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Die raschen Pferde brachten den Schlitten bald aus den tief verschneiten Straßen der schwedischen Hauptstadt auf dem Weg nach dem alten Schlosse Gripsholm am Mälarsee, dem Lieblingsaufenthalte Gustav Adolph's des Vierten, wo die Königin, die königlichen Kinder und der Hof verweilten und wohin der König selbst bei Winterzeit sich häufig zum Ärger der Stockholmer Wochenlang zurückzog. Während der Schlitten durch das Hügelland fuhr, der Tag hell heraufstieg und Morgensonnenschein über die schneeigen Thäler und niederen Felsen blitzte, welche den Mälarsee und seine zahllosen Buchten umsäumen, unterhielt der General seinen Reisegefährten mit Schilderungen des Hofes und der Hauptstadt und mit manchen Bemerkungen über den König, vor dessen Antlitz Otho bald nochmals erscheinen sollte. Gustav der Vierte ließ sich so wenig wie möglich in Stockholm sehen, dessen prächtiges Schloß, in welchem sein Vater so gern gelebt und so viele glänzende Feste gefeiert hatte, er nicht leiden mochte. Lieber wohnte er in dem kleinen, ärmlichen Haga, oder in Gripsholm, das in der 543 schwedischen Geschichte mehr als einmal eine blutige Rolle gespielt hat. In die Oper, wo sein Vater den tödtlichen Schuß empfing, setzte er niemals seinen Fuß, auch war er kein Freund von Festen und rauschenden Vergnügungen, von Prunk und Völlerei, sondern überaus mäßig und ohne Leidenschaften, streng in seinen Sitten, fern von allen den leichtsinnigen und lustigen Vergnüglichkeiten, denen sein Vater sich oft in zügelloser Weise ergab.
Das gefällt mir sehr von ihm zu hören, antwortete Otho auf die Mittheilungen seines Begleiters. Wenn er weder Wein noch Weiber, weder üppige Schmausereien noch sybaritisches Leben liebt, wird er nicht in Verweichlichung untergehen.
Davon ist er wirklich weit entfernt, lachte Adlercreutz. Sein Vater hat ihm eine spartanische Erziehung gegeben. Er wurde täglich von seiner Geburt an in eiskaltem Wasser gebadet, und dadurch hat sich sein Körper so abgehärtet, daß er die strengste Witterung nicht zu fühlen scheint.
Vortrefflich für einen König, der vielleicht gezwungen ist, mitten im härtesten Winter gegen den Feind zu marschiren.
Ein Mann wird jedoch darum nicht schlechter, wenn er es vorzieht, bei solchem Winter sich in seinen Pelz zu wickeln, fuhr der General fort, und da wir nicht Alle spartanisch erzogen werden, ist es für Manchen zuweilen doch etwas empfindlich, sich als Spartaner gebehrden zu müssen. Aber was ist das! rief er aus indem er zurückblickte. Der König kömmt, so wahr ich lebe! Er muß diese Nacht in Haga geschlafen haben, ich erfuhr nichts davon. Doch, so macht er es häufig. Plötzlich wird Befehl gegeben, dies und das zu thun, worüber gewöhnliche Menschen erstaunen, zuweilen auch ihre unterthänigsten Vorstellungen zu machen wagen, aber Se. Majestät ist von solcher Willenskraft, daß er sehr selten von dem abläßt, was er einmal bestimmte.
Fahre zur Seite, rief er dem Rosselenker zu und halte an. Wir müssen aussteigen, Herr Waimon, und Sr. Majestät unsere Ehrfurcht beweisen, wie es Vorschrift und Sitte ist.
Was ist Vorschrift und Sitte?
Sie müssen Ihre Mütze abnehmen und sich dreimal tief verbeugen, wenn der König vorüberfährt. Ich muß es ebenfalls thun, obwohl ich 544 als Soldat meinen Hut auf dem Kopf behalten darf. Kein Minister, keine Excellenz ist davon ausgenommen und ich kann Sie versichern, daß es manchem alten dicken Herrn schon sehr sauer wurde, sich bei großer Hitze oder Kälte aus Wagen oder Schlitten zu wälzen, um schwitzend oder zähnklappend, baarhäuptig die drei Reverenzen zu machen.
Das ist eine knechtische, lächerliche Sitte, für Türken oder Russen gut genug, sagte Otho, doch nicht für freie Männer.
Denken Sie darüber, wie Sie wollen, mein Lieber, aber steigen Sie rasch aus. Der König ist nahe und er hält streng auf pünktliche Befolgung der Gebote.
Otho stellte sich neben den General in den tiefen Schnee und Adlercreutz, der seinen Pelz abgeworfen hatte, verneigte sich, bis sein breiter Oberkörper eine fast wagerechte Linie bildete, während der hartnäckige junge Finne zwar seine Mütze abnahm, aber dabei nur den Kopf grüßend bog und den König anschaute.
Gustav Adolph fuhr und ritt stets außerordentlich rasch. Seine vortrefflichen Pferde jagten auch diesmal blitzschnell auf der glatten Bahn daher; er selbst saß mit einem Adjutanten in dem offenen Schlitten und trug nur einen gewöhnlichen Offiziermantel, der obenein zurückgeschlagen war und die Uniform der Leibgarden sehen ließ, in welche er sich gekleidet hatte. Das steile, ernsthafte Gesicht wandte sich den beiden getreuen Unterthanen zu und mit einer Handbewegung war er vorüber, doch Otho hatte bemerkt, daß eine Falte seine Stirn verdüsterte, als er ihn anblickte, und fast schien es, als wollte er einen Befehl geben, so drohend warf er den Kopf auf.
Das erste Wort, das Adlercreutz sagte, war ein echt schwedischer Fluch, der Otho an den alten Major Munk erinnerte, dann lachte er wie gewöhnlich, warf seinen Pelz über die Schultern und hüllte sich ein. Warum, zum Teufel! Herr Waimon, haben Sie sich nicht gebückt? fragte er. Ist Ihr Kreuz von finnischem Granit gemacht, oder sitzt eine Eisenstange darin? Ich wette darauf, der König wird Sie darüber befragen.
Dann werde ich ihm antworten, daß ich in Verbeugungen niemals Unterricht erhalten habe, das ganze Verlangen mir aber widerlich ist und unpassend vorkommt.
545 Und hierauf wird Se. Majestät sehr zornig werden und Sie dies empfinden lassen.
In Gottes Namen! sagte Otho, von seiner Gnade kann ich überdies keinen Gebrauch machen.
Keinen Gebrauch? Ein König hat viel zu geben! lachte der General. Blitzende Röcke, Orden, Titel, Geld. Es wäre doch gar nicht so übel, wenn Herr Otho Waimon in der Rangordnung rasch aufstiege.
Ich verlange nach keinem anderen Rang, Herr General, als den ich schon besitze, antwortete der junge Mann, auch nach keinem anderen Titel, als der mir geworden ist.
