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Der Tag erstirbt in schlaffer Schwüle. Der Atem des warmen Abends weht über die Stadt; im fahlen Lichte, wenn das Tönegewirr verstummt, wirkt das Leben in seiner ganzen Grellheit auf Ohr und Hirn. Es war noch früh am Abend, als ich nach Hause ging. Ich setzte mich ans Fenster und las, bis mich die Dämmerung überraschte; und als meine Augen den gedruckten Lettern nicht mehr folgen konnten, nahm ich das Buch zwischen Zeigefinger und Daumen, stützte den Kopf auf die andre Hand, blickte in den Garten hinaus und ließ mein Herz in Träumen schwelgen. Das anregende Buch (ein Maler war der Verfasser) handelte von der komplizierten Technik der niederländischen Kunst. In mir hat es alle möglichen Erinnerungen geweckt, Erinnerungen an herzzerreißende Kämpfe, jugendliche Leidenschaftlichkeit, bittere Ernüchterungen; es hat mir eine Menge Gedanken und Erlebnisse zurückgerufen. Erschöpft vom Ansehn vieler wunderschöner Bilder und vom Widerstreit der Gefühle, überlasse ich mich nun gerne den sanften Sinnestäuschungen des Zwielichts.
Ich sehe, wie sich eine Laublinie über die Themse zieht, doch die Linie verschwimmt in einem grauen Wasserstreifen, auf den kein Lichtstrahl fällt. Speicher und ein Fabrikschornstein ragen gespensterhaft grau empor; so kalt ist die graue Farbe, daß man sie durch schwarz und weiß erzielen könnte, wobei man die warme Umbratönung kaum nötig hätte. Hinter den Speichern und dem Fabrikschornstein ist der Himmel düster und regungslos, doch ein wenig höher ist er gelblich weiß, und da bewegen sich auch die Wolken. Vier Laternen, zwei zu beiden Seiten des Schornsteins, leuchten über den Fluß; eine geht beständig aus – immer die gleiche Laterne –, im nächsten Augenblick flackert sie wieder auf. Vor meinem Fenster schwingt ein schöner Zweig gleich einem Federfächer. Er allein ist auf dem Bilde bis in die Einzelheiten ausgeführt. Ich sehe ihm zu, wie er sich sanft, fast unmerklich wiegt, und fühle mich versucht, die Blätter zu zählen. Unter ihm, ein wenig ferner, zwischen ihm und dem Fluß, bricht die Nacht in den Gärten herein; dort zieht zwischen tiefernstem Grün der schwarze Fleck eines Rockes vorüber, und in gleicher Höhe hüpft von Ast zu Ast ein verspäteter Sperling, der auf der Suche nach einem angemessenen Ruheplatz seine Genossen weckt. In den spitzen Türmen von Temple-Gardens sind die Tauben schon schlafen gegangen. Ich kann die Taubenschläge unter den kegelförmigen Schieferhauben sehn.
Die plumpe, abgehetzte, gemeine Gegenwart ist von mir abgeglitten wie ein Kleidungsstück, und ich sehe die Vergangenheit mit ihren weit zurückliegenden Kämpfen und ihrem Herzeleid als eine kleine Schaubude und beobachte sie mit derselben lässigen Neugier wie das schablonenhafte Possenspiel eines Theaterstücks. Bilder der Vergangenheit kommen und gehn ohne mein Zutun. Viele dieser Erinnerungen sind mir eine liebe Gewohnheit geworden, aber jetzt taucht eine zum ersten Mal auf – fünfzehn Jahre hat sie geschlummert, nun steigt sie empor wie eine Wasserpflanze oder eine Blume – das Boudoir der Gräfin Ninon de Calvador. Ihr Boudoir oder ihr Salon, mag man es nennen, wie man will, das Zimmer, in das ich vor vielen Jahren, als ich sie besuchte, geführt wurde. Ich war damals ein junger Mensch, sehr hager, mit hängenden Schultern und mattgoldnem Haar, wie es Manet mit Vorliebe gemalt hat. Ich hatte mich mit einem großen Bukett eingefunden, denn Ninon hatte ihren jour de fête, und ich war überrascht und einigermaßen enttäuscht, ein dicke Brünette zu treffen, die schon viele Falten am Halse hatte und kein Korsett trug; man konnte sich Ninon kaum anders vorstellen als in einem Peignoir – dem unvermeidlichen blauen Peignoir. Sie saß, als ich hereintrat, neben einem dunkeln, breitschultrigen jungen Mann; sie hockten dicht zusammen. Er erhob sich aus seiner Ecke und zeigte mir das impressionistisch gemalte Bild eines Bahnhofs. Er gehörte zu den jungen Männern, die damals glaubten, man brauche nur die graue, schieferfarbige, geradlinige Malerei Bastien Lepages durch rosa und gelbe Punkte zu ersetzen, um sicher zu einer guten Kunst zu gelangen. Hernach, im Laufe des Abends, erfuhr ich, daß man ihn scheel ansah, denn selbst auf dem Montmartre galt es als schimpflich, sich von seinem Verhältnis freihalten zu lassen. Villiers de L'Isle-Adam, der früher Ninons Liebhaber gewesen, gab auf den Vorwurf, er habe ihre Gastfreundschaft in zu reichem Maße genossen, die Antwort: »Que de bruit pour quelques côtelettes!