Prosper Mérimée
Lokis
Prosper Mérimée

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III.

Folgenden Morgens nach dem Frühstück schlug mir der Graf einen Spaziergang vor. Es handelte sich um den Besuch eines Kapas (so nennen die Lithauer die Grabhügel, welche bei den Russen Kurgan heißen), der sehr berühmt im Lande war, weil sich Dichter und Zauberer, die beides in einem waren, dort bei feierlichen Anlässen zusammenfanden.

»Ich kann Ihnen,« sagte er zu mir, »ein lammfrommes Pferd anbieten; leider kann ich Sie nicht in der Kutsche hinbringen; denn wahrlich ist der Weg, den wir einschlagen müssen, nicht fahrbar.«

Lieber wär' ich zum Notizenmachen in der Bibliothek geblieben, glaubte aber keinen anderen Wunsch wie den meines Wirtes äußern zu dürfen und willigte ein. Unten an der Freitreppe harrten unser die Pferde; im Hofe hielt ein Diener einen Hund an der Leine. Der Graf blieb einen Moment stehen und wandte sich an mich:

»Kennen Sie sich in Hunden aus, Herr Professor?«

»Sehr wenig, Euer Exzellenz.«

»Der Starost von Zorany, wo ich eine Besitzung habe, schickt mir den Wachtelhund hier, von dem er mir Wunderdinge erzählt. Gestatten Sie, daß ich ihn mir anschaue?«

Er rief den Diener, der ihm den Hund brachte. Es war ein sehr schönes Tier. Der Hund hatte sich bereits an den Mann gewöhnt, sprang munter herum und schien voller Feuer; wenige Schritte vor dem Grafen aber steckte er den Schwanz zwischen die Beine, stemmte sich zurück und schien von plötzlichem Schrecken gepackt. Der Graf streichelte ihn, weswegen er jämmerlich heulte, und nachdem Szemioth ihn eine Weile mit Kenneraugen betrachtet hatte, sagte er:

»Er wird, glaube ich, gut sein. Man soll für ihn sorgen!«

Dann schwang er sich in den Sattel.

»Herr Professor,« sagte der Graf, als wir in der Schloßallee waren, »Sie haben eben die Angst dieses Hundes gesehen. Ich wollte, daß Sie selber Zeuge davon wären . . . In Ihrer Eigenschaft als Gelehrter können Sie doch Rätsel erklären . . . Warum haben Tiere Angst vor mir?«

»Wahrlich, Herr Graf, Sie erweisen mir die Ehre, mich für einen Ödipus zu halten. Ich bin nur ein armer Professor der vergleichenden Sprachwissenschaften. Es könnte sein . . .«

»Bemerken Sie,« unterbrach er, »daß ich weder Pferde noch Hunde jemals schlage. Ein Gewissen würd' ich mir draus machen, einem armen Tiere, das ahnungslos eine Dummheit begeht, einen Peitschenhieb zu versetzen. Dennoch können Sie sich nicht denken, was für eine Abneigung ich Pferden und Hunden einflöße. Um sie an mich zu gewöhnen, hab' ich doppelt soviel Mühe und doppelt soviel Zeit nötig, wie ein anderer dazu braucht. Sehen Sie, das Pferd, auf dem Sie sitzen, hab' ich erst lange bändigen müssen; jetzt ist's lammfromm.«

»Die Tiere, Herr Graf, sind, glaub ich, Physiognomiker, und fühlen sofort heraus, ob die Person, die sie zum ersten Male sehen, Sinn für sie hat oder nicht, vermutlich lieben Sie die Tiere nur der Dienste wegen, die sie für Sie leisten; manche Leute sind bestimmten Tieren gegenüber von Natur aus parteiisch und die haben das sofort heraus. Ich zum Beispiel habe seit Kinderzeit eine instinktive Vorliebe für Katzen. Selten laufen sie davon, wenn ich mich ihnen zum Streicheln nähere; nie hat mich eine Katze gekratzt.«

