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9.

Und dieses ist es, was ich sage, Thereschen! rief Herr Frohlieb zu derselben Zeit, indem er äußerst lustig sich in die Hände rieb und dann den Zeigefinger aufhob und Weisheitsfalten zog. Es ist unsere Pflicht als Menschen und Christen, immer das Allerbeste von unseren Zeitgenossen zu glauben, warum sollten wir es also nicht auch von diesem Falle thun? Er ist zwar ein Fuchs, vor dem man sich am meisten hüten muß, wenn er ein frommes Gesicht macht und in die Kirche gehen will, und Sie können ihn nicht ausstehen, allerschönste Frau, ich weiß es

O! rief Madame Petermann lächelnd, indem sie sich zu der kleinen Frau wandte, neben welcher sie saß, was der Papa nicht alles wissen will! Der Finanzrath hat mir niemals so übel gefallen. Ich halte ihn für einen sehr feinen Mann.

Fein, superfein! schrie Herr Frohlieb, dieses ist durchaus wahr und richtig.

Auch halte ich ihn für Wilhelms wahrhaften Freund, fuhr Madame Petermann fort, da er einen so innigen Antheil an ihm nimmt.

Hm! allerdings – gewiß – vielleicht, versetzte Herr Frohlieb nachdenklich an sein langes Kinn fassend, aber aus welchen Wirkungen, Thereschen, schließen Sie auf diese Ursachen?

Sie haben mir ja selbst gesagt, erwiederte die junge Frau, daß der Herr Finanzrath – ach, warum sollte ich es wiederholen.

Richtig! rief Herr Frohlieb, bei meiner Seele! das hat er gesagt. Wilhelm ist ein Narr, sagte er, man muß es jedoch jetzt dulden. Er muß einsehen, daß er Unrecht hat, und dahin wird er schon gelangen, das lassen Sie meine Sorge sein.

Das ist doch sehr edel von ihm.

Ja, wenn es wahr ist, grinste der Papa kopfnickend.

Aber warum sollte es denn nicht wahr sein?

Weil, sagte Herr Frohlieb, weil – er wollte nicht sagen, was Leisegang hinzugefügt hatte, daß es übermäßig dumm sein würde, wenn Wilhelm sich das Geld entgehen ließe – ja weil man niemals wissen kann, was dieser Finanzrath eigentlich im Schilde führt.

Was kann er denn hier im Schilde führen? fragte Madame Petermann. Denken Sie, beste Mama, daß er etwas im Schilde führt?

Ich denke wirklich gar nichts mehr, antwortete die kleine Frau seufzend. Es ist traurig, wenn man Wilhelm ansieht, er wird alle Tage magerer.

Ach das ist kein Unglück, Mama, fiel Herr Frohlieb belehrend ein. Nur nicht fett werden, nur keinen Bauch bekommen, zumal in der Jugend. Wenn der Finanzrath keinen Bauch hätte, würde er den liebenswürdigen Damen ganz anders gefallen.

Er gefällt ja einer sehr geistreichen Dame, die sich sterblich in ihn verliebt hat, lachte die hübsche Frau.

In ihn verliebt? glauben Sie? schrie Herr Frohlieb. Die soll wohl noch geboren werden, die sich in den verliebte.

Eine Närrin ist sie, ja das ist sie! fügte die kleine Frau hinzu. Ich nähme ihn nicht, so alt ich bin!

Aber Mama! dieses muß ich mir auch verbitten, sagte Herr Frohlieb mit einer weiten Bogenschwenkung, ich werde mich auf keinen Fall scheiden lassen.

Ein Mann braucht nicht schön zu sein, wenn er klug ist und eine hohe Stellung hat, antwortete Madame Petermann, Aber sieht denn Wilhelm wirklich so angegriffen aus?

Sehr angegriffen in seinen innersten Verhältnissen, versetzte Herr Frohlieb.

Wie ist denn das möglich, beste Mama?

Er grämt sich wohl, seufzte die kleine Frau.

Warum grämt er sich? Ich sehe keinen Grund dazu; oder ist ein solcher vorhanden?

Nichts ist vorhanden! rief Herr Frohlieb. Einbildung, schlechte Verdauung, Druck auf die Leber, Gram, oh! –

Er blickte über die Schulter und sah seinen Sohn hereintreten.

Da kommt er eben, wo man vom Wolf spricht, schrie er ihm vergnügt entgegen. Wie so, Gram, Willem? Komm hierher, mein Junge, sieh Deinen Vater an. Es ist auch so eine von den krankhaften, modernen Erfindungen, der Gram. Warum soll ein Mensch sich grämen, wenn er Grundsätze hat, nach denen er handelt? Alles richtig überlegt, so ist es die allergrößte Thorheit, wenn ein fein irdisches Dasein genießendes Wesen sich grämen will.

