Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Der Doctor Gerber durchwanderte inzwischen die heißen Straßen und hatte einen langen Spaziergang zu machen, ehe er die entfernte Gegend erreichte, in welcher der Stadtrath seine Wohnung aufgeschlagen hatte.

Eine bedeutende Zahl Fabriken und ähnliche der menschlichen Geschäftsthätigkeit gewidmete Gebäude lagen hier am Wege und reckten ihre hohen qualmenden Schornsteine in den lichten Frühlingshimmel. Zwischen diesen großen Werkstätten öffneten sich Gassen meist mit kleinen, niederen Häusern besetzt, und dieser ganzen Bevölkerung, diesen Männern mit rauhen harten Gesichtern, in Blousen und Arbeitsjacken, diesen Frauen mit Schürzen und Kopftüchern und diesen Schaaren schreiender, schmutziger Kinder, die sich im Staube wälzten, sah man es an, daß sie hierher gehörten. –

Sonst hatte der Doctor oftmals, wenn er hier umherging, Mancherlei bewundert und sinnende Gedanken daran geknüpft. Er bewunderte vor Allem den menschlichen Geist und den menschlichen Fleiß, die schaffende Regsamkeit in diesen Palästen der Arbeit, und die wunderbare Zähigkeit und Ausdauer der Menschen im Laufe so vieler Jahrhunderte. Das Alterthum hat nichts hinterlassen, als die Reste von Tempeln und Kaiserpalästen und was zum Schmuck derselben gehört, das Mittelalter ließ Raubschlösser, Klöster und Kirchen zurück, wir dagegen überliefern unseren Nachkommen zahllose dampfspeiende Obelisken und Maschinen, und wenn nach dreitausend Jahren einmal eine versunkene Stadt ausgegraben würde, welche Alterthümer würden dann das dafür angelegte Museum füllen?

Mit solchen Träumen im Kopfe sah Johannes Gerber häufig das Getriebe hier in der Vorstadt an und mit einer gewissen Zärtlichkeit blickte er auf die vielen tausend Menschen, die ihr ganzes Leben über für die Verherrlichung ihres Zeitalters sich abmühten. Die zwölf Dynastien der alten Aegyptier hatten ihres Volkes Kräfte Jahrtausende lang dazu gebraucht, jene ungeheuren Steinkolosse aufzuthürmen, welche jetzt im Nilschlamm und Wüstensand versunken liegen, dies Volk dagegen, nicht mehr im Stande, einen einzigen gothischen Dom fertig zu bauen, regt Millionen Arme, um zu spinnen und zu weben, und bringt mit Leichtigkeit ungeheure Arbeiten zu Stande; eiserne Straßen, die ganze Welttheile zusammenrücken.

Eine schöne menschliche Empfindung füllte bei solchen Betrachtungen das Herz des gelehrten Doctors. Er glaubte daran, daß es besser geworden sei in der Welt mit jedem Jahrhundert, daß der Menschenwerth zugenommen habe, daß diese schöpferische Thätigkeit zu immer weiteren Culturentwickelungen führen müsse, zum allmäligen Verschwinden der Barbarei und der Unterdrückung, und da er an Ideale glaubte, mischten sich mit seinen Träumereien seine Anschauungen aus dem Alterthum und sein lebhaftes Gefühl für eine schöne gleichmäßige Entwicklung, für ein gleichberechtigtes Volksleben, für eine Erhebung aller Menschen zum Genuß alles Guten und Schönen und zur sittlichen Vollendung.

In der Abhandlung, welche er so eben für den Minister geschrieben hatte, ließ er seinen Gedanken darüber freien Lauf, und mit aller Energie hatte er bewiesen, daß, so lange die Kunst nicht Eigenthum des Volks sei, und der Staat nicht darauf hinwirke, lebendige Theilnahme dafür im Volke zu erwecken, eine Blüthe der Menschheit nicht erreicht werden könne, und er hatte vielerlei Mittel vorgeschlagen, wie darauf hinzuwirken sei, um dies möglich zu machen.

Heut als er durch diese Arbeiterstadt ging, fühlte er aber eine Niedergeschlagenheit, die er sonst nicht empfunden. Früher hatte er mit warmem Herzen diese armen, arbeitsamen Menschen, diese Frauen mit schwieligen Händen und diese Kinder in Lumpen betrachtet. Es war ihm, als könnte ein Zauberwort gesprochen werden, das den hochherzigen Gedanken des Heilands zur Wahrheit machte, daß alle Menschen Brüder seien; jetzt hatte er vom Apfel der Erkenntniß gegessen und er fühlte etwas innerlich in sich verwandelt.

Die Tante hatte ihm gesagt, hier unter diesen Menschen könne sie nicht leben, Emma hatte ihm dasselbe gesagt, und er hatte jetzt erst Lebenskreise kennen gelernt, an denen er erfahren konnte, was die Unterschiede der Gesellschaft bedeuten. Und sonderbar war es, er fühlte selbst etwas davon. Er sah die schmutzigen Kinder und die rohen Gesichter mit widerstrebenden Gefühlen an und er gab der Tante und Emma heimlich Recht, indem er vor sich hin sann, und ein leises Grauen bei dem Gedanken durch seine Glieder schlich, zu denen da zu gehören.

So gelangte er endlich zu der Besitzung des alten Herrn, welche abwärts von der Straße auf freier, ziemlich hoher Stelle lag und aus einem mäßig großen Garten bestand, in dessen Mitte das Wohnhaus lag. Der Garten war mit Hecken umschlossen, und das rothe Ziegeldach des Hauses ragte über den Obstbäumen hervor, die mit rothen und weißen Blüthen bedeckt den lieblichsten Frühlingsschmuck trugen.

Als er die Pforte öffnete, stieß diese an eine lautschallende Klingel, und kaum war dies geschehen, als oben auf der Vortreppe auch der Onkel in seinem braunen Klappenrock sichtbar wurde. Er hatte ein schwarzes Käppchen auf sein weißes Haar gesetzt, hatte ein Pfeifchen im Munde, auf dem eine lange Cigarre steckte, und als er seinen Neffen erkannte und mit dem lauten Rufe: Sieh da, Johannes! Willkommen! Willkommen! entgegen kam, liefen ein bellender Hund und ein großer Kater mit hoch aufgehobenem Schweif ihm voran, welche beide ihren alten lange nicht gesehenen Freund begrüßen wollten.

Der Onkel schüttelte ihm die Hände, der Hund sprang liebkosend an ihm auf, der Kater wand sich schnurrend um seine Füße.

Siehst Du wohl, mein Kind, rief der alte greise Mann, wie sich meine ganze Hausgenossenschaft freut, daß wir Dich wieder hier haben. Und es ist ein Tag so recht gemacht, um warm bis ins Herz hinein zu werden. Schau her, Johannes, was aus dem Apfelbäumchen geworden ist, das ich an Deinem Hochzeitstage pflanzte. Von Blüthen ist es bedeckt bis in alle Spitzen, nur der eine Zweig da taugt nichts, der muß herunter. Und jetzt recke Dich her zu mir, und laß uns Eines ordentlich zusammen rauchen und schwatzen, bis der Kaffe kommt. Warte einen Augenblick, ich will ihn selbst bestellen, damit es etwas extra Gutes wird.

