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Während der ganze Hof unruhig hin und her wogte und die glücklichen Auserwählten beneidete, welche zu dem Maskenball der Marquise von Pompadour Einladungen erhalten hatten, wo man hoffen konnte, einige Lichtfunken das Dunkel der Ungewißheit erhellen zu sehen, hatte sich der Herzog von Choiseuil nach seinem Hotel zurückbegeben. Er führte inmitten des wüsten und unstäten Treibens der Gesellschaft jener Zeit ein glückliches und musterhaftes Familienleben mit seiner dem reichen Bürgerstand entstammenden Gattin, und in dieses friedliche Glück des Hauses zog er sich gern aus den heißen Kämpfen der politischen Arena zurück, wie in den kühlen, frischen Schatten erquickender Waldeseinsamkeit.
Die Herzogin, eine damals noch junge Dame von jener sanften, milden Schönheit derjenigen Frauen, von denen die Welt nicht spricht, die aber das Leben der Ihrigen mit holden Blütenkränzen umwinden, bemerkte wohl die trübe Verstimmung ihres Gemahls, sie war aber gewohnt, ihn oft mit sorgenvoll mißmuthiger Miene vom Hofe zurückkehren zu sehen, und sie wußte stets durch den lieblichen Reiz der anmuthigen Häuslichkeit bald jene Verstimmungen zu verscheuchen – sie fragte niemals, ruhig erwartend, ob der Herzog durch eine Mittheilung seine Sorgen erleichtern würde, aber sie sorgte dafür, daß er stets in seinem Hause Erholung, Erfrischung und neue Ermuthigung fand.
Der Herzog liebte eine gute Tafel und seine Küche war berühmt selbst in jener Zeit der raffinirtesten Pflege der kulinarischen Kunst, aber er liebte besonders auch bei der Tafel eine geistvoll anregende Unterhaltung in kleinem, gewähltem Kreis, und so war es denn eine besondere Aufgabe der stets aufmerksamen Sorge der Herzogin, immer ihrem Gemahl eine kleine, wohlzusammengesetzte Tischgesellschaft zu bilden, welche, nach der weisen Regel des Alterthums, niemals hinter der Zahl der Grazien Zurückbleiben und niemals die Zahl der Musen überschreiten durfte, und zu welcher häufig die hervorragendsten Dichter und Philosophen gehörten, die, obgleich sie fast immer in Opposition gegen die Regierung standen, dennoch ebenso gern erscheinende, als gern gesehene Gäste an der Tafel des hochgebildeten und alles geistige Leben mit lebendigem Interesse verfolgenden Führers jener von ihnen so oft angegriffenen Regierung waren.
So waren denn auch heute, als der Herzog seine Gemahlin, nachdem er dieselbe in ihrem Zimmer begrüßt, in den neben dem kleinen Speisesaal befindlichen, mit reizender Behaglichkeit eingerichteten Salon führte, dort bereits die drei zum Diner eingeladenen Gäste versammelt. Es war der deutsche Baron Holbach, ein Mann von fünfunddreißig Jahren, welcher schon in früher Jugend nach Paris gekommen und dort vollkommen heimisch geworden war. Seine kräftige Gestalt, sein gesund geröthetes Gesicht und seine hellen Augen verriethen seine deutsche Abstammung, während seine Sprache, seine Haltung und seine Manieren die vollkommene Leichtigkeit der französischen Gesellschaft zeigten. Auf seinem Gesicht lag die Sorglosigkeit des vornehmen und reichen Mannes, dessen Haus der gastfreie Sammelplatz der Dichter und Schriftsteller von Paris war und den man in jenen Kreisen scherzweise den Maître d'hotel del la philosophie nannte.
Außer ihm befand sich. in dem Salon der magere, in seiner äußern Erscheinung etwas vernachlässigte Diderot, zehn Jahre älter als der Baron, mit seinen sarkastischen, etwas bleichen und kränklichen Gesichtszügen und den dunklen, unruhig flimmernden Augen, und Jean le Rond d'Alembert, im Alter zwischen Beiden stehend, eine ernste, hohe Gestalt mit edlen, regelmäßigen Zügen und tiefblickenden, sinnenden Augen, der, nachdem er durch mathematische und physikalische Studien sich in der Gelehrtenwelt einen Namen gemacht, damals gerade die allgemeine Aufmerksamkeit durch eine Abhandlung über die Verderblichkeit der jesuitischen Lehren auf sich gezogen hatte, welche in schärfster Weise das Wesen und Wirken des von den Würdenträgern der Kirche und von Rom selbst gefürchteten Ordens geißelte und das größte Aufsehen erregte.
