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IX. Die ersten Wolken

Noch ganz trunken von Glück, ganz selig in der Erinnerung an dieses erste Rendezvous mit seiner schönen und erhabenen Geliebten, ritt Friedrich von Trenck die Öde, einsame Landstraße nach Potsdam dahin. Er hatte nicht nötig auf den Weg zu achten, obwohl derselbe damals freilich noch durchaus keine Ähnlichkeit mit den glatten und ebenen Chausseen der heutigen Tage zeigte, sondern holprig oder tiefsandig war. Sein Pferd kannte diesen Weg genau, und Trenck konnte sich ganz und gar auf die Klugheit und Wachsamkeit desselben verlassen. Er legte die Zügel sorglos auf den Hals des edlen Tieres und ließ sich von demselben langsam und behaglich seinem Ziel entgegentragen. Allmählich begann es Tag zu werden, und der Himmel, welcher vorher in purpurnen Gluten gestrahlt, klärte sich auf zu einem tiefen sanften Blau. In den Lüften, welche noch nicht von dem Geräusch und dem Staub des Tages getrübt waren, sangen die Lerchen ihr fröhliches Morgenlied und wirbelten sich auf in diese Unermeßlichkeit, welche wir den von der Gottheit und den Engeln bewohnten Himmel nennen, von der die Physiker und Mathematiker sagen, daß sie nichts weiter sei, als ein mit Luft gefüllter Raum.

Trenck achtete weder auf den Lerchengesang, noch auf das allmähliche Aufsteigen der Sonne, welche mit ihren goldenen Strahlen die anmutige Landschaft ringsum erleuchtete und die Tautropfen in den Kelchen der Blumen, welche am Rande des zu beiden Seiten des Weges hinlaufenden Grabens standen, zu Diamanten und schimmernden Rubinen verwandelte. Er war ganz erfüllt von diesem süßen und wunderbaren Glück, das sich wie ein goldener Regen über ihn ergossen hatte. Er wiederholte sich jedes Wort, jedes Lächeln, jeden Händedruck seiner Geliebten, Mémoires de Frédéric, Baron de Trenck. Traduits par lui-même sur l'original Allemand, augmentés d'un tiers et revus la traduction, par Mr. de ***. I, 40. und eine glühende Röte flammte in seinem Gesicht auf, ein süßer Schauer beklemmte sein Herz, als er daran dachte, daß sie in seinen Armen geruht, daß seine Lippen diesen keuschen, jungfräulichen Mund geküßt hatten, dessen Atem ihm frischer, reiner und duftiger dünkte als dieser laue frische Morgenwind, der eben seine Orange fächelte und mit seinem schwarzen Lockenhaar spielte. Mit einem seligen Lächeln und mit stolz erhobenem Haupte dachte er daran, daß Prinzessin Amalie ihm Hoffnung gegeben auf ihren Besitz, daß sie an die Möglichkeit einer dereinstigen Verbindung mit ihm glaubte. Und in der Tat, warum sollte dies nicht möglich sein? Hatte Trenck nicht in wenigen Monaten eine so glänzende, überraschende Karriere gemacht, daß die Herzen seiner Kameraden davon mit Neid erfüllt waren, und man von ihm wie von einem besonderen Liebling des Glückes sprach? Kaum sechs Monate waren vergangen, seit er als ein junger, unbekannter, wenig bemittelter Student nach Berlin gekommen war, um durch seinen Beschützer, den Grafen von Lottum, dem König sich empfehlen zu lassen und die Gnade zu erlangen, in die Leibgarde Seiner Majestät aufgenommen zu werden. Der König, überrascht von seiner schönen, echt kriegerischen Gestalt, seinem reichen Wissen, fernem wunderbaren Gedächtnis, der König hatte ihn sofort zum Kornett in seiner berittenen Leibgarde, gemacht und ihn wenige Wochen später schon zum Offizier erhoben. Als solcher hatte er die große, und für einen kaum achtzehnjährigen Jüngling ungehörte Ehre genossen, vom König dazu erwählt zu werden, zweien Regimentern der schlesischen Kavallerie die neuen Manövers einzuexerzieren, und Friedrich selber hatte ihm sodann nicht bloß in gnädigen, sondern in liebevollen Worten seine Zufriedenheit ausgedrückt Mémoires de Frédéric, Baron de Trenck. Traduits par lui-même sur l'original Allemand, augmentés d'un tiers et revus sur la traduction, par Mr. de ***. I. 40. . Nun ist aber die Zufriedenheit und das gnädige Lächeln eines Fürsten wie der Sonnenstrahl, welcher dem von ihm getroffenen Gegenstand einen weithin leuchtenden, strahlenden Glanz verleiht und die Blicke der neugierigen Menschen auf sich zieht. Der von der Sonne der Fürstengunst bestrahlte junge Leutnant Friedrich von Trenck ward natürlich sofort ein Gegenstand der Aufmerksamkeit, der Freundlichkeit, der Zuvorkommenheit für alle diese Kreise, welche von irgendeinem Streiflicht des Hofes getroffen wurden. Mehr als einmal hatte man gesehen, daß der König vertraulich den Arm auf die Schulter des jungen Leutnants legte und sich lange und lächelnd mit ihm unterhielt, mehr als einmal hatte die stolze und fast unnahbare Königin Mutter dem jungen Offizier ein gnädiges Kopfnicken, ein freundliches Wort gegönnt, mehr als einmal hatten die Prinzessinnen bei den Festlichkeiten des letzten Winters ihn zu ihrem Tänzer erwählt, und alle diese jungen schönen Mädchen der Hofgesellschaft erklärten, daß niemand ein besserer Tänzer, ein aufmerksamerer Kavalier, ein unterhaltenderer Gesellschafter sei, als Friedrich von Trenck, dieser junge, lebenslustige, ewig heitere, ewig sorglose Offizier, der alle seine Genossen nicht nur um eine Kopfeslänge, sondern auch durch seine Liebenswürdigkeit, seine Talente weit überragte. Es war daher sehr natürlich, daß diese ganze glänzende Aristokratie sehr bemüht war, den jungen Liebling des Königs und der Damen in ihre Kreise hineinzuziehen, daß man ihm überall freundlich entgegenkam, und ihm die Ehrfurcht und Aufmerksamkeit bewies, welche ihm als dem Liebling des Königs, der Musen und Grazien unbestritten zugestanden ward.

