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XI. Das Kloster von Camenz

Es war ein stiller, wundervoller Morgen. Die Sonne machte die Bergspitzen des Riesengebirges höher glänzen und umfloß die hohe Schneekoppe mit so wunderbarem Licht, daß sie wie eine wunderbare märchenhafte Riesenlilie weit hinaus leuchtete und duftete. Die Luft war so klar und rein, daß man selbst in weiter Ferne den Anblick des zugleich so großartig und so malerisch hingelagerten Gebirges genoß, und sich einbilden mochte, in wenig Minuten diese heitern, lachenden, grünen Bergspitzen erreichen zu können, welche jeden Beschauer mit ihrer Anmut und ihrem majestätischen Schönheitslächeln zu sich zu winken schienen.

Selbst diejenigen, welche lange Jahre schon an den Anblick dieser herrlichen Gegend gewöhnt waren, mußten heute doch davon wie von einer erhöhten Schönheit ergriffen werden, denn die Natur, welche ein Weib ist, hat auch darin ihre weibliche Eigentümlichkeit, daß ihre Schönheit wechselt und sie ihre beaux jours hat, so gut wie jedes andere Weib.

Die Landschaft, welche sich da zu den Füßen dieser beiden Mönche ausbreitete, die in stummer Betrachtung auf der Plattform des Zisterzienser Kloster Kamenz auf- und abgingen, diese Landschaft hatte heute wirklich ihren beau jour und strahlte in heiterstem, ungetrübtestem Gottesfrieden.

Wie schön die Welt ist, sagte einer der beiden Mönche, indem er mit frommem Händefalten hinausschaute ins Tal. Wie ganz gemacht, um darin ein heiteres, zufriedenes und gottgefälliges Leben zu führen. Seht nur, in welcher heitern Majestät sich dort drüben das Gebirge hinlagert, und wie lieblich und lachend das Tal sich zu unsern Füßen ausbreitet. Drunten im Flecken Kamenz wird's schon lebendig, und von der Stadt Frankenstein herüber vernehme ich ganz leise das Geläute der Glocken, welches zum Frühgottesdienst ruft.

Wenn's nicht die Sturmglocke ist, sagte der zweite Mönch. Der Wind steht von uns abgewandt, wir würden das Läuten von den kleinen Glocken nicht hören. Es muß ein starkes Geläute sein, und ich fürchte, es ist die Sturmglocke.

Weshalb sollten die Frankensteiner aber die Sturmglocken läuten, Bruder Tobias? fragte der andere mit einem sanften, ungläubigen Lächeln.

Weshalb, Bruder Anastasius? Nun, weil die Österreicher vielleicht schon ihre Vorposten bis nach Frankenstein geschickt haben, und weil die Frankensteiner, welche einmal doch dem König von Preußen Treue geschworen haben, dieselbe vielleicht auch halten wollen und die wehrhaften Bürger deshalb zum Kampf zusammenrufen.

Und Ihr glaubt wirklich, daß die Österreicher uns so nahe sind? fragte Bruder Anastasius kopfschüttelnd.

Ich glaube es nicht, ich weiß es, sagte Tobias beinahe flüsternd. Bevor drei Tage vergehen, wird der General Graf von Wallis mit seinem Generalstab in unser Kloster einziehen, und im Namen Maria Theresias uns den Eid der Treue abfordern.

Ihr könnt noch immer nicht vergessen, daß wir einst österreichisch waren, Bruder Tobias. Eure Augen leuchten, wenn Ihr daran denkt, daß die Österreicher kommen, und Ihr vergeßt, daß Seine Hochwürden, unser Abt Tobias Stusche, von ganzem Herzen dem König von Preußen ergeben ist und daß er nimmermehr österreichisch werden möchte.

Er wird sich aber doch dazu entschließen müssen, Bruder Anastasius. Das Kriegsglück des preußischen Königs ist zu Ende, und Gott hat sein Antlitz von ihm gewandt, weil er kein rechtgläubiger Christ ist, sondern ein ungläubiger Heide und Gottesleugner.

