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Im Laufe einiger Wochen, welche diesem Tage folgten, ordneten und regelten sich die Begebnisse desselben. Die beiden Mütter der Verlobten thaten sich zusammen und besprachen, was geschehen sollte, um das junge Paar recht glücklich zu machen, das heißt, um dasselbe mit allen Herrlichkeiten zu versehen, die nöthig sind, um ein Haus zu machen, Gesellschaften zu geben, und einige Bewunderung nebst möglichst vielem Neid zu erregen. – Die Verwandten und Freunde kamen, es wurde viel gesprochen, viel guter Rath ertheilt, die Verlobung veröffentlicht, Karten umher gesandt, Besuche gemacht, und eine Reihe von Zerstreuungen folgten als nothwendige Beigabe des ersten Glücks der Gewißheit.
Wilberg hatte in der Nacht nach jenem Tage das Geschehene nochmals überlegt und sich endlich gesagt, daß er Alles, was geschehen, anerkennen und wie ein Mann handeln müsse. Das Uebereilte, das Zufällige war nicht seine Schuld, aber im Grunde genommen konnte er nicht böse darüber sein, wenn ein Dämon, oder ein Genius, ihm mit einem Zauberschlage über alle Klippen forthalf, die er langsam und ungewiß umschifft haben würde. –
Er war keiner von den heißblütig Liebenden, und wenn er sich aufrichtig fragte, ob er das für Stephanie fühle, was man in schwindelnder Jugendwonne Liebe nennt, diese wilde Gluth der Sinne, dies Aufgeben des eigenen Selbst an einer andern Natur, die jeden Gedanken beherrscht und jede Fiber, so mußte er sich ein Nein! antworten. Aber er hatte doch eine Neigung für seine Verlobte, die ihn zu ihr zog; er empfand tief, daß nicht Alles war, wie es sein sollte, er fühlte einen heftigen Schmerz bei dem Gedanken, daß Stephanie ihn nicht liebe, daß sie Zwang erleide, unglücklich sei, und eine begeisternde Macht füllte dann seine Seele, wenn er sich schwor, er wolle sie glücklich machen. –
Lange dachte er darüber nach, ob Stephanie einen Andern lieben könne, und er ging den ganzen Kreis der jungen Männer durch, welche im Hause des Directors erschienen. Wie oft er dies aber auch that, er fand keinen außer dem Einen, dessen Erinnerung er scheute, den ein Gefühl der innersten Abneigung ihn zu hassen und zu fürchten zwang, während ein anderes eben so starkes Gefühl damit kämpfte und ihn heimlich antrieb, seine Freundschaft zu wünschen. –
Er fragte seine Mutter über den Assessor von Baben aus, und diese erinnerte sich ihn nur selten im Hause gesehen zu haben. Als die kluge Frau den geheimen Grund seiner Fragen merkte, lachte sie und sagte tröstend: Ich habe an diesen kalten spröden Gast gar nicht gedacht, dem sein seeliger Herr Vater Zollinspector und dessen romantisches Ende erst einige Bedeutsamkeit verliehen haben. Im Uebrigen hast Du nichts zu besorgen. Der Herr Assessor mag so vortrefflich sein, wie er will, er ist eben nur der Herr Assessor, und davon läßt sich mit Mühe leben.
Durch diese Antwort wurden die Bedenken des Bräutigams zwar nicht gehoben, aber sie wurden zurückgedrängt, um so mehr, da nicht das geringste Anzeichen vorhanden war, daß Stephanie wirklich eine andre Neigung haben sollte. Sie hatte ihren Verlobten freundlich empfangen, hatte seine Betheuerungen, daß des Himmels Beschlüsse es so gewollt hätten, mit einem leisen Lächeln aufgenommen, und die feurigen Worte über ihre glückliche Zukunft mit ergebenen Mienen gehört und mit Fassung erwiedert. – Die unvermeidliche Gewißheit schien sie bald zu beruhigen, und die Aufmerksamkeit des jungen Wilberg sie zu trösten; bald wieder war sie kalt und theilnahmlos, daß Gustav verzweifelte. – Der Assessor ließ sich nicht blicken.
So gingen die Tage hin, zwischen aufdämmernden und wieder verlorenen Hoffnungen, unerträglichen Stunden, in welchen Gustav fast zu dem Entschlusse getrieben wurde, was auch geschehen möge, sich aus dieser Pein zu retten, und anderen, wo er neues Vertrauen faßte und eine Verständigung sich anzubahnen schien. Endlich kam es an eben der Stelle im Garten, wo die überraschende Erklärung erfolgt war, zu einer weitern Auseinandersetzung. –
Wenn ich Alles recht bedenke, liebe Stephanie, sagte er, so bin ich froh, daß die Mutter, wie der Cherub, mit dem feurigen Schwerte uns zusammentrieb.
Ein Cherub trieb die beiden Sündigen aus dem Paradiese, erwiederte sie.
Wir aber erwarten, daß er uns hineinführe, rief er lachend. Glauben Sie mir, Stephanie, ich habe den Muth und den festen Willen, uns glücklich zu machen, auch wenn ich weiß – er sah sie freundlich, aber so starr an, daß sie dunkel erröthete.
Nun, was wissen Sie? sagte sie leise.
Daß Sie mich nicht lieben, erwiederte er. – Ist es nicht so? Sagen Sie aufrichtig, daß ich Recht habe.
Für uns, für Verlobte, ist das eine seltsame Frage, erwiederte sie ausweichend.
Aber eine natürliche, wenn wir die Verhältnisse bedenken, fiel Wilberg ein.
Lieben Sie mich denn so sehr? fragte das Fräulein plötzlich, und in ihrem Gesicht zuckte es spöttisch.
Wenn die herzliche Neigung, welche mich zu Ihnen zieht, und der heiße Wunsch, Ihr Leben froh und heiter zu gestalten, Liebe ist, dann darf ich ja sagen, Stephanie.
Und keine Andre hätte das je so vermocht, fuhr sie fort, kein Bild einer Glücklichern ist in Ihrem Herzen?