»Das ist sehr möglich,« sagte der Graf. »Tatsächlich hab' ich nicht, was man Sinn für Tiere nennt . . . Sie taugen nicht viel mehr als die Menschen . . . Ich führe Sie, Herr Professor, in einen Wald, wo heut noch das Reich der Tiere, die Matecznik, die große Urform, die große Werkstatt der Wesen, besteht. Ja, unseren nationalen Überlieferungen gemäß hat niemand seine Tiefen ergründet. Niemand, die Herren Dichter und Zauberer natürlich ausgenommen, die überall hinkommen, hat den Mittelpunkt dieser Wälder und Sümpfe zu erreichen vermocht. Hier leben die Tiere in einer Republik . . . oder unter einer verfassungsmäßigen Herrschaft; unter welcher von beiden, wüßt' ich nicht zu sagen. Löwen, Bären, Elentiere, Jubrs, das sind unsere Auerochsen, all das kommt prächtig mitsammen aus. Das Mammut, welches sich hier noch erhalten hat, genießt höchstes Ansehen. Es ist, glaub' ich, Adelsmarschall. Sie haben eine gar strenge Polizei, und wenn sie irgend ein Tier lasterhaft finden, verurteilen und verbannen sie's. Es gerät dann vom Regen in die Traufe und muß im Lande der Menschen abenteuern, wenige überstehen das.«Siehe »Ehren Thaddäus« von Mickiewicz; »Das gefesselte Polen« von Charles Edmond.

»Eine sehr merkwürdige Legende,« rief ich. Doch Sie reden von Auerochsen, Herr Graf; gibt's das edle Tier, das Caesar in seinen Kommentaren schildert, und das die Merowingerkönige im Walde bei Compiègne jagten, wie man durch Hörensagen weiß, wirklich noch in Lithauen?«

»Ganz gewiß. Mein Vater selber hat, mit Regierungserlaubnis natürlich, einen Jubr getötet. Im großen Saale haben Sie seinen Kopf sehen können. Ich selber hab' nie einen gesehn; Jubrs sind, glaub' ich, sehr selten. Dagegen haben wir Wölfe und Bären in Hülle und Fülle hier. Um einer etwaigen Begegnung mit einem dieser Burschen willen hab' ich dies Instrument mitgenommen (er wies auf eine tscherkessische Tschekhol hin, die er über die Schulter trug) und mein Reitknecht hat einen doppelläufigen Karabiner am Sattel hängen.«

Wir fingen an, es mit dem Walde aufzunehmen. Bald verschwand der Pfad, den wir verfolgten, vollends. Jeden Augenblick waren wir genötigt, uns um ungeheure Bäume herumzudrängen, deren niedrige Zweige uns den Weg versperrten. Einige vor Alter abgestorbene und umgestürzte stellten sich uns wie ein unüberschreitbarer, von spanischen Reitern bekrönter Wall entgegen. Anderswo stießen wir auf tiefe, mit Nymphaeen und Wasserlinsen überzogene Lachen. In weiterer Entfernung sahen wir Lichtungen, deren Grün wie Smaragde glänzte; wehe dem aber, der sich dorthin gewagt hätte, denn solch eine reiche und trügerische Vegetation verbirgt gewöhnlich Morastschlünde, worin Roß und Reiter für immer verschwinden . . . Die Wegschwierigkeiten hatten unsere Unterhaltung unterbrochen. All meine Mühen setzte ich daran, um dem Grafen zu folgen; und ich bewunderte die unbeirrbare Sicherheit, mit welcher er sich ohne Kompaß zurecht- und immer wieder die mutmaßliche Richtung fand, die man einhalten mußte, um nach dem Kapas zu gelangen. Augenscheinlich hatte er in diesen Urwäldern viel gejagt.

