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Herr Baron von Pöllnitz fühlte sich heute sehr unbehaglich. Seit drei Tagen sann er vergeblich, dieser Unbehaglichkeit ein Ende zu machen, und seit drei Tagen wollte ihm durchaus kein Mittel dazu einfallen. Herr von Pöllnitz befand sich in jenem antediluvianischen Zustande, in dem selbst Adam nur so lange sich befand, als er im Paradiese verweilte. Er hatte, wie Adam, kein Geld. Aber das war durchaus kein paradiesischer Zustand, sondern ein sehr unseliger, der sogar das Herz des unerschütterlichen und tapfern Barons mit einigem Entsetzen und Bangen erfüllte. Was sollte aus ihm werden, wenn der König sich diesmal nicht über ihn erbarmte, nicht Mitleid hatte mit seiner Not, welche er ihm in einem sehr beweglichen und schönen Briefe geschildert hatte, auf den er vergeblich seit diesem Morgen die Antwort erwartete.
Was sollte er beginnen, wenn der König hartherzig und grausam blieb? Aber nein, das war ja unmöglich, der König konnte so weit nicht gehen, es war eine Art heiliger Pflicht für ihn, sich des langjährigen, treuen Dieners seines Hauses, welcher schon dem dritten Könige Preußens diente, zu erbarmen. Pöllnitz gehörte gewissermaßen zur königlichen Familie, er war ein übernommenes Inventarium, und das darf man nicht geringschätzen, nicht beiseite werfen.
Er hatte alle seine Mittel erschöpft, er hatte geborgt bei Juden und Christen, er hatte mit schönen Redensarten und erheiternden Erzählungen aus den sonst unbezwingbaren Taschen reicher Spießbürger sogar Geld hervorgelockt, alle seine Freunde hatten uneingelöste Geldscheine von ihm aufzuweisen, sein eigener Bedienter sogar hatte sich betören lassen, und die Ersparnisse langer Jahre seinem Herrn geopfert. Er, wie gesagt, hatte jahrelang daran gespart, und doch war die Summe kaum groß genug gewesen, daß Pöllnitz davon eine Woche lang den noblen Kavalier, den reichen, verschwenderischen, großmütigen Herrn spielen konnte.
Mein Gott, welche Opfer hatte er nicht schon seiner Geldnot gebracht, welche Demütigungen hatte er nicht um ihretwillen schon erleiden müssen, und alles vergeblich! Vergeblich, daß er dreimal schon seine Religion gewechselt hatte, daß er sich so weit herabgelassen, eine Kaufmannstochter, ja sogar eine reiche Schneiderstochter heiraten zu wollen. Alles war ihm fehlgeschlagen, und sogar die Schneiderstochter, sogar Anna Prickerin hatte ihn verschmäht.
Und doch hätte alles noch gut gehen können, sagte er, indem er jetzt eben sein Leben überdachte, ja alles hätte noch gut werden können, wenn der König nicht diesen formidablen Einfall gehabt hätte, das Verbot, mir Geld zu leihen, austrommeln zu lassen. Es hat mir sehr geschadet und mir fürchterliche Mühe und Quälerei verursacht. Es war eine raffinierte Grausamkeit, für die ich eines Tages Vergeltung üben werde, wenn der König sie nicht wieder gut macht. Ha! Da kommt eine königliche Ordonnanz dahergesprengt. Sie hält vor meiner Tür. Gott sei Dank! Der König antwortet mir, das heißt, der König schickt mir Geld!
Er war kaum imstande, seine Würde so weit zu bewahren, daß er nicht selbst hinauslief, dem Boten des Königs entgegen, und nur der Gedanke hielt ihn zurück, daß er notwendig alsdann ein anständiges Douceur zahlen müsse, welches er indessen lieber sich selber gegeben haben würde.
Endlich kam der Diener und übergab ihm einen Brief. Ich hoffe, sagte Herr von Pöllnitz würdevoll, ich hoffe, du hast dem Boten des Königs eine anständige Belohnung gegeben?
