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Zweites Kapitel.

Es weiß Niemand, was noch aus ihm werden kann! Diesen weisen Spruch seines alten Bedienten hatte der Doctor Gerber ebenfalls auf den Lippen, als er am Morgen aufwachte, und es ungewöhnlich spät war. –

Es war nichts Unerklärliches dabei, denn er war mit seiner jungen Frau und deren Tante sehr spät nach Haus gekommen. Der Geheimrath von Köller hatte eine glänzende und fröhliche Gesellschaft an seiner Tafel vereinigt. Vier Stunden lang dauerte das Essen, und dann hatten sich die erregten Gäste statt nach Haus zu gehen zum Tanze vereinigt, der wiederum vier Stunden und länger gewährt hatte.

Der Doctor Gerber hatte niemals getanzt, er fühlte, wie die meisten Gelehrten, vielmehr eine starke Abneigung gegen derartige Vergnügungen, und während der zwei Jahre seines ehelichen Lebens war er nicht dazu gekommen, vermehrte Neigung dafür zu entwickeln, denn er lebte einfach und einsam und hatte niemals daran gedacht, ob seine junge Frau an solchen Sachen Geschmack und Gefallen finde.

Die Lebensgeschichte des Herrn Doctors war eine ganz gewöhnliche. Sein Vater, ein eben so schlichter Mann wie der alte Onkel, hatte mit diesem gemeinsam eine Spinnerei und Weberei besessen, und seinem noch unerwachsenen Sohne ein ziemlich bedeutendes Vermögen hinterlassen. Statt aber dem Willen und den Wünschen seines Onkels und Vormundes zu folgen und ein Fabrikant zu werden, hatte Johannes die Gelehrsamkeit vorgezogen und ließ sich nicht davon abbringen.

Der kinderlose Onkel führte das Geschäft lange Zeit allein, bis er endlich einen armen Knaben, den er erzogen, zu seinem Geschäftsführer und Theilnehmer machte, und diesem zuletzt die ganze Fabrik übergab. Der junge Hertner war ein thätiger, industrieller Kopf, der ganz anders vorwärts ging und die Fabrik bedeutend vergrößerte.

Der Onkel, welcher für seine vielen Aemter und Dienste in der Gemeinde den Titel Stadtrath erhalten hatte, der, wie er scherzend sagte, ihm als Pension gegeben wurde, als es nichts mehr für ihn zu rathen gab, zog sich auf ein Landhaus zurück, das er vor einem entfernten Thore in einer wenig besuchten Gegend besaß, und als sein Neffe nach mehrjährigen Reisen und längerem Aufenthalt in Italien und Griechenland zurückkehrte, fand er das Haus seines Vaters leer auf ihn wartend.

Der Onkel Stadtrath hatte immer geglaubt, daß der Aufenthalt in fremden Landen und die langen Reisen seinen Neffen zu einem praktischen Weltmann machen würden, allein er sah sich getäuscht, der Doctor kehrte heim wie er gegangen, ein stiller Gelehrter, der, mit seinen Studien über Kunst und Alterthümer verwachsen, wenig Sinn für andere Freuden zu haben schien.

Er schrieb eine Reihe gelehrter Briefe über seine Untersuchungen und Entdeckungen in Unteritalien, Sicilien und auf der nordafrikanischen Küste, welche viel Aufsehen machten und heftig angegriffen wurden, allein mit der Feder in der Hand war er, wie sein Onkel von ihm sagte, ein ganzer Mann, der sich vor keinem Namen und feinem Ansehen fürchtete. Die kühnsten Dinge behauptete und vertrat er ohne alle Scheu, die Angaben der größten Gelehrten, Anschauungen, welche als unumstößlich galten, wurden von ihm für Täuschung und Einbildung erklärt, und ohne vor der Zahl und dem Gewicht seiner Gegner zu erschrecken, führte er seine Sache mit großer Kenntniß, Klarheit, Scharfsinn und selbst mit den Waffen des Witzes zum Siege; in allen anderen Dingen jedoch blieb er blöde, schüchtern und unbehülflich wie ein Neugeborener.

Er beschäftigte sich mit einem großen Werke und bereitete sich zu neuen Reisen vor, allein der Onkel ließ es nicht dazu kommen. Der Doctor war fünf und dreißig Jahre alt geworden und jetzt hatte er die größte Lust, statt in die Brautkammer, in die Kammern der Pharaonen zu steigen, und statt die große Sphinx des Lebens, die Liebe, um seine Zukunft zu befragen, sich mit den Räthseln der alten Granitblöcke in Theben einzulassen. –

Der Zufall begünstigte die Absicht des Onkels, denn eben um diese Zeit starb einer seiner Freunde, der Hauptmann von Treuenschild, und hinterließ eine Tochter von zwanzig Jahren, die mittellos und ohne Aussichten war. Fräulein Emma wurde von dem alten Herrn in sein Haus genommen, sechs Monate darauf war sie Frau Doctorin Gerber.

Wie es vielen frauenscheuen Männern geht, ging es dem gelehrten Herrn auch. Sie fürchten das Begegnen, gelangen nicht dazu, ihre Aengstlichkeit zu überwinden, sobald jedoch zum ersten Male ihnen ein Weib sich naht, die ihnen Theilnahme zeigt und freundliche Fürsorglichkeit oder Bewunderung, springt plötzlich der warme Strom des Lebens auf, den sie so lange gemieden haben.

Der Doctor besaß ein weiches, sanftes Gemüth; er war gar nicht ohne Anlagen für das Glück eines häuslichen Familienlebens, und Emma hörte gern zu, wenn er ihr erzählte und erklärte, wenn er von seinen Arbeiten sprach, von seinen mühevollen Untersuchungen und Reisen. Er lieh ihr Bücher und sie las diese und sprach seine Urtheile nach, was ihn außerordentlich freute; dafür vertheidigte sie ihn gegen die Angriffe und Spöttereien des Onkels, und dankbar drückte er ihr die Hände und fühlte einen elektrischen Schlag bis in sein Herz, wenn er Gegendruck spürte.

