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Kaum dreißig Schritte von der Sennhütte stand die kleine Gesellschaft noch in eifrigem Gespräche beisammen, da kam an der Rückseite derselben keuchend und mit Schweiß bedeckt ein Mann herauf, der die offene Stallthüre kaum erspäht hatte, als er auch schon dahinter verschwand. Es war der Achmüller, der nun auf Umwegen die Wirthsalm auch erreicht hatte. Als er das Gatter öffnete, welches im Innern den Stall von dem Hüttenraum trennte, weckte das Knarren desselben den Tirolerwastl. Erfreut streckte dieser dem Eintretenden die Hand zum Gruß entgegen; doch unwirsch wies der Achmüller sie zurück. Er zeigte seinem Kameraden überhaupt nicht das freundlichste Gesicht. Erst als der Verwundete, durch den mehrstündigen Schlaf gestärkt, sich aufzurichten und vom Boden zu erheben versuchte, war der Müller, durch seine Schwäche zum Mitleid gebracht, ihm behülflich und setzte sich neben ihn auf den Herd.
»Hab' wohl gewußt, Müller, daß sie dich nicht finden,« sagte der Schmuggler mit matter Stimme; »hab' aber doch viel Sorg' gehabt um dich, und ist mir lieb, daß du da bist. Du mußt mich so schnell, als es nur geht, fortschaffen helfen von da; ich trau' nicht recht da heroben. Bring mich nur an den Inn hinunter, daß ich auf einem Floß oder auf einer Zille Nachen. nach Rosenheim komm'. Dort kenn' ich einen Handelsmann und auch den Bader gut; der wird mich schon wieder zusammenflicken, wenn's Gottes Wille ist. Brüderl, ich sag' dir, das war mein letzter Paschergang. Will gern verschmerzen, was ich heut' Nacht verloren; hab' mich auch zur Muttergottes von Loretto verlobt und will ihr eine armsdicke Kerzen schicken, wenn ich wieder gesund bin.«
»Wastl, ich sag' dir, jetzt hab' ich grad genug!« fuhr der Achmüller rauh dazwischen. »Was nutzt mich dein Gewinsel? Zuerst hast groß gethan und geprahlt, und jetzt, weil du einen Denkzettel droben hast, kriechst zum Kreuz. Ich möcht' um tausend Gulden die Nacht nimmer durchmachen, – und wer weiß, wie's noch geht? Der Ruap kann das Zeichen nicht 'geben haben, weil er die Jager g'spürt hat; er kann aber auch einen Spitzbuben gemacht haben. Das Gered' hilft aber alles nichts. Ich hab' mich heraufgeschlichen, daß ich hör', wie's jetzt mit uns zwei steht – heraus mit der Sprach'! Wie haben wir's mit dem Geld, wie steht's mit der Rosel?« herrschte er seinen Verbündeten an, wohl wissend, daß der Hülflose jetzt seiner bedürfe, und froh, endlich über seinen Peiniger einen Vortheil errungen zu haben.
»Hör, Müller,« sagte der Tiroler, »das Geld kannst gegen richtige Verzinsung behalten, so lang' du willst. Dem Madel aber will ich das Leid nicht anthun, daß sie mich nehmen müßt'. Die hat sich einen andern verdient … laß ihr den Leitenmüller-Martl.«
Der Achmüller lachte verächtlich, und mißtrauisch blickte er seinen Kameraden von der Seite an; doch dieser zog ihn am Aermel näher zu sich heran und raunte ihm zu: »Der Martl und das Madel haben mich heraufgeschafft; und ich hab's ihnen verzählt, daß du auch mit dabei gewesen bist.«
»Lump, miserabler!« schrie der Müller, und vor Wuth zitternd packte er den Schwärzer bei der Kehle. »Hast mich also doch verrathen! Wenn's der weiß, der bringt mich morgen in's Zuchthaus!«
»Wohl nicht so schnell, wenn du ihm das Madel gibst,« entgegnete, als er sich von der umklammernden Faust befreit fühlte, nach Luft schnappend der Tiroler. Er suchte den Achmüller, der ganz außer sich darüber war, daß Martl um die Sache wisse, zum Schweigen zu bringen. »Hab' dir noch was zu vertrauen,« sagte er flüsternd. »Heut' Nacht haben die jungen Leut'l für mich gebetet; da hab' ich so halb und halb verstanden, daß sie in einem Buch was gefunden haben. Ein alter Wasserbrief soll's gewesen sein, und das Diendl hat gleich vor Freud' hell aufgeschrieen: »Das ist dem Vater sein Recht!« Es ist mir wie ein Traum; aber ich denk', ich werd' mich nicht irren.«
Mit einem wilden Freudenausbruch sprang der Müller vom Herd auf, streckte den Arm zum Himmel aus, der blau und sonnig durch's Fenster schaute, als ob er ihn zum Zeugen aufrufe für die Gerechtigkeit seiner Sache und, die Hände zusammenschlagend, rief er wie verzückt: »Mein gutes, mein altes Recht!« Alle Runzeln in dem verwitterten Gesichte schienen plötzlich wie durch Zauber geglättet, und eine unaussprechliche Heiterkeit strahlte aus den so lange verfinsterten hagern Zügen.
