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Harpagon. Cléanthe. Elise. Valère. Frau Claude, die einen Besen in der Hand hält. Jacques. La Merluche. Brind' avoine .
Harpagon. Seid Ihr alle da? – so kommt her, damit ich für euch hernach meine Befehle austeile, und jeder weiß, was er zu thun hat. Näher, Frau Claude, denn mit Euch will ich anfangen. So, da habt Ihr schon Euer Gewehr im Arm. Ihr wischt mir alles recht rein und nehmt Euch vor allen Dingen in acht, die Möbel nicht zu scharf abzureiben, damit Ihr sie nicht abnutzt. Außerdem installiere ich Euch während des Abendessens als Aufseherin über die Flaschen; und wenn mir eine abhanden kommt, oder sonst etwas zerbricht, so halte ich mich an Euch, und ziehe es Euch vom Lohn ab.
Jacques. (Beiseite). Sehr schlaue Politik! –
Harpagon. (Zu Frau Claude). Geht jetzt.
Harpagon. Cléanthe. Elise. Valère. Jacques. Brind' avoine. Merluche.
Harpagon. Euch, Brind' avoine und Euch, La Merluche, euch übertrage ich das Amt, die Gläser zu schwenken, und bei Tisch einzuschenken: aber nur, wenn einer Durst hat, und nicht, wie so oft die impertinenten Schlingel von Lakaien es machen, die die Gäste ordentlich zum Trinken auffordern, und sie drauf bringen, wenn sie gar nicht daran dachten. Wartet immer, bis ihr zweimal gerufen seid, und vergeßt mir nicht, gehörig Wasser dazu zu gießen.
Jacques. (Beiseite). Natürlich; der pure Wein steigt zu Kopf.
La Merluche. Ziehn wir die Livree an, gnädiger Herr? –
Harpagon. Ja, aber nicht eher, als bis ihr die Leute kommen seht, und dann nehmt euch in acht, daß ihr eure Kleider nicht verderbt.
Brind' avoine. Ihr wißt doch, gnädiger Herr, daß mein Wams auf der einen Vorderseite einen großen Ölfleck hat? –
La Merluche. Ja, gnädiger Herr, und meine Hosen sind hinten ganz durchlöchert, so daß man mit Ehren zu melden …
Harpagon. Still! – Stellt Euch nur so viel Ihr könnt recht nahe an die Wand und zeigt Eure Vorderseite. Und Ihr (Zu Brind' avoine) haltet Euren Hut nur immer so, wenn Ihr aufwartet. (Er macht es ihm vor).
Harpagon. Cléanthe. Elise. Valère. Jacques.
Harpagon. Du, meine Tochter, wirst ein wachsames Auge auf alles haben, was man abträgt, und aufpassen, daß nichts verschleppt wird; das steht einem Mädchen gut an. Einstweilen aber mache dich fertig, meine Zukünftige zu empfangen, die dir ihren Besuch machen und mit dir auf den Jahrmarkt fahren wird. Hast du mich verstanden? –
Elise. Ja, Vater.
Harpagon. Cléanthe. Valère. Jacques.
Harpagon. Und dir, mein Herr Fant, dem ich seine letzte Geschichte aus besondrer Güte verzeihen will, dir rate ich, daß du dir's nicht etwa einfallen lässest, sie schief anzusehn.
Cléanthe. Ich, Vater? ich sollte sie schief ansehn? und weshalb?
Harpagon. Ei, mein Gott, wir wissen ja, welchen Lärm die Kinder machen, deren Väter sich zum zweitenmal verheiraten, und mit was für Augen sie ihre sogenannte Stiefmutter anzusehn pflegen. Wenn dir aber darum zu thun ist, daß ich den Skandal von vorhin vergesse, so empfehle ich dir ganz besonders, daß du der jungen Dame artig entgegenkommst und sie so freundlich empfängst als dir's möglich ist.
Cléanthe. Aufrichtig gesagt, Vater, ich kann Euch nicht versprechen, daß mir's große Freude macht, wenn sie meine Stiefmutter wird: ich würde lügen, wenn ich Euch das sagte. Aber was das freundliche Entgegenkommen und den artigen Empfang betrifft, so gelobe ich Euch in diesem Punkte strikten Gehorsam.