Still, Bruder Tobias. Wenn der Abt Euch hörte, würde er Euch wenigstens zwanzig Paternosters auferlegen, und Ihr wißt wohl, daß das viele Beten gerade nicht Eure Sache ist.

Es ist wahr, ich spreche lieber von Politik und Schlachten, und kann's noch immer nicht vergessen, daß ich in meiner Jugend ein tapferer Soldat gewesen, der für Österreich mehr als einmal sein Blut vergossen hat. Und seht, daher kommt auch meine Anhänglichkeit an Österreich. Ich sage Euch, ich wollte gern täglich dreißig Paternoster beten, wenn wir dafür nur wieder österreichisch werden könnten.

Nun, zum Glück ist keine Hoffnung dazu da!

Zum Glück ist sehr viel Hoffnung dazu da. Ihr wißt nur nichts davon, Ihr leset Eure heiligen Schriften, studiert in Euren gelehrten Büchern und bekümmert Euch wenig darum, was da draußen vorgeht in der Welt. Ich aber weiß alles, höre alles, achte auf alles, ich studiere Politik und Weltgeschichte, so gut wie Ihr die alten Kirchenväter.

Nun, Bruder Tobias, so laßt mich ein wenig vernehmen von Eurem Studium. Ihr habt recht, ich kümmere mich nicht viel darum und bin des herzlich froh, denn es tut mir immer im Herzen weh, wenn ich von dem Unfrieden und den Zwistigkeiten der Menschen höre, welche doch Gott in die Welt geschickt, damit sie in Frieden und in Liebe miteinander leben sollen!

Wenn's so ist, warum denn hat Gott geduldet, daß wir das Schießpulver erfunden haben? fragte Bruder Tobias mit einem pfiffigen Lächeln. Ich sage Euch, kraft des Schießpulvers und der blanken Schwerter wird Schlesien bald wieder im Besitz der rechtgläubigen Königin Maria Theresia sein. Ist es nicht klar und offenbar, daß Gott mit ihr ist, obwohl der Teufel anfangs schier mächtiger war, als Gott selber, und dem Preußenkönig beistand mit seiner Macht und seinem wilden Heer? Denkt doch nur, daß er Breslaus Tore sich mit einer Ohrfeige geöffnet hat, daß er im vorigen Jahre Prag fast ohne Schwertstreich, nur wie zum Kinderspiel eingenommen hat, daß er Herr war über ganz Böhmen, und daß er dennoch wie ein Besiegter es schleunigst wieder verlassen mußte, weil Gott ihm einen Feind entgegensandte, welcher mächtiger ist als alle menschlichen Feinde, weil er ihn und seine Armee angriff mit dem Hunger, den der tapferste Soldat ebenso sehr fürchtet, wie das furchtsamste, wehrloseste, kleine Mägdelein. Der Hunger hat den siegreichen König Friedrich von Preußen aus Böhmen vertrieben, der Hunger hat gemacht, daß er mit seiner Armee ganz Schlesien geräumt hat und nach Berlin zurückgekehrt ist Preuß, Geschichte Friedrichs des Großen I, 79.. Oh, oh, ich sage Euch, wir werden bald aufgehört haben preußisch zu sein, denn während der König von Preußen ruhig in Berlin verweilt, rücken die Österreicher in die Grafschaft Glatz ein und bringen uns Grüße von unserer gnädigen Erbfrau, der Königin Maria Theresia.

Wenn der König von Preußen von diesen Grüßen hört, wird er sie mit Kanonenschüssen erwidern, Bruder Tobias!

Sagte ich Euch nicht, daß der König ruhig in Berlin verweilt und sich erholt von dem unglücklichen böhmischen Feldzug? Nun, die Österreicher werden ganz Oberschlesien erobert haben, bevor des Königs Soldaten sich wieder von ihrer Hungerkur erholt haben, denn ich sage Euch, die Österreicher werden in einigen Tagen schon bei uns sein.

