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Kapitel VIII.

Ungefähr eine halbe Stunde vor dieser Begebenheit war Herr Frese von seiner Ressource nach Haus gewandert und hatte höchst verdrießlich den Weg zurückgelegt. Er hatte heute seine Frau Nachbarin nicht gesehen, alle seine Neuigkeiten waren bei ihm geblieben. Er hatte die schönsten Bosheiten ausgesonnen, sich eine ganze Erzählung zurecht gemacht, in der es von Damen, Räubern und Abentheuern wimmelte, aber es wollte sie ihm Niemand abnehmen. –

Als er an das Haus gelangte, blieb er unter den Fenstern der Nachbarin stehen und lauschte, ob er nicht die Spur eines Lichtes entdecken könnte; er überzeugte sich jedoch, daß es finster darin sei, und zornig stieß er seinen Stock auf das Pflaster und sagte ingrimmig:

Es ist wahrhaftig Schade, daß ich eine so tiefe Aversion vor allem Heirathen habe. Wäre das nicht, ich heirathete diese Wittib. Wir wollten sehen, wer es am längsten aushielte. Ich wollte ihr die Gesellschaften abgewöhnen durch meine angenehme Gesellschaft, durch meine Unterhaltung, die sie so ergötzlich findet. Ach! was muß es interessant sein, eine angenehme Frau zu haben und einen angenehmen Sohn dazu, die man alle Tage erheitern und erfreuen kann. Nun morgen, morgen! fuhr er lachend fort, indem er den Schlüssel ins Schloß steckte; aber indem er die Thür öffnete, erstarb ihm der Ton im Munde, denn dicht an ihm hin, wie ein Schatten, trat eine verschleierte Dame ins Haus, ehe er Zeit gehabt hätte, ihr den Eingang zu versperren.

Madame! Fräulein! Mademoiselle! schrie Herr Frese, als er wieder Athem hatte; so hören Sie doch! Was fällt Ihnen ein? Wen suchen Sie in der Nacht? –

Die Dame stand still und sagte mit leiser, süßer Stimme: Es ist allerdings auffallend, daß ich so spät in dies Haus trete, allein ich habe einen Auftrag an Herrn Wilberg, der nicht bis morgen warten kann.

Einen dringenden Auftrag! –

Herr Frese musterte die Dame von Kopf zu Fuß. Sie war ganz schwarz gekleidet und ohne Zweifel dieselbe, die er heute früh schon gesehen.

Hier unten, sagte er, wohnt die Frau Geheimräthin, wenn Sie zu der wollen.

Ich habe bei der Frau Geheimräthin nichts zu thun, erwiederte sie.

Aha! rief Herr Frese, also nur bei dem jungen Herrn.

Nur bei ihm. Das finden Sie wahrscheinlich seltsam?

Oh! nicht im Geringsten, ich finde es sogar ganz in der Ordnung; aber die Frau Geheimräthin möchte es leicht anders finden.

Das glaube ich auch, sagte die schwarze Dame, und der alte Herr hörte deutlich, wie sie unter dem Schleier lachte.

Sie waren Beide inzwischen die Treppe hinaufgestiegen. Die Flurlampe brannte trübe; Herr Frese bemühte sich vergebens, etwas vom Gesicht der Unbekannten zu sehen.

Wo wohnen Sie? fragte diese plötzlich.

Ich? sagte der alte Herr erstaunt; hier wohne ich. Das ganze Stockwerk habe ich gemiethet, nur die beiden Zimmer dort im Corridor hat der Herr Doctor jetzt inne.

Die Dame öffnete die Glasthüre, und neugierig folgte Herr Frese nach.

Ich habe es gleich gedacht, er ist nicht zu Haus! rief er triumphirend.

Er muß zu Haus sein, erwiederte die Unbekannte, stärker klopfend.

Er muß? ah! – Er weiß also, daß Sie kommen?

Freilich, er weiß es.

Das ist somit ein bestelltes Zusammentreffen. Allerliebst! murmelte Herr Frese; wart, du sollst mir nicht entkommen. Fort kommst du nicht wieder, schwarze Dame, und sollte ich dich mit Gewalt festhalten, Polizei und Wache und endlich meine liebe Nachbarin und den saubern Herrn Sohn holen. Aber List hilft mehr als Gewalt, und wer steht mir dafür, daß dies Frauenzimmer, die keck und verschlagen wie ein kleiner Teufel zu sein scheint, nicht einen Dolch oder doch ein Messer bei sich führt? Also höflich und artig, Frese! Mit Artigkeiten erreicht man Alles.

Diese Betrachtungen stellten sich bei dem alten Herrn ein, während er mit der Unbekannten vor der Zimmerthür stand und von Zeit zu Zeit immer von Neuem anklopfte.

Nein, er ist nicht zu Haus, sagte er endlich; aber er muß kommen, es wird gewiß nicht lange dauern.

Er kann unmöglich falsch verstanden haben, murmelte die Dame halblaut.

Er kömmt auf jeden Fall! rief Herr Frese. Es ist ein außerordentlicher junger Mann.

Sie loben ihn? fragte die Unbekannte.

Aus Grund meines Herzens! betheuerte der alte Herr. Ich habe nie einen so exemplarisch moralischen Menschen kennen gelernt; alle Tage bringt er neue Beweise dafür. Sie werden mir das zugeben.

Ich habe es nie untersucht, sagte sie.

