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Das Diendl hat keinen Buben, sag' ich dir … ich, sein Vater, hätt' ihn lang schon auf'gangen. Auch weiß bei uns herinn' ein jeder, wie's mit der Mühl' steht; und da vergeht einem richtigen Burschen die Lust bald, zu der Achmüller-Rosel Fensterl'n zu gehen.«
So ließ sich am Schlusse einer längern Unterredung der eine der beiden Männer vernehmen, die schon vor Sonnenaufgang hinter der Weidenböschung drunten am Wasser standen.
»Wohl, wohl, das kann mir schon recht sein,« versetzte lebhaft der andere; »aber das Madel ist zu viel fein, als daß ein Bub lang' auf die Mühl' schaut. Kurz und gut, folgt nur mir, Müller; dann soll's auf dem Gütel auch bald wieder anders ausschauen.«
»Ja, wenn unser Herrgott will, und der Landrichter zu Rosenheim nichts dawider hat,« entgegnete mit einem tiefen Athemzug der Achmüller und streckte seinem Gefährten die Hand zum Abschied hin. »Behüt Gott, Wastl, nichts für ungut!«
»Behüt dich Gott, Müller, und überleg dir's wegen dem Madel mit deinem Weib!« rief dieser dem sich Entfernenden nach.
Nicht allein an der Aussprache, auch an Figur und Kleidung erkannte man in dem Zurückbleibenden leicht den Tiroler. Der breite, reich ausgenähte Leibgurt umspannte eine hochgewachsene, ebenmäßige Gestalt im besten Mannesalter, indeß der spitze, breitkrämpige Hut ein etwas verschmitztes, stark wettergebräuntes Gesicht beschattete. Die graue Lodenjoppe saß schmuck an dem strammen Körper, und die glänzend schwarze Kniehose mit den schneeweißen Strümpfen in den knappen Bundschuhen umschloß ein kräftiges, wohlgeformtes Bein.
Der Tirolerwastl stand, auf ein Ruder gestützt, noch aufrecht im Kahne, in dem er den Achmüller heute schon über den Inn gerudert. Ein halb schlauer, halb spöttischer Zug spielte um seine Mundwinkel, als er mit dem klugen, scharf blickenden Augenpaar dem am Ufer langsam dahinschreitenden Manne nachschaute. Mit überlegenem Lächeln strich er den mächtigen schwarzen Schnurrbart, ehe er sich auf die Ruderbank niederließ, um gleich darauf mit kräftigen Stößen die rauschenden Fluthen des Bergstromes zur Rückfahrt zu durchschneiden.
Eine Zeit lang wanderte der Achmüller, die Hände auf den Rücken gelegt, mit vorgeneigtem Kopfe und wie in sich versunken am Rande des Wassers fort. Er mochte noch nicht lange die Mitte der Fünfziger erreicht haben; die spärlichen grauen Haare aber und das tiefgefurchte Gesicht ließen ihn auf den ersten Blick älter erscheinen, wenn auch schwer zu errathen war, ob diese von Natur offenen und ehrlichen Züge aus Kummer oder Leidenschaft von frühen Runzeln so durchwühlt waren.
Bald fuhr der Mann aus seinem stillen Hinbrüten auf. Unstät und hastig wurde sein Gang; unruhig schob er den spitzen Hut bald rechts, bald links, oder rückte ihn tiefer in die Augen, während er mit den Armen heftige Bewegungen machte und von Zeit zu Zeit, je nachdem sie sich ihm lebhafter aufdrängten, seine Gedanken laut werden ließ.
»Recht hat er schon, der Tirolerwastl,« sagte er und nickte beifällig mit dem Kopfe. »Wie ist's aber,« murmelte er dann bedenklich und blieb stehen, »wenn's Diendl nicht mag? Hilft nichts, nachher muß's. Ich, sein Vater, will's ihm schon weisen!« rief er entschlossen und verfolgte seinen Weg wieder mit raschern Schritten.
Es war noch früh am Morgen, und die Gebirgskette, die hier nahe an den Fluß herantritt, lag noch halb in Dämmerung gehüllt. Nur die höchsten Zacken und Hörner trennten sich von dem grauen Horizonte, an dessen Rande die Sonne sich durch einen schwachen gelbrothen Schimmer verrieth. Das Kranzhorn, Baierns hohe Warte an der Tyrolergrenze, bildet hier mit dem gegenüber liegenden Falkenberg das Eingangsthor nach Oesterreich. Ihre Häupter klärten sich allmälig und ragten frei in den sich heller färbenden Himmel; aus allen Schluchten und Felsspalten verdrängte die höher steigende Sonne die um die Bergwände wallenden Nebelschleier, und bald unterschied man alle die kühnen und großartigen Bergformen, die prächtigen Waldbestände und die reichen grünen Matten der herrlichen Gebirgswelt.