Während der Onkel ihn allein ließ, kam ein ängstliches Gefühl über den armen Doctor und verdrängte den Frohsinn, welchen der liebevolle Empfang des alten Mannes hervorgerufen hatte. Er saß an dem Tischchen unter der Vorhalle und blickte über den blüthenreichen Garten auf den jungen schönen Apfelbaum, der gerade vor der Laube stand, wo er zuerst seine Arme um Emma gelegt und in seliger Gewalt sie an sein Herz gezogen hatte. Wenn sie jetzt bei ihm gewesen wäre, er hätte es wie damals gemacht.

Sehnsüchtig blickte er nach allen Orten, wo sie oft ihn begleitet, wie sie ihn erwartet hatte, wenn er kam, und als die Pforte aufging, sprang er von seinem Sitze, denn er meinte, sie müsse herein treten, aber es war eine Frau in Begleitung eines Mannes, der ein Kind auf dem Arme trug. Er sah sie kommen und dachte dabei an sein eigen Kind, denn der Knabe ähnelte beinahe dem kleinen Gotthold, nur schaute er gesund und frisch um sich her und streckte jauchzend seine Arme nach den blühenden Bäumen und summenden Käfern aus.

Jetzt kam auch der Onkel wieder und als er die Leute erblickte, rief er ihnen freundlich entgegen:

Ehe! das ist ja der Schirmer mit Weib und Kind. Nun wie geht's? Alles gut, Alle munter?

Ja, Herr, sagte der Mann, indem er seine Mütze abnahm, wir sind wieder auf dem Platze. Und da ich eben eine Stunde Zeit habe, kommen wir hierher, um Ihnen das Kind zu bringen.

Und Gottes Segen für alles Gute zu wünschen, das Sie an uns gethan haben, fiel die Frau ein.

Gottes Segen für Euch selbst, Frau! rief der alte Herr. Ihr habt eine schwere Zeit durchgemacht; ein krankes Kind und dabei selbst krank. Aber wo ein Mann ist, der den Kopf auf der rechten Stelle hat und das Herz dazu, geht es in Leid und Freud besser, als man denkt.

Die Frau wischte ihre Augen mit der Schürze und sah zu ihrem Manne auf, der ernsthaft neben ihr stand.

Ja, das hat er, sagte sie, brav ist er. Er hat uns nicht verlassen, hat gethan, was ein Mensch thun kann; aber wenn Herr Hertner ihm nicht beigestanden hätte und Sie, lieber Herr –

Ein braver Mann findet immer Beistand, fiel der Onkel ein. Es ist nichts weiter geschehen, als was Recht und Pflicht war. Es liegt in ihm, Frau; weil es jeder weiß, daß er es verdient, und weil ihn Jeder darnach achtet, und weil es bekannt ist, daß er Weib und Kind in Ehren hält.

Die Frau warf einen stolzen, schönen Blick auf den Mann und er antwortete darauf mit einem Lächeln. Es war ein eher schwacher als kräftiger Mann, und sein Gesicht war hart und schmal. Seine Frau war jung und groß, und die überstandene Krankheit hatte ihre Züge noch weicher und feiner gemacht, doch mit welcher vertrauungsvollen Liebe sah sie auf ihn und wie hell und mild wurden ihre Augen, als er von ihr sprach.

Nein, lieber Herr, sagte er, ich weiß wohl, was ich Ihnen und dem Herrn Hertner verdanke. Die Unterstützung aus unserer Krankenkasse hätte es nicht gethan, wenn Sie beide nicht geholfen hätten, was ich mein Lebelang nicht gut machen kann. Doch wahr muß wahr bleiben! Weder Doctor noch Medicin hätten das Kind hier durchgebracht, wenn das eine andere Frau wäre. Sie konnte kaum aus dem Bett, so ging es mit dem Kinde los, und da half kein Reden, so eine treue gute Seele sie auch sonst ist und auf verständige Worte achtet: sie wollte nicht fort von dem Kinde und hat in ihrer Schwäche sechs Lage ohne Ruhe ausgehalten und sechs Nächte kaum die Augen zugemacht, immer bereit, wenn der arme Wurm einen Schrei that.

Ach! Heinrich, rief die junge Frau, es ging ja nicht anders. Eine Mutter kann doch ihr Kind nicht verlassen, sonst wär's ja keine Mutter. Und dazu giebt der Himmel Kräfte! Sehen Sie doch, lieber Herr, sehen Sie, wie der Junge lacht und springt.

Nach einiger Zeit entließ der Onkel das dankbare Paar mit Lobsprüchen und guten Wünschen, und begleitete es bis an die Pforte, wo er ihnen die Hände schüttelte und dem Kinde etwas in die Hand steckte.

Der ganze Vorgang hatte einen tiefen Eindruck auf den Doctor gemacht, an dem er sich herzlich freute, ohne jedoch etwa Vergleichungen mit sich selbst anzustellen, wie nahe diese auch lagen. Die Mutterliebe der jungen Frau rührte ihn aufs Innigste. Er dachte dabei an Emma's Entsetzen, als sie von Gottholds Erkrankung hörte, und welche heilige Mutterliebe sie auch opferfreudig gemacht haben würde, wenn sie in die Lage dieser armen Frau gerathen wäre.

Als der Onkel, Hund und Katze voran, zurückkehrte, leuchteten seine blauen Augen doppelt freundlich.

Da kann man sehen, sagte er, daß es immer doch noch besser mit den Menschen steht, als viele weise Leute denken. Es ist doch noch immer etwas Ehrlichkeit und Dankbarkeit in der Welt und da, wo es die feinen Leute am wenigsten glauben, obwohl – hier, zuckte der alte Herr lebhaft seine Schultern zusammen und lachte scharf auf – ja obwohl, die der Herr gesegnet hat, sich an die eigne Nase zupfen sollten. Der Schirmer da ist ein Arbeiter, der schon in der Fabrik war, als ich noch das Regiment führte, ein fleißiger, geschickter Mensch, der sich vor einigen Jahren erst verheirathet hat. Es meinten Viele damals, er sei ein zu ernsthafter, alter Mann für solche junge Frau, aber sie hängt an ihm, weil er es verstanden hat, sie für sich zu gewinnen. – Doch nun können wir endlich von uns sprechen, Johannes. Wie geht es zu Haus? Warum hast Du Emma nicht mitgebracht?

Der Doctor entschuldigte seine Frau mit den Besuchen, welche sie abgehalten hatten, und der Onkel nickte dazu.

Es ist allerdings natürlich, sagte er, eine junge Frau geht lieber hin, wo es ihr gefällt, und hier gefällt es ihr nicht mehr.