Endlich erblickten wir den Grabhügel inmitten einer weiten Lichtung. Er war stark erhöht und von einem Graben umgeben, der trotz Gestrüpp und Geröll noch gut erkennbar war. Anscheinend hatte man ihn bereits durchwühlt. Obendrauf bemerkte ich die Reste eines Gemäuers aus Steinen, von denen einige gebrannt waren. Eine ansehnliche Menge mit Kohle vermischter Aschenreste und da und dort Scherben groben irdenen Geschirrs bewiesen, daß man oben auf dem Grabhügel eine geraume Zeit lang Feuer unterhalten hatte. Wenn man den Volksüberlieferungen Glauben schenkt, sind auf den Kapas früher Menschenopfer dargebracht worden; doch gibt es nicht eine erloschene Religion, der man solch schändliche Bräuche nicht zugeschrieben hat, und ich zweifle, daß man hinsichtlich der alten Lithauer eine derartige Meinung durch historische Beweise rechtfertigen kann.

Wir, der Graf und ich, stiegen von dem Grabhügel hinunter, um unsere Pferde, die wir auf der anderen Grabenseite gelassen hatten, wieder zu erreichen, als wir ein altes Weib auf uns zukommen sahen, die sich auf einen Stecken stützte und einen Korb in der Hand trug.

»Liebe edle Herren,« sagte sie, als sie auf uns stieß, »Um des lieben Gottes willen, erbarmt euch meiner. Schenkt mir was für ein Glas Schnaps, um meinen armen Leib zu erwärmen.«

Der Graf warf ihr ein Geldstück hin und fragte sie, was sie im Walde, soweit fort von jedem bewohnten Orte, tue. Statt einer Antwort wies sie ihm ihren Korb, der mit Pilzen gefüllt war. Wiewohl meine botanischen Kenntnisse begrenzt sind, schien es mir, als ob mehrere dieser Schwämme zu den giftigen Arten gehörten.

»Liebe Frau,« sagte ich zu ihr, »Ihr wollt das hoffentlich nicht essen?«

»Guter edler Herr,« antwortete die Alte mit traurigem Lächeln, »die armen Leute essen alles, was der liebe Gott ihnen schenkt.«

»Sie kennen unsere lithauischen Mägen nicht,« sagte der Graf; »die sind mit Blech gefüttert. Unsere Bauern essen alle Pilze, die sie finden, und es geht ihnen nur immer besser.«

»Hindern Sie sie wenigstens, den Agaricus necator zu essen, den ich in ihrem Korbe sehe,« rief ich.

Und ich streckte die Hand aus, um einen der giftigsten Pilze zu nehmen; doch zog die Alte schnell den Korb zurück.

»Nimm Dich in acht,« sagte sie erschreckt, »sie sind bewacht . . . Pirkuns! Pirkuns!«

Pirkuns ist nebenbei bemerkt der samogitische Name der Gottheit, welche die Russen Peun nennen: der Jupiter tonans der Slaven. War ich überrascht, die Alte einen heidnischen Gott anrufen zu hören, so war ich's noch mehr, als ich die Pilze sich bewegen sah. Ein schwarzer Schlangenkopf kam hervor und richtete sich mindestens einen Fuß hoch im Korbe auf. Ich fuhr zurück und der Graf spie, einem slavischen Aberglauben gemäß, über die Schulter. Nach der alten Römer Beispiele meint man böse Zauber damit abzuwenden. Die Alte setzte den Korb auf die Erde, kauerte sich daneben; dann streckte sie die Hände nach der Schlange hin aus und rief etwelche unverständliche Worte, die nach Beschwörung klangen.

Eine Minute verharrte die Schlange unbeweglich; dann schlängelte sie sich um der Alten fleischlosen Arm und verschwand im Ärmel ihres Schafpelzmantels, der mit einem dürftigen Hemde, glaub ich, den ganzen Anzug dieser lithauischen Circe ausmachte. Die Alte sah uns mit einem leisen, triumphierenden Lächeln wie ein Taschenspieler an, der grade ein schwieriges Kunststück ausgeführt hat.

Auf ihrer Physiognomie stand jene Mischung von Schlauheit und Dummheit geschrieben, die bei angeblichen Zauberern, die größtenteils Narren und Schelme zugleich sind, nicht selten zu finden ist.

