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»Haben Sie den Kerl gesehen, den Mathis«, fuhr Brand erregt fort, den Kopf noch tiefer senkend, »gestern, beim Begräbnis, wo er am Kirchhof plötzlich dicht bei mir stand, und wie er höhnisch auflachte?«

»Für diese Ungehörigkeit ist er hinausgeworfen worden«, erwiderte Rachau.

»Ich glaube nicht, nein, ich glaube nicht«, seufzte Brand.

»Was glauben Sie denn nicht, mein Freund«, lächelte Rachau, indem er vertraulich den Arm des Majors nahm.

»Daß mein Gewissen so leicht wieder ruhig wird«, erwiderte dieser.

»Was kann Sie denn im Ernst beunruhigen«, sagte Rachau. »Es ist nicht die geringste Veranlassung dazu vorhanden.«

»Es kommt mir vor«, fuhr der Major grollend fort, »als sähen mich alle Augen verdächtig an. Selbst dieser elende Bursche mit seinen frechen Blicken.«

»Wer wird sich solchen Grillen überlassen«, entgegnete der tröstende Freund. »Der nichtsnutzige Kerl ist nur zu verachten.«

»Aber meine eigenen Kinder«, murmelte der Major, »es ist mir immer, als wüßten sie, daß ich etwas Schreckliches vor ihnen verberge. Und auch der Doktor Gottberg«, setzte er hinzu. »Ich bin in einer entsetzlichen Lage, Rachau. Vor allen Augen zittere ich.«

»Sie peinigen sich ohne allen Grund, mein Lieber. Zeigen Sie ein ruhiges, heiteres Gesicht.«

»Kann ich es denn? Kann ich offen mit einem Menschen sprechen?« fragte der Major, indem er sich zornig aufrichtete. »Kann ich sein, wie ich sonst war?«

»Ich weiß nicht, warum Sie nicht so sein sollten.«

»Weil es etwas gibt, das ich den anderen verbergen muß, weil ich etwas weiß, das mich zu Boden zieht. Ich hätte –« Er brach ab und sagte mit Bitterkeit: »Jetzt ist es zu spät!«

Sie gingen beide einige Schritte weiter, dann begann Rachau den Staub von seinen Stiefeln zu schlagen. »Es hat lange nicht geregnet«, sagte er, »aber da steigen schwarze Wolken auf. Wir werden ein Gewitter bekommen. Das ist zuweilen sehr gefährlich, wenn etwa der Blitz einschlägt und ein Haus abbrennt. Aber was tut's, wenn wir nur selbst nicht dabei umkommen. Man baut sich ein neues Haus und wohnt darin meist viel bequemer. Die alte Hütte muß man natürlich vergessen; es wäre Torheit, wollte man es nicht tun.«

»Ihre Vergleiche sind unpassend«, sagte Brand mit einem finsteren Blick. »Ebensowohl hat Ihr Rat –«

»Meine Vergleiche sind nicht unpassend, und mein Rat war der beste, den ich geben konnte«, fiel ihm Rachau freundlich, aber bestimmt ins Wort.

»Daß ich ihn nicht befolgt hätte!« murmelte der Major.

»Dann sagen Sie sich selbst, was geschehen wäre. Doch es ist nutzlos, über etwas zu streiten, wenn man vollendete Tatsachen vor sich hat. Was geschehen ist, ist geschehen, kein Gott bringt die Vergangenheit zurück. Sie müssen tragen, mein bester Brand, was Sie sich auferlegt, und mit dieser Überzeugung bleibt nichts übrig, als Klugheit und Mut zu beweisen.«

»Was glauben Sie denn von mir – wie sprechen Sie mit mir?« rief der Major, dem sein ganzer Kopf glühte. »Glauben Sie etwa doch, daß ich – ich –«

»Halten Sie ein«, unterbrach ihn Rachau mit einer eigentümlichen Entschlossenheit. »Ich sagte Ihnen schon einmal, daß ich kein Untersuchungsrichter bin, daß ich nichts glaube, nichts glauben will. Lassen Sie uns dies unerquickliche Thema nie wieder berühren! Ich weiß nichts, ich will nichts wissen! Ich weiß nur, daß Eduard Wilkens begraben ist, und ich begreife nur, daß dies Ereignis jetzt als überwunden behandelt werden muß. Sie werden noch heute nach der Hauptstadt schreiben. Ich werde Ihnen den besten Justizanwalt nennen. Sie werden ihm eine Vollmacht schicken, in Ihrem Namen Ihre Rechte zu vertreten, und die Erbschaftsangelegenheit wird von ihm in bester Weise geordnet werden, bis es vielleicht notwendig wird, daß Sie selbst dorthin reisen, um Ihr Eigentum in Empfang zu nehmen.«

»Nein!« rief der Major heftig. »Ich werde niemals reisen!«

»So übertragen Sie es Ihrem Sohn, der die geeignete und dazu noch rechtsverständige Person dafür ist.«

Der Gedanke an seinen Sohn verwirrte den Major noch mehr. »Nein!« sagte er noch einmal mit noch größerer Heftigkeit, »er soll nie etwas damit zu tun haben.«

»Gut, so bevollmächtigen Sie einen anderen, der Ihr Vertrauen besitzt, einen Freund, der Ihnen ergeben ist.«

»Ich will nichts von dieser verfluchten Erbschaft!« rief Brand mit dem Ausdruck des Abscheus.