Gustav sah sie fragend an. In diesem Augenblick schwebte, wie ein Schatten, eine lächelnde, drohende Gestalt an ihm vorüber, aber es war ein Schatten, der sogleich verschwand. –
Nein, sagte er, kein ander Bild lebt in meinem Herzen, und das, Stephanie, hoffe ich auch von Ihnen. – Wenn Sie meine Hand nehmen, zwar ohne heiße Liebe, aber mit der herzlichen Neigung, die von der Zukunft Glück hoffen darf, so bin ich befriedigt, denn mir bleibt die frohe Hoffnung, Sie ganz zu gewinnen; nur wenn ein anderes Bild Sie begleitete, während ich vergebens um Liebe werbe, wäre es ein Unglück, Stephanie, ein Bruch des Lebens, der nicht leicht geheilt werden kann.
Er sagte diese Worte mit Offenheit und der ganzen Kälte seines Wesens, aber nicht ohne schmerzlichen Ausdruck. Sein Auge hing an ihren Augen fest, als wollte er bis in ihre Seele sehen, und Stephanie erröthete tief und ging schweigend weiter.
Sagen Sie mir das Eine, fragte Wilberg nach einer Pause, sagen Sie mir, ob ich keine Abneigung bei Ihnen finde.
Lieber Gustav, erwiederte die Braut, nach einem Bedenken, Sie haben mir gesagt, daß das Schicksal unsere Verbindung eben so gut gewollt hat, wie unsre Mütter, und ich erkenne Beides an. Gott im Himmel hat es so gefügt, daß wir verlobt wurden, ehe wir uns recht verständigen konnten, und so geht es vielen auf Erden. Unsre Eltern haben unsern Bund gesegnet, die Welt weiß es, an uns ist es nun, nachzuholen, was wir versäumt haben. Ich will Alles thun, was ich kann, um Sie zu beglücken, treu Ihnen anhängen, Sie ehren und achten!
Und lieben, Stephanie, sagte er leise; es zuckte in seiner Brust das Herz zusammen.
Ich werde Sie lieben lernen, o gewiß! ich werde – fuhr sie fort, nur jetzt – es ist so schnell, so überwältigend über mich gekommen; aber glauben Sie mir, ich kann nicht anders. Meine Empfindungen bedürfen Zeit, meine Natur will einen langsamen Weg.
Wilberg betrachtete sie mit erhöhter Theilnahme. Die Röthe ihrer Wangen war erblichen, das schöne feine Gesicht lächelte schmerzlich, und dieser zarte Körper war freilich nicht für das Extragen heftiger Lebensstürme gemacht. –
Ich verstehe Sie, Stephanie, sagte er. Es gibt Menschen, deren Empfindungen wie Champagner schäumen müssen und welche die Liebe wie ein seeliger Rausch überkömmt. Aber meine Mutter hat Recht, diese Liebe ist Leidenschaft, und Leidenschaften bestehen die Probe selten. – In ruhigeren Charaktern entwickelt sich die Liebe langsam, sie wird von Freundschaft getragen, von Achtung genährt, und ist eine reine Flamme, die mit der Zeit immer heller brennt. – Wollen Sie diese Liebe begründen helfen? Sie sollen es nicht beklagen, Stephanie.
Ich will, gewiß, ich will! sagte sie den Blick aufhebend und ihn fest anschauend. –
Er sah schön und stolz aus, sein Auge flammte, Schmerz und energischer Wille stritten sich darin.
So bin ich zufrieden, liebes, theures Mädchen, rief er lebhaft. Auch ich gehöre zu den langsamen Naturen, die überlegen und zaudern. Mögen wir beide denn froh in die Zukunft blicken. Viele sind glücklich geworden, die mit stillem Herzen ein Band knüpften, das, wie meine Mutter sagt, blaßroth vor der Hochzeit schien, aber purpurn sich färbte in der Ehe.
Dies Gespräch hatte die gute Wirkung, daß die beiden Verlobten zu einem größern Vertrauen gelangten, und ruhiger, zwangloser sich nebeneinander bewegten. Stephanie war heiter, dann und wann ruhten ihre Blicke betrachtend auf ihrem Verlobten; und als am Abend die Mutter es scherzend vermittelte, daß das vertrauliche Du zwischen ihnen eingeführt werde, stimmte die Braut lachend ein, und behauptete, daß es ihr gar nicht schwer werde, das inniger verbindende Wort auszusprechen, welches zwischen Jugendfreunden nie hätte aufgehoben werden sollen.
Als Wilberg nach Haus ging, war er lebhaft aufgeregt von den Vorgängen dieses Tages, und den wechselnden Empfindungen hingegeben. Er fühlte neben der größern Sicherheit einen Zug der Unruhe und des Unmuths in seiner Brust, der Falten auf seine Stirn legte. –
Sie liebt mich nicht, aber sie will mich lieben! murmelte er vor sich hin, seltsames Geständniß einer Braut. Und habe ich ihr nicht eigentlich dasselbe gesagt? – Lieben Sie mich denn so sehr?! – Sagte sie nicht so? und – was sollte ich antworten! Sollte ich Liebesschwüre schwören, nach heißen Liebesworten suchen? Ach! wenn man Schwüre suchen muß, wenn man, den Arm um eines Mädchens Leib geschlungen, nach Worten suchen muß, um ihr zu schwören, daß man sie liebt – wenn man, allein mit seiner Braut, nicht weiß, wovon man mit ihr reden soll – er seufzte tief auf. – Fort mit allen Gespenstern! rief er endlich halblaut, es ist so, es kann nicht anders sein. Ich will die Liebe beschwören, sie wird kommen. Wir werden uns achten, beide achten, und diese Liebe hat ja meine Mutter beglückt, mein Vater ist heiß beweint in ihren Armen gestorben, was kann ich mehr verlangen!
In diesem Augenblicke streifte eine kleine, dunkle Gestalt dicht an ihm hin. In einen Mantelkragen gehüllt und einen Hut mit großen Krämpen tief in die Augen gedrückt, sah Wilberg nichts als einen Arm, der sich plötzlich nach ihm ausstreckte und ein Papier ihm entgegen hielt. – Er fuhr aus seinem Nachsinnen auf und blieb stehen.
Was soll das? fragte er.
Nehmen Sie, sagte eine gedämpfte Stimme.
Ein Brief an mich?
Ja. –
Kennen Sie mich?
Ja. –
Er nahm das Papier, das aus einem zusammen gefalteten kleinen Zettel bestand. – Der Unbekannte entfernte sich.
Warten Sie, rief Gustav, der von seiner Ueberraschung sich erholte, wer sind Sie?
Er erhielt keine Antwort. –
Hören Sie doch einen Augenblick, fuhr er fort und verdoppelte seine Schritte.
