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6.

Nach einer Woche war der Geheimrath begraben, und sein Neffe hatte als legitimirter Erbe von der Hinterlassenschaft Besitz genommen. In einer demnächst angestellten Auction wurde der allergrößte Theil des Hausrathes verkauft, und damit Platz für die neuen Ausschmückungen und Einrichtungen gewonnen, mit denen der Finanzrath sich beschäftigte. Die verschiedenen Sammlungen wurden geordnet und Kataloge angelegt. Es dauerte nicht lange, so erhielt Leisegang auch die Zusicherung des Ministers, das Herbarium anzukaufen und den geforderten Preis zu bewilligen.

In gleicher Weise glückte es ihm mit der großen Bibliothek, die den werthvollsten Theil der Bücher nahm und hoch bezahlte, und eben so vortrefflich lief es endlich mit den Gemälden und Kunstraritäten ab, welche meist über ihren Werth veräußert wurden. Der Kriegsrath Hartfeld kannte alle Kunstfreunde und Liebhaber, wußte die Wege und Mittel, um deren Begierden anzuregen, und war unermüdlich thätig, den Finanzrath zu unterstützen. Dabei kaufte er selbst mehrere Bilder und bezahlte sie theuer, denn es fiel dem Finanzrath nicht ein, großmüthig zu lohnen. Dergleichen war durchaus gegen seine Natur, und obwohl er seinen Plan nicht aufgegeben hatte, Julien nächstens einen Heirathsantrag zu machen, glaubte er doch keinerlei Verpflichtung zu haben, um dessentwegen ihrem Vater kostbare Geschenke zu verehren.

Er fand, daß, wenn Hartfeld etwas von ihm erstehe, dies überhaupt kein Abkauf, sondern nur ein gegenseitiger, zeitweiliger Tausch sei. Hartfeld gebe ihm Geld, das später doch in seine Hände kommen würde, und er leihe ihm dafür Bilder, die ebenfalls zu ihm zurückkehren müßten.

In ähnlicher Weise fand er sich damit ab, daß er seinem Freunde Wilhelm, der die Bücher ordnete und Kataloge durch seine Gehülfen machen ließ, keinerlei Lohn dafür anbot. Wilhelm würde doch nichts dafür annehmen, sagte er sich, denn es sei ein Freundesdienst. Allerdings gab es einige baare Auslagen dabei, doch diese hatten wenig zu bedeuten, und da Wilhelms Eltern einen billigen Miethzins in seinem Hause entrichteten, der längst hätte erhöht werden sollen, so konnte der Sohn wohl ein paar Thaler einbüßen.

Auf diese Weise bezahlte der Finanzrath Alles mit seinem Dank und mit den Versicherungen, daß er gern zu allen Gegendiensten bereit sei. Genau war er immer gewesen, jetzt, wo er noch viel wohlhabender geworden, als bisher, ging es ihm wie den meisten Geizigen, d. h. mit dem Besitz wuchs das Verlangen, jenen immer weiter zu vermehren.

Während der Tage, wo Wilhelm die Bücherschränke ordnen ließ, war er häufig Zeuge mancher abschreckenden Züge dieses Geizes, der zuweilen auch seine lächerliche Seite herauskehrte, und endlich war Frohlieb sehr zufrieden, als er sein Versprechen erfüllt hatte, denn über Manches hätte er zornig werden mögen.

Noch am letzten Tage gab es Gelegenheit, dies lebhaft zu empfinden und den Entschluß zu befestigen, eine vermehrte Trennung eintreten zu lassen. Der alte Diener und die alte Haushälterin des Geheimraths waren in dem Testamentsentwurfe mit mäßigen Summen bedacht worden, und in der ersten Aufregung hatte der Finanzrath ihnen auch feierlich zugesichert, daß er seines Onkels Willen getreulich erfüllen werde. Bald jedoch schien ihm dies leid zu sein, und wenn Hartfeld sich nicht ins Mittel gelegt hätte, würden die Invaliden nichts bekommen haben. Der würdige Kriegsrath ließ sich nicht irre machen, als Leisegang behauptete, die beiden alten Subjecte hätten jedenfalls seinen Onkel um so viel betrogen, daß sie bis an ihr Lebensende vergnüglich damit auskommen könnten; er widerlegte diese Ansichten, indem er sich für die Redlichkeit der beiden greisen Leute verbürgte, und brachte es endlich wirklich dahin, daß der Finanzrath nachgeben mußte.