»Hier,« sagte der Graf deutsch zu mir, »haben Sie ein Muster von Lokalfarbe; eine Hexe, die unten an einem Kapas in Gegenwart eines gelehrten Professors und eines unwissenden lithauischen Edelmanns eine Schlange beschwört. Das würde für Ihren Landsmann Knaus ein hübscher Vorwurf für ein Genrebild sein . . . Haben Sie Lust, sich wahrsagen zu lassen? Schöne Gelegenheit haben Sie hier.«

Ich antwortete, daß ich mich wohl hüten würde, derartige Fertigkeiten zu fördern.

»Lieber,« fügte ich hinzu, »würd' ich sie fragen, ob sie nicht etwas Näheres über die seltsame Überlieferung weiß, von der Sie mir erzählt haben!«

»Liebe Frau,« sagte ich zur Alten, »hast Du nicht von einem Bezirke in diesem Walde sprechen hören, wo die wilden Tiere, ohne des Menschen Herrschaft zu kennen, in Gemeinschaft leben?«

Die Alte nickte bejahend mit dem Kopfe und sagte mit ihrem halbdummen, halbschlauen, leisen Lächeln:

»Von dort komm ich her. Die Tiere haben ihren König verloren. Nobel, der Löwe, ist tot; die Tiere wollen einen anderen König wählen. Geh hin, Du wirst vielleicht König werden!«

»Was sagst Du da, Mutter?« rief der Graf, in ein Gelächter ausbrechend, »Weißt Du auch, mit wem Du redest? Du weißt also nicht, daß der Herr ein . . . (wie zum Teufel heißt Professor auf Shmudisch?) der Herr ein großer Gelehrter, ein Weiser, ein Waidelot ist?«Eine schlechte Übersetzung des Wortes Professor. Die Waideloten waren lithauische Barden.

Die Alte sah ihn aufmerksam an.

»Ich hab' Unrecht,« sagte sie; »Du mußt da hinunter gehn. Du wirst ihr König sein, nicht er; Du bist groß, Du bist stark, Du hast Klauen und Zähne« . . .

»Was sagen Sie zu den Epigrammen, die sie auf uns abschießt?« sagte der Graf zu mir. – »Du kennst den Weg, Mütterchen?« fragte er sie.

Sie wies ihm mit der Hand einen Teil des Waldes.

»Jawohl!« fuhr der Graf fort. »Und der Sumpf, wie kommst Du denn über den?«

»Sie müssen wissen, Herr Professor, daß auf der von ihr bezeichneten Seite ein unüberschreitbarer Sumpf ist, ein flüssiger Schlammsee, der mit einer grünen Pflanzendecke überzogen ist. Im letzten Jahre hat sich ein von mir angeschossener Hirsch in dies Teufelsmoor gestürzt. Ich hab ihn langsam, langsam versinken sehen . . . Nach zwei Minuten sah ich nur noch sein Geweih; bald ist er ganz verschwunden, und zwei meiner Hunde mit ihm.«

»Ich aber, ich bin nicht schwer,« sagte die Alte hohnlächelnd.

»Du überschreitest den Sumpf mühelos, glaub ich, auf einem Besenstiel.«

Ein Zorn blitzte in den Augen der Alten.

»Guter edler Herr,« sagte sie, den schleppenden und näselnden Bettlerton wieder aufnehmend, »solltest Du nicht eine Pfeife Tabak einem alten Weibe zu schenken haben? – Besser würdest Du,« fügte sie, die Stimme senkend, hinzu, »den Weg übers Moor suchen, als nach Dowgielly zu gehn.«

»Dowgielly!« rief der Graf errötend, »Was willst Du damit sagen?«

Unbedingt mußte ich bemerken, daß dies Wort einen seltsamen Eindruck auf ihn machte. Sichtlich war er verwirrt; er senkte den Kopf und beschäftigte sich, um seine Verlegenheit zu verbergen, angelegentlichst mit dem Öffnen seines am Griff des Jagdmessers hängenden Tabakbeutels.

»Nein, geh nicht nach Dowgielly,« fuhr die Alte fort. »Das weiße Täubchen ist nicht Dein Fall. – Nicht wahr, Pirkuns?«

In diesem Augenblicke kam der Schlangenkopf aus dem Halsausschnitt des alten Mantels hervor und streckte sich bis an seiner Herrin Ohr. Das zweifelsohne dazu abgerichtete Reptil bewegte die Kinnladen, wie wenn es spräche.