Das darfst Du nicht annehmen, erwiederte Johannes ihn ehrlich anblickend. Emma spricht mit voller Liebe von Dir.

Sprechen läßt sich Vieles, lachte der alte Herr, allein ich will's glauben, es ist vom Herzen her Gutes in ihr. Ich verdenke es ihr auch nicht, fuhr er fort, wenn das Blanke und Glänzende ihr mehr zusagt, als das Alte und Abgenutzte, und da ich gehört habe, daß Du Professor werden willst und bei vornehmen Herren in die Schule gehst, kann's gar nicht anders sein, wie es eben ist.

Du hast also davon gehört? fragte der Doctor.

Freilich, Hertner hat davon gesprochen.

Und was sagst Du dazu?

Nichts! rief der Onkel, denn ich verstehe nichts davon. Bist Du der Mann, der solche Wege gehen kann, so mußt Du es wissen; bist Du es nicht, ist es Deine Sache, wenn es mißräth. Würde ich sagen, Johannes, thue es nicht, mache es so und so, thue lieber dies und das, würdest Du Dich doch nicht daran kehren. Gestehe es aufrichtig ein, würdest Du die Sache aufgeben, wenn ich aus allen Kräften abriethe?

Ich glaube wirklich, daß ich es nicht könnte, erwiederte der Doctor, denn ich habe mich schon an den Minister gewandt und mancherlei Einleitungen sind getroffen.

Siehst Du wohl, sagte der alte Herr, so käme ich also jedenfalls zu spät, wie bei vielem Anderen. Im Uebrigen muß ein Mann, wenn er einmal ja gesagt hat, auch nicht mehr wanken, und mit aller Macht thun, was er kann, um mit Ehren zu bestehen. Vielleicht ist es gut so, Johannes, wenn es gilt, daß Du Dich zeigen mußt.

Der Doctor war erfreut über diese Zustimmung.

Ich gehöre allerdings zu denen, die sich scheuen hervorzutreten und nach Ehren zu greifen, sagte er, doch wenn es geschieht, soll meine Ehre nicht in Gefahr kommen.

Es ist recht so, sagte der Onkel, indem er ihn anschaute. Ehrgeiz ist ein zweischneidig Schwert; der rechte Ehrgeiz aber, der seine Ehre fest bewahren will gegen alle Unehre, mag diese noch so verlockend aussehen, das ist eine Tugend, die keinem Manne fehlen darf.

Es entstand eine kleine Pause, während welcher der alte Herr, eifrig rauchend, ein brennendes Zündholz an sein Pfeifchen hielt. Der Doctor sah in den Garten hinaus, er wußte nicht recht, wie er fortfahren sollte, er fühlte sich ein wenig beklommen.

Es hat sich Alles unerwartet gemacht, begann er endlich, durch die gute Tante, die mir sehr zugethan ist und lebhaft wünscht, daß aus mir etwas recht Bedeutendes werden soll.

Der Onkel nahm ein neues Zündholz und nickte seinem Neffen zu.

Sie ist so voller Eifer und Güte und dabei so weltklug, daß sie ein wahrer Schatz für uns ist, sagte der Doctor. Man muß sie nur näher kennen, fügte er mit einem einladenden Lächeln hinzu, um ihre einsichtige Klugheit zu bewundern, und darum thut es mir sehr leid –

Halt ein! unterbrach ihn der alte Herr. Du meinst, es thut Dir leid, daß ich sie nicht bewundere? Daraus kann nun freilich nichts werden; allein, mein lieber Johannes, bewundere Du sie dafür, so viel Du immer willst, ich werde Dich ganz gewiß nicht darin stören. Denn wenn ich Dir sagte, mit dieser gnädigen Tante würde ich gar keine Umstände machen, und wenn ich Dir zeigte, warum ich keine machen würde, würdest Du es doch nicht thun. Ganz aufrichtig, Du würdest es nicht thun.

Wenn ich Alles vergessen wollte, wofür ich ihr dankbar sein muß, erwiederte der Gelehrte sanftmüthig, so könnte ich doch nicht vergessen, daß Emma aufs Innigste an ihr hängt.

Hängt! hängt! schrie der alte Herr. Laß sie hängen! aber Deine Emma selbst – an Dir sollte sie so innig hängen, zu Dir sollte sie hinblicken, wie die Frau, die hier stand auf ihren Mann blickte, aber freilich, freilich! –

Onkel, sagte der Doctor, und seine Stimme erhielt einen festeren Nachdruck, Du darfst nicht ungerecht gegen meine Frau sein.

Nein, antwortete er, Du hast Recht, sie kann nicht dafür, wenigstens trifft die Schuld nicht sie allein, und wir wollen davon schweigen. Denn was könnte es helfen, wollte ich Dir einen Spiegel vorhalten. Du würdest hinein sehen und sagen, das bin ich nicht, und das ist Emma nicht. Es würde nicht das Geringste helfen, nichts würde sich ändern. Habe ich Recht?

Ich weiß wirklich nicht, was sich ändern sollte, erwiederte Johannes lächelnd.

Siehst Du wohl, mein Sohn! rief der Onkel lachend, also behüt' uns Gott! daß wir weiter mit Worten stritten. Halt Du fest, was Du vorher sagtest, mache es so, daß Deine Ehre nirgend in Gefahr kommt, es ist Alles Deine Sache. Werde ein Professor und meinetwegen ein Geheimrath, aber sei auch ein Mann, wie der arme Arbeiter, der Schirmer, vor dem die Weiber Respect haben, und nun sage mir, ob es wahr ist, daß Du aus Deines Vaters Haus unter die vornehmen Leute ziehen mußt?

Der Doctor setzte ihm auseinander, daß es nicht anders ginge, weil Emma's Gesundheit frische Luft verlange und weil es für ihn selbst geeigneter sein würde.

Nun, so warte wenigstens, sagte der alte Herr, bis Du wirklich bist, was Du sein willst. Hertner hat mir mitgetheilt, daß Du dreitausend Thaler von ihm verlangst zu Deinen neuen Einrichtungen. Das ist viel Geld, Johannes. Dein Vater hat es mühsam erworben. Deine Zinsen verbrauchst Du, Du mußt es also von dem Capital nehmen.

Der Doctor schwieg nachdenkend still.

Vor solchen Angriffen aber muß man sich in Acht nehmen, fuhr der Onkel fort, besonders wenn man kein Geschäftstreibender, überhaupt kein Mann ist, dem Gelderwerb und Vermögensvermehrung nahe liegen. Wer von dem lebt, was seine Vorfahren für ihn sammelten, muß wenigstens was er besitzt zu erhalten suchen. Du hast mir einmal von dem berühmten Dichter Goethe erzählt, daß er irgendwo gesagt hat: Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Ich habe das wohl behalten, Johannes, und trage es Dir jetzt vor.

O, sagte der Gelehrte lächelnd, Goethe hat das ganz anders gemeint.