»Wastl!« rief er, »wenn du diesmal wahr gesagt hast, nachher lass' ich dich vergolden und fahr' dich selber hinunter am Inn. Aber wo ist das Diendl, wo ist die Rosel?« Seine Augen suchten alle Winkel der Hütte ab und, wie um zwanzig Jahre verjüngt, schoß er in seinem Jubel händereibend hin und her. Aber mit einem Male blieb er wie angewurzelt stehen, und seine Miene verdüsterte sich. Als hätte ein arger Zweifel an dem ungeheuern Glücksfall sein Gehirn durchzuckt, so entmuthigt ließ er den Kopf sinken, und mit dem Rücken an das Stallgatter gelehnt, brummte er für sich: »Gewinn' ich jetzt den Proceß, nachher bringt mich der Martl erst recht in's Zuchthaus!«
Da erschallte von außen ein frischer, freudenheller Juhschrei aus der Brust der jungen Sennerin. Sie hatte in der weiblichen Gestalt, die hinter der nahen Böschung her auf die Alm zueilte, ihre Mutter erkannt. In ihrem Freudentaumel übersah sie das kummerblasse Gesicht der Kommenden und sprang ihr mit glückseligem Lächeln entgegen.
»Mei' Diendl, du kannst juchzen und springen, und mir weint 's Herz im Leib vor Trübsal!« rief die Mutter. »Ich kann dir nicht sagen, wie mir inwendig ist; ich mein', ich möcht' mich gleich lieber zum Sterben hinlegen. Rosel, hast nichts gehört vom Vater? … Heut' Nacht ist er wieder nicht heimkommen,« sagte sie leiser, »und in der Früh kommt der Ruap daher, dem Tirolerwastl sein Knecht. Der tragt mir auf, ich soll dem Vater oder dem Wastl, wen ich am ersten treff', sagen, die zwei Pack sind in Numero Sicher; er bringt sie nach Rosenheim zum Schmul. Ich versteh' von all dem nichts; aber mir ist so eine Angst 'kommen, und ich fürcht', der Vater hat sich gar zum Schwärzen verleiten lassen. Das wär' noch das Allerärgst'!«
»Ja, das hat er,« sagte das Mädchen kaum hörbar und blickte zerstreut vor sich hin. Plötzlich aber, wie aus einem Traum geweckt, faßte sie die Hände der Achmüllerin und drückte sie voll warmer Zärtlichkeit an die klopfende Brust. »O meine Mutter,« klagte sie sich selber an, »wie hab' ich mich da wieder versündigt! Ich hab' mit kein' Gedanken mehr an den armen Vater denkt. Aber schaut's, Mutterl, ich kann nichts dafür. Da drinn' hupft's mir alleweil auf und ab, und im Kopf dreht sich alles um und um – ich kenn' mich selber nimmer aus. Geh'n wir lieber hinein zum Tiroler; vielleicht weiß er Rath wegen dem Vater.« Und sie schritt der Achmüllerin voran.
Der Mutter entging die auffallende Veränderung in dem Wesen des jungen Mädchens nicht; sie ahnte, daß etwas Bedeutendes vorgegangen sein müsse. Es überraschte sie auch, als nun Martl, der sie sonst nie viel beachtet hatte, lebhaft auf sie zueilte und mit herzlichem Gruß ihr die Hand bot, während der ihm folgende alte Brenzlmayr sie fast noch freundlicher willkommen hieß, vertraulich beim Arme nahm und zum Eingang der Hütte geleitete.
Rosel hatte kaum die Thüre geöffnet und einen Blick in's Innere geworfen, als sie mit dem frohen Ausruf: »Da schaut's hinein, wer da drin ist!« die Mutter vor sich eintreten ließ und ihren Begleitern schnell zuflüsterte, daß der Vater selber da sei.
Unangenehm überrascht empfing der Achmüller die Frau, die ihm mit ihrem Jammer und ihren Vorwürfen jetzt ganz ungelegen kam. Ungeduldig wollte er sie bei Seite drängen. Doch als hätte ihn eine Natter gebissen, so jäh flog er gegen den Stall zurück, als er auch den Leitenmüller mit seinem Sohne hereinkommen sah. Mit gänzlich verschiedenem Ausdruck starrten die zwei Männer einander an, die ihre halbe Lebenszeit als Feinde sich gemieden und nun durch eine seltsame Verkettung von Umständen, durch eine fast wunderbare Wendung hier zusammengeführt wurden.
