Helene von Mühlau
Frau Doktor Breuer
Helene von Mühlau

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1.

Im Bureau des Herrn Gormann brannte ein Feuer und machte den Raum sehr behaglich; denn draußen ging ein kalter Frühlingswind, und die Kälte, die nach ein paar fast sommerlich warmen Tagen von neuem eingetreten war, war peinigender als im Winter.

Herr Gormann hatte eine Flasche Wein und drei Gläser auf einen Tisch stellen lassen; auch eine Kaffeemaschine, zum Anzünden der Spirituslampe bereit, war vorhanden.

»Kaffee oder Wein – mir ist es gleichgültig! Meinethalben mögen sie beides nehmen – wenn sie nur zu einem Entschluß kommen.«

Er sah auf die Pendeluhr, die an der Wand hing. »Wenn sie pünktlich wären, könnten sie schon da sein!« sagte er verdrießlich, stand von seinem Stuhl auf und ging in dem schmalen, langgestreckten Raume auf und nieder. Je länger er warten mußte, um so verdrießlicher wurde er, und wenn er verdrießlich aussah, wirkte sein Gesicht sehr unschön, fast erschreckend. Er läutete am Telephon, und als er hörte, daß es nur seine Frau war, die gern schon etwas wissen wollte, hängte er mit einem ärgerlichen: »Nein – ich werde schon selbst anklingeln, wenn etwas zu melden ist!« den Hörer wieder an.

Aber nun hörte er Stimmen und Schritte in dem anstoßenden großen Laden, hörte, wie einer seiner Leute sagte: »Bitte, hierher! Herr Gormann erwartet Sie in seinem Bureau!«, und sogleich hellten sich seine Mienen auf – die Augen bekamen etwas Leuchtendes und der breite Mund hatte ein Lächeln.

Die Eintretenden waren ein junges Ehepaar – wenigstens auf den ersten Blick wirkten sie sehr jung – denn die Frau war von mädchenhafter Schlankheit, mit einem zarten, sehr feingeschnittenen Gesicht, und der Mann war ebenfalls schlank und hatte schnelle, jugendliche Bewegungen.

Herr Gormann kam mit ausgestreckten Händen auf die beiden zu:

»Es freut mich ganz ungemein!« sagte er. »Sie waren doch draußen, nicht wahr, haben alles angesehen?«

»Wir kommen eben von dort!« sagte der Herr. »Sie sehen, wie zerzaust wir sind. Der Wind hat da draußen, eine Stärke – es ist unglaublich!«

Herr Gormann glaubte aus diesen Worten einen Tadel herauszuhören und begann sofort, sein Grundstück zu verteidigen.

»Nein, Herr Doktor, da irren Sie sich; das hört sich nur so an. Im Hause selbst merken Sie nicht mehr von einem heftigen Winde als in jedem Stadthause.«

Der Doktor lächelte: Wir wollen ja gerade etwas mehr davon hören,« sagte er. »Wenn mir schon so weit von der Stadt fortziehen, wollen wir natürlich in engerem Kontakt mit der Natur sein!«

»Sind Sie auch – selbstverständlich – das ist ja das Wunderschöne da draußen, man ist mit der Natur geradezu verwachsen. Darum habe ich mir die Sache ja auch seinerzeit gekauft. Aber was nützt sie mir? Drei- bis viermal im Jahre bin ich einen Sonntag draußen – in all der anderen Zeit steht alles leer. Man ist eben Geschäftsmann und kann sich den Luxus eines Landhauses zwar insofern leisten, als man das Geld dafür übrig hat, aber die Zeit fehlt. Und sehen Sie, aus diesem Grunde, Herr Doktor, kann ich Ihnen ein so überaus günstiges Angebot machen; denn in der Tat, es kommt mir auf ein Geschäft nicht an – im Gegenteil, ich verliere bei der Sache – aber ich möchte reinen Tisch haben – meine Gedanken reichen nicht aus, um neben dem Geschäft und tausend anderen Dingen auch noch das Haus da draußen zu übersehen!«

»Das Haus ist sehr verwohnt, wie meine Frau heute festgestellt hat!« sagte der Doktor Breuer. Aber man merkte es ihm an, daß er das nicht gern sagte. Auch hatte nicht seine Frau herausgefunden, daß das Haus verwohnt sei, sondern ein Sachverständiger, den er auf den Rat eines Bekannten mit hinausgenommen hatte, um das Grundstück anzusehen. Sein Feingefühl oder auch, eine gewisse Aengstlichkeit, die seinem Wesen anhaftete, hinderte ihn aber, diesem Herrn Gormann einzugestehen, daß er einen Fremden mit hinausgenommen hatte, um das Haus zu bewerten.