Wie er es auch gemeint haben mag, rief der alte Herr, es ist ein praktischer Spruch, der überall anzuwenden ist. Erwirb was du von deinen Vätern hast, das heißt, brauche es nach Deiner Art, aber sieh zu, daß es nicht verloren geht. Und das ist Mannes Sache, liebes Kind; wer das nicht versteht, dem fehlt etwas, das keinem Manne und keinem Menschen fehlen sollte: Nachdenken, Lebensverständniß, klarer Verstand, und wenn er auch noch so gelehrt wäre.

Ich dächte aber, erwiederte der Doctor sanftmüthig, wenn ich diese Summe vorgestreckt erhielte, so könnte ich sie bald abtragen, denn meine Einkünfte werden sich auch vermehren, sobald ich Professor bin, und mein Hauswesen – o! die Tante wird es gewiß sehr gut einrichten, und dafür sorgen, daß gespart wird.

Einrichten? sparen? meinst Du? Wahrhaftig, das meinst Du?! rief der Onkel. –

Er stützte den greisen Kopf in seine Hand, und aus den scharfen, blauen Augen leuchtete ein Gemisch von Spott, Aerger und Mitleid, als sein Neffe mit dem Ausdruck festen Vertrauens antwortete, daß die Tante die größten Erfahrungen besitze, und alle Geldangelegenheiten ihres Mannes in Ordnung gebracht habe.

Der alte Herr schwieg eine kleine Weile, dann sagte er:

Ich will Dir reinen Wein einschenken, Johannes, damit wir nicht unnütz uns abmühen. Du willst das Geld von mir haben, da es Dir Hertner nicht geben kann, ich bin aber ebensowenig im Stande es zu thun. Nicht, daß ich es nicht hätte, o ja, ich habe es, aber ich habe es für andere Zwecke, hebe es sorgfältig auf, lege es nützlich an, und kann Dir nichts davon ablassen. – Gieb mir Deine Hand, mein Sohn, fuhr er fort, ich weiß, Du hast ein Herz dazu, das zu hören, was ich Dir mittheilen werde.

Als Dein Vater starb, habe ich Dein Vermögen verwaltet, habe mich bemüht, es Dir zu sichern und zu mehren, bis ich es in Deine Hände zurückgeben konnte. Was mir gehörte, ist noch mehr gewachsen, denn ich habe weniger verbraucht. Ein alter, einsamer Mann, wie ich bin, hervorgegangen aus den Menschenkreisen, die an Arbeit gewöhnt sind, arbeiten müssen, um zu leben, und altbürgerlich einfache Bedürfnisse haben, kann wohl sparen, und das habe ich gethan.

Ich habe gespart, Johannes, und spare noch, aber nicht für Dich, mein Kind. Du hast so viel und selbst mehr, als zu Deinem Glücke nöthig, viele Tausende aber sind in der Welt, die nicht wissen wohin, wenn Noth und Alter kommen. Sieh den Mann, der hier stand mit Weib und Kind. Er ernährt sie rechtschaffen, er wird redlich sorgen, auch wenn eine ganze Schaar um ihn her nach Brot schreit. Immer wird er sein Aeußerstes thun, aber im allerglücklichsten Fall wird er niemals mehr erwerben, als er braucht, und endlich wird er vielleicht, von Schicksalen heimgesucht, kummervoll auf sein Ende warten. –

So will ich denn versuchen, was ich kann, um zu helfen, so viel ich vermag, und um dessentwegen spare ich auch, was mir übrig bleibt. Hier, wo ich wohne, soll nach meinem Ende eine Zufluchtstätte für hülflose Arbeiter entstehen, und Alles, was ich besitze, muß ich zusammenhalten, um mein Werk zu Stande zu bringen, wie ich es denke. Du wirst also nichts von mir erben, Johannes, auch kann ich Dir nichts leihen, denn ich glaube, es würde verloren gehen. Wie ich Dich herzlich liebe, weißt Du, und weil ich das thue, denke ich auch, Du liebst mich wieder, mich, den alten Onkel, wie er da ist.

Ja, ja! rief der Doctor ihm die Hand drückend, und indem er ganz vergaß, was ihn selbst betraf, fügte er hinzu: Das ist ein edler und schöner Zweck, davon darf nichts verloren gehen. Ich würde es eben so machen, wie Du, ich würde Dir nichts leihen, Du hast ganz Recht, Du darfst mir nichts leihen.

Du würdest es nicht so machen, wie ich, erwiederte der alte Mann, indem er des Doctors Hand festhielt. Du würdest mir es leihen, Du würdest mir Alles geben, was Du hast, und wenn es ein bodenloser Abgrund verschlänge, Du würdest immer mehr hineinwerfen, zuletzt Dich selbst.

Onkel und Neffe sahen sich an. Die sanften, dunklen Augen des Gelehrten hüllten sich in den Glanz seiner herzlichen Freude über das Lob des alten Mannes, das zugleich seinen Tadel einschloß, aber Johannes schien auch diesen zu fühlen, denn der Blitz einer energischen Regung unterbrach den milden Schein, und mit tiefer Stimme sagte er:

O, ich könnte auch hart sein, ja ich könnte es, Onkel, wenn ich wüßte, daß ich es müßte.

Sein weiches Lächeln strafte diese Worte Lügen, und der alte Herr nahm ein neues Zündholz, setzte sein Pfeifchen wieder in Brand und sagte dann:

Es ist Narrheit, Johannes, wenn die neumodischen Schwärmer schreien, das Eigenthum sei Diebstahl; ein Blick auf die gesammte Menschheit reicht hin, um einzusehen, daß eine andere Welt nöthig wäre, um eine ganze Wahrheit daraus zu machen. Aber ein Korn Wahrheit steckt bei alledem darin, und vergessen sollte es Niemand, daß der Mensch zum Menschen gehört, daß Einer so geboren wird wie der Andere, und Jeder so sterben muß, ohne das Geringste mitnehmen zu können. Darum soll Jeder daran denken, mag er eine Krone tragen oder in Gold sitzen, daß er zu denen gehört, von denen der Heiland sagte: Kommt der zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken, und darum soll der Stolzeste nicht vergessen, daß es über die Familie hinaus eine große Menschenfamilie giebt, die ein Anrecht hat an ihm und an Allem, was da ist. –

Wärst Du, arm, mein Kind; so würde ich Dich bedenken, wenigstens mit einem Theil von dem, was ich mir erworben habe, da Du es nicht bist, bedenke ich Deine armen Brüder; und Jedermann sollte dies thun, sollte einen Theil seiner Habe ihnen zuwenden. Dir, vor Allen, bleibt mein Segen, mein Sohn, und meine herzliche Liebe, die Dich nicht verlassen wird auf allen Deinen Wegen.

Und diese Liebe leuchtete auch auf des Doctors Gesicht, das er dem alten Onkel zuwandte, der ihn enterbte. Er war gerührt und beglückt von diesen Zusicherungen; plötzlich aber fiel ihm ein, was nun mit seiner Angelegenheit werden sollte. Er dachte an die Tante und empfand ein leises Zittern.