So kam es denn eines schönen Tages, daß, als er sie in der Gartenlaube fand, ihre Augen ihn so sonderbar glänzend empfingen, daß er seine Arme aufhob und ihre Arme sich um ihn legten. Er wußte nicht was er that, aber er sagte leise: Emma! und der Ton zitterte durch ihn hin und verband sich mit einem anderen unerklärbar schönen Schauer, denn sie antwortete eben so leise: Johannes!

Da neigte er sich zu ihr, und plötzlich trat der Onkel aus dem Gartenhäuschen, klatschte in die Hände und schrie:

Bravo, also küssen kann er doch auch! Küsse die hübschen Lippen frisch noch einmal, mein Herzensjunge, es ist die beste Arbeit, die Du je in Deinem Leben gethan hast.

So war es denn geschehen, und es that ihm nicht leid. Er sah sich geliebt von einem Weibe und er glaubte daran und gab ihr Alles dafür, was er ihr geben konnte, sein weiches Herz mit dem Schatze von Zärtlichkeit und Sorgfalt, der darin verborgen lag. Diesen darzulegen in der gewöhnlichen Art eines gewöhnlichen Bräutigams vermochte er freilich nicht, weder durch schöne Worte, noch durch schöne Geschenke und vielerlei Zerstreuungen, aber er legte seine Bücher fort, widmete ihr einen großen Theil seiner Zeit, freute sich über Alles, was sie freute, und war glücklich, wenn er ihre Wünsche erfüllen konnte.

Seine Reisen und Ankäufe hatten viel Geld gekostet, weit mehr als die Zinsen seines Vermögens abwarfen, doch der Onkel hatte immer ausgeholfen, und auch jetzt ließ er das Haus einrichten und ausstatten, zwar nicht in vornehmer Weise, aber bequem und angenehm. Die Einkünfte des Doctors reichten vollkommen aus, um in wohlhabend bürgerlicher Weise zu leben, und da der größte Theil in der Fabrik angelegt war, die sein Freund Hertner jetzt so vortheilhaft betrieb, vermehrten sich sogar seine Mittel.

Gern erfüllte er die Bitte seiner jungen Frau, eine ihrer Freundinnen, Marie Selben, bei sich aufzunehmen, welche in allen wirthschaftlichen Angelegenheiten weit erfahrener war als sie selbst und den jungen Haushalt eben so geschickt zu unterstützen, wie dem jungen Paare Gesellschaft zu leisten wußte.

Ein Jahr ging in angenehmer Weise hin. Der Doctor hatte einige gelehrte Bekannte, er arbeitete, wie es ihm Vergnügen gewährte, aber er ging nicht mehr in diesen Arbeiten auf. Die junge Frau liebte die Musik und Gesang, und wie gern hörte er zu! Der Onkel kam täglich ins Haus, oder sie gingen hinaus zu ihm, dann kam Hertner, der junge Fabrikherr, es kamen einige verwandte und bekannte Familien und gesellige Freunde, und dies häusliche Glück steigerte sich noch mehr, als der Knabe geboren wurde, welcher jetzt erkrankt in seinem Bettchen lag. Nach dem alten Onkel wurde er Gotthold genannt, und in den ersten Wochen vergaß der Doctor gänzlich, daß es Bücher und Gelehrsamkeit in der Welt gab. Er war ein glücklicher zärtlicher Vater, der, sein Kind im Arm, stundenlang umher gehen und es betrachten konnte.

Gerade in dieser Zeit aber kam die Tante der jungen Frau ins Haus. Sie hatte in einer großen Provinzialstadt gelebt und war an einen Major von Graßwitz verheirathet gewesen, der vor wenigen Monaten in das Himmelreich der Soldaten versetzt wurde. Jetzt wandte sie ihre Liebe und Sorge ungetheilt ihrer verheiratheten Nichte zu. Aus dem Besuche zur Pflege und zum Beistande wurde aber ein dauernder Aufenthalt, und ohne daß es der Doctor wußte, geschah eine Revolution in seinem Hause und an ihm selbst, denn alle bisherigen Verhältnisse kehrten sich um.

Die große stattliche Dame ergriff die Zügel der Regierung mit eben so vieler Sicherheit wie mit glänzendem Erfolg, und keine drei Monate verflossen, so war ihre Herrschaft unbestritten festgestellt. Zunächst trat sie zwischen ihre Nichte und deren bisherige Freundin, indem sie diese in die Schranken der Wirthschaftsvorsteherin zurückwies, dann als mütterliche erfahrene Rathgeberin anerkannt, übernahm sie den Oberbefehl im Hause, in der Kinderstube und Küche, zugleich aber beseitigte sie eben sowohl die bisherigen Gesellschafter und Freunde des Doctors wie diesen selbst, der sich in sein Studirzimmer und zu seinen Büchern zurückzog, mit dem tiefsten Respect vor der außerordentlichen Umsicht und Liebenswürdigkeit der gnädigen Tante, und mit einem Gefühl der Dankbarkeit, daß er wieder an seinem Schreibtisch angelangt sei.

Der gute freundliche Doctor hatte seine Frau noch eben so lieb als früher, ja es kam ihm vor, als habe er sie noch lieber, seitdem sie sich mehr schmückte als bisher, die Tante so viele Sorgfalt dafür trug und ihm so oft sagte, Emma sei eine schöne junge Frau, so schön und liebenswürdig, daß er zu beneiden sei. Der gute Doctor fühlte das selbst, er that Alles gern, was von ihm begehrt wurde. Er erfüllte alle Wünsche mit Freuden, hieß Alles gut, was geschah, und fügte sich lächelnd in alle Ordnungen; dennoch aber war ihm bald nirgend so wohl, als bei seinen Arbeiten, wo er vergnügt daran dachte, daß die gute, treffliche Tante seiner Frau Gesellschaft leiste.

Er wunderte sich nicht darüber, daß er sich auf sich selbst zurückzog, aber er wunderte sich darüber, daß seine Bekannten immer seltner kamen, Hertner sich nicht mehr blicken ließ, und Wochen vergingen, wo der Onkel ihn nicht mehr besuchte. Statt dessen fand sich jedoch andere Gesellschaft ein, denn die Tante hatte nicht allein zerstört, sie hatte auch aufgebaut. Ihre Verwandten erschienen in dem Hause des Gelehrten, Leute von Namen und Ansehn, die mit ganz anderem Ton und Gewicht auftraten.