Der alte Brenzlmayr blickte theilnehmend auf die abgemagerte, verfallene Gestalt des Achmüllers und hielt ihm seine Rechte versöhnend entgegen. Doch barsch stieß dieser sie zurück und sagte höhnisch: »Jetzt kommt ja gar der reiche, stolze Leitenmüller zu seinem armen Nachbarn und bittet um schön's Wetter. Merkst gewiß schon was, daß's bald herum ist mit der Herrlichkeit auf der Leitenmühl? Ja, ich seh schon, es muß seine Richtigkeit haben mit dem gefundenen Brief. Rosel, da geh her!«
Der Tiroler hatte inzwischen Rosel und den jungen Burschen, so wie er sie erblickt, durch einen Wink zu sich beschieden und leise einige Worte mit ihnen gewechselt. Jetzt reichte sie dem Schwärzer die Hand.
»Da hast meine Hand drauf, Wastl,« versprach sie, »daß dich der Martl, sobald es Nacht wird, sicher auf einer Zille nach Rosenheim bringt. Und wenn's dir lieber ist, kann ich dich bis dahin am Heuboden hinauf richten. Da sucht dich niemand droben.«
Der um seine Sicherheit besorgte Schmuggler nickte ihr, indeß sie die verglimmenden Kohlen unter dem Kessel aufschürte, dankbar zu und nahm gerührt das Anerbieten der jungen Leute an. Dann wandte er sich an den Achmüller, der sich in feindseliger Haltung an die Wand drückte, mit der eindringlichen Mahnung: »Jetzt wär's wohl bald an der Zeit für dich da hinten, daß du nachgibst und nicht das Diendl auch noch unglücklich machst. Laß ihr ihren Buben und vergiß nicht, daß der Martl den Achmüller leicht bei Gericht anzeigen kann; aber gegen seinen Schwiegervater wird er's bleiben lassen. Richt' uns nicht alle zu Grund durch deinen Eigensinn!«
Der Achmüller fand aber jetzt unmöglich Zeit zu einer Erwiderung. Mit funkelnden Augen verschlang er fast das Document, das ihm das Mädchen überreicht hatte. Zeile um Zeile studirte er darin, und immer lichter und triumphirender ging die innere Genugthuung in seiner Miene auf. In der Brust des von ewiger Unruhe verzehrten, rastlos umhergehetzten Mannes schien der Friede endlich einzukehren. Dann war's, als zögen an seinem Geiste alle die Enttäuschungen und Verluste, die ganze Todesangst und Gewissensqual der letzten Nacht und alle Leiden seines Lebens vorüber, die der vieljährige Streit zur Folge gehabt – so wehmüthig umflort hing sein Auge an der ein volles Menschenalter hindurch vermißten Urkunde.
Als ob die richtige Lösung aller Wirren, in die er sich verstrickt, auch in ihm zu tagen beginne, so überaus beglückt, so von Herzensgrund beseligt starrte er nun wieder auf das Pergament. Und mit einem verstohlenen Blicke in das ehrliche, offene Gesicht des jungen Burschen dort und auf den biedern Graukopf daneben, die nicht daran dachten, ihn in's Unglück zu stürzen, schien auch die letzte Besorgniß zu entfliehen.
»Hab's bald nimmer 'glaubt,« sagte er endlich zu seinem Weib, »daß ich's noch erleb' … das ist also mein Recht, das mich mein halbes Leben kostet hat! Jetzt hab' ich's in Händen, und mir ist grad, als wär' ich ein anderer Mensch.« Er hatte tief aufathmend und in einem Tone gesprochen, der sich von seiner sonstigen rauhen Weise so auffallend unterschied, daß die Achmüllerin froh überrascht zu ihm aufblickte. Sie war inzwischen von der Liebe und dem Glück ihres Kindes sowohl als von dem wichtigen Funde unterrichtet worden.
»Ich bin ein ganz anderer Mensch!« wiederholte der Achmüller und starrte so verklärt auf das alte Schriftstück wie auf einen ihm unvermuthet zugefallenen Schatz.