Ich weiß wirklich nicht, an wen ich mich wenden soll, sagte er, um aus dieser Verlegenheit zu kommen.

Es ist auch gar nicht nöthig, rief der alte Herr. Du bist ja nicht in Verlegenheit, wenn Du nicht darin sein willst. Geh nach Haus, sage, es ist nichts damit, ich habe kein Geld, um mich damit einzulassen. Sage ihnen rund heraus, der Onkel kann und will nichts geben und – Eines versprich mir, Johannes, das fordere ich von Dir im Namen Deiner Eltern. Hertner hat mir mitgetheilt, daß davon die Rede gewesen sei, dein Haus zu verkaufen. Das darfst Du nicht thun, denn erstens ist es Deines Vaters letzter Wille gewesen, dies Haus als ein Familienerbe seinen Nachkommen zu erhalten, er hat es zwar nicht gesetzlich gemacht, aber doch ausdrücklich empfohlen, nur im Falle der Noth es zu veräußern; zweitens ist jetzt keine Zeit Grundstücke gewinnreich loszuschlagen.

Ich werde es nicht thun, sagte der Doctor, es widersteht mir selbst, und meines Vaters Willen muß ich achten, wenn ich nur – er vollendete nicht, was er sagen wollte, aber der Onkel verstand ihn.

Wenn Du nur der gnädigen Tante das begreiflich machen könntest, fiel er ein. Nun, ich weiß nicht, was Dich davon abhält, ihr einfach zu sagen, ich muß meine Angelegenheiten besser kennen, als jeder Andere, und werde hier wohnen bleiben. Wem es im Park besser gefällt, der wird wohl thun – und so und dergleichen, Johannes.

Er lachte hell auf und nickte seinem Neffen zu, der leise mitlächelte.

Mit Deiner Frau wirst Du auf jeden Fall eher fertig, fuhr er fort, es wäre denn –

Was? fragte der Doctor, als er sah, daß der Onkel schwieg und vornüber gebeugt ihn scharf anschaute.

Es wäre denn, fuhr der alte Herr fort, daß ihr Herz sich von Dir abgewandt hätte und schon ganz umstrickt wäre.

Eine helle Röthe bedeckte die Stirn des Gelehrten.

Von mir abgewandt? Ihr Herz? rief er aus. Du kennst sie nicht. Ja, das wäre allerdings das Schrecklichste, das mich treffen könnte, und davor behüte mich Gott! Aber, fügte er mit einem schönen Lächeln hinzu, das ist ja unmöglich, gewiß, das ist ganz unmöglich!

Kannst Du so fest daran glauben, sagte der Onkel, so muß es wahr sein, und wenn es so freudig um Dein eigenes Herz steht, Johannes, so wird sich Alles auch zum Besten wenden. Dann zeige ihr nur, was da innen geschrieben steht, und schau sie dabei an, wie Du mich anschaust, so wird es auch bei ihr durchbrechen. Die gnädige Tante aber – gut, kein Wort will ich weiter verlieren. Jeder Mann muß seinen Hut auf den Kopf setzen, sagen die Leute jenseit des großen Wassers, und zusehen, daß er ihm nicht abfällt, und nun erzähle mir etwas von dem guten, lieben Mädchen, das Du in Deinem Hause hast. Ich meine Marie Selben. Das ist ein Schatz, Johannes, so lange der aushält, schwimmt Dein Schiff noch oben. Leide es nicht, daß ihr Unrechtes geschieht.

Das würde ich gewiß nicht dulden, sagte der Doctor, aber wer sollte ihr Unrecht thun? Wir sind ihr ja Alle herzlich zugethan.

So, Alle! rief der Onkel, nun, Ihr habt es nöthig. Ich bin ihr auch zugethan, und es giebt andere Leute, die es wohl noch mehr sind. –

Er blickte seinen Neffen schelmisch an und fuhr dabei fort:

Das ist eine Frau für einen praktischen Mann, wer die nimmt wird nicht betrogen, und kann sicher sein, daß sie ihm mit Leib und Leben anhängt. Aber wo willst Du denn hin? fragte er, als Johannes aufstand. Du willst mich doch noch nicht verlassen? Ich denke, Hertner wird kommen, dann sitzen wir den Abend fröhlich beisammen.

Ein unheimliches Gefühl war über den Doctor gekommen, ein Grauen vor einem Gedanken, den die letzten Worte des alten Mannes in ihm aufgeweckt hatten. Das kleine Wort »betrogen« brachte ein sonderbares Zittern in sein Herz und verband sich mit einem anderen Gedanken, der ihm noch nicht eingefallen war. Er hatte noch niemals daran gedacht, daß Marie sein Haus verlassen könnte, und jetzt, wo ihn die Rede des Onkels darauf brachte, fühlte er, wie er davor erschrak. Es kam ihm vor, als bräche etwas in ihm zusammen, unwillkürlich legte er die Hand an seine Seite, und wie man einen Stern verfolgt, der über den dunklen Himmel fährt und erlischt, so hefteten sich seine Augen still auf einen Punkt, wo er ein Gesicht zu sehen glaubte, das vor ihm versank.

Ich will fort, sagte er, Emma würde ängstlich sein, wenn ich ausbliebe; auch Marie. Du hast wohl Recht, sie ist ein Schatz an Herzensgüte und Verstand. Hertner – er brach, indem er den Namen nannte, ab und schwieg einen Augenblick – ich kann ihn nicht erwarten, aber ich komme bald wieder, wir sehen uns ein ander Mal.

Was der alte Herr auch noch einwenden mochte, der Doctor ließ sich nicht länger zurückhalten, und nach einiger Zeit begleitete er ihn Arm in Arm bis an die Pforte, wo der zottige Hund, Abschied nehmend, an ihm aufsprang, und die große Katze sich zärtlich schnurrend an ihm rieb.

Sie sagen Dir, was ich Dir sage, Johannes, rief der Onkel. Komm bald wieder! und wenn Du kannst, bring' mit, was Du lieb hast. Erzähle Deiner Emma, wie die beiden hier sie einladen lassen, und welche Grüße sie Dir mitgegeben haben, der alte Onkel freilich noch viel mehr. Erzähle ihr, wie die Bäume wieder blühen und die Laube wieder grünt, und trage es ihr vor, so recht aus dem ganzen Herzen. Und wenn sie dann Dich ansieht, wie in alter Zeit, dann thue den Mund auf, und sprich mit ihr frisch von der Leber herunter, wie ein Mann sprechen muß. Setz Deinen Hut auf, Johannes, setz den Hut auf, mein Sohn. Der Hut macht den Mann, sagen die Engländer, und so geh mit Gott!

Der Doctor setzte den Hut auf und nahm Abschied, und der alte Herr mit dem schwarzen Käppchen, dem greisen, vorgebogenen Körper und dem faltigen, scharfen Gesicht, blickte ihm nach und wirbelte eine Dampfwolke aus seiner kleinen Pfeife in die Luft, wie der beste Dampfschornstein.

