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In den nächsten Monaten hatte der Major die unklare Empfindung, daß George auf seinem Krankenlager nichts so sehr entbehre als die ›Clays‹ und ›Garcias‹.
Wenn der Medizinalrat durch dieses tägliche unsinnige Gefrage Schwerins aufgebracht grob wurde: ›Zum Kuckuck, Herr Major, das ist doch nur Scherz! Wie kann jemand mit einem Schuß in der Brust Zigarren rauchen?!‹ – so winkte Schwerin etwas eingeschüchtert ab: »Ich sage ja nichts. Ich frage ja nur. Ich frage nur: wann –? Ungefähr wann? wann er wieder darf.«
Statt aller Antwort nahm dann der Rat eine der mächtigen Zigarren, die in Schwerins Zimmer in zwanzig Kisten umher standen: ›damit sie nicht umkommen‹ – und setzte sich in den großen Sessel, in dem George immer gesessen hatte, und sagte: »Ich werde Ihnen eine halbe Stunde Gesellschaft leisten, für eine solche Zigarre kann man schon was tun.«
Schwerin war froh, daß er jemand bei sich hatte, der rauchte und mit ihm sprach, – aber so wie mit George saß es sich nicht, obwohl der Doktor erzählte und redete, während George eigentlich nie erzählt und geredet hatte.
Das große helle Eßzimmer mit der Aussicht auf die Bülowstraße war als Krankenstube eingerichtet, und in des Majors kleinem Bibliothekzimmer nebenan hatte man für Georges Mutter eine Bettstelle aufgeschlagen.
Als der Genesende zum erstenmal in einem Sessel ans Fenster getragen wurde, brachte Schwerin ihm eine der kostbaren Cigarren aus der 94er Ernte:
»Du sollst sie nur in den Mund nehmen, mein Junge, so, ohne Feuer, – wenn man lange nicht geraucht hat, ist das genau so, als ob man wirklich rauchte. Ich kenne das von Orleans her, probier es mal.«
Von der Zeit an war der Major wieder zufrieden. Sie saßen bei einander, Stunde um Stunde, – Schwerin tat von Zeit zu Zeit einen schwachen Zug aus der Zigarre, gerade nur soviel, um sie im Gang zu halten, – sie sprachen ein paar Worte – und bisweilen schlief er ein.
Einen Tag und zwei Nächte hatte Lena damals an dem Krankenlager gewacht. Georges Hand in der ihrigen war sie todmüde vornüber gesunken, und als Schwerin selbst behutsam die Tür geöffnet und die fremde alte Frau in das Zimmer geführt hatte, hielten sie beide in der Tür an: – – zwei blasse schlafende Gesichter lagen auf dem weißen Kissen dicht aneinander geschmiegt.
»Wecken Sie sie nicht – –«
Aber Schwerin weckte sie:
»Lena, wach auf!«
Lena war aufgefahren mit weit geöffneten Augen, und zwei Arme hatten sich um sie geschlossen: »Kind! Kind!« – –
*
Es kam die Rede darauf, daß George nirgendwo besser gesunden könne als in Oldeslo, daß man Schwerins Gastfreundschaft unmöglich länger acceptieren könne, und daß der Major in dieser Hinsicht ohnehin schon über alles Maß in Anspruch genommen sei, – aber Schwerin litt es nicht, daß man dergleichen Reden in seiner Gegenwart wiederholte. Er sah der Trennungsstunde, die schließlich einmal kommen mußte, ängstlich und traurig entgegen, denn daß Lena George begleiten würde, war ja ganz selbstverständlich, und ungefähr ebenso selbstverständlich war es, daß sie beide nie wiederkommen würden.
Die Wunde war verheilt. Noch ein paar Monate, dann hatte Georges Natur die alte robuste Kraft wieder erlangt, und dann – ja dann stand nichts mehr im Wege, daß George und Lena Hochzeit hielten.
Irgendwann später einmal mochte Lena vielleicht kommen, um Schwerin zu besuchen, aber das lag in einer unbestimmten Ferne – und nach des Majors unausgesprochener Ueberzeugung waren die Chancen sehr gering, daß Lena ihn dann noch lebend vorfinden würde.