« und man verzieh ihm sein Vergehn um dieses Witzes willen, der die moralischen Anstrengungen und Schwierigkeiten des ganzen Viertels in nuce zusammenzufassen schien. Als Villiers ihr Liebhaber war, stand er in mittleren Jahren, während Ninon noch ein junges Weib war; doch als ich sie kennen lernte, interessierte sie sich für die jüngere Generation, blieb allerdings mit ihren sämtlichen alten Liebhabern befreundet und entzog ihnen nie ihre Gastfreundschaft. Wie komisch war die Wut des Impressionisten auf Villiers! Er beschuldigte ihn, Ninons Vermögen zu einem großen Teil verschwendet zu haben, worauf Villiers erwiderte: »Er spricht ganz wie der Concierge in meiner Erzählung ›Les demoiselles de Bienfillatre‹.«
Der arme Villiers war wirklich nicht so tadelnswert; es gehörte zu Ninons Naturell, ihr Geld hinauszuwerfen, und die Bilder an den Wänden waren Zeugen dafür, daß sie viel für die moderne Kunst ausgab. Sie war sicher eine reiche Frau gewesen; das Gerücht wollte wissen, daß sie ihre fünfzigtausend Francs im Jahr verzehrte, und in diesem Falle sagte das Gerücht nur die Wahrheit, denn das brauchte man mindestens, um in ihrem Stil zu leben und für alle Schriftsteller, Musiker, Maler, Bildhauer des Montmartre offnes Haus zu halten. Auf den ersten Blick mochte ihre Gastfreundschaft unvernünftig erscheinen, aber wenn man nachdenkt, merkt man, daß sie sich mit den Regeln aller Geselligkeit im Einklang befindet. Es muß ein Prinzip der Sichtung geben: waren etwa die ratés, die sie bewirtete, weniger amüsant als die Leute, die man am Grosvenor Square oder in den Champs Elysées trifft? Jeder Freund des Hauses konnte einen Fremden einführen; das ist das gewöhnliche Verfahren, bei Ninon erfuhr dieser Brauch jedoch eine Einschränkung, die ich sonst nirgends angetroffen habe: ein Freund konnte einen Dritten nur dann mitbringen, wenn dieser ein raté war, mit andern Worten: wenn er komponierte, Verse machte, malte oder meißelte auf eine Art, die beim gewöhnlichen Publikum nicht Anklang fand; die Unfähigkeit, den Geschmack des großen Publikums zu treffen, war hier der vorwaltende Maßstab.
Die Fenster von Ninons Boudoir gingen auf den Garten hinaus. Als ich mein Erstaunen äußerte über seine Größe und die hohen Bäume, die darin standen, gestattete sie mir, meiner Bewunderung freien Lauf zu lassen und weiter zu forschen. Und ich schritt um den Teich herum voll Interesse für die zahlreichen Enten, die Katzen, die Gesellschaft von Papageien und Kakadus, die von ihren Stänglein herunterkletterten und über den Rasen stolzierten. Ich stieß auf einen Dachs mit seinen Jungen, und als ich näher kam, verkrochen sie sich in einer ungeheuren Höhle, und hinter der Laube entdeckte ich einen schlafenden Bären; da machte ich mich eilig aus dem Staube. Doch auf dem Wege zum Hause hörte ich eine wohlbekannte Stimme. ›Das ist Augusta Holmes, die singt ihre Oper,‹ dachte ich, ›alle verschiedenen Rollen – Sopran, Alt, Tenor und Baß.‹ Sie war damals in aller Munde, ich stellte mich ans Fenster und horchte, bis mit einem Mal ein wohlbekannter Geruch dem Gesang ein Ende machte. Ninons Katze hatte sich schlecht aufgeführt. Man riß ein Fenster auf, aber es strömte nicht genug frische Luft hinein. Augusta und ihre Bewunderer mußten das Klavier verlassen und kamen heraus, froh, die Abendluft zu atmen. Wie gerne seh ich geblümte Kleider und Frauen, die sich unter dem Abendhimmel ein Tuch um die Schultern schlingen! Was war es für ein herrlicher Abend! Und wie gut erinnere ich mich des Dichters, der den dunkelnden Himmel einem blauen Schleier verglich, auf dem der Mond wie ein goldner Käfer sitze. Eine der Damen hatte eine Gitarre mitgebracht, und aufs neue ertönte Augustas Stimme durch die Stille, so daß wir von der Schönheit des Gesangs näher herangelockt wurden; während die Komponistin ihre Lieder vortrug, nahm man eine schwärmerische Haltung ein, und manche Hand sank nachdenklich in den Schoß. Unter den Gesichtern im Schatten bemerkte ich ein Weib von außerordentlicher Schönheit; ihr Haar hatte nur einen schwachen Goldglanz. Ninon sagte mir, es sei eine Cousine von ihr, die sie seit vielen Jahren nicht gesehn; wie Claire ihre Wohnung in der Rue des Moines herausgefunden habe, sei ihr unklar. Man tuschelte sich zu, sie sei mit einem reichen commerçant in Tours verheiratet. Dies steigerte noch den geheimnisvollen Reiz. Später am Abend verriet mir die Dame, sie sei nie in Künstlerkreisen gewesen, und bat mich, ihr die anwesenden Berühmtheiten zu zeigen und den Grund ihrer Berühmtheit anzugeben.