Und welchen Rang und Titel besitzt Herr Waimon?
Den Rang eines finnischen freien Mannes, der auf seinem freien Erbe lebt, und den Titel, den mein Vater mir hinterlassen, des Volkes Freund und Helfer zu sein.
Adlercreutz schwieg darauf, aber diese Antwort schien sein Wohlwollen zu vermehren. Nach einiger Zeit leitete er das Gespräch auf Finnland und bald war er überzeugt, daß dieser junge Mann eben so gut alle Zustände und Verhältnisse darin kannte, wie er von dem Lande selbst die genauste Auskunft zu geben vermochte. Mit Offenheit sprach Otho über die Fehler und Mängel der Regierung, über die grenzenlose Vernachlässigung des Volks und über die Ursachen, warum die Russen leichtes Spiel haben würden, um eben so wohl zu verlocken und zu bestechen, wie das Volk selbst niederzuhalten und zum Zuschauen zu bewegen. Der General hörte lange aufmerksam zu, vervollständigte was er wissen wollte durch seine Fragen, und sagte zuletzt: Sie sind kein guter Schwede, Herr Waimon, leugnen Sie es nicht.
Nein, ich gestehe es Ihnen gern zu.
Aber Sie sind ein wackerer Mann und ein heißblütiger finnischer Patriot, das ist mir genug! Damit werden Sie aber in Stockholm nicht durchkommen.
Ich will auch nicht durchkommen. Ich will nach Finnland zurück, meinem Volke und Vaterlande beistehen, damit, wenn ich es ändern kann, es nicht russisch werde.
Aber wenn der Widerstand nichts hilft. Was dann?
546 Niemals will ich ein Russe sein! Lieber das Land meiner Väter verlassen, lieber, wie mein Vater, übers Meer wandern.
Adlercreutz drückte Otho's Hand. Noch sind wir nicht so weit! rief er lebhaft und fröhlich. Wer weiß, wie es kommt. Schwedische und finnische Tapferkeit haben oft schon die Wage heruntergezogen, wo sie in die Höhe schnellte. Wenn ich nach Finnland gehe und Sie nicht hier zu halten sind, soll's mir eine Freude sein, wenn Sie Adlersparre's Ausspruch befolgen und mich begleiten. Wir wollen gemeinsam für Finnlands Freiheit vom Russenjoch fechten; besser bleibt's doch immer, Herr Waimon, mit Schweden vereinigt und mit Schwedens Rechten und Freiheiten gleichgestellt.
Ich habe von diesen Freiheiten und Rechten nicht die besten Begriffe bekommen, sagte Otho.
Nicht? lachte Adlercreutz. Nun, Ihnen aufrichtig zu gestehen, ich auch nicht; allein darum wollen wir doch noch nicht ans Auswandern denken. Wir behalten immer noch Zeit genug dazu. Wer weiß, was uns die Zukunft bringt, was sich ändern kann! Da liegt Gripsholm vor uns, fuhr er fort. Sie sind ein Mann, Herr Waimon, den man nicht warnen darf, sich vor Unvorsichtigkeiten zu hüten, oder sich nicht einschüchtern zu lassen. Handeln Sie mit finnischer Klugheit, im Übrigen aber ist es so übel nicht, wenn der König einmal eine andere Sprache hört und ein freier Mann vom Pajänesee jagt den Hofgesichtern Entsetzen ein.
Er lachte muthwillig auf und während dessen eilte der Schlitten dem alten Schlosse zu, das am Ende einer Seebucht des Mälar auf einem flachen Strand liegt, umringt von tiefen Gräben, über deren Brücke die Reisenden durch ein gewölbtes Thor in den Schloßhof gelangten. – Das Schloß war neu angestrichen und ausgebaut von Gustav dem Dritten, der viel Geld darauf verwandte, um ihm den mittelalterlichen Charakter zu nehmen. Nur die mächtigen Thorgewölbe und die ungeheueren Thürme mußte er stehen lassen, in deren Kerkern mehr als ein schwedischer König gefangen saß. Auf dem Schloßhofe stand ein Bataillon der Leibgarden aufmarschirt und rasch stieg General Adlercreutz aus, denn der König selbst wurde erwartet, um die Soldaten zu mustern. Er war in seinen Zimmern, auf dem Hofe zitterten 547 die Grenadiere und ihre Anführer vor Kälte, denn es war ihnen nicht erlaubt, Mäntel anzulegen. Die Soldaten in ihren schönen Uniformen mit großen Silberknöpfen, auf denen das königliche Wappen geprägt war und die Offiziere in Hüten mit Straußfedern verziert, sahen prächtig aus, doch sie waren halb erfroren und konnten kaum mehr Degen und Gewehre halten.
Sehen Sie wohl, sagte Adlercreutz, das kommt davon, wenn man nicht spartanisch erzogen wird. Sollten Sie in die Leibgarde oder Trabantengarde eintreten, so sorgen Sie ja dafür, sich spartanisch abzuhärten.
Er führte ihn dabei eine Steintreppe hinauf, durch verschiedene Gänge, an denen Wachtposten standen, die vor dem General ihre Waffen präsentirten, dann öffnete ein dickbetreßter Wachtmeister einen Saal, und Adlercreutz winkte Otho ihm zu folgen. In einem hohen Kamin brannte ein breit loderndes Feuer, alle Wände waren mit den lebensgroßen Bildnissen vieler Bischöfe, Reichsräthe und Herren bedeckt, die in ihren dunklen Rahmen von dem Schein der Flammen überzittert wurden.
Dies ist der Saal der Räthe, sagte Adlercreutz, indem er seinen Fuß auf das Kamingitter stellte und seine Hände wärmte. Wir wollen hier einige Augenblicke verweilen, und einen Adjutanten erwarten, der uns melden kann. Gripsholm enthält eine berühmte Gemäldegalerie, Herr Waimon, mehr als zweitausend Bilder, lauter Portraits berühmter und bekannter Männer und Frauen, die Schweden seit den ältesten Zeiten hervorgebracht hat. Dort geht es in den Königssaal, wo Sie alle Bilder der Könige, sammt ihrer Frauen und Kinder finden; hier im Saale der Räthe sind die berühmtesten Minister und Diener jener langen Herrscherreihe zusammengestellt. Gustav der Dritte hat die Bilder ordnen und in verschiedene Säle vereinigen lassen. Wenn Sie einmal berühmt werden, Herr Waimon, kommen Sie auch hierher.
Ich denke, daß Sie, Herr General, darauf weit eher Anwartschaft haben, erwiederte Otho.
Meinen Sie? fragte Adlercreutz. Wer weiß, wie meine Dienste ausfallen und was Se. Majestät dazu sagt. Vielleicht ist es mit meinem 548 Ruhme vorbei, ehe es gemalt wird. Es gibt hier manche Gesichter, bei denen man nichts Gutes denkt. Verräther, Empörer, Menschen, die ihren Kopf auf den Henkerblock gelegt haben. In solcher Gesellschaft aufgestellt zu werden, ist nicht ohne Bedenken, Herr Waimon.