Er erwog den Gedanken, ob es nicht das beste wäre, wenn er selbst seine Zelte abbrechen und sie in Oldeslo neu aufschlagen würde, – er wäre dann immer bei Lena und könnte mit George tagein tagaus Zigarren rauchen, – er trat indessen diesem Plane nie näher. Bei Lichte betrachtet, war der Major in seinen acht Zimmern am Nollendorfplatz nicht viel mehr als ein Gefangener, – aber es hatte doch immerhin etwas Beruhigendes, daß dieser Nollendorfplatz in Berlin lag, und daß der Major allem dem, was den Inhalt seines Lebens ausgemacht hatte, räumlich wenigstens nahe blieb. Er hörte die Pferdebahn klingeln, Droschken vorüberfahren, den etwas abgeschwächten und hier an der westlichen Grenzen verfeinerten Lärm der Großstadt, – und alle diese Details, jedes für sich betrachtet, störend und unangenehm, vereinigten sich zu einem Ganzen, dem zu entsagen Schwerin nicht die Kraft in sich fühlte. Hier am Nollendorfplatz konnte er aller Wahrscheinlichkeit nach eine Reihe von Jahren noch hinvegetieren, während er in Oldeslo, das war ganz klar, nach kurzer Zeit eingehen würde. Und so bizarr ihm der Gedanke auch erschien, so hatte er doch die undeutliche Empfindung, daß er seinen letzten Schlummer lieber auf irgend einem dieser Berliner Kirchhöfe schlafen möchte, über die der Atem der Weltstadt geht, als auf dem kleinen einsamen Friedhofe zu Oldeslo, wo er damals mit Lena gesessen und die schwierigste Stunde seines Daseins verlebt hatte.
– Georges Mutter und die kleine Frau v. Pauly waren in ihrer Art Freundinnen geworden. In den letzten Wochen vor der Abreise begannen sie mit Lena Einkäufe zu machen, und während George neben Schwerin auf dem Balkon saß, sah sich Lena von den beiden Frauen ganze Nachmittage durch die Stadt geführt, von Geschäft zu Geschäft. Sie sollte prüfen: gefiel ihr dies und gefiel ihr das? Sie nickte: ›ja‹, – und wenn man sie bat, ihre Ansicht zu äußern, so hatte sie nur ein paar flüchtige Worte ohne Verständnis und ohne Anteilnahme. Man kaufte Berge von Wäsche, alles, was zur Aussteuer erforderlich schien, alles in einer soliden Auswahl, die der Schönheit weniger Konzessionen machte als der Dauerhaftigkeit. Bisweilen wollte Lena widersprechen, aber sie kam nicht dazu, sie schwieg.
Sie schwieg auch, als man ihr das Hochzeitskleid kaufte, einen weißseidenen, gemusterten Stoff. Sie legte nur die schmale Hand unter die wuchtigen Seidenfalten auf den Ladentisch und wog den Stoff in der Hand. Er schien ihr so schwer, als würde sie am Hochzeitstage unter seiner Last zerdrückt werden.
Zu verschiedenen Malen erwogen beide Damen die Frage, ob Lena jetzt schon in Oldeslo, in der Zeit vor der Hochzeit, in demselben Hause wohnen könnte wie George. Sie waren einig, daß man in Oldeslo darüber den Kopf schütteln würde, und zwar mit einer gewissen Berechtigung, – aber sie legten als Milderungsgrund den Umstand in die Wagschale, daß George noch immer Rekonvalescent sei, und daß jeder billig denkende Mensch die Angelegenheit als einen Ausnahmefall beurteilen würde.
Ein flüchtiges Lächeln ging bei diesen Auseinandersetzungen um Lenas Mund – aber das Lächeln verschwand wieder, und ihr Gesicht nahm einen fast noch starreren Ausdruck an.
Eines Morgens, – zwei Tage vor der Abreise, – begann man Lenas Sachen in Koffer und große Reisekörbe zu packen. Alles, was Lena gehörte, auch die wenigen Gegenstände, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, ihren ganzen kleinen Besitz.
Sie stand dabei, ohne viel zu helfen. Das eine oder andre Ding nahm sie wieder heraus und betrachtete es noch einmal und legte es dann doch wieder in den Koffer, wie man etwas einschließt, was man bisher sehr gern hatte und nun fortgibt. – –«
– – Wie Schwerin es fertig brachte, die Treppen hinunterzukommen, in die Droschke zu steigen und die Treppen des Bahnhofs hinauf zu gelangen, blieb ihm im weiteren Verlauf seines Lebens, so oft er auch darüber nachsann, ein Rätsel. Es war das definitiv letzte Mal, daß er in seinem Leben die Potsdamerstraße, den Potsdamer Platz, den Potsdamer Bahnhof und das große lärmende Berlin außerhalb des Nollendorfplatzes zu sehen bekam.
