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Ballade.
◡—◡—◡—◡
(Nach einem Volksliede)
O, Frevel, kaum zu sagen!
Die ihren Mann erschlagen,
Die Frau, verscharrt im Haine
Beim Quell ihn unter'm Raine;
Zum Grabe Lilien bringt sie,
Die pflanzt und also singt sie:
»So hoch, ihr Blumen, sprießet,
Als tief ihn Nacht umschließet –
So tief ihn Nacht umschließet,
So hoch, ihr Blumen, sprießet.
Und die den Mann erschlagen,
Mit Blut befleckt, zu jagen
Beginnt durch Flur und Matten,
Bergauf, bergab, durch Wälder.
Schon wirft die Dämmrung Schatten:
Nur Wind durchsaust die Felder,
Nur Krähen krächzen Lieder,
Und Eulen schrei'n hernieder.
Sie lenkt zum Bach die Schritte,
Wo heut' die Clause noch
In alter Buchen Mitte,
Da klopft sie: Poch! Poch! Poch!
»Wer da?« – Der Riegel klirrte;
Der Clausner sieht bei Lichte
Das Weib, das Wahn verwirrte,
Mit starrem Angesichte;
Die Wang' ist welk, die bleiche,
Das Aug' ist blutigroth;
So ruft die geistergleiche:
»Mein Mann – ist todt!«
– »Sei Gott mit dir im Bunde!
Was gehst auf irren Wegen,
Allein zur Abendstunde,
Du, Weib, im Wald, im Regen?«
– »Im Wald dort an den Wogen
Mein Schloß erglänzt in's Weite –
Mein Mann ist ausgezogen
Mit Boleslaw zum Streite.
Manch Sommer ist verglommen – …
Glatt ist der Pfad der Tugend – …
Er ist nicht heimgekommen – …
Jung war ich unter Jugend: …
Ich brach den Schwur dem Braven – …
Weh! meinem armen Haupte – …
Hart sind des Königs Strafen – …
Kehrt heim der Todtgeglaubte? …
»Er kehrt nicht heim! Ha! Ha!
Sieh! Dieses Blut! Dies Messer!
Ich, Alter, weiß das besser:
Mit ihm ist's aus! Ja! Ja!
Ich gab dir offen Kunde,
Drum sprich mit heil'gem Munde:
Soll ich Gebete sagen? …
Zum Ablaß gehn? … Zum Schlunde
Der Hölle? … Fackeln tragen? …
Daß meines Frevels Schrecken
Mag ewig Nacht bedecken?« …
– »Weib!« spricht darauf der Alte,
»Empfindest du nicht Reue,
Nur Furcht, daß Strafe walte,
Geh! Dich des Lebens freue;
Laß ab von Furcht und Schrecken!
Wer soll den Mord entdecken?
Gott fügt' es, daß die Thaten,
Die heimlich sich begeben,
Dein Mann nur kann verrathen,
Und
der verlor sein Leben!« –
Die Frau hat's froh vernommen;
Spornstreichs, wie sie gekommen,
Bei Nacht nach Hause jagt sie,
Niemand ein Wörtchen sagt sie.
Die Kinder stehn am Thore,
Und »Mutter!« schallt's im Chore,
»Kommt Vater nicht vom Jagen?« –
– »Der Sel'ge? … So zu fragen!« –
Sie weiß nicht mehr, was sagen:
»Er blieb noch dort im Walde,
Heimkehrt er heut' noch, balde.«
Die Kinder seiner harrten,
Sie haben voll Erwarten
Acht Nächte aufgesessen,
Und endlich ihn – vergessen.
Die Frau vergißt ihn schwerer;
Die Sünd' im Herzensgrunde
Macht banger es und leerer;
Kein Lächeln naht dem Munde,
Kein Schlummer schließt die Lider:
Denn oft bei nächt'ger Weile,
Im Hofe pocht's in Eile;
Dann schleicht es auf und nieder,
Und ruft, »Ihr Kinder«, innig,
»Seht, euer Vater bin ich!« –
Die Frau schläft immer schwerer;
Die Sünd' im Herzensgrunde
Macht banger es und leerer;
Kein Lächeln naht dem Munde.
– »Lauf, Hanka, lauf! Ich glaube,
Hufschlag hab' ich vernommen;
Die Brücke schwankt im Staube,
Sieh! Ob nicht Gäste kommen?
Die Straße geh' zum Walde,
Ob sie nicht kommen balde?« –
– »Sie kommen schon! Sie winken!
Staub wirbelt dicht am Schlosse;
Schon scharfe Schwerter blinken,
Schon wiehern muntre Rosse:
Ich kenne schon am Kleide
Des Sel'gen Brüder Beide!« –
– »Frau Schwägerin, wie geht es?
Wie mit dem Bruder steht es?« –
– »Mit dem ist's schlecht bestellt,
Längst schied er von der Welt!« –
– »Wie? Wann?« – »Vor einem Jahre …
Er fiel im Kampf …« – »Bewahre!
