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Es war warm und grün geworden in Finnland, grün in diesem wunderbaren Lande der Seen, der Berge und Sümpfe, die in ein seltsames unlösbares Gewirr verschmelzen. Die üppigen Wiesengelände prangten wieder mit zahllosen Blumen, die nackten rothen Felsen und spitzen Klippen ragten aus den jungen Trieben der Bergwälder. Flüsse und Bäche brausten ihnen nach durch die kleinen Thäler, bis sie endlich den Wasserarm eines Sees erreichten und darin verschwanden. Die Straße, welche nordwärts von Helsingfors über Hainola mitten durch die Provinz Savolax führt, bietet eine äußerst reiche Scenerie. Oft läuft der Weg über hohe steile Bergrücken, welche zwischen großen und kleinen Seen liegen und zuweilen so schmal sind, daß nichts als die Straße Raum darauf hat. Von diesen hohen Punkten aus kann man meilenweit umherschauen und auf einem derselben, der alle andern überragte, hielt längere Zeit ein Wagen, in welchem zwei Reisende saßen.
Ein wunderbares Gewirr von Land und Wasser lag zu ihren Füßen. Ein großer See, von zahllosen Inseln durchbrochen, schimmerte aus weitester Ferne und verlor sich darin. Tausend andere faßten ihn ein; wie kleine Demanten einen mächtig strahlenden umgeben und ihr funkelndes Licht mit seinem Glanz vermischen, so leuchteten sie alle vereint herauf. Fels, Wald, Thal, Berg und Schlucht schlangen sich in dunklen schweren Ketten um sie. Ostwärts dehnten sich große Wälder aus, die mit unabsehbaren Flächen abwechselten, welche ein kahles, ödes Ansehen hatten. Der Abend war nahe, das Sonnenlicht nahm eine röthliche Färbung an und mischte die verschiedensten Tinten, welche den Berggewinden sich anschmiegten. Alles war so ruhig grün und herrlich umher, als decke ein glücklicher Frieden dies kriegerfüllte 655 Land. Geheimnißvoll rauschte es in den hohen Bäumen, träumerisch, weich und duftig hüllten sich Felsen und Wälder in Decken von Dämmerlicht und süßen Hauch, den Millionen Blumen und Gräser für sie webten. Aber kein Hirt ließ sich sehen, keine Heerde, kein Ackerbauer, kein Haus. Unten in der Tiefe an einem Seestreif lagen zwei oder drei niedergebrannte Höfe, von denen nichts übrig geblieben war, als schwarzer Schutt und verkohltes Gebälk. Baron Arwed, der in dem Wagen saß, blickte einige Minuten lang durch sein Glas forschend darauf hin, dann wieder suchte er in der kleinen Landkarte umher, die auf seinen Knien lag. Neben ihm saß seine Schwester Ebba, deren Augen unverwandt sich auf den fernen großen See richteten.
Das muß der Pajäne sein, sagte der Baron, und dies sind die großen Sümpfe, welche von seinen östlichen Ufern durch Savolax laufen. Es wird dunkel werden, ehe wir Halljala erreichen, wenn wir nicht etwa obenein uns verirren.
So sollten wir nicht länger zögern, erwiederte das Fräulein.
Wir wollen auch nicht zögern, fuhr ihr Bruder fort. Poststationen und Pferde gibt es hier nirgend mehr, wahrscheinlich aber ist diese Brandstätte ein Posthaus gewesen. Die meisten Häuser und Höfe sind verlassen und leider ist es wahr, daß viele Bauern dem General Sandels nachgelaufen sind. Wir werden nirgends Beistand finden, wenn wir ihn brauchen.
Mit ärgerlichen Mienen schlug er die Karte zusammen und steckte sie ein, während er zugleich seinem Diener, der den Wagen lenkte, zurief, vorsichtig hinabzufahren, dann aber die Pferde anzutreiben so viel es möglich sei. Als dies geschehen war, sah er über die stille Landschaft fort und sagte dann bedenklich: Wir hätten unsere Escorte nicht in Laukas zurücklassen sollen, oder du hättest wenigstens dort bleiben können, um meine Rückkehr aus Halljala abzuwarten.
Fürchtest du denn eine Gefahr? fragte Ebba.
Gefahr eigentlich nicht, erwiederte der Baron. Sandels ist mit seinen Banden bis an den Kallavesisee zurückgeschlagen und das ganze südliche Savolax nun mit unsern Soldaten angefüllt. Der Commandant von Laukas gab mir sein Wort, daß ich bis an den Pajäne 656 keinen Menschen finden würde, aber ich glaube, der alte Bursche wollte am liebsten seine Dragoner für sich behalten.
Es scheint in Wahrheit Alles hier wie ausgestorben, sagte das Fräulein.
Ein schändliches Land und ein schändliches Volk! rief Arwed. So wie Sandels vordrang schlugen die Bauern wie Banditen jeden Russen todt, den sie erreichen konnten, und liefen dann in die Wälder, wo es Millionen Verstecke für sie gibt. Natürlich ließen unsere Soldaten sich das nicht gefallen. Die Höfe wurden niedergebrannt, die Mörderrotten verfolgt, zuletzt mögen wenig übrig geblieben sein und hier muß es wohl auch einen harten Kampf gesetzt haben.
