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Lestyák blieb bei der Schilfmauer und zerbrach sich den Kopf darüber, was er beginnen, wohin er sich wenden sollte. In seinem schweren Kopfe zerflossen die Gedanken wie geschmolzenes Blei, seine Glieder nahm eine Schlaffheit gefangen, an seiner Seele nagte die Selbstanklage: »Ich habe schlecht gehandelt, es war eine egoistische Feigheit.« Eine peinigende Unruhe stach ihn wie mit Dornen.
Düster blickte er vor sich hin.
»Wohin führt mich nun mein Weg ...?«
Der Nebel zerteilte sich ein wenig und unweit erglänzte das Riesenauge des Sees Csalános, wie wenn er ihm zwinkernd zugerufen hätte: »Komm, Lestyák, es wird am vernünftigsten sein, wenn du dich hierher legst, dich mit einer silbernen Decke zudeckst und auf einem weichen Sandpolster träumst!... Dies ist der geradeste Weg.«
Einige Schritte machte er gegen den Teich, aber ein Strauch stellte sich ihm in den Weg, der höchste in der ganzen Gegend; die dünnen Äste hatten die kleinen Schneeflocken überdeckt: er bemerkte sie nicht und stolperte über dieselben. Und als sein Ohr in diesem bitteren Augenblicke den Körper der »lieben Mutter« berührte, da hörte er, fühlte er plötzlich, daß derselbe weit weg erbebte, der dumpfe Schall von tausend Pferdehufen war vernehmbar. Er schauerte zusammen. »Ach, es kommen die Tartaren gegen die Stadt.«
Doch ruhiger ward es, wie wenn der Lärm sich verzöge, er wurde immer leiser und leiser, bald aber ging er ganz unter. Nur ein Pferd näherte sich. Top! Top! Ja, wahrlich, es ist nur ein Pferd, und bei Gott die Czinna sitzt darauf. Lestyák sprang in die Höhe, er wischte gar nicht den Schmutz von seinen Kleidern, er lief ihr atemlos entgegen.
»Du bist hier? Es fehlt dir nichts? Du bist wirklich hier? Was geschah?«
Czinna lächelte munter. Bevor sie antwortete, blies sie ihr Gesichtchen in mädchenhaftem Übermut heldenhaft auf:
»Es geschah nichts anderes, wie ich gehorsamst melde, als daß ich die Tartaren vertrieben habe. Sie laufen wie besessen.«
»Schwatze nicht!«
Dies sollte so viel heißen: »Ich bitte dich, rede, rede!« Sie sprach auch, doch vorerst streifte ihr glänzender Blick mit großer Liebe den beschneiten grünen Kaftan.
»Dieser Mantel ist schon etwas wert, mein Herr Max.«
»Wirklich?«
»Als ihn Olaj Beg gewahrte, stieg er vom Pferde, küßte den Saum dreimal und fragte dann mit großer Demut, was ich befehle. Ich habe ihm nun befohlen, daß sie sofort sich von dannen heben. Sie folgten sofort und zogen ab.«
Lestyák stand mit offenem Munde da.
»Ist es möglich? Hat er wirklich eine solche Zauberkraft?«
»So geschah es, Wort für Wort. Ich habe aber nicht viel Zeit zu plaudern. Nehmen Sie den Kaftan, hier ist Ihr Pferd, setzen Sie sich darauf. Ich werde mich auf einem andern Weg entfernen.«
»Potztausend! Das ist ja ein wahrhaftiges Wunder!« jubelte Max, der sich vor Staunen nicht erholen konnte. »Dann ist ja dieser Kaftan ein großer Schatz!«
»Das will ich wohl glauben. Jedoch beeilen Sie sich, denn sie könnten kommen. Es ist mir, als wenn ich schon schwarze rollende Wagen, von der Stadt kommend, sähe.«
Lestyáks Stirn verfinsterte sich.
»Du hast recht, Czinna, sage niemandem etwas! Ich danke dir für das, was du gethan hast. Ich werde mit dir noch später sprechen ... heute noch. Jawohl, ich spreche noch mit dir, Czinna.«
»Schon gut,« meinte der fesche Bursche und verschwand gegen den Ried hin.
Lestyák ging den geraden Weg. In der That fand er die lange Wagenreihe bald vor sich; diese brachte Brot und Holz, der Marczi trieb die Ochsen mit saftigen Verwünschungen an. Vor dem Wagen ritt einer der Triumvirn, Herr Samuel Holéczi, den nervus rerum in der an seiner Seite hängenden gelben Ledertasche tragend. Jenes Weib aber auf einem Wagen, umgeben von hold geröteten Brotlaiben, es ist bei Gott Frau Fábián; sie ist aus bloßer Neugierde mit von der Partie, um doch endlich einen »hundsköpfigen Tartaren« zu schauen; und neben ihr kauert der redegewandte Paul Fekete, mit den blinzelnden Hasenaugen eine Schrift lesend.
