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Der Weg senkte sich auf einen Absaß der Berglehne nieder, an deren Rand die Gesellschaft eine Zeit lang fortritt, dann bog Herr von Delville auf einen steinigen Pfad ein, der zwischen senkrechten Hügelwänden fortlaufend in einer kleinen Ebene endete, die mit hohen Aloehecken umzogen und mit Kaffeebäumen besetzt war. Die Pflanzung war nicht bedeutend, aber sie war gut geordnet, die Bäume kräftig mit breiten Kronen voll junger Blüthen, die Wege sauber und alle Arbeiten wohl gethan.
Lariviere machte eine Bemerkung darüber und Delville sagte im wegwerfenden Tone:
An Fleiß und Anstellung fehlt es überhaupt diesen gelben Schlauköpfen nicht. Von ihren Vätern haben sie Verstand und Ausdauer bekommen, von ihren schwarzen Müttern dicke Schädel und feste Knochen, die Sonnenglut aushalten können. Dazu sind sie überaus mäßig, sparsam, geldgierig und mit der erbärmlichsten Kost zufrieden. Gut, daß ich für einige Eßwaaren gesorgt habe, denn ich bin überzeugt, in dem Hause da werden wir wenig genug Genießbares finden.
Er deutete auf ein bescheidenes, niedriges Holzgebäude, das mit der üblichen Verandah zwischen einigen Gruppen großer Limonien, Fächerpalmen und üppiger Jasminbüsche lag. Ein sorgfältiger Garten, umhegt von Ananas und prächtigen gestreiften Melonen, mit blühenden Sträuchern und von Blumen besetzt zog sich an der anderen Seite hin, vor deren Mitte eine ungeheure Banane ihr weitgebogenes Gezweig bis auf den Boden niedersenkte. Das Ganze, so gering es war, sah sehr gefällig und geordnet aus und zeigte einen gewissen Geschmack und Schönheitssinn, der von Allen empfunden wurde.
Du hast mir noch nicht gesagt, fragte Lariviere jetzt, wer der Mann ist, der hier wohnt und sich diese kleine Behausung geschaffen hat.
Wer er ist? erwiderte der Kreole – da hast Du ihn! Sieh zu, ob Du Dich seiner noch erinnerst.
Während er sprach, wurde eine der Thüren geöffnet, die auf die Verandah führten, und heraus trat ein Mann im grauen Rock und breiten Palmenhut, der das Stampfen der Pferde und die Stimmen der Reiter gehört haben mochte.
Alexander Petion! rief Lariviere freudig aus und mit einem Sprunge war er vom Pferde und schüttelte die Hände, welche sich ihm entgegenstreckten. – Wie, mein lieber Freund, fuhr er in derselben herzlichen Weise fort, Du bist auf Domingo zurück, und hier so unverhofft wird mir das Glück zu Theil Dich zu finden! Aber mein Vetter Delville hat es gewußt und mich überraschen wollen.
Das hat er wahrlich nicht gewußt, sagte dieser, wie es schien wenig erbaut von Lariviere's Benehmen; eben so wenig wie er geglaubt hat, das Du diesen Herrn noch kennen würdest.
O gewiß, erwiderte Simon, wir haben uns in Paris öfter gesehen, und noch vor einem Jahre ungefähr hat er mich besucht.
Herr Petion, sagte der Kreole mit stolzer Herablassung, indem er seinen Hut berührte, diese Damen, Frau von Lariviere und Fräulein d'Aubrisson, wünschen in Ihrem Hause einige Zeit auszuruhen.
Die edlen Verwandten meines Freundes werden mir immer willkommen sein, antwortete Petion, und ohne sich an den finsteren, messenden Blick des Assembléepräsidenten zu kehren, wandte er sich zu den Damen und bat sie in höflichster Weise einzutreten und mit den wenigen Diensten, welche er zu leisten vermöge, zufrieden zu sein.
Mein Eigenthum ist klein, sagte er, und ich besitze keine Sklaven. Meine Arbeiter sind eben bei ihrem Mittagsmahle. Führt die Pferde dort in den Grund hinter den Pflaumenpalmen, wo die Wirthschaftsgebäude stehen. Ihr werdet Alles finden, was nöthig ist.