»Wer ist das – der auf den Teich zu schlendert, der mit der grauen Hose und dem schwarzen Rock? Oh!«
Den Ausruf meiner Begleiterin hatte der ungewohnte Anblick Verlaines verursacht: er hatte nämlich gerade seinen Hut abgenommen (der Abend war noch immer warm), und der große kahle Schädel, der wie eine Klippe über den zottigen Brauen hing, zottig wie ein Ginsterstrauch, jagte ihr einen tüchtigen Schreck ein. Der Dichter setzte seinen Spaziergang um den Weiher fort; plötzlich kam er auf uns zu und blieb stehn, um mit mir zu sprechen. Ich war ihm nur ein Vorwand; offenbar wollte er sich mit meiner Begleiterin unterhalten. Wie merkwürdig wußte er seinen Ton ihr anzupassen, doch wie bezeichnend für sein Wesen waren die Worte, die ich vernahm, als ich beiseite ging, um sie allein zu lassen: »Ob ich in ein junges Mädchen oder in einen jungen Mann verliebt bin?«
Meine Dame lief mir nach und packte mich am Arm. »Sie dürfen mich nicht mit ihm allein lassen,« sagte sie. Infolge seines Genies begriff Verlaine die Außenwelt ein wenig schwer – alles, was in ihm lag, war klar, alles Fremde dunkel. Es wurde uns daher nicht ganz leicht, ihn abzuschütteln; sobald er aber außer Hörweite war, fragte meine Begleiterin voll Eifer, wer er sei, und das Verständnis, das sie an den Tag legte, setzte mich in Erstaunen. »Ist er Priester? Ich meine: war er einmal Priester?« »Eine Kreuzung zwischen Kaschemme und Kirchenkonsistorium. Es ist der Dichter Verlaine. Der Sänger der süßesten Verse in französischer Sprache – er hat eine Art zu singen wie das Rotkehlchen. Sie haben das Rotkehlchen im Herbst auf einem Johannisbeerstrauch singen hören; das Rotkehlchen beichtet seine kleine Seele vom höchsten Ast herunter, sein Lied ist nur eine Zeichnung seiner Seele. So verhält es sich auch mit Verlaine. Sein Talent ist eine Vision seiner Seele, und er zeichnet sie auf, wie man mit dem Bleistift skizziert, ohne sich darum zu kümmern, ob das, was er zeichnet, gut oder schlecht ist. Er weiß, die Gesellschaft sieht in ihm einen Ausgestoßenen, aber die Auffassung der Gesellschaft ist nicht die einzige, auch das weiß er, und ferner, daß er zwar bisweilen ein Wüstling, ein besoffener, tierischer Kerl ist, aber dann wieder ein Poet, ein mit Sehergabe Begnadeter, der einzige Dichter, den der Katholizismus seit Dante hervorgebracht hat. Huysmans, der Ehrenretter Gilles de Rais' – da drüben steht er, der sich eben mit dem Impressionisten unterhält, der kleine, schmächtige Mann mit dem dichten Haar, das ihm tief in die Stirn hineinhängt – Huysmans spricht an einer Stelle, da wo er den Prozeß dieses Scheusals aus dem fünfzehnten Jahrhundert beschreibt, dieses andern Ritter Blaubarts, von der weißen Seele des Mittelalters. Er muß dabei an Verlaine gedacht haben, denn Verlaine hat sich selbst einen Katholiken des Mittelalters genannt, das heißt: eine weiße Seele, in der Sünde und Buße regelmäßig abwechseln wie Nacht und Tag. Der Dichter hat nicht vielen kleinen Knaben die Hälse abgeschnitten, wie es Gilles de Rais tat, was ihn nicht hinderte, sich für einen guten Katholiken zu erklären. Verlaine hält sich nicht wie sein mittelalterlicher Ahn bei Betrachtungen über Gottes Großvater, den Mann der heiligen Anna, auf, er überläßt sich der Kirche, wie ein Kind einem Märchen, er fragt nicht danach, ob die Empfängnis der Jungfrau unbefleckt war. Die Bildhauer des Mittelalters haben sie ganz allerliebst dargestellt in einem Mantel mit weiten Falten, sie haben ihr ein zierliches Krönchen aufs Haupt gesetzt. Dergleichen liebt Verlaine, das inspiriert ihn, er fühlt, daß der kirchliche Glaube zu ihm gehört, und sein dichterisches Genie äußert sich darin, daß er seine eigne Geschichte erzählt. Er ist einer der großen Seelenkünder. Von literarischem