Aha! rief der alte Herr, in seiner gewöhnlichen Art grinsend, Sie bekümmern sich um dergleichen nicht, ich will es glauben. Aber es ist kalt und zugig hier, kein Aufenthalt für eine schöne junge Dame. Ich mache Ihnen den Vorschlag, ein wenig bei mir einzutreten und den säumigen jungen Herrn zu erwarten.

Herr Frese erwartete eine Ablehnung und war darauf gefaßt, seinen Ton zu ändern. Er pumpte sich die Brust voll Luft, um mit möglichster Gewalt, wenn Bitten nichts halfen, einen fürchterlichen Schrei auszustoßen.

Die Dame betrachtete ihn einen Augenblick im Scheine des Mondes, der hell durch das große Glasfenster in den Corridor fiel, und der alte Herr konnte sich eines leisen Zitterns nicht erwehren. Die finstere Gestalt der Unbekannten stand vor ihm wie eine mitternächtliche Erscheinung; das tiefe Schweigen machte ihn entsetzlich bange.

Darf ich hoffen, daß Sie mein Anerbieten nicht zurückweisen? sagte er so süß er konnte.

Ich bin bereit, da Sie es wünschen! erwiederte sie, und dem alten Herrn kam es vor, als lache sie abermals. Diese unerwartete Willfährigkeit machte ihn bestürzt. Allerlei Gedanken kamen über ihn: es konnte ein verkleideter Mann sein! Aber er hatte nicht Zeit, diesen Eingebungen Raum zu schenken. Die Dame schritt voran und Herr Frese folgte. Er hatte keine andere Hülfe im Hause als seine alte Dienerin, die längst schlief, und unten die Magd und den halb tauben Hausknecht der Geheimräthin; um aber der Fremden Achtung oder Furcht einzuflößen, hielt er es für rathsam, mehr zu lügen, als gut war.

Treten Sie gefälligst herein, sagte er, die Lampe brennt, mein Bedienter ist ein junger eifriger Bursche, der von meinem alten Johann gut angelernt wird. Aber ich bin so ein alter ehrlicher Deutscher, ich quäle meine Leute nie mit unnützen Diensten.

Sie haben zwei Diener für Ihre eine Person? erwiederte die Fremde, indem sie in das kleine Vorzimmer trat, in welchem ein Nachtlämpchen brannte.

Ich habe noch eine Haushälterin und ein Küchenmädchen, sagte Herr Frese, indem er ein Licht an der Lampe anzündete; ferner sind unten im Hause der Bediente des Herrn Doctors und die Dienerschaft der Frau Geheimräthin. Es ist dies ein wohlbewachtes, lebendiges Haus. Ein einziger Ruf reicht hin, ein halbes Dutzend rüstige Männer bei Tag und Nacht auf die Beine zu bringen.

So, sagte er, die Fremde betrachtend, jetzt bitte ich Sie näher zu treten. Hier ist mein Wohnzimmer, dicht dabei schlafen meine Leute. Wir müssen etwas leise sprechen, wenn es Ihnen beliebt.

Sie bewohnen das ganze Stockwerk? Fragte die Dame.

Von vorn bis hinten, erwiederte er.

Aber was thun Sie mit den vielen Räumen, wenn Sie hier in diesem engen Gemach wohnen, schlafen und leben? rief die Fremde lachend.

Das ist so meine Sitte, sagte der alte Herr. Ich gehe aus einem Zimmer in das andre spazieren.

Und dafür verschwenden Sie jährlich eine Geldsumme, die Sie weit nützlicher anwenden könnten, wenn Sie dieselbe der Armuth zufließen ließen.

Potz Tausend! rief Herr Frese, zum Theil belustigt von dieser Art, Vorwürfe zu machen, zum Theil verwundert, daß es der Fall sein könnte; allerdings ja – aber ich bin nun einmal als Verschwender geboren. Andere nennen mich freilich Geizhals, rief er lustig gestimmt, das heißt so sagen die, denen ich nichts borgen will. Im Uebrigen lebe ich still und allein, wie ein guter Bürger es soll, sehe keinen Menschen und lasse mir höchstens des Morgens von meiner alten Susanne erzählen, was draußen passirt.

Die Dame hatte sich in den großen Lehnstuhl gesetzt, der am Ofen stand; ein Tischchen schied sie von ihrem Wirth, der das Licht darauf gesetzt hatte und aus dem abgeschabten Sessel, auf dem er sich niedergelassen hatte, sie neugierig und boshaft betrachtete. – Das flackernde Licht warf einen matten Glanz auf die von Rauch geschwärzten Tapeten. In den Ecken im Hintergrunde standen ein paar ungeheuere Schränke, dazwischen ein Sopha mit verschossenem Ueberzug, am Fenster ein Schreibpult und hinter diesem ein mächtiger Kasten von Eisen.

Es gefällt Ihnen wohl nicht besonders hier? fragte Herr Frese lachend. Nun, wenn es auf blankes Täfelwerk, Sammettapeten und Goldleisten ankommt, so besitze ich die auch. Sehen Sie dort hinein, in die Vorderzimmer, sie sind wie neu; aber es ist nicht behaglich, darum wohne ich hier.

Das ist wohl Ihr Geldkasten? sagte die Fremde, auf den Kasten deutend.

Geldkasten? Warum nicht gar! rief der alte Herr. – Geld habe ich nie im Hause. – Wäsche, alte Bücher, Schriften liegen darin.

Sie sind ein Geizhals, erwiederte die Dame, Sie haben es selbst bekannt, und Geizige trennen sich nie von ihrem Mammon.