Lesen Sie den Inhalt dieses Papiers an der nächsten Laterne, rief der Unbekannte zurück.
Was kann es sein? sagte der junge Mann, indem er stehen blieb. – Man will mich nicht kennen und kennt mich.
Langsam trat er unter die nächste Laterne und öffnete den Zettel.
»Sie sind in Gefahr, hüten Sie sich!«
stand mit großen deutschen Worten darin.
Von wem? rief er laut, indem er bestürzt umher schaute.
Von mir nicht! antwortete eine Stimme hinter ihm her, und mit Unmuth sah er in die großen boshaften Augen des alten Frese, der zwei Schritte von ihm auf dem Trottoir stand und ihn lauernd betrachtete.
Guten Abend, lieber Herr Nachbar, fuhr er in seiner spottsüchtigen Art fort, dachte doch gleich, daß Sie es waren, der vor mir hinflog, um Liebesbriefchen beim Lampenscheine zu lesen. – Von mir ist er aber wirklich nicht, fuhr er lachend fort, auf Ehre und Seeligkeit! darüber können Sie sich beruhigen; aber ich finde es ganz allerliebst, daß ein Bräutigam, der in Himmelswonnen schwelgt, zärtliche Billets auf der Straße empfängt. Bravo, Herr Doctor, Bravo!
Sie täuschen sich gänzlich, sagte Wilberg, den Zettel einsteckend.
Ach! was Sie sagen! rief der alte Herr, ich habe es ja gesehen. Der kleine schwarze Kobold schnurrte an mir vorüber, wie der Wind, aber doch sah ich das Gesichtchen. Es ist ein allerliebstes Ding. Milch und Blut, Augen wie Kohlen und ein Mündchen, mit einem Pfennig zuzudrücken.
Sie scheinen in guter Gesellschaft gewesen zu sein, erwiederte der junge Mann höhnisch lachend.
In guter Gesellschaft? schrie Herr Frese, und stieß mit seinem Bambus auf das Pflaster. Ja, ich muß Ihnen bekennen, aus lauter Freude über Sie und Ihr Glück, bin ich heut in Gesellschaft gegangen, im Casino, und bin spät sitzen geblieben, was sonst nicht meine Sache ist.
Ich weiß nicht, wie ich Ihnen so viel Freundschaft belohnen soll, sagte Gustav noch mehr lachend.
Das überlassen Sie Ihrer Frau Mutter, liebes Kind, rief Herr Frese mit dem süßen Grinsen, das jedes Mal sein Gesicht erfüllte, wenn er recht boshaft war, die wird gewiß dafür sorgen, irgend eine zarte Belohnung für meine treue Anhänglichkeit zu ersinnen. Aber, was sage ich denn, fuhr er fort, sie hat schon eine solche für mich eigentlich in Bereitschaft, denn wie Sie so eben ein unerwartetes Billet empfingen, so erhielt ich vor einigen Stunden ein solches von der Frau Geheimräthin; voll Freundschaft, voll Dank, voll schöner Hoffnungen für die Zukunft.
Für die Zukunft, sagen Sie?
Gewiß, versicherte der alte Herr, und darum wurde ich eben so vergnügt. Meine liebe Nachbarin betheuerte mir, daß es ihr den tiefsten Schmerz mache, wenn sie daran denke, daß ich sie verlassen könnte; wenn sie nicht mehr meinen Schritt, meine freundliche Stimme in ihrem Hause hören solle, und ich bin darüber so gerührt worden, daß ich den festen Entschluß gefaßt habe, ihr diesen Kummer nie zu bereiten.
Das heißt mit dürren Worten, Herr Frese, sagte Wilberg, meine Mutter hat Sie, wie ich weiß, heut gebeten, der Umstände wegen Ihre bisherige Wohnung aufzugeben, und Sie wollen nicht.
Sie haben ganz Recht, ich will nicht, erwiederte der alte Herr gelassen.
Das sollte mir leid thun. Sie kennen meiner Mutter Wünsche und wie gern wir für eine andere bequeme, schöne Wohnung sorgen würden.
Lieber Freund, rief Herr Frese, ich habe Alles überlegt. Erstens kann ich meine gute Nachbarin nicht so unglücklich machen, mich nicht mehr zu sehen; zweitens thue ich es nicht, weil ich eben so unglücklich sein würde; drittens aber liegt mir Ihr Glück am Herzen, denn eine Schwiegermutter im Hause hat noch nie einer Ehe Segen gebracht.
Lassen Sie das unsere Sorge sein, sagte Gustav.
Nein, nein! rief der alte Herr eifrig, ich schwöre es Ihnen, nicht um alle Schätze Indiens, nicht um die Liebe Ihrer schönen Braut, nicht um alle Liebesbillete, die Sie nebenbei erhalten, setze ich einen Fuß aus dem Hause. – Wohnen Sie, wo es Ihnen beliebt, lieben Sie, so viel Ihnen gefällt, heirathen Sie meinetwegen wie ein Sultan einen ganzen Harem zusammen, ich bleibe bei meiner trauernden Freundin. Aber sehen Sie dort drüben, dort an der Ecke schleicht wahrhaftig der kleine Briefträger mit den feurigen Augen.
Wo? rief der junge Mann hastig.
Er steht hinter der Vortreppe, dort im Dunkeln.
Rasch lief Wilberg über die Straße hin nach dem bezeichneten Ort, während dessen aber schloß Herr Frese die Thür auf, denn er befand sich dicht vor seiner Wohnung, trat hinein und schlug sie lachend ins Schloß.
Wohl bekomm's, Hans Narr, sagte er, jetzt bezahle ich dir das Gelächter. Suche die Ecken und Kellerwinkel ein halbes Stündchen durch, und klingle dann ein anderes halbes Stündchen, bis dir aufgemacht wird. Was ist es doch für eine schändliche Welt und wie sind die Menschen darin beschaffen!
Am nächsten Tage hatte Herr Frese ein langes Gespräch mit der Geheimräthin, der er mit der größten Freundlichkeit erklärte, daß er es nicht über sein Herz bringen könnte, aus ihrer Nähe zu weichen. Er war dabei die Sanftmuth und Liebenswürdigkeit selbst, und ergoß sich in Betheuerungen dankbarer Freundschaft und Anhänglichkeit, die bald Wahrheit zu sein schienen, bald wieder von seinen boshaften Nebenbemerkungen Lügen gestraft wurden. Die kluge Frau mochte es jedoch anstellen wie sie wollte, sie mochte bitten, Versprechungen und Vorwürfe machen, der alte Herr blieb dabei, er werde nicht wanken und weichen, sondern seinen Contract erfüllen.