Als der Zug aus der Halle hinaus gefahren war und man das weiße Taschentuch, das aus einem Fenster des Zuges wehte, nicht mehr erkennen konnte, verließ der Major, auf Clemens und einen der Gepäckträger gestützt, den Bahnhof. Er sah durch sein Monocle noch einmal den Schalter, an dem er seit vierzig Jahren alle wichtigen Billets für seine zahllosen Reisen gekauft hatte: nach Baden-Baden, nach Italien, nach Paris, nach London, – und wo er heute zum letzten Male drei Billets gefordert hatte: nach Oldeslo.
»Wir werden dem Mann da drin nichts mehr zu verdienen geben, Clemens,« sagte er.
Am Bahnhofsausgang stand ein kleines Mädchen mit Veilchen, das Schwerin, als er schon in der Droschke saß, heranwinkte, um ihm für ein Silberstück ein kleines schmächtiges Bouquet abzukaufen.
Er steckte die Blumen, wie er es zeitlebens getan hatte, in das Knopfloch und trug sie die ganze nächste Woche.
Er gehörte nicht zu den sentimentalen Leuten, aber diese paar Veilchen bewahrte er noch auf, als sie längst verdorrt und halb schon vermodert waren.
*
Ueber der Haustür hingen Guirlanden; eine ältere Dame, die Lena nicht kannte und die ihr nachträglich als eine ihrer künftigen Verwandten vorgestellt wurde, machte die Honneurs. Auf dem Tisch im Wohnzimmer stand ein Topfkuchen, ganz mit Blumen ausgefüllt und mit einen etwas dünnen Kranze umgeben. Man geleitete Lena die enge Treppe hinauf, die frisch gescheuert und mit weißem Sande bestreut war. Auch oben gab es Guirlanden, und vor einer kleinen weißen Tür sah man ein Pappschild mit einem grünen Eichenkranze bedruckt, in dessen Mitte in roten Buchstaben ›Willkommen‹ stand.
Man öffnete ihr die Tür, sie blickte in ein kleines helles Zimmer mit weißen Gardinen und weißem Bett, über dem feierlich und traurig Raffaels »Kreuztragung« hing.
Die Tür hinter ihr schloß sich, unwillkürlich wandte sie sich um, – sie sah sich mit George allein.
Mit einem müden Lächeln streckte er ihr die Hände entgegen, das Gesicht schmal und blaß, und mit einem Aufschluchzen fiel sie in seine Arme.
*
In diesen ersten Tagen schien beider Liebe noch einmal aufzuflammen. Sie wußten beide, daß sie nahe daran gewesen waren, sich zu verlieren, und wenn das schwere Ereignis, das über sie hingegangen war, sie wieder enger zu einander geführt hatte, so weckten der Hardisberg und die Erinnerungen ihre Liebe zu neuem Leben.
Als aber diese ersten feinen Stimmungen des Wiederfindens alter Erinnerungen verrauscht waren und nüchterne Ausblicke vor ihnen sich öffneten, sank das Feuer wieder in sich zusammen. Es war nur eine flackernde Flamme gewesen, die noch einmal die vergangene Zeit beleuchtet hatte, und nun langsam erlosch.
Vielleicht hätte alles anders sein können, wenn George und Lena sich allein gegenüber gestanden hätten. Aber die kleine, zerbrechliche Liebe, die, nur ihrer beider Obhut anvertraut, sicherlich unverletzt durch alle Fährnisse hindurch getragen wäre, war der Gegenstand neugieriger Betrachtung geworden, den jeder mit plumpen Fingern betastete.
Man starrte Lena auf der Straße an als die Heldin eines Zweikampfes, den die Leute draußen in der Welt schon wieder vergessen hatten, der hier aber in Oldeslo noch nach einem Menschenalter besprochen werden würde. Neugierige Gesichter, die unter andern Umständen hier im Hause sich nie gezeigt hätten, erschienen unter dem Vorwande, sich nach George und seinem Befinden erkundigen zu wollen. In der Enge des Hauses konnte Lena ihnen nicht ausweichen, man sprach mit ihr, man musterte sie.