Nein, Herr Baron, ich habe ihm nichts gegeben.
Nichts? schrie Herr von Pöllnitz. Und das wagt dieser Mensch mir ins Gesicht zu sagen, und er fürchtet nicht, daß ich ihn sofort aus meinem Dienst entlasse! Oh, es ist eine Schmach sondergleichen. Ich, ein Reichsbaron, der Oberzeremonienmeister des Königs, lasse einen seiner Boten, welcher mir einen Brief bringt, unbelohnt aus meinem Hause gehen. Esel, wenn du kein Geld hattest, warum kamst du alsdann nicht zu mir, warum ließest du dir nicht von mir einen Dukaten geben?
Wenn mir Euere Gnaden einen Dukaten geben wollen, so will ich dem Boten nachlaufen, ich weiß ihn zu finden, denn er ist hier geradeüber zu dem General Rothenburg gegangen.
Mache, daß du hinauskommst, Tölpel, und verschone mich mit deinen Dummheiten, schrie Herr von Pöllnitz, indem er die Hand erhob und ganz bereit war, sie auf den Rücken seines demütigen Dieners niederfallen zu lassen. Dieser entfloh eilig aus dem Gemach, und Herr von Pöllnitz war nun wieder allein mit seinen Zukunftsträumen.
Er erbrach hastig das Siegel des königlichen Briefes und schlug ihn auseinander. Nicht vom König selbst, sondern nur von Fredersdorf, murmelte er unwillig und begann zu lesen. Aber während des Lesens verfinsterte sich seine Stirn immer mehr, und seine Lippen murmelten Worte der Verwünschung und des Zorns.
Abgeschlagen! rief er, als er zu Ende gelesen und das zusammengeballte Papier ingrimmig zu Boden schleuderte. Abgeschlagen! Der König hat kein Geld für mich! Der König gebraucht all sein Geld für den Krieg, der eben wieder ausbricht, und wenn ich mich davon überzeugen will, soll ich heute abend um elf Uhr mich am mittleren Portal des Schlosses einfinden. Da soll ich sehen, daß der König kein Geld hat. Seltsame Zumutung! Ich würde lieber hingehen, um zu sehen, daß er Geld hat, denn wenn er das hat, so gibt es zuletzt immer noch ein Mittel, etwas davon zu bekommen. Indes werde ich jedenfalls hingehen. Ein seltsames Rendezvous, in der Tat. Ein nächtliches Rendezvous zwischen einem bankerotten Reichsbaron und einer leeren Börse! Man könnte eine Tragödie daraus machen. – Aber wenn der König kein Geld hat, so muß ich sehen, es anderswo zu bekommen. Ich will also noch einen letzten Versuch machen. Gehen wir zu Trenck.
Und der würdige Reichsbaron machte seine Toilette und begab sich in die Wohnung des Leutnants von Trenck. Der junge Offizier hatte seit einigen Wochen eine sehr glänzende Wohnung bezogen, er hatte seinen Empfangssaal, in welchem sich die kostbarsten Möbel und einige seltene Kunstwerke befanden, er hatte sein Vorzimmer, in dem zwei reichgalonierte Diener seiner Befehle harrten, und seinen Pferdestall, wo zwei Reitknechte für die vier herrlichen Pferde von echt arabischer Rasse zu sorgen hatten.
Woher kam dem Herrn von Trenck dieser ungewöhnliche Reichtum? Woher nahm er die Mittel, um diesen, für einen jungen Offizier wenigstens sehr auffallenden Luxus zu treiben? Niemand wußte das. Es war eine offene Frage, welche die Kameraden des jungen Offiziers außerordentlich beschäftigte und ihnen vielerlei zu denken gab. Doch begnügten sie sich nicht immer mit dem Denken, sondern faßten auch zuweilen ihre Gedanken in Worte. Einige davon waren auch zu Trencks Ohren gelangt, und sie mußten demselben sehr beleidigend erschienen sein, denn er hatte demjenigen, welcher sie gesprochen, darauf im Duell mit einem Säbelhieb geantwortet, welcher seinem zerfetzten Mund für lange Zeit das Sprechen unmöglich machte. Friedrich von Trencks Lebensgeschichte. I, 52.