Herr Gormann warf einen erstaunten Blick auf die zart aussehende Frau, dann bat er:

»Aber bitte, nehmen Sie doch Platz, gnädige Frau. Wollen Sie sich nicht in den Sessel setzen? Bitte, Herr Doktor!«

Das Ehepaar nahm Platz und Herr Gormann saß vor seinem Schreibtisch und spielte mit dem Briefbeschwerer, den er aufhob und wieder niedersetzte.

»Ich will nicht bestreiten, daß das Haus einiger kleiner Reparaturen bedarf, um in den Zustand völliger Wohnlichkeit zu kommen. Aber Sie glauben nicht, wieviel da mit sehr geringfügigen Summen erreicht wird. Und dann bedenken Sie den Preis; ich versichere Sie – –«

»Ich weiß – ich weiß,« sagte der Doktor und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Sein Gesicht sah abgespannt aus und man fühlte, daß das Geschäftliche, über das er hier zu verhandeln hatte ihm außerordentlich lästig war. »Wir wollten nur noch einmal wegen der Anzahlung fragen,« fuhr er fort. »Wir – ich bin nicht in der Lage, Ihnen die Summe zu zahlen, die Sie forderten. Sie scheint mir auch zu hoch als Anzahlung für ein doch sehr bescheidenes Grundstück.«

Herrn Gormanns Gesicht nahm einen ablehnenden Ausdruck an:

»Es tut mir unendlich leid, Herr Doktor – aber ich muß bei der vereinbarten Anzahlungssumme bleiben!«

Der Doktor sah seine Frau an, und die flüsterte ihm zu:

»Wenn du es doch aufgeben wolltest, Martin. Es ist mir furchtbar, Papa um das Geld zu bitten.«

Breuer warf einen sehr zornigen Blick auf seine Frau; – dann erhob er sich langsam:

»Ich habe einen Narren an dem Haus gefressen,« sagte er. »Tausende würden sich bedanken, sich da draußen hinzusetzen – aber mir ist es nun einmal so, als müßte es gerade dieses Haus sein. Aber, leider macht Ihre Forderung die Sache fraglich, zum wenigsten kann ich heute keinen Abschluß machen, wie ich es gewünscht hätte. Aufgeben tue ich die Sache noch nicht – aber wie gesagt, es bedarf da erst noch einiger Ueberlegungen.«

Herr Gormann war um vieles gemessener geworden. Nach einer Weile des Nachsinnens sagte er: »Ich will Ihnen insofern entgegenkommen, als Sie mir die Anzahlung in zwei Raten zahlen können – die erste am 1. Juli, die zweite am 1. Januar des kommenden Jahres!«

Dr. Breuer sah wieder zu seiner Frau hin, aber die hielt jetzt die Blicke gesenkt. »In zwei Tagen erhalten Sie endgültigen Bescheid,« sagte er dann, und Herr Gormann geleitete das Ehepaar, ohne ihm von dem Wein oder dem Kaffee angeboten zu haben, hinaus. Sie mußten wieder durch den Laden. Herr Gormann besaß eines der größten Kunstgeschäfte der Stadt. Durch einen Einkauf, den Dr. Breuer bei ihm gemacht hatte, hatten sie sich kennen gelernt. Und da Herr Gormann bei jedem Kunden Gelegenheit nahm, ihm von seinem Grundstücke am See zu erzählen, so hatte er es natürlich auch bei Dr. Breuer getan und war eines Sonntags selbst mit ihm hinausgefahren.

Dr. Breuer hatte bis dahin nie daran gedacht, sich je im Leben ein eigenes Haus anschaffen zu wollen – aber wie er dann diese Idylle am See gesehen hatte, ging es ihm, wie es damals gegangen war, als er seine Frau zum ersten Male gesehen hatte. Er mußte besitzen – ganz einerlei über welche Hindernisse hinweg. Zu der Frau war er gekommen, obwohl deren ganze Familie sich gegen ihn aufgelehnt hatte und zu dem Hause würde er auch kommen – so oder so.

Als sie jetzt in dem Laden standen, sah er sich suchend um.

»Haben Sie das Bild von dem römischen Kardinal verkauft?« fragte er und hatte den Ausdruck der Enttäuschung in seinem sehr beweglichen Gesicht.

Gormann winkte einem jungen Manne und ließ das Bild bringen.