Friedrich von Trenck war in seinem Innern zu gesund, zu naturkräftig, um durch diese allseitige Beachtung und Verherrlichung eitel und hochfahrend gemacht zu werden. Nur gewöhnte er sich daran, wie an ein ihm zustehendes Recht, und es verwunderte und erschütterte ihn kaum noch, als der König ihm zu seiner Offiziersequipierung zwei Pferde aus seinem eigenen Marstall und die für damalige Zeiten bedeutende Summe von tausend Talern schenkte Mémoires de Frédéric, Baron de Trenck. Traduits par lui-même sur l'original Allemand, augmentés d'un tiers et revus sur la traduction, par Mr. de ***. I. 40. . Nur erfüllte ihn diese große allgemeine Gunst mit kühnen Wünschen und hochstrebenden Träumen, und ließ ihm das Unglaublichste und Unerhörteste als etwas Mögliches und Erreichbares erscheinen. Zudem war Friedrich von Trenck, wenn nicht eitel und aufgeblasen, doch stolz und ehrgeizig. Er hatte sich ein großes Ziel gesetzt, er strengte alle seine Kräfte an es zu erreichen, und in seinen schönen und mutigen Stunden zweifelte er gar nicht, daß es ihm gelingen werde. Er war daher immer tätig, immer wachsam, immer zu irgendeiner Tat bereit, und ganz erwartungsvoll auf irgendein Riesenwerk, das ihm auf einen Schlag Macht und Reichtum, Ruhm und Größe bringen sollte! Er fühlte die Kraft in sich, eine Welt zu erobern und sie zu seinen Füßen niederzuschleudern, und wenn der König ihm die zwölf Riesenarbeiten des Herkules übertragen hätte, so würde er sich nicht davor erschreckt, sondern er würde sie vollführt haben. Überzeugt davon, daß ihm eine glänzende und ruhmvolle Zukunft bevorstände, bereitete er sich auf dieselbe vor. Keine Stunde fand ihn müßig, und wenn alle die Kameraden, ermüdet von dem beschwerlichen Dienst, von den sich täglich wiederholenden Kriegsübungen, lange zur Ruhe gegangen waren, saß Friedrich von Trenck noch mit irgendeinem ernsten Studium, einer strengen wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt, an seinem Schreibtisch, umgeben von Büchern, Landkarten und Planzeichnungen.