Herr Frese legte die Hände auf den Tisch und stützte sein langes Kinn auf die Daumen. –

Maden Sie keinen Spaß, Mademoiselle, sagte er, Sie können das nicht wissen.

Ich weiß mehr, wie Sie denken, rief die Dame. Wir sind Beide allein in diesem Hause, Niemand sieht und hört uns, kein Mensch ahnt, daß ich meine Hand auf diesen Geldkasten lege.

Was wollen Sie damit sagen? schrie Herr Frese zurückprallend, denn die kleine Hand der Fremden führte einen Schlag auf den Deckel der Kiste, die sie erreichen konnte, daß das Eisen klang.

Ich will sagen, fuhr die Dame fort, daß es nicht vorsichtig von Ihnen war, einen Fremden Abends spät heimlich in Ihre einsame Wohnung zu führen.

Eine liebenswürdige junge Dame! lachte der alte Herr mit ängstlichem Gesicht, oh! wer würde das nicht gerne tun!

Wissen Sie denn so gewiß, daß ich liebenswürdig und jung bin? rief die Fremde spöttisch.

Ich zweifle durchaus nicht daran; nein! ich bin davon überzeugt.

Wenn ich aber keine Dame wäre! fuhr sie fort, indem sie sich langsam aufrichtete.

Herr Frese saß starr, die Hände aufgestemmt, als wolle er den Sessel verlassen, aber er wagte es nicht.

Wer sollten Sie denn sonst sein? stotterte er.

Ich weiß es selbst nicht, rief die Dame mit tiefer Stimme. Aber wer sagt Ihnen, daß ich unter diesem Mantel nicht Waffen verborgen habe ein breites, furchtbares Messer?

Ha! schrie der alte Herr entsetzt, denn er sah, wie sie die Hand unter den Mantel steckte.

Um Sie abzuschlachten! rief die Dame aufspringend; aber in dem Augenblick brach sie in ein schallendes Gelächter aus und schlug die kleinen Hände zusammen. Ich glaube wahrhaftig, Sie haben sich gefürchtet, sagte sie, noch immer lachend. Seh' ich denn aus wie ein Räuber?

Ich weiß ja nicht, wie Sie aussehen, erwiederte Herr Frese neuen Muth schöpfend, aber das weiß ich, daß es mir sehr angenehm sein würde, wenn Sie endlich mir Ihr Angesicht vergönnen wollten.

Die Dame löste das Band am Hut und plötzlich sah der alte Herr in Anna's übermüthiges, lachendes und schelmisches Gesicht.

Ein Ausdruck stummen Erstaunens, der einem Erschrecken gleich kam, drückte sich in seinen Mienen aus. Er beugte sich vor, um sie besser zu betrachten, und griff nach dem Licht, das in seiner Hand zitterte.

Nun! rief die Dame, nicht wahr, ich jage Ihnen kein Entsetzen mehr ein?

Nein, nein! erwiederte er, aber – nennen Sie mir Ihren Namen.

Den werde ich verschweigen, wenigstens bis auf ein ander Mal. –Sie sehen mich noch immer erstaunt an, als suchten Sie etwas in meinen Zügen. Vielleicht ist es eine Erinnerung? Haben Sie eine Tochter, die mir gleicht?

Ich habe keine Kinder, erwiederte der alte Herr. – Ich war nie verheirathet, fügte er hastiger hinzu.

Und Sie haben immer so allein und freudlos gelebt?

Freudlos! rief der alte Herr. Warum freudlos? Meinen Sie, weil ich allein lebe? Da lebe ich ja in steten Hoffnungen.

Anna sah ihn ernsthaft an.

Was haben Sie noch zu hoffen! sagte sie. Ja freudlos, ganz freudlos muß solch Leben sein, ohne ein Wesen, das man liebt, ohne ein Herz, dem man vertraut, ohne eine Seele, die man versteht und von ihr verstanden wird.

Haha! schrie Herr Frese, Sie sprechen beinahe wie meine Nachbarin.

Sie thun mir leid, fiel Anna ein, denn Sie scheinen sich selbst um Ihr Leben betrogen zu haben.

Sie sind ein kleiner Professor, erwiederte er boshaft, und könnten Vorlesungen über das Glück des Lebens halten.

Ich will Ihnen eine Vorlesung halten, sagte sie, hören Sie zu. – Wie Sie da vor mir sitzen, lese ich in Ihren Zügen die Geschichte Ihres Lebens. Sie sind von jung an ein Egoist gewesen. Ihr rothes Gesicht, Ihre lebhaften Augen, die Unruhe in Ihren Muskeln, deuten auf einen heftigen, reizbaren Charakter und stürmische Leidenschaften. – Sie haben nie einen wahren Freund gehabt, denn die Freundschaft fordert, wie die Liebe, Opfer und Treue. Sie haben nur der Selbstsucht gehorcht, von Andern stets gefordert, aber nichts dafür geben wollen. Geld gewinnen, wie und wodurch es sei, das ist die Aufgabe gewesen, der Sie dienten. Sie sind ein hartherziger Mann; denn Hartherzigkeit und Geiz sind Zwillingskinder niedriger Seelen.

Professorchen, machen Sie es nicht zu arg! rief Herr Frese in einem Tone, der zwischen Spott und Aerger lag.

Lassen Sie mich weiter sehen, fuhr Anna fort, indem sie sich über den Tisch beugte und mit ihren blitzenden Augen ihn durchdringend betrachtete. – Auf der andern Seite des kleinen Tisches saß der alte Herr im Schein der dunkelbrennenden Kerze, Hohn, Verachtung und doch auch Verlegenheit in seinem verzerrten rothen Gesichte.