Standpunkt aus läßt sich manches zugunsten des Glaubens vorbringen, wenn er nicht mit praktischer Ausübung verknüpft ist. Die Annahme des Dogmas bewahrt einen vor der Erörterung von Glaubensfragen; sie gestattet Verlaine, sich völlig auf Tatsachen zu konzentrieren, bringt ihn von Ideen ab – dem Fluch der modernen Literatur – und macht ihn zu einem göttlichen Vagabunden, der sein Leben in der Kneipe und im Krankenhaus verlebt. Nur wer sich von allen Vorurteilen befreit hat, gelangt dem Leben auf den Grund, hat den wahren Geschmack des Lebens – das Aroma wie von einem Weine, der lange im Keller gelagert. Und Verlaine ist sich dessen bewußt. Manchmal meint er, er hätte mehr dichten können, dann seufzt er, aber er faßt sich schnell wieder. »Schließlich habe ich doch so manchen Band geschrieben, und was wäre die Kunst ohne das Leben, ohne die Liebe?« Darauf gibt es eine Strophe bei ihm; ich wünschte, ich könnte sie Ihnen zitieren. Seine Verse sind durchgehends so ansprechend, so zart, schlank wie die Birke und ebenso elegisch. Eine Birke, die sich über den Rand eines Sees neigt, gemahnt mich an Verlaine. Er ist ein Seedichter, aber der See liegt in einer Vorstadt, nicht weit von einem Tanzsalon. Ich komme auf den See zu sprechen, weil ich lange Zeit glaubte, die Verse:
Ton âme est un lac d'amour
Dont mes pensées sont les cygnes.
Vois comme ils font le tour ...
seien von Verlaine, doch dazu sind sie nicht originell genug. Ihre Schönheit – sie sind wirklich schön – hat etwas Konventionelles, Dutzende von Dichtern könnten sie geschrieben haben, während keiner als Verlaine eines seiner Gedichte, seiner echten, verfaßt haben könnte. Seine Begierden versteigen sich gelegentlich bis zum Kruzifix. Sehr oft liegen sie im Rinnstein, sind überhaupt kaum noch Poesie, besitzen fast nur die eine Schönheit, wahr zu sein, und selbstverständlich den Reiz einer dem Ohre schmeichelnden Metrik, denn er hört ein Lied in französischen Versen, wie es kein französischer Dichter vor ihm je gehört hat, ein so leichtflüssiges, das alle Töne von der Verzückung der Nachtigall bis zur kurzen Homilie des Rotkehlchens in sich schließt.
Oui, c'était par un soir joyeux de cabaret,
Un de ces soirs plutôt trop chauds où l'on dirait
Que le gaz du plafond conspire à notre perte
Avec le vin du zinc, saveur naïve et verte.
On s'amusait beaucoup dans la boutique et on
Entendait des soupirs voisins d'accordéon
Que ponctuaient des pieds frappant presque en cadence.
Quand la porte s'ouvrit de la salle de danse
Vomissant tout un flot dont toi, vers où j'étais,
Et de ta voix qui fait que soudain je me tais,
S'il te plaît de me donner un ordre péremptoire.
Tu t'écrias ›Dieu, qu'il fait chaud! Patron, à boire!‹
Sie stammte aus der Picardie. Er erzählt von ihrem gräßlichen Dialekt, und in der fünften Elegie berichtet er weiter, wie sich sein Schatz zu betrinken pflegte.
Tu fis le saut de ... Seine et, depuis morte-vive,
Tu gardes le vertige et le goût du néant.«
»Aber wie kann ein Mann so etwas ausplaudern?« fragte mich meine Begleiterin, und wir standen inmitten des Gartens und blickten uns an, bis ein Affe mit possierlichen Sprüngen auf mich zukam und mir in die Arme hüpfte; ich betrachtete das absonderliche, kleine, runzlige Gesicht, die langen, mit Haaren besäten Vorderbeine und sagte:
»Verlaine hat ein erstaunliches Sprachvermögen, und sein Genie, ganz wie das Manets, kennt keine andre Scham als die: sich zu schämen. Seiner Schamlosigkeit verdanken wir seine schönsten Gedichte, die er sämtlich in Dachstuben, Kneipen und im Hospital geschrieben hat – jawohl, und im Gefängnis.«
»Im Gefängnis! Er hat doch nicht gestohlen?« Und die Frau des commerçant sah mich entsetzt an – ich glaube, sie faßte mit der Hand nach der Tasche.
