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Cléanthe. Marianne. Elise. Frosine.
Cléanthe. Wir sind hier viel sichrer; kommt nur alle hier herein. Hier stört uns niemand und wir können frei sprechen.
Elise. Ja, liebes Fräulein, mein Bruder hat mir vertraut, daß er Euch liebt. Ich weiß, was es sagen will, seine liebsten Wünsche so gekreuzt zu sehn, und bitte Euch überzeugt zu sein, daß ich den lebhaftesten Anteil an Eurem Schicksal nehme.
Marianne. Es ist mir ein süßer Trost zu wissen, daß ein Wesen wie Ihr sich meiner annimmt; und ich beschwöre Euch, mein Fräulein, mir stets Eure großmütige Freundschaft zu erhalten, die mein Mißgeschick so sehr zu lindern vermag.
Frosine. Es war, meiner Treu, ein wahres Unglück für Euch, daß Ihr mich nicht schon früher in Euer Geheimnis gezogen habt. Ich hätte alle die Widerwärtigkeiten abgewendet und die Sache nicht so weit kommen lassen.
Cléanthe. Was hilft's! – Mein Unstern hat's so gewollt. Aber zu was entschließt Ihr Euch, meine teure Marianne? –
Marianne. Ach, steht es denn in meiner Macht, einen Entschluß zu fassen? – In meiner Abhängigkeit kann ich ja nichts anders thun, als wünschen! –
Cléanthe. Wie! Ich habe keinen andern Beistand in Eurem Herzen als bloße Wünsche? Kein thatkräftiges Mitleid? Keine hülfreiche Güte? Keine zum Handeln entschlossene Hingebung?
Marianne. Was kann ich Euch erwidern? Setzt Euch nur in meine Lage und sagt mir, was ich thun kann. Ratet mir; bestimmt alles! ich will mich ganz auf Euch verlassen und halte Euch für zu verständig, um etwas anders von mir zu verlangen, als was Ehre und Anstand mir erlauben.
Cléanthe. Ach, was bleibt mir übrig, wenn Ihr mich nur auf das verweist, was die leidigen Vorurteile einer strengen Ehre und einer peinlichen Konvenienz mir gestatten?
Marianne. Aber wie kann ich anders? Wenn ich auch die vielen Rücksichten beiseite setzen wollte, zu denen unser Geschlecht verpflichtet ist, so bindet mich doch die zärtliche Verehrung, welche ich für meine Mutter fühle. Sie hat mich seit meiner Kindheit mit der liebevollsten Sorgfalt erzogen, und ich kann mich nicht entschließen ihr Kummer zu bereiten. Handelt selbst; gebt Euch alle Mühe sie für Euch zu gewinnen. Thut und sagt was Ihr wollt, ich gebe Euch die Vollmacht; und wenn es nur darauf ankommt, daß ich mich zu Euren Gunsten ausspreche, will ich mich entschließen, ihr meine ganze Neigung für Euch zu gestehn.
Cléanthe. Frosine, meine gute Frosine, willst du uns denn nicht helfen?
Frosine. Ei, Kinder, was braucht Ihr da noch erst zu fragen? Von Herzen gern – wenn ich nur könnte. Ihr alle wißt, ich bin von Natur eine mitleidige Seele. Der Himmel hat mir kein eisernes Herz geschaffen, und es ist mir ja immer ein Hauptvergnügen, den Leuten meine kleinen Dienste zu leisten, wenn ich sehe, daß sie sich einander in allen Ehren gut sind. Was wäre denn dabei zu thun? –
Cléanthe. Denk' ein wenig nach, ich bitte dich.
Marianne. Zeige uns eine Aussicht! –
Elise. Erfinde ein Mittel, um den Knoten wieder zu lösen, den du geschürzt hast.
Frosine. Das ist nicht so leicht! (Zu Mariannen). Wenn es nur auf Eure Mutter ankäme, – die ließe schon mit sich reden, und man könnte sie vielleicht dahin bringen, das Geschenk, das sie dem Vater zugedacht hat, auf den Sohn zu übertragen. (Zu Cléanthen). Die Hauptschwierigkeit bleibt, daß Euer Vater Euer Vater ist.