Der Wagen war von dem Bergrücken heruntergerollt und näherte sich dem schwarzen Trümmerhaufen am Seeufer. Ein melancholisches Schweigen lag auf dieser verlassenen Stätte und ihrer Umgebung. Der Brand hatte die Bäume umher verdorrt und verkohlt, die nun gespenstisch nackt und schwarz in den Abendhimmel stiegen. Unten lag der See zwischen steilen Felsufern, an welche er seine Wasser schleuderte, deren eintöniges Rauschen sich mit dem Rauschen der Tannen und Espen vermischte, welche den Saum der Ufer besetzten.
Ungeheure Steinblöcke lagen zerstreut umher und Arwed sagte lachend: Das muß ein lieblicher Aufenthalt für echte Finnen gewesen sein. Vielleicht irgend ein heiliger Platz der Anbetung oder eine heilige Grabstätte für ihre Helden. Sieh doch, wie die Steine im Kreise zusammengestellt sind. Otho sagte mir einmal, noch jetzt fühle jeder Finne, trotz seines Christenthums, Schauer der Ehrfurcht bei solchen heiligen Steinkreisen der alten Götter und Helden. Er selbst war ein viel zu arger Phantast, um diese nicht zu theilen. Schade, daß die Stätte niedergebrannt wurde, und kein lebendiges Wesen uns sagen kann, wie sie geheißen hat.
Orjahulu! antwortete eine tiefe murmelnde Stimme.
Was war das? fragte der Baron. Wo kam der Ton her? – Ist hier ein Mensch?!
Es antwortete Niemand. Baron Arwed ließ den Griff des Pistols los, das er halb aus der Wagentasche gezogen hatte. Du hast es auch gehört, Ebba, oder war es der Wind?
657 Es schien eine Antwort auf deine Frage zu sein, sagte das Fräulein.
Orjahulu, habe ich verstanden. Was soll das bedeuten? Du verstehst ja Finnisch? fragte er seinen Diener. – Ist das ein finnisches Wort?
Ja, Herr, antwortete der Mann, es heißt Verrätherpfeife.
Komm hervor, du, der du mir geantwortet hast! rief der Baron in die Brandstätte und Steine hinein. – Es ist dennoch nur der Wind gewesen, fuhr er fort, als sich nichts regte.
Wir wollen uns überzeugen, erwiederte Ebba. Laß uns aussteigen.
Ihr Bruder hielt sie fest. Fahre schnell! schrie er dem Diener zu und seine Blicke flogen über den Platz. Wir haben keine Zeit, Untersuchungen anzustellen. Hier kann hinter jedem Stein ein Mörder lauern.
Die Pferde flogen im Galopp davon, doch keine Kugel folgte ihnen nach, wohl aber ein Geräusch, das beinahe wie ein Gelächter klang, ganz deutlich aber sich in helles Hahnengeschrei verwandelte. Und ohne Zweifel rührte es auch von einem wirklichen Hahn her, denn zu seinem ärgerlichen Erstaunen sah der Baron ein derartiges Wesen auf der Spitze des Trümmerhaufens sitzen und seine Flügel bewegen.
Wäre es möglich! rief er aus, daß dies der Hahn des alten Landstreichers sein könnte? Dann liegt er selbst auch dort im Versteck. Niemand hat von ihm seither etwas gehört und Propst Ridderstern sagte mir neulich, daß die Leute in Halljala behaupteten, ihr Liebling sei umgekommen. Glaubst du, Ebba, daß dies ein Streich deines guten Freundes ist?
Ebba mochte Ursache haben, ihren Bruder in seinen Vermuthungen nicht zu bestärken. Wenn es Lars Normark's Hahn war, sagte sie, warum sollte er selbst sich nicht zeigen.
Wahrscheinlich ist er nicht allein. Gesindel hält sich beisammen, um zu rauben und zu morden.
Wenn das so wäre, was würde sie halten, über uns herzufallen? Meines Erachtens hätten wir verwegenen Männern nicht entgehen können. Ich denke, dies ist ein Hahn, der sich gerettet hat, als alle seine Kameraden ihr Ende fanden, jetzt schreit er hinter uns her und verhöhnt unsere Furcht.
658 Möglich, daß du Recht hast, lachte der Baron. Wie sollte auch der alte Schelm, wenn er wirklich noch lebt, sich hierher wagen, wo es ihm schlecht genug gehen würde, wenn man ihn ergriffe. Ich sehe nichts mehr von dem Thiere. Nebel steigen aus dem See, und hier beginnt der Sumpf, der bis an den Pajäne hinlaufen soll. Wenn wir Glück haben, kommen wir noch bei Tagesschein hinüber und haben dann nur noch einen Hügelzug zu übersteigen. Siehst du dort, Ebba, das sind die rothen Felsen, Lully's Burg genannt, oder das Thal des Todes, was wirklich poetisch klingt. Wahrhaftig, wie jetzt das rothe Sonnenlicht darauf fällt, sieht es aus, als wären sie mit Blut übergossen.
In der tiefsten Ferne des Horizonts stiegen hohe düsterrothe Bergmassen auf, an denen dann und wann ein brennendes Licht zuckte. Wälder von unermeßlicher Ausdehnung senkten sich unter ihnen in die Tiefen hinab, und die Pferde eilten ihnen entgegen durch eine jener großen tiefen Ebenen, die mit Sumpf und Wasserlachen gefüllt sind.