Hat denn nicht mancher wackere Mann schon sein Haupt auf den Block gelegt und ist Verräther und Empörer genannt worden, sagte Otho. Die Nachkommen ehren trotz dessen sein Andenken, während sie die Tyrannen, welche ihn verdammten, verachten und verfluchen. Wir Christen haben überdies das beste Beispiel an unserem Religionsstifter, um zu beweisen, was es sagen will, dem Henker überliefert zu werden, wenn man Wahrheit und Recht vertheidigt.
Wahr, Herr Waimon, wahr ist jedes Ihrer Worte! antwortete Adlercreutz lebhaft, und indem er seine Augen auf die Flamme heftete, setzte er mit gedämpfter Stimme hinzu: Wahrheit und Recht! dafür mag ein Mann sterben können; was ihm auch geschieht, die Geschichte wird seine Ehre retten.
Bei dem Knarren einer Thür im Hintergrunde, blickte er auf und ging dann sogleich einem Herrn entgegen, der in den Saal trat und rasch dem Ausgange zuschritt. General Armfeld! rief er aus, und bei diesen Worten, welche durch den weiten Raum schallten, wandte sich der Herr um und blieb stehen.
Sie waren bei dem Könige, Excellenz? fragte Adlercreutz.
Ja, Herr General, erwiederte Armfeld, mit tiefer markiger Stimme.
Und verlassen uns so schnell? fuhr Adlercreutz fort.
Ich reise in einer Stunde nach Karlstad. Der König hat mich zum General der Westarmee ernannt. Mein Wunsch, in Finnland zu fechten, da ich ein Finnländer bin, ist abgeschlagen worden.
Und wer wird nach Finnland geschickt werden?
Sie, General – wenn Sie es noch nicht wissen sollten! antwortete Armfeld.
Otho blickte neugierig auf den Mann, von dem er oft schon im Guten wie im Bösen Vieles gehört hatte. Moritz Armfeld war über fünfzig Jahre alt, aber noch war von seiner vielgerühmten männlichen Schönheit, die ihm einst den Ruf des schönsten Mannes seiner Zeit erworben hatte, genug übrig geblieben, um die Augen der Menschen 549 zu fesseln. Welche merkwürdige Schicksale hatte dieser Mann erlebt! Gustav's des Dritten Liebling und erster Günstling bis zum Tode des Königs, wollte der sterbende Monarch ihn auch an die Spitze der Regentschaft stellen, aber die Feder fiel aus seiner erstarrenden Hand, indem er sich anschickte das Decret zu unterzeichnen. So wurde dennoch der verhaßte Herzog von Südermannland Regent, und einer der ersten Acte seiner Macht war der, daß er dem Günstling seines Bruders alle Ämter und Würden nahm und ihn als Gesandten nach Neapel ins Exil schickte. Bald aber wurde ihm der Prozeß gemacht. Als Landesverräther ward er gebrandmarkt und ein Preis auf seinen Kopf gesetzt, die schöne Gräfin Rudenskiold, seine Geliebte, mit abgeschorenem Haar an den Pranger auf offenen Markt gestellt und dann ins Spinnhaus gebracht; und nun verfolgten Mörderdolche Armfeld durch Italien und durch den ganzen Orient, bis er an Katharina's Hofe in Petersburg eine Freistätte fand, denn vergebens verlangte der Herzog von Südermannland seine Auslieferung. Und dieser Mann, beschimpft wie kein Zweiter, stand jetzt wiederum in den Königssälen Stockholms, bekleidet mit Würden, Sternen und Ordensbändern. Denn kaum hatte Gustav der Vierte die Regierung übernommen, so rief er ihn zurück, vernichtete das über ihn gefällte Urtheil, gab ihm Ehren und Ämter wieder und der Oheim Herzog mußte es sehen, daß der von ihm geächtete Armfeld seinem Neffen näher stand als er selbst.
Hoch und schlank von Gestalt, besaß dieser merkwürdige Mann bei grauenden Haaren noch viel von der Anmuth, die ihn den Frauen gegenüber zum unwiderstehlichen Sieger gemacht hatte. Fürstinnen und Prinzessinnen hatten sich ihm unterworfen, doch an Allen hatte er treulos wie Alcibiades gehandelt. Als General, als Staatsmann und in allen ernsten Dingen konnte er niemals großen Ruf und Ruhm erwerben, aber sein Witz, sein Geist, der Zauber seines Umganges waren eben so anerkannt, wie seine Sitten gefürchtet wurden und Männer von strenger Moral sie verdammten. Sein liebenswürdiger Leichtsinn hatte Gustav den Dritten gefesselt, bei dessen strengem und hartnäckigem Sohn ein Mann wie Armfeld nicht dieselbe Stelle einzunehmen vermochte, dennoch aber bevorzugt wurde, weil der König in ihm ein Werkzeug für seine Pläne sah, weil er seines Vaters gemißhandelter Freund war und weil 550 er den Kaiser der Franzosen, das neunköpfige Thier der Offenbarung, eben so glühend haßte, als Gustav Adolph selbst.
Als die beiden Generale beisammen standen, die beiden Heerführer, welche der König eben gegen Russen und Dänen aussenden wollte, fing Otho's Herz an zu schlagen. Eine innere Stimme sagte ihm, daß dies nicht die Männer seien, um so gewaltige Thaten zu vollbringen, wie die alten schwedischen Feldherrn, die Banner, Horn und Trostensohn sie vollbracht hatten. Der hohe, stolzblickende Baron hatte eine Wolke von Groll auf seiner Stirn und blickte mißgünstig auf den untersetzten, breitschultrigen Adlercreutz, der erreicht hatte, was er wünschte, und sein Vergnügen darüber nicht ganz verbergen konnte.
Sie werden nach Finnland gesandt werden, General Adlercreutz, fuhr Armfeld fort, der König hat es mir selbst soeben gesagt, und ich bin gewiß, fügte er mit einem gallichten Lächeln hinzu, indem er sich geschmeidig verbeugte, Sie werden wie Cäsar darauf antworten: Ich kam, sah und siegte!
Meinen unterthänigsten Dank, Excellenz, für Ihre gute Meinung, erwiederte Adlercreutz, doch bin ich ein Anfänger, der als Feldherr erst die Sporen verdienen soll. Sie dagegen haben der Welt schon Ihren Namen bekannt gemacht, darum wehe den Norwegern!
Armfeld's Züge verdüsterten sich bei diesen schmeichelnden Worten. Er erkannte den Spott recht gut, der darin steckte, denn im vorigen Jahre hatte er in Pommern gegen die Franzosen commandirt und wenig Ruhm nach Hause gebracht. Ehe er jedoch eine Antwort geben konnte, that sich die Thür abermals auf, und auf der Schwelle stand der König, der in seiner harten, steifen Weise die beiden Generale anblickte und anredete, welche, als sie ihren Herrn sahen, sich militärisch gerade stellten.