»Seht da! Ist das nicht der Lestyák?« stammelten betroffen die Kecskeméter. »Der kommt aus dem Jenseits!«
Samuel Holéczi, der dem Lestyák niemals so recht gram war (man weiß ja, daß die Lutheraner immer zu einander halten) und den überdies eine quälende Neugierde befiel, richtete an Herrn Max in weichem Tone die Frage:
»Nicht wahr, es ist nur Eure Seele, Amice, nicht Ihr selbst?«
»Potztausend, nein, ich bin es selbst ohne meine Seele,« brummte Lestyák bitterlich (wer weiß, woran er eben dachte?) »Aber Ihr, wohin wandert Ihr denn?«
»Es nahen Gäste unserer Gemarkung,« meinte in gemütlichem Galgenhumor Holéczi. »Wir bringen ihnen eine kleine Kollation entgegen.« (Der edle Herr war zumeist bei gesegneter Laune.)
»Die werden aber nicht leicht zu erreichen sein!«
»So?«
»Freilich, sie sind schon über alle Berge. Gingen fort ohne Verabschiedung.«
»Ist das möglich?« quiekte die Frau Fábián dazwischen.
»Schade!« grämte sich Herr Fekete. »Da komme ich um eine meiner schönsten Reden.«
Lestyák erzählte die Geschichte mit dem Mantel, ob welcher das Antlitz des Herrn Samuel Holéczi augenblicklich alle Farben zu spielen begann.
»Kein kleiner Fall,« brummte er, sich die stumpfe Nase mißvergnügt kratzend. »Kein kleiner Fall, hm ... dergleichen hat sich wohl, seitdem die Welt besteht, noch niemals zugetragen.«
Indessen seine Verlegenheit währte nur einen Augenblick; er war ein abgefeimter, schlauer Fuchs, der sich leicht wieder auf die Höhe der Situation zu schwingen verstand.
»He, ihr Fuhrleute, nun kehret wieder um! Ein großer Tag ist für Kecskemét angebrochen.«
Dann aber sprang er aus dem Sattel und sprach in ehrerbietigem Tone:
»Schwingt Euch auf mein Pferd, Herr Max Lestyák. Es ist mir ein Kummer und eine Schande, Euch im Sattel jenes Kleppergauls zu sehen.«
»Laßt das nur. Ich danke. Mein Roß ist gut genug für mich. Wenn drei Triumvirn mich auf dasselbe gesetzt, so ist einer nicht genug, um mich aus dessen Sattel zu bringen.«
»So mag denn Herr Fekete mein Pferd besteigen, um der Stadt die Kunde von dem Geschehenen zu überbringen.«
Das war aber dem »Cicero der Stadt« just recht, so fand er Gelegenheit, für die ausgefallene Rede eine andere zu halten.
»Freilich geh' ich. Wie sollt' ich nicht gehen? 'S ist ja eine wahre Freude, so ein schönes Tier zu reiten. Aber gebt mir eine Gerte dazu, da es mir nun einmal an Sporen fehlt.«
Man brauchte keine Peitsche für den feurigen Renner, er galoppierte mit dem großen Orator von dannen, wie die Fohlen des Märchens, denen man in die Futtersäcke glühende Kohlen als Futter steckt. Fekete selbst aber schwitzte und pustete, er war, als er am Platz anlangte, völlig durchnäßt. Hier verkündete er dem sich immer mehr und mehr ansammelnden Volke mit kühnen Redewendungen die besondere Gnade Gottes, mit der dieser die Stadt bedachte, indem ein totes Kleidungsstück beredt wurde und den Erzfeind von den Grenzen verjagte.
