Koloman Mikszáth
Der Zauberkaftan
Koloman Mikszáth

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Viertes Kapitel.

Die Pfaffen wurden weggeführt, die Kecskeméter Volksrevolution schlief ein und der denkwürdige Tag rückte heran, an welchem man nach Ofen zog mit den Geschenken – zum türkischen Kaiser. Die Kleider waren fertig und an den letzten drei Tagen wurden sie auf dem Stadthause zur allgemeinen Besichtigung ausgestellt. Nun, das gab eine Prozession. Der Heiduck Pintyö behütete den großen Tisch, auf welchem die Schätze verlockend ausgebreitet waren. Der alte Gyurka stand dort wie ein Cherub, statt des Flammenschwertes hielt er den Haselnußstab in der Hand. So schön war all der Flitter, daß er selbst darüber betroffen zu sein schien. Solche Fetzen sind den Frauengesichtern eine große Nachhilfe. Die hübscheren Frauenzimmer ermutigte er zuweilen, auch das gehörte zu seinem Amte. »Probieren Sie es nur, mein Täubchen, dort im anderen Zimmer.« Und wer hätte widerstanden? Gab es ein Herz, welches nicht lauter gepocht hätte, einen Blick, der nicht gefangen genommen worden wäre? Alle Pracht von »Tausend und eine Nacht« ist nichts dagegen. Wie viele Mägdelein trippelten furchtsam wie Rehe um all diese Herrlichkeiten und ließen die Blicke sanft über dieselben schweifen, allein alsbald öffneten sich die Augen weit und begannen zu leuchten wie zwei flammende Lichter, die Glieder begannen leise zu beben, die Schläfen brannten und pulsierten rasch, und zu solcher Zeit begann dann der Heiducke zu sprechen: »Probier's doch, mein Täubchen!« Und sie probierten es und wären sie daran gestorben! Allein wehe, wer den Glanz einmal angelegt. Herrliche Bänder wurden ihnen in die Haare geflochten, der Leib wurde schlank geschnürt, man legte ihnen wunderbar gestickte Hemden, Kleider aus himmelblauer Seide an, in welche silberne Halbmonde gestickt waren, und dann die karmoisinroten Stiefelchen und den blendenden Schmuck: »Na, mein Seelchen, jetzt besieh dich doch einmal!« Man stellte einen Spiegel vor sie hin und die Mädchen begannen zu jubeln vor Freude: sie sahen ein Feenmärchen. Und wenn sie sich also bewunderten, vor Sehnsucht brennend, mit wogendem Busen und mit dem süßen Hunger der Eitelkeit, da trat wieder der Cherub vor: »Na, jetzt war's aber genug, entkleide dich – oder wenn es dir beliebt, so geh' für alle Zeit in solchen Kleidern einher.«

Welche hätte wohl die Kraft, zu sagen: »Ich lache Euch aus« und das bezaubernde Mieder zu öffnen, die wundervollen Kleidchen vom Leib zu schälen, die reizenden Karmoisinstiefelchen abzulegen, den funkelnden Schmuck abzulösen und wieder hineinzukriechen in die alten Kittel. Alle wollten den Versuch machen – keine einzige aber legte die Herrlichkeit gern ab. Selbst ältere Frauenspersonen bekamen bald das Fieber, sie hätten sich gern in diesen Kleidern gesehen – und es waren ihrer, bei Gott, solche, die man in Szegedin als Hexen verbrannt hätte. Schließlich mußte gar ein Verbot erlassen werden. Nur die Schönen, Waisen und Armen durften die Kleider probieren. Gevatter Pintyö hatte es so weit gebracht: er bestimmte, wer schön sei. Paris hatte nur einen Apfel, er hatte einen ganzen Korb voll. Man bewarb sich aber auch um seine Protektion mit bezauberndem Lächeln, mit Schinken und Kuchen, auch ein Krug voll Wein stellte sich von da und dort ein. Denn es war ja das kein kleines Amt. Dies stellte sich sozusagen erst später heraus, als es nach zehn, zwanzig Jahren den Frauen ein gewisses Ansehen gab, wenn sie sagen konnten: »Oho, mich hat kein Storch ausgebrütet, auf meinem Leib prangten auch einst die Kleider der Lestyák.« Es wurde beinahe ein Sprichwort daraus. Wie erst damals, als die Sache noch warm war, konnte es da gleichgültig sein, wer die Kleider tragen durfte und wer nicht, wer amtlicherseits schön gefunden wurde und wer unbrauchbar war? Gar viele bittere, brennende Thränen wurden da geweint. Ich will den Alten nicht des Mißbrauchs der Amtsgewalt anklagen, auch dessen nicht, daß er sich bestechen ließ (es fiele auch ein wenig schwer, dies heute, nach zweihundert Jahren beweisen zu wollen) aber Thatsache ist einmal, daß er gar viele Taktlosigkeiten beging. Da war zum Beispiel die Geschichte mit dem Zigeunermädchen.