Aber, wenn Sie meine Wünsche und Bitten nicht berücksichtigen wollen, sagte die Geheimräthin endlich empört, so sieht es mit unsrer Freundschaft überhaupt mißlich aus, denn trotz aller Ihrer Betheuerungen sehe ich deutlich, wie wenig Sie diese und mich schätzen.
Sie verkennen mich, liebste Nachbarin, erwiederte der alte Herr feierlich; was ich thue, geschieht aus wahrer Liebe zu Ihnen. – Ist es denn etwa ein Glück, eine Schwiegertochter im Hause zu haben?
Eine so sanfte, liebenswürdige Schwiegertochter, ein junges Paar, das sich so innig liebt, stets um sich zu haben, ist ein Glück, Herr Frese.
Innig liebt? sagte Herr Frese boshaft. Wissen Sie es gewiß?
Die Geheimräthin erröthete.
Wie könnte es anders sein, sagte sie.
Es ist aber anders! rief der alte Herr.
Ich verstehe Sie nicht, erwiederte die Dame. Was wissen Sie denn wieder Böses von dieser Liebe?
Herr Frese legte den Finger an seine Nase und sagte bittend:
Liebste Frau Nachbarin, nur nicht hitzig. Hören Sie mich an.
Hierauf erzählte er, was er gestern Abend gesehen und gehört und fuhr im Tone der Betrübniß fort:
Ein Bräutigam, der solche Briefchen erhält, der dann vor meinen Augen dem Boten nachläuft, welcher, ich schwöre es Ihnen, nichts anders war als ein verkapptes Mädchen – denn ich habe es gesehen mit diesen meinen Augen – kann doch unmöglich seine Braut lieben! – Wenn aber dergleichen vor der Hochzeit geschieht, was soll es nachher werden? Wollen Sie täglicher Zeuge einer unglücklichen Ehe sein? Wollen Sie erleben, daß solche zärtliche Bestellungen ins Haus gebracht werden?
Wenn ich nicht wüßte, sagte die Geheimräthin, daß Sie häufig Gefallen daran finden, zu spotten und zu erfinden, so könnten Sie mich erschrecken.
Ich erfinde nichts, erwiederte der alte Herr. Geben Sie Acht, was geschieht. Es soll mich gar nicht wundern, wenn ein unbekannter Freund die hintergangene Braut davon benachrichtigt.
Die Geheimräthin erblaßte.
Herr Frese, sagte sie, ums Himmels Willen! ich beschwöre Sie, begehen Sie keine Handlung, die uns Alle in großen Kummer bringen kann.
Ich gewiß nicht, schrie der alte Herr boshaft lachend, ich werde es nicht thun, aber wer weiß, wer dahinter steckt. Ich habe die kleine Hexe gesehen, sie ist hübsch wie ein Engel, zehntausendmal schöner als das lange blasse Fräulein Braut, und nun machte er eine wunderbare Beschreibung von dem, was er gesehen und erfahren, bis die Geheimräthin in höchste Angst versetzt war und Alles glaubte. –
Er hat, so lange er hier ist, eine geheime Bekanntschaft, sagte der alte Herr, vielleicht hat er das leichtfertige Mädchen sogar mitgebracht, und Sie mögen sagen was Sie wollen, sie ist selbst schon hier im Hause gewesen.
Wenn Sie Recht hätten, erwiederte die geängstigte Frau, es wäre entsetzlich!
Ich habe Recht, sagte Herr Frese mit Bestimmtheit, und werde Sie davon überzeugen. Lassen Sie ihn wohnen, wo er Lust hat, ich bleibe hier, und nur in dem Fall werde ich ihm Platz machen, wenn er sich dieses Opfers würdig zeigt und ich sein Benehmen und seine Heirath billigen kann.
Es kam Besuch und der alte Herr empfahl sich höchst vergnügt über sein Werk.
Wenn ich billigen kann, daß er heirathet! lachte er, als er auf der Treppe war. Das war vortrefflich gesagt. Da kann er lange warten.
Plötzlich hörte er oben im Corridor die Glasthür zumachen und leise Schritte, welche sich der Treppe näherten. Er stand still und horchte, allein er hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, als eine dicht verschleierte Dame rasch an ihm vorüber schlüpfte, die einen flüchtigen Blick auf ihn warf und wie ein Schatten, leicht und geräuschlos, die Stufen hinter sich ließ.
Ehe der alte Herr sich besinnen konnte, war sie fort, und als er endlich die laute Frage that: was sie hier wünsche und wolle? hörte er die Hausthür, welche sonst immer verschlossen war, mit Behendigkeit öffnen und wieder schließen. –
Herr Frese eilte, so rasch er konnte, hinterher, aber er sah nichts auf der Straße, was ihm sehr ärgerlich war. Er hatte vorher gelogen, als er der Geheimräthin allerlei Geschichten erzählte, jetzt glaubte er selbst daran. Mit eigenen Augen hatte er ja eine Dame aus dem Corridor kommen sehen, und dort lagen die Zimmer des leichtsinnigen Bräutigams. –
Er beschloß, diesen ins Gebet zu nehmen, und schlich auf den Zehen bis an seine Thür. Er horchte, es rührte sich nichts. Lange hielt er das Ohr an der Fuge, aufs Schärfste lauschend, aber es blieb Alles ruhig. Endlich klopfte er leise und dann stärker, allein er erhielt keine Antwort.
Er ist dennoch zu Hause! sagte er mit der Hartnäckigkeit des Unglaubens und rüttelte an dem Drücker; es ist von Innen verriegelt.
Mit leisem Stöhnen bückte er sich nach dem Schlüsselloche und machte mit dessen Hülfe eine lange Beobachtungsreise durch das Zimmer; plötzlich aber fuhr er zurück, denn hinter ihm knarrte es, und sprachlos vor Schreck drängte er sich an die Wand, als er einen entsetzlichen Kopf erblickte, der sich durch den Spalt der halbgeöffneten Thür steckte. –
Ein Hut mit ungeheuren Krämpen, wildes langes Haar, das darunter hervorfiel, ein Gesicht mit groben verwegenen Zügen und gierigen lauernden Augen, war das Erste, was Herr Frese entdeckte. Er streckte die Arme aus, wie Einer, der im Traume ein Gespenst von sich abwehren will, und kein Wort zu sprechen vermag, bis er endlich, als die ganze schreckliche Gestalt hereintrat und sich ihm näherte, in Verzweiflung die Hand in die Tasche steckte und nach Geld suchte.