Wenn ich ihm nur etwas abgeben könnte, was ich für ihn übrig habe, sagte er, indem er seine hellen Augen blitzen ließ, etwas Eisen in sein Blut, denn darin steckt der ganze Fehler. Aber ich hoffe, sie werden ihn doch ein bischen verändert finden, und vielleicht bricht es jetzt durch, und die alte grimmige Hexe wird Zeter und Mordio über den elenden Onkel schreien. Das soll sie, das wäre meine größte Wonne! schrie er auf, und lustig lachend ging er mit Hund und Katze in sein Haus zurück.

 

Der Doctor ging inzwischen erst rasch und in seinen Gedanken versunken nach Haus, dann langsamer, je mehr er sich seiner Schwelle näherte. Die Unruhe und Beklommenheit seines Herzens wich einem ängstlichen Gefühle, denn er konnte wohl denken, wie die Nachrichten, mit denen er heimkehrte, aufgenommen wurden. Er kam nicht mit einem Oelblatte des Friedens, leider wußte er auch nicht, wie er sich dies verschaffen sollte.

Der Onkel hatte gut sagen: tritt hin und sprich ganz einfach, es geht nicht an, wir müssen wohnen bleiben, und wem es nicht gefällt, der mag gehen. Ein solches hartes, dürres Wort war ihm unmöglich, denn welchen Kummer hätte er dadurch über Emma gebracht, und was würde die Tante dann thun? Sie würde auf der Stelle ihn verlassen, Emma verlassen, alle ihre Verwandten, Sternau, der Geheimrath, die Familien, mit denen Emma so gern umging, würden sich zurückziehen, Thränen, Bitten und Vorwürfe würden über ihn kommen, Schmerzen, bei deren Vorstellung er in bittre Angst gerieth und die Gewißheit empfand, ihnen nicht widerstehen zu können. –

So wunderbar sind die Schwächen des Herzens, daß er, der mit allen seinen Neigungen sich gegen die Pläne sträubte, welche die Tante für ihn eingefädelt hatte, die größte Furcht empfand, daß sie scheitern könnten, und noch stand er nicht vor seiner Thür, als er in äußerster Rathlosigkeit nur noch dem einen Gedanken nachhing, bei Emma Schutz vor dem Zorne der stolzen Frau zu suchen, vor deren vernichtenden Blicken er sich im Voraus beugte.

Leise ging er die Treppe hinauf, in seinem eigenen Hause wie ein Eindringling, der vor Entdeckung und Strafe bangt, und an dem Vorzimmer stand er erschrocken still, denn er hörte drinnen die Frau Majorin sprechen, und die Thür war nur angelehnt.

Frau von Graßwitz sprach mit Marien über häusliche Angelegenheiten.

Wie gesagt, meine Liebe, hörte der Doctor in dem bekannten, bestimmten Tone sie sagen: Sie haben von jetzt ab sich immer an mich zu wenden, und mir allein Ihre Meldungen zu machen. Bringen Sie mir des Morgens Ihre Berechnungen, wir können dann alles Nöthige abthun.

Ich werde Ihren Weisungen nachkommen, sagte Marie.

Endlich, meine Liebe, begann die Frau Majorin nochmals, glaube ich, Ihrer selbst wegen, noch eine Bitte hinzufügen zu müssen. Ich weiß, es ist Ihnen unangenehm, bei Ihrer Stellung hier im Hause an dem Mittagstisch Theil zu nehmen, wo Sie fortgesetzt gestört sind. Ueberdies haben wir jetzt öfter Freunde, und in Zukunft wird das noch häufiger der Fall sein. Sie werden es daher wahrscheinlich lieber sehen, wenn Sie in Ihrem Zimmer essen können.

Ganz nach Ihrer Bestimmung, gnädige Frau, erwiederte Marie mit ihrer klaren, festen Stimme.

Aber muß denn das sein? fragte der Doctor, indem er hereintrat, und wie gewöhnlich, wenn ihn etwas anregte, alles Andere darüber vergaß. Muß denn das sein? wiederholte er, ohne das scharfe Lächeln der Tante und ihre Blicke zu beachten, und indem er die Hand seiner Freundin nahm und zwischen seine beiden Hände legte, fügte er hinzu: Es würde mir das Beste fehlen, liebe Marie, wenn ich Sie Mittags nicht mehr sähe, nicht mehr freundliche Worte mit Ihnen wechseln könnte.

Allerliebst! lachte die Tante auf, ich habe immer gesagt, es liegt etwas Poetisches in Ihnen, mein Lieber, und wenn unsere gute Marie wirklich nicht von Ihnen gemißt werden kann, so müssen wir allerdings das Nützliche über dem Angenehmen vergessen.

Die gnädige Frau hat vollkommen Recht, antwortete das bescheidene Mädchen. Bei den Veränderungen, welche in Ihrem Hause stattgefunden haben, Herr Doctor, ist es schicklich und nützlich, daß ich Ihren Familienkreis an Ihrem Tische nicht vergrößere.

Wenn Sie das selbst sagen, so muß ich es wohl glauben, erwiederte er, doch wird es hoffentlich nicht lange dauern. Es wird sich abändern lassen, Sie sind uns Allen ja so lieb und werth.

Der herzliche Ton, mit welchem er dies sagte, brachte eine sehr verschiedene Wirkung hervor. In Mariens Gesicht schimmerte eine Dankbarkeit, die von dem eigenthümlichen Ausdruck ihrer Augen begleitet und beherrscht wurde, welche voll inniger Theilnahme sich auf den Doctor richteten; die gnädige Tante dagegen drückte ihren Widerwillen durch die ruckende Bewegung aus, mit welcher sie den Kopf in den Nacken zog und ihre Lippen lächelnd zusammen preßte.

Als die Wirthschafterin sich entfernt hatte, sprach sie nichts mehr über diesen Vorgang, aber Johannes Gerber, der sie jetzt erst recht ansah, gerieth in große Verwirrung; denn er erkannte auf der Stelle, daß er etwas fürchterlich Strafbares begangen haben mußte, so höhnend und verwerfend blickte sie ihn an, und schien etwas in ihm lesen und verstehen zu wollen.

Gleich darauf jedoch bot sie ihm ihre Hand hin, wie zur Vergebung, und ihr Gesicht wurde viel milder, als er instinctmäßig diese gewaltige Hand küßte.

Nun, sagte sie, das ist schön, daß Sie so bald zurückkommen. Wir glaubten schon, der Herr Onkel Stadtrath würde Sie nicht fortlassen, beim Glase Wein, wie es seine Sitte ist, mit Ihnen festsitzen bleiben und Sie in Nebel gehüllt – ich meine die abscheulichen Tabacksnebel entlassen. Kommen Sie nur herein, Emma ist müde, sie ruht aus. Sternau ist nach Haus gegangen, er will sich noch heut nach dem Pferde umthun. Wir haben Alles bestens besorgt. Das Reitkleid ist bestellt, morgen soll es fertig sein. Dann haben wir Einkäufe gemacht, Stoffe und Möbel ausgewählt, äußerst geschmackvoll, mein Lieber, und endlich ist eine Einladung von unserem Cousin Köller gekommen, übermorgen soll der improvisirte Ball wiederholt werden, der so allgemeinen Beifall gefunden hat.