Armfeld! rief Gustav Adolph, Ihr seid noch hier?
Ja, Majestät, antwortete der General.
Kommt noch einmal herein, da Ihr noch nicht fort seid, fuhr der König fort. Auch Ihr, Generalmajor Adlercreutz. Wo ist Euer Begleiter? Er wandte sich gegen den Kamin und sah Otho dort stehen, worauf er zurück trat und die Generale ihm folgten.
551 Adlercreutz winkte Otho, sich ihm anzuschließen. Das Nebenzimmer war klein und dunkel, doch es öffnete sich auf eine Gallerie, in welcher Adjutanten, Offiziere und Hofleute sich befanden. Der König trat jedoch aus diesem Cabinet durch eine andere Thür in sein Arbeitszimmer, begleitet von den Generalen, welchen Otho nicht weiter zu folgen wagte. Als er in das königliche Zimmer blickte, sah er den Freiherrn Ehrenheim an einem großen Marmortische stehen, von welchem der König ein Papier nahm, das aufgeschlagen dort lag, sich damit gegen Armfeld umwandte und es ihm entgegenhaltend ausrief: Lest das, Armfeld, und sagt mir Eure Meinung darüber.
Einige Minuten vergingen, bis der General mit bewegter, lauter Stimme erwiederte: Wenn Ew. Majestät glauben können, daß ein unlauterer Gedanke in mir ist, so nehmen Sie mir den Degen wieder, den ich Ew. Majestät Gnade verdanke.
Nein! antwortete der König. Ich denke Ihr wißt, was Ihr meiner Gnade zu danken habt. Meines Vaters Freund wird kein Verräther sein.
Tausendmal eher mein Leben lassen! rief Armfeld.
Der König stand, wie es seine Gewohnheit war, in steifer Haltung den Kopf in den Nacken, feierlichen Ernst in seinen strengen Blicken, die er nach oben richtete. Gott wird mit uns sein, sagte er, er wird uns helfen! Ich habe Sie Beide ausersehen, meine Herren Generale, Schweden gegen seine Feinde zu schützen. Sie werden mein Vertrauen rechtfertigen, ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann.
Er reichte ihnen die Hände, welche sie küßten, und fuhr dabei fort: Soeben hat mir der Freiherr Ehrenheim diese russische Depesche, vom Grafen Romanzoff an den Herrn von Alopäus gerichtet, gebracht. Ich bin erfreut darüber, ein solches Document in Händen zu haben, das ich vor den Augen der ganzen Welt veröffentlichen will, um zu zeigen, welche Pläne gegen mich geschmiedet wurden. Diese Depesche ist aufgefangen worden, und ich habe sie erbrochen, obwohl Ehrenheim mir rieth, es nicht zu thun, sondern sie im Reichsarchiv bis zum Frieden verwahren zu lassen. Ich habe recht gethan, Freiherr Ehrenheim! rief er heftiger, indem er auf seine Brust schlug, vor Gott und allen Fürsten Europa's will ich es verantworten. Schmachvoll genug, daß es mein eigener 552 kaiserlicher Schwager ist, der mir ohne Kriegserklärung ins Land fällt, um es zu erobern, ohne irgend einen gerechten Grund dazu, deß ist der Himmel mein Zeuge! Damit aber noch nicht genug, schreibt der Minister Romanzoff an den Gesandten Alopäus, wie hier steht: »Suchen Sie durch alle Mittel einflußreiche und bedeutende Männer zu bewegen, die Sache des Königs zu verlassen und sich uns anzuschließen. Ganz besonders erwünscht wäre es, wenn der General Armfeld zum Abfall bewogen werden könnte, er dürfte Ursach haben dies zu thun.«
Das ist eine Infamie! sagte Armfeld.
Ruhig, General, antwortete Gustav Adolph. Mir ist mehr geschehen wie Ihnen; aber ich klage nicht, ich vertraue auf Gott. Fielen auch noch zehn Noten dieser Art in meine Hände, und stände darin, Armfeld und Adlercreutz dürsten nach meinem Thron und Blut, es würde doch nicht meinen Willen ändern. Ihr seid General der Westarmee, Armfeld, und werdet es bleiben, so lange ich es befehle. Ihr, Adlercreutz, werdet den Marschall Klingspor unterstützen und Chef seines Generalstabes sein.
Mit diesen stolzen Worten reichte er dem General nochmals die Hand zum Kusse, als der Generaladjutant Mellin hereintrat und seinen schwarzen Stab vor dem Könige senkend meldete, daß Se. königliche Hoheit, der Herzog von Südermannland, soeben im Schlosse angelangt sei.
Mein Oheim! rief Gustav Adolph erstaunt. Das ist ein seltener Besuch. Seine Stirn verdüsterte sich mehr noch als gewöhnlich und seine kalten Augen rollten lebhafter; nach einigen Augenblicken jedoch nahm sein Gesicht die stolze, strenge Würde wieder an, welche er für unerläßlich hielt. Lebt wohl, Armfeld, sagte er, ich will Euch nicht länger aufhalten. Und wie ich Euer gnädiger König bleibe, so hoffe ich bald auch von Euch Dinge zu hören, die mich freuen. Geht in die Gallerie, Adlercreutz, und wartet dort, Sie aber, Freiherr Ehrenheim, dictiren Sie inzwischen dem Cabinetssecretär Wetterstadt meinen Befehl an den dänischen Grafen Moltke, sofort Stockholm zu verlassen.
Der weißhaarige Minister machte eine stumme, tiefe Verbeugung und warf einen ausdrucksvollen, bangen Blick auf seinen Herrn, den 553 dieser nicht beachtete. Dann entfernte sich Ehrenheim nach einer Seite in die Kanzelei, die Generale aber zur anderen Hand in die Gallerie, aus welcher, eben als sie den Eingang erreichten, der Herzog von Südermannland ihnen entgegentrat.
Der Ceremonienmeister, Oberst Mellin, öffnete die Thür und der Herzog ging hart an den beiden Generalen vorüber, die sich ehrfurchtsvoll neigten. Ein leises Lächeln begleitete seinen Gruß, den Adlercreutz erhielt, über Armfeld sah er fort, als sei er nicht vorhanden; hierauf schritt er auf den König zu, der steif, den Kopf im Nacken, in der Mitte des Zimmers stand, und eher mit befremdender Kälte als mit Zuvorkommenheit seines Vaters Bruder und seinen ehemaligen Vormund empfing.