Rachau lächelte dazu. »Sie wollen nichts damit zu tun haben?« fragte er, sich zu ihm beugend, »das wäre doch sehr sonderbar, was sollte man davon denken? Unmöglich kann dies Ihr Ernst sein, mein Freund, es müßte das größte Aufsehen erregen. Würden nicht alle Menschen sich darüber die Köpfe zerbrechen, nach den Ursachen forschen, sich die seltsamsten Geschichten aushecken? Je weniger Aufsehen, je weniger Gerede, das ist eine alte Wahrheit. Ruhige Überlegung, mein Teuerster, kaltes Blut, keine Übereilung! Sie müssen Ihr biederes, freundliches Gesicht wieder annehmen, das Ihnen so viel Vertrauen schafft!«

Ein dumpfes Stöhnen des Majors war dessen einzige Antwort.

Rachau achtete nicht darauf, sondern fuhr unbeirrt fort: »Sie haben nichts zu besorgen, wenn Sie meinen Rat annehmen, allein, Sie müssen sich diesem fügen. Ich sage, Sie müssen, denn es ist notwendig, es gibt keinen, der besser wäre! Ich werde an Ihrer Seite bleiben, mein Bester, dann wird sich alles regeln. Sie können mir vertrauen, lieber Major, Sie müssen mir vertrauen«, fügte er in nachdrücklichem Tone hinzu, »Sie müssen es, wenn Sie an das Wohl Ihrer Familie denken, einer Familie, der ich mich zutiefst verbunden fühle, zu der vielleicht einmal zu gehören ich mir die schmeichelhaftesten Hoffnungen mache.«

Der Major hob den Kopf und blickte ihn verstört an. Ehe er jedoch antworten konnte, sagte Rachau mit seiner gewohnten höflichen Verbindlichkeit: »Mein bester Herr von Brand, verschmähen Sie Reichtum für sich, aber bedenken Sie, daß Sie Kinder besitzen. Da kommt Fräulein Luise. In diesem Falle, glaube ich, können wir auch ihren Rat hören:«

»Schweigen Sie – schweigen Sie«, erwiderte der Major heftig.

Aber Rachau schwieg nicht. »Fräulein Luise besitzt meine höchste Bewunderung ob ihrer verständigen Einsicht, die überall das Richtige zu wählen weiß. Erlauben Sie mir, ihr mitzuteilen, was sie so nahe angeht.«

Luise hatte sich inzwischen genähert und jedes Wort gehört. Sie sah ihren Vater an, der mit dunkelrotem erhitztem Gesicht keine Antwort gab, und fragte mit ihrer ruhigen Stimme, die im seltsamen Gegensatz zu dem erregten Ausdruck ihrer Augen stand: »Was ist es denn, das ich erfahren oder nicht erfahren soll?«

»Oh«, erwiderte Rachau, indem er galant nach ihrer Hand faßte, »es handelt sich um einen Haufen Geld, den Ihr Vater nicht nehmen will, obwohl er ihm mit dem allerbesten Recht gehört.«

Der Major blickte auf und sah seine Tochter an. Sie schien auffallend blaß. »Was uns gehört, können wir auch nehmen«, antwortete sie einfach.

»Vortrefflich!« rief Rachau. »Niemand weiß den Wert des Goldes mehr zu schätzen als die Frauen! Ihr Vater sträubt sich gegen die glücklichen Folgen des unglücklichen Ereignisses, das den schönen Frieden seines Hauses so bitter getrübt hat. Er will nichts von der Erbschaft wissen, die dieser Tote ihm, wenn auch sehr gegen seinen Willen, vermachte.«

Luise legte ihren Arm auf ihres Vaters Schulter und blickte ihn liebevoll an. »Mein lieber Vater«, sagte sie, »du mußt aufhören, dich zu betrüben. Unabänderliches sollte dich nicht so beugen. Wir sind alle bei dir mit unserer Liebe und Sorge.«

»Sehr wahr – sehr schön«, rief Rachau, »ganz aus meiner Seele gesprochen! Es ist natürlich, daß Sie die Erbschaft nicht zurückweisen!«

»Das würde eine unerklärliche und auffallende Tatsache sein, lieber Vater«, sagte Luise.

»Sehen Sie, mein bester Major«, lachte Rachau, »daß Fräulein Luise ganz in derselben Weise, mit denselben Gründen, mit der liebenswürdigsten und einsichtsvollsten Sicherheit meine Ansichten teilt!«

»Aber dennoch, dennoch bedrückt es mich«, erwiderte Brand. Ein irres, scheues Feuer brannte in seinen Augen. Es war, als wollte er sprechen, die Seelenqual verzerrte seine Züge und verschloß doch seine Lippen. Luise sah ihn besorgt an. Der geschmeidige Freund jedoch lächelte dazu in überlegener, fast spottender Art.