Hier, hier! sagte er, als der Mann den Hut abzog, es ist gut, geht fort, macht fort!
Was meinen Sie damit, Herr? fragte der Fremde mit rauher Stimme.
Ich? rief Herr Frese zitternd, ich meine gar nichts; aber was wollen Sie?
Ich wollte fragen, ob hier der Doctor Wilberg wohnt?
Ja, der wohnt hier, sagte der alte Herr aufathmend. Das wolltet Ihr also – oder Sie, das wollten Sie, guter Freund, verbesserte er sich, als er den Blick des Fremden fest und unheimlich auf sich gerichtet sah. Ich bin ein alter Mann, der hier im Hause wohnt, ein Freund des Doctors, der nicht zu Hause ist; allein ich will bestellen, was Sie mir auftragen wollen.
Ich will ihn selbst sprechen, versetzte der Fremde. Wann ist er zu Haus?
Kann es nicht sagen, erwiederte Herr Frese, bald des Morgens, bald des Nachmittags, bald gar nicht. Aber, wie gesagt, wenn ich dienen kann, wenn Sie mir Ihr Anliegen oder Ihren Namen sagen wollen. –
Der Fremde schien sich zu besinnen.
Hier, sagte Herr Frese, nehmen Sie das, es ist kalt, trinken Sie auf meine Gesundheit. –
Er hielt ihm das Geld hin, das er in der Hand hatte.
Der verdächtige Mensch ließ es in seinen Hut fallen und steckte es dann langsam ein.
Danke, Herr! sagte er und sah sich forschend nach allen Seiten um.
Nun? fragte der alte Herr neugierig und besorgt.
Ich will Ihnen etwas sagen, fuhr der Mann fort.
Was denn? Lieber Freund, ich werde es mir merken.
Ich werde wiederkommen. Guten Morgen!
Er drehte sich um und ging hinaus, indem er dem alten Herrn zwei Reihen furchtbar großer, blendend weißer Zähne zeigte. Herr Frese wagte ihn nicht aufzuhalten oder ihm zu folgen.
Infamer Spitzbube! rief er halblaut, als er nichts mehr hörte. – Der Kerl sieht aus wie ein Mörder, der vom Galgen kommt! Was geht hier vor? Was für Gesindel schleicht hier im Hause umher, in einem Hause, das zu den stillsten in der ganzen Stadt gehört? Erst eine verschleierte Dame, dann dieser Räuber, und Alle suchen den saubern Patron, den Bräutigam, wie einen vertrauten Freund. – Das halt ich nicht aus, ich ziehe aus! rief er zornig. – Nein, das lasse ich bleiben, fuhr er bedächtig fort, ich werde hinter alle diese Geheimnisse kommen und dem Heuchler da drinnen, er drohte gegen die Thür, die Luft dazu vertreiben.
Während Herr Frese alle diese Abentheuer bestand, war Wilberg keineswegs in der Nähe, sondern früh schon ausgegangen, um einige Einkäufe zu machen und Geschäfte abzuthun. Im Hause des Directors gab es heut eine Mittagsgesellschaft, zu der er geladen war, vorher sollte er einem Maler sitzen, weil Stephaniens Mutter darauf drang, da es in ihrer Familie stets Sitte gewesen, daß die Brautpaare gemalt wurden.
Onkel Tobias hatte dazu ein sonderbares Gesicht gemacht, den Kopf in den Nacken geworfen, den Bräutigam von der Seite angesehen und war quer durch das Zimmer marschirt, bis er vor seiner Schwägerin still stand und mit tiefer Stimme sagte:
Habe auch etwas für den Maler zu thun; soll an unserm Stammbaum eine Arbeit verrichten, die selten vorgekommen ist.
Wilberg wußte, was diese Worte zu bedeuten hatten, und er erröthete über diese Anmaßung. Ein paar Cousinen aus der Familie, die mit Stephanie im Zimmer waren, lachten und sahen die Braut mitleidig spöttisch an, die einen langen ernsten Blick auf ihren Verlobten warf.
Sie haben gewiß einen sehr alten Stammbaum? fragte dieser.
Dreizehntes Jahrhundert! erwiederte der Major mit Würde.
Merkwürdig! fuhr Gustav lachend fort, die meisten Menschen wissen kaum, wer ihre Väter oder Großväter gewesen sind. Ich bin darin weit glücklicher, mein Großvater war ein Leineweber und mein Urgroßvater ein Dorfschmied. Würdige Leute, Herr von Grießfeld, grundehrliche Leute, die nie ihres Nächsten Haus, Hof, Vieh, Magd oder Knecht begehrten; deren Ahnen aber jedenfalls auch im dreizehnten, ja selbst im ersten Jahrhundert der Menschenerschaffung gelebt haben, weil es sonst unmöglich wäre, daß sie selbst existiren konnten.
Meinen Sie? fragte der alte Herr, dicht an ihn hintretend.
Ich bin davon überzeugt, sagte Wilberg.
Die ganze Gesellschaft lachte und die Directorin reichte ihrem künftigen Schwiegersohne die Hand und sagte: Keinen Streit um die Ahnen, mag jeder die seinigen behalten, sie werden sich schon vertragen.
Stephanie sah mit einer gewissen dankbaren Freundlichkeit Gustav an.
Das war wie ein Mann gesprochen, sagte sie ihm ins Ohr, indem sie stolz die Cousinen betrachtete.
Onkel Tobias aber kehrte sich verdrießlich um und verließ das Zimmer, und seit diesem Augenblicke schien sein Widerwillen gegen den Bräutigam so gewachsen zu sein, daß er ihn keines Wortes mehr würdigte.
Heut nun, als Gustav über die Promenade ging, wo der Maler wohnte, sah er plötzlich nicht weit vor sich den Major mit einem andern Herrn im vertrauten Gespräch. Der alte Herr hing sich an den Arm seines Begleiters, und dieser rechnete mit Lebendigkeit an den Fingern, die er zuweilen erhob, vermuthlich die Gründe für seine Ansichten her, welche der Major zu bestreiten schien.
