Emerenz Meier
Aus dem Elend
Emerenz Meier

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12. Kapitel

Ittas Morgengang war vergeblich gewesen.

Der Tag verfloß ihr in Bangigkeit und Unruhe und gegen Abend trat sie den Weg nach dem Wald unterhalb Roßberg noch einmal an. Vielleicht kam er doch noch, er hatte es ja für gewiß geschrieben.

Am Saum des Gehölzes hielt sie und setzte sich harrend in das Moos. Sie dachte sich aus, wie sie ihn begrüßen und was sie ihm alles sagen wollte.

142 Es sollte ein schönes Wiedersehen werden.

Sie fühlte schon den innigen Druck seiner Hand, fühlte die Freudentränen über ihre Wangen fließen und hörte ihn sprechen: »Itta, jetzt is alles, alles überstandn, jetzt wolln wir glücklich sein.«

Ja glücklich, immer glücklich, sie hatte es so reichlich verdient.

Umrauscht von den hohen Tannen und Fichten, umjubelt von tausend Vogelstimmen in Wipfeln und Büschen, träumte, durchlebte sie eine schöne Zukunft, immer vereint mit ihm. Und mitten in ihren Traum drängte sich plötzlich ein ernster, schwarzgekleideter Mann, der sie eigentlich und seltsam anblickte, ohne ein Wort zu sagen. Es war ihr, als erhebe er stummen Einspruch gegen ihr Glück, als wollte er es mit dem ersten Laut, der seinen festgeschlossenen Lippen entfahren würde, vernichten.

»Na, tua's net!« rief sie aufspringend. – »Gottfried!«

»Was hast denn, Itta?« fragte er verwundert. »Grüaß di Gott!« –

Das war das Wiedersehen nach zweijähriger Trennung. Es hatte so wenig Ähnlichkeit mit jenem, das sich vor ihrem Geiste abgespielt.

Nun, meistens pflegt es ja so zu sein, daß man sich von etwas zu Erwartendem blaue Wunder verspricht, um dann, wenn es da ist, recht bitter enttäuscht sein zu können.

Itta war so verwirrt, daß sie nicht ein einziges der vorhin ausgedachten Worte mehr fand; stumm stand sie ihm gegenüber.

»Du bist mir entgegn gangen?« fragte Gottfried. »Na, so komm, wir wolln miteinander Einzug haltn.«

Er faßte ihre Hand und blickte sie lange an.

»Schöner bist wordn«, sagte er dann. »Schöner und noch stader als wia früher. Warum redst denn nix mit mir?«

»So viel hätt i gwißt, Gottfried, o so viel, und jetzt is mir alles abgfalln. Ich woaß nix mehr.«

»I schon. Zum erstn laß dir danken dafür, daß d' mir d' Hoamat derhaltn hast, daß d' mir so treu gwesn bist. Zum zwoatn, sag du mir, ob's wahr is, daß – daß d' dei Geld für mich verwendt hast?«

Sie schüttelte erblassend den Kopf.

143 »Na, des is net wahr.«

»Es muaß aber doch so sein, sunst kunntn 's d' Leut net wißn.«

»I hab's koan Menschn gsagt.«

»Dann habn sie 's halt derratn. – Na, du brauchst dich deswegn net z'schrecka, es is ja recht und i dank dir auch dafür. Hoffentlich bring i 's bald so weit, daß i dir alles mit Zinsn zruckzahln kann.«

Er entwickelte ihr nun, während sie langsam talwärts schritten, seine Pläne für die Zukunft. Sie waren gut und schön und gaben Zeugnis von der Verwandlung, die sich mit seinem inneren Menschen vollzogen. Er war ein anderer, besserer geworden, hatte alle Wildheit und allen Leichtsinn abgestreift. Die schlimmen Prophezeiungen für den Reutbauernhof hatten ihre Begründung verloren.

Itta lauschte und lauschte und vernahm aus allen seinen Reden nur das eine: Er will dich nicht, er liebt dich nicht mehr.