»Ich kann meines Vaters Gedanken wohl verstehen«, kam Luise dem Major zu Hilfe. »Es ist seiner Ehre peinlich, ein Erbe anzunehmen, das unter so besonderen Umständen ihm zufällt und niemals ihm bestimmt war. Neid und Mißgunst können nicht ausbleiben, die Menschen sind immer dazu bereit. Er möchte dies vermeiden. Aber, lieber Vater, du darfst dich daran nicht kehren. Bist du der nächste Erbe, so bewahre auch dein Recht. Wenn mein Bruder hier wäre, würde er dasselbe sprechen. Du bist, wenn du die Erbschaft verweigerst, erst recht den größten Mißdeutungen ausgesetzt. Vertraue auf deine Kinder, die dir zur Seite stehen werden. Und nun sei gut und vergiß deine Sorgen!«

»Bravo!« rief Rachau, indem er in seinen gelben Handschuh klatschte, »ich muß Ihnen die Hand dafür küssen, verehrtestes Fräulein Luise! Wir müssen uns sämtlichst verbünden, um den guten Vater aufzuheitern. Die Vollmacht aber soll heute noch abgehen.«

Der Major schien gerührt. Er drückte Luise die Hand und blickte sie dankbar an. In diesem Augenblick ertönte Tonis Stimme, und im nächsten Augenblick sprang sie durch die Ranken des Weinspaliers und umklammerte den Vater. Gottberg folgte langsam in einiger Entfernung.

»Willst du wieder unser lieber lustiger Vater sein?« rief die Kleine, als sie bemerkte, daß der düstere Ausdruck im Gesicht des Majors verschwunden war.

»Ja, du Übermut!« rief Brand, sie in seinen Armen hochhebend.

»Und hier bin ich auch«, stimmte Rachau freudig ein. »Ich gehöre mit dazu, verlange auch mein Teil, wenn von Glück und Freude die Rede ist!«

In erheiterter Stimmung reichte ihm der Major die Hand und ließ seine Blicke durchdringend auf ihm ruhen. »Sie sollen dabeisein! Sie müssen dabeisein!« sagte er. »In Gottes Namen denn, führen Sie die Sache, wie es am besten ist.«

»Ich hoffe sie zur allseitigen Zufriedenheit zu beenden«, versetzte Rachau, indem er kühl dem Doktor zunickte, der sich soeben einfand.

Luise nahm des Vaters Arm, und obwohl soeben die alte Heiterkeit der kleinen Runde beschworen worden war, schritt man doch stumm zu Tisch. Beim Mittagsmahl wußte dann Rachau die Gespräche zu beleben, so daß es etwas munterer herging als in den vergangenen Tagen. Es wollte jedoch keine frohe Stimmung aufkommen. Luise blieb still und blaß, und auch Gottberg war verstummt. Während einzig Toni mit Rachau munter schwatzte, umdüsterten sich die Mienen des Majors immer wieder, und einige Male richtete er seine Augen starr auf den Platz, an dem Eduard Wilkens gesessen hatte.

 

Es vergingen mehrere Tage, und während dieser Zeit ordneten sich die äußeren Verhältnisse allmählich immer mehr.

Rachau hatte sich, man konnte sagen, beinahe unentbehrlich gemacht. Eine außerordentliche Geschicklichkeit und Anstelligkeit stand ihm zu Gebote, und ebenso gewinnend als klug wußte er jeden nach seiner Weise zu behandeln.

Mit dem Major hatte er von jenem Tage ab kein Wort mehr über den Todesfall gesprochen. Er hatte sogar den Namen des unglücklichen Vetters vermieden, samt allem, was an ihn erinnern konnte. Dagegen versuchte er auf jede Weise Brand zu erheitern, und wußte so meisterhaft dessen Schwächen und Eigentümlichkeiten zu benutzen, daß das geheime Band zwischen beiden immer fester wurde.

Mit Luise gelangte Philipp von Rachau dagegen auf den Standpunkt zarter Verehrung und Huldigung. Er war sichtlich gern in ihrer Nähe, stets galant und dabei verständig, ein ebenso praktischer Ratgeber wie voll humoristischer Einfälle, wenn es darauf ankam, sich auch nach dieser Seite geltend zu machen. Mit der wilden kleinen Toni hatte er den allervergnüglichsten Freundschaftsbund geschlossen. Dem Doktor suchte er sich jetzt mehr zu nähern, als es gleich anfangs der Fall gewesen; dennoch gelang ihm dies am wenigsten. Gottberg war seit jener Stunde, wo er eben im Begriff gewesen, Luises Vater die volle Wahrheit zu sagen, noch nicht wieder in die Lage gekommen, den Faden aufzunehmen, welcher damals so plötzlich zerriß. Es war natürlich, daß in den nächstfolgenden Tagen, während so viel Unruhe und Trauer das Haus füllte, keine Zeit dazu kommen konnte, doch auch jetzt ließ sich der günstige Augenblick nicht wahrnehmen. Es kam dem jungen Mann vor, als ob der Major ihn absichtlich vermeide. Er wußte nicht einmal mit Gewißheit, ob Luises Vater wirklich die eigentliche Ursache kenne, weshalb er die Familie verlassen wollte, ob also die ermutigenden Worte und Winke, die er erhalten, eine Billigung der Neigung seines Herzens ausdrückten. Damals mußte er es glauben, allein es erfüllte sich nichts von allen seinen Hoffnungen; ja selbst das, was er als unerschütterlich wahr betrachtete – daß Luise ihn liebte –, fing an, sich mit einem Nebel zu umhüllen.