»Es geschah ein Wunder. Edle Bürger Kecskeméts, lasset die Glocken läuten. Der habgierige Olaj Beg warf sich zur Erde und küßte den Mantel Lestyáks dreimal demütig und fragte ihn zerknirscht: >Was befiehlst du, Abgesandter der Stadt Kecskemét?< Hierauf erhob Herr Lestyák junior sein Haupt und antwortete: >Stört nicht meine Kreise – das heißt, hebt Euch von dannen.< Und so kommen sie zurück, die Wagen mit Brot, die Ochsen, die Geldbeutel, der Triumvir und Max Lestyák.«
Ein großer Freudenschrei war nun vernehmbar. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von Straße zu Straße. Von Haus zu Haus wurde die Nachricht getragen. Die gefallenen, verhaßten Senatoren kamen wieder ans Tageslicht, sich unter das Volk mengend. Poroßnoki wurde mit Eljenrufen begrüßt, dem alten Inokai machte man entblößten Hauptes eine Gasse. Von Herrn Franz Kriston verlangte man mit großem Lärm, er möge reden; dieser zögerte auch nicht lange, stellte sich auf ein Krautfaß inmitten des Marktes und sprach blos:
»Ich verlange von Euch Gerechtigkeit für jenen genialen Jüngling, der diesen großen Sieg erfocht.«
»Gerechtigkeit!« widerhallte es aus tausend Kehlen.
Die Bevölkerung wogte auf und ab, wie ein angeschwollener Strom. Lärm, Leben herrschte überall – Männer und Frauen erzählten das Wunder des redenden Mantels. Freilich flickte noch jeder etwas am Zeug. Eine große Begeisterung atmeten die Leute ein. Jeder bewegte sich hin und her, jeder schrie etwas anderes, und jeder dachte sich etwas.
Schöne aufblühende Knospen, junge Mädchen kleideten die Frauen von Kopf bis zu Fuß in Weiß, ehrsame Bürger stürzten in den Stall der Stadt, um die berühmten vier Rapphengste einzuspannen (schnell die Bänder in ihre Mähnen), alte Männer schleppten die Böller auf die Straße. Unterwegs suchten sie den Feuerwerker bei den »drei Äpfeln« auf. (Kommen Sie doch, Herr Hupka, wenn Sie einen Gott anerkennen. – »Nur noch einen Schluck!« bat Hupka.)
Hochehrwürden Herr Péter Molitoriß, der lutheranische Pfarrer, stieg selbst in den Turm des heiligen Nikolaus, damit er im gelegenen Momente die Glocken läute. Aus den Dachluken krochen die Fahnenstangen heraus mit ihren schlängelnden, wehenden trikoloren Flügeln. Ein wenig fahl sind sie schon; sie sind noch aus der Zeit BethlensEin Fürst Siebenbürgens. herübergekommen. Seitdem blühten auch die Kecskeméter Hausdächer gar wenig. Die elf gefallenen Senatoren hingen rasch die silberknöpfigen Mentes an, banden die rasselnden Säbel um und nun stehen sie schon im Halbkreise beim Thore des Stadthauses.
Eine bedeutend schwierigere Aufgabe fiel dem Herrn Paul Fekete zu (woraus erhellt, daß nicht gleichmäßige Aufgaben die Schultern der Männer des öffentlichen Lebens bedrücken), er mußte das Manuskript umarbeiten; die Benennung mächtiger Beg mußte gestrichen werden, statt dieser Ansprache mußte hingeschrieben werden: »Glorreicher Patriot.« Statt der: »Wir kamen zu dir« mußte es heißen: »Du kamst zu uns zurück« &c. (Gleichviel, es wird sich das doch ganz hübsch machen.)
Obschon improvisiert, ging alles vortrefflich; nur der Galawagen verspätete sich ein wenig; doch die Böller erdröhnten gleichzeitig, die Glocken klangen feierlich und als Lestyáks Gestalt erschien, da flutete ein Jubelgetöse durch die Straßen, das lawinengleich sich fortwälzte, weithin, bis an die Pforten des Stadthauses. Da war es, wo der Gefeierte abstieg, die wohlgesetzte Rede des Herrn Paul Fekete anhörte, den weißgekleideten Jungfrauen einen lächelnden Gruß zunickte, den verstoßenen Senatoren die Hand drückte und den Herrn Poroßnoki vollends umarmte – woraufhin man ihn auf die Schultern hob, um ihn im Siegeszuge in das Stadthaus emporzutragen und zuletzt am Präsidentenstuhle des grünen Ratstisches abzusetzen.
So wie der Lärm sich ein wenig gelegt (denn der Saal war voll der Notabilitäten des Gemeinwesens), erbat sich der schneeköpfige Mathäus Pußta das Wort und feierte mit leiser, wie Wespengesumme tönender Stimme Lestyáks Verdienste, um schließlich auszurufen:
»Laßt ihn uns zum lebenslänglichen Oberrichter Kecskeméts erwählen.«
Hei, wie das Gemäuer ob des Jubelgeschreies erbebte! Es dauerte Minuten, ehe Kaspar Permete zu Worte kam und sich verständlich machen konnte, ob er gleich mit allen Vieren gestikulierend andeuten wollte, daß er ungemein Wichtiges zu sagen habe.