Cléanthe. Das ist klar! –
Frosine. Ich meine, er wird es nie verzeihen, wenn man ihm einen Korb giebt, und wird nachher wenig Lust haben in Eure Heirat zu willigen. Man müßte es daher so abkarten, daß er selbst sein Wort zurücknähme, und ihm auf irgend eine Weise einen Widerwillen gegen das Fräulein beibringen.
Cléanthe. Da hast du recht.
Frosine. Freilich habe ich recht, das weiß ich wohl; so müßte man's angreifen, aber wie zum Henker soll man die Mittel finden? – Still! – Wenn wir eine nicht mehr ganz junge Frau auftreiben könnten, die ein Talent hätte wie ich, und die gut genug Komödie spielte, um eine Dame von Stand vorzustellen? Wir könnten sie schon in aller Eile gehörig herausstaffieren, und sie mit einem recht fremd klingenden Namen als Marquise oder Vicomtesse etwa aus der Bretagne auftreten lassen: ich würde es dann schon klug einfädeln, und Eurem Vater weiß machen, es sei eine reiche Person, die außer ihren Häusern noch hunderttausend Thaler bar hätte, sterblich in ihn verliebt wäre und keinen andern Wunsch hätte, als seine Frau zu werden, und ihm ihr ganzes Vermögen im Ehekontrakt zu verschreiben; dann zweifle ich nicht, er würde auf einen solchen Vorschlag eingehn. Denn er liebt Euch zwar, das weiß ich; aber sein Geld liebt er noch mehr; und wenn er durch solch einen Köder verblendet, nur erst auf Euch verzichtet hätte, so wäre nachher nichts daran gelegen, daß ihm die Augen aufgingen, und er erführe, wie es mit dem Kapital unsrer Marquise beschaffen wäre.
Cléanthe. Das alles ist sehr gut ausgedacht.
Frosine. Laßt mich nur machen. Mir fällt eben eine gute Freundin ein, die ganz für die Rolle paßt.
Cléanthe. Wenn dir's gelingt, Frosine, so rechne auf meine Dankbarkeit. Aber vor allem, liebste Marianne, laßt uns versuchen, Eure Mutter zu gewinnen; es ist schon viel erreicht, wenn wir diese Heirat rückgängig machen. Thut dazu Eurerseits, ich beschwöre Euch, was Ihr irgend könnt; ihre mütterliche Zärtlichkeit wird Euch Gewalt über sie geben. Ruft ohne Bedenken alle beredsame Anmut, allen unwiderstehlichen Reiz zu Hülfe, die der Himmel Euren Augen und Euren Lippen verliehn hat, und vergeßt ja keines jener zärtlichen Worte, keine jener sanften Bitten und jener rührenden Liebkosungen, denen niemand etwas abschlagen kann.
Marianne. Ich werde thun was ich vermag, und nichts vergessen.
Harpagon. Cléanthe. Marianne. Elise. Frosine.
Harpagon. (Beiseite, ohne bemerkt zu werden). Oho! mein Sohn küßt seiner künftigen Stiefmutter die Hand, und seine künftige Stiefmutter läßt sich's ganz ruhig gefallen! Sollte dahinter wohl etwas stecken?
Elise. Da kommt unser Vater.
Harpagon. Der Wagen ist angespannt und ihr könnt fahren, wenn es euch beliebt.
Cléanthe. Da Ihr nicht mitgeht, Vater, so will ich sie begleiten.
Harpagon. Nein, bleib hier; sie werden schon ohne dich fertig werden, und ich habe mit dir zu sprechen.
Harpagon. Cléanthe.
Harpagon. Nun also, abgesehn von deiner Stellung zu einer Stiefmutter, laß einmal hören, was du von dem Mädchen denkst?
Cléanthe. Was ich von ihr denke?
Harpagon. Ja, von ihrem Wesen, ihrer Figur, ihrer Schönheit, ihrem Verstande?
Cléanthe. O, so, so!
Harpagon. Ei! –
Cléanthe. Wenn ich offen gestehn soll, ich habe nicht in ihr gefunden, was ich mir erwartet hatte. Ihr Wesen ist das einer Erzkokette, ihre Haltung ist sehr linkisch, ihre Schönheit höchst mittelmäßig, und ihr Verstand ein ganz alltäglicher. Glaubt ja nicht, Vater, daß ich das sage um sie Euch zu verleiden; denn Stiefmutter bleibt Stiefmutter, und da ist diese mir am Ende ebenso lieb wie eine andre.