Der Herzog begrüßte seine Gäste in der liebenswürdigsten und zuvorkommendsten Weise, ohne daß jedoch die Wolke unmuthiger Sorge von seiner Stirn verschwand, – man setzte sich in dem mit geschmackvollster Eleganz ausgestatteten Speisesaal zu Tische. Aber trotz des unwiderstehlichen Reizes der im Glanz des Sèvresporzellans, des Krystalls und des Silbers schimmernden Tafel, trotz der Meisterstücke der Köche, trotz der belebenden Geister der edelsten Weine erhob sich die Gesellschaft nicht zu der heitern Fröhlichkeit, die sonst hier zu herrschen pflegte. Vergebens formte d'Alembert seine tiefen Gedanken in die schönen Worte, deren er so meisterhaft Herr war, – vergebens machte Diderot seine scharfen, beißend witzigen Bemerkungen, vergebens erschöpfte sich der Baron Holbach in lustigen Einfällen, der Herzog blieb finster und schweigsam, wenn er auch mit der vollkommensten Selbstbeherrschung auf jede Bemerkung eine artige und treffende Antwort hatte und niemals die Unterhaltung in's Stocken gerathen ließ.
Man kehrte früher als sonst, das Dessert abkürzend, in den Salon zurück, – der Kammerdiener des Herzogs servirte den Kaffee und die Herzogin ließ sich auf einem kleinen Kanape in der Nähe des Kamins nieder, indem sie eine Tapisseriearbeit zur Hand nahm, um, wie sie pflegte, den lehrreichen und anregenden Gesprächen zu folgen, welche die so heitere und so gesellige Stunde nach dem Diner ausfüllten, und an denen sie dann durch eine hin und wieder eingestreute Bemerkung theilnahm, ohne jemals aus den Grenzen zurückhaltender Weiblichkeit herauszutreten.
»Sie sind nicht heiter, Herr Herzog,« sagte der Baron Holbach, indem er die geleerte Tasse auf eine Konsole stellte, – »während des ganzen Diners schon lag – verzeihen Sie mir die Kühnheit – ein drückendes Gewicht auf den Flügeln Ihres Geistes, die sonst in so freiem Schwunge die Unterhaltung hierhin und dorthin zu tragen verstehen – und Sie haben doch wahrlich keinen Grund zur Verstimmung – Sie sind allmächtiger Minister, fast unumschränkter Gebieter dieses schönen Landes von Frankreich, Sie haben, was selten ist, eine glückliche Familie, – Sie haben endlich – ich bitte die Frau Herzogin um Verzeihung – was noch seltener ist, einen vortrefflichen Koch, der uns dieß Wunder von einem kleinen Diner komponirt hat, – in der That, Herr Herzog – ich frage: was bleibt Ihnen zu wünschen?«
»Der Baron hat Recht,« sagte d'Alembert hinzutretend, – »das Schicksal hat seine schönsten Gaben über Sie ausgeschüttet, Herr Herzog, – Sie sind die Sonne am politischen Himmel Frankreichs, – Sie gebieten über den Glanz der Macht, – über das Licht des Geistes – und,« fügte er mit einer Verbeugung gegen die Herzogin hinzu, »die Wärme der Liebe –«
»Ihre Freundschaft für mich macht Sie zum Schmeichler, d'Alembert,« erwiederte Choiseuil seufzend. – »Die Wärme der Liebe – ja sie erfüllt und beglückt mein Leben,« sagte er innig, indem er der Herzogin die Hand küßte, – »das Licht des Geistes – o ich möchte seine Strahlen über die Welt verbreiten können wie die Sonne, – aber wie ihr, so wallen auch mir die finsteren Schatten nächtiger Finsterniß entgegen, denn selbst das himmlische Gestirn des Tages muß oft von dunklen Nebeln sein strahlendes Antlitz verhüllen lassen! Und der Glanz der Macht? – Es gibt nur eine Sonne in Frankreich; wir Anderen sind die Planeten, die von jener nur das Licht empfangen, die in die Dunkelheit zurücksinken, wenn sie sich von uns wendet – und,« fügte er düster hinzu, »schon steigen die Wolken herauf, die meines erborgten Glanzes schwarzes Leichentuch sein werden.«
»Und darum muthlos, Herr Herzog?« warf Diderot ein. – »Wer könnte es wagen, gegen Sie aufzutreten, wer könnte Ihnen gefährlich werden, wenn Sie ernsthaft und kräftig Ihre Macht behaupten wollen? Ihre Feinde sind die Feinde des Lichtes, der Wahrheit, – des ganzen gebildeten Volkes von Frankreich, – treten Sie kühn hervor, rufen Sie ohne Rückhalt, ohne Zögern den Geist des erwachenden, des denkenden Volkes in die Schranken, stellen Sie sich an die Spitze der unbesiegbaren Armee des Lichtes, – und Sie werden der Herr Ihrer Zeit sein, – von Ihnen wird der Thron den Glanz der Macht empfangen, – wie Spinnengewebe wird Ihr Schritt die Kabalen des Hofes zerreißen.«