Harpagon. Nimm dich nur in acht! –
Cléanthe. Ihr sollt nicht über mich zu klagen haben.
Harpagon. Das wollen wir hoffen.
Harpagon. Valère. Jacques.
Harpagon. Dich brauche ich auch, Valère. Jetzt also, Meister Jacques, kommt näher; Euch habe ich bis zuletzt gelassen.
Jacques. Wollt Ihr mit Eurem Kutscher sprechen, gnädiger Herr, oder mit Eurem Koch? – Denn ich bin eins wie das andre.
Harpagon. Mit beiden.
Jacques. Aber mit welchem zuerst?
Harpagon. Mit dem Koch.
Jacques. Dann seid so gut, und wartet ein wenig. (Er zieht seinen Stallkittel aus und erscheint als Koch).
Harpagon. Was zum Henker machst du für Umstände.
Jacques. Nun könnt Ihr anfangen.
Harpagon. Ich habe mich darauf eingelassen, Meister Jacques, heut abend Gäste einzuladen.
Jacques. (Beiseite). Ein wahres Weltwunder! –
Harpagon. Nun sag' einmal, kannst du uns etwas Gutes zu essen geben? –
Jacques. Warum nicht? Wenn Ihr mir recht viel Geld gebt? –
Harpagon. Was Teufel! Immer Geld! Es scheint, als hättet Ihr nie etwas anderes zu sagen, als Geld, Geld, Geld! – Sie haben immer alle das eine Wort auf der Zunge: Geld! – Sprechen nie von etwas anderem als von Geld! – Damit stehen sie auf und gehen damit zu Bett: immer und ewig nur Geld! –
Valère. Ich habe nie eine so alberne Antwort gehört, Meister Jacques. Als ob das eine Kunst wäre, eine gute Mahlzeit mit vielem Gelde herzurichten: das ist das Leichteste von der Welt, und kein Koch ist so einfältig, daß er das nicht verstände. Wer sich aber als geschickten Künstler zeigen will, der liefert etwas Gutes für wenig Geld.
Jacques. Etwas Gutes für wenig Geld! –
Valère. Ja wohl!
Jacques. Meiner Treu, Herr Haushofmeister, Ihr thätet mir einen Gefallen, wenn ihr mich das Kunststück lehrtet, und mein Amt als Koch übernähmt. Ihr wollt ja ohnehin das Faktotum hier im Hause vorstellen! –
Harpagon. Haltet das Maul! Was werden wir also nehmen! –
Jacques. Ihr habt ja da Euren Herrn Haushofmeister, der Euch eine gute Mahlzeit für wenig Geld besorgen will.
Harpagon. He, ich will eine Antwort auf meine Frage.
Jacques. Wie viel Personen habt Ihr eingeladen? –
Harpagon. Wir werden unser acht oder zehn sein; rechnen wir aber nur acht. Wenn für acht zu essen ist, haben auch zehn genug.
Valère. Das versteht sich.
Jacques. Nun gut, da brauchen wir also vier große Schüsseln und fünf Affietten; Potagen, – Entréen, –
Jacques. Als Braten …
Harpagon. (Hält ihm die Hand auf den Mund). Halunke, du bringst mich ja um mein ganzes Vermögen!
Jacques. Zwischengerichte …
Harpagon. Noch mehr?
Valère. (Zu Meister Jacques). Wollt Ihr's denn darauf anlegen, daß sich alle Gäste zu Tode essen sollen? Hat denn der gnädige Herr seine Freunde eingeladen, um sie durch eine solche Abfütterung umzubringen? Werft nur einmal einen Blick in die Regeln für die Erhaltung der Gesundheit, und fragt jeden Arzt, ob es etwas für den Menschen Schädlicheres giebt, als übermäßig viel zu essen!
Harpagon. Er hat recht.
Valère. Begreift doch, Meister Jacques, Ihr und Euresgleichen, daß eine so überfüllte Tafel zu einer wahren Mördergrube wird; daß, wenn man sich als aufrichtigen Freund seiner Gäste beweisen will, bei den Mahlzeiten die größte Mäßigkeit herrschen muß; und daß man nach dem Ausspruch eines alten Weltweisen ißt um zu leben, und nicht lebt um zu essen.