Gelegentlich einmal traf sie die Generalin, die an ihr vorübergehen wollte, aber dann doch, wohl von derselben Neugier geleitet, stehen blieb, um mit Lena ein paar Worte zu wechseln. Ihr Ton war anders als früher, höflicher und zugleich herablassender. Als ob Lena damals zwar ihre Schülerin, aber doch gesellschaftlich ihr gleich gestellt gewesen sei, während jetzt ein Abgrund künftigen Klassenunterschiedes sie weit voneinander trennte.
Täglich sah Lena das Pensionat vorüber gehen, fremde Gesichter, von denen sie keines mehr kannte, die aber alle sie neugierig anblickten. Und Lena hatte die Empfindung, daß das Kinder seien, denen gegenüber sie selbst sich müde und gealtert vorkam.
*
– – Im Auftrage Schwerins schrieb Frau v. Pauly lange Briefe, und eines Tages sandte sie des Majors Sportzeitung, in der mit Blaustift unterstrichen der Bericht der Frankfurter Rennen stand:
»Lena S., Siegerin des Ehrenpreises Sr. K. Hoheit des hochsel. Landgrafen Friedrich Wilhelm von Hessen. Staatspreis 5000 Mark!«
Sie las den ausführlichen Bericht der Zeitung, in dem der Verlauf des Rennes genau geschildert war, – und sie las ihn noch einmal – und ein drittes Mal.
Ein Zittern der Freude war über sie hingegangen, – nun legte sie das Blatt gleichgültig aus der Hand. Ein Gewinn, der die Unkosten deckte, weiter nichts. – Ihr erster Sieg und vielleicht auch ihr letzter.
Aber sie griff noch einmal nach der Zeitung: irgendwo hatte sie Szateks Namen gelesen – – – sie suchte – dann fand sie: »Graf Johann Szateks Fuchshengst ›Van Tromp‹ gewann gestern den Grand Prix de Deauville. Der Graf war bei dem Siege seines Pferdes persönlich anwesend.«
Ja Szatek!
Er blieb Sieger, wohin er ging und was immer er unternahm!
Wie er gegen George im Zweikampf Sieger geblieben war. Der Szateks Bahn kreuzte, und den dieser mitleidlos aus seinem Wege geräumt hatte.
Sie suchte den Gedanken an Szatek fortzustreifen, aber es gelang ihr nicht, er kam immer von neuem. Und der banale Erfolg seiner Treffsicherheit, den er vielleicht einzig einer von Jugend auf geübten Fertigkeit verdankte, bereitete ihm, so sehr sie auch mit dem Verstande dagegen anzukämpfen suchte, eine Art von Glorie.
Schließlich: für wen hatte er das getan?
Für sie!
Er hatte um ihretwillen dem Tod ins Gesicht gesehen!
Dasselbe hatte George getan – ja –«
Aber Szatek war Sieger geblieben! Sieger! –«
– – – Wieder ging ein Sommer zu Ende.
Man schrieb an Schwerin, er möge die Güte haben, Lenas Taufschein und alle die Papiere zu besorgen, die für das kirchliche Aufgebot notwendig sind.
Der Herbst kam und die ersten Zugvögel verließen die Weserberge und gingen südwärts.
In dieser Zeit war es, als ob in Georges Mutter eine Angst emporstieg. Eine Angst um George, der stummer und einsilbiger wurde, – und eine Angst um Lena. Als ob sie fühlte, was in Lena vorging. Sie verdoppelte ihre Anstrengungen, dem Mädchen in allem die Hände unterzulegen, sie begegnete ihr mit einer Herzlichkeit, die erzwungen war, und die selbst George bisweilen wie etwas Uebertriebenes empfand, dessen Zweck er nicht begriff.
Lena wehrte sich nicht dagegen, sie war machtlos; man wollte sie festhalten, und sie hatte nur ein dumpfes Empfinden des Ersticktwerdens. Sie kämpfte gegen sich selbst: Aushalten! Um jeden Preis!
Bis zu einem Tage, – zu einem Tage, an dem George seine Haltung verlor!
Sie starrte ihn an: es war ja nicht möglich?!
Er hatte ihre Liebe immer entgegengenommen wie etwas Selbstverständliches, das ihm gehörte und immer gehören würde, trotz jener Tage in Berlin, trotz Szatek, trotz allem, was zwischen sie getreten war –«
Nun plötzlich schien er unsicher zu werden!