Obwohl es ihre Lippen niemals ausgesprochen hatten, war diese Liebe ein offenes Geheimnis, denn die Decke, welche es verbarg, war durchsichtig genug für beobachtende Augen, und gewiß gab es deren auch sogar unter den Leuten der Umgebung. Aber die Liebenden selbst hatten dies am wenigsten beachtet. Ihr langes Beisammensein hatte die innigste Vertrautheit aufkeimen und reifen lassen, aber diese war lange Zeit ein reines Seelenglück geblieben, das alle Berechnungen von sich abhielt, um nicht in Zweifel und Unruhe zu verfallen. Erst als Eduard Wilkens plötzlich erschien, erwachten die Bedenken, und der Traum verrann vor der Wirklichkeit. Plötzlich ausbrechende Leidenschaft hätte eine ihrem Charakter gemäße Entwicklung herbeigeführt, dem besonnenen jungen Doktor stellte sich jedoch sein Verhältnis anders dar. Er sah, was der reiche Vetter wollte, er fand auch in dem Benehmen des Majors Grund genug, um zu glauben, daß Brand jenen Bewerbungen nicht entgegen sei, und indem er alles prüfte, überfiel ihn die Mutlosigkeit der Armut und die Mahnung seiner gewissenhaften Ehrlichkeit. Der Auftritt, den er mit Wilkens erlebte, bestärkte ihn in seinen Entschlüssen, und statt seiner Liebe zu vertrauen, wucherte Mißtrauen in ihm auf.

Luise war in jenen Tagen von dem Vetter fast ganz in Anspruch genommen, der ihr unablässig seine Aufmerksamkeit zuwandte. Zurückgewiesen wurde diese nicht so entschieden, wie Gottberg es wünschen mochte. Die Prahlereien des eitlen und widerwärtigen Mannes mit seinem Reichtum, seinem Wohlleben, seinen Zukunftsplänen, und die verständlichen Anspielungen, die er machte, hätten nach seiner Meinung eindeutiger von Luise beantwortet werden können. Obwohl Wilkens niedrige Gesinnung und sein Benehmen Widersprüche genug boten, konnte die Aussicht auf eine glänzende Zukunft doch wohl die Wünsche eines Mädchens bestimmen. Gottberg geriet darüber in Ungewißheit, und der Kampf in ihm vermehrte sich, je mehr er selbst es scheute, mit der Geliebten zu einem Verständnis zu gelangen. Endlich hatte das Schicksal sich eingemischt, Wilkens war vom Tode plötzlich weggerafft, allein auch dies hatte nichts geändert. Man hätte denken sollen, daß mit der halben Gewißheit, die Luises Vater ihm erteilt, jetzt eine Minute voll Entschlossenheit genügte, um Luise alles zu sagen und alles zu hören, was seine Zweifel vernichten mußte; allein diese Minute kam nicht. Dies lag jedoch jetzt nicht an Gottberg; in seiner Lage drängte es ihn dazu, sie herbeizuführen. Um so bangender empfand er es, daß Luise die Gelegenheit dazu vermied. Es war seit Wilkens Tod und Begräbnis in ihrem Benehmen gegen ihn eine Änderung vorgegangen, die vielleicht niemand bemerkte als er selbst. In ihrer äußeren Begegnung hatte sich nichts verwandelt, das freundschaftliche Verhältnis schien dasselbe zu sein, die sorgliche Aufmerksamkeit schien sogar noch mehr beachtet zu werden; allein mitten darin richtete sich eine Scheidewand auf, aus irgendeiner kalten Masse gebaut, die sein Herz schmerzhaft schaudern machte. Anfangs glaubte er sich getäuscht zu haben, und er suchte einen Trost in ihrem Anschauen, in stummen fragenden Blicken, die sich bittend an ihre Augen hingen. Es hatte in diesen Augen immer noch Hoffnungen gelesen, selbst zur Zeit, wo er mutlos war; und wie sie ihn anschaute, als sie zu ihm sprach: »Ein Mann muß wissen, wie er in Gefahren handelt!«, das hatte ihn beherzt gemacht. Jetzt aber sagten ihre Augen ihm nichts. Sie sahen ihn teilnahmslos an, mit so kalter Ruhe, daß er davor zurückschrecken mußte; und wenn dies der Zweck war, so wurde er erreicht. Nach einigen vergeblichen Versuchen, sich ihr zu nähern, und nachdem er sich überzeugt, daß es ihr Wille sei, sein Verlangen nicht zu beachten, erwachte sein Stolz. Zugleich machte er eine Bemerkung, die noch mehr dazu beitragen mußte, ihn darin zu bestärken.