»So dank unserm Herrgott, daß's so kommen ist, Nachbar,« ergriff jetzt der Leitenmüller warmherzig das Wort, »hätt' leicht schlimmer ausfallen können. Da schau die zwei an« – damit wies er auf das blühende junge Paar – »und laß uns den Frieden binden mit unsern Kindern, und der Herr wird seinen Segen dazu geben. Nachbar, ich zahl' die Proceßkosten, bring' einen frischen Viehstand in die Wirthschaft und richt' die Achmühl' her, wie keine zweite neben der Leitenmühl' im Gebirg ist. Geben wir nachher der jungen frischen Müllerin den Buben da, und wenn wir zwei Alten sehen, wie die jungen Leut' hausen, wird's uns selber freuen, und wir werden die Stund' nie bereuen. Schlag ein, Nachbar,« sagte er weich. Sein Herz zerfloß vor Rührung, und er reichte dem Achmüller zum zweiten Mal die Hand.
Die Müllerin, überwältigt von dem Glück, das nach all dem Leid auf sie einstürmte, trat still weinend auf ihren Mann zu und erhob mit stummer Bitte die Hände, während die Kinder in banger Erwartung auf ihn blickten, wie man nach der letzten Wolke schaut, die den Lebenshimmel nicht mehr verfinstern, wohl aber trüben könnte.
Zögernd, als hätte er einen innern Kampf noch vollends auszukämpfen, that der Achmüller einen Schritt aus seinem Winkel hervor. Endlich legte er, wenn auch nicht ohne Ueberwindung, seine Hand in die des alten Brenzlmayr. Unter dem warmen, kräftigen Drucke derselben schien auch die letzte Spur von Groll aus seiner Seele zu schwinden.
»Jetzt will ich's euch sagen, wie mir die Zeit her gewesen ist,« sagte er mit dem stilllächelnden Ausdruck eines Menschen, der von ganzem Herzen einmal glücklich ist. »Grad als wenn einen im Schlaf die Trud druckt, so hat's mich den ganzen Proceß her 'quält, alleweil ist was da drinn' gesteckt, und ich hab' gewiß gewußt, ich muß noch einmal zu meinem Recht kommen. Jetzt, weil ich's in der Hand hab, ist alles vorbei, jetzt ist mir ganz leicht … Rosel, so viel Freud hast mir in deinem ganzen Leben nicht gemacht!« rief er und sah sich nach der jungen Sennerin um.
So liebreich und väterlich hatte sein Auge auf der lieblichen Tochter lange nicht mehr geruht. Er schien wie versunken in ihren Anblick. Ihren Buben fest an der Hand haltend, hatte sie sich, als sie den Vater mit dem alten Brenzlmayr versöhnt sah, unwillkürlich der offenen Thüre genähert. Ihre Lippen bewegten sich wie in leisem Gebete, und ihre Blicke flogen weit hinaus in das strahlende Himmelsblau, das keine Wolke mehr verdunkelte. Das innere Glück warf seinen freundlichen Widerschein auf ihr liebes Gesicht. Der Achmüller fuhr sich mit dem Aermel über die Augen. Als er dann dicht vor die beiden hintrat und mit herzlicher Freude zu der Kraftgestalt seines künftigen Sohnes aufschaute, sprach er mit tiefer Bewegung zu dem prächtigen Burschen: »Da, Bub, halt dein Weib in Ehren, kriegst eine gute Hauserin.«
»Und wir, Mutter,« sagte er mit seltener Herzlichkeit zu der Achmüllerin, für die damit das Morgenroth einer schönern Zukunft anzubrechen schien, »wir bauen uns ein Austragstübel und thun den jungen Leuten zuhelfen.«
»Aber,« fuhr er plötzlich gegen den Leitenmüller mit stolzem Kopfnicken auf, »daß ich die Hauptsach' nicht vergess'! Sag's jetzt selber – und die sind alle Zeugen! – daß ich den Proceß gewonnen hab', sag' mir's, daß's Wasser mein gehört, und daß ich im Recht bin – ich muß's von dir selber hören!«
Und als der alte Brenzlmayr bereitwillig Wort für Wort bestätigte, rief er im Gefühle des endlich errungenen Sieges: »So, jetzt bin ich erst ganz zufrieden und sag' dir nur noch das eine: Was du deinem Buben gibst und für die Achmühl' thust, ist nichts als deine Schuldigkeit, und wir brauchen uns bei dir nicht zu bedanken. Daß's aber nicht später heißt, die Rosel ist so eine Dahergelaufene, hat nichts gehabt – schau her, Brenzlmayr, es ist nichts Kleines, das ich ihr geb'!«
Mit zitternder Hand hielt er dem Leitenmüller das Document nahe vor die Augen. »Und daß du siehst,« rief er mit unterdrückter Bewegung, »daß ich auch nicht unrecht bin und daß's mir allein um's Recht zu thun ist – hier schleuderte er den Wasserbrief in die Gluth auf dem Herde – das ist ihr Heirathgut, dem Achmüller sein Recht!«