Es ist Alles seltsam und unheimlich in diesem Lande, sagte Arwed, selbst die Sümpfe sind hier anders, wie in der übrigen Welt. Erich hat mir einmal erklärt, warum das so sein muß. Ganz Finnland besteht aus Granit, wo er nicht zu Felsen aufsteigt, liegt er unter den verwitterten Wäldern, und wo sich in diesen tiefen Steinschalen nicht das Wasser gesammelt hat, liegt der Morast darauf, der nicht austrocknen kann, weil der harte Fels kein Wasser in den Erdkörper dringen läßt. Je weiter nach Norden, um so flacher wird das Land, um so größer also auch die Sümpfe, welche endlich in Carelien und nach dem Eismeere hin gar nicht mehr aufhören. Aber verdammt mögen sie sein! wir kommen langsamer fort, als ich dachte, und wenn es so fort geht, werden Dünste und Nebel bald über uns zusammenschlagen, und uns lebendig begraben.
Etwas früher oder später wird es gewiß geschehen, erwiederte sie.
Daß wir begraben werden, fiel er scherzend ein, daran ist nicht zu zweifeln und nichts zu ändern; allein wir müssen trachten, daß es so spät als möglich geschehe.
Und was thun Leute deiner Art nicht, um alt zu werden, antwortete Ebba in einem Tone, der neben dem Scherz auch einen verächtlichen Klang hatte.
659 Diplomaten leben lange, sagte Arwed, ein Beweis, daß sie eine gesunde Beschäftigung treiben, sich nicht ärgern, nicht erhitzen, das Leben als ein Schachspiel betrachten und wenn sie mit ruhiger Überlegung ihre Züge gemacht haben, zufrieden sind und unter allen Umständen mit Heiterkeit ihr Dasein genießen. Ich bitte dich, liebe Ebba, mache es auch so. Wir haben uns versöhnt und du hast mir versprochen, dich meiner Leitung zu überlassen.
Unter einer Bedingung, fiel sie ein.
Richtig, unter der Bedingung, daß ich nichts Feindliches mehr gegen Erich unternehme, im Gegentheil, ihm beistehen will, so viel ich es vermag. Ich habe dir dies mit meinem Worte verbürgt, und werde es aufs Heiligste halten. Mit vollkommener Ruhe werde ich abwarten, was in Abo geschieht. Ich hege keinen Zorn, keinen Haß gegen ihn, oder irgend einen Andern. Welche Pläne Halset hat, kümmert mich nicht. Ist Erich einsichtig genug, sein Wohl zu begreifen, um so besser für ihn, ich werde ihm aufrichtig Glück wünschen, und nicht mehr daran denken, was mir mißglückte. Alles Leben ist ein Spiel, Jeder sucht dabei zu gewinnen, da dies jedoch für Alle unmöglich ist, müssen Viele verlieren. Ich beklage mich nicht, wenn ich zu diesen gehöre, meine Aufgabe wird sein, anderswo ein glücklicheres Loos zu ziehen. Was dich aber betrifft, liebe Ebba, so habe ich dir aufrichtig gesagt, was Serbinoff mir vertraut hat. Sobald ich meine Geschäfte in Halljala abgethan habe, wird die Zeit da sein, dein Glück zu sichern.
Hier unterbrach er die Unterredung, welche von den Geschwistern in französischer Sprache geführt wurde, und wandte sich an seinen Diener. Kannst du nicht schneller fahren, sagte er, die Nacht wird uns überfallen.
Der Diener entschuldigte sich mit dem schlechten Wege, den er obenein nicht kannte, und in Wahrheit wurde mancherlei Vorsicht nöthig, um kein Unglück zu haben. Der Wagen rollte lange Zeit durch einen moorigen Boden, der zuweilen mit Sand und scharfen Kieseln abwechselte, bald aber wieder die Räder tief einschneiden ließ und die Hufe der Pferde mit Sumpfpflanzen umwickelte. Aus dem dunkeln Grün der öden Fläche ragten zahllose moosumwucherte Steine 660 auf, bald kaum über den Boden emporragend, bald kantig, steil oder kuppig mehr oder minder große Hügel bildend, um welche Tannen und Ellern sich mit einem unermeßlichen Wurzelgeflecht festklammerten. Und zwischen dieser Stein- und Moosstickerei wand die Straße sich hin, zuweilen in einem Wald von Gestrüpp verschwindend oder unter Bäumen, die mit Bartmoos seltsam behängen waren. In den Sümpfen Finnlands sind die Nadeln der Fichten fast eben so schwarz wie der fettig aufquellende Moor, in welchen diese rauhen, krüppelhaften Stämme sich eingesenkt haben. Verkümmert unter Schlingpflanzen und langen dürren Moosgewinden, standen sie auch hier wie Greise von unheimlicher Gestalt und Farbe oder sie verbargen ihre todten Leiber unter dem Sumpfwasser, das über sie hinfloß und sie zernagte. Aus den Dünsten, welche diesem Boden entstiegen, wurden nach und nach Nebel, welche endlich mehrere Fuß hoch die ganze Ebene einhüllten. Die Reisenden auf dem Wagen konnten noch über dies sonderbare graue dampfende Meer fortblicken, aus dem die bärtigen Bäume und die Steinkuppen sich gespensterhaft bleich leuchtend erhoben, als von der Ebene selbst nichts mehr zu erkennen war. Langsam nur bewegte sich der Wagen fort, denn über Lachen und zitternden Sumpf war die Straße mittelst Baumstämme geführt, welche einst dicht gereiht und mit Kies und Erde überschüttet wurden, allein diese Decke war längst zerfahren und vom Wetter fortgespült. Die Wege in Finnland mußten von den Gemeinden und Hofbesitzern erhalten werden und so lange es Frieden war, hielten die Voigte strenge auf den Straßenbau, jetzt aber hatte der Krieg alle Ordnung aufgelöst und nichts war in diesem Jahre geschehen. Der Wagen sank in Löcher und da sich häufig diese hölzernen Sumpfbrücken wiederholten und lange Strecken ausfüllten, so brach die Nacht an trotz aller Aufmunterungen des Barons und aller Flüche und Hiebe seines Dieners auf die schnaufenden müden Pferde.