Harpagon. Du sagtest ihr aber doch vorher …
Cléanthe. Nun ja, ich sagte ihr einige Schmeicheleien in Eurem Namen; aber das that ich Euch zu Gefallen.
Harpagon. Daraus entnehme ich also, daß du wirklich gar keine Neigung für sie hast? –
Cléanthe. Ich? – ganz und gar keine! –
Harpagon. Thut mir leid, denn es verdirbt mir einen Plan, der mir eingefallen war. Ich stellte, während sie hier war, einige Betrachtungen über mein Alter an und überlegte mir, die Leute könnten vielleicht Glossen machen, wenn ich ein so junges Mädchen zur Frau nähme. Diese Gedanken brachten mich so weit, den ganzen Plan aufzugeben; und da ich doch einmal um sie angehalten habe, und mein Wort nicht zurücknehmen darf, hätte ich sie dir gegeben, wenn du mir nicht eben deine Abneigung gegen sie ausgesprochen hättest.
Cléanthe. Mir? –
Harpagon. Ja, dir.
Cléanthe. Zur Frau?
Harpagon. Versteht sich, zur Frau.
Cléanthe. Hört, Vater: sie ist zwar nicht allzusehr nach meinem Geschmack; aber um Euch gefällig zu sein, würde ich sie heiraten, wenn Ihr's wünscht.
Harpagon. Ich bin viel traktabler als du denkst, und ich will deiner Neigung keine Gewalt anthun.
Cléanthe. O verzeiht; Euch zu Liebe will ich mich darein fügen.
Harpagon. Nein, nein. Eine Heirat kann nicht glücklich sein, wenn sie ohne Neigung geschlossen wird.
Cléanthe. Die wird sich vielleicht nachher finden, Vater, denn man sagt ja, daß sehr oft die Liebe eine Frucht der Ehe ist.
Harpagon. Nein. Von seiten des Mannes ist solch ein Versuch nicht zu wagen; er könnte verdrießliche Folgen haben, denen ich mich in keinem Fall aussetzen möchte. Ja, wenn du einige Neigung für sie gehabt hättest, dann wäre es etwas anders gewesen; dann hättest du sie in Gottes Namen statt meiner heiraten können. Da das nun aber nicht der Fall ist, so werde ich auf meinen ersten Vorsatz zurückkommen und sie selbst heiraten.
Cléanthe. Nun wohl, Vater; weil die Sache denn so steht, will ich aufrichtig sprechen und Euch mein Geheimnis offenbaren. Die Wahrheit ist, daß ich sie liebe seit dem Tage, an welchem ich ihr zum erstenmal auf der Promenade begegnet bin; daß es schon längst meine Absicht war, sie mir von Euch zur Frau zu erbitten, und daß nichts mich davon zurückgehalten hat als die Erklärung Eurer Gesinnungen für sie und die Furcht, Euch zu mißfallen.
Harpagon. Hast du sie schon besucht?
Cléanthe. Ja, Vater.
Harpagon. Oft?
Cléanthe. Ziemlich oft für die kurze Zeit.
Harpagon. Hat man dich gut aufgenommen.
Cléanthe. Sehr gut, aber ohne zu wissen wer ich war; und deshalb war Marianne so überrascht, als sie mich sah.
Harpagon. Hast du ihr deine Leidenschaft und zugleich deine Absicht sie zu heiraten erklärt? –
Cléanthe. Allerdings. Auch gegen die Mutter habe ich etwas davon merken lassen.
Harpagon. Ging sie auf deinen Antrag ein?
Cléanthe. O ja; sie schien mir ganz geneigt.
Harpagon. Und die Tochter erwidert deine Liebe? –
Cléanthe. Wenn ich dem Anschein trauen darf, so glaube ich, Vater, daß sie mir ziemlich wohl will.
Harpagon. (Beiseite). Es ist mir recht lieb, daß ich hinter dies Geheimnis gekommen bin; das war gerade, was ich wollte. (Laut). Hört, mein Herr Sohn, wollt Ihr also jetzt wissen, woran Ihr Euch zu halten habt? – Ihr werdet so gut sein, Euch Eure Liebesgedanken aus dem Kopf zu schlagen, alle Eure Bemühungen um ein Mädchen, das ich für mich behalten will, aufzugeben, und mit nächstem die Dame zu heiraten, die ich für Euch ausgesucht habe.