Harpagon. Ei wie schön war das ausgedrückt! – Komm her, Valère, für den Spruch muß ich dich umarmen. Das ist die geistreichste Sentenz, die ich in meinem Leben gehört habe: man muß leben um zu essen, und nicht essen um zu le… Nein, so war's nicht. Wie hast du doch gesagt? –
Valère. Man müsse essen um zu leben, und nicht leben um zu essen.
Harpagon. (Zu Jacques). Hörst du wohl? (Zu Valère). Wer ist der große Mann, der das gesagt hat? –
Valère. Ich kann mich nicht gleich an seinen Namen besinnen.
Harpagon. Schreib mir den Satz auf. Vergiß es nicht. Ich will ihn in goldenen Lettern über das Kamin meines Eßzimmers gravieren lassen.
Valère. Das soll geschehen. Und was Eure Abendtafel betrifft, so überlaßt mir nur alles; ich werde es Euch besorgen, wie sich's gehört.
Harpagon. Schön!
Jacques. Desto besser! Dann habe ich weniger Arbeit davon.
Harpagon. Wir müssen Gerichte nehmen, von denen man wenig ißt, und die gleich satt machen; so etwa eine gute Schüssel recht fette weiße Bohnen, und dazu eine Topfpastete mit recht viel Kastanien darin.
Valère. Verlaßt Euch auf mich.
Harpagon. Jetzt muß also gleich die Kutsche rein gemacht werden, Meister Jacques.
Jacques. Still, das geht den Kutscher an. (Zieht seinen Stallkittel wieder an). Ihr sagtet, …
Harpagon. Die Kutsche sollte ausgestäubt und die Pferde angespannt werden …
Jacques. Die Pferde, gnädiger Herr? Lieber Gott, die sind gar nicht imstande, sich von der Stelle zu rühren. Ich werde Euch nicht sagen, daß sie aus Hunger ihre Streu fressen, denn die armen Tiere haben keinen, und ich spräche nicht die Wahrheit; aber Ihr laßt sie so strenge Fasten halten, daß sie keine Pferde mehr sind; nein, nur noch Gedanken oder Gespenster, rechte Schatten von Pferden.
Harpagon. Was ist denn da viel zu klagen! Sie thun ja nichts!
Jacques. Und weil sie nichts thun, gnädiger Herr, sollen sie wohl auch nichts fressen? Es wäre viel besser für die armen guten Tiere, wenn sie viel arbeiten müßten, und hätten dafür auch viel zu fressen. Es geht mir allemal durchs Herz, wenn ich sie so klapperdürr sehe, denn ich habe meine Pferde so lieb, daß mir's immer zu Mute ist, als müßte ich selbst mit hungern, wenn sie so heruntergekommen dastehen. Ich knappe mir's täglich für sie am Munde ab, und muß Euch sagen, gnädiger Herr, so gar kein Mitleid mit seinem Nächsten zu haben, das ist allzu grausam.
Harpagon. Von hier bis auf den Markt werden sie doch wohl fahren können.
Jacques. Nein, ich traue mir's nicht zu, und würde mir ein Gewissen daraus machen, sie zu peitschen, so elend wie sie sind. Wie sollten sie wohl eine Kutsche schleppen? Sie können sich ja selbst kaum schleppen.
Valère. Gnädiger Herr, ich werde den Nachbar Picard bitten, daß er fährt: er muß uns ohnehin in der Küche helfen.
Jacques. Da habe ich nichts dagegen; ich will noch lieber, daß sie einem andern unter den Händen krepieren als mir.
Valère. Meister Jacques thut ja ungemein weise.
Jacques. Und der Herr Haushofmeister thut sehr wichtig.
Harpagon. Still!
Jacques. Gnädiger Herr, ich kann die Schmeichler nicht leiden; und ich sehe, daß der einer ist. Alles, was er thut, sein ewiges Aufpassen auf Brot und Wein, auf Salz und Lichter, ist nur um Euch zu kitzeln und den Hof zu machen. Das ärgert mich, und ich möchte aus der Haut fahren, wenn ich alle Tage hören muß, wie die Leute über Euch reden: denn ich mag wollen oder nicht, so halte ich immer noch etwas auf Euch, und nach meinen Pferden seid Ihr mir die liebste Person, die ich habe.
Harpagon. Nun, Meister Jacques, was sagen denn die Leute von mir? –
Jacques. Ja, wenn ich wüßte, daß Ihr nicht böse würdet, …
Harpagon. Nein, durchaus nicht.