Der junge achtzehnjährige Leutnant bereitete sich darauf vor, General und siegreicher Feldherr zu werden, die Welt und die Vorurteile zu besiegen durch seine Talente und Verdienste, und diesen Abgrund, welcher ihn von der Prinzessin trennte, mit einer aus seinen eroberten Lorbeeren und Trophäen zusammengefügten Brücke zu überbauen. Und war er nicht schon auf dem besten Wege dazu? Winkte ihm die Zukunft nicht glückverheißend entgegen, mußte er, der schon mit achtzehn fahren so viel erreicht hatte, wonach andere, nicht minder Befähigte, ihr ganzes Leben lang vergeblich ringen, er, welcher jetzt schon ein gesuchter Kavalier, ein Gelehrter und Offizier in der Leibgarde eines großen Königs war, mußte er nicht zu großen Dingen, zu einem glanzvollen, erhabenen Schicksal berufen sein?

Solche Gedanken waren es, die den jungen Baron von Trenck beschäftigten und ihn alles andere vergessen ließen, selbst die Gefahr, mit welcher ihn der langsame und gemächliche Schritt seines Pferdes und die immer höher aufsteigende Sonne bedrohte. In der Frühe des Morgens wollte der König seinem Leibregiment die Parade abnehmen, und der Kommandeur desselben, der Oberst von Jaschinsky, gehörte nicht zu den Freunden des jungen Offiziers. Er beneidete ihm sein schnelles Avancement, es ärgerte ihn, daß Trenck im Sturmschritt erreichen sollte, was er nur dem Schneckengang seiner langsam vorwärtskriechenden Jahre zu verdanken hatte. Es würde ihn glücklich gemacht haben, diesen Jüngling, der so stolz, so siegesgewiß und so sorglos zugleich den Weg der Ehre und der Auszeichnungen hinauf schritt, straucheln und ihn von der Höhe der königlichen Gunst hinabgleiten zu sehen in die Abgrunde der Ungnade und des Vergessenseins! Er beobachtete daher seinen jungen Leutnant mit der lächelnden Tücke einer boshaften Seele, fest entschlossen, das geringste Versehen desselben mit unnachsichtiger Strenge zu rügen.

Und heute bot sich eine gute Gelegenheit dazu dar. Der Sergeant, welcher bei den Offizieren der Spion des Obersten war, hatte ihm hinterbracht, daß der Reitknecht des Leutnants von Trenck ihm heute in der Frühe des Morgens mitgeteilt, sein Herr sei spät in der Nacht fortgeritten und noch nicht wieder heimgekommen. Seitdem hatte der Sergeant selber die Tür des Hauses, in welchem der Baron Trenck wohnte, bewacht, und sich überzeugt, daß derselbe noch nicht zurückgekehrt sei.

Das war eine Nachricht, welche das Herz des Obersten von Jaschinsky mit Freuden erfüllte, die er jedoch sehr wohl unter der Maske der scheinbaren Gleichgültigkeit zu verbergen wußte. Er erklärte, daß er durchaus nicht glaube, daß der Leutnant von Trenck nicht in Potsdam anwesend, da demselben sehr wohl bekannt sei, daß kein Offizier ohne Urlaub Potsdam auch nur auf einige Stunden, geschweige denn auf eine ganze Nacht verlassen dürfe. Um den Sergeanten von der Unwahrheit der hinterbrachten Nachricht zu überzeugen, sandte ihn der Oberst mit irgendeinem geringfügigen Auftrag zu dem Leutnant von Trenck. Der Sergeant kehrte triumphierend zurück: der Baron von Trenck war wirklich nicht zu Hause, und seine Diener waren in großer Unruhe seinetwegen.