Man log! Sei du zufrieden,
Längst ist der Kampf entschieden!
Der Bruder kehret wieder,
Gesund sind seine Glieder!«
Sie hört es, staunt, und schwanket,
Bis sie zu Boden wanket;
Die Wang' ist welk, die bleiche,
Das Aug' ist blutigroth;
So ruft die geistergleiche:
»Wo ist mein Mann? … Ha! todt!«
Dann fragt sie, freudetrunken,
Vor Lust nur umgesunken:
»Wo habt ihr ihn gesehen?
Wann wird er vor mir stehen?« –
– »Heimkehrt' er mit uns Beiden:
Er ist vorausgegangen,
Zu trösten dich im Leiden,
Die Ritter zu empfangen;
Heimkehrt noch heut' er, balde,
Er fand gewiß im Walde
Nicht Weg, noch Steg vor Bäumen;
Laß einen Tag uns säumen,
Nach ihm die Diener schicken –
Bald wirst du ihn erblicken!« –
Sie schicken in die Runde,
Sie warten Tag und Stunde;
Sie weinen, wollen gehen,
Als es umsonst geschehen.
Da kommt die Frau geschritten:
»Laßt euch, ihr Brüder, bitten,
Der Herbst ist schlecht zur Reise;
Drum nicht von dannen eilet
In Sturm und Schnee und Eise;
Ein wenig noch verweilet!«
Sie warten. Winter schwindet,
Kein Bruder mehr sich findet;
Sie hoffen wohlgemuther,
Der Lenz belohn' ihr Mühen;
Doch längst im Grabe ruht er,
Darauf die Blumen blühen.
»So hoch, ihr Blumen, sprießet,
Als tief ihn Nacht umschließet!«
Sie sehn den Lenz entfliehen,
Und denken nicht an's Ziehen.
Bewirthet doch bei Tische
Die Wirthin sie, die frische.
Sie warten, wollen gehen,
Wenn Sommers Düfte wehen;
Ein Jahr verrinnt indessen,
Der Bruder ist – vergessen.
Bewirthet doch bei Tische
Die Wirthin sie, die frische.
Und Liebe bald erfaßte
Die Zwei, bei ihr zu Gaste.
Sie nährt die Hoffnung Beiden,
Zu Beider Lust und Leide;
Von ihr will Keiner scheiden,
Nicht freien kann sie Beide –
Bis endlich sie sich einen.
Und vor der Frau erscheinen:
– »Frau Schwägerin, wir wagen,
Ein Wörtchen dir zu sagen:
Umsonst wir hier erwarten
Den Bruder, den Erharrten:
Dich schmücket jede Tugend,
Schad' wär's um deine Jugend;
Drum dich der Welt vermähle.
Der Brüder Einen wähle!« –
So sprechen sie, beklommen
Von Eifersucht und Neide;
Zu nahe bald sie kommen
Mit Blick und Wort sich Beide;
Der Kopf ist wie benommen,
Das Schwert fliegt aus der Scheide.
So sieht die Frau sie wüthen,
Sie weiß nicht, wie's verhüten:
Drum kurze Frist erfleht sie,
Und nach dem Walde geht sie.
Sie lenkt zum Bach die Schritte,
Wo heut die Clause noch
In alter Buchen Mitte,
Da klopft sie: Poch! Poch! Poch!
Erzählt dem Greis die Sache,
Und fragt ihn, was sie mache?
»Ach, wie die Brüder einen?
Es frei'n um mich die Beiden,
Und Beide mag ich leiden:
Wen nehm' ich zu dem Meinen?
Ich habe kleine Kinder,
Und Hab und Gut nicht minder –
Kann keinen Mann ich finden,
Muß mein Vermögen schwinden;
Doch mir erblüht hier, Wehe!
Kein Glück mehr in der Ehe!
Gott läßt die Strafe walten,
Mich foltern Spukgestalten:
Wenn ich in Schlummer sinke,
Klipp! Klapp! aufspringt die Klinke,
Und hören muß und sehen
Ich seufzen sie und gehen,
Wenn ich erwacht, die bleiche,
Mit Blut befleckte Leiche …
Husch! Husch! Am Bette schwebt sie,
Ein blutig Messer hebt sie,
Sprüht aus dem Munde Flammen,
Und preßt mich fest zusammen –
Genug, genug des Grausen!
Ich kann hier nimmer hausen:
Denn mir erblüht hier, Wehe!
Kein Glück mehr in der Ehe!« –
– »O, Tochter!« spricht der Alte,
»Wie auch Sein Strafen walte,
Erhört doch Gott im Schmerze
Ein reuig Sünderherze:
Geheimen Spruch erfahre –
Gern will ich ihn entdecken –
Starb auch dein Mann vor'm Jahre –
Ich will noch heut' ihn wecken!« –
– »Vorüber sind die Zeiten …
Wie? Vater, – ihn, der todt? …
Uns trennt für Ewigkeiten
Dies Messer, blutigroth.