»Ich aber, Kaspar Permete, der ich sothane Obrigkeit vor zwölf Jahren durch ein Wort meines Mundes zu Falle gebracht, ich stehe nicht an, zu erklären, daß ihm selbst die lebenslängliche Übertragung unserer höchsten Würde eine zu kurze Frist sei.«
»Nach seinem Tode kann er doch nicht gut präsidieren!« warf Herr Gerson Zeke ein.
»Doch, doch ... Laßt es uns aussprechen und ins Protokoll aufnehmen, daß gleichwie die heilige Krone unseres Landes in der von Gottes Gnaden ruhmreich regierenden Familie Habsburg sich von Vater auf Sohn vererbt, desgleichen der Oberrichterstab auf die männlichen Nachkommen Lestyáks übergehen möge für und für.«
G e r s o n Z e k e: »Es giebt doch wohl noch einen kleinen Unterschied zwischen den beiden.«
K a s p a r P e r m e t e (wütend): »Es giebt keinen!«
G e r s o n Z e k e: »Die Krone ist aus Gold, der Oberrichterstab aber aus dem Holz der Kornelienstaude!«
Diesen kleinen Konflikt unterbrach Herr Johann Deák aus der Czegléder Gasse, der im Geruche eines sehr weisen Mannes stand.
»Vetter Zeke ist im Rechte, denn die Krone glänzet stark auch auf schwachen Häuptern, allein der Richterstab wird stets schwach in schwachen Händen sein. Mithin geht es nicht an, diesen Stab blindlings noch ungeborenen Nachkommen in die Hände zu drücken. Indessen ist es ungeziemend, diesen großen Tag durch derlei Gezanke zu entweihen. Wir wollen auf den Pfaden des ehrwürdigen Ernstes bleiben und nichts überhasten, denn es wird uns niemand Dank dafür wissen, wenn wir ihm eine Würde anbieten, die derzeit noch ein anderer inne hat. Die Versammlung möge daher beschließen, daß das ohnedies nur provisorisch errichtete Triumvirat abgeschafft wird.«
»Die sind ja freiwillig durchgebrannt! Keiner von ihnen wagt es, sich zu zeigen!« klang es von allen Seiten.
»Sonach möget ihr die alten Senatoren wiederwählen und es kann dann die protokollarische Inaugurierung der lebenslänglichen Oberrichterschaft Lestyák's stattfinden.«
Überflüssig zu sagen, daß alldies angenommen wurde. Der neue Oberrichter saß so würdevoll da wie ein Dynast und nickte kühlen Dank mit dem Kopfe. Sein Antlitz, bis dahin bleich, färbte sich jedoch scharlachrot, als sich die Rufe erhoben:
»Wir wollen die Geschichte mit dem Mantel hören! Er selbst soll sie uns zum Besten geben!«
Nervös bewegte er sich auf dem Sessel hin und her, wie wenn eine eiserne Faust seine Kehle zusammenschnürte. Den Fall mit Olaj Beg Hunderten zu erzählen ... Eine Scene, die er nie durchlebt, die er nie gesehen hat. Lügen vor dem Angesichte der ganzen Stadt! Ach, welch' großer Fehler war es, daß er nicht ins Lager gegangen war. Der Teufel brachte ihm jenes Mädchen in den Weg. Und wenn er schon nicht dort war, wäre es besser gewesen dies einzugestehen. Jetzt ist es schon unmöglich, unmöglich ...
Je größer seine Herrlichkeit war, um so mehr zerriß seine Seele das Bewußtsein, daß ein unerwarteter Windhauch dieselbe zerstören könnte, die Ohren des Midas wurden ja auch entdeckt. Er hatte das Gefühl, als hätte er seinen Ruhm gestohlen, er konnte sich desselben nicht freuen, und doch, er gebührte ihm ja, denn er war es, der den Mantel erworben hatte.
Hinter dem Lehnstuhl des Oberrichters schwebte ein unangenehmer Schatten.
»Hört! Hört!« tönte es immer lebhafter und intensiver.
Es gab kein Entrinnen. Verlegen nahm er den Kaftan ab und legte ihn auf den grünen Tisch. Hier der wertvolle Schatz der Stadt Kecskemét. Dann erzählte er stotternd noch einmal die wundersame Geschichte des grünen Mantels. Laute Ausbrüche der Freude würzten seinen Vortrag; jeder jubelte, nur eine gebrochene Gestalt weinte in der letzten Bank. Der mächtige Oberrichter, nunmehr der Diktator von Kecskemét, stand auf, ging zu dem schluchzenden Manne, nahm ihn bei der Hand und sprach:
»Und jetzt gehen wir, mein guter Vater. Ich will daheim ein wenig ausruhen.«
Im kleinen Thore warteten schon die kleine Erzsi und der Laczi. Die Krapfen waren schon hübsch gebacken und auch das PörköltUngarische Nationalspeise. war schon vollkommen, das Spanferkel bereits ausgekühlt, gerade gut, daß sie kommen.