Pöllnitz ward von Friedrich von Trenck, welcher eben dabei war, sein Diner, und diesmal ausnahmsweise allein, einzunehmen, auf das herzlichste empfangen und nahm bereitwillig an der Tafel Platz.
Ich komme eigentlich nicht, um mit Ihnen zu essen, sondern um mich über Sie zu beklagen, sagte Pöllnitz, indem er mit äußerster Gewandtheit ein Rebhuhn tranchierte, und zwar so, daß das beste Stück auf seinen Teller fiel.
Sie wollen sich über mich beklagen? wiederholte Trenck, ein wenig verlegen, habe ich Ihnen denn dazu Veranlassung gegeben, teuerster Freund?
Allerdings haben Sie das getan, eben weil ich Ihr teuerster Freund bin. Mit einem Wort: warum haben Sie mir Ihr Vertrauen entzogen? Warum begleite ich Sie nicht mehr auf Ihren höchst romantischen, mondscheinstrahlenden Tugendfahrten? Warum liege ich nicht mehr als zähnefletschender Tugendwächter vor der Balkontür, wenn Sie mit Ihrer Dame Mond und Sterne zu Zeugen Ihrer Liebe anrufen? Warum bin ich abgesetzt?
Darauf habe ich nur zu antworten, daß ich selbst nicht mehr auf den Balkon komme.
Das heißt?
Das heißt, daß meine Sterne erloschen und meine Sonne untergegangen ist, daß es mir gleich Ihnen ergangen ist, und daß ich abgesetzt bin.
Pöllnitz sah seinem jungen Freund mit einem so scharfen, listigen Blick ins Gesicht, daß dieser befangen das Auge senkte. Dann brach er in ein lautes Lachen aus. Lieber Trenck, sagte er, die Lüge nimmt sich auf Ihrem hübschen Gesicht wie ein Stockfleck auf der glänzenden Fläche eines Apfels aus. Sie sind noch viel zu jung, um sich auf die Lüge zu verstehen, und ich bin viel zu alt, um mich belügen zu lassen! Oder wie? Wollen Sie mich etwa glauben machen, dieser Luxus, welcher Sie umgibt, werde von Ihrer Leutnantsgage bezahlt?
Sie vergessen, daß mein Vater mir das Gut Groß-Scharlach hinterlassen hat, und daß ich es für achthundert Teiler jährlicher Rente verpachtet habe.
Ich bin ein zu guter Rechenmeister, um nicht zu wissen, daß das kaum für Ihre Pferde und Ihre Dienerschaft ausreicht.
Nun denn, Sie mögen recht haben. Für das übrige sorgt mein allzu gütiger Herr, der König. Er hat mir im Laufe dieses Jahres dreihundert Friedrichsd'or geschenkt Friedrich von Trencks Lebensgeschichte. I, 63.. – Ich denke, Sie kennen nun die Quelle meines Aufwandes und werden mir nicht mehr die Beleidigung zufügen, zu glauben, –
Daß Ihre Liebe gar nichts mit den irdischen Dingen zu schaffen hat, nein, das glaube ich Ihnen nicht, diese Beleidigung füge ich Ihnen nicht zu, ebensowenig als die andere, zu glauben, daß man Sie aufgegeben hat. Ah, lieber Freund, ich allein habe mich also zu beklagen, denn ich allein bin aufgegeben, und warum bin ich das? War ich nicht diskret, dienstbereit und jederzeit willig?
Gewiß waren Sie das? Aber ich wiederhole Ihnen nur, es ist alles zu Ende. Der schöne Traum ist ausgeträumt.
Sie sprechen im Ernst?
Im vollsten Ernst.