Ich täusche mich nicht, sagte Anna. Sie haben die gehaßt und verfolgt, die Ihrer Selbstsucht nicht gehorchen wollten, Sie konnten mitleids- und erbarmungslos sein, wenn es Ihr Vortheil war oder Ihre Eigenliebe gekränkt wurde. Sie waren eitel und glatt von außen, innen voll Lüge und Dünkel, hochmüthig und verderbt. Sie haben nie einen Menschen geliebt, nie Gutes und Schönes achten gelernt, nie Edles bewundert. Ihr ganzes Wesen drückt einen rohen Sinn, eine Verwilderung des Gemüths aus, welche die Menschen, die Sie umgaben, mit Furcht, Mißtrauen und Abscheu erfüllen konnten.

Herr Frese wußte nicht, was er sagen sollte zu dieser Fluth von Anschuldigungen, die, mit lachendem, hübschem Munde gegeben, doch nachdrücklich wie ein Gewittersturm über ihn herfielen. Er konnte kein spottendes Wort finden, das Gelächter starb auf seinen Lippen; er sah daß kecke Mädchen mit einem Tigerblick, endlich aber bittend an und schüttelte den Kopf. –

Mademoiselle, rief er, oder was Sie sind, es thut mir leid, daß Sie so übel von mir denken, aber gegen Sie würde ich niemals hartherzig sein, und bin es, wie ich denke, auch nicht gewesen. Es ist lustig, wahrhaftig sehr lustig, daß ich mir hier und spät in der Nacht solche Epistel halten lassen muß und von wem?

Von einem jungen Mädchen, erwiederte Anna lächelnd, aus der Sie nicht wissen, was Sie machen sollen. Lassen Sie es gut sein, lieber alter Herr, ich bin bei alledem Ihre Freundin, mehr als Sie meinen. Ich sehe Sie alt, hinfällig, mit der Welt zerfallen, das thut mir weh. Ich weiß, Sie sind böse und meinen es böse auch mit mir, wie mit allen Menschen; doch ich wünschte, Sie wären gut und gerecht. Sie spotten und höhnen die Welt, und die Welt höhnt und haßt Sie wieder. Habe ich nicht Recht? – Kennen Sie einen Menschen, der mit Liebe Ihnen anhängt? – Sie haben keinen, ich sehe es an Ihrem düstern Gesicht. Ihr ganzes Leben hat nicht hingereicht dazu, und wenn Sie sterben, wird kein Auge naß werden. Sie empfinden, was ich sage, aber ich, ich empfinde es mit Ihnen.

Der alte Herr saß stumm und bewegungslos vor dem seltsamen Mädchen, die ihn mitleidig und theilnehmend zu betrachten schien. Plötzlich hörte man von außen laute Stimmen und feste Schritte auf der Treppe.

Es sprechen mehrere Menschen draußen, rief Anna, lebhaft aufstehend; sehen Sie, wer es ist, ich erwarte Sie hier.

Herr Frese gehorchte ohne Widerrede. Er ging hinaus, öffnete die Thür, und vor ihm standen die drei Herren, welche wir kennen.

Es ist ein glücklicher Zufall, daß ich Sie finde, sagte Wilberg, indem er die Hand des alten Herrn faßte. ich bitte Sie, uns in mein Zimmer zu begleiten und Zeuge unserer Unterredung zu sein.

Sie werden mich entschuldigen, erwiederte der alte Herr bestürzt, aber –

Kein Aber, Herr Frese, rief der junge Mann; ich glaube, diese Herren werden damit einverstanden sein.

Vollkommen, sagte Baben, ich bitte gleichfalls darum.

Aber hören Sie mich nur einen Augenblick, flüsterte Frese.

Wilberg hörte nicht; er führte ihn mit sich fort, schloß die Thür seines Zimmers auf, zündete rasch Licht an und ersuchte die Herren Platz zu nehmen.

Unsere Geschäfte können rasch abgethan werden, sagte Baben, indem er den Mantel abwarf und das Kästchen, welches er in der Hand trug, auf den Tisch stellte. Er richtete einen finsteren Blick auf Gustav und sagte langsam:

Sie werden nicht leugnen, daß Sie derjenige sind, den ich seit zwei Monaten suche.

Ich weiß nicht, ob Sie mich gesucht haben, erwiederte Wilberg.

Ein seltsamer Zufall, fuhr Herr von Baben fort, führte uns zusammen. Ein unbedachtes Wort regte meinen Verdacht an, ich verfolgte dessen Spur und bald war es mir gewiß, daß Sie und kein Anderer der Mann sind, durch dessen Leichtsinn ich meinen Vater verloren habe.

Herr von Baben! rief Wilberg erregt.

Ja oder nein? fiel der Major mit harter Stimme ein. Kurze Antwort, weiter nichts.

Ich muß fragen, erwiederte Gustav, ob Ihnen die Umstände genau bekannt sind, die mich in eine Lage brachten, in welcher mir zuletzt jeder freie Wille fehlte.

Das zu ermitteln, wäre Sache des Richters oder des Gesetzes, fiel Baben ein, mir gegenüber handelt es sich allein um die That. Sie waren es, der das Pistol auf meinen Vater abdrückte, Sie verschulden, daß das scheu gewordene Pferd sich bäumte und überschlug. Sie sind sein Mörder.