Der Herzog war kleiner als der König, damals sechszig Jahre alt, von rüstiger breiter Gestalt, festen starken Gesichtszügen, welche durch ungewöhnlich große Augen belebt wurden und einen gewissen freundlichen und gutmüthigen Ausdruck erhielten. In seiner Erscheinung lag etwas Plumpes und Gewöhnliches; man sah es ihm an, daß er ohne Thatkraft war, denn seine Züge waren schlaff und seine Augen matt, obwohl es ihnen nicht an einem schlauen Ausdruck fehlte. Dies war der Mann, welcher Schweden vier Jahre lang regiert hatte, und dem man nachsagte, daß er seinen Neffen nicht weniger hasse, als er dessen Vater gehaßt hatte, und von dem es bekannt war, daß er den größten Theil seiner Zeit mit Tabakrauchen und mit dem Studium allerlei Geheimschriften über Freimaurerei, egyptischer Wahrsagerei, Astrologie und anderer gefährlichen schwarzen Künste verbringe.
Der Herzog reichte dem Könige seine Hand hin und begrüßte ihn mit einigen glückwünschenden Worten, die Gustav Adolph erwiederte, ohne von seinem feierlichen Ernst abzulassen. Ich kann mir denken, sagte der Herzog, daß mein Besuch Ihnen unerwartet ist, mein Neveu, allein Sie wissen von mir, daß ich nur in dringenden Fällen von meinem Rechte Gebrauch mache, Sie zu jeder Zeit zu sprechen.
Sie sind mir immer willkommen, antwortete Gustav Adolph, eben jetzt aber um so mehr, da ich in unerhörter Weise überfallen werde und genöthigt bin, mich und Schweden mannhaft zu vertheidigen.
554 Wir hätten früher wohl Gelegenheit gehabt, uns der russischen Freundschaft für immer zu versichern, begann der Herzog, aber der König ließ ihn nicht weiter reden. Die Hindeutung auf jenen bekannten Besuch des Königs und seines Vormunds in Petersburg, um Katharina's Enkelin zu heirathen, der damit endete, daß Gustav Adolph plötzlich abreiste und die große Czarevna in Wuth und Schaam zurück ließ, brachte ihn auf. Ich glaube, sagte er, rauh die Worte hervorstoßend, daß ich nicht nöthig habe, daran gemahnt zu werden. Sie berufen sich auf Ihr Recht, mich zu sprechen. Was ist es, das Sie zu mir führt?
Die Lage des Reichs, Ihre eigene Lage, antwortete Karl von Südermannland mit überlegener Ruhe.
Ich habe für Beides gesorgt, fuhr der König fort. Jeder Schwede muß mit mir die Schmach empfinden, die uns angethan wird, und den letzten Blutstropfen, den letzten Thaler daransetzen, um sie abzuwaschen.
Das wird Jeder thun, versetzte der Herzog, allein, ehe man dies Äußerste versucht, wird man sich fragen müssen, ob ein so schreckliches Unglück nicht abgewandt werden kann.
Es kann nicht abgewandt werden! erwiederte der König. Nicht ohne tiefe Demüthigung, ohne Unrecht und Gewalt zu ertragen.
Das Alles wäre abzuwenden, wenn Sie sich zur Nachgiebigkeit entschlössen, fiel der Herzog ein. Der Friede mit Frankreich zieht den Frieden mit Rußland und Dänemark von selbst nach sich.
Still! rief der König, indem er mit dem Fuß aufstampfte, was er immer that, wenn sein Zorn ihn übermannte. Das Gesicht des Herzogs röthete sich, seine großen Augen machten sich weit auf; er lächelte, aber seine breiten Lippen zuckten dabei zusammen.
Ich bitte Sie nicht heftig zu werden, mein Neveu, sagte er; leugnen aber kann Niemand, daß der Kampf, in welchen Schweden jetzt gestürzt wird, einer ist, der seine Kräfte bei Weitem übersteigt. Rußland hat sechszigtausend Mann in Finnland einrücken lassen, und wenn wir auch an die Verräthereien nicht glauben wollen, die dort im Werke sind, so ist es dennoch unmöglich, das Land zu behaupten.
555 Oft schon ist es behauptet worden. Mein Vater hat es gethan! Ich werde mich nicht schrecken lassen! unterbrach ihn der König, indem er mit großen Schritten bis an den Tisch ging. Sprechen Sie mir nicht von Frieden. Eher will ich Hand und Haupt verlieren, ehe ich mich also schänden lasse!
Der Herzog blickte nachsinnend auf seinen Hut, den er in der Hand hielt. Ich sehe leider, begann er mit gedämpfter Stimme, daß Alles, was ich zu sagen wüßte, Ihnen eben so unangenehm sein würde, wie es fruchtlos gesprochen wäre. Ich erkenne das Unrecht und die Gewalt vollkommen, die Alexander verübt. Er will Finnland um jeden Preis, wir liefern es ihm in die Hände.
Nicht wir! nicht ich! rief der König. Ich will das Rechte, ich hasse die Sünde. Gott ist mein Zeuge, daß ich ein ehrlicher Mann bin! aber was Recht ist, muß Recht bleiben, und keine Macht der Welt soll mich zwingen, einen Strohhalm breit von meinem Rechte aufzugeben!
Herzog Karl zuckte leise die Achseln. Auch die Klugheit hat ihr Recht, sagte er. Niemand darf sich ihr entziehen. Darum, mein Neveu, bitte ich Sie inständig, lassen Sie diese walten.
Klugheit, antwortete Gustav Adolph rauh und mit messendem Blick, ist oft Feigheit und führt zum Verrath an der eignen guten Sache.
Aber wohin, sagte der Herzog warnend, führt zu großes Selbstvertrauen?
Nicht auf mich, auf Gott vertraue ich! fiel der König ein, und indem er auf seine Brust klopfte, setzte er diesmal seine Lieblingsworte hinzu: Ehrlich währt am längsten! Er wird mich nicht untergehen lassen!
Dann wenigstens, fuhr der Herzog dringend fort, verschlimmern Sie nicht durch allzugroße Heftigkeit Ihre Lage. Sie haben den russischen Gesandten verhaften lassen. Das ist gegen das Völkerrecht.
Ich that's, versetzte der König, und noch mehr; den dänischen Gesandten werde ich zu meinem Hause hinauswerfen. Mit Escorte lasse ich ihn über die Grenze bringen.
Unmöglich! rief der Herzog erschrocken, das werden Sie nicht thun!
556 Mit allen Intriguanten, allen heimlichen Aufpassern und Verräthern werde ich kurzen Proceß machen. Ich kenne die Menschen, die hinter meinem Rücken Pläne schmieden, aber, bei Gottes Thron! wer sie auch sein mögen, sie können sich in Acht nehmen.
Der Herzog wechselte die Farbe, denn der König sah ihn starr dabei an; gleich darauf aber hob Karl von Südermannland den Kopf auf und antwortete mit ruhiger Stärke: Ich bin Ihr nächster Verwandter, mein Neveu, und bin ein alter kinderloser Mann, der nicht lange mehr zu leben hat. Was ich sage, gibt mir die Sorge für Ihr Wohl und für das Wohl meines Vaterlandes ein, und diese befiehlt mir Sie zu warnen. Hören Sie auf die Stimme Ihres Volkes, hören Sie die Stimmen treuer Diener und Freunde. Schließen Sie Frieden mit Rußland, ehe ein unglücklicher Krieg die letzten Kräfte Schwedens verzehrt, und glauben Sie mir, daß Niemand williger Blut und Leben für Sie und Ihr Heil opfern möchte, als ich dazu bereit bin.