Nun denn, so will auch ich ernsthaft sprechen. So will ich Ihnen erzählen, was Sie nicht zu wissen scheinen. Ein Gärtnerbursche, welcher ungewöhnlich früh aufgestanden war, um einige seltene Blumen, die im Garten zu Montbijou stehen, vor der Morgenkälte zu schützen und mit Matten zu belegen, hat die beiden Gestalten auf dem Balkon bemerkt und ihr leises Geflüster gehört. Er hat seine Entdeckung dem Obergärtner, und dieser dem Haushofmeister der Königin Mutter mitgeteilt. Man beschloß, den Balkon zur Nachtzeit genau zu bewachen. Die tugendhafte und argwöhnische Königin vermutete, daß die Hofdame Fräulein von der Marwitz den Balkon zu einem Rendezvous benutze, und war schon fest entschlossen, die Dame sofort, wenn sie Beweise habe, zu entlassen. Zum Glück teilte sie ihren Verdacht der Prinzessin Amalie mit, und Sie begreifen, daß der Balkon nun in jeder Nacht verödet und einsam blieb.
Ich begreife das!
Sie begreifen ferner, daß man dies Ereignis als einen Wink des Schicksals betrachtete und sich sorgsamer vor Entdeckung hüten wollte. Man stellte daher nicht bloß die Balkonfahrten ein, sondern man beschloß auch, den Vertrauten und Freund, der bis dahin die Liebesbriefe hin und her getragen, und die Rendezvous vermittelt hatte, außer Tätigkeit zu setzen und diesen lästigen Mitwisser zu entfernen.
Man ging noch weiter, unterbrach ihn Friedrich von Trenck mit tiefem Ernst. Man war allerdings durch diesen Wink des Schicksals gewarnt, und das Gefährliche eines Verhältnisses einsehend, welches niemals vom Glück gekrönt werden, niemals anders als unter dem Schatten der Verschwiegenheit existieren konnte, beschloß man, obwohl mit blutendem Herzen und mit Tränen in den Augen, zu entsagen und sein Glück aufzugeben, um nicht eines Tages vielleicht die Ehre und die Freiheit aufgeben zu müssen. Man trennte sich also für immer und sagte sich ein ewiges Lebewohl!
Das heißt, man wollte das den Vertrauten und Vermittler glauben machen, um sich sicherzustellen, um eines Tages vielleicht einen Zeugen zu haben, welcher, wenn Verdacht geschöpft würde und Argwohn entstände, erwidern könnte: »das Verhältnis ist längst zu Ende, längst aufgegeben. Ich muß das wissen, denn ich war der Vertraute desselben.« – Aber bei dieser schlauen Erfindung haben Sie nur das vergessen, daß Pöllnitz nicht der Mann ist, sich von solchen Vorspiegelungen täuschen zu lassen, daß Pöllnitz viel zu viel Erfahrungen gesammelt, viel zu lange die Herzen der Menschen, und besonders der Frauen studiert hat, um von solchem Märchen sich betören zu lassen. Eine Frau, welche noch bei ihrer ersten Liebe steht und an die heilige Macht derselben glaubt, bildet sich alles Ernstes ein, daß die Liebe wohl imstande sei, Wunder zu tun und alle Schwierigkeiten und Hindernisse zu besiegen. Sie gibt daher diese Liebe nicht auf, nicht einmal, wenn sie eine gewöhnliche Frau ist, und wie viel mehr also, wenn sie eine Fürstin ist. Auch Prinzessin Amalie hat ihre Liebe nicht aufgegeben, sie hängt vielmehr an derselben mit einer schwärmerischen Treue, die mich, das gestehe ich Ihnen, erschrecken und beängstigen würde, wenn ich die Ehre hätte, ihr Liebhaber zu sein. Nein, Prinzessin Amalie ist jetzt in diesem Paroxismus der jungfräulichen Liebe, wo man lieber sterben, als seiner Liebe entsagen würde. Auch ist sie phantastisch genug, an die Möglichkeit einer einstigen legitimen Verbindung zu glauben. Armes Ding, welches die Welt nach ihren