Zögernd blieb Gustav stehen, um ein Begegnen zu vermeiden. Nach einiger Zeit sah sich der Begleiter des alten Herrn um, es war der Assessor von Baben, und heftiger schlug sein Herz, denn der geheimnißvolle Zettel fiel ihm ein. Von wem konnte ihm Gefahr drohen als von diesen Gegnern? Ihr langes eifriges Gespräch kam ihm wie eine Verschwörung vor, die gegen ihn gerichtet sei; eine Menge dunkler Ahnungen und Vorstellungen stiegen in ihm auf, während er langsam folgte und überlegte, ob er ein Zusammentreffen suchen, oder es umgehen solle. –
Endlich sah er die beiden Herren sich trennen, der Assessor kehrte zurück, er blickte nachsinnend vor sich nieder; sein Gesicht war noch blasser wie sonst, der Zug eines tiefen Kummers lag darin. – Plötzlich hob er die Augen auf und erkannte den Nahenden, der ihm fast zur Seite war. Eine schnelle Röthe trat auf seine Stirne, und als sei es ein jäher Entschluß, so wendete er sich mit einigen raschen Schritten zu Gustav hin, als dieser grüßend vorüber gehen wollte.
Der Zufall führt uns zusammen, Herr Doctor Wilberg, sagte er, und erlaubt mir, Sie um eine Gefälligkeit zu bitten. – Ich habe hier einen Brief an Fräulein Stephanie, fuhr er fort, als Gustav sich schweigend verbeugte; der Brief ist von meiner Hand geschrieben, wollen Sie ihn dem Fräulein zustellen?
Sehr gern, erwiederte der Bräutigam lächelnd, ich will die Bestellung übernehmen.
Es mag Ihnen auffallen, sagte Baben, daß ich dem Fräulein Briefe schreibe.
Briefe? fiel Gustav ein, ich sehe nur einen.
Ich habe zwei oder drei geschrieben, wie ich aufrichtig bekennen muß.
Ohne Zweifel hatten Sie triftige Gründe zu dieser Correspondenz.
Die Gründe eines Freundes, sagte Herr von Baben im ruhigsten Tone, der den innigsten Antheil an dem Geschick eines edlen, liebenswürdigen Mädchens nimmt, das er wahrhaft verehrt!
Ein rascher Blick der Befremdung, in welchem sich eine eifersüchtige Regung zeigte, fiel auf den Sprecher, der mit derselben kalten Sicherheit fortfuhr: Sie müssen wissen, Herr Doctor Wilberg, daß ich seit Jahr und Tag in das Haus des Director Grießfeld kam und Gelegenheit hatte, die schönen Eigenschaften des Herzens und des Geistes kennen zu lernen, die Fräulein Stephanie zieren.
Ich habe davon gehört, erwiederte Gustav, obwohl ich nicht wußte, daß Sie zu den nähern Freunden der Familie gehörten.
Dessen rühme ich mich auch nicht, allein auch ohne diese Bevorzugung war es natürlich, daß ich einer jungen schönen Dame meine Huldigungen darbrachte. – Ich hoffe, Sie mißdeuten diese Worte nicht, Herr Wilberg, die mit aller Ehrfurcht gesagt sind. Ich näherte mich dem Fräulein mit der Ergebenheit eines Freundes, wir sprachen viel und gern zusammen, ich lernte sie hochschätzen und hoffe, diese Empfindungen unter allen Verhältnissen des Lebens, bis zu meinem Ende zu bewahren.
Wilberg hatte aufmerksam zugehört; die Wahrheit und Offenheit, welche in Ton und Wort lagen, verfehlten ihren Eindruck nicht.
Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilung, Herr von Baben, sagte er. Es freut mich zu wissen, daß Stephanie einen so ergebenen Freund besitzt, der mich zum Zeugen dieser Freundschaft aufruft und mir dadurch Hoffnung macht, wenigstens einen Theil davon auch auf mich zu übertragen.
Die Röthe auf der Stirn des Assessors kehrte zurück, er schwieg, und erst nach einer kleinen Pause, während Gustav den Brief in sein Taschenbuch legte, fuhr er fort:
Die Zeilen, welche dies Papier enthält, sind gewissermaßen ein Testament – Sie drücken meine Glückwünsche und meine Hoffnungen für Fräulein Stephaniens Zukunft aus. Was ich Ihnen über meine innige Ergebenheit sagte, ist darin niedergelegt. Das Papier ist nicht versiegelt, ich habe nichts dagegen, wenn Sie den Inhalt lesen wollen.
Er ist für Stephanie bestimmt, und so gut wie versiegelt, erwiederte Wilberg.
Baben verbeugte sich leicht, er schien noch etwas sagen zu wollen, was er mühsam unterdrückte. – Die beiden jungen Männer gingen eine Zeit lang neben einander, als hinderte sie ein unsichtbares Etwas, sich zu trennen, obwohl sie gern geschieden wären. –
Endlich ergriff Wilberg das Wort und erzählte, um etwas zu sagen, von den verschiedenen Einrichtungen und Voranstalten zu seiner bevorstehenden Vermählung, und wie mancherlei Umstände, die er gar nicht geahnt habe, ein neu zu beschaffendes Hauswesen mache.
Wann haben Sie Ihre Verbindung festgestellt? fragte Baben.
In drei Monaten werde ich jedenfalls verheirathet sein, erwiederte Gustav.
Werden Sie? sagte der Assessor mit besonderem Nachdruck.
Zweifeln Sie an der Richtigkeit meiner Vorausbestimmung? rief Wilberg lächelnd.
Ich wünsche nur, daß Sie Recht haben mögen, erwiederte Baben. Sollte es der Fall sein, so wird Niemand sich Ihres Glückes mehr freuen, als ich.