»Nein, nein, lediglich eine Liebesgeschichte, ein Streit mit Rimbaud in einer Lasterhöhle – ein Messer blitzte – Rimbaud wurde verwundet, und Verlaine hat dafür drei Jahre gesessen. Der gute Rimbaud soll Reue gezeigt und die Liebe abgeschworen haben; es heißt, er sei in ein Kloster gegangen und habe irgendwo am Gestade des roten Meeres zum Preise Gottes den Boden umgegraben. Allein seine guten Vorsätze erwiesen sich als trügerisch. Verlaine ist der einzige, der weiß, wo er ist, und will es nicht verraten. Die letzte sichere Nachricht, die wir von ihm hatten, war, er habe sich einer arabischen Karawane angeschlossen und sei mit diesen Wanderern in die Wüste gezogen, da ihm die Wildnis mehr zusagte als die Zivilisation. Verlaine behagte die zivilisierte Wildnis besser, darum blieb er in Paris. Und so treibt er es weiter, lebt in Verbrecherquartieren, betrinkt sich, schreibt wunderschöne Gedichte im Krankenhaus, und wenn er dann wieder herauskommt, verliebt er sich in Dirnen.
Dans ces femmes d'ailleurs je n'ai pas trouvé l'ange
Qu'il eût fallu pour remplacer ce diable, toi!
L'une, fille du Nord, native d'un Crotoy,
Etait rousse, mal grasse et de prestance molle;
Elle ne m'adressa guère qu'une parole
Et c'était d'un petit cadeau qu'il s'agissait.
L'autre, pruneau, d'Agen, sans cesse croassait,
En revanche, dans son accent d'ail et de poivre,
Une troisième, récemment chanteuse au Havre,
Affectait le dandinement des matelots
Et m' ... engueulait comme un gabier tançant les flots,
Mais portrait beau vraiment, sacredié, quel dommage
La quatrième était sage comme une image,
Châtain clair, peu de gorge et priait Dieu parfois:
Le diantre soit de ses sacrés signes de croix!
Les seize autres, autant du moins que ma mémoire
Surnage en ce vortex, contaient toutes l'histoire
Connue, un amant chic, puis des vieux, puis ›l'îlot‹
Tantôt bien, tantôt moins, le clair café falot
Les terrasses l'été, l'hiver les brasseries
Et par degrés l'humble trottoir en théories
En attendant les bons messieurs compatissants
Capables d'un louis et pas trop repoussants
Quorum ego parva pars erim, me disais-je.
Mais toutes, comme la première du cortège,
Dès avant la bougie éteinte et le rideau
Tiré, n'oubliaient pas le ›mon petit cadeau.‹
In den Versen, die ich eben zitiert habe, heißt es, wenn Sie sich erinnern wollen: die vierte war keusch wie ein Bild, ihr Haar mattbraun, sie hatte kaum einen Busen und betete manchmal zu Gott. Er haßte Frömmigkeit von jeher, wenn sie seinem Vergnügen ins Gehege kam, und in der nächsten Zeile sagt er: ›Der Teufel hol' die heiligen Kreuzeszeichen‹.«
»Kennen Sie denn eins von den Frauenzimmern?«
»O ja, wir alle kennen die schreckliche Sara. Sie schlägt ihn.«
»Ist sie hier?«
»Er wollte sie mitbringen – er hat sie sogar wirklich einmal mitgebracht. Leider war sie so betrunken, daß sie nicht über die Schwelle kommen konnte, und Ninons Geliebter, der Maler, der Lokomotiven malt, erhielt den Auftrag, dem Dichter klar zu machen, daß Sara durch ihre Unmäßigkeit in anständiger Gesellschaft unmöglich sei. ›Ich weiß, Sara hat ihre Fehler‹, brummte er als Erwiderung auf alles vernünftige Zureden, und es war verlorene Mühe, ihm beizubringen, daß andre Menschen Sara nicht mit seinen Augen ansehn. ›Ich weiß, sie hat ihre Fehler‹, wiederholte er, ›die haben aber auch andre. Wir alle haben unsre Fehler.‹ Und es hat lange Zeit gedauert, bis wir ihn so weit hatten, daß er wiederkam. Der Hunger hat ihn hergeführt.«