Der Geheimrath von Köller, einer der ersten Räthe des Staatskanzlers, befand sich an ihrer Spitze, außer ihm andere von wenig geringerer Bedeutung, darunter ein Schwager des Geheimraths, ein junger feiner, liebenswürdiger Herr, der dem Doctor besonders gefiel, vielleicht zumeist darum, weil die Tante ihn so sehr rühmte und weil er fast täglich kam, um den beiden Damen ein angenehmer, lebhafter Gesellschafter zu sein. Herr von Sternau war Offizier gewesen, arbeitete jetzt jedoch im auswärtigen Amte, und wie die gnädige Tante sagte, war er ein vorzüglicher Kopf, der eine glänzende Carriere zu erwarten hatte.

 

Herr von Sternau hatte gestern die Familie zu dem Feste seines Schwagers begleitet und allerlei Beziehungen des Doctors zu dem Geheimrath vermittelt, über welche jener eben nachdachte, als er so spät erwachte und lächelnd vor sich hin sagte:

Es weiß Niemand, was noch aus ihm werden kann! – O! wirklich, fuhr er dann fort, indem er sich ankleidete, ich habe niemals besondere Erwartungen über mich gehegt, und weiß auch nicht, warum ich dies thun sollte. Es widersteht mir daran zu denken, murmelte er leise vor sich hin, aber ich weiß nicht, wie ich anders kann.

Inmitten dieser räthselhaften Worte trat der alte Brinkmann herein, der ihm meldete, daß die gnädige Frau den Herrn Doctor erwarte.

Welche gnädige Frau? fragte sein Herr erschrocken.

Die gnädige Frau Doctorin, sagte der alte Mann.

Bist Du gescheut! lachte Johannes Gerber. Was hat denn das zu bedeuten?

Die gnädige Frau Majorin, erwiederte der Alte, haben mir anbefohlen, künftighin nicht anders zu sagen.

So, sagte der Doctor nachdenkend; ja wenn das der Fall ist, Brinkmann, so hat es gewiß seine Richtigkeit. O, ja wohl, sprach er dann aufklärend und tröstend, es ist ein allgemeiner Gebrauch, ich habe es gestern oft gehört. Alle Damen in der Gesellschaft wurden gnädige Frau oder gnädiges Fräulein genannt. Es ist vortrefflich, lieber alter Peter, wenn die Titulaturen abgeschafft werden, denn es ist doch höchst lächerlich: Frau Geheimräthin, Frau Professorin, Frau Doctorin zu sagen. Was in aller Welt haben die Frauen mit Titeln und Würden der Männer zu thun, Peter?

Die gnädige Frau Majorin, fiel der Alte mit niedergeschlagenen Augen ein, haben auch befohlen, daß ich, da ich auch Franz heiße, künftig Franz genannt werden soll.

Wirklich? sagte Johannes Gerber verlegen lächelnd, ja, das ist sonderbar, aber es ist einerlei, Peter – oder Franz – das liegt im ästhetischen Gefühl der Damen, dem muß man sich fügen. Peter ist ein altfränkischer, ungewohnter Name, der kaum mehr vorkommt.

Es ist aber doch mein ehrlicher Name, brummte der alte Mann kopfschüttelnd.

Im Grunde kannst Du ganz damit zufrieden sein, lieber Brinkmann, fuhr der Doctor freundlich fort. Peter ist gänzlich in Ungnade gefallen, man braucht den Namen nur noch, um Spötterei damit zu treiben, wie z. B.: Grober Peter, fauler Peter, dummer Peter und so weiter, davon will die gnädige Tante Dich befreien; Franz klingt ja viel schöner, es spricht sich auch viel leichter aus. Im Uebrigen aber, sagte er, indem er seine Hand schmeichelnd auf den alten Diener legte, bleib Du doch mein guter lieber Peter, den ich kenne und der mich kennt.

Er ging schnell davon, um weitern Erörterungen auszuweichen, trat mit seinem freundlichsten Lächeln bei seiner Frau ein, die in halb liegender Stellung den Kopf in die weichen Kissen des Sophas drückte und ein Tuch um die Stirn gewunden hatte, während die Tante vor ihr an dem Kaffetisch stand.

Was ist denn das? fragte er erschrocken. Du bist doch nicht erkrankt, beste Emma?

Nur nicht so laut, erwiederte die gnädige Tante ihm zuwinkend. Eine kleine Erkältung, weiter nichts. Emma war zu erhitzt vom Tanzen und die Nachtluft sehr fühl.

Diese Gesellschaften bringen mehr Plagen als Freuden, sagte der Doctor besorgt. Emma steht so blaß aus.

Wenn Jemand schuld daran ist, so sind Sie es, mein Lieber, erwiederte die Tante.

Ich? rief er erstaunt.

Sie peinigten die arme Frau mit Ihrer Unruhe, eilig nach Haus zu kommen, so sehr, daß sie sich nicht abkühlen konnte. Ich selbst habe dadurch eine schlechte Nacht gehabt.

Es war schon so spät, entschuldigte er sich kleinlaut und von seiner Sündigkeit überzeugt. Aber es thut mir herzlich leid, sehr leid! –

Er küßte Emma's Hand, sie lächelte ihm zu und versicherte ihm, daß es nichts zu bedeuten habe.

Die Tante reichte ihm die Tasse, sein Gesicht hellte sich auf.

Künftig müssen Sie vorsichtiger sein, sagte die gnädige Frau strafend, Sie müssen bedenken, daß Emma's Gesundheit zarte Rücksicht nöthig hat.

Er wollte darauf erwiedern, daß er im Gegentheile immer geglaubt habe, seine Frau besitze eine recht dauerhafte, kräftige Gesundheit, allein er schwieg und nickte freundlich beistimmend, dennoch aber mußte die Frau Majorin einen Widerspruch in seinen Augen bemerkt haben.

Wenn man darnach erzogen ist, sagte sie, sich Wind und Wetter auszusetzen, so kann man mehr aushalten. Solche Gesundheiten, wie man bei Bürger- und bei Bauerstöchtern findet, darf man bei jungen Damen von Familie nicht vorauszusetzen. Marie mit ihren festen Füßen und breiten Schultern würde wahrlich heut keine Kopfschmerzen haben, aber es gehören denn auch solche derbe Gestalten dazu.