Cléanthe. So also treibt Ihr Euer Spiel mit mir, Vater? – Nun gut; da es einmal so weit gekommen ist, erkläre ich Euch meinerseits, daß ich meine Leidenschaft für Marianne nicht aufgeben werde; daß ich vor keinem Äußersten zurückschrecken will, um Euch Eure Eroberung zu entreißen; und daß, wenn Ihr die Mutter auf Eurer Seite habt, ich vielleicht andre Verbündete finde, die für mich kämpfen.
Harpagon. Wie, du Galgenstrick, du hast die Frechheit, mir ins Gehege zu gehn?
Cléanthe. Umgekehrt! Ihr geht mir in das meinige, und ich habe das Vorrecht, hier der erste gewesen zu sein.
Harpagon. Bin ich nicht dein Vater? und mußt du nicht Respekt vor mir haben?
Cléanthe. In solchen Dingen brauchen Kinder den Eltern nicht nachzustehn; und die Liebe erkennt keine Gewalt über sich.
Harpagon. Ich werde dich mit meinem Stock nach mir fragen lehren! –
Cléanthe. Ich fürchte mich nicht vor Euren Drohungen.
Harpagon. Du entsagst Mariannen.
Cléanthe. Nun und nimmer!
Harpagon. Meinen Stock her! – meinen Stock! –
Harpagon. Cléanthe. Jacques.
Jacques. Ei, ei, ei, mein gnädiger Herr, was soll das bedeuten? Wo denkt Ihr hin? –
Cléanthe. 's ist zum Lachen! –
Jacques. (Zu Cléanthe). Ei, nicht so wild, Herr Cléanthe! –
Harpagon. So unverschämt mit mir zu reden! –
Jacques. Aber ums Himmels willen, gnädiger Herr! –
Cléanthe. Um kein Haar breit werde ich nachgeben! –
Jacques. (Zu Cléanthe). Wie, Herr Cléanthe, gegen Euren Vater?
Harpagon. Laß mich, sage ich.
Jacques. (Zu Harpagon). Wie, Herr Harpagon, gegen Euren Sohn? – Wenn's noch gegen mich wäre!
Harpagon. Du sollst selbst über die Sache urteilen, Meister Jacques, und einsehn, wie sehr ich in meinem Recht bin.
Jacques. Das will ich. (Zu Cléanthe). Tretet ein wenig auf die Seite!
Harpagon. Ich liebe ein Mädchen, das ich heiraten will; und der Galgenstrick da hat die Frechheit sie auch zu lieben, und will trotz meines Befehls nicht von ihr lassen.
Jacques. Ei, da hat er unrecht.
Harpagon. Ist denn das nicht unerhört? Ein Sohn, der gegen seinen Vater in die Schranken treten will? Und muß er mir nicht aus schuldigem Respekt freiwillig das Feld räumen? –
Jacques. Ihr habt recht. Laßt mich nur mit ihm reden und bleibt da.
Cléanthe. (Zu Jacques, der sich ihm genähert hat). Nun gut, weil er dich zum Schiedsrichter gewählt hat, so habe ich nichts dagegen; mir ist jeder recht, wer's auch sei, und du sollst entscheiden, Meister Jakob.
Jacques. Ihr erweist mir eine zu große Ehre, Herr Cléanthe.
Cléanthe. Ich bin sterblich in ein junges Mädchen verliebt, das mir gleichfalls gewogen ist, und meine Erklärung liebreich aufgenommen hat. Nun fällt es meinem Vater ein, unsre Liebe zu stören und selbst um sie anzuhalten.
Jacques. Da hat er unrecht; das muß jeder einsehn.
Cléanthe. Schämt er sich nicht, in seinem Alter noch an eine Heirat zu denken? Schickt sich's für ihn noch verliebt sein zu wollen? Sollte er das nicht uns jungen Leuten überlassen?
Jacques. Ihr habt recht; er ist wohl nicht gescheit. Laßt mich nur ein paar Worte mit ihm reden. (Zu Harpagon). Seht, Euer Sohn ist doch nicht so wunderlich als Ihr sagtet; er nimmt ja Vernunft an. Er sagt, er wisse recht gut, daß er Euch Respekt schuldig sei, und wäre nur in der ersten Hitze so heftig geworden; er wolle sich Euch aber in allem unterwerfen, wenn Ihr ihn ein wenig besser behandeln und ihm irgend ein Mädchen zur Frau geben wolltet, das ihm gefiele.