Er sah, daß der Mann, welcher bisher eine Nebenrolle übernommen hatte, plötzlich zur Hauptperson geworden war, und er fühlte deutlich das Übergewicht, das er überall erlangte. Vor dem unglücklichen Tage, der diese beiden argen Gäste hierhergeführt, war sein Leben wunderbar: er wurde geehrt und geschätzt in diesem frohen, zufriedenen Kreise, heimlich blühte die Liebe in seinem Herzen auf, und keine rauhe Hand hatte daran gerüttelt. Unerwartet endete diese Herrlichkeit mit einem Wetterschlage. Der Tod des einen Gastes hatte Gold ins Haus gebracht, die lebendige Regsamkeit des anderen noch schlimmere Folgen.

Ein galanter junger Edelmann von einschmeichelnder Gewandtheit, der alles wußte und verstand, war der Freund und Ratgeber der Familie geworden. Wie wenig er sich mit ihm in so vielen Beziehungen messen konnte, mußte Gottberg sich eingestehen. Der anspruchslose junge Doktor konnte mit solcher Welterfahrenheit und Geschmeidigkeit nicht mithalten. Er erkannte alle Vorteile, die Rachau besaß, und wie er dagegen zu einer dunklen stillen Gestalt zusammenschrumpfte, gleich dem Götzen, den man einmal verehrt, den man aber nun, da ein glänzenderer neuer vorhanden, in den Winkel stellt und endlich ins Feuer wirft. So kam er sich vor, indem er bemerkte, daß er immer mehr in Vergessenheit geriet, vergessen auch von der, von der er es am wenigsten gedacht. Denn Herr von Rachau hatte auch über Luise seine Herrschaft ausgedehnt, und Gottberg beobachtete die Wirkungen, ohne sich zu widersetzen. Rachau nahm seine Stelle ein. Er las mit Luise französische und englische Bücher, denn er verstand beide Sprachen vortrefflich, er unterhielt sie geistreich und geschickt, er war der fröhliche, immer anregende Gesellschafter, er begleitete sie auf ihren Spaziergängen und vermehrte unablässig die Zerstreuungen der Familie. Bald waren es gemeinsame Spazierfahrten, bald Partien in der Nachbarschaft, bald Besuche in der Stadt oder Gesellschaften im Hause. Rachau war unwiderstehlich in seinen Anordnungen, es fügte und schickte sich alles, was er begann.

Gottberg verstand von allen diesen Künsten nichts; bei allem aber würde er diesem Nebenbuhler nicht gewichen sein, wenn er eine Aufmunterung von der dazu erhalten hätte, die ihm allein diese geben konnte. Aber Luise gab ihm kein Zeichen, daß sie empfände, was er empfand. Man hatte auch Gottberg zu den Spazierfahrten und Gesellschaften eingeladen, zumeist aber nahm er nicht daran teil, und sein Ablehnen wurde nicht weiter beachtet, denn die Nachteile davon fielen auf ihn zurück. Sein Verhältnis zu der Familie war in kurzer Zeit ein gespanntes geworden, der Major warf zuweilen verlegene finstere Blicke auf ihn, oder er sah fort, wenn Gottberg kam. Es drückte ihn etwas, er verschwieg es, aber dies Schweigen mußte doch endlich gebrochen werden.

Nachdem einige Wochen so vergangen, war Gottberg mit sich selbst einig geworden, daß es zu einer Entscheidung kommen müsse. Er war nicht im Zweifel darüber, was er zu tun habe, dennoch fürchtete er sich weit mehr vor dem, was ihm bevorstand, als damals, wo er zuerst den Entschluß gefaßt, das Haus zu verlassen. Allein es mußte geschehen.

Als er gerüstet mit seinem Entschlüsse in das Familienzimmer trat, hörte er Rachau sprechen. Dieser befand sich in dem anstoßenden Gemach, dessen Tür offen stand, und ohne Zweifel war es der Major, mit dem er sich unterhielt.

»Sie sehen also, verehrter Freund, daß alles in schönster Ordnung ist«, sagte Rachau. »Hier ist der Brief des Justizrates, der die erfreulichsten Nachrichten mitteilt.«

»Ich mag nichts davon hören«, antwortete die tiefe Stimme Brands.

»Aber Sie müssen es hören«, lachte Rachau, »es sind ja Ihre eigenen Angelegenheiten!«

»Machen Sie damit, was Sie wollen«, fiel der Major ein.