Wie Sie dies öfter schon gethan haben! sagte der König hart, und indem er einen Schritt näher trat und vor dem Herzog stehen blieb, fügte er hinzu: Als mein Vater in der Wiborger Bucht von der russischen Flotte eingeschlossen wurde, wer war es, der ihm rieth, einen Frieden um jeden Preis abzuschließen? Mein Vater aber antwortete: Keinen schimpflichen Frieden, wir müssen fechten und siegen oder sterben! Und das sage ich auch und will es halten, bis zum letzten Tage.
Die Erinnerung an die Wiborger Bucht, wo Herzog Karl allerdings für Capitulation und Unterwerfung gestimmt hatte, trieb ihm das Blut in den Kopf. Mein Bruder, sagte er, war bei alledem ein Mann, der guten Rath nicht von sich wies und bei hoher Energie weit entfernt von eigensinniger Hartnäckigkeit.
Ich freue mich über Ihr Urtheil, entgegnete Gustav Adolph. So lange mein Vater lebte, hat er dergleichen nicht von Ihnen gehört.
Ich wollte, ich könnte ihn aufwecken aus seinem Grabe! rief der Herzog schmerzlich erregt, damit er sehen könnte, was aus uns geworden ist.
Der König preßte seine Lippen zusammen, die Adern schwollen auf seiner Stirn, mit großer Mühe suchte er sich zu beherrschen; einige Minuten lang aber konnte er keine Worte finden. Endlich war er so 557 weit mit seiner feierlichen Würdigkeit, sagen zu können: Ich danke Ihnen, königliche Hoheit, für Ihre Bemühungen, verbitte mir aber in Zukunft Alles, was nicht Ihre Sache ist. Ich bin König in Schweden; wehe dem, der meine Krone anrührt!
Die Heftigkeit, mit welcher er sprach und den Arm, den er aufhob und zornig schüttelte, machte, daß der Herzog bestürzt zurücktrat und mit lauter Stimme rief: Es rührt Niemand Ihre Krone an, Majestät, am wenigsten ich, der ich berufen bin, diese zu vertheidigen!
Indem er dies sagte, hörte er hinter sich das Rauschen eines Gewandes, und eine sanfte Stimme, die einige leise Worte flüsterte. Als er umblickte näherte sich ihm eine junge, schöne Dame, von hoher, schlanker Gestalt, deren Gesicht außerordentlich blaß war und deren Augen bittend und bewegt auf ihn blickten. An jeder Hand führte sie ein Kind. Einen Knaben von acht oder neun Jahren und ein Mädchen, welches einige Jahre jünger war.
Die Königin! murmelte der Herzog sich tief verbeugend.
Friederike Dorothea versuchte zu lächeln, als er ihre Hand küßte. Sie neigte den Kopf gegen ihren finsteren Gemahl, der seine Arme gekreuzt, unbeweglich blieb, selbst gegen seine Kinder, die er sehr liebte und welche zu ihm laufend, ihn Papa nannten und seine Kniee umfaßten. Die Königin war eine deutsche Prinzessin, die Tochter des Herzogs von Baden, und damals noch nicht sechsundzwanzig Jahre alt. Die Schweden, welche die Deutschen haßten, da ihr König diese besonders bevorzugte, liebten doch diese sanfte, gütige, immer milde und großmüthige Frau, die wie ein Genie der Versöhnung neben dem heftigen, gebieterischen Gatten stand. Hätte Friederike Dorothea größeren Ehrgeiz und schärferen Verstand besessen, wäre sie, wie manche Königin vor ihr, ein politischer Charakter gewesen, so würde es ihr vielleicht gelungen sein, den König weiser und einsichtiger zu machen, sie würde ihn beherrscht oder eine unglückliche Ehe geführt haben. Statt dessen war sie auch gegen diesen hartnäckigen Mann die weiche, unterwürfige Frau, die mit ihren Thränen und Bitten zuweilen ihm etwas abrang, weil er sie nicht weinen sehen mochte, aber ihr Herz war voll scheuer Furcht vor Unglück, das ihr Kopf ahnte, und in ihrem Gesicht lag 558 ein Zug des Leidens und Duldens, das im reichsten Maße ihr zu Theil werden sollte.
Thränen hingen auch jetzt in ihren schönen, bangen Augen, als sie die dunkel geröthete Stirn des Herzogs von Südermannland und die düsteren Falten um den Mund des Königs erblickte. Sie zitterte davor, denn unbekannt war es ihr nicht, welche Abneigung zwischen den beiden Verwandten bestand und was von dem Herzog erzählt wurde. Der König hatte oft heimlich zu ihr über seine Feinde, über Jakobiner, Atheisten und Verräther geklagt, und es mochte wohl dabei vorgekommen sein, daß er den Namen des Herzogs damit vermischt hatte, der auf Frieden und Versöhnung mit Napoleon Bonaparte drang. Der Instinct einer liebenden Frau sagte ihr, daß Karl von Südermannland nicht als Feind ihres Gatten aus Gripsholm gehen durfte, daß es zu keinem offenen Bruch zwischen Oheim und Neffen kommen, vielmehr Beide versöhnt werden mußten. Und von diesem Gedanken getrieben faßte sie die Worte auf, welche der Herzog zuletzt gesprochen, indem sie seine Hände festhielt und mit flehenden, ausdrucksvollen Blicken auf ihre Kinder deutete. Ja, mein theurer Oheim, sagte sie, beschirmen Sie meinen Gustav, dessen edles Herz so viel zu leiden hat; beschützen Sie auch meine Kinder, die ihre Bitten für Sie zu Gott richten.
Madame, antwortete der Herzog gerührt, was könnte ich anders thun und was dürften Sie anders von mir erwarten?! Auf diesem Kinde – er legte seine Hand auf den Kopf des Knaben – ruhen ja auch meine Hoffnungen, die Hoffnungen des ganzen Landes, und mein Neffe – er sah zu dem Könige hin – wo Feinde ihn bedrohen, wo er zu leiden hat, wer könnte ihm näher stehen, als ich!