»Er sagt, daß ich Recht habe,« fügte die Alte hinzu.

Der Graf gab ihr eine Hand voll Tabak.

»Du kennst mich ?« fragte er.

»Nein, mein guter Herr.«

»Ich bin der Besitzer von Medintiltas. Such mich an einem dieser Tage auf. Tabak und Branntwein will ich Dir schenken.«

Die Alte küßte ihm die Hand und entfernte sich mit großen Schritten. Im Nu hatten wir sie aus den Augen verloren, der Graf blieb nachdenklich, machte seinen Beutel auf und zu, ohne recht zu wissen, was er tat.

»Herr Professor,« sagte er nach einem ziemlich langen Schweigen zu mir, »Sie werden sich über mich lustig machen. Die schnurrige Alte kennt mich besser, als sie zugibt, und den Weg, den sie mir eben zeigt . . . Alles in allem ist nichts Erstaunliches an alledem. Wie'n bunter Hund bin ich im Land bekannt. Die Schelmin hat mich mehr als einmal auf dem Wege nach dem Schlosse von Dowgielly gesehn . . . 's gibt da eine heiratsfähige junge Dame: daraus hat sie geschlossen, daß ich verliebt in sie sei . . . Irgend ein hübscher Junge wird ihr ordentlich was in die Hand gesteckt haben, damit sie mir ein böses Abenteuer anzeige . . . All das springt in die Augen; dennoch . . . berühren mich ihre Worte gegen meinen Willen seltsam. Fast bin ich darüber erschreckt . . . Sie lachen und haben Recht. Wahrheit ist, daß ich geplant hatte, uns in Schloß Dowgielly zum Essen einladen zu lassen, und nun schwanke ich . . . Bin ein großer Narr! Nun, Herr Professor, entscheiden Sie selber. Sollen wir hingehn?«

»Ich werd' mich wohl hüten, eine Ansicht zu äußern,« antwortete ich lachend. »In Heiratsangelegenheiten geb' ich nimmer einen Rat!«

Wir hatten unsere Pferde erreicht. Leicht schwang der Graf sich in den Sattel und, die Zügel fallen lassend, rief er:

»Das Pferd soll für uns wählen!«

Das Pferd zauderte nicht; sofort bog es in einen kleinen Saumpfad ein, der nach mehreren Biegungen in eine feste Straße mündete, und diese Straße führte nach Dowgielly. Eine halbe Stunde später waren wir an der Schloßfreitreppe.

Beim Getrappel unserer Pferde zeigte sich ein hübscher Blondkopf zwischen zwei Vorhängen an einem Fenster. Ich erkannte die ruchlose Mickiewiczübersetzerin.

»Seien Sie willkommen!« rief sie. »Nicht gelegener könnten Sie kommen, Graf Szemioth. Im Augenblick hab ich ein Pariser Kleid gekriegt. Nicht wiedererkennen sollen Sie mich, so schön werd' ich sein.«

Die Vorhänge schlossen sich. Beim Treppensteigen murmelte der Graf zwischen den Zähnen:

»Sicherlich zieht sie das Kleid nicht für mich zum ersten Male an . . .«

Er stellte mich Frau Dowgiello vor, Panna Iwinskas Tante, die mich liebenswürdig aufnahm und mir von meinen letzten Artikeln in der Königsbergischen Zeitschrift für Literatur und Wissenschaften sprach.

»Der Herr Professor,« sagte der Graf, »will sich bei Ihnen über Fräulein Julchen beklagen, die ihm einen recht schändlichen Streich gespielt hat.«

»Sie ist ein Kind, Herr Professor. Man muß ihr verzeihen. Oft bringt sie mich mit ihren Narrheiten in Verzweiflung. Mit sechzehn Jahren war ich viel vernünftiger als sie mit zwanzig. Im Grunde aber ist sie ein gutes Mädchen und besitzt die besten Eigenschaften. Sie ist eine sehr gute Musikerin, malt himmlische Blumen, spricht deutsch, französisch und italienisch gleich gut . . . Sie stickt . . .«

»Und macht shmudische Verse!« fügte der Graf lachend hinzu.