Jacques. Verzeiht mir, ich weiß allzu gut, daß Ihr's übel nähmt.
Harpagon. Nicht im mindesten! Im Gegenteil, es geschähe mir ein Gefallen, und sollte mir ganz lieb sein einmal zu hören, wie man von mir spricht.
Jacques. Gnädiger Herr, wenn Ihr's denn nicht anders wollt, so will ich Euch frei heraus fragen, daß man sich allenthalben über Euch aufhält. Von allen Seiten bekommen wir Sticheleien über Euren Geiz zu hören, und die Leute finden ihr Hauptvergnügen daran, Euch durchzuhecheln, um sich immer neue Geschichten von Eurer Knauserei zu erzählen. Der eine spricht, Ihr ließet aparte Kalender drucken, in denen die Quatember und die Fasttage doppelt ständen, damit Eure Dienstboten weniger zu essen bekämen; ein anderer behauptet, Ihr hättet zur Zeit des Gesindewechsels oder um Neujahr stets einen Streit mit ihnen parat, um Euch die Geschenke zu sparen. Wieder einer versichert, Ihr hättet einmal Eures Nachbars Katze vor Gericht citiert, weil sie Euch ein Stück Schöpskeule gefressen; noch einer, Ihr wäret in der Nacht dabei betroffen worden, wie Ihr selbst Euren Pferden den Hafer aus der Krippe stahlt, und wie Euer Kutscher, mein Vorgänger, Euch in der Dunkelheit ich weiß nicht wieviel Stockschläge gegeben hätte, über die Ihr stillschweigen mußtet. Kurz, wenn Ihr's denn wissen wollt, man kann sich nirgends blicken lassen, wo man Euch nicht heruntermachen hört. Ihr seid die Fabel und der Kinderspott der ganzen Stadt, und heißt bei den Leuten nicht anders als der Geizteufel, der Knicker, der Filz und der Pfandwucherer.
Harpagon. (Schlägt ihn). Und du bist ein Esel, ein Schurke, und ein unverschämter Schlingel!
Jacques. Da haben wir's! Hatte ich nun nicht ganz recht? Ihr habt mir nicht glauben wollen. Ich wußte wohl, Ihr würdet zornig werden, wenn ich die Wahrheit sagte.
Harpagon. Ich will dich reden lehren! –
Valère. Jacques.
Valère. (Lacht). Das habt Ihr von Eurer Aufrichtigkeit, Meister Jacques.
Jacques. Sapperment, Ihr neugebackener Herr Haushofmeister, der sich hier so breit macht, was geht Euch das an? Ihr mögt lachen, wenn Ihr selbst einmal Schläge bekommt; um meine braucht Ihr Euch nicht zu kümmern.
Valère. Ei, mein lieber Meister Jacques, werdet nur nicht böse, ich bitte Euch.
Jacques. (Beiseite). Er giebt klein bei; nun will ich ihm die Zähne weisen, und wenn er so dumm ist, sich vor mir zu fürchten, klopfe ich ihm die Jacke aus. (Laut). Wißt Ihr auch, wie Ihr dasteht und lacht, daß es mir gar nicht lächerlich ist, und daß, wenn Ihr mir den Kopf warm macht, ich Euch ganz anders lachen lehren will? (Er droht Valère und drängt ihn in den Hintergrund der Bühne).
Valère. O, nur sachte! –
Jacques. Was, sachte! – Ich will aber nicht! –
Valère. Seid doch vernünftig! –
Jacques. Ihr seid ein unverschämter Kerl!
Valère. Mein lieber Meister Jacques!
Jacques. Ich bin nicht Euer lieber Meister Jacques, und wenn ich einen Stock finde, so werde ich Euch wamsen, daß es eine Art haben soll.
Valère. Was? Einen Stock? – (Er drängt Jacques in den Hintergrund).
Jacques. Ei, es war ja nicht so schlimm gemeint! –
Valère. Wißt Ihr wohl, Ihr Hasenfuß, daß mir's in den Fingern juckt, Euch selbst durchzuprügeln?
Jacques. Daran zweifle ich nicht.
Valère. Daß Ihr alles in allem nichts weiter seid als ein lumpiger Koch? –
Jacques. Ja, ja. Das weiß ich wohl!