»Wer ist denn der Mann mit dem eingefallenen Brustkasten? Wie feierlich er aussieht mit seinem Geißbart!« »Das ist der berühmte Cabaner. Wenn Sie mit ihm sprechen, wird er Ihnen sagen, sein Vater sei ein zweiter Napoleon gewesen. Er hat viele Aphorismen verfaßt, z. B. folgenden: ›Drei Militärkapellen sind dazu nötig, den Eindruck der Ruhe in der Musik hervorzubringen.‹ Er kommt jeden Abend ins Café ›Nouvelle Athénes‹ und ist da eine Art Sammelpunkt. Seine Ballade ›Der marinierte Hering‹, sagt er, sei so gehalten, daß Wagner sie vielleicht nicht, Liszt jedoch ganz bestimmt verstehn würde.«
»Werden seine Kompositionen gespielt? Finden sie Absatz? Wovon lebt er? Doch wohl kaum von seiner Musik?«
»Doch, von seiner Musik: er spielt zu Walzern und Polkas auf in der Avenue de la Motte-Picquet. Damit verdient er täglich fünf Francs. Für sein Zimmer zahlt er fünfunddreißig Francs im Monat. Da nächtigen viele Enterbte der Kunst, viele von denen, die Sie hier sehn. Sein Zimmer ist möbliert – ah, Sie sollten es einmal sehn. Wenn Cabaner eine Kommode braucht, kauft er ein Wasserbecken, und der Venus von Milo hat er den Kopf abgehaun, damit sie ihn nicht mehr an die Leute erinnere, die ihm auf der Straße begegnen. Jetzt könne er sie bewundern, sagte er, ohne daß unsaubere Gedanken seiner Begeisterung Abbruch täten. Ich könnte Ihnen stundenlang erzählen von seiner Selbstlosigkeit, seiner Liebe zur Kunst, seiner verrückten Musik und seinen noch verrückteren Gedichten. Er schreibt nämlich selbst die Verse zu seiner Musik.«
»Ist er zu gut fürs Publikum oder nicht gut genug?«
»Da fragen Sie mich, was wir uns seit zehn Jahren fragen ... Dort drüben der Herr, der eben an seinem Kragen herumzerrt, ist der berühmte Villiers de l'Isle-Adam.« Und ich weiß noch, welches Vergnügen es mir bereitete, dieser einfältigen Frau alles zu erzählen, was ich über Villiers wußte.
»Er hat gar kein Talent, nur Genie; deshalb ist er ein raté,« sagte ich.
Aber die Dame war gar nicht so einfältig, wie ich vermutet hatte: eine oder zwei Fragen, die sie an mich richtete, brachten mich auf die Bemerkung, Villiers' Genie trete nur strichweise auf, wie Gold im Quarz.
»Der Vergleich ist alt, aber es gibt keinen besseren für Villiers; denn wenn er nicht in Stimmung ist, hat seine Schriftstellerei sehr viel Ähnlichkeit mit Quarz.«
»Sein langer Name – –«
»Sein Name gehört mit zu seinem Genie. Er hat ihn angenommen, und dadurch sind seine Schriften beeinflußt. Hab ich ihn doch sagen hören: ›Car je porte en moi les richesses stériles d'un grand nombre de rois oubliés.‹«
»Ist er aber auch ein legitimer Sprößling?«
»Legitim in dem Sinne, daß er den Namen nötiger brauchte als irgend einer von denen, die ihn rechtmäßig geführt haben.«
In diesem Augenblick ging Villiers an uns vorüber, und ich machte ihn mit ihr bekannt. Sehr bald fing er davon an, daß seine ›Eve‹ eben herausgekommen sei und großen Erfolg habe.
»On m'a dit hier de passer à la caisse ... l'édition était épuisée, vous voyez – il paraît, la fortune est venue ... même à moi.«
Aber Villiers war in Kleinigkeiten oft ermüdend redselig. Sobald sich daher die Gelegenheit bot, fragte ich ihn, ob er uns nicht eine von seinen Schnurren erzählen wolle; dabei erinnerte ich ihn an eine, die er, wie ich erfahren, kürzlich in den brasseries zum besten gegeben, von einem Mann, der nach einem stillen Dorfe fahndete, wo er sich ausruhn konnte, einem abgespannten Komponisten oder so etwas. Ob er sie aufgezeichnet habe? Nein, noch nicht, aber jetzt, wo er wisse, daß sie mir gefallen habe, werde er morgen früher aufstehn. Jemand holte ihn fort, so daß ich meiner Gefährtin die Geschichte selber erzählen mußte.