Harpagon. O, dann sag ihm, Meister Jakob, in dem Fall habe er alles von mir zu hoffen, und Mariannen ausgenommen, wolle ich ihm ganz freie Wahl lassen.
Jacques. Das will ich schon machen. (Zu Cléanthe). Seht, Euer Vater ist ja gar nicht so unverständig wie Ihr sagt; er hat mir versichert, er sei nur über Euer Auffahren so in Zorn geraten, und nur deshalb unzufrieden, weil Ihr's nicht auf die rechte Manier mit ihm anfingt. Er ist ganz geneigt Euch alles zuzugestehn, was Ihr wünscht, wenn Ihr's nur mit Sanftmut vortragt, und ihm die Achtung und den Respekt und Gehorsam erweist, die ein Sohn seinem Vater schuldig ist.
Cléanthe. Ach, Meister Jacques, du kannst ihm beteuern, daß wenn er mir Mariannen läßt , er den gehorsamsten aller Menschen in mir finden soll, und daß ich nie das Geringste gegen seinen Willen beginnen werde.
Jacques. (Zu Harpagon). Damit wären wir in Ordnung! Er wird alles thun was Ihr verlangt.
Harpagon. Das geht ja sehr gut.
Jacques. (Zu Cléanthe). Alles ist abgemacht; er ist mit Euren Versprechungen zufrieden.
Cléanthe. Gott sei gelobt! –
Jacques. Meine Herrn, jetzt dürft ihr nur weiter mit einander sprechen; ihr seid beide schon einig. Ihr zanktet vorhin bloß, weil ihr euch nicht recht verstanden hattet.
Cléanthe. Mein guter Meister Jakob, ich werde dir Zeit meines Lebens dafür dankbar sein.
Jacques. Keine Ursache, Herr Cléanthe.
Harpagon. Du hast mir wirklich einen Gefallen gethan, mein ehrlicher Meister Jacques, und das verdient eine Belohnung. (Harpagon greift in die Tasche, Jacques hält ihm die Hand hin, Harpagon aber zieht sein Schnupftuch heraus und sagt): Geh nur, ich werde dir's nicht vergessen, das versichere ich dir.
Jacques. Ich küsse Euch die Hand, gnädiger Herr.
Harpagon. Cléanthe.
Cléanthe. Ich bitte Euch um Verzeihung, Vater, wegen meiner Heftigkeit von vorhin.
Harpagon. Es ist schon gut! –
Cléanthe. Ich versichre Euch, daß sie mir von Herzen leid ist.
Harpagon. Und mir ist's herzlich lieb, daß du zur Vernunft gekommen bist.
Cléanthe. Wie gütig Ihr seid, meine Fehler so bald vergessen zu haben! –
Harpagon. Man verzeiht ja seinen Kindern leicht, wenn sie zu ihrer Pflicht zurückkehren.
Cléanthe. Und Ihr zürnt mir wirklich nicht mehr wegen aller meiner Thorheiten? –
Harpagon. Das dankst du der Unterwürfigkeit und dem Respekt, mit dem du dich meinen Wünschen gefügt hast.
Cléanthe. Ich verspreche Euch, Vater, daß ich bis an mein Ende das Andenken an Eure Güte bewahren werde.
Harpagon. Und ich verspreche dir, daß du alles in der Welt von mir erhalten sollst.
Cléanthe. Ach Vater, ich bitte Euch um nichts weiter. Ich bin ja überglücklich, seit Ihr mir Mariannen geschenkt habt.
Harpagon. Was sagst du da?
Cléanthe. Ich sage, daß ich Euch ohnehin schon Dank genug schuldig bin und daß mir nichts zu wünschen bleibt, nachdem Ihr die Großmut hattet, mir Mariannen zu überlassen.
Harpagon. Wer spricht denn davon, dir Mariannen abzutreten?
Cléanthe. Ihr selbst, Vater.
Harpagon. Ich? –
Cléanthe. Nun freilich.
Harpagon. Wie! Du hast ja eben erklärt, du wollest auf sie verzichten?
Cléanthe. Ich, auf sie verzichten?
Harpagon. Ja.
Cléanthe. Nun und nimmer.
Harpagon. Hast du nicht gesagt, du wollest keine Ansprüche auf sie machen?