Der Oberst von Jaschinsky zuckte schweigend die Achseln, und da es eben acht Uhr schlug, nahm er eilig seinen Federhut und begab sich zur Parade.

Das ganze Regiment war zur Parade aufgestellt, jeder Offizier hielt bei seiner Kompagnie, nur der zweiten Kompagnie fehlte ihr Offizier. Das war die vom Leutnant von Trenck kommandierte Kompagnie. Der Oberst von Jaschinsky sah das mit einem einzigen Blick, und ein boshaftes Lächeln blitzte für einen Moment in seinem Antlitz auf. Dann ritt er wieder mit eisernem Ernst vor die Front seines Regiments und salutierte vor dem König, der eben, begleitet von seinen Adjutanten und Generälen, von der Treppe des Schlosses herniederstieg und sich auf sein Pferd schwang.

In diesem Augenblick aber entstand auf dem linken Flügel des Regiments eine kleine Bewegung und Unruhe, welche dem aufmerksamen Ohr des Obersten von Jaschinsky nicht entging. Er wandte den Kopf seitwärts und sah, wie der Leutnant von Trenck eben auf seinem in Schweiß gebadeten, schäumenden Pferde neben seiner Kompagnie anhielt. Des Obersten Stirn verfinsterte sich, denn der junge Offizier schien der Gefahr, welche ihn bedrohte, glücklich entgangen zu sein. Der König konnte nichts bemerken, denn Trenck war da, und es war also nutzlos, ihn anzuklagen.

Aber der König hatte schon seine Bemerkungen gemacht. Sein scharfes Auge hatte sehr wohl das hastige heransprengen Trencks und sein glühendes erhitztes Antlitz gewahrt, und wie er jetzt die Front herunterritt, hielt er dicht vor dem Leutnant von Trenck sein Pferd an.

Wie kommt es, fragte der König, daß Sein Pferd so von Schweiß trieft? Es kommt doch, denke ich, eben aus dem Stall, wie sein Herr aus dem Bett, wobei Er sich noch verspätet zu haben scheint, denn ich sah sehr wohl, daß Er eben erst auf dem Platz ankam.

Der Offizier murmelte einige leise, unverständliche Worte.

Nun, wird Er mir Antwort geben? fragte der König. Kommt das Pferd nicht aus dem Stall und sein Herr nicht aus dem Bett?

Friedrich von Trenck richtete sein Haupt, welches er vorher mutlos auf die Brust gesenkt hatte, kühn empor; er hatte seinen Entschluß gefaßt. Sein feuriges blitzendes Auge begegnete den Augen das Königs, welche wie zwei Dolchspitzen ihm entgegenleuchteten.

Nein, Euere Majestät, sagte Friedrich von Trenck mit ruhigem und entschlossenem Ton, mein Pferd kommt nicht aus dem Stall und sein Herr kommt nicht aus dem Bett.

Eine Pause trat ein. Eine bange, atemlose Pause. Aller Blicke waren mit gespannter Aufmerksamkeit auf den König hingewandt, dessen Strenge in der militärischen Disziplin man kannte und fürchtete.

Weiß Er, fragte der König endlich, daß ich verlange, daß meine Offiziere pünktlich auf der Parade sind?

Ja, Sire!

Weiß Er, daß es streng verboten ist, ohne Urlaub Potsdam zu verlassen?

Ich weiß es, Majestät.

Nun denn, wo war Er also, da ihm dieses bekannt ist, und Er doch nicht, wie Er selber sagt, aus seiner Wohnung hierher kam?

Sire, ich war auf der Jagd und verspätete mich. Ich weiß, daß ich mich eines schweren Vergehens schuldig gemacht habe, und erwarte meine Verzeihung nur von der Gnade Euerer Majestät.

Der König lächelte und sein Blick war freundlich und milde. Er erwartet also, wie es scheint, jedenfalls Seine Verzeihung? Nun diesmal soll Er sich nicht getäuscht haben, denn es gefällt mir von Ihm, daß Er so tapfer die Wahrheit bekannte! Ich liebe die aufrichtigen Leute, denn es beweist, daß sie Mut haben. Diesmal mag Er also ohne Strafe davonkommen, aber nehme Er sich vor einem zweiten Male in acht! Ich warne Ihn!