Es kam nämlich die Kleine, in Lumpen gehüllt, barfuß, zerzaust, ließ die großen Augen über die Schätze hinfliegen und der Mund blieb ihr offen stehen. Wie glänzende Perlen aus dem Orient funkelten die weißen Zähne im roten Mündchen. (Der alte Esel nahm es gar nicht wahr.) Sie war noch ein Kind, schlank zwar, aber kräftig gebaut. Lange strich sie um die Schätze herum, zauderte, bis sie den Heiducken endlich anredete: »Und ich – darf ich wohl?«

Gyuri Bácsi blieb erst wie Eis, dann sagte er verächtlich: »Wozu ein Hufeisen an einer Kröte Fuß? Geh' zum Teufel?«

Als wäre jedes Wort eine Wolke gewesen, die sich auf das Antlitz des Mädchens herabließ, so traurig wurde das Kind. Selbst dieses wild aufgewachsene Eichhörnchen wurde von dem Tand gebannt. Es wandte sich ab und wischte mit dem Arm die hervorquellenden Thränen aus den Augen.

Zum Glück – oder vielleicht zum Unglück – war der Oberrichter eben im Zimmer und betrachtete ihren Kummer. Er berührte mit der Hand ihre Schulter. Erschreckt fuhr sie in die Höhe. »Wähle unter diesen Kleidern und kleide dich an.«

Zagend schaute sie zu ihm auf. »Der erlaubt es nicht!« (Sie zeigte mit einer Gebärde auf Pintyö.)

»Aber wenn ich es gestatte, ich, der Oberrichter der Stadt.«

Sie lächelte unter Thränen, indem sie ihn anschaute. »Du befiehlst hier? Wahrhaftig?«

»Pintyö,« sprach der Oberrichter lächelnd, »tragen Sie der Kleinen das schönste Kleid hinein. Sehen wir zu, was man aus ihr machen kann.«

Sie konnten es schon nach einer Viertelstunde sehen. Als sie aus dem Ankleidezimmer trat, gewaschen und angekleidet, da hörte man ein Murmeln der Bewunderung. Ist's ein Traumgebilde oder ein lebendes Wesen? Sie war wie eine Königstochter von blendender Schönheit. Das kirschrote seidene Leibchen ließ entzückende Formen vermuten, der Rock schlängelte sich anmutig bis zu den Knöcheln. Ihre Lippen wetteiferten an Röte mit dem Rubin und ihr tiefschwarzer Zopf lief so weit hinunter, als er nur etwas von ihrem Körper, sich daran zu schmiegen, fand.

»Wessen Tochter bist du?« fragte der Oberrichter entzückt.

»Des alten Bürü Tochter, der beim >Schmucken Husaren< zu musizieren pflegt.« (Der >Schmucke Husar< war eine berüchtigte Csárda unter den TanyenEine Niederlassung. des Theißufers.)

»Wie heißt du?«

»Czinna.«

»Kommst du mit uns nach Ofen?«

Sie zuckte gleichgiltig mit der Schulter.

»Kommst du, so gehört das Kleid dir.«

»Ich gehe.«

So fand man die erste Blüte des Blumenstraußes. Auch die übrigen fanden sich. Man mußte nur von den vielen die passendsten drei auswählen. Die flachshaarige Marie Bari mit ihren veilchenblauen Augen, ihrer reizenden Taille; die stattliche, hohe Magdolna und die runde, üppige Agnes Pál mit ihrem roten Gesicht, eine knospende Malve. Nie küßte Schönere der Sultan, nie besang Herrlichere Firdusi.