O, fiel er ein, da hat mir gestern eine junge Dame mit getheilt, die fein und bleich wie ein Wachsbild aussah, daß dies die dritte Nacht sei, wo sie tanze. Ich glaube nicht, daß Marie das aushalten könnte.

Das glaube ich auch nicht, sagte die gnädige Tante vornehm lächelnd. Für solche geistige Beseelung des Körpers sind dergleichen Menschen nicht geeignet; sie haben grobe Mittel nöthig, um in Bewegung gehalten zu werden. Wir haben noch gar nicht darüber gesprochen, wie es Ihnen gegangen ist.

Außerordentlich gut, versetzte er freundlich.

Es ist sehr unrecht, daß Sie nicht tanzen.

Ich konnte niemals Geschmack daran finden.

Und was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.

Allerdings, ich bin zu alt dazu. Aber ich sehe gern tanzen, wenn es so schwebend leicht und zierlich geschieht, wie es Emma versteht. Ich habe dabei mich wieder überzeugen können, daß die einzige Schönheitslinie die Wellenlinie ist.

Die Majorin lachte und die junge Frau Doctorin stimmte leise ein.

Es gehört aber auch ein so guter Tänzer dazu, wie Leopold Sternau, um diese lebenden Wellenlinien der Schönheit hervorzubringen, sagte sie.

Ohne Zweifel, erwiederte er. Ich würde mit meiner Unbehüflichkeit Emma's ganze Kunst vernichtet haben. Der junge schöne und gewandte Mann hat etwas von griechischer Anmuth. Ich kann mir denken, welchen Einfluß so schöne Körper in ihren geschmeidigen, harmonischen Bewegungen und vollendeten Formen auf die Entwicklung der alten Kunst haben mußten, und in welcher Wechselwirkung Kunst und Leben durch die Spiele, Feste und Tänze standen, wo die schönsten Körper der gesammten Jugend ohne alle Hülle sich zeigten und vom ganzen Volke bewundert wurden.

Die Majorin lachte noch lauter und die Frau Doctorin stimmte heller damit ein.

Das würden wir uns denn doch jetzt in unseren Ballsälen verbitten! rief die gnädige Frau. Solch gelehrter Herr bezieht Alles auf Kunst und fragt wenig darnach, was aus den Toiletten und Modenmagazinen würde. Aber Sie sollen es zu Ihrem Schrecken erfahren, mein Lieber. In nächster Woche ist der Geburtstag der Geheimräthin. Dabei giebt es wieder ein Fest, und Emma muß Ihnen Ehre machen. Sie hat sehr Vieles nöthig dazu, Putz, Schmuck, Kleid und was eine Dame sonst noch braucht.

Wirklich? sagte er lächelnd. Emma muß sehr viel davon besitzen, sollte ich meinen.

Das verstehen Sie nicht, antwortete die Tante. Emma ist so arm daran, wie nur wenig Frauen. Eine Dame kann nicht zweimal an demselben Ort in demselben Anzug erscheinen, und wer eine junge schöne Frau hat, muß dafür sorgen, daß sie bewundert wird.

Wer bewundert sie denn mehr als ich selbst, sagte Johannes Gerber, einen zärtlichen Blick auf seine Frau richtend, und dennoch – ich muß gestehen, ich weiß wirklich niemals etwas von ihrem Anzug. Ich suche ihre Augen, ihr Lächeln; ich sehe sie an, und das ist genug.

Aber es ist Ihnen doch lieb, wenn Ihre schöne Frau in glänzenden Gewändern und blitzendem Schmuck wie ein Stern erscheint, zu dem alle Augen sich erheben. Doch das verstehen Sie ebenfalls noch nicht, mein Lieber, das müssen Sie erst lernen. Sie haben kein Verständniß für die Gesellschaft, wie der, der darin geboren und erzogen wurde. In der Gesellschaft richten sich die Blicke zuerst auf die Toilette und dann auf das, was darin steckt. Die Toilette ist der Probirstein des Geschmacks, des Reichthums, der Stellung, welche man in der Welt einnimmt, der Achtung, welche uns gezollt wird. Sie glauben nicht, welche Beurtheilungskraft Damen besitzen, welche Kritik darin herrscht. So wie eine Dame den Fuß in den Gesellschaftssaal setzt, richten sich alle Blicke auf sie. Man fragt nicht nach ihrem Gesicht, das kennt man, das verändert sich nicht; man fragt aber sogleich, wie steht sie heut aus? Wie hat sie sich gekleidet? Was ist neu, geschmackvoll, was ist kostbar an ihr? Darnach richtet sich die Bewunderung, die Aufmerksamkeit, der Beifall, den sie findet, darnach wird sie behandelt und für würdig oder uns würdig erklärt, in der Gesellschaft einen achtungswerthen Platz einzunehmen. Lachen Sie nicht darüber; das sind Gesetze, welche Niemand verlachen darf. Aber das verstehen Sie abermals nicht, mein Lieber.

Nein, erwiederte er sanftmüthig, das verstehe ich wirklich nicht und werde es wohl auch niemals lernen.

Gleichwohl haben Sie es nöthig, sagte die Tante, nöthiger als sehr viele Andere, und mit Ihrer Erlaubniß will ich ein offenes Wort darüber sprechen. Sie sind ein sehr achtbarer Gelehrter, und meine Nichte ist Ihre Frau. Hierdurch öffnen sich Ihnen Kreise, zu deren Sitten und Gebräuchen es gehört, viel auf den äußeren Anstand zu geben. Der Herr Doctor Johannes Gerber muß nothwendig wünschen, daß seine junge, schöne Frau, das ehemalige Fräulein Emma von Treuenschild, anderen Damen nichts nachgiebt, nicht etwa von diesen über die Achsel angesehen wird.

Ich hoffe, daß dies niemals geschieht, erwiederte der Doctor.

Sehen Sie wohl, mein Lieber, das ist der gefährliche Punkt, sagte die gnädige Tante. Emma muß ihren Verwandten und Freunden beweisen, daß ihr Mann sie liebt, daß sie nicht vermißt, daß er die Mittel besitzt, ihr Alles zu gewähren, was eine Frau von Stande nöthig hat, und daß sie glücklich ist.