Du hast Recht, lieber Vater, ich gräme mich auch nicht, erwiderte Wilhelm.

Wie ich es sagte, Thereschen! rief Herr Frohlieb. Er grämt sich nicht – wo wäre denn auch eine Ursache dazu? Und es ist auch nicht wahr, Mama, daß er so schrecklich mager geworden wäre. Sehen Sie, herzliebstes Thereschen, sehen Sie diesen kraftvollen Wuchs an und diese Brust dazu.

Er schlug ein fröhliches Gelächter auf, indem er seinen Sohn näher führte, der sich nicht dagegen sträubte und Herrn Frohliebs günstige Meinung noch mehr bestätigte, da eine frischere Färbung in sein Gesicht trat. Sanftmüthig und mit einem schwachen Lächeln reichte er seiner Mutter die Hand hin. Die kleine Frau warf einen stolzen Blick auf ihn, und dann einen einladenden auf die hübsche Wittwe, welche noch immer stumm war und ihre Augen auf Alles richtete, nur nicht auf den nahenden Freund.

Er beobachtete sie, indem er sich verbeugte und ihr einige freundliche Worte sagte, aber durch sein Mark lief dabei ein fröstelnder Schauer, den er gewaltsam überwinden mußte. Auf dem Wege hierher war es ihm gewesen, als könne er ihr jetzt ins Gesicht lügen, nun er aber vor ihr stand, schnürte ihm eine nicht abzuschüttelnde Gewalt die Kehle zu. Sie war weder häßlich, noch unangenehm. Dennoch konnte er unmöglich sich vertraulich zeigen. Er hatte das Gefühl, als strecke er die Hand nach etwas Entsetzlichem, Eiskaltem aus, und in dieser Bedrängniß füllte sich sein ganzes Gesicht mit dunkler Röthe, und seine Verlegenheit war so groß, daß er sich beim Sprechen verwirrte und einhalten mußte, als Madame Petermann endlich zu ihm aufblickte.

Sein Anblick war ein Triumph für sie, denn er sah schülerhaft beschämt und fassungslos aus. Ihre blaugrauen, grellen Augen strahlten vor Vergnügen, die schmalen, zusammengekniffenen Lippen konnten ein übermüthiges Lachen kaum mehr hindern. Hätte er diesen Augenblick benutzt, wäre er ihr zu Füßen gefallen, oder hätte auch nur in dieser Verwirrung aus einiger Entfernung ihre Vergebung angefleht, diese würde ihm auf der Stelle geworden sein; allein dahin gelangte er nicht, und die junge Frau ergötzte sich an seiner scheuen Unbehülflichkeit, ohne ihm zu Hülfe zu kommen.

Wirklich, Herr Frohlieb, sagte sie endlich, als er nicht weiter konnte, ich freue mich, Sie so wohl zu sehen. Man hatte mir erzählt, daß Sie äußerst angegriffen aussähen.

Ich habe mancherlei Gemüthsbewegungen gehabt, erwiderte er stockend.

Aber warum haben Sie sich nicht zerstreut? fragte die hübsche Wittwe, von seiner Antwort noch mehr belustigt. Ich weiß das freilich nicht, vielleicht waren Sie häufiger bei Lustbarkeiten, als ich denke.

Ich war sehr viel allein, da meiner Stimmung dies am besten schien, wie überhaupt zerstreuende Gesellschaften nicht meine Sache sind.

Was wollten Sie noch hinzufügen? fragte sie, als er schwieg.

Ich wollte nur die allgemeine Bemerkung machen, daß ein Jeder wohl zu Zeiten am liebsten allein ist, wenn er nicht da sein kann, wo er noch lieber in Gesellschaft wäre.

Sehr richtig! rief Herr Frohlieb, allein aus dieser innerlichen Betrachtung geht das denkende Wesen hervor, sobald es sein Geschäft mit sich abgeschlossen hat.

Sollte dies wirklich der Fall sein? lachte Madame Petermann, und der Blick, den sie auf ihren Anbeter warf, war so schelmisch einladend, daß eine Erklärung sehr nahe lag; allein Wilhelm schien davon nichts zu bemerken. Er sah starr vor sich hin und stand dann in größter Unruhe auf.

Sage uns also ein für alle Male die Wahrheit, mein Junge! schrie Herr Frohlieb, ob Deine mercantilischen Grundsätze nunmehr ins Reine gekommen sind.