Das Alles erfuhr der Doctor, während er der Tante folgte und in das Zimmer trat, wo, da es dunkel zu werden begann, eine Lampe dämmernd unter einem großen Blumenschirm brannte. Die junge Frau lag wie am Morgen in den weichen Kissen, und ihr besorgter Mann blickte bestürzt auf sie hin, denn in dem Schatten um sie her sah sie grau und bleich ihm entgegen.

Mein Gott! sagte er, Du bist wieder unwohl, liebe Emma.

Sein sorgender Ausruf machte, daß sie ihm freundlich antwortete.

Nur müde von der Luft und dem vielen Laufen. Wir sind wohl in zehn Magazinen gewesen und haben wunderschöne Sachen gesehen. Nun liege ich hier und beschäftige mich mit wichtigen Gedanken, schmücke unsere neue Wohnung aus, sehe Alles schon vor mir, wie ich es haben will, und bin ganz entzückt darüber. Wie war es bei dem Onkel, lieber Johannes?

Der Doctor fühlte sein Herz voll Blut und Noth, doch er erinnerte sich, was der Onkel ihm gesagt hatte, und indem er die weichen, warmen Finger seiner Frau nahm, begann er die Lehren des Greises zu befolgen.

O! es war schön bei ihm, rief er aus. Die Bäume alle in voller Blüthe, der ganze Garten Duft und Glanz.

Der Garten im Park, fiel die Tante ein, ist jedenfalls noch schöner und prächtiger. Es sind sogar Orangenbäume auf die Terrasse gestellt.

Und unsere Laube hat sich mit dichten, jungen Blättern bedeckt, fuhr Johannes fort. Ja, denke Dir, fuhr er freudiger fort, als er einen leisen Druck fühlte, das Apfelbäumchen, das der gute Onkel an unserem Hochzeitstage vor dieser Laube pflanzte, ist so blüthenreich, wie kaum ein anderer Baum im Garten.

Ein sehr erfreuliches Zeichen, sagte die Majorin, wenn man an Zeichen glauben will.

Ich möchte den Baum wohl sehen, flüsterte die junge Frau.

Kind, ein Baum ist ein Baum, das heißt ein grünendes Stück Holz, das eben so aussieht, wie jedes andere von derselben Beschaffenheit, lachte die Tante.

Der Onkel läßt Dich mit tausend Grüßen dazu einladen, sagte Johannes, und dein alter Freund Amor, sammt seiner Freundin, die Du selbst einst Psyche getauft hast, lassen gar schön darum bitten.

Liebenswürdige Gesellschaft! rief die gnädige Tante. Köstlich! mit Amor und Psyche vorauf und den Herrn Stadtrath am Arm umherzuschwärmen! Aber wir haben jetzt keine Zeit zu solchen romantischen Abentheuern, mein Lieber, und müssen vor der Hand daher wohl auf dies Glück verzichten. Brechen wir also davon ab, und sagen Sie uns, wann wir die ausgewählten Möbel und Stoffe bezahlen wollen.

Der Doctor zögerte. Wäre es Tag oder helles Licht gewesen, Emma hätte erkennen müssen, mit welcher innigen, bittenden Liebe, trotz des Spottes der hochmüthigen Tante und trotz ihres Gelächters, er sie anblickte. Aber sie sah dies nicht, oder sie beachtete es nicht, und ihre aufgeregte Eitelkeit beschäftigte sich weit mehr mit der Begier, ihre Wünsche erfüllt zu sehen. –

Ja, es kann nichts daraus werden, rief sie, Amor muß sich ohne mich behelfen. Wir haben zu viel zu thun, um ihn aufzusuchen, denn morgen müssen wir unsere Einkäufe vervollständigen, übermorgen ist der Ball und dann werde ich reiten. Es ist ganz unmöglich, Johannes; doch wie ist es mit dem Gelde? bat es der Onkel gleich gegeben?

Er hat es nicht gegeben, erwiederte er sanftmüthig.

Also wird er es schicken. Morgen brauchen wir es nothwendig.

Ich glaube nicht, daß er es schicken wird, sagte er zögernd, da er nicht wagte, die volle Wahrheit zu gestehen.

Aber, mein Gott! rief die Tante, was sind denn das für Umstände. Sollen Sie nochmals darum hinauslaufen?

Das würde nichts helfen, erwiederte er gedrängt von ihren Fragen, denn – er kann es mir nicht geben, fügte er mit einer gewaltsamen Anstrengung hinzu.

Eine kleine Stille folgte. Die Frau Doctorin richtete sich auf und stützte sich auf ihren Arm, die Tante lächelte grimmig den Doctor an.

Er kann es nicht geben? sagte sie. So schlecht steht es mit ihm?

O, nein! erwiederte er, allein er verfolgt einen sehr edlen Zweck, den er mir mittheilte. Er spart, so viel er kann, und will damit und mit seinem ganzen Vermögen ein Rettungsbaus für arme, alte Arbeiter stiften, auf dem Platze, wo jetzt sein eigenes Haus steht.

Eine neue Pause trat ein, dann fragte die Frau Majorin mit möglichster Selbstbeherrschung: Und das hat er Ihnen selbst mitgetheilt? Und von dem Gelde, welches er aufsammelt, will er Ihnen, seinem einzigen Neffen, nicht einmal ein Darlehn vorstrecken, das Sie nothwendig brauchen?

Ich weiß allerdings nicht recht, wie ich ihm das Geld zurückerstatten soll, erwiederte der Doctor sehr verlegen. Meine Zinsen verzehre ich, mein Vermögen anzugreifen ist nicht rathsam

Elende dreitausend Thaler! rief die gnädige Tante verächtlich. Er enterbt Sie also, und Sie nehmen das auf, als läge darin kein Schimpf und keine Abscheulichkeit, sondern eine Ehre. Glauben Sie wirklich, daß das sein Ernst sein kann?

Ich glaube es allerdings, antwortete er.

Und Sie machten keine Einwendungen?

O! ich – ich, was hätte ich sagen können?

Was Sie hätten sagen können? rief die stolze Frau empört. Dachten Sie nicht an Ihre Familie? Konnten Sie ihm nicht vorhalten, daß es ungerecht, abgeschmackt, lieblos sei, seine nächsten Verwandten um ihr rechtmäßiges Erbe zu bringen?

Gewiß nicht lieblos, antwortete Johannes seine Hände reibend, er liebt mich, liebt Emma und segnet uns.

Ein Hohngelächter antwortete ihm, und diesmal lachte Emma mit.