Ich hätte es durchaus nicht nöthig, sagte dieser darauf zu Wilhelm, denn ich bin auf keinen Fall verpflichtet, und habe Ausgaben genug, allein ich mag den Kriegsrath nicht erzürnen. Es ist eine übel angebrachte Großmuth, aber gäbe ich es nicht, würde er es thun, das lag in seinen Antworten, und da was er giebt, mir doch entzogen wird, so ist es zweckmäßiger, ich gebe es selbst.

Ist denn das schon so gewiß? fragte Wilhelm, ohne mit Schreiben einzuhalten.

Ich weiß nicht, warum Du zweifelst, erwiderte Leisegang. Ich habe Dir schon einmal Antwort darauf gegeben.

Du bist jetzt oft beim Kriegsrath.

Täglich. Er will, daß ich während dieser ersten Zeit sein Gast sei; warum sollte ich diesen Wunsch nicht erfüllen?

Julie! murmelte Wilhelm.

Was ist mit ihr?

Ist sie wohl?

Warum kommst Du nicht und überzeugst Dich davon? Verlasse sich Einer auf seine Freunde, besonders wenn diese von schönen Wittwen festgehalten werden!

Mich hält keine.

Nicht? Wann hast Du ihr zum letzten Mal die Hand gedrückt?

Das ist lange her.

Wirklich? Habt Ihr Euch gezankt?

Auch dazu ist kein Grund.

Also völlig gleichgültig?

Vollkommen.

Das giebt die beste Ehe, lachte Leisegang. Trinke Dein Glas aus, Wilhelm, und nimm noch eins. Meines Onkels Moselwein soll uns noch oft erfreuen. Was aber Deine Wittwe betrifft, so ist sie allerdings etwas einfältig und langweilig, dabei auch, wie ich gehört habe, eigensinnig und eitel; Du wirst sie aber dennoch heirathen müssen.

Warum?

Aus dem mercantilischen Gesichtspunkte genommen, wie Dein Vater sagt, lachte der Finanzrath. Es wäre offenbar doch noch viel einfältiger, wenn man fünfzig- oder sechszigtausend Thaler von sich stoßen wollte, wegen einiger Langweiligkeit oder Eigensinn der hübschen Besitzerin.

Wie mein Vater sagt: Das Deckblatt ist gut, murmelte Wilhelm.

Der Finanzrath lachte laut auf.

Dein Vater ist ein kostbarer alter Bursche, aber ich gehe noch weiter. Mag's Deckblatt sein, wie es will, und die Einlage obendrein ihre Mängel haben, die Hauptsache ist und bleibt der metallreiche Nachgeschmack. Sage mir nichts von erhabenen, poetischen Anschauungen, es ist, bei Lichte betrachtet, doch nichts als Phantasterei. Man muß es mit dem Reellen halten, und damit sich zufrieden geben.

Du verlangst also nichts als Geld?

O allerdings, ich verlange mehr. Schande will ich nicht haben, man soll nicht mit Fingern auf mich zeigen; im Uebrigen aber –

Er trank sein Glas aus, legte den Kork der leeren Flasche vorsorglich in den Tischkasten und wischte ein paar nasse Fleckchen von der Platte.

Wenn ich meine Absichten ausführe und Julie Hartfeld heirathe, werden sich manche Leute wundern, sagte er dann, daran werde ich mich aber gar nicht kehren. Ich habe mir diese Sache lange überlegt, und ehe noch mein seliger Onkel sie mir empfahl, standen meine Entschlüsse ziemlich fest. Es ist allerdings wahr, daß ich vielleicht eine sogenannte brillantere Partie machen könnte, als die Tochter eines Kriegsraths, vielleicht die Tochter eines Präsidenten, oder die Nichte eines Generals, oder dergleichen; gewöhnlich ist da aber wenig oder gar kein Vermögen, doch um so größere Ansprüche zu finden. Julie ist äußerst anspruchslos, ihr Körper eignet sich nicht dafür, sich glänzend zu putzen und vergnügungssüchtig zu sein. Mir ist ihr kleines Gebrechen sogar lieb, es verbürgt mir eine häusliche Frau, und das wird sie gewiß sein, denn ich habe bemerkt, daß sie Ordnung hält, immer eine Arbeit in der Hand und die Augen doch überall hat. Hartfeld hat mir das bestätigt, er lobt sie mit gutem Grund als eine äußerst sparsame und genaue Haushälterin.