Da sei Gott vor! seufzte Bruder Anastasius. Dann würde die Kriegsfackel aufs neue entbrennen und Unglück und Elend aufs neue über Schlesien hereinbrechen.

Gewiß wird's das, und ich will Euch noch eine Neuigkeit melden, die ich gestern, als ich in Frankenstein war, vernommen habe. Der König von Preußen, sagte man, habe ganz in der Stille Berlin verlassen und sei nach Schlesien abgereist, um selber zu sehen, wie weit die Österreicher schon vorgedrungen seien. Es wäre allerliebst, wenn der König auch unserm Kloster einen Besuch abstattete, und just dann wenn der General von Wallis mit seinen Truppen zu uns käme.

Allerliebst nennt Ihr das? fragte Bruder Anastasius mit vorwurfsvollen Blicken.

Ja, gewiß, denn alsdann wäre, die Gefangennehmung des Königs unvermeidlich und damit wäre der Krieg für immer beendet, denn Ihr könnt wohl denken, daß die Österreicher den König von Preußen nicht wieder herausgeben würden, bevor er nicht ganz Schlesien als Lösegeld gezahlt.

Gott sei uns gnädig und bewahre uns vor Krieg und Pestilenz, murmelte Bruder Anastasius, indem er fromm die Hände faltete und leise zu beten schien.

Das dreimalige Anschlagen einer Glocke im Innern des Klosters unterbrach ihn in seinem Gebet, und machte das volle, runde Gesicht des Bruders Tobias in einem vergnügten Lächeln erglänzen.

Sie läuten zum Frühstück, Bruder Anastasius, sagte er. Laßt uns also eilen hinzukommen, bevor der Bruder Baptist, der immer der erste beim Mahle ist, sich wieder die besten Bissen auf seinen Teller hat legen können. Kommt, kommt, Bruder Anastasius, und nach dem Frühstück wollen wir in den Garten gehen und unsere Blumen begießen, wir haben heute einen schönen Tag und viel Zeit für unsere Blumen, denn erst in drei Stunden wird wieder Messe gelesen.

Kommen Sie also, Bruder Tobias, sagte der Bruder Anastasius, und mögen Ihre unglücklichen Prophezeihungen und Voraussetzungen sich nicht erfüllen!

Die beiden Mönche gingen ins Haus, und eine tiefe, nur dann und wann von dem Gezwitscher eines vorüberflatternden Vogels unterbrochene Stille herrschte jetzt um das Kloster, dessen wundervoller, im edelsten Stil des Mittelalters entworfener Bau sich wunderbar abzeichnete gegen den dunklen tiefblauen Horizont.

Es war ohne Zweifel, um die Schönheiten und die Großartigkeit dieses Gebäudes in Augenschein zu nehmen, daß die beiden Wanderer, welche langsam auf dem von dem Flecken Camenz zu dem Kloster hinaufführenden Weg daherkamen, jetzt still standen und sich mit aufmerksamen, prüfenden Blicken das Kloster beschauten.

Von dem Turme müßte man eine sehr schone Avenue haben, sagte der ältere und kleinere der beiden Reisenden zu dem hochgewachsenen, schlanken Jüngling, der mit bewundernden Blicken die herrliche Gegend ringsum betrachtete.

Gewiß, es muß ein herrlicher Punkt sein, erwiderte er mit einem ehrfurchtsvollen Neigen des Kopfes.

Ich meine, ein herrlicher Punkt, um von dort das Land zu überschauen, um danach ermessen zu können, ob wirklich Truppen im Anmarsch sind, sagte der andere mit etwas strengem und hastigem Ton. Lassen Sie uns also hinaufgehen und den Turm besteigen.

Der jüngere Mann verneigte sich schweigend und folgte in einiger Entfernung dem rascher vorwärts schreitenden Wanderer.

Jetzt hatten sie die Plattform erreicht und standen einen Moment still, um Atem zu schöpfen.