Nun ließ sich auch das ganze breite Flußbett überschauen, das bis an den Fuß des Falkenbergs mit Wogen gefüllt ist, wenn im Frühjahr die Gletscher ihre Fluthen zu Thale senden. Jetzt rollt ruhig Welle auf Welle in dem alten Rinnsal, und nur schwache Seitenarme ziehen sich in merkwürdigen Windungen gleich schmalen Silberstreifen durch das grüne Land. Bald zwischen herabgestürzten Felsblöcken sich durchzwängend, bald leicht über loses Geröll hin spielend, eilen sie dem Hauptstrome zu. Die kleinen Inseln, welche überall dem Auge begegnen, zeigen sich mit dichten Laubholzböschungen, hohem Riedgras oder jungem Föhrenanflug bedeckt. Hier und da schimmert aus dem Gebüsch eine junge Birke silbern mit lichtgrünem Wipfel, auf dem singend eine Amsel sich wiegt, und deren Stamm schon stark genug ist, dem Hochwasser zu trotzen.
Hier ist der eigentliche, echte Tummelplatz der niedern Jagd, wenn auch das Hochwild es nicht verschmäht, in die wasserreiche Niederung herabzusteigen, wie jener stattliche Hirsch dort am Geröhricht, der plötzlich lauschend das Geweih erbebt. Er hat den Schall der nahenden Fußtritte vernommen, welche die tiefe Stille unterbrechen. Nach jener Gegend hin äugend, streckt er den Kopf mit den glänzenden Lichtern weit vor, das zierliche Schmalthier an seiner Seite hört auf zu äsen und wendet das Gehör der gleichen Richtung zu – dann plötzlich geht's wie mit Windeseile über Wasserrinnen und grüne Hecken flüchtig den Höhen zu, und das anmuthige Paar verschwindet im Dunkel des Bergwaldes.
In dem weichen Flußsand, der hier überall den Boden bedeckt, gewahrte man auch Reinecke's Fährte, der schon vor Tagesanbruch mit seiner Beute wieder heimgezogen in seinen sichern Bau; und als hätten sie geahnt, daß der schlaue nächtliche Räuber schon das Feld geräumt, so laut schwirrend und pfeifend sauste ein Flug Wildenten durch die Luft und fiel auf einen Wassertümpel ein. Lärmend und spielend tauchten sie bald auf, bald unter und putzten und ölten das prächtig schillernde Gefieder am Wasserrande. Doch als auch ihnen die näher kommenden Tritte hörbar wurden, stürzte sich der ganze fröhliche Schwarm plätschernd in die Fluth. Bald darauf trat mit kurzen, hastigen Schritten die mittelgroße hagere Gestalt des Wanderers aus dem niedern Gestrüpp hervor.
»G'spürt der Doctor ein Geld, geht er auch besser in's Zeug … Brenzlmayr, nachher geht's dir an den Kragen!« rief der Achmüller jetzt laut vor sich hin, indem plötzlich ein vergnügter, schadenfroher Zug, der eben so rasch wieder verschwand, über das verwitterte Gesicht lachte.
Er achtete des verscheuchten Wildes nicht und starrte wie mit blinden Augen in den goldenen Morgensonnenschein hinaus, der über den Waldhöhen und auf der von blitzenden Wassern durchschnittenen Ebene ruhte. Sein Weg ging über mehrere kleine Wasserarme, die mit großen Schrittsteinen nothdürftig überbrückt waren. Stumm vor sich hingrübelnd, trat er nun hinaus auf die kleine Straße, die nach der Ortschaft Einöden führt. Der Falkenberg und der Wildbarrn senken sich hier flach ab und verlieren sich in eine wellige grüne Mulde, die sich mehr und mehr erweitert, bis sich, wie ein Keil, das Hörnl dazwischen schiebt. Von seiner waldigen Höhe rauscht, wild wie ein kecker Bursch, ein kleiner Gebirgsbach herab. Bald wie im Uebermuthe Felsen überspringend, bald unter Buschwerk und Gestrüpp sich wie zum Scherz versteckend, läuft er sprudelnd und tosend dem Inn zu. An diesem lebendigen Wasser fort schritt der Müller den mäßig ansteigenden Berghang hinauf. Oefters hielt er an und starrte in den schäumenden Wildbach, – dann brach der innere Grimm plötzlich wieder los.