Der ländliche Aufenthalt ist ihr sehr wohlthätig gewesen, sagte Wilhelm.

Und seit sie wieder in der Stadt ist, führt sie das häusliche Regiment und Buch und Rechnung, wie es mir scheint, nicht ganz zur Zufriedenheit ihres Vaters.

Ich habe das nie bemerkt.

Aber ich, zu meinem Wohlgefallen, und ich wollte, es wäre noch weit mehr der Fall. Sie macht Einschränkungen, paßt ihm auf die Finger und übt eine größere Macht über ihn aus, als er glaubt. Jetzt, wo ich ein täglicher Gast bin, kann ich es gut beobachten. Der Kriegsrath ist ein würdiger Freund meines Onkels. Sie lebten Beide gern gut, aßen gern das Beste und thaten den besten Trunk dazu, nur mit dem Unterschiede, daß mein Onkel sich am liebsten einladen ließ, der Kriegsrath gern einlud. Mein Onkel würde sich jedoch höchlichst verwundern, wie schnell sich die vortreffliche Suppe verschlechtert hat, wohin die feinen Gemüse und Gerichte gekommen sind, wie einfach es überhaupt jetzt hergeht. Es liegt nicht an dem guten Hartfeld; man sieht es ihm an, diese Einfachheit behagt ihm nicht sonderlich, aber Julie setzt es durch, und das freut mich. Sie hält darauf, daß gespart wird, das ist mir sehr lieb.

Indem er dies sagte, trat Hartfeld herein und führte seine Tochter am Arme. Leisegang eilte ihnen entgegen, und Frohlieb unterbrach seine Arbeit und folgte ihm nach. Es war das erste Mal, daß er Julien wiedersah. Ihr Vater hatte zeither öfter mit ihm gesprochen, doch niemals allein, und nie hatte er durch ein Wort oder durch einen Wink an die trübselige Stunde erinnert. Er war so wohlwollend wie immer, und that, als hätte er den Auftritt gänzlich vergessen. Ein beklemmendes Gefühl kam dann jedesmal über Wilhelm, und doch war er dankbar dafür, nicht an Vergangenes und Verlorenes erinnert zu werden.

Dasselbe Gefühl überkam ihn jetzt, als er Julien anblickte, die sich ihm, wie es schien, mit völliger Unbefangenheit näherte. Wie er es gewohnt war, bot sie ihm die Hand, sagte ihm einige freundliche Worte, erkundigte sich nach seinen Eltern und sprach dann mit dem Finanzrath weiter, der ihren Vater ablöste, indem er sie durch die verödete, große Wohnung führte.

Julie stützte sich auf seinen Arm, Frohlieb folgte mit dem Kriegsrath nach. Er konnte in ihr Gesicht sehen, und dies um so weniger vermeiden, da sich ihre Fragen zuweilen auch an ihn richteten; aber er wunderte sich freilich darüber, daß er sie wohler aussehend fand, als er es vermuthete. Der leidende Theil um ihren Mund trat viel weniger als sonst hervor, ihre Farbe war nicht so bleich, sie hatte sogar einen frischeren Hauch, und ihre sanften, schönen Augen, in denen so viel Ernst und Milde sich vereinigten, blickten freudiger, als dies oft schon der Fall gewesen.

Diese Bemerkung erregte sehr verschiedene Empfindungen in Wilhelm. Es war ihm lieb, Julien ruhig und selbst heiter gestimmt anzutreffen, und doch that es ihm heimlich weh. Es war, als rege sich gar nichts in ihr bei seinem Anblick und in seiner Nähe, als sähe sie mit der Freundlichkeit, die man einem Bekannten zuwendet, über ihn fort, ohne sich mit größerer Theilnahme zu belasten, und ohne sich in anderen Gedanken und anderen Interessen von ihm stören zu lassen.

Diese Wahrnehmungen waren schmerzlich, und was er dagegen auch entschuldigend einwenden mochte, konnte nicht verhindern, daß seine innere Verdüsterung und Trauer ihm Herz und Lippen mehr als je zusammenpreßten.