Mit diesen Worten verließ er ihn, und Wilberg überlegte mißtrauisch deren Inhalt. –
Ich weiß nicht, was ich besorge, rief er endlich. Es ist mir unheimlich, neben diesem Menschen, dem ich den zufälligen Antheil an jenem verwünschten Abentheuer verbergen muß, das mich quält, und das ich nicht los werden kann; allein er ahnt nichts davon, und ich denke, die Zeit wird kommen, wo ich es offen gestehen darf. – Eines aber habe ich gewonnen, fuhr er dann lebhafter fort: Die Ueberzeugung, daß ich keinen Nebenbuhler habe! – Wo liegt denn nun die Gefahr für mich? Welcher Narr hat sich den schlechten Spaß gemacht, mir eine Warnung in die Hand zu stecken? –
Er legte die Hand auf das Taschenbuch, in welchem der Brief steckte, und murmelte leise:
Es ist sein Testament, was heißt das? Es heißt, ich nehme Abschied von Dir, auf immer! – Gut, ich werde sehen, was die Erbin dazu sagt. –
Eine Stunde später trat er in das Arbeitskabinet der Damen, und wie er hoffte, fand er Stephanie allein. Sie war zur Gesellschaft gekleidet, Blumen im Haar, einen prächtigen Goldschmuck, sein Geschenk, um Nacken und Arm. Er fand sie schöner als je, und betrachtete sie mit Blicken, in denen dies Geständniß lag. In ihrem Erröthen drückte sich dafür eine Antwort aus, die nichts Zurückweisendes hatte. Es war ein frohes Lächeln in ihrem Gesicht, das zu dem bessern Verständniß paßte, welches seit einiger Zeit im Umgange zwischen den Verlobten sichtbar wurde. –
Stephanie war nicht mehr verlegen, was sie sagen, und wohin sie blicken sollte, wenn sie mit Gustav allein war, die spröde Schüchternheit begann einem Vertrauen zu weichen, das eben sowohl aus dem Gefühl der Unterwerfung, wie aus einer leise erwachenden Neigung entsprungen sein konnte. –
Gustav hatte Alles gethan, um sich freundlich und gefällig zu erweisen, doch immer war eine gewisse Schranke stehen geblieben, die ihn heimlich verletzte und seinen Stolz zuweilen aufrief. –
In diesem Gefühle wies er alle Anmaßungen des Onkel Tobias mit derbem Spott zurück. Er hatte sich gelobt, in keinem Falle je dankbar dafür zu sein, daß das Fräulein von Grießfeld ihm ihre Hand reiche, und seine unmuthige Aufregung hatte ihn einst zu Aeußerungen verleitet, die ziemlich unverhüllt ausdrückten, was er dachte.
Bei Stephanie war jedoch der Erfolg ein ganz anderer gewesen, als er voraussetzte. Sie blickte ihn mit solcher Freundlichkeit an, wie es noch nie geschehen war, und sagte dann mit vollbetonter Stimme:
Ich würde den Mann nicht achten können, der sich selbst nicht höher schätzte, als alle die Nichtigkeiten gesellschaftlicher Einrichtungen oder verbrauchter Vorurtheile.
Und was achtest Du denn zumeist an dem Manne, den Du liebst? fragte er leise.
Den männlichen Muth, der sich und die ihm angehören, keine Demüthigungen gefallen läßt, erwiederte sie.
Jetzt, als er Stephanie lächelnd und geschmückt ihn erwartend erblickte, fielen ihm ihre Worte ein. Er umarmte sie ungezwungen, wie ein Bräutigam, und rief dann lachend:
Seit Du meinen männlichen Muth herausgefordert hast, bin ich ein ganz anderer geworden, als ich war. Ich athme freier, ich habe Hoffnungen, ich sehe in Deinen Blicken etwas, das mich froh und glücklich macht. Habe ich Recht, liebe Stephanie? Oft es nicht so? Wir lernen uns jetzt näher kennen, indem wir uns Auge in Auge betrachten, und kommen uns endlich vor, wie ein paar Menschen, die sich lieb haben müssen, wenn sie nur wollen.
Sie standen beide Hand in Hand und sahen sich an.
Und Du willst? sagte er flüsternd.
Gewiß, ich will! erwiederte sie.
Und ich glaube es! rief er mit Herzlichkeit, ich glaube es Dir jetzt, denn dies: Ich will! klingt ganz anders als damals, wo Du es zuerst sagtest. – Ich suchte Dein Herz, Stephanie, Du wichst zurück. War es allein der Zwang, den Du scheutest, oder war ich es selbst? Was mißfiel Dir an mir?
Ich weiß es nicht, erwiederte sie zögernd.
Es war Deine Schüchternheit, und mein gewaltthätiges Eindringen. – »Man merkt die Absicht, und man wird verstimmt!« rief er lachend. – Aber wenn Du wüßtest, mit welchen Sorgen ich mich quälte. Ich fürchtete, daß ein dunkler Schatten zwischen Dir und mir stände, der mein Bild in Nebel hüllte. Mit diesem Schmerz ging ich und kam zurück.
Ich verstehe Dich nicht, erwiederte Stephanie.
Ein Glück für mich, daß es so ist! fuhr er fort, und lächelnd zog er sie auf den Lehnstuhl, setzte sie auf sein Knie, umfaßte sie mit beiden Händen, und begann nun eines jener langen Gespräche, in denen Liebende unerschöpflich sind. – Die Landschaftsmalerei einer glücklichen Zukunft öffnete ihre Herzen, und unter dem Austausch der Farben, die immer helleres Roth annahmen, verging eine geraume Zeit, ehe Gustav plötzlich mit der Hand an sein Taschenbuch schlug und lebhaft sagte:
Bald hätte ich etwas vergessen. Ich habe einen Brief für Dich, den ich unter besondern Umständen empfangen habe; hier ist er.
Er nahm das Papier und reichte es Stephanie hin, welche, die Aufschrift erkennend, mit einer zuckenden Bewegung es von sich wies. –
Was soll das sein? sagte sie, ich habe keine Briefe zu empfangen.
Von einem treuen Verehrer und Freund, erwiederte er ruhig, der Dir sein Testament sendet, wie er sagt, die letzten Wünsche für Dein Glück.
Stephanie hielt den Brief in ihrer Hand fest, ihre Blicke ruhten unstätt darauf. Plötzlich schlang sie beide Arme um den Hals ihres Verlobten und legte den Kopf an seine Brust. – Sie sprach nicht, aber Gustav empfand ihr stilles Bekenntniß.
Erst nach einer langen Pause sagte er leise:
Du hast ihn gewiß sehr lieb gehabt? und er war der Schatten, der zwischen uns stand. – Wir müssen auf richtig sein – ich will Dich nicht quälen – ich erkenne und begreife Alles – aber jetzt in dieser ernsten Stunde, theure Stephanie, jetzt muß es ganz klar sein zwischen uns – jetzt darf kein Schatten mehr zwischen uns stehen.