»Dazu ist sie nicht imstande!« rief Frau Dowgiello, die sich dann ihrer Nichte Eulenspiegelei auseinandersetzen ließ.

Frau Dowgiello war unterrichtet und kannte ihrer Heimat Altertümer. Ihre Unterhaltung gefiel mir ausnehmend gut. Sie las viele unserer deutschen Zeitschriften und hatte sehr gesunde Ansichten über Sprachwissenschaft. Zugegebenermaßen merkte ich nicht, wieviel Zeit Fräulein Iwinska zum Anziehen gebrauchte; sehr lange aber schien das dem Grafen Szemioth zu dauern, der aufstand, sich wieder setzte, aus dem Fenster schaute und mit seinen Fingern, wie einer, der die Geduld verliert, gegen die Glasscheiben trommelte.

Nach dreiviertel Stunden, endlich, erschien in Begleitung ihrer französischen Gesellschafterin Fräulein Julchen, voller Anmut und Stolz ein Kleid tragend, dessen Beschreibung viel überlegenere Kenntnisse als meine erfordern würde.

»Bin ich nicht schön?« fragte sie den Grafen, sich langsam um sich selber drehend, damit er sie von allen Seiten beschauen konnte.

Sie sah weder den Grafen noch mich an, sie schaute auf ihr Kleid.

»Wie, Jutta,« sagte Frau Dowgiello, »Du sagst dem Herrn Professor, der sich über dich beklagt, nicht guten Tag?«

»Ach! Herr Professor!« rief sie mit einem reizenden Mäulchen, »was hab ich denn getan? Wollen Sie mich zur Strafe nachsitzen lassen?«

»Wir würden uns selber strafen, mein gnädiges Fräulein,« sagte ich, »wenn wir uns Ihrer Anwesenheit beraubten. Ich denke nicht dran, mich zu beklagen, beglückwünsche mich im Gegenteil dazu, durch Sie erfahren zu haben, daß die lithauische Muse strahlender denn je wiedererstanden ist.«

Sie senkte den Kopf, und ihre Hände vors Gesicht legend, doch dabei darauf achtend, daß ihre Haare nicht in Unordnung gerieten, sagte sie mit dem Tone eines Kindes, das grade Eingemachtes genascht hat:

»Verzeihen Sie mir, ich will's nicht wieder tun!«

»Ich werd' Ihnen nur dann verzeihen, liebe Pani, wenn Sie ein gewisses Versprechen erfüllt haben werden, das Sie mir in Ihrer Güte in Wilna bei der Fürstin Katazyna Pac gaben.«

»Was für ein Versprechen?« fragte sie und hob lächelnd den Kopf.

»Schon haben Sie's vergessen? Sie haben mir versprochen, mir, wenn wir uns in Samogitien begegnen sollten, einen bestimmten heimischen Tanz zu zeigen, von dem man Wunderdinge erzählt.«

»Oh, die Russalka! Hinreißend bin ich in ihr, und da ist just der Mann, den ich brauche.«

Sie lief an einen Tisch, wo Musikalien lagen, blätterte schnell in einem Hefte herum, stellte es auf das Pult eines Pianos und wandte sich an ihre Gesellschafterin:

»Bitte, liebes Herz, allegro presto.«

Und sie spielte selbst, ohne sich zu setzen, das Ritornell, um das Tempo anzugeben.

»Hierher, Graf Michael; als echter Lithauer werden Sie doch die Russalka fein tanzen können . . . doch tanzen Sie wie ein Bauer, hören Sie?«

Frau Dowgiello versuchte, doch vergebens, Einspruch zu erheben. Der Graf und ich waren hartnäckig. Er hatte seine Gründe, denn seine Rolle in diesem Tanze war, wie man bald sehen wird, eine der angenehmsten. Nach einigem Probieren sagte die Gesellschafterin, so merkwürdig er auch sei, sie glaube diese Art Walzer spielen zu können. Fräulein Iwinska nahm, nachdem sie einige Stühle und einen Tisch, die ihr im Wege sein konnten, fortgerückt hatte, ihren Ritter am Rockkragen und führte ihn in die Salonmitte.