Um so mittheilsamer war Leisegang, dessen frohe Laune fortgesetzt zunahm, je mehr er sie zu zeigen suchte. – Er führte Julie überall umher, damit sie sähe, was er ändern und verbessern lassen wollte. Sie mußte Tapeten aussuchen helfen, von denen eine Menge Muster bereit lagen, dann mußte sie ihren Rath über einige neue Verbindungsthüren ertheilen, und über neue Möbeln, Vorhänge und innere Einrichtungen. Leisegang zeigte ihr dann, wo seiner Meinung nach am besten sein Arbeitszimner, die Wohnzimmer, Gesellschaftszimmer und Schlafzimmer sein müßten, und bestritt ihre Einwände, bis er sich überzeugen ließ.

Man wird in einiger Zeit diese Wohnung gar nicht wiedererkennen, sagte Hartfeld. Sie ist sehr schön und geräumig. Es bleiben auf der andern Seite noch mehrere Zimmer übrig, welche ganz überflüssig sind.

Nicht doch! erwiderte der Finanzrath. Das sind die allernöthigsten, und sie sollen aufs Reichste ausgeschmückt werden, denn sie haben die schönste Bestimmung.

Er wandte sich zu dem Kriegsrath um, sah ihn bedeutungsvoll lächelnd an und fuhr dann fort:

Sie wissen ja, was meines Onkels letzter Wunsch war, ich darf ihn also nicht außer Acht lassen. Diese Zimmer soll meine zukünftige Frau bewohnen, und eben diese Tapeten, welche Fräulein Julie ausgewählt hat, sollen dorthin kommen. Oder was meinen Sie, Fräulein Julie, müssen wir andere nehmen?

Ich habe nach meinem Geschmack gewählt, Herr Finanzrath, erwiderte das Fräulein.

Und einen bessern giebt es nicht! rief er, ihre Hand küssend. Aber da ist ja unser Freund Wilhelm, der uns auch mit seinem Rathe unterstützen kann, da er nächstens in derselben Lage sein wird, Tapeten zu kaufen und zu wählen und häusliche Einrichtungen zu treffen.

Ich wüßte in der That nicht, erwiderte Frohlieb; aber ehe er etwas hinzufügen konnte, fuhr der Finanzrath fort:

Ein Bräutigam muß natürlich sein Haus bestellen, und wenn die schöne Braut namentlich Pracht und Glanz liebt, darf er es an zarter Aufmerksamkeit nicht fehlen lassen.

Wenn es sich so verhält, sagte Hartfeld, dem was er hörte Freude zu machen schien, wollen wir aufs Herzlichste Glück wünschen.

Ich kann keine Glückwünsche annehmen, versetzte Wilhelm erglühend.

Aber Freund, wir sind ja ganz unter uns, warum willst Du mich Lügen strafen! rief Leisegang, laut lachend. Wir heirathen an einem Tage, das ist zwischen uns abgemacht. Ich verrathe nicht, aber eine junge, schöne, reiche Wittwe ist eine so liebliche Verrätherin, daß es nur Neid erregen kann, wenn der Fall eintritt.

Frohlieb näherte sich ihm und faßte seinen Arm. Sein ganzes Gesicht war dunkelroth.

Halt ein mit Deinen unbesonnenen Worten, sagte er. Thue mit Deinen eigenen Herzenssachen, was Du willst, für meine Angelegenheiten jedoch laß mich selbst Sorge tragen. Darum muß ich bitten.

Du wirst doch Scherz verstehen! erwiderte der Finanzrath.

Ich liebe keinen Scherz auf meine Kosten, antwortete er in trockener Weise, und damit verließ er das Zimmer.

Er hörte wohl, daß Leisegang ihm versöhnliche Worte nachrief, und der Kriegsrath begütigend sich damit vereinte, aber er kehrte sich nicht daran, nahm seinen Hut und ging schnell fort, damit Niemand etwa ihn aufhalten möchte.

Eine Zeit lang war er empört über das Benehmen seines Freundes, der mit solchem Leichtsinn sich erlaubte, ihn bloßzustellen. Aufs Tiefste empfand er die falsche Stellung, in welche er dadurch zu Julien und ihren Vater gerathen war. Was sollten sie von ihm denken und nun glauben? Vor Kurzem noch schien er einen wahren Lebensschmerz über Juliens ablehnende Antwort zu empfinden, und nun schon getröstet, nun schon Bräutigam!