Nach und nach vermehrte die Nebeldecke, welche über dem Sumpfe schwebte, die Dunkelheit und stimmte den scheinbaren Gleichmuth des Barons in offenbaren Kleinmuth um. Er begann damit, sich zunächst mit Selbstvorwürfen anzugreifen, die zu Vorwürfen gegen den Diener und endlich zu Vorwürfen gegen seine Schwester übergingen, welche mit Gelassenheit sie anhörte.
661 Wie kannst du so gleichgiltig sein, Ebba! rief er endlich ärgerlich. Es ist doch wahrlich unangenehm und ängstlich genug, in dieser Lage zu sein. Der Weg läßt sich kaum mehr erkennen, verlieren wir ihn, so kann es uns das Leben kosten.
Dann laß uns lieber auf dieser Stelle bleiben bis es wieder Tag wird, was nur wenige Stunden dauern kann, erwiderte sie.
Wenn dieser abscheuliche Nebel nicht wäre, würden wir sehen können, fiel er ein; aber hier bleiben in dieser Moderluft würde mich krank machen. Warum sind wir nicht in Laukas geblieben und morgen in der Frühe gefahren? Daran hattest du Schuld. Es ist unmöglich hier auszuhalten, obenein ohne die geringste Erfrischung.
So laß uns versuchen, ob wir nicht weiterkommen, erwiederte sie mit derselben Ruhe. Der Pajäne kann nicht mehr weit sein. Propst Ridderstern hat gewiß auf uns gewartet und die Frau Propstin die schönsten Torten gebacken.
Du bist boshaft genug, mich zu verspotten. Doch was meinst du, Ole, die Pferde werden den Weg besser finden wie du.
Statt der Antwort schlug plötzlich der Wagen in ein Wasserloch und Arwed schrie laut auf. Halt ein! schrie er, wir werfen um. Ich weiß nicht, was wir thun können. Die Kehle kann man uns abschneiden, ohne daß wir das Messer sehen. Hörtest du nichts?
Es geht Jemand hinter uns oder neben uns.
Wer geht dort?
Schweig still! flüsterte Arwed; aber ehe er etwas hinzufügen konnte tauchte jetzt dicht an dem Wagen eine außerordentlich lange Gestalt auf, die den Schrecken des Barons dermaßen vermehrte, daß er seine Pistolen ergriff und beide Hähne spannte.
Bei dem knackenden Ton sprang die Gestalt zurück und war verschwunden. Du bringst dich selbst um die Hilfe, welche du nöthig hast, sagte Ebba. Kommt näher, Freund, gebt uns Antwort. Wir wollen Euch dankbar dafür sein. Es ist allerdings wohl auch zuweilen des Dankes werth, wenn man eine Kugel durch den Hirnschädel kriegt, antwortete die Stimme von der andern Seite des Wagens; ich verspüre aber eben jetzt keine besondere Lust dazu.
662 Es soll dir nichts geschehen, sei ohne Furcht! sagte Baron Bungen beruhigter. Wer bist du, Freund?
Ein Holzschläger, Herr.
Weißt du hier gut Bescheid?
Ich habe noch immer meinen Weg gefunden.
Und wohin geht dieser Weg?
Dieser Weg? Ja so! wenn man ihn finden kann, führt er geradeaus an den Pajäne.
Nach Halljala?
Dahin kommt man auch.
Willst du uns begleiten, so sollst du reich beschenkt werden.
Danke, Herr! aber ich möchte lieber – Ja so! meinetwegen denn, weil ich glaube, es sitzt eine Dame mit bei Euch.
Mit wem flüsterst du da? fragte der Baron mißtrauisch. Ist noch Jemand bei dir?
Mein Kamerad, Herr, und noch ein Bursch. Der wird die Pferde beim Kopf nehmen. He, Christi, tritt an die andere Seite und faß an, damit der Wagen aus dem Loche kommt und nicht wieder fällt. Haltet Euch ruhig, Herr, so geht Alles gut ab.
Schock Tonnen! brummte eine tiefe Stimme, ein Genick ist leicht gebrochen.
Hört an, sagte Baron Arwed. Wer ich bin, werdet ihr später erfahren; aber ich gebe euch mein Wort, daß ihr gut belohnt werden sollt. Im Übrigen habe ich in jeder Hand eine Pistole; denkt also nicht daran, mir etwas zu nehmen, was ich nicht geben will.