Cléanthe. Im Gegenteil, ich bin fester als je entschlossen sie nicht aufzugeben.
Harpagon. Was, du Galgenstrick! fängst du noch einmal wieder an?
Cléanthe. Nichts wird mich davon abbringen.
Harpagon. Warte, Halunke, warte!
Cléanthe. Thut was Ihr wollt! –
Harpagon. Ich verbiete dir, mir je wieder unter die Augen zu treten.
Cléanthe. Immerhin! –
Harpagon. Ich ziehe meine Hand von dir ab!
Cléanthe. Zieht sie nur ab! –
Harpagon. Ich erkenne dich nicht länger für meinen Sohn! –
Cléanthe. Mir gleich! –
Harpagon. Ich enterbe dich!
Cléanthe. Wie es euch gefällt.
Harpagon. Und gebe dir meinen Fluch!
Cléanthe. Behaltet Eure Gaben; ich kann sie nicht brauchen! –
La Fléche. Cléanthe.
La Fléche. (Kommt aus dem Garten mit einer Kassette). Ach, gnädiger Herr, gut, daß ich Euch finde! Kommt schnell mit mir! –
Cléanthe. Was giebt's?
La Fléche. Kommt nur mit, sage ich: wir sind geborgen! –
Cléanthe. Wie so? –
La Fléche. Hier habe ich, was wir brauchen!
Cléanthe. Was denn?
La Fléche. Den ganzen Tag habe ich danach geschielt.
Cléanthe. Was ist es denn?
La Fléche. Der Schatz Eures Vaters, den ich erwischt habe!
Cléanthe. Wie hast du das angefangen?
La Fléche. Ihr sollt alles erfahren: jetzt aber fort, ich höre ihn schon schreien.
Harpagon. (Schon vom Garten her schreiend). Diebe! Diebe! Räuber, Mörder! Gerechtigkeit! O gerechter Himmel, ich bin verloren, ich bin ein geschlagner Mann, ich bin ermordet; sie haben mir den Hals umgedreht; sie haben mir mein Geld gestohlen. Wer kann's gewesen sein? Wo ist er? Wo hat er sich versteckt? Wo finde ich ihn? Wo laufe ich hin, wohin nicht? Ist er da, ist er dort? – Wer ist's? Halt! (Zu sich selbst, indem er sich an dem Arm packt). Gieb mir mein Geld wieder, Spitzbube! – Ach! ich bin es selbst. Mir schwindelt, ich weiß nicht wo ich bin, wer ich bin, und was ich thue. Ach, mein liebes Geld, mein liebes Geld, mein einziger Freund! Dich haben sie mir genommen, du bist mir entführt, und mit dir habe ich meinen Stab, meinen Trost, meine Freude verloren; es ist aus mit mir, und ich habe nichts mehr auf dieser Welt zu thun. Ohne dich kann ich nicht leben; ich bin hin, ich kann nicht mehr; ich sterbe, ich bin tot, ich bin begraben. Will mich denn niemand wieder aufwecken und mir mein liebes Geld wieder geben, oder mir sagen wer's genommen hat? Horch! Was sagt Ihr? Ach, es ist nichts. – Wer's auch gewesen ist, er muß mit großer Schlauheit die Zeit abgepaßt haben; er hat just den Augenblick benutzt, wo ich mit dem Halunken, meinem Sohn, sprach. Jetzt nur schnell fort: ich will die Gerichte holen; das ganze Haus soll mir auf die Folter, Mägde, Bedienten, Sohn, Tochter, ich selber! – Was für ein Haufen Leute da unten zusammensteht! Da ist keiner, der mir nicht verdächtig vorkommt, jeder sieht mir aus wie ein Dieb. He! Wovon wird da gesprochen? von meinem Räuber? Was ist das für ein Lärm dort oben? Ist mein Dieb da? Um Gotteswillen, wenn einer etwas von meinem Spitzbuben weiß, soll er mir's sagen! Hat er sich nicht unter Euch versteckt? Sie sehn mich alle an und lachen. Ihr habt gewiß Euren Anteil an dem Diebstahl. Geschwind, geschwind, Kommissäre her, Häscher her, Schließer, Gerichte, Daumschrauben, Galgen und Scharfrichter her! Die ganze Welt will ich hängen lassen, und wenn ich mein Geld nicht wiederfinde, erhänge ich mich selber.