»Es hat zwei Liebhaber. Ich habe es aber fürs erste zurückgehalten – weil – nun, Ihnen kann ich ja den Grund sagen. Sehen Sie, das Bild hat etwa fünf Jahre lang in dem Grundstücke draußen im sogenannten blauen Zimmer gehangen – Sie wissen, das größte Zimmer im ersten Stock mit den blaugemalten Wänden. Und da ist es mir lieb geworden. Das Rot dieses Kardinalgewandes harmoniert ganz wunderbar mit dem Blau des Zimmers da draußen. Ich kann mir das Bild an keinem anderen Platze denken. Und nun sollen Sie auch das noch wissen: das Bild wird an seine alte Stelle zurückkommen – ich will kein Geld dafür haben – mein Gott – man ist doch auch nicht ganz ohne Ideale. Also, an dem Tage, an dem Sie das Haus Ihr Eigen nennen, wird auch das Bild Ihnen gehören, und es wird Ihnen eine Freude sein, die sich jeden Tag wiederholt, wenn Sie das Zimmer betreten.

In Dr. Breuers Gesicht war ein Ausdruck von Verklärung gekommen; er sah wie in Andacht zu Gormann auf.

»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen,« sagte er dann. »Was sagst du dazu, Magdalene?«

Sie sah traurig zu ihrem Manne auf. »Ja, es ist sehr liebenswürdig von Herrn Gormann!« antwortete sie. Aber ihre Stimme klang, als ob sie mit Tränen kämpfte.

Wenige Minuten später standen sie auf der Straße. Der Wind war stärker geworden und riß ihnen an den Kleidern. Sie waren müde und hungrig; denn sie hatten noch keine Zeit gehabt, irgendwo ein Mittagbrot zu nehmen. Magdalene fühlte sich sehr schwach und unglücklich; sie wußte im voraus alles, was kommen würde und hielt den Kopf gesenkt.

»Martin,« bat sie dann leise und mit einem Ton in der Stimme, der wie Verzweiflung klang. »Martin, schicke mich nicht zu Papa – ich kann es nicht, wahrhaftig, ich kann es nicht.«

Der Doktor winkte einem Wagen, der vorüberfuhr.

»Steig ein!« sagte er in einem Tone, gegen den es kein Auflehnen gab, und Magdalene gehorchte.

»Ich will dir nur eines sagen,« begann er dann. »Von dem Hause hängt für mich alles ab. Du weißt, daß ich an Dinge, die sich einem durch Träume und Ahnungen offenbaren, glaube, – ja, daß ich mich ganz unbedingt auf solche Dinge verlasse. Und ich weiß: von diesem Hause wird für mich und meine Arbeit alles abhängen. – Kann ich draußen in dieser stillen, feinen Landluft ungestört sitzen, dann kommen alle guten Geister zu mir. Bin ich weiter verdammt, in ein paar elenden gemieteten Stuben zu hausen, so kann nie etwas aus mir werden – aus mir selbst als Mensch nicht und natürlich aus meiner Arbeit nicht. Nun weißt du es und kannst handeln wie du willst. Dein Vater ist ein reicher Mann und hält das Geld zusammen, als wenn er es mit in sein Grab nehmen wollte.«

»Das tut er nicht, Martin,« unterbrach ihn die Frau. »Wir leben doch ganz von ihm und er sorgt sich mehr, als du denkst.«

Dr. Breuer lachte auf. »Erzähle mir solche Dinge nicht. Er hängt am Gelde – aber du kannst ihm zum Trost sagen, daß er alles auf Heller und Pfennig und mit Zins und Zinseszins von mir zurückhaben wird, sobald meine Arbeit vollendet ist. Meinethalben kann er Wucherzinsen nehmen – ich hänge nicht am Gelde!«

»Martin, wie du Papa verkennst!«

»Magdalene, tu mir den einen Gefallen und mache mich nicht nervös, ich kann ohnehin meine Gedanken kaum zusammenhalten. Also morgen will dieser Gormann Bescheid haben, und ich kann es dir nicht ersparen, daß du heute noch zu deinem Vater gehst!«

Sie sagte nichts mehr, aber sie seufzte.

»Kutscher!« rief der Doktor nun und beugte sich zum Wagen hinaus. »Halten! Ich will aussteigen!«

Er zahlte und hing sich in den Arm seiner Frau.

»Ich muß etwas essen!« sagte er. »Komm!«

In einer Seitenstraße war ein kleines, dürftig aussehendes Restaurant, in dem sie öfter zu essen pflegten, wenn sie zu Hause nichts hatten.

Heute war es spät geworden, und es gab außer der Suppe nur ein ziemlich gewöhnliches, abgestandenes Gericht, das sie dennoch vollends verzehrten, weil sie seit dem Morgen nichts gegessen hatten.

Breuers Laune verbesserte sich, nachdem der Hunger, der ihn nervös gemacht hatte, gestillt war.