»Besser, er schreibt sie nie,« sagte ich, »denn der halbe Reiz liegt in seiner Stimme, in seinen Gebärden, und mit jedem Jahr wird es weniger, was er von seinem Wesen aufs Papier bringt. Man muß ihn im Café seine Geschichten erzählen hören. Wie ausgezeichnet er sie vorträgt! Sie sollten ihn einmal erzählen hören, wie ein Mann, der nach langer Krankheit in der Genesung begriffen ist, von seinem Arzt den Rat empfängt, auf dem Lande Ruhe zu suchen, wie er auf der Karte den Namen eines Dorfes liest, der ihn angenehm berührt, und hinfährt, weil er der Überzeugung ist, dort arkadische Zustände zu finden. Jedoch das Dorf, das er vom Coupéfenster aus wahrnimmt, ist ein grämliches, gottverlassenes Nest inmitten einer öden Ebene. Und noch schlimmer als die Natur sind die Menschen, die er am Bahnhof sieht; sie stecken in alles die Nase, durchwühlen ihm das Gepäck, und allmählich hält er sie alle für Räuber und Mörder. Er möchte ausrücken, aber er getraut sich nicht, denn sie sind ihm auf den Fersen. Da dreht er sich nach seinen Verfolgern um und fragt, ob sie ihm den Weg zeigen können zu einem Logis. Die Pointe in dieser Geschichte von Villiers ist, wie sich in der Seele des Mannes ein Verdacht regt und gleich einem Krebsgeschwür ausbreitet. Gar bald sind die Dörfler davon durchdrungen, daß der Mann ein Anarchist ist und in seinen Koffern Sprengstoffe hat zur Anfertigung von Bomben. Deshalb haben sie Angst, sie anzufassen. Sie begleiten ihn also bis zu dem Landhaus, wo sie ihn hingewiesen haben, und teilen ihre Befürchtungen dem Pächter und seiner Frau mit. Villiers kann den Kriegsrat, den sie in der Küche abhalten, um Mitternacht im Café aus dem Stegreif darstellen; aber wenn der Morgen kommt, ist er nicht imstande zu schreiben, sein Hirn ist leer. Sie müssen einmal abends ins ›Neue Athen‹ kommen und ihn hören. Da malt er, über den Tisch gelehnt, das Entsetzen der Knechte und des Pächters aus, wie sie ganz bestimmt annehmen, das Haus werde in die Luft fliegen. Das Geräusch ihrer Schritte auf der Treppe jagt dem armseligen Rekonvaleszenten einen furchtbaren Schreck ein. Er setzt sich im Bett auf und horcht, der Schweiß steht ihm in großen Tropfen auf der Stirn. Er soll nicht aufstehn, aber er muß. Villiers kann das Geräusch der Fußtritte auf der krachenden Treppe suggerieren – jawohl, und den Wahnsinn des Kranken, der die Tür mit Möbeln verrammt, und die Todesqualen der draußen Wartenden, die den Lärm drinnen hören. Als sie endlich ins Zimmer brechen, finden sie eine Leiche. Der Schreck hat ihn getötet. – Sie müssen ins Café kommen und von Villiers selbst die Geschichte hören. Wir wollen uns morgen abend im ›Neuen Athen‹ treffen ... Wollen Sie mein Gast sein? Das Essen ist da wirklich gar nicht so schlecht. Vielleicht nehmen Sie damit vorlieb.«
Die Frau des commerçant zauderte. Sie versprach zu kommen, und sie kam. Aber sie war kein interessantes Verhältnis. Woran das lag, weiß ich nicht mehr, und nur zu gerne schlag ich sie mir aus dem Sinn, denn ich möchte an den wunderlichen Dichter denken, den wir seine Verse vortragen hörten unter der Espe, auf die sich einer der Affen geflüchtet hatte. Durch den Nebelschleier der Jahre kann ich sein helles Haar sehn, das ihm um die Schultern wallte, seine blauen Augen und seine schmale Nase. Hat ihn nicht einmal jemand einen sinnlichen Christus genannt? Auch er war hinter der Frau des commerçant her. Und hat er an sie nicht seine anstößigen Verse gerichtet? Beruhigen Sie sich, Leserin – anstößig lediglich vom prosodischen Standpunkt.
›Ta nuque est de santal sur les vifs frissons d'or,
Mais c'est une autre que j'adore.‹
Die Frau des commerçant, mir untreu, entzückt von dem Dichter, freudig erregt, sich poetisch angeschwärmt zu hören, rückte näher heran. Merkwürdig, – nicht wahr? – daß mir ein paar verstreute Worte im Gedächtnis geblieben sind.
›Il m'aime, il m'aime, pas et selon l'antique rit
Elle effleurait la marguerite.‹
Die Weiber sitzen noch da im Kreise, wie gebannt; die Nacht begeistert ihn, und er improvisiert Scherz nach Scherz. Ach, könnte ich mich seiner Serenade entsinnen, aber ich erinnere mich nur noch an Cabaners Ballade ›Der Salz-Hering‹.
›Er kam daher und hielt in seiner Hand schmutzig, schmutzig, schmutzig,
Einen dicken Nagel spitz, spitz, spitz,
Und einen Hammer schwer, schwer, schwer.
Er lehnte die Leiter hoch, hoch, hoch,
An die Wand weiß, weiß, weiß.
Er stieg hinauf die Leiter hoch, hoch, hoch,
Und hielt den Nagel spitz, spitz, spitz,
An die Wand – bum, bum, bum!
Er knüpfte an den Nagel eine Schnur lang, lang, lang,
Und an ihr Ende einen gesalznen Hering trocken, trocken, trocken.
Dann warf er hinab den Hammer schwer, schwer, schwer,
Stieg von der Leiter hoch, hoch, hoch,
Hob auf den Hammer und ging fort, fort, fort.
Seitdem hat an der Schnur lang, lang, lang,
Ein gesalzner Hering trocken, trocken, trocken,
Gebaumelt sacht, sacht, sacht.