O! wenn es das ist, rief er, ihr Glück ist mein höchster Wunsch. Sie haben Recht, ich muß meine liebe Emma schmücken, damit Jeder steht, wie lieb ich sie habe.

Und was Sie selbst betrifft, fuhr die stolzlächelnde Frau fort, so können Sie nur dabei gewinnen, denn es ist ganz natürlich, daß die Achtung, welche Emma bezeigt wird, auch auf Sie übergeht. Ich habe gesehen, daß der Geheimrath sich lange mit Ihnen unterhielt und vertraulich und freundlich war.

Das war er, sagte der Doctor, er war sehr freundlich und gütig. Er lobte meine Arbeiten und – rühmte zu viel daran, fügte er nach einem Bedenken hinzu.

Nun, und in Betreff ihrer Abhandlung, mit der Sie beschäftigt sind?

Sternau hatte ihm davon gesagt, und er hat mich ersucht, sie ihm so bald als möglich zu geben, denn – er schwieg nochmals lächelnd still und fuhr dann fort: Die Professur für Archäologie an der Universität ist seit kurzer Zeit erledigt und soll wieder besetzt werden; es wäre möglich, daß der Minister auf mich aufmerksam gemacht werden könnte, aber –

Seien Sie überzeugt, mein Lieber, sagte die Majorin mit stolzer Bestimmtheit, der Minister wird auf Sie aufmerksam gemacht werden; auch habe ich gar keinen Zweifel, daß Sie die Stellung erhalten.

Glauben Sie wirklich, daß es – zu Unterhandlungen kommen könnte? fragte der Doctor ängstlich.

Ich kann Ihnen sogar sagen, erwiederte sie, daß alle Einleitungen dazu getroffen sind, daß der Minister auf Sie aufmerksam gemacht ist, daß Sie ihm aufs Dringendste empfohlen sind, und daß Sie zu gewärtigen haben, zu ihm gerufen zu werden. Sternau hat es mir mitgetheilt, fuhr sie fort; Sie sind ihm den größten Dank schuldig, er interessirt sich aufs Lebhafteste dafür, durch ihn natürlich auch sein Schwager, durch diesen andere einflußreiche Männer, selbst der Staatskanzler. Man erwartet nur noch Ihre Abhandlung, zu welcher Sie Sternau angetrieben hat. Eilen Sie damit, so viel es angeht, im Uebrigen hat es nichts auf sich, das Ganze soll nur zur unterstützenden Empfehlung dienen. Sie werden Professor werden, mein Lieber, dafür wird die Familie sorgen, mit welcher Sie sich verbunden haben, und Herr Professor Gerber klingt denn doch schon etwas besser, als Herr Doctor. Meinen Sie nicht, Frau Professorin?

Die junge Dame nickte lächelnd.

Das ist der Anfang, fuhr die Tante fort. Der verstorbene Professor war aber auch Geheimrath, war Mitglied der Akademie, war Director des Museums und wurde endlich sogar Mitglied des Staatsraths. Ich sehe durchaus nicht ein, warum der neue Herr Professor nicht ebenfalls bald in alle diese Aemter und Titel rücken soll, und er wird hineinrücken, verlassen Sie sich darauf. Sternau hat mir gesagt, daß das Alles sehr bald zu erreichen sei, bei richtiger Thätigkeit und Geschicklichkeit, verbunden mit der nöthigen Klugheit.

Daran, sagte Johannes Gerber furchtsam und mit leisem Kopfschütteln, ja daran fehlt es mir freilich gar sehr; nämlich an sogenannter Lebensklugheit oder ehrgeiziger Klugheit, und ich läugne es nicht, es beängstigt mich, wenn ich denke, vielleicht wirklich und unerwartet zu einem Lehrstuhl berufen zu werden, für den es gewiß viele Würdigere und Passendere giebt, als ich bin.

Aber was wollen Sie denn? fragte die stolze Dame, indem sie mitleidig lachte. Wollen Sie Ihr ganzes Lehen über nichts weiter werden, als was Sie sind, und unter Ihren Büchern in der Gartenstube sitzen bleiben?

Ich glaube wirklich, es wäre mir das Liebste, sagte er in seiner Beklommenheit freudig aufathmend.

Die Frau Majorin lachte scharf auf. Aber mein Gott! rief sie, ein Mann ohne Ehrgeiz ist wie ein Mädchen ohne Eitelkeit. Man muß doch etwas auf sich halten, muß hervortreten, sich geltend machen.

Glauben Sie mir, sagte der Doctor sanftmüthig, das Beste, das der menschliche Geist von je an entdeckte und enthüllte, geschah in der Stille und von Menschen, die weder Professoren noch Geheimräthe waren.

Sie werden witzig, mein Lieber! rief die Tante. Denken Sie denn gar nicht daran, daß Sie sowohl Pflichten gegen sich selbst, wie gegen Emma, gegen Ihr Kind und gegen Ihre ganze Familie haben?

Johannes blickte sie fragend an.

Wir sind sämmtlich Menschen, nicht etwa Engel, fuhr die große Dame belehrend fort, indem sie ihre gewaltige Gestalt aufrichtete, als wollte sie beweisen, daß viel irdischer Stoff zu ihr verbraucht sei. Das glauben Sie doch?

O, gewiß, sagte der Doctor lächelnd.

Als Menschen aber haben wir viele menschliche Bedürfnisse. Ich meine nicht etwa die Ernährung, welche Sie mit Ihrem Gelde sich verschaffen können, sondern wir haben höhere Bedürfnisse, wir wollen geachtet sein, wollen, daß wir aus der gemeinen Menge uns zu einer höheren Stufe erheben. Und das ist die Pflicht jedes Menschen, daß er sich anstrengt, um zu denen zu gehören, die oben stehen, um mit ihnen die Freuden und Auszeichnungen des Lebens zu genießen, Theil zu nehmen an den Genüssen, und seinen Namen berühmt zu machen.