Wünschen modeln möchte und mit Dolchspitzen wie mit Haarnadeln umgeht. Da Prinzessin Amalie also es hat aufgeben müssen, Sie auf dem Balkon zu sprechen, so hat sie wohl auf ein anderes Mittel sinnen müssen, ihrem Herzen genug zu tun. Das Mittel war einfach und leicht zu finden. Man machte die Hofdame zur Vertrauten, man ließ sie schwören, das Geheimnis treu und unverbrüchlich zu bewahren, und dann verabredete man mit ihr einen Plan, der wirklich ziemlich schlau genannt werden darf. Der Herr Leutnant von Trenck mußte für den Courmacher des Fräulein von der Marwitz gelten, er mußte bei den Hofgesellschaften sich als den zärtlichen, seufzenden und schmachtenden Liebhaber der Hofdame gerieren, er mußte endlich die Courmacherei in eine ernsthafte Bewerbung umwandeln und dadurch die Erlaubnis erlangen, dem Fräulein von der Marwitz in ihren Zimmern aufwarten zu dürfen. Das tut er jetzt sehr häufig, und die gute Stadt Berlin und der ganze närrische, kurzsichtige Hof läßt sich davon betören und nennt Friedrich von Trenck den glücklichen Bräutigam des Fräulein von der Marwitz, und niemand ahnt, daß, wenn Trenck bei der Hofdame ist, allemal auch die Prinzessin Amalie sich dort befindet und mit Fräulein von der Marwitz die Rollen wechselt. – Nun, haben Sie den Mut, das alles abzuleugnen, mein junger, vielgeliebter Freund?
Ich sehe wohl, daß es vergeblich wäre, sagte Trenck seufzend. Sie wissen alles. Aber wenn Sie wirklich einige Freundschaft für mich empfinden, werden Sie mir sagen, wer uns an Sie verraten hat?
Pöllnitz lachte laut auf. Sie selbst haben das getan, mein Freund, oder, wenn Sie das lieber wollen, meine Weltklugheit und Schlauheit hat es getan. Mein junger, unschuldiger Freund, einen Mann wie Pöllnitz täuscht man nicht so leicht, dessen Augen sind scharf genug, um diese Schleier einer allerliebsten kleinen Intrige zu durchschauen und ihr auf den Grund zu sehen. Ich kannte Prinzessin Amalie, ich kannte Sie hinlänglich, um zu wissen, daß Sie Ihrer Liebe nicht so schnell und ohne allen Kampf entsagen würden, und nachdem ich beim letzten Hoffest gesehen, mit welchem gelangweilten Gesicht Sie hinter dem Stuhl der Marwitz standen und mit welcher lächelnden Ruhe die Prinzessin zu diesem vermeintlichen couple amoureux hinüberblickte, sehen Sie, da wußte und verstand ich alles!
Nun denn, da Sie alles wissen, rief Friedrich von Trenck, so will ich es auch nicht mehr versuchen, Sie zu täuschen. Ja, gelobt sei Gott, Prinzessin Amalie liebt mich noch; sie ist es, welche ich in den Zimmern der Hofdame finde, an sie sind die Briefe gerichtet, die mein Diener jeden Morgen dem Fräulein von der Marwitz bringt, von ihr sind die Briefe, die er mir zurückbringt. Oh, Gott sei gelobt, Amalie liebt mich noch, und eines Tages wird sie mir vor der Welt angehören, wie sie es jetzt vor Gott tut, eines Tages –
Halt, halt, unterbrach ihn Pöllnitz, Sie haben da eine Phrase gebraucht, die Sie mir näher erklären müssen, bevor Sie in Ihrem Dithyrambenflug fortfahren. Sie haben gesagt, Prinzessin Amalie gehöre Ihnen vor Gott an, was heißt das?
Was das heißt? fragte Friedrich von Trenck ganz erstaunt. Das heißt, daß Gott, welcher in unsere Herzen schaut, die Ewigkeit und Unermeßlichkeit unserer Liebe kennt, das heißt, daß wir unter Gottes Himmel und seinen heiligen Namen anrufend, geschworen habe, niemals unsern Schwur ewiger Liebe, ewiger Treue zu vergessen, niemals eine andere Verbindung zu schließen.