»Wär' mein Ahnl nicht gewesen,« brummte er, »laufet' das Wasserl auch nicht daher – und jetzt wollen sie mir mein Recht abstreiten! Lieber geht alles drauf … ist der Gaul hin, nutzt mir der Zaum auch nichts mehr!«
Es war, als verschluckte er eine Verwünschung zwischen den Zähnen, und unter den scharf zusammengezogenen Brauen schickte er zornige Blicke nach dem Hörnl hinauf, von wo ihm das jäh herabschießende Wasser so frisch und lustig entgegensprang. Als er noch eine kleine Strecke auswärts gestiegen, bot sich ein überraschender Anblick. An der kurzen Krümmung, die der Bach hier machte, zeigte sich in einiger Entfernung, unter Baumgrün halb versteckt, ein anmuthig gelegenes Gehöft. Das war das Ziel des frühen Wanderers, die Achmühle.
Das freundliche kleine Wohnhaus mit den in Blei gefaßten, von der Morgensonne vergoldeten runden Fensterscheiben schimmerte immer deutlicher durch die Zweige der Apfelbäume, die sich wie ein Wäldchen um dasselbe zogen. Bald sah man auch einen stattlichen Anbau, der die Stallungen enthielt, und den reißenden Bach entlang stand ein langgestreckter offener Bretterschuppen, in dem die Einrichtung einer Sägemühle sichtbar wurde. Aus einiger Entfernung machte die Besitzung den Eindruck eines ansehnlichen Mühlanwesens, und warf man einen Blick auf die reiche Landschaft, schwand auch jeder Zweifel, daß sie in ihren Mauern andere, als nur glückliche Menschen beherbergen mochte. Rechts und links erschien die Achmühle von prächtigem Waldgrund umschlossen, während im Hintergrunde üppig grüne Wiesen wellenförmig immer höher bis an den Fuß des Mitterbergs emporstiegen, zu jenem herrlichen alpenreichen Revier, von dessen duftenden Weiden den ganzen Sommer über das melodische Läuten der Heerdenglocken schallt. Wie mancher, den sein Weg hier vorüberführte, hätte seinen Wanderstab gern für immer hier ruhen lassen und zur Heimath diese traute Stätte erkoren, von wo der Blick sich aufthut nach der blauen Ferne, aus der die schneetragenden Alpen herüberschauen. Doch kam man dem Gehöfte ein Stück näher, so gewahrte man bald, daß die Zeit des Wohlstandes für den jetzigen Besitzer vorüber war und das Ganze seinem Verfall mit Riesenschritten entgegenrücke. Unheimlich berührte vor allem die vollständige Ruhe auf dem Platze und der Mangel alles ländlichen Lebens.
Auf der mit Stangen eingerahmten Wiese erblickte man keine jener prächtigen Alpenkühe, die der Stolz jedes Gebirgsbauern sind, kein muthwilliges Füllen, das in weiten Sätzen über den schwellenden Rasen die junge Kraft stählt – nur eine schöngehörnte schwarze Geis, von ihrem Zicklein umsprungen, ruhte vereinzelt unter einem Baume. Kein zottiger Haushund empfing den heimkehrenden Herrn mit stürmischem Gebell, kein gackerndes Huhn scharrte den Sand im Hof, keine Taubenschaar pickte hingestreute Körner auf, verlassen stand der buntbemalte Schlag. Alles schien wie ausgestorben, weder Knecht noch Magd, kein menschliches Wesen war sichtbar; und selbst das weiße Kätzchen, das auf dem Prügelstoße dort hinter dem Hause in der Sonne hockt, blinzelt wie gelangweilt vor sich hin.
Auch drüben unter dem Schuppen war alles stumm; still und eingerostet steckte die mächtige Baumsäge in ihren Rahmen. Wohl ragten noch, wo sonst die angeschwemmten Schnittbäume aufgestapelt lagen, die eingegrabenen Ständer in die Höhe, doch morsch und verwittert, drohten auch sie bald zusammenzustürzen. Das große Schaufelrad hing, von der Sonne halb zerrissen, unbeweglich in der trockenen Schußrinne, denn der Fehlschuß war aufgezogen, und dort stürzte zischend und brausend der starke Gebirgsbach hinunter. Umsonst schaute man nach der langen Galerie, die unter dem vorspringenden Dache sich um das ganze Haus hinzog, um irgend einen Bewohner zu entdecken; nur ein Schwarm Bienen summte noch um die alten umgeworfenen Körbe, in denen ihre Vorfahren einst zahlreich und emsig gehaust. Selbst an dem Steg, der über den Mühlbach zum Hause führte, fehlte das eine Geländer.
Der Achmüller jedoch, der so eben darüber schritt, hatte kein Auge für alle die traurigen Anzeichen des Verfalls auf seinem Besitzthum.