Haben Sie Dank! innigen Dank und Segen! flüsterte die schöne Königin. – Sie hob den Knaben auf, und ihren flehenden Augen folgend, nahm ihn der Herzog in seine Arme und die kleine Prinzessin strebte an ihm empor. Diese Kinder, Madame, sind ja auch meine Kinder, fuhr er dann bewegt fort. Was könnte ich wünschen oder hoffen, ich, der ich alt bin und dessen Leben bald verronnen ist, als daß mein Haus, dies königliche Haus von Schweden, groß, glücklich und mächtig bis in Ewigkeit blühe. Und diese Kinder sichern unsere Zukunft. Sie selbst, Madame, so jung, so schön und allgeliebt, mein 559 Neffe in der Blüthe seines Lebens. Ich bin ein alter Baum ohne Zweige, allein mein Herz ist noch warm und jung. Ich fühle, Madame, ich fühle tief, daß ich vereinsamt und verlassen bin.
Der König, welcher bisher in seiner Unbeweglichkeit verharrte, war milder geworden. Die Liebe, welche der Herzog seinen Kindern bezeigte, schien ihn zu erweichen, die Klagen des greisen Oheims erweckten sein Mitleid; er empfand eine gewisse Reue über die Härte, mit welcher er ihn behandelt hatte. – Was ist die Ursach? fragte er so versöhnlich, als ihm dies möglich war.
Mißtrauen! antwortete der Herzog den Knaben küssend, der seine Arme ihm um den Hals geschlungen hatte.
Das soll nicht sein! rief der König, indem eine der edlen Eingebungen, die ihn zuweilen überkamen, ihn fortriß, wir wollen dies Mißtrauen auf immer verbannen, mein Oheim, es soll fortan nicht mehr vorkommen. Ich will Ihnen den Beweis geben, daß ich keine Spur davon in mir trage. Stehen Sie mir bei mit Rath und That. Damit Schwedens Feinde besiegt und der Friede möglich werde, ernenne ich Sie zum Oberbefehlshaber des gesammten Heeres.
Der Herzog ließ den Kronprinzen an sich nieder gleiten, denn der König breitete seine Arme aus, und neben den beiden ersten Männern im Reiche stand die Königin, deren Freudenthränen auf ihre Kinder fielen.
Nach einigen Minuten sagte der König: Morgen, mein Oheim, will ich unsere herzliche Vereinigung öffentlich feiern. Ich will ein Fest in Stockholm geben und dort verkündigen, daß Sie den Oberbefehl übernommen haben. Wir wollen vertrauungsvoll in die Zukunft blicken, denn Gott wird mit uns sein und wird diese Stunde segnen. Begleiten Sie jetzt die Königin und bleiben Sie bei ihr, ich komme, sobald ich hier noch einige dringende Geschäfte abgemacht habe. Wir wollen unsere Herzen ausschütten, und dieser Tag soll niemals von uns vergessen werden.
Der Herzog antwortete mit einigen ähnlichen betheuernden Worten, dann folgte eine nochmalige Umarmung, hierauf reichte der Herzog der Königin seinen Arm und Gustav Adolph begleitete sie bis zur Thür, wo er umkehrte und eine Zeit lang mit großen Schritten lebhaft auf und nieder ging.
560 Otho hatte in dem kleinen halb finstern Cabinet alle diese Vorgänge mit angehört, auch zum Theil mit angeschaut, denn die Thüre war nicht ganz geschlossen, sondern nur angelehnt. Er wagte es nicht den Platz zu verlassen, denn er wußte nicht wohin er sich wenden sollte; da er aber ein unfreiwilliger Zeuge dieser Auftritte geworden war, sagte ihm sein Verstand, daß er am besten thun würde sich ganz ruhig zu verhalten, und einen günstigen Zeitpunkt abzuwarten, um unbemerkt in die Gallerie zu entschlüpfen, denn angenehm konnte es dem Könige nicht sein, wenn er erfahren sollte, daß er nicht allein gewesen.
Diese Hoffnung ging jedoch nicht in Erfüllung, denn plötzlich in seinen Schritten inne haltend, sagte der König vernehmlich: Ich glaube es nicht! Nein, ich glaube es nicht! und bei diesen Worten stieß er die Thür auf, und erblickte Otho Waimon, der ihr gerade gegenüber stand.
Er schien davon überrascht, aber er schwieg. Erkannt hatte er ihn sogleich. Treten Sie herein, sagte er, indem er selbst zurücktrat, stehen blieb und ihn mit seinen unbeweglichen Blicken betrachtete.
Furchtlos hielt der junge Mann diese Blicke aus, obwohl des Königs Gesicht streng aussah und sich noch mehr verfinsterte. Er liebte es, wenn ihm die Zeichen scheuer Ehrfurcht und Unterwürfigkeit gezollt wurden, unser Finne aber hatte etwas in seinem Wesen, als sei er durchaus nicht von dem Grauen vor der Majestät ergriffen.
Wie lange standen Sie dort? fragte der König in seiner rauhen hastigen Weise.
Seit General Adlercreutz mich hineintreten hieß, antwortete Otho.
Der König schwieg wieder ein Weilchen. Sie hörten, was hier vorging? fragte er dann.
Ja, Majestät.
Der König drehte sich um, ging durch das Zimmer ans Fenster und sah in den Schloßhof hinab. Eine peinliche Stille herrschte. Die Lage war äußerst unangenehm für den Wartenden, obwohl er sich damit beruhigte, daß er nichts Böses begangen habe. Die Zeiten waren vorbei, wo man die zufälligen Entdecker von Staatsgeheimnissen oder was dafür gelten konnte, auf immer beseitigte, auch hatte 561 er keine Geheimnisse gehört, sondern nur einer Familienscene beigewohnt, die freilich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war.
Eben so plötzlich, wie der König sich von ihm gewandt hatte, kehrte er wieder zurück. Sie haben eine gefahrvolle Reise gemacht, sagte er, um mir Nachrichten zu bringen, die sich wenigstens zum Theil bestätigt haben. Gott möge es verhüten, daß der andere Theil eben so zur Wahrheit wird. Thun läßt sich nichts mehr. Sweaborg ist eingeschlossen. Ich habe die Nachricht erhalten, daß General Suchtelen es belagert.
Dann ist Sweaborg verloren, sagte Otho.
Nichts ist verloren, wenn es Gottes Wille nicht ist, daß es so sein soll! fuhr der König fort und seine Augen wandten sich seitwärts, wo an der Wand auf einem Tische ein Crucifix stand, vor welchem eine aufgeschlagene Bibel lag. – Ich bin Ihnen Dank schuldig, fuhr er fort, denn ich erkenne Ihre treue Anhänglichkeit an mir. Wollen Sie in meine Dienste treten?
Nein, Majestät, versetzte Otho, ohne sich zu bedenken.
Nicht? fragte der König, der gereizt durch jeden Widerspruch war, um so mehr durch den so kurz entschiedenen eines jungen unbedeutenden Mannes, dem er wohl thun wollte. Warum nicht? Ich will Sie in meine Trabantengarde aufnehmen.
Ich habe eine Schwester in Finnland, für welche ich sorgen muß, sagte Otho, auch manche Andere, die nicht wissen, was aus mir geworden ist.
Man kann Ihre Verwandten benachrichtigen, fiel der König ein, wenn das Ihr Grund zur Ablehnung ist.