Herauf wären wir, sagte der Ältere der beiden Herren, wenn wir nun auch erst wieder hinunter wären.

Hinunter mögen wir wohl kommen, es fragt sich nur wie? sagte der andere lächelnd.

Sie meinen, ob frei oder als Gefangene? Nun, ich sehe keine Gefahr. Zudem sind wir im strengsten Inkognito, und niemand kennt mich hier. Der Abt Amandus ist tot und der neue Abt ist mir unbekannt. Eilen wir also, ziehen Sie die Glocke, wir wollen ins Kloster.

Der junge Mann war eben im Begriff, diesem Befehl zu gehorchen, als plötzlich eine Stimme rief: Ziehen Sie nicht die Glocke, ich werde selbst kommen zu öffnen.

Der Mann, welcher in der obern Etage an dem offenen Fenster gestanden und dem Gespräch der beiden Reisenden zugehört hatte, zog jetzt eilig seinen Kopf aus dem Fenster zurück und verschwand.

Es scheint, ich bin hier nicht so unbekannt, als ich vermutete, sagte der kleinere der beiden Herren mit einem ruhigen Lächeln.

Wer weiß, ob diese Mönche zuverlässig sind und treu, flüsterte der andere.

Nun, Sie werden doch nicht die erhabenen Diener Gottes anzweifeln wollen? Ich meinesteils glaube an ihre Treue, bis sie mich vom Gegenteil überzeugt haben. Ach, die Tür wird geöffnet.

Wirklich tat sich die kleine Klosterpforte soeben auf, und aus derselben trat ein Mönch hervor, der sich mit eiligen Schritten den beiden Fremden näherte.

Ich bin der Abt Tobias Stusche, sagte er leise, außerdem ein Mann, welcher dem König Friedrich von Preußen, obwohl er ihn nicht kennt, auf das Treueste ergeben ist.

Er legte auf diese letzten Worte einen besondern Nachdruck, welcher dem Fremden, an den sie gerichtet waren, nicht entging.

Sie kennen den König von Preußen nicht, sagte er, indem sein scharfer Adlerblick das gutmütige und freundliche Angesicht des Abtes zu prüfen schien.

Ich kenne ihn nur dann, wenn der König nicht Inkognito sein will, erwiderte der Abt mit einem feinen Lächeln.

Wenn der König hier wäre, würden Sie ihm raten, Inkognito zu bleiben?

Ich würde es ihm raten, denn es gibt einige unter meinen Mönchen, welche österreichisch gesinnt, und wie man sagt, stehen die Österreicher nicht weit von hier.

Nach ihnen eben möchte ich von Ihrem Turm aus spähen. Lassen Sie uns also ins Haus gehen. Zeigen Sie uns den Weg.

Der Abt erwiderte nichts, sondern schritt eilig wieder dem Kloster zu, an dessen Fenstern sein Blick prüfend vorüberschweifte.

Sie sind noch alle im Speisesaal, murmelte er, und der hat seine Fenster glücklicherweise nach dem Garten hin. Aber nein, da ist Bruder Anastasius.

Wirklich war es der Bruder Anastasius, welcher da drüben am Fenster stand, und mit erstaunten und teilnahmsvollen Blicken herüberschaute.

Der Abt nickte ihm leicht zu und legte leise den Zeigefinger seiner Hand auf seine Lippen, dann überschritt er hastig die Schwelle der kleinen Klosterpforte.

Aber der Fremde folgte ihm nicht sogleich. Er legte seine Hand auf die Schulter des Abtes und fragte strenge: Gaben Sie nicht soeben dem Mönch dort ein Zeichen?

Ja, das Zeichen zu schweigen! erwiderte der Abt, sich rückwärts wendend und den Fremden mit seinen klaren Augen ruhig anschauend.

Lassen Sie uns vorwärts gehen, Messieurs! sagte dieser, indem er entschlossen die Pforte durchschritt.


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