Ah! rief Herr Frese, der bisher still zugehört hatte, an der mecklenburgischen Grenze – jetzt begreife ich Alles.

Er hat mit Ihnen davon gesprochen? fragte Baben rasch.

Ja, sagte der alte Herr, ich kann es nicht leugnen, der Herr Doctor vertheidigte damals den Mörder mit Hartnäckigkeit, zu meinem Erstaunen und zum Entsetzen seiner Frau Mutter. Wer hätte denken sollen – es ist unmöglich, es ist ganz unmöglich!

Ausflüchte helfen nichts, rief der Major mit dem Fuße stampfend. Nochmals: Ja oder nein?

Ja, sagte Wilberg stolz, ich war es, ich drückte das Pistol ab, aber ich fühle mich frei von Schuld, ich bin kein Mörder!

Einen Augenblick sahen sich die Männer stumm und drohend an, dann sagte Baben: Sie bekennen, was ich wußte, leugnen würde nichts gefruchtet haben. Lange war ich zweifelhaft, ob ich Sie dem Gesetz überliefern sollte, und ich würde dies gethan, meine Sache dem Spruch der richterlichen Gewalt unterworfen haben, die ihr Amt verrichtet hätte, allein Sie stehen einer Familie nahe, die ich achte und hoch halte: Sie sind verlobt mit einer jungen Dame, die mir theuer ist.

Ich verbiete Ihnen, diese Dame, meine Verlobte, mit einem Worte zu erwähnen, rief Wilberg heftig und stolz.

Ihre Schande, fuhr Baben ruhig fort, würde auf Schuldlose zurückfallen, Ihr frevelhafter Leichtsinn würde ein Herz zum Tode verwunden, das Sie – er hielt inne.

Eine tödtliche Blässe bedeckte Gustavs Gesicht, seine geballte Hand zitterte auf dem Tisch, auf welchen er sich stützte, aus seinen Augen strahlte eine wilde Entschlossenheit.

Es ist feige, rief er, Beleidigungen auszusprechen, während genug vorhanden ist zwischen uns, um die Abrechnung zu halten, die Sie wünschen können. Dies ist, wie ich denke, die Ursache Ihres Kommens, fuhr er ruhiger fort. Ich begreife Ihre Schonung. Es ist Ihnen nicht genug, das Gesetz zum Richter zwischen uns zu machen; dies würde die Verhältnisse prüfen; es würde finden, daß ich den Thatsachen nach unschuldig bin, daß der Zufall mich zum Theilnehmer einer an sich strafbaren Handlung machte. Aber Sie haben Recht, und ich danke Ihnen. Nicht eine Familie allein, auch eine andere, die Ihnen befreundet ist, würde in einen schimpflichen Prozeß gezogen werden, den Sie mit überlegter Berechnung vorbereitet haben. – Der Kapitain, Anna, Sie haben beide hierher gelockt, mir gegenüber gestellt, um uns Alle zu verderben.

Um Gerechtigkeit zu üben! fiel Baben mit starker Stimme ein, Gerechtigkeit ja, was ich auch selbst leiden mochte. Offen wollte ich als Kläger auftreten, ich war meiner Sache gewiß trotz aller Verstellung.

Und was hinderte Sie daran? rief Wilberg im Tone der Verachtung.

Baben schwieg. Seine Stirn röthete sich, er senkte den Kopf und hob ihn wieder empor. –

Es ist keine Zeit zum Leugnen und Lügen, sagte er, ich werde aufrichtig sein. – Sie haben mir heut Gelegenheit gegeben mich zu überzeugen, daß Sie geliebt werden. Ich saß an Stephaniens Seite, während Sie bemüht waren, mit Ihrer Freundin sich zu verständigen. In jener Stunde änderte ich meine Absicht und gelobte mir, einen andern Weg zu wählen. – Niemand soll erfahren, was die Ursache unseres Kampfes gewesen ist. Der Major wird schweigen, von diesem Herrn erwarte ich das Gleiche. – Ich bringe mit, was wir brauchen.

Er öffnete das Kästchen, das auf dem Tisch stand. Hier sind Pistolen, in fünf Minuten kann Alles abgethan sein.

Wie! rief Wilberg bewegt, hier in meinem Zimmer, auf der Stelle!

Einer von uns beiden, fuhr Baben düster fort. – Laden Sie eine der Pistolen, Major, in Beisein des Herrn, der zum Zeugen dient. Legen Sie beide Waffen unter ein Tuch, und wählen Sie dann, Herr Wilberg. Der Tisch mag zwischen uns sein.

Zufrieden? fragte der Major, indem er Gustav und den alten Herrn anblickte.

Wilberg schwieg. Er besaß ein muthiges Herz, aber so furchtbar und so nahe hatte er die Entscheidung nicht erwartet. In diesem Augenblicke dachte er an seine Mutter, an den Jammer, der sie erwartete, an Stephanien, an alle Folgen einer That, die, wie sie auch ausfallen mochte, Elend und Entsetzen über Alle bringen mußte, die er liebte, und Todtenblässe überdeckte von Neuem sein Gesicht, seine Muskeln wie seine Empfindungen zogen sich krampfhaft zusammen.

Keine Antwort? rief der Major höhnisch. Hab' es gedacht! und er trat mit dem Fuß auf, daß die Dielen bebten.

Ich bin bereit! sagte Gustav, an der empfindlichsten Stelle getroffen, wo ein Mann verletzt werden kann. Ich hätte gewünscht – aber laden Sie, Onkel Tobias, jedes weitere Wort ist hier überflüssig.