Aber was hilft selbst die Warnung eines Königs gegenüber der leidenschaftlichen Liebessehnsucht eines achtzehnjährigen Jünglings? Trenck vergaß sehr bald die Gefahr, welcher er eben erst entgangen war, und wenn er ihrer auch gedachte, so schreckte ihn das doch nicht. Es war wieder eine wundervolle, tiefdunkle Nacht, und er wußte, daß Prinzessin Amalie ihn erwartete. Und als er dann wieder unter dem Schutz des in dem Zimmer wachenden Oberzeremonienmeisters mit ihr auf dem Balkon stand, als er der süßen Musik ihrer Stimme lauschte und mit staunendem Entzücken den heiligen und köstlichen Offenbarungen ihrer jungfräulichen, zarten Seele zuhörte, als es ihm vergönnt war, zu ihren Füßen sitzend, ihr die Wundermärchen seiner Liebe, seines Glückes zu erzählen, ihre zitternde weiche Hand auf seiner Stirn zu fühlen, und mit ihr zu träumen von einer strahlenden, seligen Zukunft, wo nicht nur Gott und die Nacht, sondern auch der König und die ganze Welt ihre Liebe kennen sollten, wie hätte er da sich erinnern können, daß der König morgen schon um sieben Uhr die Parade befohlen habe, und daß es fast für ihn schon unmöglich sei, noch zur festgesetzten Stunde in Potsdam sein zu können.

Diesmal traf er erst in Potsdam ein, als die Parade schon vorüber war. Vor seiner Tür aber fand er eine Ordonnanz, welche ihn sofort zum König führte.

Friedrich war allein in seinem Kabinett, als der Leutnant von Trenck zu ihm eingeführt ward. Er hieß mit einem stummen Wink den Adjutanten und den Ordonnanzoffizier sich entfernen und ging dann schweigend, ohne Trenck, welcher mit bleichem, aber entschlossenem Angesicht an der Tür stand, anscheinend zu beachten, im Zimmer auf und ab.

Trenck folgte jeder Bewegung des Königs mit gespannten unruhigen Blicken. Wenn der König mich kassiert, sagte er leise zu sich selbst, so werde ich mich erschießen. Wenn er mich foltern läßt, um das Geheimnis meiner Liebe zu erfahren, so werde ich die Folter ertragen und schweigen.

Aber es gab noch eine dritte Möglichkeit, an welche Trenck in der verzweiflungsvollen Spannung seines Gemüts nicht gedacht hatte! Was würde er tun, wenn der König ihn milde und gütevoll empfinge und mit den Worten eines besorgten Freundes in ihn dringe, um von ihm sein Geheimnis zu erfahren?

Das gerade war es, was der König tat. Er trat dicht vor den armen, bleichen und atemlosen Jüngling hin und sah ihm lange und fest in die Augen, aber sein Blick war nicht drohend und zornvoll, wie Trenck es erwartet hatte, sondern milde, fast traurig.

Warum ist Er abermals heimlich von Potsdam fortgewesen? fragte der König. Woher nimmt Er den stolzen Mut, sich so konsequent gegen meine Befehle aufzulehnen? Der Oberst Jaschinsky hat heftige Klage über Ihn geführt und mir gesagt, daß Er schon sehr oft heimlich aus Potsdam fortgewesen ist. Weiß Er, daß ich Ihn kassieren muß, wenn ich der Strenge des Gesetzes folge?

Ich weiß das, Majestät, aber ich weiß auch, daß ich diese Schande nicht überleben würde.

Jetzt schoß ein zorniger Blick aus des Königs Augen. Will Er mir etwa drohen und mir Angst machen mit Seinen Rodomontaden?