»Sie beehren mich mit einem Vertrauen, das ich gewiß verdienen will«, erwiderte Rachau, »allein auf jeden Fall müssen Sie doch erfahren –«

»Verschonen Sie mich damit. Wo ist Luise? Wir wollen nach der Stadt fahren.«

»Sie sollen nicht eher fort, bis ich Sie wieder ganz ruhig sehe«, entgegnete Rachau. »Sie müssen diese Sache anhören. Der Justizrat hat Ihre Vollmacht erhalten und wird Ihre Angelegenheit führen. Ich bitte Sie, nicht ungeduldig zu werden. Die ersten Schritte sind somit getan. Das Gericht hat das gesamte Vermögen unter Siegel gelegt, die öffentliche Aufforderung an die Erben wird nächstens erlassen werden; es sind jedoch keine vorhanden, welche Ihre Rechte anfechten könnten. Ein Testament ist nicht gefunden. Der Justizrat glaubt, daß in kurzer Zeit alles geordnet sein wird. Hier sendet er zugleich die Übersicht der Erbschaftsmasse, und ich freue mich, sagen zu können, daß dieselbe noch höher veranschlagt wird, als ich glaubte. Wir müssen dem Justizrat jetzt antworten, daß Sie mit allem einverstanden sind und ihn bäten, die langsame Gerechtigkeit möglichst zu beschleunigen.«

»Gut, so antworten Sie ihm«, unterbrach ihn der Major, »meinetwegen braucht er sich nicht zu beeilen.«

»Geld und Gut bekommt man niemals genug und niemals früh genug«, erwiderte Rachau. »Bis zum Winter kann vieles geschehen, und dann wäre es am besten, Sie verlebten ihn in der Hauptstadt.«

»Ich möchte fort von hier, ja, das möchte ich«, sagte Brand.

»Und warum sollten sich Ihre Wünsche nicht erfüllen?« fragte Rachau. »Es wird auch Fräulein Luise ebenso angenehm wie zuträglich sein, wenn sie die Freuden und Genüsse des Lebens kennenlernt. Sie selbst, mein Freund, werden sich erheitern, sich zerstreuen. Sie werden in der Nähe Ihres Sohnes leben, werden geehrt und geachtet sein, und mit dem glänzenden Vermögen, das Ihnen zugefallen ist –«

»Nein!« rief der alte Soldat mit Heftigkeit, »halten Sie ein! Es hilft doch alles nichts – es kann mir alles nichts helfen!«

»Sie werden mit dieser lauten Stimme Zuhörer herbeirufen«, sagte Rachau ruhig. »Ich werde gehen und Fräulein Luise aufsuchen. Wie glücklich sind Sie, mein Teuerster, eine so schöne, kluge und liebenswürdige Tochter zu besitzen, wie viel habe ich Ihnen zu danken, daß Sie mir erlauben, noch immer in Ihrer Familie verweilen zu dürfen.«

»Oh, ich hoffe – ich hoffe«, sagte der Major, »daß Sie uns nicht verlassen.«

»Gewiß nicht, solange Sie wünschen, daß ich bleibe.«

»Muß ich es nicht wünschen – muß ich nicht!« rief Brand. Es lag in dieser Antwort ein eigentümlicher Klang, der unwillkürlich offenherzig aussprach, was der alte Soldat dachte. »Sie müssen bei uns bleiben«, setzte er hinzu, »denn Sie sind uns ja allen – allen lieb geworden.«

»Zu meiner wahren Freude«, versetzte Rachau. »Es wäre Torheit zu verheimlichen, wie gern ich bleibe, und ich denke, Sie wissen wohl, daß meine innigste Ergebenheit sich auch auf Fräulein Luise erstreckt.«

Er hielt inne, der Major gab keine Antwort.

»Es ist unmöglich«, fuhr Rachau fort, »nicht von so vieler Liebenswürdigkeit hingerissen zu sein, nicht auf mehr zu hoffen, wenn man das Glück hat, ihr nahe zu sein.«

»So – so«, fiel Brand ein, »aber –«

»Kein Aber!« unterbrach ihn Rachau. »Ich bitte Sie, bester Freund, kein Aber!«

»Sie wissen nicht, was ich Ihnen mitteilen möchte.«

»Ich will es auch nicht wissen«, erwiderte Rachau, dessen Stimme einen harten Ton annahm. »Aber kein Aber, verehrter Freund! Gönnen Sie mir das Glück, Ihnen und Ihrer Familie immer ergeben sein zu dürfen, und zwingen Sie mich nicht, Sie verlassen zu müssen!«

»Gott steh mir bei!« rief der Major. »Was fällt jetzt wieder auf mich!«

»Nichts, was Sie irgend beunruhigen könnte«, versetzte Rachau. »Fräulein Luise ist so voll Güte für mich, daß ich voller Hoffnungen bin. Was aber in diesem Zusammenhang eine Person betrifft, von der auch Sie, mein Bester, wünschen sollten, sie wäre weit von hier entfernt, so werden Sie sich wohl indessen überzeugt haben, daß Fräulein Luise zu einsichtsvoll ist, um nicht ebenso darüber zu denken wie ich.«

»Meinen Sie –«, sagte Brand zögernd, konnte aber nicht weiter fortfahren, denn im Nebenzimmer ließen sich jetzt starke Schritte hören.

Mit klopfendem Herzen hatte Gottberg das Gespräch bis dahin angehört und nicht gewagt, weder sich zurückzuziehen, noch weiterzugehen. Jetzt aber, wo es eine Wendung nahm, die wenig Zweifel übrig ließ, daß es ihn selbst betreffen sollte, konnte er es nicht länger ertragen. Mit festen Schritten ging er durch das Zimmer und zeigte sich an der Tür.