Er suchte nach Worten, die er nie gebraucht hatte, – fand zärtliche Aufmerksamkeiten, die etwas Aengstliches hatten und zu seiner schwerfälligen aufrichtigen Art in wunderlichem, fast traurigem Gegensatze standen.
Es schnürte ihr das Herz zusammen. Sie wollte sich in seine Arme werfen und seinen Hals umklammern und sagen:
›George, laß das! Das ist ja alles nicht nötig! Ich gehe nie von dir! Nur bleib, wie du warst: mein guter großer George mit deinem Kinderherzen, das nichts von solchen gemachten Worten weiß! – –‹
Aber sie sprach es nicht aus.
Am ersten Tage nicht, – und am zweiten nicht, und dann nie mehr. – –«
An einem der letzten Septemberabende ging sie mit George im Garten. Sie beugte sich nieder und brach ein paar Astern ab, dann sagte sie unvermittelt: »Ich möchte am Montag in Berlin sein. Lena S. wird im ›Renard-Rennen‹ laufen. Es ist das größte und wertvollste Herbstrennen. Sie wird es nicht gewinnen, es ist fast unmöglich, aber immerhin, ich möchte dabei sein.«
»Du willst hinfahren –?«
»Ja.«
Sie ging neben ihm und sah ihn nicht an, – sie sprachen nicht, aber sie fühlte, wie George mit seiner Erregung kämpfte.
Als sie ins Haus treten wollten und er einen Schritt seitwärts ausbog, um Lena vorangehen zu lassen, wandte sie sich zu ihm um:
»Hast du etwas dagegen, George?«
Er sagte nichts als: »Wann kommst du wieder?«
Sie bewegte die Lippen, aber sie antwortete nicht gleich. Es ging ihr hastig durch den Sinn: ›Sag ihm die Unwahrheit; – – sag, du kämest in ein paar Tagen zurück,‹ aber sie blickte in sein Gesicht, das angstvoll zu ihr niederschaute. Zögernd, langsam, mit einer Stimme, die alles verriet, was in ihr vorging, sagte sie:
»Ich – George – ich – weiß es nicht.«
Er tat einen Schritt vorwärts: »– – Lena –?«
Dann endlich fand sie die Offenheit, mit der sie ihm immer begegnet war: »Hierher – George – nein, nicht wieder.«
Ein Nebel legte sich vor seine Augen, er sah Lena ganz ruhig, hörte sie diese Worte ganz ruhig sagen, – da riß er sie an sich und preßte ihre Arme zusammen und schüttelte sie in maßlosem Grimm: »Du hast mich zu Grunde gerichtet!!«
Sie wehrte sich nicht, sie ließ sich hin und her rütteln, ohne eine Hand zu bewegen, ohne auch nur den schwächsten Versuch zu machen, sich aus dem schmerzenden Griff seiner Hände zu befreien, – ihre Gestalt lag in diesem Griff wie leblos, nur die Augen waren aus dem blassen Gesicht immer auf ihn gerichtet.
Dann außer sich, warf er sich vor ihr nieder: »Verzeih mir, Lena!! Vergib mir!!« – er begann zu flehen, nach verzweifelten Worten zu suchen, haltlos, wie vernichtet. Lenas Hände bedeckten sich mit seinen Tränen, aber während ihr Herz zuckte, blieben ihre Augen trocken. Und mitten in seine Ausbrüche von Schmerz hinein gingen ihre Gedanken seitab. Sie dachte daran, daß sie seit ihrer Kinderzeit nicht mehr geweint hatte, auch damals nicht, als Schwerin ihr die Todesnachricht brachte. Und sie sann nach, wie sie das erklären sollte.
Draußen im Garten begann es zu dämmern. In diesem Hausflur, an derselben Stelle hatte sie vor einem Jahre gestanden, als sie verzweifelt gekommen war, um bei George ein Heim zu suchen.
Er lag immer noch vor ihr, den Kopf an sie gepreßt, und während Lena die Augen über den kleinen Flur gehen ließ, über die Holztreppen und über die weißen Türen, – und während immer leise ihre rechte Hand über Georges Kopf glitt, wie man tut, wenn man ein Kind beruhigen will, wurde sein Weinen leiser und leiser.