Ja so! lachte der lange Kerl, der Herr meint es ehrlich mit uns, Christi. Doch es würde ihm wenig helfen, wenn wir nicht so grundehrliche, friedliche Leute wären. In solcher Finsterniß kann ein verrostetes Bajonnet einem durch den Leib fahren und er weiß nicht, woher es kommt. Aber ich möcht's nimmer anfassen und der Christi da kann kein Blut sehen; vor einem rothen Tuch läuft er davon.
Christi an der andern Seite grunzte seltsam dazu. Der Baron fühlte ein Zittern in seinen Eingeweiden. Er blickte nach allen Seiten und machte unruhige Bewegungen, als fühlte er schon das rostige Bajonnet. Wer diese Leute waren, ob sie die Wahrheit sprachen, woher 663 sie kamen, mochte er nicht durch erneute Fragen untersuchen. Er sah ein, daß ihm dies nichts helfen könne, daß er ihnen glauben müsse und daß es das Beste sei, wenn er keinerlei Zweifel laut werden lasse. Er war in ihrer Gewalt und mußte abwarten, ob sie ihr Versprechen erfüllen würden; allein er fühlte sich etwas erleichtert, als er hörte, wie seine Schwester ein Gespräch mit dem langen Burschen begann, das eine freundliche Wendung nahm; denn nach einigen gewechselten Worten zeigte es sich, daß er sie erkannte.
So wahr ich lebe, es ist das gnädige Fräulein vom Schlosse! rief er. Ich hab's an der Stimme gehört, dachte es auch gleich, wie der Herr nach Halljala fragte. Wo ist der Freiherr Randal hingebracht? Lebt er noch?
Er lebt in Abo und wird, wie ich hoffe, bald kein Gefangener mehr sein.
Und das gnädige Fräulein kommt dann wieder mit ihm nach Halljala und hilft ein neues Haus bauen?
Das wird wohl so bald nicht geschehen, fiel Arwed ein. Aber wo waret ihr denn damals, Freund, als das alte Schloß niederbrannte?
Ich lief, so weit ich laufen konnte, mochte nichts davon sehen, antwortete der Bauer, und Christi lief mit, bis er keinen Athem mehr hatte, weil er damals noch fett war. Aber bei alledem fürchten wir uns nicht, und wenn das gnädige Fräulein uns irgend eine Sache aufzutragen hat, wollen wir es getreulich thun.
Ich wollte dich nur bitten, sagte Ebba, uns so wenig wie dich selbst in Gefahr zu bringen.
Ja so! rief der Mann, es hat nichts zu sagen. Christi kann kein Blut sehen, aber ein paar mächtige Schultern hat er. Einen Mann hat er einmal getragen, bis er mit ihm fiel, und wenn Ihr ihm sagtet: ich will fort! Wie eine Feder würde er Euch aus dem Wagen heben, und trotz der Dunkelheit würdet Ihr bald weit von hier sein.
Ich will diese Probe nicht machen, erwiederte Ebba.
Nicht? lachte der Bauer. Ja so! seid Ihr nicht ein schwedisches Fräulein? Christi läuft mit Euch bis nach Schweden.
Das ist ein weiter Weg, mein Freund, ich bleibe lieber, wo ich bin. Aber, sind das nicht die Schatten der Berge? Und der Nebel zerrinnt, ich sehe Sterne über uns.
664 Wahrlich, wir sind auf festem Boden! rief Arwed, und hier geht der Weg in die Höhe. Was ist dort vor uns?
Es ist der Pajäne.
In der Ferne schimmert ein Licht. Es muß aus einem Hause kommen.
Lebt wohl, Herr, sagte der Bauer.
Halt! Wo seid ihr? Hier nehmt! Wo sind sie hingekommen, Ebba?
Es war nichts mehr von den Führern zu sehen, kein Geräusch verrieth ihre Schritte. – Sie sind verschwunden, ohne Lohn zu begehren? Ein Bauer ist nicht so uneigennützig.
Vielleicht wollte er nichts nehmen, weil er uns erkannte.
Der lange Bursch schien eine Art Narr zu sein, doch gleichviel, er hat uns ehrlich geholfen. Es ist wirklich der Pajäne, dem Himmel sei Dank, daß wir aus diesen schrecklichen Sümpfen sind! Wem jenes Haus auch gehören mag, er muß Gastfreundschaft an uns üben.
Nach einer Viertelstunde war das Licht erreicht. Es kam aus einem Hause, das an der Öffnung eines Thales, nicht fern vom Ufer des Sees, lag. Als der Wagen hielt, konnte Arwed durch ein Fenster in das Innere der Wohnstube blicken, und betroffen wandte er sich zu seiner Schwester zurück. Weißt du denn, wo wir sind? fragte er. In Lomnäs! Dort sitzt der Major noch bei seiner Pfeife. Ich möchte ihn nicht stören, aber die Pferde können nicht mehr fort; wir müssen warten bis der Tag anbricht.
Während er dies seiner Schwester zuflüsterte, war der Invalide ans Fenster und dann an die Thür gehinkt, die er öffnete. Er hatte Pferde schnauben und einen Wagen klappern hören, doch konnte er in der Finsterniß nichts erkennen. Wie er in Eile heraustrat, schien es, als erwarte er Jemand, und seine Stimme hatte etwas Zitterndes und Freudiges, als er lebhaft fragte, wer da sei?
Baron Arwed hob seine Schwester von dem engen Sitz, dann ging er auf den allen Soldaten zu, der ihm die Arme entgegenstreckte.