Unterbrechen Sie mich nicht, fuhr sie fort. Ich will nur noch hinzufügen, daß die ganze vernünftige Menschheit den thöricht nennen würde, dem die Wege geöffnet werden, einen ehrenvollen Platz einzunehmen, der aber davor zurückwiche, um lieber im Schatten seines Kastanienbaumes alt zu werden. Wie würde man einen solchen Mann nennen, der so wenig Energie und Ehrgeiz besitzt?! – Die Verbindung mit unserer Familie öffnet Ihnen jenen Weg, mein Lieber, und nun fragen Sie sich einmal ernstlich, was Emma wünscht und wünschen muß. Kann es Ihrer Frau gleichgültig sein, ob der Doctor Gerber ihr Mann ist, oder der Geheime-Regierungsrath und Director des königlichen Museums? Eine Frau fühlt sich gehoben durch den Rang ihres Mannes. Ich würde mit viel größerer Sehnsucht an meinen Gatten denken, wenn er es zum General gebracht hätte, und würde ihn ganz närrisch stolz geliebt haben, wäre er Excellenz gewesen. Frauennaturen sind einmal so, mein Lieber, und dieser Stolz auf den Mann ist durchaus gerechtfertigt. Jede Frau sieht sich in dem ruhmvoll emporgestiegenen, zu hohen Ehren gelangten Gatten mitgeehrt, ihre Liebe erhält dadurch ein edles Feuer; sie bewundert ihren Auserwählten, den alle Menschen bewundern. Man kann wirklich von einer Frau nicht verlangen, daß sie einen Mann innig lieben soll, der nicht auch ihrem Stolze Nahrung giebt. Wenn Sie aber nun gar Kinder haben, wie kann für diese besser gesorgt werden, als wenn der Vater eine höhere Stellung einnimmt? Was kann aus den Kindern des in tiefster Stille lebenden Doctor Gerber Großes werden? Was wird dagegen aus den Kindern des Geheimen-Regierungsraths und Directors, der einen großen Kreis hülfreicher und angesehener Verwandten und Freunde besitzt? – Die Töchter machen gute Partien, die Söhne rücken rasch vorwärts, werden befördert, finden Beschützer. Es ist einmal so im Leben, mein Lieber, wer oben schwimmt, hat Luft und Sonnenschein, und bei größter Gerechtigkeit kann es gar nicht anders kommen, wie das alte Sprüchwort sagt, daß, wer den Papst zum Vetter hat, gewiß ist, Cardinal zu werden.

Johannes hatte nachsinnend diese klugen Ermahnungen gehört, bei deren Ende er lebhafter aufblickte.

Sie zeigen mir da ganz neue Gesichtspunkte, antwortete er. Ich werde meine Abhandlung in den nächsten Tagen schon dem Geheimrath überbringen, und wenn es so sein sollte – ich meine, wenn der Minister mich etwa wirklich bevorzugte, nun so – ja, dann würde ich thun, was ich vermöchte, um nicht als unwürdig zu gelten.

Gewiß werden Sie das thun, erwiederte die Tante. Sie werden sich zu empfehlen wissen, und immer dazu den nöthigen guten Rath und nützliche Winke erhalten. Verlassen Sie sich auf Sternau und auf alle Ihre Beschützer, welche für Sie sorgen werden.

Ihre Gönnermiene drückte deutlich aus, daß sie selbst in der ersten Reihe dieser Beschützer stehe, und mit einem herablassenden Lächeln sah sie auf ihn nieder, als er ihr dankbar die dargebotene Hand küßte.

Natürlich werden Sie auch aus dieser entlegenen Gegend ziehen und sich besser einrichten müssen, fuhr sie dann fort.

Am liebsten würde ich im Park wohnen, sagte die Frau Doctorin, die, den Kopf in ihre Hand stützend, sich aufrichtete.

Eine solche Wohnung vereinigt Stadt- und Landleben, mein liebes Kind, unterstützte sie die Tante. Wir könnten eines von den neugebauten Häusern zunächst für den Sommer miethen, da Du doch unmöglich bei Deinem leidenden Zustande in diesem dumpfen, alten Gebäude bleiben kannst.

O! das wäre sehr schön! rief Emma lebhaft, indem sie ihrem Mann lächelnd zunickte.

Ich habe neulich schon eines dieser Häuser angesehen, das ganz für uns passen wird, sagte die Frau Majorin. Wir möbliren es vollständig und behalten es, wenn es uns gefällt. Sie können hier keine Einladungen machen, mein Lieber, auch Ihre jetzige Einrichtung paßt nicht dazu; wohnen Sie im Park, so können Sie Familien aus den besten Kreisen bei sich sehen. Das alte Haus verkaufen Sie und wenden das Geld nützlicher an.

Der arme Doctor hörte alle diese Vorschläge mit stoischer Ruhe und in einer gewissen Betäubung, denn sie kamen ihm ganz unerwartet, aber er konnte diese doch nur äußerlich behaupten, denn er fühlte ein tiefes Weh dabei. Das Haus hatte schon seinem Großvater gehört, sein Vater hatte es sein ganzes Leben lang bewohnt, und er war darin geboren worden. Es lag allerdings in keiner vornehmen Gegend, auch war es alt, hatte ziemlich niedrige Zimmer, und weder Flügelthüren noch glänzende Geräthe, allein es war nach des Doctors Meinung so bequem, gemüthlich und wohnlich, wie es unmöglich ein anderes sein konnte.

Ein tiefes Grauen kam über ihn bei dem Gedanken, daß er es verlassen solle. Alle seine Bücher, alle seine Schränke, alle seine Schätze sollten aufgeladen und fortgeschafft, der gute, vortreffliche Hausrath verkauft, die Erbstücke, welche er so lieb hatte, von ihm abgethan werden, um neumodischem Putz, den er haßte, Platz zu machen. Er konnte sich nicht enthalten, das süße Lächeln seiner jungen Frau mit einem flehenden Blicke zu erwiedern, und, obwohl mit dem verzagenden Bewußtsein eines schon vor der Schlacht geschlagenen Generals, seine Einwendungen zu machen.

Ich dächte doch, sagte er sanftmüthig lächelnd, dies Haus hätte Dir früher sehr gut gefallen, meine liebe Emma, und, wenn es auch nicht in der besten Gegend liegt, so hat es dafür doch manche schöne Vorzüge, da weder viel Geräusch noch viel Staub uns plagen, endlich aber –

Die Tante ließ ihn nicht enden.

Mein Gott! rief sie, haben Sie denn Alles schon wieder vergessen, mein Lieber? So bedenken Sie doch zunächst, daß Emma's Gesundheit auf jeden Fall für den Sommer frische Luft nöthig hat.