Der Major nahm die Pistolen und näherte sich dem alten Herrn, der bis jetzt regungslos auf seinem Stuhle gesessen hatte.

Kommen Sie hierher, sagte er, nehmen Sie eines der Lichter.

Wozu? fragte Herr Frese.

Der Major starrte ihn an. –

Laden! rief er, Pulver, Kugel!

Ist es denn wirklich Ernst, fragte der alte Herr erschrocken.

Element! schrie der Major. Nehmen Sie.

Er hielt ihm das eine Pistol hin.

Was? Ich! rief Herr Frese aufspringend, daß ich ein Narr wäre. Um keinen Preis!

Sie sollen nur Zeuge sein, sagte Wilberg.

Nur!! schrie der alte Herr, ich werde mich hüten und Zeuge sein. Es ist Wahnsinn, es ist Verrücktheit! Es ist ein schändlicher offenbarer Mord!

Das boshafte Grinsen, mit dem er Anfangs den ganzen Handel angehört, war aus seinem Gesicht verschwunden, und mit wärmerer Theilnahme, als er sie je Wilberg bewiesen hatte, sagte er ängstlich und warnend:

Denken Sie an Ihre Mutter, deren einziges Kind Sie sind. Ich will's nicht leiden, und sollte ich die Stadt zusammen schreien. Wenn Sie unschuldig sind oder auch schuldig, es ist einerlei, es giebt Gesetze und Richter, und ein paar Jahre Gefängniß sind immer besser als sich todtschießen lassen.

Hinaus! rief der Major, indem er das Pistol auf ihn richtete.

Mord! Mord! schrie Frese, nach der Thür fliehend, wo er in größter Angst den Drücker suchte; aber in dem Augenblick, als von der einen Seite der Major ihn am Arm ergriff und zurückzog, wurde die Thür von außen mit Heftigkeit aufgestoßen, und herein trat Rintel, an dessen linker Hand Anna sich fest hielt.

In seinen Mantel gehüllt, den Hut auf dem Kopf, stand die lange hagere Gestalt auf der Schwelle, und überblickte die Gruppe im Zimmer. Der alte Herr riß sich vom Major los und stierte die Erscheinung an, wie wenn er einen Geist erblickte. Schrecken und Ueberraschung lähmten seine Zunge, er hielt sich an dem Stuhle fest, und als der Blick des Kapitains ihn traf, fuhr er zusammen, als fasse ihn eine ungeheure Furcht.

Ich komme! sagte Rintel, indem er an dem alten Herrn vorüber bis an den Tisch ging, wie ich sehe, zur rechten Zeit, um eine Thorheit und ein Verbrechen zu hindern. Er nahm den Hut ab und wendete sich zu Baben.

Sehen Sie mich nicht so finster an, junger Herr, ich denke, wir kennen uns und sind beide ohne Furcht um unsere Sache.

Kapitain, erwiederte Baben, Sie zwingen mich durch ihr Erscheinen an diesem Orte zu Fragen und Forderungen, die ich vermeiden wollte.

Fragen und Forderungen?! rief Rintel zurück. Oho! was soll es sein? Was wollen Sie fragen, was Sie nicht wüßten und längst gewußt haben? Daß ich bisweilen über die Gränze fuhr, um Einkäufe zu machen, weil ich Zöllnerwirthschaft verachte, Unrecht nicht dulden will, ist bekannt genug gewesen; ich hab's nie geleugnet. Oft genug haben wir beide über die heillose Wirthschaft gesprochen, das arme Volk beklagt, die schlechten Einrichtungen verdammt, und wenn Sie an jenem Abend in Friedland gewesen wären, wie der junge Herr da, Sie wären mit uns gefahren. Leugnen Sie, wenn Sie es können!

Ich frage nicht danach, was sein könnte, sondern was ist, erwiederte Baben; ich bin berufen, Rechenschaft zu fordern für das, was mir geschehen ist.

Rechenschaft fordern, fiel Rintel ein; schöner Vorsatz das, Herr von Baben. Rechenschaft fordern für einen Zufall, dessen Ursachen in den schmachvollen Zuständen liegen, unter denen wir leiden. Und von wem Rechenschaft fordern? Von einem unschuldigen jungen Mann, der genug Kummer und Leid dafür schon getragen hat. Wie aber wollen Sie sich rächen, Herr? Wie ein Criminalrichter sind Sie zu Werke gegangen; listig, schlau, überlegt, von niederer Leidenschaft getrieben.

Herr Rintel! rief der junge Mann.

Heiße so! erwiederte der Kapitain, und hätte Anderes von Ihnen erwartet. Wären Sie zu mir gekommen und hätten gefragt: Was wissen Sie von der Geschichte? hätte Ihnen keine Silbe verhehlt. Statt dessen schlichen Sie umher, fragten aus, warben Verräther, und als Sie sicher waren, luden Sie mich dringend zu dieser Reise ein, um den Triumph zu genießen, den jungen Herrn da mit unserem Anblick zu ängstigen und zuletzt zu verderben.

Hier sind wir nun, fuhr er langsamer fort, hier stehe ich, ich und Anna, und wollen erwarten, wie Sie an uns Rache nehmen. Klagen Sie nur an, wir werden nicht leugnen.