»Ich habe es dir nicht gesagt, mein lieber Sohn, freilich, wann hätte ich es dir sagen sollen, daß ich mit einem Gesellen arbeite, das heißt, wir arbeiten jetzt schon zu Zweien.«
Der Oberrichter machte ein gleichgiltiges Gesicht.
»Der junge Bursche dort?«
»Ich mußte ihn acceptieren, als ich nach Ofen zum Pascha intervenieren ging. Denn ich habe dich zum Oberrichter gemacht, daß du es nun erfahrest (das Auge des Alten schimmerte grünlich). Der alte Lestyák ist ein ganzer Mann; was?.... Der Geselle, sage ich, war zur Arbeit nötig, obzwar ich nicht bemerke, daß er auch nur das Geringste gemacht hat. Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, zu erforschen, was er kann. Bisher habe ich die Politik gemacht. Lache nicht, Junge, sonst werde ich bös. Von nun an wirst du sie machen. Ein großartiges Blut, das der Lestyák. Aber schau, wir sind ja schon zu Hause.«
Wie süß ist das Elternhaus, wenn man es lange nicht gesehen hat. Gemütlich raucht der Schornstein, munter nicken die Zweige des alten Birnbaumes, im Hofe springt uns der Hund Bodri entgegen, im Zimmer die Katze Czirmos, es lachen die Steinkrüge, die bekannten Thongefäße an der Wand, die Möbel beginnen zu erzählen, es flackert das Feuer im großen Ofen und wirft einen flammenden Streif auf die braune Thür.
Der Alte seufzte:
»Deine arme, gute Mutter, wenn man sie zu diesem Tage erwecken könnte!«
Man bringt das Essen, die Düfte desselben erfüllen das Zimmer, die Erzsi geht hin und her, so auch der Geselle Laczi.
»Lauf', mein Laczi, in den Keller, lauf und spute dich. Du aber, mein Sohn, setze dich nieder, denn ich weiß, du bist hungrig, die Gefangenenkost hat dich herabgebracht. Ich habe seit dem Schreckenstage ebenfalls nichts gegessen. Vorerst hinderte mich die Trauer und jetzt die große Freude. Ich habe in Ofen gelebt, wie das Pferd des Nikolaus Toldy. Nur daß ich dich befreit habe.«
»Ibrahim Pascha ist ein braver Mann,« flüsterte der Oberrichter zerstreut (die eigenartige Situation Czinna gegenüber hatte ihn nervös gemacht).
»Ach bewahre! Ein arger Hund ist der Alte, zuerst war er wütend über mich, es fehlte nicht viel und auch ich wäre ins Kühle gekommen.«
»Warum?«
»Wegen des Zigeunermädchens, wenn du dich ihrer erinnern kannst. Ist die Suppe vielleicht nicht genügend gesalzen? Bringe das Salzfaß herein, du Laczi!«
Laczi zitterte wie Espenlaub.
»Was fehlt denn dir? Fürchtest du dich vor meinem Sohne? Der beißt ja nicht, wenn er auch ein großer Herr ist.«
»Ich danke, ich bedarf des Salzes nicht. Also des Mädchens willen zürnte Ibrahim?«
»Er sagt, sie sei mit Euch durchgegangen und solange wir sie nicht zurückgeben, oder nicht eingestehen wo sie ist, läßt er auch mich einsperren ... Ich sagte, ich hätte seitdem nicht einmal ihren Schatten gesehen.«
»Das haben Sie nicht vernünftig gemacht –« murmelte der Oberrichter. »Und das Weitere?«
»Zum Glück kam eben zu jener Zeit der amtliche Bericht, daß man die Kleider des Mädchens am Theißufer aufgefunden und auch den Leichnam aus dem Flusse gefischt hat.«
»Ach,« unterbrach ihn der Oberrichter munter. »Ist das Mädchen gestorben?«
»Was!« schrie der Geselle und ließ die Bratenschüssel fallen, die er eben ans dem Ofen gehoben hatte, um sie auf den Tisch zu setzen.
Der Meister fuhr ihn wütend an:
»Du Lümmel! Hebe es auf, dann aber verschwinde!« Bald hiernach lachte er aber schon: »Gar manches Wunder geschieht heute, die toten Ferkel gehen auch schon durch.« (Das schön rot gebratene Tier kollerte bis unter das Bett.)