*

Die Dienstboten traten nacheinander in die blank aussehende, vom Abendrot durchflutete Stube und begrüßten den heimgekehrten Bauern. Auch die taube Herrnbäuerin, die schon seit langem als unbrauchbares Möbel im Hinterhause saß, erschien. Sie plapperte viel von Itta und ihrem unermüdlichen Fleiß, von dem Baumann, der ein so tüchtiger Arbeiter sei und ihr im Vertrauen mitgeteilt habe, daß Itta ihr halbes Vermögen für den Hof verwendet. Itta wolle es zwar leugnen, aber es täte nicht not, daß dergleichen edle Taten verschwiegen blieben.

Der Baumann war sehr verlegen und hütete sich ängstlich, dem zornsprühenden Blick des Mädchens zu begegnen, das im Hintergrund der Stube stand.

Gottfried bemerkte ihn wohl und ein verständnisvolles Lächeln glitt über seine Lippen.

Eine Stunde später, als sich die Leute entfernt hatten, trat Itta zu ihm und fragte, was sie nun tun solle.

»Dableibn natürlich«, war seine Antwort.

»Des kann i jetzt nimmer, der boshaftn Zungen wegen. Es 144 is wahrscheinlich des Richtigste, i schau mir irgendwo um an Deanst. Du mußt halt nachher heiratn.«

»Willst denn du dein Lebtag ledig bleibn?« fragte er möglichst ruhig, während doch sein Gesicht eine dunkle Röte überflog.

»Ja« antwortete sie.

»Du bist aber so sauber und reich. Hundert wärn froh um dich!«

»I mag koan, Gottfried.«

»Und an Zuchthäusler, an Lumpn, oan, der dir nia Guats, oft gnuag aber Schlechts tan hat, an solchen wohl am allerwenigstn?«

Er war aufgestanden und sah ihr nun mit einem brennenden Blick in die feuchten Augen.

»Wenn er mich gern hätt, dann schon.« Schwere Tränen rollten bei diesem Geständnis über ihre Wangen.

»Is des wahr, Itta? Trotz allem? I bin 's kaum wert. Aber i, – unser Herrgott hört's, Itta, – i versuach's, ob i deiner noch wert werdn kann. Du bist ja mei Schutzengel, mei Glück und mei Seligkeit!«

Drei Wochen später zogen Gottfried und Itta als Mann und Weib im Reutbauernhof ein.

Unter den vielen Nachbarn und Freunden, die am Hochzeitsfest teilnahmen, befand sich nicht ein einziger mehr, der nicht aus vollem Herzen in die allgemeinen Glückwünsche eingestimmt und der an ihrer Erfüllung gezweifelt hätte. Gottfried war ja ein ernster, tüchtiger Mann geworden und in Itta hatte man längst schon das seltene, aller Achtung und Liebe würdige Wesen erkannt, als das sie nun gepriesen wurde. Man hatte nur auf den gewartet, der den Mut besaß, das erste Hoch auf das Mädchen aus dem Elend anzustimmen.

Sie wurden so glücklich, wie Itta es an jenem Abend erträumt. Freilich kamen auch wieder trübe Stunden und Tage, – die Erde ist ja kein Paradies und trägt nichts Vollkommenes –, aber sie gingen ihnen leichter vorüber, als andern. Itta setzte ihre Selbstverleugnung mit gleichem Erfolg fort wie Gottfried seine Bemühungen, das nicht gewöhnliche Wesen seines Weibes recht verstehen und schätzen zu lernen.

Und wie sich jetzt frische, fröhliche Kinder um sie 145 herumdrängen und trachten, Vater und Mutter möglichst ähnlich zu werden, da ist er doch der glücklichste Mann der Welt. Wundern sich die Nachbarn über den Frieden in seinem Hause, über den Segen auf seinen Feldern, fragen sie ihn, woher gerade ihm alles Gute so reichlich komme, dann antwortet er mit einem warmen Blick auf die noch immer schöne Reutbäuerin: »Aus dem Elend.«

 


 


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