Nachdem er so gesorgt, öffnete er den Damen die Thür, und Alle traten in ein großes, einfach weißgetünchtes Gemach, das mit wenigen groben Matten belegt war und außer einigen Baststühlen und Tischen nur ein paar Schränke enthielt, in welchen ein ziemlich bedeutender Büchervorrath aufgestellt war. Auf einer Tafel, die in der Nähe der Fenster stand, deren Jalousieen nur halbgeschlossen waren, lagen beschriebene Bogen Papier bei Allerlei, was zum Schreiben gehörte, sammt mehren ausgebreiteten Landkarten St. Domingo's, der Antillen und Amerika's. Eine Erdkugel, die sich in einem metallenen Kreis bewegte, stand mitten darauf. In einer Ecke des Zimmers erblickten die neugierigen Damen dann ein großes Fernrohr, das auf einem Gestell ruhte, und in dem Fachwerk an der Wand befanden sich mehre andere mathematische und physikalische Instrumente, eine Boussole Eine Art Kompass mit Peilvorrichtung., ein Halbkreis, Meßketten und Stäbe, welche auf die Beschäftigung des jungen Besitzers deuteten.
Dieser selbst vermehrte durch seine ganze Erscheinung das Interesse, das seine Gäste an den Einrichtungen seiner Behausung zu nehmen schienen. Delville hatte Recht, wenn er vorher sagte, daß die Damen diesen Mann trotz seines schlechten Blutes ganz erträglich finden und ihm wahrscheinlich nicht anmerken würden, daß er zu dem verachteten Geschlecht gehöre. Er war schlank und groß, sein Gesicht war regelmäßig und seine Farbe weißer und reiner, wie die des kreolischen Barons. Sein Haar fiel glänzend schwarz und seiden fein auf eine hochgewölbte schöne Stirn, unter der sich zwei Augen befanden, deren durchdringender Blick eben sowohl von Geist und Kühnheit zeugte, wie ihr sanfter schwermüthiger Ausdruck etwas ungemein Fesselndes und Anziehendes hatte.
Er bat die Damen sich niederzulassen und wiederholt zu entschuldigen, wenn es ihm an Bequemlichkeiten für so edle Gäste gebreche. Dann entfernte er sich auf kurze Zeit, und während dessen betrachtete Delville die Karten und Pläne, die Instrumente und Bücher und sagte spöttisch:
Damit beschäftigt sich also dieser verdächtige Mensch. Er nimmt die Insel auf, wie ich sehe, und hat hier ganze Bogen voll allerlei Namen, Zahlen und Bemerkungen. Was will er damit? Nimm Dich in Acht vor ihm, Lariviere, er steht in üblem Ruf. Wir sind hier nicht in Frankreich, wo man dergleichen Freunde haben kann. Solche Leute muß man in den gehörigen Schranken halten.
Der junge Petion kehrte zurück und erklärte freundlich, daß Alles, was seine Gastfreundschaft gewähren könne, in kurzer Zeit zu Diensten stehen solle. Ein brauner, flinker Bursche von sechszehn oder siebzehn Jahren folgte ihm mit einer Schüssel Limonien, saftvollen kleinen Melonen und Ananasscheiben in Zucker; ein junges etwas hellergebräuntes Mädchen trug Gläser und Eingemachtes auf den Tisch.
Ich glaube, Herr Petion, sagte Delville, Sie haben mehr geistige Schätze und Seltenheiten vorzusetzen, als materielle Genüsse. Sie leben hier seit einigen Monaten schon ein abgeschiedenes, einsiedlerisches Leben; aber wie ich sehe, beschäftigen Sie sich mit ernsten wissenschaftlichen Arbeiten.
Ich theile meine Zeit ein, so gut ich vermag, und nütze sie nach meinen Kräften, erwiderte Petion. Meine kleine Pflanzung nimmt meine Thätigkeit nicht wenig in Anspruch. Ich ziehe Früchte, die ich nach Leogane und Port au Prince verkaufe, in meinen freien Stunden beschäftigen mich meine Bücher und was ich gelernt habe.
Und was haben Sie damit vor? fragte der Kreole, indem er auf die Tafel, die Karten und Papiere deutete.