Laczi schlich krebsrot zur Thür.
»Halt!« rief der Oberrichter, winkte ihm zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Jetzt kannst du hinausgehen.«
»Willst du etwas? Ich möchte es lieber der Erzsi sagen. Dieser ist ungeschickt,« sagte er, dem Knaben nachblickend, »ich glaube nicht, daß er vom Schneiderhandwerk viel versteht. Es ist dies, mein Sohn, ein großartiges Handwerk, eine herrliche Wissenschaft. Die Korrigierung der Schöpfungen Gottes; ich korrigiere den häßlichen Leib und bringe Männlichkeit in die schiefen Schultern. Es ist dies schon etwas, mein Söhnchen.« (Der alte Schneider fuhr begeistert durch seine schütteren Flachshaare.) »Es ist schade um den Jungen, er hat ein so sanftes, liebes Gesicht, daß er ganz gut ein Mädchen sein könnte.«
»Heutigen Tages ist gar nichts unmöglich, mein lieber Vater.«
»Das ist schon richtig, aber iß doch vom Braten. Wir haben auch noch Krapfen. Ißt du den Kopf nicht gern?«
»Ich esse schon, aber Sie, mein Vater, haben ja das Ende des Ofner Ausfluges noch immer nicht erzählt.«
»Als die amtliche Verständigung anlangte, wurde Ibrahim sofort guter Laune, du kannst dir ja denken, wie ihn der Sultan bedrängte. Er sandte sofort die Beweise des Todesfalles zum Padischah, mich rief er zu sich, klopfte mir auf die Schulter, indem er sagte: >Ich sehe, ihr seid rechtschaffene Leute,< (wir Lestyáks waren dies zu jeder Zeit). >Hier ist der Befehl, deinen Sohn frei zu geben, jedoch sage es nicht, du Hund, daß du es unentgeltlich bekommen hast, denn damit würdest du mich zu Grunde richten;< und so gelangte ich zu dem Ferman.«
»Er hat es übereilt.«
»Wer? Ich?«
»Nein, der Pascha.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»So sehen Sie dorthin.«
Durch die offene Thür schwebte heiter lächelnd Czinna, das Zigeunermädchen, herein, sie hatte ein nettes Spitzenhemd an und ein schwarzgetupftes Tuch: das Festgewand der Erzsike. Der alte Lestyák taumelte zurück.
»Eine feste Burg ist unser Gott!« schrie der Alte entsetzt und kalte Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. »Das Zigeunermädchen! Von dannen, du Gespenst!«
»Es ist ja kein Gespenst, mein lieber Vater, sondern sie selbst.«
»Hole mich der Teufel, wenn ich es glaube.«
Man hörte ein Klopfen an der Thür, nicht als ob der Teufel auf den Lockruf gekommen wäre. Gewiß nicht. Der Senator Máté Pußta trat ein in Begleitung Paul Feketes und Gáspár Permetes.
»Gott zum Gruß! Nehmen Sie Platz bei uns. Was bringen die Herren?«
»Uns sendet die Versammlung vor das Angesicht Euer Wohlgeboren.«
»Bereitwilligst lauschen wir euren Worten,« sagte der Oberrichter würdevoll.
Sie erzählten sonach kurz, was die Versammlung nach seinem Abschied beschlossen habe: »Um den Herrn Agoston geht eine Deputation nach Waitzen, das ist eins (dies ist sehr vernünftig), zweitens aber wird der Kaftan dreißig Tage hindurch öffentlich zur Schau gestellt; jeder kann ihn unentgeltlich bewundern, der Arme, wie der Reiche, der hier Weilende, wie der Fremde, nur der Groß-Köröser zahlt zehn Denare.« (Auch dies ist sehr richtig.)
»Der wichtigste Beschluß aber ist,« fuhr Máté Pußta fort, »daß wir aus der Kirche des heiligen Nikolaus den Reliquienhälter herüberbringen ließen; darin wird der Kaftan versperrt sein bei Tag und bei Nacht. Den Schlüssel sendet die Versammlung Ihnen, Herr Oberrichter, daß Sie darauf achten, wie auf Ihr Augenlicht und ihn an einem Orte verwahren, wohin keine fremde Hand gelangen kann.«
Damit überreichte er den an einer grünen Schnur hängenden Schlüssel dem Oberrichter.
»Ich gehorche der Versammlung.«
Er übernahm den Schlüssel, stand auf, trat zu Czinna und hängte ihr denselben um den Hals.