Wir haben ja einen recht netten Garten, erwiederte er.

Dreißig Schritte lang, fiel sie ein. Emma muß gesunde Landluft genießen.

Landluft! rief Johannes, indem er sich mit freudigem Gesicht aufrichtete, denn es kam ihm ein Gedanke, da weiß ich den besten Rath. Der Onkel wird glücklich sein, wenn Emma einige Monate bei ihm leben will.

Die Frau Majorin lachte hell und verächtlich auf, und ihre großen, herrischen Augen richteten sich mit solchem vernichtenden Ausdruck auf den Gelehrten, daß er davor verstummte.

Ist es möglich, sagte sie, daß Sie solchen Vorschlag machen können! Was soll denn die junge leidende Frau in der Sandwüste da draußen? In einer Einöde, wohin kein Mensch von Stand und Bildung sich verirrt! Nur Fabriken liegen dort, und eine Fabrikbevölkerung hat sich rund umher niedergelassen. Weil der Herr Onkel Stadtrath ebenfalls allda seine Fabrik hatte, baute er sich in der Nähe an; allein für eine junge Dame ist das doch wahrlich kein Aufenthalt.

Aber, entgegnete Johannes Gerber mit derselben sanftmüthigen Hartnäckigkeit, auch Emma's Vater wohnte dort mit ihr, und in des Onkels Haus lernte ich sie kennen. Es ist auch gar nicht so übel, wie Sie meinen. Ich habe selbst von Aerzten gehört, daß es keine gesundere Lage giebt. Der schöne, große Garten, der hübsche See in der Nähe und der Wald!

Er blickte Emma bittend an, allein es war augenscheinlich genug, daß sie ihn nicht verstehen wollte. Sie hüllte sich dichter in den großen Tuch und sagte kopfschüttelnd:

Es geht nicht an. Wenn ich mich auch darein fügen wollte, des Kindes wegen geht es nicht, und dann – sie blickte zu ihrer Tante hin.

Was mich betrifft, antwortete die Frau Majorin energisch, so verlange ich keine Rücksichten. Ich würde zwar niemals hinausziehen, auch dem Herrn Onkel Stadtrath schwerlich willkommen sein; allein es ist Ihretwegen gar nicht daran zu denken, mein Lieber. Sie müssen da wohnen, wo es sich für Sie schickt, und wenn Sie um Emma's willen sich nicht zu einem Opfer entschließen können, müssen Sie es Ihrer selbst wegen thun.

O! rief der Doctor bestürzt, Alles, was Emma will, soll geschehen. Wenn es Dir lieb ist, beste Emma, wenn es überhaupt nöthig ist –

Aber Sie müssen doch einsehen, daß es nöthig ist, unterbrach ihn Frau von Graßwitz. Sie sind ja ein gelehrter und verständiger Mann.

Ja wohl, ja wohl! sagte Johannes leise, Sie haben Recht, es ist nöthig. Wir wollen in den Park ziehen; und wenn Sie es einrichten wollen: ganz wie Du willst, liebe Emma, wie Du willst!

Wie gut Du bist! wie lieb Du bist! rief die junge Frau, indem sie beide Arme nach ihm ausstreckte.

Unter ihren Küssen vergaß er Alles, was ihm zu vergessen übrig blieb. Er setzte sich neben sie, die Tante ihm gegenüber, und nach einer Viertelstunde war er fest davon überzeugt, daß es so sein müsse, und die Tante eine überaus kluge, vortreffliche Frau sei.

Machen Sie nur Alles, wie es Ihnen recht dünkt, sagte er endlich, wie es meiner theuern Emma gefällt. Ich will mich an meine Arbeit begeben und denke morgen damit fertig zu sein.

Als er hinaus war, streichelte die Tante über das Gesicht ihrer Nichte. Beide blickten sich an, und es waren Blicke des Einverständnisses und des weiblichen eitlen Triumphes. Dann beugte die Tante sich nieder und sagte leise:

Er ist doch mit aller seiner Gelehrsamkeit ein – Pinsel! Glücklicher Weise aber ist er folgsam und wagt nicht eigensinnig zu sein. Wenn ich jedoch nicht bei Dir stände, mein liebes Kind, würdest Du niemals aus dem schrecklichen Leben hinauskommen, das Du mit ihm geführt hast.

Es kostet ihn große Opfer, erwiederte die junge Frau.

Zu seinem Besten, antwortete die gnädige Frau Majorin und hast Du ihm denn nichts geopfert? Es gehört doch immer ein Entschluß dazu, wenn man einen Mann heirathet, der nicht mit uns auf gleicher Stufe steht. – Ich sage nichts, Kind, fuhr sie fort, als Emma die Hand aufhob, als wollte sie ihr Schweigen zuwinken, Verhältnisse thun vieles, allein der Wahrheit darf man sich nicht verschließen. Wenn es aber nun einmal so ist, und nichts daran geändert werden kann, so muß er doch wenigstens dafür dankbar sein, daß er durch Dich zum Manne wird.

Ein leises Klopfen an der Thür unterbrach die gnädige Tante, Marie Selben trat herein. Bei ihrem Anblick mochte der Frau Majorin wohl der Vergleich einfallen, den sie so eben auf Kosten der Gesellschafterin gemacht hatte. Ihre Blicke hafteten auf der kräftigen Gestalt und dem frischen Gesicht mit einem eigenthümlichen Ausdruck spottsüchtiger Betrachtung.

Es war ihr Grundsatz und Gesetz, Jeden, den sie zur dienenden Klasse rechnete, in der Weise zu behandeln, daß er fühlte, wohin er gehörte, nicht durch Schelten oder heftiges Wesen, sondern durch einfache Weisungen und Befehle, deren Ton jeden Widerspruch und jede vertrauliche Annäherung ausschloß. In derselben Art ging die gnädige Tante auch mit anderen Leuten um, welche nicht von ihr geachtet wurden. Mit eiskalter Höflichkeit hatte sie die Verwandten und Bekannten des Doctors verjagt, diese kleinbürgerlichen Menschen, welche zudringlich, wie sie gewöhnlich sind, dieselbe Zudringlichkeit, oder Herzlichkeit, wie sie es nennen, auch von Anderen begehren und vor nichts mehr sich zurückziehen, als vor der vornehmen, herablassenden Kälte und Oberhoheit.