Valère. Und daß Ihr mich noch gar nicht kennt?
Jacques. Nehmt's nur nicht übel!
Valère. Ihr wollt mich wamsen, sagt Ihr?
Jacques. Das war ja nur mein Spaß! –
Valère. Euer Spaß gefällt mir aber nicht; (Er giebt ihm Stockschläge). ich will Euch zeigen, daß Ihr ein schlechter Spaßmacher seid! –
Jacques. Hole der Henker die Aufrichtigkeit! – Es ist ein schlechtes Handwerk; von nun an befasse ich mich nicht mehr mit ihr, und will mich wohl hüten, wieder die Wahrheit zu sagen. Von meinem gnädigen Herrn mag's noch hingehen, der hat so quasi das Recht, mich zu prügeln; aber dem Herrn Haushofmeister werde ich's gedenken, wenn ich kann.
Marianne. Frosine. Jacques.
Frosine. Wißt Ihr, Meister Jacques, ob Euer Herr zu Hause ist?
Jacques. Ja, das ist er; ich weiß es nur zu gut.
Frosine. Seid so gut und sagt ihm, daß wir hier sind.
Marianne. Frosine.
Marianne. Ach, Frosine, wie seltsam ist mir zumut! Und aufrichtig gestanden, wie fürchte ich mich vor dieser Zusammenkunft!
Frosine. Warum denn? Und was macht Euch so unruhig? –
Marianne. Ach, könnt Ihr noch fragen? Wer wäre denn nicht außer sich, wenn er im nächsten Augenblick zum Richtblock geführt werden soll? –
Frosine. Ich begreife freilich, daß Ihr, um auf eine angenehme Weise zu sterben, lieber einen andern Block umarmen möchtet als Herrn Harpagon, und ich lese in Euren Mienen, daß der junge Blondkopf, von dem Ihr mir erzähltet, Euch wieder ein wenig in den Sinn kommt.
Marianne. Ja, Frosine, ich will's nicht leugnen, und gestehe dir gern, daß seine ehrerbietigen Besuche bei uns nicht ohne Eindruck auf mich geblieben sind.
Frosine. Habt Ihr denn erfahren, wer er ist? –
Marianne. Nein; wer er ist, weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß ich ihn höchst liebenswürdig finde; daß, wenn alles von meiner Wahl abhinge, ich ihn jedem andern vorziehen würde, und daß er nicht wenig dazu beiträgt, mir die für mich bestimmte Heirat zu verleiden.
Frosine. Liebe Zeit! Alle die jungen blonden Köpfe sind liebenswürdig und verstehen es, sich einzuschmeicheln; aber die meisten sind arm wie die Kirchmäuse: Ihr steht Euch sehr viel besser, wenn Ihr einen alten Herrn nehmt, der Euch recht viel hinterläßt. Ich gebe zu, daß das ein großer Entschluß ist, und daß man mit einem solchen Mann allerlei zu überwinden hat. Aber es dauert ja nicht lange, und sein Tod, das glaubt mir, wird Euch sehr bald dazu verhelfen, einen zu wählen, der Euch gefällt, und der alles wieder gut machen wird.
Marianne. Mein Gott, Frosine, es ist aber doch eine betrübte Sache, wenn man, um glücklich zu werden, den Tod eines andern herbeiwünschen oder erwarten muß; und überdem richtet der Tod sich selten nach unsern Plänen.
Frosine. Ihr scherzt wohl! – Ihr heiratet unter keiner andern Bedingung, als daß er Euch bald zur Witwe mache; das muß einer der Artikel im Kontrakt sein. Er wäre ja wahrhaftig sehr rücksichtslos, wenn er nicht in drei Monaten sterben wollte! Da kommt er in eigner Person.
Marianne. Ach, Frosine, welche Figur! –
Harpagon. Marianne. Frosine.
Harpagon. Zürnt mir nicht, meine Schöne, wenn ich mit der Brille vor Euch erscheine. Ich weiß, daß Eure Reize genugsam in die Augen fallen und ohnedies sichtbar genug sind, um sie auch ohne Gläser zu erkennen: aber man beobachtet ja auch mit Gläsern die Gestirne, und ich behaupte und verbürge mich dafür, daß Ihr ein Stern seid, – aber ein Stern erster Größe, der schönste Stern im ganzen Sternenreich. – Frosine, sie antwortet keine Silbe, und verrät, wie mir scheint, gar keine Freude, mich zu sehen?