Mein lieber Major, sagte er. Ich und meine Schwester, wir kommen als Bittende zu Ihnen.
665 Aber bei dem ersten Ton dieser Stimme riß der Major sich los, und wie von Abscheu ergriffen trat er zurück und hörte das Weitere auf seinen Stock gestützt an. Sie sind es, Herr Gouverneur, Herr Baron Bungen, sagte er dann rauh und laut. Was hat das zu bedeuten?
Das hat zu bedeuten, Herr Major Munk, daß ich mit meiner Schwester aus Laukas komme, in den Sümpfen von der Nacht überrascht worden bin, und Sie bitte, uns bis der Tag kommt Herberge zu gestatten.
Treten Sie ein, wenn es Ihnen gefällig ist, sagte Munk mürrisch kalt. Was dies Haus wegmüden Reisenden bieten kann, steht zu Ihren Diensten.
Wir müssen es annehmen, liebe Ebba, erwiederte der Baron, wenn diese Gastfreundschaft uns auch nicht besonders einladend scheinen mag. Der Herr Major wird sich inzwischen gewiß erinnern, daß eine Dame ihn um Beistand bittet.
Meine Hochachtung vor dem gnädigen Fräulein, versetzte der Invalide. Sie wird mir's verzeihen, wenn ich nicht freundlicher einladen kann. Wären Sie allein zu mir gekommen, meine liebe Freundin, es hätte Sonnenschein in meine Brust gebracht.
Das ist aufrichtig und deutlich gesprochen, Herr Munk, lächelte Arwed, ich habe es nicht anders erwartet. Ich versichere dagegen, daß, wenn ich nicht müßte, ich Ihre Ruhe gewiß nicht gestört hätte.
So sind wir fertig, sagte der alte Soldat. Richten Sie sich hier ein. Ihre neuen Landsleute und Mitbürger, die Russen, haben nicht viel Genießbares übrig gelassen, es wird sich aber doch einiges noch vorfinden. Sie sollen haben, was da ist, nur für mich bitte ich um Entschuldigung, Fräulein Ebba.
Verlassen Sie uns nicht, erwiederte sie, die Hand festhaltend, welche er ihr reichte. Wer weiß, wann ich Sie wieder sehe. Lassen Sie mich wenigstens wissen, wie es Ihnen geht, und hören Sie, was ich vielleicht zu Ihrem Troste sagen kann.
Zu meinem Troste! murmelte er, und seine Augen hefteten sich auf Ebba, deren Gesicht jetzt von dem Lichte im Zimmer erhellt wurde. Er führte sie zu seinem großen Lederstuhl und nöthigte sie mit sanfter 666 Gewalt auf die Kissen. Meine liebe Freundin, sagte er dabei, seit wir uns trennten, hat Gottes Hand die Zeichen des Grames auch auf Ihre Stirn gedrückt, und wie könnte es anders sein! Schwere Prüfungen und bange Stunden sind ja auch über Sie hereingebrochen. Ach! mein theures Kind, Sie haben mir oft gefehlt, mit Ihrem freudigen, stolzen Muthe. Wo waren Sie so lange und was führt Sie jetzt hierher zurück.
Ich war in Abo bei meiner Freundin Mary Halset, bis ich meinen Bruder nach Borgo und Sweaborg begleitete.
Sie waren in Sweaborg! rief Munk erregt. Haben Sie nichts von meinem Magnus gehört?
Ich hätte geglaubt ihn hier anzutreffen, erwiederte sie. Der Sohn des Propstes Ridderstern, der jetzt Offizier in russischen Diensten ist, sagte mir, daß Oberst Serbinoff Magnus' Entlassung bewirkt habe.
Und weiter sagte er nichts?
Nein.
Der Schuft, der nicht besser ist wie sein Vetter Jägerhorn! murmelte der Invalide. Und Serbinoff sollte seine Entlassung bewirkt haben? Er schüttelte den Kopf. Ich glaube es nicht. Ein Mensch, wie dieser Serbinoff, ist solcher Dinge nicht fähig.
Sie sollten milder von ihm denken, sagte Baron Bungen. Er hat Ihnen Schutz gewährt als Halljala erstürmt wurde und Ihnen gestattet, ungekränkt nach Lomnäs zurückzukehren, wo Sie seitdem durch nichts belästigt wurden.
Der Major beachtete diese Ermahnung nicht. War der Oberst Serbinoff nicht mehr in Sweaborg, als Sie dort waren? fragte er.
Er war nach Savolax mit einer Abtheilung Soldaten gegen den General Sandels aufgebrochen.
Ich weiß es, ich hab's gehört, fuhr Munk fort. Bis an den Pajäne streiften die Russen, und mehr als einmal zitterten meine Fenster von dem heftigen Schießen. Seit Wochen ist es jetzt ruhig. Sandels soll bis gegen Nyschlott vorgedrungen sein, man sagt aber, daß eine große russische Macht auf ihn losgehe.