Ich denke, daß diese eigentlich niemals in Frage gestellt waren, sagte der junge Mann, indem er Wort für Wort aussprach; abgesehen aber von allem Andern, was mich bestimmen könnte, ist mein Herz und dessen Gefühle – Er hob seine Hand auf und legte diese langsam auf seine Brust, zugleich hob er seine Augen auf und sah die hübsche Wittwe schwermüthig an. Sie lachte, und obwohl mit einer Miene, die Unschuld ausdrücken sollte, hatten ihre Blicke einen so boshaft spottenden Glanz, daß wiederum sein ganzer Kopf wie mit Blut bedeckt aussah und die Stimme ihm den Dienst versagte. Es war ihm unmöglich, weiter fortzufahren, unmöglich, auch nur durch ein Zeichen, oder durch einen verzweiflungsvollen Entschluß ein Ende zu machen. Er fühlte davor ein Entsetzen, das ihn zur Flucht trieb.

Ich kann diese Frau nicht lieben, kann nicht mit ihr leben! schrie eine Stimme in ihm, und eine andere antwortete mit derselben Gewalt: Du mußt, Du Narr! Was hast Du Dir gelobt? Du mußt!

In einer Minute bestand er einen langen, entsetzlichen Kampf; einen Kampf um sein Leben mit allen Mächten der Hölle, die ihn drängten und hegten, bis er plötzlich wild umherblickte und seinem Vater zurief:

Wo ist Leisegang? Der weiß Alles, er soll mir beistehen!

Und wie ein Verfolgter lief er hinaus.

Wilhelm, so halt doch, Wilhelm! schrie Herr Frohlieb.

Aber er hielt nicht an, er sprang die Treppe hinauf und hinter ihm her erscholl ein lautes Lachen und Madame Petermanns helle Stimme.

Er klopfte inzwischen an die Thür des Finanzraths und fühlte sich erleichtert, zugleich aber auch beschämt, und doch nicht im Stande, umzukehren. Er besann sich einige Augenblicke; das Bewußtsein des Kindischen und Lächerlichen arbeitete in ihm, dennoch war er froh, entkommen zu sein. Während er noch einige Male klopfte, kühlte sich die Gluth in seinem Kopfe ab, und gleich einem Strome von Eis lief der Gedanke durch diesen hin, umzukehren, allen Widerstand aufzugeben und mit drei Worten sich zu unterwerfen.

In dem Augenblicke aber öffnete Leisegang seine Thür und als er den Freund erblickte, fing er an zu lachen.

Du bist es, sagte er. Komm herein. So schnell also ist es gegangen? Du hast überlegt?

Ja.

Und hast gefunden, daß ich Recht habe?

Ich weiß es nicht, aber ich weiß, daß ich muß.

Mein guter Freund, sagte Leisegang, ihn auf die Schulter klopfend, wer dahin gekommen ist, sich das zu sagen, der hat jedenfalls auch Recht. Was wir müssen, ist immerdar höchstes Recht für uns; es ist die Spitze unseres Willens, also giebt es nichts Höheres. – Was willst Du also jetzt thun? Das Einfachste und Beste ist jedenfalls, gehe selbst hin zu Deiner Schönen, sage: Madame, ich liebe Sie! und mache keine Umstände mit ihr. Je weniger Umstände mit Frauen dieser Art gemacht werden, um so besser kommt man mit ihnen fort. Dick aufgetragen, sowohl Spaß wie Ernst, ist ihnen das Liebste. Schmeichle ihr, streichle ihre Eitelkeit, so hast Du sie. Nur sei nicht scheu und zart, fasse sie nicht mit Seidenbandschuhen an, sondern mit derben Strohwischen.

Hier wurde der Finanzrath unterbrochen, denn Herr Frohlieb sprang ergötzlich lachend herein.

Ist er denn hier, schrie er, dieser Ausreißer? Wirklich, da steht er! Es ist niemals sehr löblich, auszureißen, Willem, was sowohl bei den Völkern der alten Zeit, wie bei den neumodischen danach betrachtet wurde. Man läßt es sich jedoch gefallen, wenn ein grimmiger Räuber mit allerlei Mordwerkzeugen uns auflauert, allein vor einem Unterrock ausreißen, vor einem lieblichen, feinen, allerliebsten Gesichtchen, das ist eine Schande für einen Mann, mein Junge, und Du mußt ausgelacht werden, mein Junge, haha! ausgelacht werden, und sollst ausgelacht werden, bis zu zeigst, daß Du weißt, daß Du mein Sohn bist, der ich mich noch niemals vor einem Unterrock gefürchtet habe.

Stille, hochwürdiger Herr Frohlieb, stille! sagte Leisegang, daß die Mama nichts davon hört. Im Uebrigen hat es manchen großen, gewaltigen Mann, gewaltigen General und unerschrockenen Helden gegeben, dem ein Unterrock weit größeres Entsetzen einjagte, als eine ganze Heerde gepanzerter Reiter. Aber ein Mann hilft dem andern! und ich habe Dir zugesagt, Wilhelm, Dein Brautwerber zu sein. Wir wollen diesen schönen Feind gemeinsam angreifen und besiegen.