»Berge ihn an deiner Brust, Czinna.«
Czinna errötete bis über die Ohren; sie zog mit einer unwillkürlichen Bewegung das rote Tuch über die Augen, freilich kamen da rückwärts die knabenhaften kurzen Haare zum Vorschein.
Herr Máté Pußta bewegte, gegen das Fenster sich wendend, seinen großen Kopf; das also ist der Ort, wohin keine fremde Hand gelangen kann. Der schneeweiße Busen eines schönen Mädchens.
Der Schneider rief lebhaft aus:
» Canis mater! Der Geselle Laczi.« (Er erkannte ihn an den Haaren.)
Der Oberrichter lächelte.
»So ist es, mein lieber Vater, wenn einmal die Wunder beginnen. Es wird dies einmal zur Chronik werden, wie aus dem Schneidergesellen eine Oberrichtersfrau wurde.«
Die Glorie der Verklärung glänzte auf der Stirn des Mädchens, die magische Kraft seines Blickes vermochte sie aber nicht weiter zu ertragen. Sie glaubte vor Glückseligkeit sterben zu müssen. Ihre Hand ans Herz drückend, stürzte sie aus dem Zimmer. Der Schneider sprang giftig wie ein Hamster in die Höhe.
»Was treibst du für Kabalen mit mir? Wenn du nicht Oberrichter der Stadt Kecskemét wärest, möchte ich dir wohl etwas sagen. Dein Glück dies, wahrlich, dein Glück. Und was bedeuten deine komischen Worte. Was hast du vor?«
»Ich nehme sie zur Frau.«
»Du, zeitlebens Oberrichter der Stadt Kecskemét?«
»Warum nicht?«
Der Alte ließ traurig den Kopf hängen.
»Der Ofner Pascha läßt uns beide umbringen, wenn er es erfährt.«
»Auch gegen den Pascha schützt mich der Mantel. Im übrigen sucht man ja Czinna nicht mehr, da sie sich schon in den Gedanken gefunden haben, daß sie in der Theiß ertrunken sei.«
»Es wird sich schon jemand finden, der es ihm einflüstert. Aber reden Sie doch um Gottes willen, meine Herren, raten Sie ihm ab, stehen Sie doch nicht da wie Holzklötze.«
Auf diese Anrede nahm Gáspár Permete das Wort und redete ihm zu, daß der Herr Oberrichter unter den reichsten Mädchen der Stadt wählen könne; fünfzehn auf jeden Finger, diese niedere Abstammung aber passe nicht zu seinem hohen Rang.
»Das ist nur so gesagt,« meinte Max lachend. »Wie, wenn Czinna von den ägyptischen Königen abstammt?«
»Das, Herr Oberrichter, zu beweisen, würde schwer halten.«
»Genau so schwer, wie Ihnen das Gegenteil, daß sie nicht von den Pharaonen abstammt.«
Permete lachte, auch Máté Pußta lachte; denn die Meinung Máté Pußtas war: »Der Oberrichter weiß schon, was er thut. Man braucht ihm nie dreinzureden.«
Paul Fekete aber nahm die ethische Seite der Sache:
»Eine Oberrichtersfrau kann nicht jede sein, es muß wenigstens eine Person sein, die des Lesens und der Schrift mächtig, in allen Dingen bewandert und dabei eine kluge Person ist.«
»Eh!« meinte Max Lestyák ärgerlich, »der ehrenwerte Seneca meint, es ist genug für die Frau, wenn sie so viel weiß, daß, wenn der Regen tropft, man unter das Dach gehen muß.«
»Hier reden wir wohl vergebens,« rief Herr Permete achselzuckend und einen guten Abend wünschend zog er auch die anderen aus dem Zimmer.
Unterwegs streuten die Herren in drei Richtungen den Roman der Czinna aus.
Es tagten auch heute überall die Klatschbasen.