»Sie müssen wissen, Herr Professor, ich bin die Russalka, Ihnen zu dienen.«

Sie machte einen tiefen Knix.

»Eine Russalka ist eine Nixe. In allen jenen mit schwarzem Wasser angefüllten Tümpeln, die unsere Wälder verschönen, gibt's eine. Nähern Sie sich ihnen nicht! Die Russalka kommt heraus, noch viel hübscher ist sie, wenns möglich ist, als ich; sie zieht Sie auf den Grund, oder verschlingt Sie allem Anscheine nach . . .«

»Eine wahre Sirene!« rief ich.

»Er,« fuhr Fräulein Iwinska, auf Graf Szemioth zeigend, fort, »ist ein junger, gar dummer Fischer, der sich meinen Krallen aussetzt; und ich, um dem Vergnügen längere Dauer zu geben, will ihn berücken, indem ich ein bischen um ihn herum tanze . . . Ach; um es aber ordentlich zu können, müßte ich einen Sarafan anhaben. Wie schade! . . . Wollen Sie bitte dies Kleid entschuldigen, das uncharakteristisch ist, keine Lokalfarbe gibt . . . Oh! Und Schuhe hab' ich an! In Schuhen kann man die Russalka unmöglich tanzen! Und noch dazu mit Absätzen!« . . .

Sie hob ihr Kleid auf, schüttelte auf die Gefahr hin, ihr Bein etwas sehen zu lassen, voller Anmut ein hübsches Füßchen und sandte ihren Schuh in eine Salonecke. Der zweite folgte dem ersten, und sie stand in ihren Seidenstrümpfen auf dem Parkett.

»Alles ist bereit,« sagte sie zu der Gesellschafterin. Und der Tanz hob an.

Die Russalka dreht sich um ihren Partner hin und her. Er streckt die Arme aus, um sie zu greifen, sie gleitet unten durch und entschlüpft ihm. Das ist gar anmutig, und die Musik ist bewegt und eigenartig. Die Figur endigt damit, daß die Russalka, wenn der Partner sie zu greifen wähnt, um ihr einen Kuß zu geben, einen Sprung macht, ihn auf die Schulter schlägt, dann sinkt er wie tot zu ihren Füßen hin . . . Der Graf aber improvisierte eine Variante, die darin bestand, den Eulenspiegel in seine Arme zu schließen und tüchtig abzuküssen. Fräulein Iwinska stieß einen leichten Schrei aus, wurde dunkelrot und ließ sich schmollend in ein Sofa fallen, indem sie sich beklagte, er habe sie wie ein Bär, der er sei, gedrückt. Ich sah, daß der Vergleich dem Grafen nicht behagte, denn er erinnerte ihn an ein Familienunglück. Seine Stirn umwölkte sich.

Ich aber dankte Fräulein Iwinska lebhaft und lobte ihren Tanz, der mir einen ganz antiken Charakter zu haben schien und an die heiligen Tänze der Griechen erinnerte. Ich wurde von einem Diener unterbrochen, der den General und die Fürstin Wekaminof anmeldete. Fräulein Iwinska machte einen Satz vom Sofa nach ihren Schuhen, trat schnell mit ihren kleinen Füßen hinein und lief der Fürstin entgegen, der sie einmal übers andere zwei tiefe Knixe machte. Bei jedem, sah ich, brachte sie die Ferse geschickt im Schuhe unter. Der General hatte zwei Adjutanten mit und bat wie wir um das, »was die Kelle gibt.« In jedem andern Lande, denk ich, wäre die Dame des Hauses etwas entsetzt darüber gewesen, sechs unerwartete und appetitgesegnete Gäste auf einmal zu bekommen; so groß aber ist der Überfluß und die Gastfreundschaft in lithauischen Häusern, daß das Diner nur um höchstens eine halbe Stunde, glaube ich, hinausgeschoben wurde. Nur gab's zuviel warme und kalte Pasteten.

 


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