Ah, weiter heißt das nichts? fragte Pöllnitz gedehnt Sagen Sie mir, sind Sie wirklich niemals allein mit der Prinzessin?
Nein, niemals! Ich habe ihr mein Ehrenwort geben müssen, dies nie verlangen zu wollen, und ich werde Wort halten. Und was wollen Sie, die gute Marwitz stört uns nicht, sie setzt sich immer so entfernt von uns als möglich, sie gibt sich den Anschein, uns gar nicht zu sehen, und wir sprechen beide so leise, daß sie uns nicht verstehen kann.
Ah, die Marwitz stört Sie nicht! rief Pöllnitz mit einem zynischen Lachen. O sancta simplicitas, sie stört ihn nicht! Und das ist ein Offizier von der Leibgarde! Die Welt geht entweder zugrunde, oder sie wird unschuldig und rein, wie das Paradies. Es ist Zeit, daß ich sterbe, denn ich verstehe die Welt nicht mehr.
Und ich verstehe Sie nicht, oder ich will Sie nicht verstehen, sagte Trenck ernst. Sie lachen über mich und nennen mich einen törichten Knaben, immerhin, ich erlaube es Ihnen, denn ich weiß wohl, daß wir beide uns in dieser Sache nie verstehen können. Sie werden niemals begreifen, welche Kraft, welche Entsagung, welche Leidenschaft und Energie erforderlich ist, um sich selber einer so reinen, keuschen und erhabenen Liebe würdig zu zeigen, wie sie mir Amalie geweiht hat, Sie werden niemals begreifen, wie oft in mir der böse Trieb mit dem edlen Willen kämpft und ringt, wie oft ich mit Tränen der Wut und des Schmerzes zugleich zu Gott bete, um nicht dem Teufel zu verfallen. Aber ich habe mir geschworen, diese Liebe rein und fleckenlos als ein leuchtendes Banner meinem ganzen Leben voranzutragen, ich werde meinen Schwur erfüllen, und müßte ich daran sterben! Sprechen wir nicht weiter davon. Jetzt aber, mein Freund, jetzt sagen Sie mir, wozu alle diese Auseinandersetzungen, diese Erörterungen führen sollen und was Sie mit denselben bezwecken?
Nichts weiter, Freund, als Sie zu warnen und Sie immerhin ein wenig zur Behutsamkeit zu ermahnen, denn ich glaube, daß nicht alle sich von Ihrem Spiel mit der Marwitz täuschen lassen; der König, welcher nichts zu sehen scheint, sieht doch alles, er hat überall seine Spione und weiß alles, was in seiner Familie geschieht. Nehmen Sie sich also in acht, sage ich Ihnen, und seien Sie immer auf Ihrer Hut.
Ich werde es tun und danke Ihnen für Ihre Warnung, Freund, sagte Friedrich von Trenck, die Hand des Oberzeremonienmeisters innig in der seinen drückend. Bald wird die Trennung meinem Bemühen zu Hilfe kommen, denn Sie wissen wohl, daß wir in einigen Wochen wieder nach Schlesien rücken und daß der König schon in aller Stille zu rüsten beginnt.
Ich weiß es, und ich beklage Sie!
Mich beklagen Sie? Ah, Sie wissen also noch nicht, daß ich der ersten Schlacht entgegenharre, wie ein Liebhaber dem ersten Kuß seiner Geliebten, und daß für mich das Schlachtfeld ein gesegneter Garten ist, auf welchem mir Lorbeeren und Myrten wachsen, die ich mir erobern muß, um daraus Kränze für meine Braut zu winden, Hochzeitskränze, mein lieber Pöllnitz! Jenseits der blutigen Schlachtfelder liegt mein Fürstentitel und Amaliens Brautkranz!
Schwärmer, unverbesserlicher Schwärmer, rief Pöllnitz lachend. Nun, gebe Gott, daß Sie nicht auf dem Schlachtfelde den Tod, oder jenseits des Schlachtfeldes das Gefängnis finden, wozu Sie jedenfalls mehr Aussicht haben, als zu einem Fürstentitel. Benutzen Sie also bis dahin die Zeit, und genießen Sie Ihre phantastischen Rendezvous. Heute, nicht wahr, findet wieder eines statt?