Der General Barkley de Tolly kommt mit mehr als zehntausend neuen Truppen, lauter Garden, sagte der Baron; dazu stoßen die 667 beiden Colonnen unter Serbinoff und dem Prinzen Dolgorucki. Sandels wird gänzlich umzingelt und erdrückt werden, so sagen die Offiziere, welche ich gesprochen habe. Barkley de Tolly ist einer der besten russischen Generale und zwanzigtausend Russen haben dreitausend Schweden gegen sich. Überhaupt, Herr Major, muß denn doch endlich bei allen Verständigen die Einsicht durchbrechen, daß Finnland für Schweden für immer verloren ist. Was kann Sandels thun mit der kleinen Schaar, die er anführt? Die schwedische Armee, unter dem Marschall Klingspor, oder besser gesagt, unter dem General Adlercreutz hat nicht einmal Abo wieder nehmen können, sie ist bei Wasa geschlagen, zersplittert und zerstreut worden. Und nun beachten Sie, was der König thut, der Finnland zu helfen versprochen hat. Mit den Engländern hat er sich erzürnt, so daß diese gar nichts unternehmen, als daß sie die große russische Flotte in Kronstadt eingesperrt halten; die russische Küstenflotte aber ist der schwedischen überlegen.
Das ist nicht wahr! schrie Munk. Wo die Russen sich zeigen, werden sie gejagt.
Streiten wir nicht, lächelte der Baron, allein was thut dieser sinnlose König, um seinen Finnen zu helfen, die Gut und Blut für ihn lassen? Statt eine Flotte zu sammeln und ein tüchtiges Heer überzuschiffen, schickt er ein halbes Dutzend kleiner Expeditionen aus, die da und dort landen, geschlagen werden und sich wieder einschiffen müssen, nachdem sie nutzlos sich geopfert haben. Ich bin jetzt ein Russe, wie Sie sagen, Major Munk, allein so viel Schwede bin ich immer noch, um Schmerz über dies stumpfsinnige Hinwürgen tapferer Männer zu empfinden. Ja, es ist so, wie viele russische Offiziere meinen: Alles, was in Stockholm geschieht, könnte in Petersburg selbst nicht besser ausgedacht werden.
Der alte Soldat stöhnte kummervoll. Schmach! Schmach! murmelte er. Oh! oh! wer es erleben muß. Aber wenn der Verrath nicht gewesen wäre. Sweaborg! Cronstedt! Schande! Schande!
Wer kann denn behaupten, daß Sweaborg durch Verrath verloren ging und Admiral Cronstedt es verrieth? erwiederte Arwed, indem er dieselben Gründe anführte, welche später General Suchtelen in seiner Schrift über den finnischen Krieg öffentlich gemacht hat. Er, der mit 668 dem Verräther unterhandelte, suchte die Wahrheit auf jede Weise zu verdunkeln, so daß noch jetzt Gläubige genug die russischen Erfindungen nachbeten. Cronstedt hat allerdings auffallend gehandelt, sagte der Baron, aber wer kann einen Mann als Verräther anklagen, der sein Leben mit Ruhm und tapfern Thaten füllte. Er hatte vielleicht den Kopf verloren, ist als Admiral ein schlechter Festungscommandant gewesen – welcher Blödsinn machte ihn dazu? – Das Geschrei der vielen Weiber in der Festung, die Furcht mancher Offiziere vor harter Kriegsgräuel, irrige Vorstellungen über die Unhaltbarkeit der Festung mögen dazu gekommen sein; doch das Alles genügt nicht, um in so gehässige Anklagen einzustimmen. Die tiefen Falten im Gesichte des greisen Soldaten spannten sich aus und seine Augen funkelten vor Zorn. Stellt auf, was ihr wollt! rief er, betrügt die Menschen, betrügt, wenn ihr könnt, sogar die Geschichte, die Wahrheit könnt ihr dennoch nicht zur Lüge machen. Verrath hat Finnland in eure Hände geliefert, Rußlands Waffen hätten es nimmermehr gethan. Die Verräther, Herr, ja, die Verräther. Die haben ihres Vaterlandes Fall verschuldet.
Nach einem kleinen Weilchen fiel es dem Major ein, daß er das Gastrecht verletzt habe. Vergeben Sie, murmelte er über seinen Stock gebeugt, wenn ich heftig wurde. Ich bin alt, habe altmodische Begriffe von Recht und Ehre, und jetzt drückt mich dreifacher Kummer nieder, denn ich weiß nicht, was aus meinem Magnus geworden ist. Als ich Sie hörte, glaubte ich, er sei es; so warte ich schon manche Nacht ohne Schlaf.
Entschuldigen Sie sich nicht, Major Munk, erwiederte der Baron lächelnd, ich nehme Ihnen nichts übel. Sie sowohl, wie Einer, den ich weiter nicht nennen mag, weil man von den Todten nur Gutes reden soll, was ich nicht kann, haben immer in extremer Weise die Verhältnisse beurtheilt.
Gut, daß er nichts davon hört, er würde es nicht ertragen können, sagte der alte Mann.
Ich mache Niemanden einen Vorwurf darüber, fuhr Arwed fort; habe ich doch selbst an meinem ruhigen Vetter erlebt, wohin politischer Haß führen kann.
Wo ist Erich? fragte der Invalide.
669 Er befindet sich in Abo unter Anklage des Hochverraths, soll vor ein Kriegsgericht gestellt werden, doch besorgen Sie nichts. Ich hoffe, daß sein Schicksal sich günstig wendet. Sie können denken, Major Munk, daß nach der Katastrophe in jener schrecklichen Nacht, wo Mary Halset ihre Leidenschaft zu meinem unglücklichen Vetter so unverhüllt zeigte, ich sowohl wie meine Schwester, wir unsere Entschlüsse gefaßt haben. Halset hat Erich in sein Haus aufgenommen, hoffentlich wird er dort bekehrt werden.