»Da ist ja unser vortrefflicher Doktor!« rief Rachau ihm entgegen.

Das Gesicht des Majors wurde dunkelrot, er betrachtete den Hauslehrer, der sich schweigend vor ihm verbeugte, mit scheuen Blicken. »Wo kommen Sie denn her?« sagte er in seiner Verlegenheit, »und warum – warum sehen Sie so – so erschrocken aus?«

»Ich bin nicht erschrocken«, erwiderte Gottberg, und in aufsteigender Verdüsterung setzte er hinzu: »Ich habe ein gutes Gewissen.«

Den Major überkam seine Heftigkeit. Er warf den Kopf in die Höhe und ließ seine Augen rollen. »Was wollen Sie damit sagen?« fragte er. »Meinen Sie etwa, ich –«; den Satz ließ er unvollendet, denn seine Verwirrung kehrte zurück. Er mußte seine zornigen Blicke von dem blassen stillen Gesicht fortwenden.

»Ich erlaubte mir einzutreten«, antwortete Gottberg gelassen, »um einige Minuten Ihrer Zeit für mich zu erbitten.«

»Sie wollen mit mir reden? Was wollen Sie von mir?«

»Da es eine mich betreffende Angelegenheit ist, so würde ich bitten, zu bestimmen, wann ich Sie damit behelligen darf.«

»Oh, so – Sie wollen also – ich soll –«, rief der Major in wachsender Unruhe.

»Ich will dem Herrn Doktor Platz machen«, fiel Rachau ein, indem er einen eigentümlich lächelnden und spöttischen Blick über beide gleiten ließ und sich verbeugte.

»Nein!« sagte der Major, ihn festhaltend, als habe er Schutz nötig, »Sie sollen bleiben. Was der Herr Doktor mir mitzuteilen hat, können Sie ebenfalls wissen.«

»Vielleicht ist es ein Geheimnis«, lächelte Rachau.

»Ich habe keine Geheimnisse, welche sich vor den Augen der Menschen verbergen müßten«, versetzte Gottberg, »meine Absicht ist allein, dem Herrn Major zu wiederholen, was ich schon einmal – es war damals, wo das unglückliche Ereignis uns plötzlich überraschte –«

»Damals! Damals!« rief der Major in großer Aufregung. »Verdammt mag es sein! Was wollen Sie?«

»Meinen innigen Dank Ihnen für so viel Güte aussprechen und wiederholen, daß meine Verhältnisse mich zwingen, an meine Abreise zu denken.«

Brand tat einen tiefen Atemzug. Sichtlich fühlte er sich erleichtert, dennoch nahm seine Verwirrung eigentlich zu. Die dunkle Röte seines Gesichts verrann, er legte beide Hände auf den Rücken, als wollte er sie verstecken, und der mächtige Kopf senkte sich nieder.

»Sie wollen, also fort?« fragte er unsicher.

»Noch heute, wenn es sein kann, oder doch morgen.«

»Das – das ist Ihr Entschluß?« fragte Brand in derselben Gemütsbewegung.

»Sie sollten uns noch ein paar Wochen schenken«, fiel Rachau ein. »Mein bester Herr Doktor, das ist hart, wahrhaftig sehr hart. Da kommt Fräulein Luise.«

Luise trat in Hut und Tuch herein, sie war zu der Fahrt nach der Stadt bereit.

»Denken Sie, Fräulein Luise«, wandte sich Rachau an sie, »der gute Doktor will nicht länger bei uns bleiben.«

Ohne merklich von dem, was sie vernahm, überrascht zu sein, blieb sie einige Schritte vor Gottberg stehen. Ihr sanftes Gesicht hatte den Ausdruck trauernder Teilnahme, aber auch die Fassung, mit welcher man etwas Schmerzliches erträgt, das nicht geändert werden kann. »Wir werden alle sehr betrübt über diesen Verlust sein, der uns trifft«, sagte sie, »leider vermögen wir vieles nicht zu ändern, was uns Kummer macht.«

Diese Äußerung drang wie ein glühendes Schwert in Gottbergs Herz, und indem er seine Augen zu der Sprecherin aufhob, strömte mit dem Schmerz, den er empfand, auch der Zorn hervor, mit dem er rang. Alles jedoch war das Werk einer Minute, dann schien es vorüber. Nur die Röte des inneren Kampfes blieb auf seiner Stirn. »Leider ist es so«, erwiderte er, »wir sind mehr oder minder der zwingenden Notwendigkeit unterworfen, welche unser Lebensschicksal bestimmt.«

»Sie sprechen wie ein Fatalist, Herr Doktor«, fiel Rachau lachend ein. »Als ob es keine freie Selbstbestimmung gäbe!«

»Ich bin weit davon entfernt zu glauben, daß die Vorsehung uns zum Glück oder Unglück, zu guten oder schlechten Handlungen bestimmt«, entgegnete Gottberg. »Die Verhältnisse bestimmen über uns, das übrige hängt von uns ab.«

»Vom Glück und Zufall!«

»Von unseren Begriffen über Recht und Unrecht, von unseren Eigenschaften und Fähigkeiten, von der Welt in unserem Herzen und unserem Kopfe.«

»Sie sind ein liebenswürdiger Philosoph«, lachte Rachau. »Ein Philosoph der Tugend und der Treue, ohne Arg und Falsch.«

»Man braucht nicht Philosoph zu sein, um nicht zu lügen und zu betrügen«, antwortete Gottberg. Vielleicht ohne es zu wollen, betonte er diese Antwort stärker, und über seine Lippen flog ein Lächeln, während er sich stolz aufrichtete.