Verzeihung, Sire, ich wage es weder zu drohen, noch denke ich, daß Euere Majestät jemals um meinetwillen sich ängstigen würde. Was liegt Euerer Majestät an diesem unbedeutenden, unberühmten und unbekannten Jüngling, an diesem Atom, das nur glänzt, wenn ein Sonnenstrahl aus den Augen des Königs ihn berührt. Ich bin für Euere Majestät nichts, aber Sie sind mir alles, und ich werde und mag nicht leben, wenn Euere Majestät mir Ihre Gnade entziehen und mir die Möglichkeit rauben, mich auszuzeichnen, und mir einen Namen zu erwerben. Das war es, was ich sagen wollte, Sire!

Er ist also ehrgeizig und dürstet nach Ruhm?

Euere Majestät, wenn mir der Teufel die Hälfte meiner Lebensjahre abkaufen wollte, indem er mir dafür verspräche, mir für die andere Hälfte meines Lebens Ruhm, Ehre und Ansehen, und nach meinem Tode ein wenig Nachruhm zu gewähren, so würde ich diesen Handel eingehen, das ist alles!

Der König lächelte. Und wenn solcher Ehrgeiz in Ihm brennt, kann Er doch so töricht und unbesonnen sein, sich selber zu schaden und zu degradieren, indem Er nachlässig ist im Dienst? Wer in den kleinen Dingen nicht pünktlich und genau ist, wird es auch nimmermehr in den großen sein. – Wo war Er diese Nacht?

Sire, ich war auf der Jagd!

Der König sah ihn mit strengen und durchbohrenden Blicken an. Friedrich von Trenck hatte nicht den Mut, dieselben zu ertragen. Er schlug das Auge nieder und errötete.

Er sagt mir da eine Unwahrheit, sagte der König. Bedenke Er sich eines Bessern! Wo war Er diese Nacht?

Sire, ich war auf der Jagd!

Er bleibt also dabei!

Euere Majestät, ich bleibe dabei.

Und Er behauptet, daß das die Wahrheit sei?

Friedrich von Trenck blieb stumm.

Er behauptet, daß das die Wahrheit sei? wiederholte der König.

Der junge Offizier hob den Blick empor, und diesmal hatte er den Mut, den hellen Flammenaugen des Königs zu begegnen.

Nein, Sire, ich behaupte das nicht.

Er gesteht also ein, daß Er mir eine Unwahrheit gesagt hat?

Ja, Euere Majestät.

Weiß Er, daß das ein neues und schwereres Vergehen ist?

Ich weiß das, Euere Majestät, aber ich kann und darf nicht anders handeln.

Er will mir also nicht die Wahrheit sagen?

Ich kann es nicht!

Auch nicht, wenn ich Ihm mit augenblicklicher Kassation, mit Festungsstrafe drohe?

Auch dann nicht, Majestät, denn ich kann nicht.

Trenck, Trenck, hüte Er sich! Bedenke Er, daß Er zu seinem König und Herrn spricht, welcher ein Recht hat, zu fordern, daß man ihm die Wahrheit sage.

Mögen Euere Majestät mich also strafen, wie Sie als König und Herr das Recht und die Pflicht dazu haben, und ich werde es erdulden müssen! sagte Trenck, zitternd und leichenblaß, aber ganz entschlossen und seiner selbst gewiß.

Der König ging heftig einige Male auf und ab, dann blieb er wieder vor seinem Leutnant stehen. Er wird sich sogleich bei seinem Obersten melden und um Seinen Abschied bitten! Gehe er!

Friedrich von Trenck erwiderte nichts, vielleicht war er dessen nicht fähig. Aber zwei große Tränen rannen langsam über seine Wangen nieder, und er schämte sich ihrer nicht. Es war seine Jugend, sein Glück, seine Ehre und sein Ruhm, welches alles er beweinte.

Gehe Er! wiederholte der König.

Der junge Offizier verneigte sich tief. Ich danke für gnädige Strafe, sagte er leise, dann wandte er sich um und öffnete die Tür.

Das Auge des Königs war ihm mit sichtlicher Teilnahme gefolgt. Trenck! rief er jetzt, und als dieser sich umwandte und der weitern Befehle harrend, schweigend und kerzengerade an der Tür stehen blieb, ging der König hastig auf ihn zu und reichte ihm die Hand dar.

Ich bin mit Ihm zufrieden, sagte er. Er hat sich vergangen, aber Er hat in der Seelenangst, welche Er jetzt geduldet, auch schon seine Strafe empfangen. Ich verzeihe ihm also.