Gott woll's verhüten! rief der Major, ich denke es wird nimmer geschehen. Sie aber, meine liebe Freundin, Sie hätten bei ihm stehen sollen, wie ein guter Soldat, der vor keinem Feind seinen Posten verlassen darf.
Meine Schwester hat sich einen anderen Herrn gewählt, erwiederte der Baron statt ihrer. Sie wird sich mit dem Grafen Serbinoff vermählen.
Mit wem? Mit Serbinoff! rief der Major. Oh! oh! was sagen Sie da! Ist das wahr?
Ebba wird es Ihnen bestätigen, im Fall Sie es bezweifeln sollten, fuhr Arwed innerlich belustigt über den Ausdruck des Abscheus, des Unglaubens und des Schreckens fort, der das Gesicht des alten Soldaten erfüllte.
Welche Zauberkünste versteht denn dieser Mann? rief Munk voller Zweifel und voller Zorn. Was hat er an Louisa gefrevelt! Wo ist sie? Alle hat er betrogen, und dennoch wollen Sie ihm vertrauen, Erich vergessen, ihm anhängen? Sagen Sie mir, wie dies möglich ist.
In dem Augenblick stand Ebba von dem Stuhle auf, maschinenartig langsam, wie von einer Macht bewegt, die zugleich eine furchtbare Last auf sie legte. Ihr Gesicht war geisterbleich, ihre Augen starr auf einen Punkt gerichtet. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, ohne daß ihr dies möglich war, ihre Hände streckten sich krampfhaft zitternd aus und ihre Füße wankten.
Was ist dir geschehen? fragte ihr Bruder, erschrocken über ihren Anblick.
Mit seinen Blicken verfolgte er die Richtung ihrer Augen und Hände, aber er sah nichts, was ihm Aufschluß geben konnte. Auch der Major war aufgesprungen, und plötzlich umklammerte Ebba seine Arme und drückte mit einem dumpfen Schrei ihren Kopf an seine Brust.
670 Rede, Ebba! rief der Baron. Mein Gott! wie siehst du aus? Wie eine Sterbende.
Er war hier. Da! Dort! rief sie, sich aufrichtend. Wo ist er? Vor diesem Fenster stand er. Ich träumte nicht – ich habe ihn gesehen!
Wen? Um des Himmels Willen! besinne dich. Wen, Ebba?
Den du heraufbeschworen hast, ihn – Otho Waimon!
Nun wahrhaftig! sagte ihr Bruder, indem sein Erschrecken sich in ein spöttisches Lächeln auflöste, ich hätte nicht geglaubt, heute noch eine Gespenstergeschichte zu erleben. – Er zog seine Uhr und fuhr in derselben Art fort: Wir haben allerdings so eben Mitternacht, also die richtige Zeit dazu. Du bist aber doch sonst zur Überlegung geneigt, Ebba, und wirst dir nicht einbilden wollen, daß dieser unglückliche Mann aus seinem nassen Grabe hierher gekommen sei, weil ich von ihm sprach, und obenein mit Schonung es that.
Ich täusche mich nicht, erwiederte Ebba in größter Aufregung. Dort stand er, den linken Arm über seine Brust gelegt, wie er es oft that, das Haar lang an seiner Stirn niederfallend, seine Augen voll Kummer und Vorwurf. Was es auch war – ich weiß es nicht – ob Schatten, ob Erscheinung, aber kein leeres Blendwerk, nein, kein Blendwerk!
Beruhe dich doch, begütigte er, helfen Sie mir, Major Munk. Wir haben mancherlei Aufregendes gesprochen, so kommt es zuweilen, daß einer lebhaften Phantasie daraus ein Bild entsteht, das sich verkörpert. Fata Morgana des Geistes möchte ich es nennen. Sinnestäuschung nennen es die Ärzte.
Oh, mein armes Kind! murmelte der alte Soldat, traurig seufzend, den wir Beide lieb hatten, der ist in ein Land gegangen, aus dem noch Keiner zurückkehrte! Wir müssen Alle tragen, was uns auferlegt ist und dürfen uns nicht schrecken lassen, weder von den Todten noch von den Lebendigen.
Hier wurde der Major von einem Geräusch an der Thür unterbrochen und diese öffnete sich. Ein Knabe, in Lumpen gehüllt, abgezehrt, Krankheit und Tod in den tiefeingesunkenen Augen wankte herein.
Magnus! schrie der alte Mann.
671 Da bin ich! antwortete das Kind mit schwacher Stimme. O! mein Vater, ich kann bei dir sterben.
Nein, nein! sagte Munk, ihn küssend. Gott wird es nicht zulassen. Du bist erschöpft, wo warst du so lange?
Im russischen Lazareth.
Du warst krank?
Krank von schrecklichen Mißhandlungen.
Mißhandlungen? Warum?
Weil ich ein Russe werden sollte; doch alle ihre Wuth konnte mich nicht dazu machen.
O! mein Kind, mein Magnus! Gott segne dich in alle Ewigkeit! rief der Major. Gieb ihm Gnade, Herr! gieb ihm deine Krone! Ich danke dir, mein Gott, ich danke dir! Er hat herrliche Prüfung bestanden!