Der Feind ist fort, lachte Herr Frohlieb, aber Du brauchst nicht bange zu sein, Wilhelm, es ist ein äußerst liebenswürdiger, allerliebster, friedfertiger Feind, der Dir seinen Gruß schickt und sagen läßt, Du wüßtest ja, wo er morgen zu finden wäre, und er werde Alles gern anhören, was Du zu Deiner Entschuldigung ihm zu sagen hättest.

Aller Spott des Vaters prallte von dem Sohne ab, als er hörte, daß die hübsche Wittwe seine Rückkehr nicht mehr erwartet hatte. Er hatte vor allen Dingen Zeit gewonnen, und fühlte sich von einer erdrückenden Last befreit, was er durch einen tiefen Athemzug bezeugte. Zugleich aber sah er, daß jetzt Alles entschieden war und daß er, wie sein Vater sagte, sich als ein Mann benehmen müsse.

Ich habe nöthig, mich bei ihr zu entschuldigen, begann er, und bin dankbar für ihre Rücksichten. Ja, ich bin entschlossen, lieber Vater, ich werde sie fragen, ob sie meine Hand annehmen will.

Daran ist gar kein Zweifel, mein Junge! schrie Herr Frohlieb. Sie lachte Dich ja blos aus über Deine Blödigkeit.

Sie lachte mich aus, wiederholte der Sohn, den Kopf senkend. O! sie hat Recht, ich bin blöde, und um dessentwegen bitte ich Dich nun um Deinen Beistand, mein Freund.

Wie so Beistand? rief der Papa belustigt und ärgerlich. Dazu braucht man keinen Beistand. Geh hin zu ihr, lache mit ihr um die Wette, mache Deine Augen so weit von einander wie möglich, und schrei aus voller Kehle: Himmlisches, herrliches, göttliches Thereschen, ich bete Sie an und will im Leben nicht wieder an Blödigkeit leiden und die Courage verlieren! So ist alles gut, mein Junge, das Geschäft ist abgemacht, und dann kommst Du mit ihr, und wir geben Dir unsern Segen. Rechts und links an die Busen gedrückt, bis der Athem ausgeht, so und so!

Herr Frohlieb riß dabei seinen Sohn in seine Arme und drückte ihn zur Probe, allein Wilhelm war weder froher zu stimmen, noch zur Einsicht zu bewegen. Er blieb dabei, daß er seiner Sache noch immer nicht gewiß sei, und daß in solchen Fällen es jedenfalls besser wäre, wenn ein Freund die Vermittelung übernähme. Du siehst mich entschlossen, sagte er, gewiß, ich bin bereit dazu, aber – ich kann nicht dazu lachen.

Es wird schon kommen! schrie Herr Frohlieb vergnügt. Ich sage Dir, mein Junge, es wird schon kommen! Ich danke meinem Schöpfer, daß wir endlich so weit gekommen sind. Aber pfiffig muß man sein, pfiffig und Grundsätze haben! Er stemmte den Arm in seine Seite, faßte mit der rechten Hand sein Kinn an und betrachtete seinen Sohn äußerst übermüthig. Du wärst in Deinem Leben nicht dahin gekommen, fuhr er fort, eine richtige mercantilische Anschauung zu gewinnen, wenn Dein Vater nicht für Dich gedacht und gesorgt hätte.

Wilhelm sah ihn fragend an, aber Leisegang rief:

Sie sind es also gewesen, Sie haben ihm diese richtigen Grundsätze eingehaucht?

Allerdings, ich! antwortete Herr Frohlieb, stolz den Zeigefinger auf seine Brust setzend. Ein Vater thut Alles für seinen Sohn. Könnte ich für Dich heirathen, Wilhelm, meiner Seele! noch heute sollte es geschehen, da ich aber dieses nicht im Stande bin, so ging ich zu Vetter Hartfeld und sagte zu ihm: Retten Sie ihn in Thereschens Arme, Ihnen wird er folgen. Und er sagte Ja, und das Fräulein Julie stand dabei und sagte ebenfalls Ja.

Die tiefe Blässe kehrte in Wilhelms Gesicht zurück. Leisegang sah es und lachte spöttisch. So ist es zugegangen? fragte er.

Allerdings! betheuerte Herr Frohlieb. So ist es zugegangen, wie ich es angestellt. Dieser Vetter Hartfeld ist ein Mann, den die ganze Welt verehrt von wegen seiner Klugheit, diesmal aber – Herr Frohlieb tippte auf seine Stirn – ging ihm hier das Licht auf.



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