Nun konnten sie sich schon auf den Weg machen. Sonntags kam die Rinderheerde, hundert prächtige Ochsen, alle mit hübschen Glocken, bändergeschmückten Hörnern, es kamen die Pferde, fünfzig schlanke Fohlen, jedes mit einem silbernen Glöcklein. Auf die beiden Wagen setzten sich zu zweien die Mädchen, das heißt, zwei unter ihnen waren Frauen, die »falschesten« zwei Frauen, denn sie gaben sich nur als solche. In ihren blauen, mit silbernen Spangen versehenen Mänteln bestiegen hierauf auch die Herren Senatoren die Wagen. Im ersten Wagen saß der Oberrichter mit Franz Kriston, auf dem Rücksitz Josef Inockai. Einer bringt die Hengste, der andere die Rinder. Herr Agoston, der auf dem anderen Wagen saß, avancierte vom Deputierten zum Blumengärtner – so ist nun einmal die Politik. Gabriel Poroßnoki trug die Waffen in prächtigem Seidenfutteral. Der Sechste vom Stadthause, der kleine verwachsene Georg Imecs sah zwar nicht gut aus, aber er sprach gut türkisch und tatarisch, so nahmen sie ihn mit zum »Schmieren«. Das Eljengeschrei der Versammelten ertönt, die zu Hause gebliebenen Frauen reißen die Tücher vom Kopfe, um mit denselben zu winken, die Kutscher treiben ihre Pferde an, die CzikosePferdehirten. schwingen ihre Peitschen und nun setzt sich der glänzende Zug unter Musikbegleitung in Bewegung, denn die Glocken der hundert Ochsen ertönen und die fünfzig Silberglocken läuten. Der Weg ist eintönig, wir beschreiben ihn nicht, im Alföld ist alles gleichförmig. Die Ortschaften, die Städte, die Dörfer, die Ebene mit ihrer Fata Morgana, der nur das Sinken des Himmelsgewölbes ein Ende macht, der graue Boden, aus dem die matte Herbstsonne buntfarbige Blumen zaubert, ist überall derselbe. Eine Gemarkung gleicht so der anderen, wie eine Elle Tuch der anderen, wenn sie von einem Stücke sind. Hie und da erblickt man eine einsame Tanya, ein weißes Häuschen, einen Brunnen. Am Ende der Ortschaften erscheinen die Windmühlen mit ihren ausgebreiteten Flügeln. Es ist wahrlich köstlich, wie einförmig auch die großen Städte Alfölds waren. Jede hatte ein Ding, womit sie sich brüstete. Debreczin mit seinem Kollegium, Szegedin mit seiner Mathiaskirche, Kecskemét mit dem Nikolausturm, auf dem im besten Einvernehmen der kalvinische Hahn, der lutheranische Stern und das katholische Kreuz zu sehen waren; jede Stadt hatte auch ein berühmt gewordenes Nahrungsmittel aufzuweisen, Debreczin die Wurst, Kecskemét den Apfel, Szegedin den Paprika. Sie entwickelten sich auch geistig gleichförmig, eine jede zeigte, was sie in puncto des Geistes kann. Debreczin hatte seinen Csokonai, Szegedin seinen Dugonits, Kecskemét seinen Katona.Ungarische Dichter.

Unsere Helden aber reisten munter fort, bis sie sich endlich im großen Ameisenhaufen Ofen befanden, wo sie sofort zu ihrer Aufgabe sich stellten, jeder, wie sie ihm zugeteilt war. Die erste Rolle fiel dem »Schmiermenschen« zu, der sich von der »schmierenden« FrauEine ungarische Masseuse. nur darin unterscheidet, daß er den Leuten die Schmerzen nicht mit Fett, sondern mit Gold austreibt. Er lief von Pontius zu Pilatus, um dort zu argumentieren, daß die Audienz bewilligt werde. Der Padischah genehmigte, daß am Mittwoch die Stadt Kecskemét vor sein glanzvolles Angesicht trete.


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