Frosine. Sie ist noch zu überrascht; und dann wißt Ihr ja, die Mädchen schämen sich immer, ihre Gefühle gleich zu verraten.
Harpagon. (Zu Frosinen). Du hast recht. (Zu Mariannen). Hier, mein schöner Engel, kommt meine Tochter, die Euch willkommen heißen will.
Harpagon. Elise. Marianne. Frosine.
Marianne. Ich hätte Euch meinen Besuch schon längst abstatten sollen, mein Fräulein.
Elise. Ihr habt gethan, was ich hätte thun sollen: es wäre an mir gewesen, mein Fräulein, Euch zuvorzukommen.
Harpagon. Ihr seht, sie ist schon groß; aber Unkraut wächst immer am schnellsten.
Marianne. (Leise zu Frosinen). Der widerwärtige Alte! –
Harpagon. (Leise zu Frosinen). Was sagt das schöne Kind?
Frosine. Sie findet Euch höchst liebenswürdig.
Harpagon. Ihr erzeigt mir zu viel Ehre, mein reizender Engel.
Marianne. (Beiseite). Wie unerträglich! –
Harpagon. Eure Güte beschämt mich! –
Marianne. (Beiseite). Ich halte es nicht länger aus.
Harpagon. Marianne. Elise. Cléanthe. Valère. Frosine. Brind' avoine.
Harpagon. Da kommt auch mein Sohn, um Euch seine Aufwartung zu machen.
Marianne. (Leise zu Frosinen). O, Frosine, welcher Zufall! – Er ist's! Derselbe, von dem ich Euch gesprochen habe! –
Frosine. (Zu Mariannen). Das ist eine schöne Geschichte.
Harpagon. Ich sehe, Ihr wundert Euch, daß ich so große Kinder habe; aber ich werde sie mir bald alle beide vom Halse schaffen.
Cléanthe. Wenn ich Euch die Wahrheit sagen soll, mein Fräulein, so war ich auf dieses Zusammentreffen freilich nicht gefaßt; und mein Vater hat mich nicht wenig überrascht, als er mir eben seinen Entschluß mitteilte.
Marianne. Ich kann Euch dasselbe versichern. Diese unvermutete Begegnung überrascht mich ebenso sehr als Euch, und ich war auf ein solches Wiedersehen nicht vorbereitet.
Cléanthe. Gewiß konnte mein Vater nicht besser wählen, mein Fräulein, und die Ehre, Euch hier zu sehen, gewährt mir das größte Vergnügen; aber mit alledem könnte ich Euch doch nicht versprechen, daß ich mich darüber freuen würde, wenn Ihr meine Stiefmutter werden solltet. Es wird mir zu schwer, das gestehe ich, Euch als solche zu begrüßen, und es ist ein Name, den ich – mit Eurer Erlaubnis – Euch nicht wünsche. Was ich da sage, könnte manchem unhöflich scheinen; aber ich bin gewiß, Ihr werdet meine Worte richtig zu würdigen wissen. Es ist eine Heirat, mein Fräulein, die mir, wie Ihr wohl einseht, zuwider sein muß; es kann Euch nicht entgehen, wie sehr sie mein eigenes Interesse verletzt; und Ihr werdet mir's nicht verdenken, wenn ich, mit Erlaubnis meines Vaters, Euch geradezu versichere, daß, wenn's bei mir stände, diese Verbindung nicht zu stande käme.
Harpagon. Ist das eine unpassende Begrüßung! – Schöne Beichte, die er ihr da ablegt! –
Marianne. Und ich habe Euch darauf zu erwidern, daß es mir ebenso geht; und daß, sowie Ihr es ungern seht, wenn ich Eure Stiefmutter würde, mir's ebenso zuwider sein würde, Euch zum Stiefsohn zu haben. Glaubt ja nicht, daß es an mir lag, Euch diesen Verdruß zu machen. Es sollte mir leid sein, Euch unzufrieden zu sehen; und wenn mich nicht eine unabweisliche Notwendigkeit dazu zwingt, gebe ich Euch mein Wort, nie in eine Heirat zu willigen, die Euch unangenehm ist.