Das Alles hatte Frau von Graßwitz in wenigen Monaten zu Stande gebracht. Die Mägde und der alte Bediente hatten vor ihr eben so viel Furcht und Ehrfurcht, wie ihr Herr, der Doctor. Wenn sie ihre Augen auf einen dieser Sünder richtete, fühlte er ein geheimes Zittern, und so geschah es allen Uebrigen, denen sie ihr gebietendes Gesicht zeigte.

Nur mit dem Onkel Stadtrath war sie nicht fertig geworden. Er hatte sich nicht commandiren lassen, war nicht zum Schweigen oder zur Unterwerfung gebracht worden, allein er ließ sich wenigstens selten mehr sehen. Ebenso Hertner der Fabrikant, der ihr kaum minder unangenehm gewesen war.

Die Einzige von Allen, die im Hause geblieben war und bei alledem sich nicht unbedingt unterworfen hatte, war Marie, darum fühlte die gnädige Tante auch eine ungewöhnliche Abneigung gegen diese unangenehme Person. Die Uebrigen behandelte sie mehr oder minder als Wesen, gegen welche sie vorwiegende Geringschätzung empfand, die Gesellschafterin aber reizte ihren Zorn und ihre Eifersucht. Sie hatte, wie es in ihrer Absicht lag, sie gedemüthigt, hatte sie mannigfach gequält, hatte sie aus Emma's Nähe immer mehr verdrängt, aus der Freundin eine Dienerin gemacht, und sie darnach behandelt, aber sie hatte nicht bewirken können, daß Marie dies zu empfinden schien. Ganz so wie sie gewesen war, als die gnädige Tante im Hause erschien, war sie noch zur Stunde. Freundlich, bescheiden, einsichtig, immer hülfreich und in unausgesetzter Thätigkeit, allein unverändert auch in ihrem Ernst, dein es nicht an Würde und Bestimmtheit fehlte. Wie sanftmüthig sie aussah, so trat dennoch in ihrem Thun überall eine gewisse Bestimmtheit hervor, und ihre milden Augen warfen über das lange starke Gesicht einen Ausdruck von Ruhe und Sicherheit, den die gnädige Tante am wenigsten leiden mochte.

Nun, sagte sie mit herablassendem Lächeln, das sie gewöhnlich anwandte, da unsere liebe Marie erscheint, sind jedenfalls die Wirthschaftsangelegenheiten in Ordnung?

Es ist Alles in Ordnung, gnädige Frau.

Wie geht's mit dem Kinde, Marie? fragte Emma.

Es hat eine unruhige Nacht gehabt, viel geweint. Jetzt ist es ruhiger, der Doctor ist eben hier gewesen.

Es ist doch nicht kränker geworden?

Nein, nicht kränker, antwortete die Gesellschafterin.

Der Ton war sehr ruhig, dennoch mußte die junge Frau etwas daran heraus fühlen, das ihr empfindlich war.

Ich konnte meinen Knaben heut noch nicht sehen, liebe Marie, sagte sie, mein Kopf schmerzt so sehr. Aber Du bist so gut zu ihm.

Sie reichte ihr die Hand, welche Marie leise drückte und sich auf den Stuhl setzte, wo Johannes gesessen hatte.

Frau von Graßwitz ärgerte sich über eine Vertraulichkeit, welche sie nicht hindern konnte.

Sei unbesorgt, liebe Emma, sagte Marie, der Doctor meint, es habe nichts zu bedeuten. Das Fieber sei nicht stark, Krämpfe sind nicht vorgekommen, und da fast jeder Mensch seine Zähne sich mit einem Kampfe erobern muß, so wird auch unser lieber Gotthold damit fertig werden.

Unser lieber Gotthold, wiederholte die Tante mit einem verweisenden Lächeln, ist ein so kräftiges Kind, daß die gute Marie gewiß Recht hat, wenn sie Dich beruhigt. Indeß wäre es vielleicht, um alle Sorgen zu verscheuchen, sehr gut, wenn Sie heut sich seiner besonders annähmen.

Es geschieht Alles, wie der Doctor es bestimmt hat, gnädige Frau, erwiederte Marie. Das Kind schläft jetzt, und seine Wärterin, die ganz zuverlässig ist, sitzt bei ihm. Ist es noch nicht besser mit Deinem Kopfschmerz, liebe Emma?

Ein Wenig wohl. Ich habe zu viel getanzt, Marie, aber wer kann da widerstehen! Ich bin sehr vergnügt gewesen.

Du bist nicht daran gewöhnt, sagte Marie.

Man gewöhnt sich an Alles! rief die junge Frau. Du liebst den Tanz nicht?

Ich habe zu wenig Gelegenheit zum Tanz gehabt.

Wenn wir im Park wohnen, geben wir Bälle, sagte Emma, und dann mußt Du auch tanzen.

Im Park wohnen? fragte Marie.

Das gehört gar nicht hierher, fiel die Tante ein. Das sind Familienangelegenheiten, gute Marie, über welche noch nichts mitzutheilen ist.

Sie warf der jungen Frau einen mißbilligenden Blick zu und wandte sich nach dem Fenster um, da eben ein Wagen unten still hielt.

Mein Gott! rief sie, es ist Sternau. Abweisen können wir ihn nicht. Liebe Marie, geben Sie ihm entgegen, sagen Sie ihn, daß wir noch bei der Toilette sind, und bitten Sie ihn inzwischen bei meinem Neffen, dem Herrn Doctor, zu verweilen.

Der Herr Doctor ist, wie er mir sagte, heut sehr beschäftigt, bemerkte Marie.

Thun Sie, was ich Ihnen sage, meine Liebe, erwiederte Frau von Graßwitz, und rufen Sie dann die Luise, ich werde meiner Nichte inzwischen selbst beistehen. Sehen Sie doch auch wieder nach dem Kinde, gute Marie, und lassen Sie es an nichts mangeln. Sternau wird uns viel zu erzählen haben. Er ist sehr aufmerksam.

Ich wußte, daß er kommen würde, lächelte die junge Frau, indem sie sich von der Tante fortführen ließ.



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