Mit dieser Vorstellung verband sich aber noch eine andere, die ihm neue Dornen in sein Herz drückte. Als Leisegang ihn mit seinen unerwarteten Ausplaudereien in Verwirrung setzte, hatte er Julie voller Entrüstung angeblickt. Sie mußte die Wahrheit in seinen Augen lesen, die mit unwiderstehlicher, zorniger Ehrlichkeit Alles abläugneten; allein er hatte keine Macht mehr über sie. Wie ihr Vater lächelte sie, und wie ihm schien ihr was sie hörte Freude zu machen. Kein Zeichen, daß sie sich betrübe, kein Zeichen eines Restes jener Liebe, die, wenngleich entsagend und hoffnungslos, doch das Weh einer ewigen Trennung bei solcher Nachricht fühlt.

Sie fühlte nichts davon, und zum ersten Male sprang in seinem Kopfe der Gedanke auf, er sei betrogen worden, es sei Alles abgeredet und abgemacht gewesen. Seine plötzliche Zurückweisung beruhe auf einer wohldurchdachten Berechnung. Leisegang war reich, er ging einer glänzenden Zukunft entgegen. Sein Onkel hatte diese Verbindung gewünscht, Julien ein Legat vermacht, ihr Vater war ein kluger Mann, trotz aller seiner würdigen, edlen Grundsätze und hochachtbaren Redlichkeit.

Dieser Todesfall hatte Alles verändert, eine Nacht genügte, um Liebe und Treue sterben und verderben zu lassen. Julie hatte unter ihres Vaters Anleitung gerechnet, es war nicht anders möglich. Oh! er hatte heute in ihren Augen gelesen, was Leisegang zu hoffen hatte, und daß er selbst keinen Platz mehr neben ihm fand. Der Schmerz, den er darüber fühlte, wurde von Zorn und bitteren Vorwürfen geschärft, dann von seinem männlichen Stolz bekämpft, bis seine Vorstellungen milder und kummervoller wurden.

Zunächst war es ihm vorgekommen, als habe Leisegang absichtlich so gegen ihn gehandelt, vielleicht planmäßig mit Wissen des Kriegsraths, um Julien zu zeigen, wie unwürdig er ihrer Liebe sei; allein bei näherer Betrachtung wurde es ihm immer gewisser, daß Leisegang auch jetzt nichts von dem, was vorgegangen, wußte, nicht ahnte, welch ein gefährlicher Nebenbuhler er ihm gewesen sei. Er war eitel genug, dies übel zu nehmen, und boshaft genug, um sich durch Spott zu rächen, doch er wußte sicher nichts davon, sonst hätte er nicht bis jetzt geschwiegen. Es war unüberlegtes Geplauder, oder er wollte seine eigenen Absichten damit verbrämen, das Heirathen anempfehlen, allerlei Winke über seine Absichten einmischen.

Bedrückt von seinem Nachsinnen ging Wilhelm eine Zeit lang durch die dämmernden Straßen, und endlich, als er ruhiger geworden, zu seinen Eltern, aber er hätte sich gern unbemerkt wieder zurückgezogen, wenn dies möglich gewesen wäre. Eben steckte sein Vater den Kopf zur Thüre heraus, und gleich hatte er ihn gepackt und zog ihn hinein.

Da ist er ja, wie er leibt und lebt! schrie er. Sie haben Recht, Thereschen. Meiner Seele! Sie haben ein Gehör, davor kann man sich in Acht nehmen. Wenn eine junge Frau auf diese Weise hört, ist ihr kein X für ein U zu machen. Stelle Dir vor, Willem, sowie die Hausthür aufschnappt, sagte Thereschen: Jetzt kommt er! und somit fahre ich mit dem Kopfe hinaus, und richtig, hier bringe ich ihn.

Wir haben uns seit einiger Zeit wenig gesehen. Sie befinden sich doch wohl? sagte Wilhelm, seinen Vater unterbrechend.

Ich danke Ihnen, Herr Frohlieb, versetzte Madame Petermann empfindlich kühl. Meine Schuld ist es jedoch nicht, wenn ich das Vergnügen entbehrte.

Dieses hat seine Richtigkeit! bemerkte der Papa das zwischen. Thereschen war öfter hier, immer aber fehlte der fliegende Buchhändler.

Herr Frohlieb hat zu dringende Geschäfte, sagte Madame Petermann mit einem spottenden Lächeln.

Wo kommst Du denn her, mein Sohn? fragte die kleine Frau. Setze Dich doch zu uns.