Ist es möglich, so – so – einfältig zu sein, wollte sie sagen, aber sie unterdrückte das Wort, das deutlich genug in ihren Mienen zu lesen war – so wenig einsichtig zu sein, sagte sie. Mit Hund und Katze zu promeniren, und den Apfelbaum zu besichtigen, dafür reichen Liebe und Segen aus. Ich hoffe aber nun, mein Lieber, daß Sie diesen Leuten gegenüber, welche Sie so lange bewundert haben, und die so wenige Umstände mit Ihnen machen, sich endlich als Mann zeigen werden. Man erträgt Launen, erträgt Unschicklichkeit und Rohheit, wenn man Rücksichten zu nehmen hat. Ich habe zu Manchem geschwiegen, weil ich dachte, ein alter, kinderloser, wohlhabender Onkel muß nachsichtig behandelt werden, und so ist es Emma auch gegangen. Ich habe das arme Kind getröstet, wenn sie zu kränkenden Aeußerungen lachen mußte.

Kränken? O, nein! das war gewiß niemals sein Wille, flüsterte der Doctor bittend.

Seine spöttischen Anspielungen und sein Tadel waren wenigstens verständlich genug, erwiederte die junge Frau. Was ich thue, ist ihm längst nicht angenehm, und wie kann er uns lieben, wenn er so unnatürlich gegen uns handelt!

Die Thränen traten in ihre Augen und begleiteten ihre letzten Worte.

Weine nicht, mein liebes Kind, weine nicht, sagte die Tante. Es ist zwar äußerst schmerzhaft, sich so getäuscht zu sehen, aber Du hast einen Mann, der Dich schützen wird, und glücklicher Weise macht der Herr Stadtrath euch ja nicht unglücklich. Ihnen werden zur rechten Zeit die Augen geöffnet, mein Lieber, Sie sehen nun, was Sie zu erwarten haben. Sie werden jetzt nicht länger zögern, um zu beweisen, daß Sie selbstständig sind.

Der Doctor war in größter Unruhe. Emma weinte, und ihr Kummer schnitt in sein Herz, die Tante stand vor ihm wie der Racheengel, und er fühlte das feurige Schwert in seinem Nacken. Er wagte nicht zu widersprechen, und wußte auch nicht, wie er dies thun sollte. Es schien ihm allerdings auch hart, daß er so gänzlich abgewiesen war, und die Vorwürfe der Tante hatten etwas Wahres, wenigstens kam es ihm jetzt so vor. Dem entgegen rang der hinsterbende Gedanke, den der Onkel ihm eingeflüstert, zu bleiben, wo er sei, und die leichtsinnigen Pläne fallen zu lassen.

Es ist sehr verdrießlich, sagte er stockend, aber es läßt sich doch nicht ändern und da es einmal nicht sein kann so werden wir – wenigstens für jetzt – ich weiß allerdings nicht –

Er gerieth in Verwirrung, denn Frau von Graßwitz sah ihn mit solcher vernichtenden Hoheit an, daß er nicht weiter konnte.

Hier bleiben, mein Lieber, sagte sie mit dem befehlenden Lächeln, in diesem Winkel, in dieser jämmerlichen Hütte. Uns lächerlich machen vor der ganzen Welt. Alle unsere Freunde wissen, was wir vorhaben, denn wir haben es überall erzählt und sind beglückwünscht worden, haben Ankäufe gemacht, haben gemiethet. Sind Sie rasend! wollen Sie Ihre Frau und mich dem abscheulichsten Gespött aussetzen? Wollen Sie sich selbst zum Gelächter machen?

Wie sollte ich dies thun? erwiederte der Doctor in seiner Bestürzung.

Du kannst uns nicht so bloßstellen, Johannes, fiel die junge Frau ein. Du hast eingewilligt, hast Alles gut geheißen; jetzt können wir nicht mehr zurück.

Das ist wahr, sagte er begütigend, aber ich meinte nur für jetzt, da ich nicht weiß, wie es auszuführen ist.

Es muß ausgeführt werden! rief die Tante. Wir haben Credit genug, Sternau wird uns behilflich sein, ein Capital aufzunehmen. Inzwischen verkaufen wir das Haus und Sie reißen Ihr Vermögen aus den Händen dieses Hertner, dem ich das Aergste zutraue. Er ist übrigens, als Sie fortwaren, hier gewesen. Marie, mit der er sich unterhalten hat, sagte mir, daß er noch gefragt habe, ob Sie seinen Brief erhalten und den Herrn Onkel Stadtrath schon besucht hätten? Als er mich erblickte, empfahl er sich. Melden Sie ihm morgen, daß Sie Ihr Geld haben wollen, das ist die beste Antwort darauf.

Das Haus kann ich nicht verkaufen, erwiederte der Doctor, der bei dem einen Punkte stehen blieb.

Sie können es nicht verkaufen? fragte Frau von Graßwitz drohend.

Nein, sagte er sanftmüthig. Mein Vater hat es so bestimmt und ich – ich habe versprochen, es nicht zu thun.

Aber das sind ja Possen, mein Lieber. Wie kann man so etwas versprechen?

Ich habe es aber versprochen, antwortete er, und indem er mit größerer Festigkeit, als die stolze Frau an ihm gewöhnt war, den Kopf aufhob und ihre Blicke aushielt, fügte er hinzu: ich werde es nicht verkaufen!

Mein Gott! was sollen wir dann beginnen? rief Emma. Es geht doch nicht anders.

Die Tante sah besser ein als ihre Nichte, daß ein anderer Weg eingeschlagen werden müßte, denn Johannes Gerber blickte streng vor sich nieder und blieb ungerührt.

Gut, sagte sie, halten Sie die Grille eigensinnig fest; aber es wird doch wenigstens ein Capital auf dies Haus aufgenommen werden können, das später wieder abgezahlt werden kann?

Die kluge, verständige Tante hatte den richtigen Ausweg gefunden. Des Doctors Gesicht erheiterte sich, er blickte sie dankbar an.

Ja, das kann ich, sagte er, das will ich, liebe Emma. Ich will gern Alles thun, was ich vermag. O, wenn es möglich ist, wollen wir, so schnell es geschehen kann, uns das Geld verschaffen.

Damit war die Einigkeit hergestellt. Die Frau Doctorin trocknete ihre Thränen und lächelte huldvoll, und als er sich zu ihr neigte, schlang sie plötzlich beide Arme um seinen Hals, ihre Küsse brannten auf seinen Lippen, und mit dem Tone, dem er niemals widerstehen konnte, rief sie aus:

Du bist gut, sehr gut, Johannes. Doch wenn es Dir ein zu großes Opfer ist, mußt Du nein sagen.

Aber der gute Doctor sagte nicht nein. Er war so erfreut, daß ein so leichter passender Ausweg gefunden war, und so beglückt über Emma's Glück, daß er den ganzen Abend voller Vergnügen ihren Plaudereien zuhörte und rechnen half, was Alles geschafft und geordnet werden mußte, wenn die Einrichtung geschmackvoll und so elegant sein sollte, wie die junge Frau sich dieselbe mit eitlem Stolze ausmalte.



 << zurück weiter >>