»Also, Magdalene, mach dir das Herz nicht schwer und tritt doch dem eigenen Vater gegenüber nicht wie eine armselige Bittstellerin auf. Das Geld, auf das wir jetzt Anspruch machen, würde dir doch später einmal zufallen – wahrscheinlich sehr viel mehr als das. Es ist also nicht so schlimm!«

»Du sagst das immer so hin, Martin. – Aber zum wievielten Male bin ich schon bei Papa, gewesen!«

»Bisher doch immer nur um Bagatellen!«

»Du nennst das Bagatellen. Papa sieht es aber nicht so an. Ich glaube, das Geld, das wir verlangen, ist es nicht – aber daß es immer dasselbe bleibt– daß ich immer wieder sagen muß: Ja, wenn du ihm dies bewilligst, dann wird alles gut! – und dann nachher ist es doch anders, und Papa ist dann so außer sich!«

»Krämerseele!« sagte Breuer verächtlich. »Ein Kaufmann kann doch nie aus sich heraus, und wenn er noch so reich ist!«

»Papa ist kein Kaufmann im gewöhnlichen Sinne – er will nur einen Erfolg sehen!«

»Erfolge kann man sehen, wenn man in Waren handelt, die zum bestimmten Termin ihren Verdienst bringen müssen. Bei einem geistigen Arbeiter kann man natürlich nicht sagen: ich gebe dir diese Summe, und in soundsoviel Zeit muß dein Kopf sie verarbeitet haben, damit ich sie zurückerhalte. So aber denkt dein Vater!«

»Wir wollen nicht mehr davon sprechen, Martin!«

»Aber du gehst hin?«

»Ja, ich gehe!«

»Dann ist alles gut!«

Sie stand auf. »Ich will erst nach Hause, Martin. So, wie ich aussehe, kann ich nicht zu Papa, – aber ich muß mich eilen, denn ich gehe zu ihm ins Bureau. Ich will niemand anders als nur ihn sehen.«

Sie gingen Arm in Arm die Straße entlang, ohne weiter zu reden. Vor einem sehr einfach aussehenden Hause machten sie Halt. Breuer sah an der Fassade in die Höhe, als ob er es zum ersten Male sähe.

»Da wohnt man nun seit fast zwei Jahren und soll etwas leisten!« stieß er grimmig hervor.

Magdalene hatte eine Entgegnung auf den Lippen, aber sie verschluckte sie. Es half doch nichts.

Sie stiegen eine graue Steintreppe in die Höhe. Breuer schloß die Flurtür auf und warf sie, nachdem sie eingetreten waren, geräuschvoll ins Schloß zurück.

Drinnen in dem kleinen Vorraum war es duster: man konnte kaum die paar Möbelstücke, die hier standen, erkennen.

Magdalene trat ins Wohnzimmer. Hier war es zwar hell, aber alles lag unaufgeräumt da, wie sie es am Morgen in der Eile verlassen hatten. Sie lebten ohne Bedienung; nur eine Frau aus dem Nachbarhause kam am Vormittag und tat die grobe Arbeit. Heute war sie nicht dagewesen, und Magdalene ordnete mit fliegenden Händen, um wenigstens das Schlimmste zu verdecken.

Dann stand sie im Schlafzimmer, deckte die Betten zu und schloß die Fenster, die sie am Morgen offengelassen hatte.

Die ganze Wohnung, die sie inne hatten, bestand aus diesen beiden Zimmern. Ehemals hatten sie fünf Räume gehabt; alles gut ausgestattet, alles behaglich und wohlhabend, – aber sie waren eben auf dem Wege, der abwärts führte, waren Idealisten, wie Breuer sagte.

Magdalene zog ihr Kleid aus, ließ die blonden Haare herabfallen und steckte sie wieder auf. Dann nahm sie ein dunkles Kleid aus dem Schranke, setzte einen Hut auf, der sie gut kleidete, und nahm einen Pelz um die Schultern.

Ja, sie war doch noch jung, und sie war einmal sehr hübsch gewesen, war so hübsch gewesen, daß Breuer sich gesagt hatte: Die mußt du besitzen! Nun besaß er sie seit acht Jahren und hatte ihr viel von ihrer Schönheit und Jugend genommen.

»Ich gehe, Martin,« sagte sie leise, und er geleitete sie zur Tür.

»Du bist meine gute, liebe Frau,!« Er küßte sie und drückte ihre Hände. »Nicht zu klein und demütig sein, Magdalene! Du hast das so an dir und gibst damit den Menschen eine Waffe gegen dich in die Hand. Das ist seht töricht.« Sie sagte nichts und stieg langsam die Treppe hinab.


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