Ich komme von Leisegang, erwiderte er. Heute jedoch habe ich vollendet, was ich übernommen, und gehe nicht wieder hin.

Dieser Mensch! rief Herr Daniel Frohlieb, verlangt von einem Geschäftsmanne solche Dienste, und zwar ohne alle mercantilische Grundsätze. Hier hat er gestern gesessen, und hat uns erzählt, was die Einrichtung kosten würde, und hat gejammert über den Erbschaftsstempel, den ich mit Vergnügen zu bezahlen versprach, wenn er mir den zehnten Theil von der Erbschaft abgeben wollte. Davor hat er sich natürlich bedankt, aber heirathen will er. Es ist wirklich sein Ernst, Wilhelm, obwohl er so thut, als sollte es ein Spaß sein.

Hat er Ihnen denn nicht gesagt, wen er sich ausgewählt hat? fragte Madame Petermann.

Damit hält er hinter dem Berge, versetzte Herr Frohlieb, aber ich will's schon herauskriegen. Ein Glück ist es nicht, Thereschen, denn er läßt sie verhungern; aber Geld muß sie haben, ohne Geld thut ers nicht, und dabei bildet er sich ein, daß es eine große Ehre wäre, die jedes Mädchen beneiden müßte.

Diese Ehre ist wirklich nicht weit her, sagte Madame Petermann verächtlich. Wissen Sie denn nicht, Herr Frohlieb, wen Ihr Freund sich auserwählt hat?

Julie Hartfeld, erwiderte Wilhelm.

Wen? schrie Herr Frohlieb, indem er eine weite Bogenschwenkung durch die Luft machte. Mama, was sagst Du dazu?

Ich habe es beinahe gedacht, sagte die kleine Frau, indem sie einen besorgten Blick auf ihren Sohn richtete.

Dieser verhielt sich jedoch ganz ruhig.

Weißt Du es denn ganz gewiß? fragte Herr Frohlieb.

Der Zusammenhang liegt nahe, antwortete Wilhelm.

Es ist doch unerhört! fuhr Herr Frohlieb fort, indem er eine Menge weiser Falten zog und sich an seinem spitzen Kinne festhielt. Er wagte nichts weiter hinzuzufügen, aber er betrachtete anhaltend seinen Sohn und schüttelte mit merkwürdiger Ausdauer und einer Geberde des Abscheues seinen Kopf.

Es ist wirklich unerhört, sagte Madame Petermann. Sie ist häßlich und obenein ist sie lahm.

Sehr richtig! fiel Herr Frohlieb ein, und dieses ist es, was ich immer in Betracht zog. Auswendig durchaus nicht für die Nachfrage, was aber das Innere betrifft, allen Respect!

Herr Frohlieb machte dabei eine tiefe Verbeugung, indem er zugleich den Zeigefinger seiner Rechten an den Daumen der linken Hand legte.

Einzige Tochter, allverehrter Vater, neue Erbschaft in Aussicht, Alles gehörig vorhanden, richtige Speculation, sehr richtige Grundsätze, durchaus mercantilisch überlegt von dem Herrn Finanzrath.

Geld ist sehr angenehm, sagte Madame Petermann. allein man muß doch auch bedenken, daß man sich nicht lächerlich macht.

Aeußerst wahr! rief Herr Frohlieb, auch diese Wirkungen sind mit in Rechnung zu bringen, und warum soll ein junger Mann nicht Sinn dafür haben, eine Frau zu besitzen, die auf zwei leichten, niedlichen Füßen umherspaziert? Eine Frau, die er zur Winterzeit auf Bälle führt, um schottisch und sicilianisch mit ihr umherzusäuseln, und welche überhaupt mit ihm in angenehmster Weise durchs Leben springt.

Herr Frohlieb streckte dabei seine Arme aus, setzte seine Füße zurecht und umschlang seinen Sohn, während er der schönen Wittwe zulachte.

Siehst Du wohl, mein Junge, sagte er dann, dieses sind die Lebensansichten Deines Vaters, und es ist richtig, Mama, daß eine Frau, die nicht tanzt, niemals nach meinem Geschmack gewesen wäre. Tanzen ist die Hauptsache, Wilhelm, und es ist alles mal so, wie Thereschen sagt: Geld ist eine der ersten Tugenden jedes Menschen und verschönt jedes Gesicht, aber es hat Alles seine Grenzen, und warum soll ein gebildeter Mensch es nicht dabei auch in Betracht ziehen, eine liebenswürdige Frau zu besitzen, deren angenehmer Anblick ihn täglich erfreuen muß?