Harpagon. Das war recht; auf ein solches Kompliment gehört sich eine solche Antwort. Ich bitte Euch um Verzeihung, meine Schöne, wegen seiner ungehörigen Art sich auszudrücken; er ist ein junger Laffe, der das Gewicht der Worte noch nicht kennt.
Marianne. Ich kann Euch versichern, daß mir das, was er gesagt hat, gar nicht beleidigend vorkam; im Gegenteil, es machte mir Vergnügen, ihn seine wahrhaften Gesinnungen aussprechen zu hören. Sein Geständnis war mir ganz lieb, und ich würde sehr viel weniger von ihm halten, wenn er anders gesprochen hätte.
Harpagon. Ihr seid allzugütig, seinen Verstoß noch entschuldigen zu wollen. Mit der Zeit wird er schon klüger werden, und Ihr werdet sehen, daß er bald ganz anders darüber denken wird.
Cléanthe. Nein, Vater, das wäre mir nie möglich, und ich bitte das Fräulein inständigst, davon überzeugt zu sein.
Harpagon. Aber da sehe einer die Ungezogenheit! Er macht's ja nur immer ärger! –
Cléanthe. Soll ich denn gegen meine Überzeugung sprechen? –
Harpagon. Wahrhaftig, er bleibt dabei. Wirst du endlich aus einem anderm Tone sprechen? –
Cléanthe. Nun, wenn Euch dieser Ton nicht gefällt, so werde ich einen andern versuchen. Erlaubt, mein Fräulein, daß ich meines Vaters Stelle vertrete, und Euch gestehe, daß ich nie ein so reizendes Wesen in der Welt gesehen habe, als Euch; daß ich mir nichts Entzückenderes vorstellen kann, als das Glück, Euch zu gefallen; und daß der Titel, Euer Gatte zu sein, einen Ruhm, eine Seligkeit in sich schließt, die ich dem Glanz der größten Fürsten dieser Erde vorziehen würde. Ja, mein Fräulein, das Glück, Euch zu besitzen, ist in meinen Augen das schönste Los, das einem Sterblichen werden kann: darauf beschränkt sich mein ganzer Ehrgeiz. Es giebt nichts, dessen ich nicht fähig wäre, um einen so kostbaren Schatz zu erobern, und die mächtigsten Hindernisse …
Harpagon. Sachte, sachte, mein Herr Sohn, mit Eurer Erlaubnis …
Cléanthe. Ich spreche zu dem Fräulein in Eurem Namen.
Harpagon. Ei was! Ich habe selbst eine Zunge, und brauche dich nicht als Sachwalter. … Heda! Bringt Stühle! –
Frosine. Nein, ich schlage vor, daß wir gleich auf den Markt fahren, um desto eher wieder hier zu sein; wir haben hernach noch alle Zeit, uns zu unterhalten.
Harpagon. (Zu Brind' avoine). Anspannen! –
Harpagon. Marianne. Elise. Cléanthe. Valère. Frosine.
Harpagon. (Zu Mariannen). Ich bitte Euch, mich zu entschuldigen, meine Schöne, daß ich nicht daran gedacht habe, Euch vorher eine kleine Kollation anzubieten.
Cléanthe. Dafür habe ich gesorgt, Vater. Ich habe einige Schalen mit Apfelsinen, süßen Citronen und Konfekt bestellt, die ich in Eurem Namen habe holen lassen.
Harpagon. (Leise zu Valère). Valère! –
Valère. (Zu Harpagon). Er muß übergeschnappt sein! –
Cléanthe. Findet Ihr's vielleicht nicht genug? Das Fräulein wird Nachsicht haben.
Marianne. Es war ja gar nicht nötig.
Cléanthe. Habt Ihr jemals, mein Fräulein, einen Diamant schöner funkeln sehen, als diesen hier, den mein Vater am Finger trägt?
Marianne. Es ist wahr, er hat ein ungewöhnliches Feuer.
Cléanthe. (Zieht den Diamant vom Finger seines Vaters und überreicht ihn Mariannen). Ihr müßt ihn in der Nähe betrachten.
Marianne. Gewiß, er ist sehr schön, und spielt in den herrlichsten Farben.
