, wie der Blitz verschwinden, ihre Klänge tönen fort und der letzte endet mit des Herzens letztem Schlage. Verdammt mich, wenn Ihr's könnt, Gott kann es nicht.«
Diese Worte, mit Wahrheit und Rührung gesprochen, stimmten die Äbtissin sanfter und milder, sie ergriff Luitgards Hand und sprach:
»Ich ehre Eure Aufrichtigkeit; aber es ist doch nöthig, daß Ihr Euch selbst beherrscht. Der Mensch soll Alles thun, sich im Genusse eines dargebotenen Glückes nicht zu stören. Markgräfin, Ihr seyd eine weise Mutter und werdet Eure Tochter belehren.«
Die Markgräfin hielt es nicht für gut, es Luitgard zu erzählen, daß Werner, als ein Kranker in Meißen ankam und daß er's ihr betheuert hatte, sein Leben und seine Freiheit daran zu wagen, um seine Braut der Äbtissin zu entreißen und sie mit sich zu verbinden.
Das erste, wonach Luitgard fragte, als sie mit der Mutter allein war, betraf Werner.
»Ich seufze nach ihm, ich verlange nach ihm, sein Andenken weicht nicht aus meiner Seele,« sagte sie weinend. »Man fessele meinen Leib an einen Andern, ewig wird diese Seele Wernern gehören. Und, kömmt es endlich aufs Höchste, schlägt sich keine gütige Macht ins Mittel, die die Stricke zerreißt, womit man mich an ein unerträgliches Joch fesseln will; so werd' ich, wenn ich's nicht früher kann, vor dem Traualtar laut schreien: Dieser kann mein Gemahl nicht werden, Werner muß es seyn! Menschen, die Gott zusammen gefügt hat, sollt ihr nicht scheiden!« --
»Stille, stille, Luitgard,« bat die Mutter, »die Wände haben Ohren, daß es die Äbtissin nicht hört! Die Leidenschaft macht Dich ungestüm. Gott, welche Sorge, welchen Kummer bereitest Du mir, Du, meine einzige Tochter! Wie wird Dein Schicksal enden! Willst Du den rauhen Weg nicht gehen, den eine höhere Hand Dich führt? Meinst Du, daß Alles Zufall ist und daß ein lindes Ohngefähr Dich nach Quedlinburg führte? Aus dem Dunkel, das Dich, umringt, wird der Lichtstrahl hervorbrechen, der Dir die weise Leitung zeigt, die Du jetzt nicht verstehst. Willst Du Dein Schicksal selbst Dir bauen und den Höchsten nicht walten lassen, der den Sterblichen ihre Freuden und Schmerzen zuwiegt?« --
»Will der Höchste auch, Du fromme Mutter, daß ich Pflicht und Gewissen verletze, mein Herz Wernern entreiße und mich einem Mann vermähle, für den die innere Neigung nicht spricht? Der Himmel gab uns Kraft zum Handeln und an unserm Glücke und Unglücke können wir auch selber bauen. Ach, Mutter, ich baue fest auf Werners Hülfe, ihm streck' ich meine Händ' entgegen, mein ganzes Herz sehnt sich nach ihm.«
Alle Bitten und Vorstellungen der Mutter, ihre Tochter von Wernern abzulenken, fruchteten nichts. Die Markgräfin sank in tiefe Trauer, sie mußte ihre Besorgniß in sich verschließen.
Aber in Quedlinburg erschien Kunz Borgmann, der von Günzel von Kuhberg abgesandte Bote, welcher der Äbtissin eine wichtige Neuigkeit hinterbrachte, die sie auf eine Weile überzeugte, daß Werner Alles aufbieten würde, um Luitgard zu entführen. Ein zweiter Abgesandter kam, der die Nachricht des erstern widerrief. Zornig sagte die Äbtissin:
»Ist's so weit gekommen, daß man es wagt, mit einer Kaiserstochter Scherz zu treiben? Eine solche Kränkung fordert Strafe und meine Rache soll sie an dem Übelthäter vollziehn?«
Ende des zweiten Theils.