Der Major hatte bisher still zugehört, jetzt fuhr er aus seiner Teilnahmslosigkeit auf, als sei ihm eine Beleidigung widerfahren. Worte konnte er nicht sogleich für das finden, was in ihm tobte; schneller jedoch war sein hilfreicher Freund bei der Hand, um ihn von unbesonnenen Äußerungen abzuhalten.

»Das ist ganz vortrefflich gesagt, was wir da hören!« rief Rachau, »aber es gibt auch manche Tugendnarren, die ihr Schicksal sehr wohl verdienen, und wenn sie ausgelacht, oder, wie Sie es nennen, betrogen werden, dies nur ihren Einbildungen und Anmaßungen verdanken. Jedes in seiner Weise, mein bester Herr Doktor, eins paßt sich nicht für alle, aber Lebensklugheit verträgt keine Schwärmerei. Es ist sehr schade, daß Sie so bald abreisen wollen, wir könnten über dies Thema noch höchst lehrreiche Gespräche führen.«

Gottberg blickte ihn kalt und klar an, er sah herausfordernd aus.

»Nein, nein«, lachte Rachau mit geschmeidiger Höflichkeit, »wir wollen diese letzten Stunden nicht mit gelehrtem Streiten verderben!«

»Wollen Sie uns so schnell verlassen?« fragte Luise.

»Spätestens morgen.«

»Wir können nichts dagegen einwenden«, sagte sie, »wenn Sie wissen, daß es sein muß. Doch heute sollen Sie uns noch angehören. Wir fahren nach der Stadt und dann durch das Tal. Wollen Sie uns nicht zum letzten Mal begleiten?«

Gottberg entschuldigte sich. Er hatte noch mehrere Abschiedsbesuche bei Bekannten zu machen und Vorbereitungen zu treffen. Luise drang nicht weiter in ihn. Niemand tat es. Die Angelegenheit wurde jetzt mit Ruhe, fast geschäftsmäßig erörtert, aber das Drückende des Augenblicks blieb doch so überwiegend, daß nach einigen Fragen und Antworten Gottberg sich empfahl.

Als er hinaus war, zuckte Rachau mit einem leisen Lächeln die Achseln und sah Luise mutwillig an. »Tat Ihnen dieser arme Doktor denn gar nicht leid?« fragte er.

»Warum sollte dies der Fall sein?«

»Weil er das Unglück hat, von Ihnen scheiden zu müssen.«

»Gottberg«, erwiderte sie, »hat vollkommen recht, uns zu verlassen. Er geht dahin, wohin er gehört, wo er seine Kenntnisse und sich selbst am besten geltend machen kann. Aber der Wagen wird warten, wir müssen eilen. Ich will Toni holen.«

Der Major stand am Fenster und schien nicht zu bemerken, was um ihn her vorging. Mit gekreuzten Armen richtete sein lebenskluger Freund die Blicke auf die Tür, und sein scharfes Ohr verfolgte Luises leichte Schritte, dann betrachtete er den alten bedrückten Mann mit spöttischer Miene. Leise trat er näher und klopfte ihm auf die Schulter. Erschreckt wandte Brand sich um. Rachau nickte ihm behaglich zu. »Wir sind ihn also glücklich los«, sagte er.

»Welche Scham«, antwortete der Major düster, seine Hände zusammendrückend.

»Torheit«, flüsterte Rachau, »was wollen Sie denn? Es geht alles vortrefflich. Dieser Mensch mußte auf jeden Fall aus dem Hause, dies habe ich Ihnen deutlich gesagt. Und nun meldet er sich selbst dazu!«

»Betrogen und belogen«, murmelte der alte Soldat.

»Das sind hohle Worte. Von seiner Unbehilflichkeit ist nichts zu besorgen. Ein Mensch wie dieser sieht nicht über seine Nasenspitze hinaus.«

»Unrecht bleibt Unrecht.«

»Ihm geschieht kein Unrecht. Fräulein Luise selbst hat ihm seinen Platz angewiesen. Aber zu Ihrer Beruhigung und vielleicht ist es gut für alle Fälle – wollen wir ihn versöhnen. Überlassen Sie mir diese Angelegenheit. Er soll als Ihr dankbarer untertäniger Knecht von Ihnen scheiden, entzückt über Ihre Großmut und mit allem zufrieden. – Also, seien Sie munter! Ich höre den Wagen, und hier springt Toni schon herein. Wo gibt es wohl einen glücklicheren Vater?«

 


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