Trenck stieß einen Schrei des Entzückens aus und neigte sich über die königliche Hand, die er mit leidenschaftlicher Innigkeit an seine Lippen drückte.

Euere Majestät schenken mir das Leben wieder, ich danke Ihnen, sagte er innig.

Der König lächelte. Und doch muß Sein Leben wenig Wert für Ihn haben, da Er es so leichten Kaufs hingeben wollte. Ich habe Ihm jetzt verziehen, aber ich warne Ihn vor der Zukunft. Seien Sie auf Ihrer Hut, Monsieur, oder der Blitz wird herniederfallen und Ihr Haupt zerschmettern Des Königs eigene Worte. Siehe: Trenck Mémoires. I, 60.!

Jetzt war das Auge des Königs drohend und voll finstern Zorns, und seine Stimme war wie das Rollen des Donners unheilverkündend und schreckenvoll.

Sie haben Ihr Geheimnis gut bewahrt, fuhr der König fort, Sie haben es nicht verraten, selbst als ich Ihnen mit schwerer Strafe drohte. Das erforderte Ihre Kavaliersehre und ich wundere mich nicht, daß Sie dieselbe heilig hielten. Aber es gibt noch eine andere Ehre, und diese haben Sie heute befleckt, das ist der Gehorsam gegen Ihren König und Kriegsherrn. Indessen verzeihe ich Ihnen, und ich will jetzt nicht als König, sondern als Freund zu Ihnen sprechen! Sie sind auf einem gefährlichen Wege, junger Mann, kehren Sie um, jetzt, da es noch Zeit ist, kehren Sie um, bevor der Abgrund sich vor Ihnen auftut, Sie zu verschlingen! Niemand kann zweien Herren dienen, oder nach zweien Zielen streben. Wer etwas will, der muß es ganz wollen, ganz und ungeteilt, der muß die Kraft haben, allem andern zu entsagen, alles hinzugeben an das eine, große Ziel. Alles, sage ich, selbst seine Hoffnungen, selbst seine Liebe. Sie aber, junger Mann, Sie wollen den Ruhm und die Liebe zugleich erstreben, und darüber werden Sie beides verlieren, denn die Liebe macht weichmütig und mutlos. Man geht nicht todesmutig in die Schlacht, wenn man eine Geliebte zurückläßt, aber die Geliebte verachtet den Mann, welcher nicht als ein Tapferer und Lorbeerbekränzter zurückkehrt. Seien Sie also zuerst ein Kriegsheld, bevor Sie daran denken, ein Liebhaber zu sein, erobern Sie zuerst Lorbeern und dann streben Sie nach der Myrte. Oder wollen Sie das nicht, nun, so entsagen Sie dem ruhmvollen Stande, den Sie erwählt haben, legen Sie das Schwert beiseite, obwohl ich Ihnen versprechen kann, daß Sie es bald und mit Ehren, hoffe ich, gebrauchen sollen. Aber legen Sie es beiseite und nehmen Sie dafür die Feder oder den Pflug in die Hand, bauen Sie sich ein Nest, nehmen Sie sich ein Weib und danken Sie Gott, wenn der Himmel Ihnen alle Jahr ein Kind schenkt, und der Krieg Ihnen so fern bleibt, daß die mutige Kriegerschar Ihren Acker und Ihr Gartenland nicht bedroht. Das ist auch eine Zukunft, nur sei mit ihr zufrieden, wer den Sinn dazu hat, und dessen Ohren so verstopft sind, daß sie das Schmettern der Kriegstrompete und das Läuten der Alarmglocke, das jetzt überall in Europa die Lüfte durchhaut, nicht vernehmen. Wählen Sie also, wollen Sie ein Soldat, und will's Gott bald ein Held sein, oder wollen Sie ferner – auf die Jagd gehen?

Ich will ein Soldat sein, rief Trenck ganz begeistert und strahlend. Ich will auf dem Schlachtfeld mir Ruhm, Ehre und Ansehen, und vor allen Dingen die Achtung und Zufriedenheit meines Königs erkämpfen, ich will, daß die ganze Welt meinen Namen kenne und ihn hochschätze!