Wol muß ich Strafe tragen,
Und will es, ohne Zagen, –
Kann ich den Spuk nur jagen.
Will Hab und Gut nicht sehen,
Will in ein Kloster gehen,
In Waldesnacht und Noth –
Vorüber sind die Zeiten:
Nicht weckst du, Greis, was todt –
Uns trennt für Ewigkeiten
Dies Messer, blutigroth!« –
Der Alte seufzt im Sinnen,
Vom Aug' ihm Thränen rinnen;
Er ringt die Händ' im Bangen,
Verhüllt sich Stirn und Wangen:
– »So freie denn auf's Neue,
Die Spukgestalt nicht scheue!
Was todt, das schläft auf immer –
Vom Grab, das du ihm schufest,
Ersteht dein Gatte nimmer,
Es sei – daß du ihn
rufest!« –
– »Doch, wie die Brüder einen?
Wen nehm' ich zu dem Meinen?« –
– »Laß, wen du nimmst von Beiden,
Gott und das Loos entscheiden:
Mag Jeder früh verstohlen
Vom Feld sich Blumen holen,
Nach seiner Wahl, sie winden
Zum Kränzlein, daran binden
Daß du erkennest, wessen
Der Kranz – ein
Zeichen dessen;
Das leg' im Gotteshause
Er auf des Altars Clause;
Und – wessen Kranz du wählest,
Mit dem du dich vermählest!« –
Die Frau hat's froh vernommen;
Schon denkt sie an die Ehe,
Kein Spuk mehr schafft ihr Wehe;
Mag, was da immer, kommen,
Sie weiß, ihn
rufen werde
Sie nimmer aus der Erde.
Froh, daß sie Rath vernommen,
Spornstreichs, wie sie gekommen,
Bei Nacht nach Hause jagt sie;
Niemand ein Wörtchen sagt sie.
Bald läuft sie, ohne Weilen
Durch Wald und Flur zu eilen,
Bald steht sie still, zu lauschen:
Ihr ist, als ob sie jage
Jemand, in's Ohr ihr klage
Durch Nacht und Waldesrauschen:
» Ich bin dein Mann! Dein Mann!«
Still steht sie, sinnt, zu lauschen –
Zu Berg' die Haar' ihr stehen;
Aufrafft' sie sich, zu gehen,
Sie wagt nicht umzuschauen,
Sie hört im Busch mit Grauen,
Es klagen dann und wann:
»
Ich bin dein Mann! Dein Mann!« –
Bald schlägt die Sonntagsstunde,
Die Zeit zum Hochzeitsbunde.
Kaum, daß die Sonn' erglommen,
Die beiden Brüder kommen;
Die Frau sie nach Gebühren,
Zur Trau' im Brautzug führen
Bis zu des Altars Grunde;
»Den
ersten Kranz ich wähle! –
Seht, reicht ihn in die Runde:
Ein
Lilienkranz! Von Wem?
Wer ist mein Mann? Mit dem
Ich heute mich vermähle?« –
Da tritt der Aeltre vor;
Vor Freude glühn die Wangen,
Das Herz pocht vor Verlangen:
»Dies Blümlein ich erkor,
Als ich's zum Kranz gewunden,
Mein Bändchen flocht ich ein –
Mein Zeichen ist gefunden –
Mein ist es – du bist mein!« –
– »Du lügst!« – Ausruft der Zweite,
»Nur vor die Kirche schreite,
– Da kannst du auf der Auen,
Wo ich es pflückte, schauen,
Will zeigen dir die Stelle:
Am Grabe, bei der Quelle,
Im Hain am Wiesenrain –
Mein ist es – du bist mein!« –
Auf denn zum Waffentanze!
Ihr Recht behaupten Beide,
Das Schwert entfährt der Scheide,
Sie hauen auf sich ein,
Sie zerren Beid' am Kranze:
»
Mein ist er – er ist mein.« –
Da kracht die Thür im Thurme,
Die Kerze lischt im Sturme;
Weiß naht, sie sehen's bange,
Wie wenn ein Spuk erscheine,
Sein Geist, bekannt am Gange;
Still steht und blickt der Grimme,
Und ruft mit Grabesstimme:
»
Mein ist er – du die Meine!
Mein Grab so zu berauben!
Mir legt die Stola an!
Weib, ohne Treu und Glauben,
Ich bin dein Mann, dein Mann!
Mein Grab so zu zerzausen!
Hört, Brüder, es mit Grausen:
Mein ist das Kränzelein!
Das Morden eingestellt!
Mein ist es – Ihr seid mein –
Folgt mir in jene Welt!«
Das Kirchlein bis zum Grunde
In allen Fugen kracht;
Die Decke stürzt, im Schlunde
Versinkt es ew'ger Nacht.
Die Erde hat's verschlossen,
Und Blumen drüber sprossen –
»So hoch, ihr Blumen, sprießet,
Als tief ihn Nacht umschließet!«