Ich wünsche eine kleine allgemein faßliche Geographie unserer Insel zu schreiben, an der es uns sehr mangelt.
Zu welchem Zwecke? Wer soll daraus etwas lernen?
Jeder der lernen will, Herr von Delville. Solche Kenntnisse sind allgemein nützlich. Sie regen das Nachdenken an, berichtigen die Irrthümer, tragen zur Erkenntniß der Wahrheit bei und zeigen alle Hülfsquellen und alle Mängel durch Zahlen an, die nicht zu widerlegen sind.
Was haben Sie denn herausgebracht? rief der Baron ihn betrachtend.
Ich habe mich bemüht, die besten Nachrichten über Einfuhr und Ausfuhr zu sammeln, unsere Producte und deren Gewinnung nach den Jahren zu ordnen, die Zahl der Pflanzungen jeder Art und Gattung angegeben, jeden Distrikt besonders beschrieben, die Naturverhältnisse erörtert und die Zahl der Einwohner zu ermitteln gesucht.
Wie viele Pflanzungen wurden denn von Ihnen zusammengezählt, fragte Delville in seiner höhnenden Weise.
Wir haben gegenwärtig 1081 verschiedene Zuckerplantagen, antwortete Petion bescheiden, indem er ein Papier vom Tische nahm; 3137 Kaffeeplantagen, 4957 Baumwollenpflanzungen und 2158, wo Indigo gebaut wird. Dazu kommen 310 Cacaogärten und mehr als 400 Gerbereien, Ziegelhütten, Baum- und Fruchtgärten.
Nun, und wie viel Menschen leben darauf?
Nach den Zählungen vom vorletzten Jahre und was ich durch Mittheilungen zusammenstellte, bewohnen den französischen Theil dieser Insel 450 000 Neger, nahe an 100 000 Farbige und 30 800 Weiße.
Warum nennen Sie die Weißen zulegt? fragte Delville mit einem langen, finsteren Blicke, den ein eben so böses Lächeln begleitete. Aber Sie haben Recht, die Weißen fallen am schwersten in die Waage, eine Hand voll wiegt die ganze übrige Gesellschaft auf. Zum Henker mit aller Büchermacherei! Die Büchermacher sind von jeher das Verderben der Menschheit gewesen. Ich rathe Ihnen nicht dazu, dergleichen drucken zu lassen, daß alles Volk sein Gift daraus ziehen kann. Sie wissen doch, Herr Petion, daß die Regierung eben jetzt eine Brandschrift verfolgt, die ein Elender auf verbotenen Wegen hier eingeschmuggelt hat. Es ist nämlich eine Schrift, die in Paris erschienen ist, wahrscheinlich den Abbé Gregoire zum Verfasser hat, und auf Kosten der Gesellschaft der Negerfreunde gedruckt wurde. Mehre tausend Exemplare sind hier davon vertheilt worden, und wehe den Verbrechern, wenn sie erwischt werden.
Was steht denn in dieser gefährlichen Schrift? fragte Melanie.
Sie predigt Haß gegen die weißen Bewohner Domingos und enthält manche Notizen über die Anzahl der Neger und der Farbigen, woraus dann die nichtswürdigsten Schlüsse gezogen werden.
Es entstand eine Pause, Niemand wagte zu widersprechen, da jeder die Folgen wohl ahnen konnte. Lariviere wandte daher das Gespräch, indem er allerlei Fragen an Petion über seinen Aufenthalt in Frankreich, über sein Leben in Paris, seine Reisen und seine Rückkehr that, wobei die Damen sich einmischten und nun längere Zeit eine lebhafte allgemeine Unterhaltung stattfand, bei der auch die Jugendfreundschaft der beiden jungen Männer erzählt wurde.