Ich glaube, daß ich Eurer Majestät bessere Dienste in Finnland leisten kann, als ich es hier vermöchte, entgegnete Otho. In Tavastland und Savolax denke ich in kurzer Zeit eine gute Zahl tapferer Bursche um mich sammeln zu können, die ihr Ziel nicht verfehlen.
Das Volk aufrufen! sagte der König im scharfen Tone.
Ein Volkskrieg muß es werden, Majestät, wenn die Russen aus Finnland wirklich noch einmal herausgeschlagen werden sollen.
Dafür habe ich Soldaten, sagte Gustav Adolph. Jakobinerwirthschaft will ich nicht im Lande haben.
562 Wenn die Finnländer Waffen gehabt hätten, versetzte Otho, und in den Waffen geübt worden wären, wie es in diesem Grenzlande nöthig war, würden die Russen nicht so oft schon das Land erobert und die Bevölkerung ermordet haben. Wir bedürfen einer militärischen Organisation; daß diese uns nicht gegeben wurde, ist der schwere Fehler aller schwedischen Regierungen gewesen, der jetzt leicht den ganzen Besitz kosten kann.
Der König schwieg, wahrscheinlich vor Erstaunen über eine Sprache, die er vielleicht nie in dieser Weise, am wenigsten aber von einem Manne ohne jeden Rang und Stand, gehört hatte.
Hätten unsere Bauern die Gewehre erhalten, welche jetzt in Tavastehuus den Russen in die Hände gefallen sind, fuhr Otho, ohne sich stören zu lassen, fort, so könnten unsere Berge für lange Zeit der Schauplatz eines hartnäckigen Krieges werden, der uns die größten Vortheile böte. Und noch jetzt kann dies geschehen, wenn das Volk unterstützt wird. Die Russen werden nicht wagen gegen den Norden vorzugehen, wenn sie wissen, daß in ihrem Rücken der Volksaufstand von allen Seiten losbricht. Hätten wir nur Waffen und Pulver genug, so wollte ich meinen Kopf darauf verpfänden, daß die Feinde lange mit uns zu schaffen haben sollten.
Volksaufstand! murmelte der König mit finsterer Stirn; er konnte kein unangenehmeres Wort hören. Der Bauer gehört an den Pflug, Aufrührer hängt man auf.
Wer sein Vaterland vertheidigt, ist kein Aufrührer, sagte Otho, der ganz zu vergessen schien mit wem er sprach, und um zu den Waffen zu greifen, wenn seine heiligsten Rechte bedroht sind, ist jeder Mann geboren. Das finnische Volk hat noch niemals Aufruhr gestiftet, aber es liebt seine Freiheit und haßt Gewalt und Unterdrückung.
Still! rief der König mit dem Fuß stampfend, indem er den Verwegenen zornig anblickte, der diese verpönten Worte auszusprechen wagte. Schändliche Lehren, fuhr er fort, bringen ganz Europa in Schmach und Schande. Ich dulde sie nicht und rathe Jedem sich vor Ansteckung zu hüten. Sie sind ein Verwandter des Freiherrn Randal, wie man mir gesagt hat. Er ist ein Jakobiner, ein Mensch, der Unzufriedenheit ausstreut, Widersetzlichkeiten begeht und dazu aufreizt.
563 Mein Vetter ist ein sehr edler, aufrichtiger Mann, fiel Otho unerschrocken ein, aber freilich Ungerechtigkeiten duldet er nicht und schützt Jeden davor, den er schützen kann. Man hat ihn bei Ihnen verleumdet, Majestät.
Still! rief der König noch einmal und noch zorniger. In meinem Lande geschehen keine Ungerechtigkeiten, doch ich kenne diese Familie; von je an hat sie an allem Schlechten Theil genommen. An Verrath, sogar am Angelabunde.
Das ist allerdings wahr, allein – was Otho weiter sagen wollte, wurde ihm durch eine Bewegung des Königs abgeschnitten, der seinen Arm aufhob und schüttelte und im rauhen Tone sagte: Da Sie meine Gnade nicht annehmen, so thun Sie, was Sie wollen, aber hüten Sie sich, Volksaufstände anzuzetteln. In die Regimenter sollen die Leute gehen, sollen Soldaten werden, denen man vertrauen kann. Meine Garden werden zum Frühjahr nach Finnland marschiren, große Leute können auch bei ihnen eintreten.
Otho stand stumm. Es überkam ihn die trostlose Gewißheit, daß Finnland verloren sei. Das einzige Mittel, es zu retten, lag in den entschlossensten Anstrengungen mit Aufbietung aller Kräfte und Mittel und unter diesen waren Volksaufstände und die Errichtung von Freischaaren gewiß nicht zu verwerfen. Statt dessen hörte er die heftigen Drohungen des Königs, der auch jetzt nur Aufruhr und französisches Revolutionswesen fürchtete und mit blödsinniger Stumpfheit von seinen Garden das Beste erwartete, bei denen langgewachsene Bursche sich melden konnten.
Was wollen Sie also thun? fragte Gustav Adolph milder. Wollen Sie bei mir bleiben?
Ich passe nicht hierher, allergnädigster Herr.
Ich will Ihnen wohl, fuhr der König fort, Sie sollen befördert werden.
Ich bin kein Undankbarer, sagte Otho lebhaft. Wollte Gott, ich könnte für Ew. Majestät jemals etwas Rechtes thun, doch hier bleiben kann ich nicht.
Warum nicht?
Weil ich doch bald meinen Platz räumen müßte.
564 Wie meinen Sie das? fragte der König mit einem schwachen Lächeln, das selten in sein hartes Gesicht trat.
Ich bin ein freier Mann, Majestät, erwiederte Otho, indem er sich stolz aufrichtete, nicht gewohnt zu thun, was mir widerstrebt.
Der König trat würdevoll zurück und hüllte sich in seine feierliche Kälte. Sclaven halte ich nicht, sagte er, Ungehorsam aber dulde ich nicht, mag ihn versuchen, wer da will. Gehen Sie!
Er machte eine Bewegung mit der Hand nach der Thür, welche in die Gallerie führte, und Otho verbeugte sich dreimal nach der Vorschrift, welche er gelernt hatte. Er war im Herzen froh, daß er ungnädig entlassen wurde, denn hätte ihm der König seine Hand gereicht, so würde es ihm unmöglich gewesen sein, diese zu küssen, ob es auch alle Minister und Generale thaten. Bei der dritten Verbeugung öffnete er die Thür und mit einem tiefen Athemzuge trat er in die Gallerie, welche mit Generalen, Räthen und Hofleuten gefüllt war. Adlercreutz hielt ihn am Arm fest, sah ihn an und sagte: was hat es gegeben? Sie haben seinen Dienst ausgeschlagen. Sehr gut! Sie sollen mir Alles erzählen; aber warten Sie hier, bis ich zurückkomme. In einer Stunde reisen wir.