Von mir vertont ward die Geschichte schlicht, schlicht, schlicht,
Sie mache alle ernsten Männer toll, toll, toll,
Und reize zum Lachen die Kinder klein, klein, klein.‹
Zu diesem Text schrieb Cabaner seine Musik, ›die Wagner nicht verstehn, der Liszt aber lauschen würde‹. Lieber, lieber Cabaner, wie gut ich dich mit deinem Geißbart sehe und den Affen auf dem Baum, der dich beständig unterbrach; er hatte nichts von Liszt, er schwatzte die ganze Nacht. Ein Affe hatte schon früher am Abend seine Kette durchgerissen und ließ sich nicht bestimmen, herunterzukommen; der Schuft hatte es sich irgendwie in den Kopf gesetzt, uns um Cabaners Vorträge zu bringen. Bald darauf fingen die Hähne an, sich gegenseitig ihren Weckruf zuzuschrein, obwohl es erst Mitternacht war; und ihr schrilles Krähen tönte so laut, daß ich aufwachte und zu meiner Überraschung mich am Fenster meiner Wohnung in King's Bench Walk sitzen fand. Noch vor einer Sekunde war ich in Madame Ninon de Calvadors Garten, so ganz mit Leib und Seele, wie ich jetzt in meiner Londoner Wohnung bin. Madame Ninon de Calvador – was ist aus ihr geworden?
Kennt man das Ende ihrer Geschichte nicht? Während ich so dasitze und ins Dunkel starre, zuckt mir eine Erinnerung durch den Kopf. Villiers, der erst kam, als das Essen halb vorüber war, hatte einen jungen Mann mitgebracht. Er fummelte an seinem Kragen herum, entschuldigte seine Verspätung, versicherte, er habe schon gespeist, und stellte dann der Tischgesellschaft seinen Freund vor als einen genialen, überaus genialen jungen Menschen. Höre ich nicht noch Villiers' nervöse, hysterische Stimme? Höre ich nicht noch die Stimme des Journalisten, als er den Maler – Ninons Galan – fragte, ob er auch seine Bilder verkaufe, wodurch er sofort einen schlechten Eindruck machte? Durch ein Versehen wurde ihm ein Teller hingestellt, von dem eine der Katzen gefüttert worden war. Der Teller hätte jedem andern gegeben werden können: Villiers hätte nicht daran Anstoß genommen, und Cabaner wußte überhaupt nie, was er aß. Zufällig kam der Teller vor den Journalisten. Nun weiß ich noch, der junge Mensch machte einen Heidenradau; er schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Eh bien, je casse tout.« Jawohl, er hat dann im Gil Blas einen Artikel geschrieben, ›Ninons Tafelrunde‹, und daraus ersah sie zum ersten Mal, wie die Welt über ihre Gastlichkeit dachte, und wie falsch ihre Bestrebungen, die Kunst und die Künstler zu unterstützen, ausgelegt wurden. Irgend jemand hat es mir erzählt: wer, kann ich nicht mehr sagen; es ist schon so lange her. Doch wenn ich mich nicht täusche, habe ich davon reden hören, daß dieser Artikel Ninon den Todesstoß gab.
Die Vergänglichkeit dieser Welt ist stets ein ergreifender Gegenstand zum Nachdenken, und es ist seltsam, wie ein Zufall manchmal eine Szene mit allen Einzelheiten zurückruft – die Silhouette eines Baumes am dämmernden Himmel, die behaarte Häßlichkeit des Affen auf seinen Zweigen, eine watschelnde Entenschar, die sich über das graue Gras zum Teich begibt, ein Dichter, der sich mit der Frau eines commerçant unterhält, Madame de Calvador, die sich auf den Arm ihres Freundes stützt.
Hätte ich eine Palette, ich könnte das Blau des Peignoir und das matte Grau des Himmels aufeinander abstimmen. Könnte aus der düstern Vorstadt ein Bild machen. Hätt ich eine Feder, ich könnte auf diese Menschen aus entschwundener Zeit Verse schreiben; aber das Bild wäre ein verhutzeltes Ding neben dem Traum, und die Verse würden hinken. Im Augenblick, da ich nach einer Feder suchte, würde das Lustgefühl, das mir die stille Betrachtung bereitet und das noch anhält, dahin sein. Lieber am Fenster sitzen bleiben und die Stimmung auskosten. Sie ist fast vorüber, schon regt sich der Trieb nach Betätigung ... Ich gäbe viel für weitere Erinnerungen, aber sie lassen sich nicht herbeiwinken, und in mir ist es jetzt dunkel, dunkel wie im Garten. Der fächerartig schwingende Zweig vor meinem Fenster ist geradezu eine einzige grüne Masse; der letzte Sperling ist zur Ruh gegangen. Ich höre keinen Laut ... Ich höre ein Pferd am ›Strand‹ traben.