Cléanthe. (Stellt sich vor Marianne, die den Ring zurückgeben will). O nein, mein Fräulein, er ist in viel zu schönen Händen. Mein Vater macht Euch ein Geschenk damit.
Harpagon. Ich? –
Cléanthe. Nicht wahr, Vater, Ihr wollt, daß das Fräulein ihn Euch zu Liebe behalte?
Harpagon. (Leise zu seinem Sohn). Was?
Cléanthe. (Zu Mariannen). Da ist nichts zu besinnen. Er macht ein Zeichen, daß ich Euch bitten soll, ihn anzunehmen.
Marianne. Ich will aber doch nicht …
Cléanthe. (Zu Mariannen). Ihr scherzt wohl? Es fällt ihm nicht ein, ihn wieder zu nehmen.
Harpagon. (Beiseite). Das ist ja um des Teufels zu werden! –
Marianne. Das wäre …
Cléanthe. (Der Mariannen immer verhindert, den Ring zurückzugeben). Nein, sage ich Euch; Ihr würdet ihn kränken.
Marianne. Ich bitte, …
Cléanthe. In keinem Fall! –
Harpagon. (Beiseite). Daß ihn doch die Pest …
Cléanthe. Seht nur, er wird schon ungehalten über Eure Weigerung.
Harpagon. (Leise zu seinem Sohn). Halunke!
Cléanthe. (Zu Mariannen). Ihr werdet ihn zur Verzweiflung bringen!
Harpagon. (Leise zu seinem Sohn, dem er droht). Schurke! –
Cléanthe. Vater, es ist nicht meine Schuld. Ich dringe in Sie, soviel ich kann, daß sie den Ring behalte: aber sie ist unerbittlich.
Harpagon. (Leise und drohend). Galgenstrick! –
Cléanthe. (Zu Mariannen). Ihr habt es auf dem Gewissen, mein Fräulein, daß mein Vater mit mir zankt.
Harpagon. (Leise zu Cléanthe mit demselben Spiel). Bösewicht! –
Cléanthe. Ihr werdet ihn noch krank machen: ich bitte Euch um alles, mein Fräulein, weigert Euch doch nicht länger!
Frosine. Mein Gott, was für Umstände! Behaltet doch den Ring, wenn der gnädige Herr es durchaus will! –
Marianne. Um Euch nicht zu erzürnen, behalte ich ihn jetzt, und werde ihn Euch zu gelegnerer Zeit wieder zurückgeben.
Harpagon. Marianne. Elise. Cléanthe. Valère. Frosine. Brind' avoine.
Brind' avoine. Gnädiger Herr, es ist jemand da, der Euch sprechen will.
Harpagon. Sag ihm, ich sei verhindert; er soll ein andermal wiederkommen.
Brind' avoine. Er bringt euch Geld, sagt er.
Harpagon. (Zu Mariannen). Ich bitte um Vergebung, gleich werde ich wieder da sein.
Harpagon. Marianne. Elise. Cléanthe. Valère. Frosine. La Merluche.
La Merluche. (Läuft herein und stößt Harpagon, daß er hinfällt). Gnädiger Herr …
Harpagon. Au! Ich bin des Todes!
Cléanthe. Was ist's, Vater? Habt Ihr Euch auch Schaden gethan? –
Harpagon. Der Schurke war gewiß von meinen Schuldnern bestochen worden, damit er mir das Genick brechen sollte!
Valère. (Zu Harpagon). Es wird nichts zu sagen haben.
La Merluche. (Zu Harpagon). Gnädiger Herr, ich bitte um Verzeihung, ich dachte es recht gut zu machen, wenn ich so schnell liefe.
Harpagon. Was wolltest du denn hier, du Esel? –
La Merluche. Ich wollte Euch nur sagen, daß beide Pferde ihre Eisen verloren haben.
Harpagon. Nun, so führe sie gleich zum Schmied.
Cléanthe. Bis sie beschlagen werden, will ich statt Eurer den Wirt machen, Vater, und das Fräulein in den Garten führen, wo man die Erfrischungen auftragen soll.
Harpagon. Valère.
Harpagon. Valère, habe ein Auge auf das alles, ich bitte dich – und rette mir so viel du kannst; ich will es dem Kaufmann wieder schicken.
Valère. Schon gut.
Harpagon. O du ungeratener Sohn! – Willst du mich denn zugrunde richten? –