Petions Vater hatte am Ufer des Sees Henriquille einen Baumgarten besessen, der nicht weit von der großen Pflanzung Croix rouge belegen war, der alte Lariviere war dem fleißigen Gärtner gewogen, und dessen artiger, verständiger Knabe durfte zuweilen in die Pflanzung kommen, um dem Sohne des reichen Kreolen als Gespiele zu dienen. Da Petions Eltern einiges Vermögen gesammelt hatten, schickten sie ihren Sohn in eine Kostschule nach Leogane und endlich, als eine alte Tante starb, machte es deren Vermächtniß möglich, ihn auf Betrieb eines Lehrers, der große Erwartungen von dem jungen Alexander hegte, nach Paris zu senden. Dort fand er thätige Freunde und lernte sogar den jungen General Lafayette kennen, durch dessen Empfehlungen er Erlaubniß erhielt, die Kriegsschule von St. Cyr besuchen zu dürfen, was mehre Jahre lang der Fall war, bis er zuletzt eine Reise an den Rhein und in die Schweiz machte und vor sechs Monaten sich einschiffte, weil das gelbe Fieber plötzlich seinen Vater fortgerafft hatte.
Das Alles erzählte der junge Mann mit solcher Bescheidenheit, daß Lariviere hinzufügte:
Er verschweigt euch, daß er alle Prüfungen eines Genieoffiziers gemacht und bestanden hat und daß er den ersten Preis gewann, was in Paris damals allgemeines Aufsehen erregte.
Aber mein kriegerischer Ruhm ist abgestreift, antwortete Petion lächelnd. Ich habe mich angekauft und bin ein Landmann geworden, der friedliche Eroberungen zu machen sucht.
Wenn ich in Ihrer Stelle wäre, sagte der Assembléepräsident, der lange geschwiegen hatte, so wäre ich bei dem hochherzigen Marquis Lafayette geblieben und lieber mit seinen Empfehlungen nach Amerika gegangen. Man hat mir erzählt, daß das einmal Ihre Absicht gewesen sein soll.
Man hat Ihnen die Wahrheit gesagt, erwiderte der junge Mann in seiner sanften Weise, allein nach reiflicher Prüfung zog ich es vor, in meinem Geburtslande zu bleiben.
Nun meinetwegen! rief Delville, vielleicht glückt es Ihnen auch hier noch einmal General oder Präsident zu werden.
Wenn mir das beschieden sein sollte, sagte Petion, indem er seine dunklen Augen fest auf den übermüthigen Spötter richtete, so würde ich ein gerechter Präsident sein.
Delville lachte laut auf und kreuzte seine Arme, indem er hohnvolle Blicke messend über den jungen Pflanzer warf, dieser aber wandte sich von ihm ab zu den Damen, welche mit geheimem Unwillen und wachsender Theilnahme dem Gespräch zugehört hatten.
Wollen Sie mir die Ehre schenken, sagte er, mein ärmliches Mahl anzunehmen, wie ich es bieten kann, so erlauben Sie mir, Sie in das Eßzimmer führen zu dürfen.
Er bot Frau von Lariviere seinen Arm; der braune Diener, welcher an der Thür erschienen war, öffnete diese und zu Delville's Aerger mußte er wohl oder übel mit Melanie nachfolgen.
Das kleinere Zimmer, in welchem der gedeckte Tisch wartete, war eben so einfach und eben so reinlich, wie das erste. Keine Sklaven mit Fächern, kein Eis aus Amerika, keine köstlichen süßen Torten und Leckereien ließen sich hier blicken, aber der verwöhnte Baron war doch nicht ganz unzufrieden. Er fand einen der großen wilden Auerhähne aus den hohen Mornen aufgetragen, die unter dem Namen Hoko auf den besten Tafeln geschätzt werden, und neben solchem leckeren Braten mundete der junge zarte Palmenkohl auch nicht übel; die fettgebackenen kleinen Kuchen, welche den Nachtisch bildeten, waren so trefflich zubereitet, daß der Beifall nicht ausbleiben konnte.
Es konnte keinen freundlicheren, unermüdlicheren Wirth geben, als diesen jungen farbigen Pflanzer. Immer war er bereit für seine Gäste zu sorgen und die Unterhaltung nach ihren Wünschen zu leiten. Bald wußte er die Damen mit angenehmen Erinnerungen aus Frankreich, mit Bildern aus dem Leben oder mit feinen Bemerkungen und Scherzen über kleine Reiseabentheuer zu beschäftigen, bald wieder wurden ernstere Gegenstände angeschlagen; die Zustände der Regierung des Mutterlandes, die Wünsche des Volks und die Ideen, welche damals alle Köpfe in Bewegung setzten, kamen zur Sprache.