Ich bin die Schuldige allein, rief Anna, indem sie vortrat und mit festen stolzen Blicken den Kläger betrachtete. Ich saß an der Seite des Verbrechers da, ich beredete ihn, uns zu folgen, belustigte mich an seinem Bedenken, spottete über seine Furchtsamkeit und reichte ihm zuletzt das unglückliche Pistol, um – einen Schuß in die Luft zu thun! Wir haben uns auf jener nächtlichen Fahrt kaum kennen gelernt, fuhr sie fort, sich an Gustav wendend, aber sagte ich Ihnen nicht: ein unglücklicher Augenblick entscheidet oft über ein Menschenleben? Jetzt sehen Sie die Wahrheit, aber wenn gestraft werden soll, will ich die Strafe tragen. Ich bin gekommen, um an Ihre Stelle zu treten. Entscheiden Sie, Rudolph. Wollen Sie mich vor Ihre Richter schleppen, gut, ich werde ein offenes Bekenntniß ablegen; wollen Sie Blut, ich bin dabei. Nehmen Sie das Mordgewehr und drücken Sie ab.

Sie legte die Hand schmerzlich lachend auf Babens Arm, der in steigender Unruhe und Ungewißheit vor ihr stand, und sagte leise:

Wohin hat sich Ihr großmüthiges und edles Herz verirrt? Welcher Dämon war es, der alle guten Geister aus ihrer Brust verbannte? Haben Sie nie geahnt, was ich litt und leiden mußte, wie kummervoll ich an Sie dachte?

Kummervoll! rief Baben heftig, dürfen Sie dies schwerwiegende Wort gebrauchen, wenn Sie leichtfertigen Sinnes, ja Anna, leichtfertigen Sinnes, Abenteuer solcher Art wagen? Mit einem fremden Manne an der Seite Gesetz und Sitte verachten, ihn zum Frevel – gegen meinen Vater! antreiben, ihn verbergen –

Sagte ich es nicht, fiel Anna lächelnd ein, das sind die Beweggründe. Fort mit dem leichtsinnigen Mädchen, fort mit ihr aus Sinn und Gedächtniß. Ein junger Herr begegnet ihr auf der Landstraße, und sofort breitet sie ein Netz von verlockenden Fäden um sein Haupt aus. Der Vater beginnt die Intrigue, die Tochter setzt sie fort. Was schadet es, daß der Vater ein Mann ist, der Jedem gern dient, und so auch diesem jungen Herrn, der seinen Paß eingebüßt hat. Was thut es, daß man die Tochter seit Jahren kennt und ihr tausendmal gesagt hat, sie habe das edelste, reinste, fröhlichste Herz voll Neckerei und warmer Menschenliebe. Ein kläglicher Zufall führt ein Unheil herbei; ich will es nicht wagen, mit einem Worte die Wunde zu berühren, aber ob ich sie empfunden habe?! – Ein einziger Trost durchdrang das Herz des leichtsinnigen Mädchens. Er hat den Vater verloren, sagte sie, ich habe einen Vater, der auch ihm Vater sein wird. Er hat einen Verlust an seinen besten Lebensgütern gelitten und vielleicht, reuig mußt du es bekennen, trugst du zu der Schuld bei. Aber du wirst es vergüten; du wirst ihm Ersatz leisten; du wirst nie wieder die Schicksalsmächte versuchen; du wirst es ihm schwören, an seinem Herzen, zu seinen Füßen! Deine Liebe soll ihm vergelten, und in dieser heißen Liebe wird sich aller Schmerz und alle Furcht auflösen. – Ach! was sage ich da, rief sie mit lachendem Munde, während ihre Stimme leise bebte und über ihre Augen sich ein trüber Schleier ausspannte. Wie unweiblich, wie leichtsinnig, wie unmanierlich ist das! Doch es ist nun leider meine Art so. Oft habe ich mit ihm im Walde gesessen, die schönen sittsamen Damen aus der Stadt hätten es nimmermehr gethan – wir wanden Kränze, wir lachten und bauten uns unsre Welt. Oft habe ich die Sternenblumen gefragt: liebt er mich, oder nicht? aber ich wußte es, und mein Vertrauen war so groß, daß ich nie an einen Schiffbruch dachte. Nun liegen die Kränze zerrissen, die Blumen sind verblüht, und wenn sie wieder kommen, kann ich nicht mehr fragen. So geht es, meine lieben Herren, einem armen, leichtfertigen Mädchen, und nun, Herr Rudolph, reißen Sie mein Angedenken nur frisch aus, bis auf den letzten Hauch. Da sind meine Hände, die Ketten müssen fest sein, die ich nicht sprenge, und wo liegt das Gefängniß, in welches Sie mich führen? Wohin, Rudolph, wohin? Ist das mein letzter Zufluchtsort?!

Baben hatte ihre Hände ergriffen, die sie ihm entgegenstreckte. Sein stolzes Herz hatte einen Kampf bestanden, in welchem Scham, Reue, die letzten Stöße harter Entschlüsse mit Freude und Entzücken kämpften. Mit Augen voll Liebe und überströmender Leidenschaft zog er sie in seine Arme:

Theure, geliebte Anna, rief er, ach! Du weißt nicht, was ich gelitten habe; Du weißt nicht, wie furchtbar ich geprüft wurde. Mein Vater todt, ich von Zweifeln und Verdacht gepeinigt. Meine Nachforschungen steigerten meine Unruhe. Man hatte einen jungen Mann in Deiner Gesellschaft gesehen. Wer war er? Wohin war er gekommen? Hier entdeckte ich ihn, ich hatte nicht Ruhe, nicht Rast. Ich glaubte ihn in fortgesetzter Verbindung mit Euch, während er um die Hand eines Mädchens warb, die – ich auf's Höchste verehrte. Welche Kette von Leichtsinn, von Unwürdigkeit, von Freveln! Ich war zum Aeußersten entschlossen, ich wollte aufhören zu leben.