Das ist fürwahr ein großes und schönes Ziel, was Sie sich da gesetzt haben, sagte der König lächelnd. Es gehört ein Menschenleben dazu, um es zu erreichen. Sie werden ihm vieles opfern müssen, vor allen Dingen – Ihre Jagd. Ich weiß nicht, wo und was Sie gejagt haben, und ich will es auch nicht wissen, aber ich rate Ihnen als Freund, hören Sie auf. Ich habe Ihnen die Wahl gelassen, und Sie haben Ihre Wahl getroffen, Sie wollen ein tapferer Soldat werden. Nun wohl denn, von jetzt an werde ich gegen jeden Fehltritt, jedes noch so kleine vergehen unerbittlich sein, denn es kommt darauf an, Sie zu dem zu machen, was Sie sein wollen, ein tapferer und makelloser Offizier. Ich werde Ihren Obersten beauftragen, Sie strenge zu überwachen und mir jeden Fehler, den Sie begangen, zu rapportieren, ich werde Sie beobachten lassen, und wehe Ihnen, wenn ich Sie wieder auf Irrpfaden und Schleichwegen attrappiere, denn ich werde dann unerbittlich sein. Jetzt, Monsieur, sind Sie gewarnt und können sich nicht beklagen, wenn das Gewitter dennoch einst über Sie hineinbricht. Alles, was kommt, haben Sie sich nun selber zuzuschreiben. Kein Wort weiter! Adieu!

Lange noch, nachdem Trenck das Zimmer verlassen, stand der König gedankenvoll, die Arme über der Brust zusammengeschlagen, da und blickte nach der Tür hin, durch welche die große und schlanke Gestalt des jungen Offiziers verschwunden war.

Ein Herz von Stahl, ein Kopf von Eisen, sagte der König nach einer langen Pause leise zu sich selbst. Er wird entweder sehr unglücklich oder sehr glücklich werden, für solche Naturen gibt es keinen Mittelweg! Ah, ich fürchte, es wäre besser für ihn, ich hätte ihn entlassen, und –

Der König endete nicht, er seufzte tief auf, und eine Wolke lagerte auf seiner Stirn. Sie schwand nicht, als er jetzt zu seinem Schreibtisch trat und dieses große, mit Insiegeln versehene Papier ergriff, das er sorgfältig las, während ein trübes Lächeln allgemach über sein Antlitz flog.

Arme Amalie, sagte er dann leise und kopfschüttelnd, arme Schwester! Sie haben dich zur Koadjutorin der Äbtissin von Quedlinburg erwählt! Ein armseliger Ersatz für die schwedische Krone, welche ich für dich gehofft hatte! Nun immerhin, ich werde meine Unterschrift geben!

Er nahm die Feder und schrieb mit hastiger Hand seinen Namen unter das Diplom. Dann blickte er lange und gedankenvoll vor sich hin.

Es ist mindestens eine kleine Sicherstellung, murmelte er dann leise. Wenn sie sich nicht verheiraten will, wird sie eines Tages Äbtissin von Quedlinburg werden. Das ist immerhin etwas! Auch Aurora von Königsmark ist das geworden, aber freilich erst, nachdem sie vorher glücklich gewesen!

Und der König, gleichsam übermannt von diesen schmerzlichen und unheilsvollen Gedanken und Vergleichen, die sich ihm aufdrängten, hob den Blick empor zum Himmel und sagte leise: Armes, beklagenswertes Menschenherz! Warum hat das Schicksal es so weich gemacht, da es sich doch so sehr verhärten muß, um das Leben ertragen zu können!

Er senkte sein Haupt auf seine Brust und stand lange in tiefen Gedanken da. Dann schüttelte er sein Haupt, wie der Löwe es tut, wenn er das flatternde kleine Gewürm verscheuchen will, welches seine hohe Stirn belästigt.

Hinweg mit den Sorgen! sagte er. Ich habe jetzt nicht Zeit als gemütlicher Hausvater das Glück meiner Familie zu bedenken.

Mich ruft mein Dienst und meine Königspflicht!


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