Petion zeigte sich ungemein bewandert in der Geschichte und in den Schriften Derjenigen Männer, die ihre Saaten ausgestreut hatten. Er kannte Rousseau, er kannte Montesquieu und Diderot, die Encyklopädisten, Helvetius, Raynal, Buffon und d'Alembert; sein Büchervorrath enthielt deren Werke. Alles, was er sagte, war wohl bedacht, und immer war es derselbe bescheidene Ton, in welchem er die anmaßenden und wegwerfenden Bemerkungen des stolzen Barons widerlegte, der ihn oft sehr schonungslos anließ.
Je mehr dies geschah, um so mehr suchten Lariviere und besonders die Damen durch Freundlichkeit die Unbill zu vergüten, aber es blieb immer peinlich genug für sie, einen so guten und edelgesinnten Mann anscheinend ganz demüthig und wehrlos zu sehen, ohne daß er im Stande gewesen wäre, dadurch den Angreifer zur Achtung in seinem eigenen Hause zu zwingen.
Inzwischen waren die Antworten Petions doch nicht ganz so harmlos und unterwürfig, wie es den Anschein hatte, sie wurden nur mit unerschütterlicher Ruhe und in höflicher Form gegeben, enthielten jedoch Mancherlei, was Delville's Unwillen nährte.
Sie sind unverheirathet? fragte er mit einem boshaften Blicke auf das Mulattenmädchen, die Limonade und Kaffee brachte.
Bis jetzt ja, erwiderte Petion.
Aber Du mußt meinem Beispiele folgen, Alexander, mußt Dich vermählen, fiel Lariviere ein. Auf Deiner einsamen Pflanzung brauchst Du nothwendig eine Lebensgefährtin.
Ich habe zeither noch nicht daran gedacht, sagte der junge Mann, und darin liegt für mich der beste Beweis, daß ich ledig bleiben muß.
Bis Deine Stunde schlägt! rief Simon. Ist es nicht wahr, Eugenie? Seine Stunde wird auch schlagen.
Vielleicht hat sie schon geschlagen, lächelte die Dame. Die Liebe ist geheimnißvoll.
Bis sie auf den Markt gebracht wird und alle Glocken läuten läßt, sagte Delville. Herr Petion gehört zu den Wählerischen und hilft sich wie er kann. Freie Verbindungen werden auf dieser Insel häufig dem priesterlichen Segen vorgezogen; es giebt selbst viele weiße Herren, die ohne Frau sterben, aber zuweilen doch eine recht zahlreiche Nachkommenschaft hinterlassen. Ländlich, sittlich, die Damen werden es nicht übel deuten, wenn wir auch solche Verhältnisse berühren, die ganz natürlich sind und denen ja die ganze gelbe Bevölkerung ihren Ursprung verdankt. Weiße Damen, die sich herabgelassen hätten, einem schmachtenden Neger ihre Sammethand zu reichen, hat es hier niemals gegeben, aber weiße Herren fanden häufig ihre schwarzen Sklavinnen ganz artig, schenkten ihnen und ihren Kindern die Freiheit und vererbten sogar nicht selten ihren Namen und Vermögen auf sie.
Herr von Delville spricht wahr, erwiderte Petion, und wenn es nicht auch unnatürliche Väter gäbe, die ihre Kinder als Sklaven aufwachsen ließen und sogar verkauften, würden alle Farbigen frei sein.
Eine fahle Röthe sammelte sich auf der Stirn des Kreolen und seine Augen schossen einen Blitz auf den Sprecher, der gelassen fortfuhr:
Es haben jedoch zu allen Zeiten auch Verbindungen zwischen weißen und farbigen Personen stattgefunden und hierdurch ist die so verschiedene Hautfärbung bewirkt worden, welche zuletzt kaum mehr einen Unterschied übrig gelassen hat.
Delville faßte mit einem raschen Griffe Petions Hand zog diese über den Tisch den Damen zu und rief mit rohem Triumph:
Hier haben Sie den Beweis von dem, was ich sagte. Sehen Sie hier die gelben Halbmonde an den Nägeln, namentlich an dem Daumennagel. Der wird niemals verschwinden, auch wenn dieser Herr ein weißes Mädchen finden sollte, die ihn heirathen möchte.