Und nun? sagte Anna, beide Hände auf seine Schultern legend und ihm zulächelnd: Was nun, Du ungestümer Mann?

Entscheiden Sie, Major, rief Baben, indem er seine Arme fest um Anna schlang; sagen Sie mir, was ich thun muß.

Abgemacht! erwiederte Onkel Tobias, gerührt und heftig mit seinem langen Kopfe nickend. – Ist die beste Genugthuung, die ein Mensch bekommen kann.

Nun, rief Baben, wenn Sie das sagen, mein strenger väterlicher Freund, dann ist der letzte Schatten verschwunden. – Versöhnung, Herr Wilberg, Versöhnung mit der ganzen Welt. Ich hoffe, daß wir die besten Freunde werden und einträchtig bei einander wohnen.

Halt da! rief der Major, habe von einem andern Unwetter vernommen. Liberale Gedanken – revolutionäre Geschichten – Spott über hohe Vorgesetzte! – Wollen den jungen Herrn fortschicken nach Litthauen oder dergleichen. Müssen sehen, wie wir den Sturm beschwören.

Er trat mit dem Fuße auf und sah den Assessor bedenklich an.

Aha! rief Rintel, bläst der Wind von der Seite, um so besser.

Er trat an den Tisch und führte Herrn Frese an der Hand, mit dem er eine Zeit lang leise gesprochen hatte. Der alte Herr sah verlegen aus, aber er lachte ohne das bösartige Grinsen, als Anna ihm entgegen rief:

Nun, mein freundlicher alter Herr und Beschützer, jetzt wissen Sie, wer die arge Wahrsagerin ist, die Ihnen so schlimme Streiche spielte.

Aber Du weißt nicht, wer er ist? sagte Rintel.

Ein Verwandter, fiel Herr Frese hastig ein.

Wollte einst Deine Mutter heirathen, sagte der Kapitain, war seine leibliche Cousine. Ich nahm sie ihm fort, und seit dieser Zeit haben wir uns nicht mehr gesehen. Ist ein langer Haß, eine lange Trennung gewesen.

Aber in Zukunft soll es anders sein, rief Anna. Ich weiß von der Geschichte meiner Mutter genug, um auch von Ihnen Manches zu wissen. Als ich Ihren Namen hörte und Sie sah, fiel mir Alles wieder ein, und mit gutem Grunde konnte ich Ihnen eine prophetische Strafpredigt halten. Aber heut feiern wir ein großes Versöhnungsfest, also Versöhnung auch zwischen uns. Wenn es Ihnen zu einsam wird, hier in der Stadt von Stein, wenn sie froh sein und Menschen sehen wollen, die es gut meinen, so kommen Sie zu uns hinaus. – Sie wissen, was ich Ihnen sagte.

Herr Frese blickte sie so gefühlvoll an, wie es selten geschehen war in seinem Leben. – Es ist merkwürdig! rief er, überaus merkwürdig, ich hätte es nimmer geglaubt, aber ich werde kommen! – Er hielt Anna's Hand fest und sah ihr in's Gesicht, mit einem Ausdruck voll Liebe, die aus alten Erinnerungen sich regte, dann ließ er sie los und faßte den jungen Wilberg.

Herr Doctor, sagte er mit seinem gewöhnlichen Grinsen, heirathen Sie jetzt in Gottes Namen, ich gebe meinen Segen dazu und die Wohnung obenein. Ich ziehe aus, sobald wie Sie es wünschen. Mit meiner Frau Nachbarin will ich es morgen abmachen. Ach! wie wird sie sich freuen, wenn sie hört, daß ich Sohn und Töchterchen gefunden habe, die mit mir weinen und lachen und mich trösten und pflegen wollen.

Und nun hört, rief Rintel, indem er seinen langen Arm um Anna und Baben legte. Mir ist in dieser Stadtluft ganz weh und übel geworden. Morgen in der Frühe geht es fort. Euch beide hier nehme ich mit mir. – Nach Litthauen sollen sie Dich so wenig schicken, wie ins Ministerium. Schüttle den alten Staub von Deinen Füßen, mein Sohn, und werde ein Müller, die Müllerin da ist Dein. Wer zu uns kommen will, der komme, er soll willkommen sein. Wir aber passen nicht in diese städtische Gesellschaft, in diese abgeriebenen, unerträglichen Formen, die man Anstand und Sitte nennt, und die Alles bedeuten; was aber dahinter sitzt, darnach fragt Niemand. Fort, hinaus mit Euch, wohin Ihr gehört: Fort mit Euch auf's Land!


In der Wohnung, welche Herr Frese sonst bewohnte, wurde drei Monate nach jenem Tage die glänzende Hochzeit des jungen Doctors mit Fräulein Stephanie gefeiert. Der alte Herr war jedoch kein Gast dabei, er war nach der Mühle an der Grenze gereist, und ist seitdem schon dreimal dort gewesen. Zum letzten Male hob er des Müllers Sohn aus der Taufe und sagte feierlich, als er den Knaben küßte:

Der soll mein Erbe sein! –

Der Kapitain lachte. Er fährt noch immer dann und wann mit seinem Kabriolet und der grauen Stute durch das Kreuzbruch nach Friedland. –



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