O! fürchte nichts, sagte sie sich aufrichtend, mißverstehe mich nicht; Du bist gut, aber Du hast Recht, ich darf Dir nichts verschweigen.
Sage mir das Eine nur, rief er hastig: Hast Du ihn geliebt?
Wenn man lieben kann, ohne je dies Wort auszusprechen, erwiederte sie, dann muß ich es bekennen.
Und nun, liebst Du ihn noch?
Kannst Du diese Frage an mich richten, erwiederte sie leise und ihn anblickend, während meine Hände Dich festhalten?
O! Stephanie, rief er mit dem Ton des Glücks, ich bitte Dir mein Vergehen ab. Nein, Du liebst mich, Du bist mein! Ich war fern, als er Dir nahe war, und ich finde es natürlich, daß ein junger, schöner, reichbegabter Mann die ersten Neigungen Deines Herzens gewinnen konnte.
Er war der Einzige, erwiederte Stephanie, der nicht war wie die Anderen. Der mir anders erschien, fuhr sie erröthend fort, verständig, edel in seinen Aussprüchen, kühn in seinen Anforderungen, männlich in Allem, was er sagte und that. –
Sie bemerkte den beobachtenden Blick, den Gustav bei diesem Lobe auf sie richtete, und reichte ihn den Brief hin. –
Lies dies Blatt, sagte sie, es wird, wie ich hoffe, mich nicht Lügen strafen. –
Er öffnete den Brief und durchlief flüchtig die Zeilen, plötzlich aber hielt er inne und las langsamer:
»Wenn ich für Sie, meine theure Freundin, um das reinste und schönste Glück bitte, so geschieht es dennoch unter dem Gewicht eines tiefen Kummers, der mich fast erdrücken will. Ich glaube an eine sonderbare Verkettung meines Schicksals mit dem Ihrigen, und eine düstre Ahnung überschleicht mich, daß ich bestimmt sein könnte, den herbsten Schmerz über ein Wesen zu bringen, das ich vor Allen glücklich sehen möchte. –
Was aber auch geschehen mag und geschehen muß, rechnen Sie mir es nicht zu, Stephanie; glauben Sie, daß auf Erden Ihnen kein treuerer Freund lebt, der mit Leben und Blut, mit jedem Opfer bereit ist, diese Freundschaft zu besiegeln, der aber Dinge nicht zu ändern vermag, die außer seiner Macht liegen. –
Unter den Leiden, die ein Menschenherz heimsuchen, sind die, welche wie Gewitterstürme über uns hereinbrechen, die entsetzlichsten. Gott bewahre Sie davor! Er gebe, daß Sie sich nie getäuscht sehen, daß der Mann Ihrer Wahl stets rein und ohne Fehl vor Ihnen stehe, würdig Ihrer Liebe und Ihrer Achtung, würdig des Glücks, das ihn erwartet.«
Hier ließ der Bräutigam das Blatt sinken. Ein Strom heißen Blutes drang von seinem heftig schlagenden Herzen in seinen Kopf und verdunkelte seine Augen. Eine ungeheuere Angst faßte ihn an, ein Bangen, das ihn ersticken wollte, denn plötzlich trat eine schreckliche Ahnung vor seine Seele.
Ich weiß nicht, was diese geheimnisvollen Worte sagen wollen? rief Stephanie, das Blatt aufhebend. Du darfst nicht böse darüber sein; es sind Ergüsse, die Du verzeihen kannst. Ich habe keine Zweifel an Dir, ich glaube an Dich! Jeder, der Dich kennt, hält Dich lieb und werth.
In ihrer Angst über den hohen Grad von Aufgeregtheit und Zorn, den sie in seinem Gesicht erblickte, legte sie die Hände auf seine heiße Stirn und sah ihn liebevoll tröstend und bittend an.
Ergriffen von dieser Hingebung, ließ Gustav es stumm geschehen, seine verstörten Mienen wurden ruhiger, bis er plötzlich sie heftig an sich preßte und mit hastiger Stimme sagte:
Ja, er hat Recht, Dich zu warnen, aber er hat kein Recht, mich unwürdig zu heißen. – Du willst an mich glauben, Stephanie, ich danke Dir. Liebe geht weiter als Alles, was die Menschen richten und verdammen. Liebe begleitet ja den Mörder selbst zur Ruhestätte und sitzt weinend auf seinem Grabe; sie klammert sich an die Eisenstäbe des Kerkers, sie fliegt über Länder und Meere, und die Unsterblichkeit, das Jenseit, das Wiedersehen, wer hat es erfunden, als die Liebe!
Seine Augen strahlten einen Schimmer der Begeisterung aus, die der Gedanke gibt, der sich über das drängende Leben erhebt, und Stephanie, die sein Gesicht noch nie so ausdrucksvoll und stolz gesehen hatte, betrachtete ihn mit schöner Freude.
In diesem Augenblick öffnete die Directorin die Thür und klatschte in die Hände. –
Das dachte ich mir, sagte sie, da sitzen sie beide, und vergessen die ganze Welt. – Der Tisch ist gedeckt, die Gäste warten, doch irdische Speise bedarf das Völkchen nicht. – Wenn es allen Leuten so wohl wäre, käme eine andre Schöpfung zu Stande, da aber außer der Liebe auch der Hunger die Menschheit verbindet, so seid so gut und bequemt Euch, auch an uns zu denken.
Mit mütterlicher Sorgfalt verbesserte sie die kleinen Mängel an Stephaniens Toilette und fuhr dabei fort:
Wenn Du die Schönste nicht in unserm Kreise bist, sollst Du doch die Häßlichste nicht sein. Einer Braut soll man nie anmerken, daß der Bräutigam sie ans Herz gedrückt hat, aber halte ihn heut in strenger Obhut, es drohen schwere Gefahren!
Welche Gefahren? fragte Gustav.
Gefahren aus schönen Augen, rief die Dame lachend. Herzensgefahren sind auch Lebensgefahren, und Pfeile aus einem Versteck von langen Wimpern, wie aus undurchdringlichen Gehegen geschleudert, die der wahre Lustgarten aller gefährlichen Abentheuer sind, haben schon mehr Schaden gethan, als die Giftpfeile sämmtlicher indischer Krieger.
So wollen wir vereint diesen schrecklichen Gefahren entgegen gehen, sagte der Bräutigam scherzend. Du wirst sehen, daß ich wie ein Held sie bestehe.