Ich danke Ihnen für die Zulassung dieser Möglichkeit, antwortete Petion lächelnd. Auch meine Mutter war eine Weiße, mein Vater ein Quarteron, beide haben eine sehr glückliche Ehe geführt.
War es nicht eine ihrer Cousinen, Herr Petion, die neulich der Stadtrath in Goave heirathen wollte, der das Unglück hatte darüber zu Tode zu kommen? rief der Kreole.
Meine unglückliche Cousine, ja, sagte der junge Mann.
Was ist ihr geschehen? fragte Melanie.
Ein Municipalrath in Goave, Bercel mit Namen, wollte eine Quarteronne zur Frau nehmen, fuhr Delville fort. Gut, das hätte er thun mögen, wenn er sich dahin versteigen wollte; aber er hatte auch die Frechheit, eine Broschüre zu schreiben, in welcher er die Rechte der Farbigen vertheidigte und die Vorurtheile und Grausamkeiten seines eigenen Blutes, der herrschenden, weißen Rasse, wie er uns nannte, angriff – die Assemblée setzte ihn dafür ins Gefängniß, um ihn dem Gerichtshofe zu überliefern; aber die Wuth des Volkes war so groß, daß es die Thüren erbrach und selbst Gerechtigkeit übte.
Das heißt, sagte Petion, ein betrunkener Haufe zog den unglücklichen Mann an den Haaren bis auf den Platz und ermordete ihn dort mit zahllosen Messerstichen.
Die Damen blickten sich entsetzt an.
Ich will die That nicht vertheidigen, sagte Delville, aber in Zeiten wie diese muß Jeder sich hüten, die Leidenschaften heraus zu fordern, und läugnen kann Niemand, daß die unklugen, anmaßenden Forderungen der Farbigen daran Schuld sind.
Petion hob seinen Kopf auf und sagte mit markiger, fester Stimme:
Wer Schuld hat, Herr Präsident, wird diese Schuld büßen müssen, so gewiß es eine ewige Gerechtigkeit giebt!
So stolz und heftig Delville war, so machten diese wenigen Worte doch einigen Eindruck auf ihn.
Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, Herr Petion, murmelte er, indem er aufstand und seinen Stuhl zurückstieß.
Ich bin auch nicht beleidigt, erwiderte der Farbige, in seiner früheren ruhigen Weise. Was wir zu tragen haben, fügte er hinzu, indem er seine großen, schwermüthigen Augen langsam öffnete und ein sanftes Lächeln über sein Gesicht glitt, ist eine Last, die von einem Menschen weder bedeutend vermehrt noch vermindert werden kann.
Sie standen nun alle auf und Delville trieb zum Aufbruch, da die heißesten Stunden vorüber waren. Petion bat vergebens zu warten, der Baron rief nach den Pferden und Lariviere sowohl wie die Damen rüsteten sich schon aus dem Grunde, weil längeres Verweilen neue peinliche Auftritte herbeiführen konnte.
Ich hoffe, sagte Simon, Du wirst bald einmal zu mir nach Croix rouge herunter kommen. Auch für meine Frau und Melanie nehme ich das Wort, sie werden Dich gern empfangen, Alexander.
Laß die erste Zeit vorüber gehen, antwortete Petion, Du wirst dann selbst entscheiden können, ob mein Besuch Dir erwünscht ist. Giebst Du mir eine Nachricht und glauben die Damen, daß ich Ihnen nahen darf, so will ich mit Freuden erscheinen.
Diese Antwort mit eben so vieler Bescheidenheit wie mit männlichem Bewußtsein der Verhältnisse gegeben, vermehrte den Antheil Lariviere's an seinem Jugendfreund. Die Augen der jungen Französinnen ruhten auf ihm und was ihre Blicke ihm sagten, mußte ihn überzeugen, daß sie Wohlwollen für ihn empfanden.
Delville's Gegenwart hinderte jedoch jede laute Aeußerung. Er dankte Petion kalt höflich für die Aufnahme, Simon drückte ihm die Hand und die beiden Frauen sagten ihm freundlich Lebewohl, dann verließen die Reiter rasch die kleine Pflanzung.