»Sie hat einen Zauber an ihm verübt, sie hat ihm etwas ins Getränk gemischt, anders ist es unbegreiflich. Es ist entsetzlich, wie fürchterlich so ein kluger Mann straucheln kann.«
Besser noch als den Klatschbasen gefiel die Geschichte dem Balázs Putnoki. Noch in derselben Nacht machte er sich auf den Weg zum Ofner Pascha, um diesem anzuzeigen, daß das Zigeunermädchen lebe. Max Lestyák halte sie verborgen und wolle sie zur Frau nehmen. Er kam aber beim Ofner Pascha merkwürdig an, wie es sich später herausstellte. Dieser hörte ihn an und fragte ihn dann mit gerunzelter Stirn:
»Du behauptest also, daß sie lebt?« – »Jawohl sie lebt.« Der Pascha winkte die Leibgarde herbei. »Führet den Mann hinaus, laßt ihm fünfzig Stockhiebe auf die Fußsohlen geben und bringet ihn dann wieder herein.« Als sie ihn zurückbrachten, frug Ibrahim überaus liebenswürdig: »Nun, lebt das Mädchen noch immer?« – »Bewahre, sie lebt nicht mehr, gnadenreicher Pascha.« Ibrahim rieb sich vergnügt die Hände. »Lerne es, du Mann, daß eine Person, von der ich dem Sultan einmal referierte, daß sie nicht lebt, zum mindesten sechs Fuß tief unter der Erde liegt.«
So erging es dem verräterischen Putnoki, aber ein Glück wie dasjenige Max Lestyáks gehört auch zu den Seltenheiten. In herrlichstem Glanze schien die Sonne auf ihn hernieder. Seine Macht wuchs von Tag zu Tag, sein Ansehen festigte sich auch nach außen.
Kecskemét begann eine große Rolle zu spielen. Der Mantel war ein ganzes Heer wert, das den Feind zügelte. Ein Heer, das keiner Montur, keiner Munition bedurfte, dem nichts schaden konnte, höchstens die Motten.
Die Kecskeméter fürchteten keinen Feind mehr. Im Gegenteil, sie warteten mit vielem Vergnügen auf den Augenblick, wo eine herumstreifende Türkenschaar mit ihnen anknüpfe. Es war dies immer ein großes Amüsement für das Volk. Der Oberrichter zog zu solch' einer Zeit mit dem Rappen der Stadt hinaus, vier HaiduckenBerittene städtische Beamte. ritten vor ihm, vier hinter ihm, die Männer, Frauen, Kinder, gar oft die ganze Stadt kamen mit, um den berauschenden Anblick zu genießen, wie die türkischen Führer zum Mantelkusse sich neigten und wie sie den Oberrichter demütig fragten:
»Mein Herr, was befiehlst du?«
Ganze Legenden schwirrten im Lande von dem Zauberkaftan, mit allerlei bunten Anhängseln verziert. – Bald hieß es, daß derselbe in Zeiten der Gefahr spreche und dem Richter Rat erteile, dann erzählte man, daß der Kranke, der ihn berührt, gesundet, die Witwe oder Jungfrau, die ihn küßt, heiratet. Die Klügeren behaupteten, daß der Kaftan kein besonderes Wunder Gottes sei, sondern daß seine ganze Kraft darin bestehe, daß mit der Unterschrift des Sultans der Satz hineingestickt sei: »Gehorchet dem Träger des Mantels.« Herr Michael Lestyák selbst, der das weltberühmte Kleidungsstück fachmännisch betrachtete, meinte verächtlich:
»Daran ist nichts Besonderes. Auch ich nähe einen solchen, wenn ich Lust dazu habe.«
Die Wunderkraft des Kaftans warf ein magisches Licht auf die Person. Max kleidete sich in das farbenprächtige Kleid der Legenden. An schönen Abenden erzählte man von ihm in den Hütten in einer Entfernung von Hunderten von Meilen. Weit unter Szegedin, während der Kahn des Fischers mit leisem Plätschern die Wellen durchschneidet, träumt er selbst: »Was mag wohl der Kecskeméter Oberrichter machen?«
Er ißt goldenen Speck zur Jause mit einem Karfunkelmesser. Der sprechende Kaftan sagte seinem Feind nicht nur: »Hebt Euch weg von Kecskemét,« sondern er sagte auch dem guten Freunde und den glänzenden Kremnitzer Dukaten: »Kommt her nach Kecskemét.« Reiche Leute, edle Herren kamen mit ihren Schätzen hierher, um in der sichersten Stadt zu wohnen; die Eltern sandten am liebsten ihre Kinder dahin, damals erschienen in den Straßen Kecskeméts das erstemal die verschiedenen Studententypen, die seitdem dort bestehen; die Schule blühte, die Bewohner bereicherten sich märchenhaft rasch.
Freilich hat alles seine schlechten Seiten. Der Mantel zeugte das viele Geld, das viele Geld zeugte die vielen Pustenbetyáren und Räuber, die immer wieder Einfälle in das Kecskeméter Gebiet wagten. Jedoch auch jedes schlechte Ding hat seine guten Seiten, der Betyáren wegen verkündete man das Standrecht und da das Komitat sich nicht frei bewegen konnte, wurde das Recht des Blutbannes provisorisch auf den Kecskeméter Magistrat übertragen. Noch ein Haar und Kecskemét wird königliche Freistadt.