Madame Petermann lächelte bei der schelmischen Verbeugung, welche Herr Frohlieb vor ihr machte.

Es geht allerdings über meine Begriffe, sagte sie, indem sie ihr hübsches Gesicht auf Wilhelm richtete, wie ein Mann von Bildung sich entschließen kann, eine verkrüppelte Person zu nehmen.

Ein Mann von Bildung kann dies leichter, als ein anderer, erwiderte er.

Wie meinen Sie das? fragte sie, sogleich gereizt durch den Widerspruch.

Er kann den Geist verstehen und lieben, und den Körper darüber vergessen.

Wir sind freilich nicht so geistreich, Herr Frohlieb, sagte die hübsche Wittwe zu dem Papa, um das sagen zu können.

Gar nicht, Thereschen, nicht die Spur! schrie der alte Herr. Und es ist bloß eine von den neumodischen Erfindungen. Jeder soll jetzt geistreich sein, Bücher lesen, in die französische Komödie gehen und allerlei Kunststücke machen.

Das ist allerdings nicht meine Sache, fiel die junge Frau ein. Ich habe auch keine Zeit dazu, um unnütze Dinge zu treiben.

Sehr richtig, Thereschen! nickte Herr Frohlieb. Die Zeit ist edel, und eine Frau, mit häuslichen Tugenden begabt, kann sich nicht mit solchem Schwindel einlassen.

Das geistvolle Fräulein ist wohl äußerst klug und gelehrt, sagte Madame Petermann boshaft lachend, indem sie Wilhelm ansah.

Weniger dies, wie sie ein gutes Herz und milden, sanften Sinn besitzt.

O! also auch ihr Herz kennen Sie?

Soweit, daß ich behaupten kann, sie würde niemals einen Menschen verlästern, selbst wenn er ihr weh gethan hätte.

Also eine Heilige! rief sie erbittert. Wenn nur nicht der Schein trügt.

Dieses bedenke wohl, Wilhelm! fiel Herr Frohlieb, der seinen Finger warnend aufhob, ein. Wir wollen Kaffee trinken, Mama. Die schwarze Stunde muß gefeiert werden. Rücke Deinen Stuhl neben Thereschen, Wilhelm.

Aber die schwarze Stunde wurde nicht durch diese List sonnig umgewandelt. Wilhelm blieb nachdenkend an dem Stuhle stehen; es war, als habe er seinen Vater nicht verstanden.

Es ist Ihnen wohl nicht geistreich genug an meiner Seite, sagte die hübsche Wittwe spottend. Woran dachten Sie? An Fräulein Julie?

Wirklich, erwiderte er, ich dachte an sie.

Ihr Gesicht flammte auf über diese offenherzige Antwort. Ich danke Ihnen für dies Compliment, Herr Frohlieb, versetzte sie. Es ist recht Schade, daß der Herr Finanzrath schon seine Wahl getroffen hat, denn sonst –

Ich bitte, brechen wir ab davon! begann er im strengen, stolzen Tone. Das ist in der That kein Gegenstand des Scherzes.

O, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, antwortete Madame Petermann, ich habe nicht gewußt –

Aber Willem! schrie Herr Frohlieb. Er ist krank, Thereschen. Er sieht und hört nicht, Mama.

Es ist ja Alles gut gemeint, fügte die kleine Frau hinzu.

Und die Wirkungen aus den Ursachen zarter Neigungen! rief Herr Frohlieb. Komm her und bitte ab; auf der Stelle bitte ab, Du Elementer!

Lassen Sie ihn, Herr Frohlieb, lassen Sie ihn, sagte Madame Petermann, er will sein Unrecht nicht einsehen.

Ich kann es nicht einsehen, und darum ist es am besten, wenn ich mich entferne, erwiderte Wilhelm, wozu mich überdies meine Geschäfte nöthigen.

Willst Du bleiben! willst Du hören! schrie Herr Frohlieb, allein er kannte seinen Sohn gut genug, um zu wissen, daß dieser gewiß nicht bleiben würde. Er streckte ihm daher auch nur seine Hände nach und blickte dann bestürzt auf die schöne Wittwe, die mit Thränen in den Augen und heftig aufgeregt von der Mama umarmt und getröstet wurde.



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