Nein, nicht heute, aber morgen!
Morgen ist ja Hofball bei der regierenden Königin.
Und gerade vor dem Beginn desselben werde ich bei der Prinzessin sein. Oh, Freund, morgen nachmittag um fünf Uhr gedenken Sie meiner. Ich werde dann der glücklichste und beneidenswerteste der Sterblichen sein, denn ich werde bei meiner Geliebten sein!
Ach, ach, wie seltsam doch das Leben ist, und wie wenig sich die Wege der Menschen gleichen! seufzte Pöllnitz. Während Sie morgen zu Ihrer erhabenen Geliebten gehen, werde ich um dieselbe Stunde einen sehr unheiligen, dornenvollen, fluchbeladenen Weg einschlagen müssen, denn ich werde zu einem Wucherer gehen.
Zu einem Wucherer! Das ist allerdings ein trauriges Unternehmen für einen Kavalier, wie es Herr von Pöllnitz ist.
Aber immer noch besser, als ins Schuldgefängnis zu wandern, denn nur zwischen dem Schuldgefängnis und dem Wucherer bleibt mir die Wahl, es müßte denn sein, daß Sie, mein teurer Freund, sich meiner erbarmen und mir hundert Louisdor leihen könnten?
Friedrich von Trenck antwortete nicht. Er ging schweigend zu seinem Sekretär und schloß ihn auf. Die Augen des Baron von Pöllnitz blitzten vor Freude, als er sah, daß Trenck diese Schatulle an der Stelle aufzog, von welcher Pöllnitz aus einiger Erfahrung wußte, daß Trenck dort sein Geld aufzubewahren pflege. Aber diese Freude war nur von kurzer Dauer. Nicht, wie Pöllnitz erwartet hatte, nahm Trenck eine Geldrolle hervor, sondern nur einen kleinen beschriebenen und untersiegelten Zettel, den er Pöllnitz darreichte.
Sehen Sie da diese Schuldverschreibung, sagte er. Wären Sie gestern gekommen, würde ich mit Freuden bereit gewesen sein zu dieser Gefälligkeit, Heute ist es mir unmöglich, denn wie Sie sehen, habe ich heute meinem Obersten, dem Baron von Jaschinsky, zweihundert Stück Dukaten geliehen Friedrich von Trencks Lebensgeschichte. I, 61., und nun ist meine Börse ganz erschöpft.
Sie werden sie bald wieder zu füllen wissen, sagte Pöllnitz mit einem lauten Lachen, und ich denke, morgen um fünf Uhr bei Ihrem Rendezvous werden Sie nicht bloß von Liebe und Gott und dem Sternenhimmel schwärmen, sondern auch ein wenig von irdischen Dingen, von Geld und Gold zu reden haben! Leben Sie wohl!
Mit einem heitern Lachen nahm Herr von Pöllnitz Abschied, als er sich aber allein und auf der Straße befand, verfinsterte sich sein Gesicht und nahm einen düstern, gehässigen Ausdruck an.
Er hat kein Geld für mich, ich aber habe sein Geheimnis, und ich werde diesem wenigstens einiges Geld zu erpressen suchen, murmelte Herr von Pöllnitz zwischen seinen zusammengepreßten Zähnen hervor. Wahrhaftig, das Geheimnis Friedrich von Trencks ist wohl einige tausend Taler wert, und der König wird schon Mittel finden, sie mir auszuzahlen. Aber halt, die Stunde meines Rendezvous naht heran. Ich bin doch sehr begierig, wie man mich mitten auf der Straße überzeugen will, daß der König kein Geld habe. Ich werde also heute nacht sehr pünktlich sein, vorher aber noch einige Freunde besuchen und versuchen, ob es mir nicht gelingen wird, ihnen im Pharao wenigstens einige Louisdor abzugewinnen.