»Nicht doch, Diderot,« sprach Choiseuil mit fast wehmüthigem Ernst, – »Sie täuschen sich – Sie kennen die Welt nicht wie ich. – Wenn ich heute falle, so wird man einige Pamphlete schreiben, – einige beißende Epigramme machen, – aber doch wird Alles huldigend dem neuen Gestirn der Macht sich beugen – und keine Hand wird sich für mich erheben! – Und geschähe es doch, würde ich den Funken des jetzt ruhig aufleuchtenden Lichtes zur lodernden Flamme anblasen, – das wäre die Revolution, die nahe schon unter der Oberfläche unserer Tage lauert, – diese Revolution aber würde mich verschlingen – Sie auch, Diderot – uns Alle – wie Kronos seine Kinder!«
»Sie sehen zu schwarz, Herr Herzog,« sagte Baron Holbach, – »die Revolution steigt nicht so leicht herauf in diesem königlichen Frankreich, – nicht zum Kampf gegen den Thron erhebt sich das Volk, – sondern zum Kampf gegen die Priester, welche den Purpur mit ihren schwarzen Kutten überkleiden wollen, – welche immer dieselben waren zu allen Zeiten und bei allen Völkern. Dem kühnen Geiste, der das von Priesterhänden aufgeführte künstliche Gebäude, das man Religion nennt, zu zertrümmern wagt, gehört die Zukunft, – Ihnen, Herr Herzog, wenn Sie, ein neuer Prometheus, die Fackel des göttlichen Lichtes der Wahrheit in diesen finstern Bau schleudern, – der stets derselbe ist, – in welchem ewig dieselbe heuchlerische Herrschsucht den freien Menschengeist durch Lüge und Furcht knechtet, – diese priesterliche Herrschsucht, welche in den Tempeln der Isis und des Osiris wohnt, wie in den Domen der Christenheit!«
»Es ist nicht schön von Ihnen,« sagte die Herzogin von Choiseuil in sanft verweisendem Ton, – »und es ist auch nicht gerecht und nicht wahr, lieber Baron, daß Sie die Religion und die Kirche mit ihren Auswüchsen zusammenwerfen. Die Kirche ist älter als alle Staaten und Reiche – und wenn Sie die Welt reformiren wollen, so sprechen Sie gegen die Mißbräuche der Priester, gegen ihre Herrschsucht und ihre Heuchelei, aber nicht gegen die Religion, nicht gegen die Kirche. Die Religion ist der göttliche Keim in der Menschenseele, aus welchem heraus dieses in den irdischen Staub niedergesenkte Samenkorn wieder emportreibt in blühendem Leben dem Himmelslicht entgegen – und die Kirche ist die treue Gärtnerin, welche diese Triebe schützt, behütet und pflegt. Reißen Sie die Religion aus den Herzen der Menschen und die Erde wird nur noch ein Geschlecht tragen, schlimmer als die wildesten Raubthiere, – stürzen Sie die Kirche nieder – und dieser künstliche Bau, den Sie Staat nennen, wird bald folgen. Hüten Sie sich, die Religion und die Kirche anzugreifen, – denn sonst werden Sie uns – allen Frauen Frankreichs – den Krieg erklären, – und – wir sind eine starke Macht –« sagte sie lächelnd, indem sie drohend den Finger erhob.
»Deren Gewalt und Herrschaft Niemand bereitwilliger anerkennt als ich, Frau Herzogin,« erwiederte Baron Holbach, – »und ebenso beuge ich mich vor der Religion, die Sie den göttlichen Keim in der Menschenseele nennen, – aber bedarf diese Religion der Priester? – bedarf sie der Kirchen? Hat nicht der Schöpfer der Welt selbst ihr den herrlichsten Dom erbaut – in seines Himmels leuchtendem Gewölbe, – die erhabensten Altäre gegründet – in seinen schimmernden Bergen, – den süßesten Weihrauch gespendet in – seiner Blüten tausendfältigem Duft? – und hat er nicht uns selbst Alle zu Priestern berufen in diesem großen Tempel seiner Allmacht? – Wozu sollen wir diese Priesterschaft abtreten an eine gierige Kaste, die sie als Monopol der Habsucht und des Ehrgeizes ausbeutet?«
Der Herzog sagte kopfschüttelnd:
»Der Baron geräth ja ganz in die Theorieen dieses Herrn Jean Jacques Rousseau, dem die Marquise eine Pension angeboten und der sie ausgeschlagen hat, – nehmen Sie sich in Acht, Baron Holbach, – das sind gefährliche Theorieen in ihrer kalten, erkünstelten Sentimentalität, – sie können nicht reformiren, sondern nur zerstören, – und wenn die Schüler dieses Rousseau mit ihrer asketischen Eitelkeit und ihrer hochmüthigen Bescheidenheit jemals zur Herrschaft gelangen, – dann werden sie Hekatomben von Menschenopfern schlachten, – während sie zugleich über die Staubfäden eines Veilchens philosophiren.«
»Und doch, Herr Herzog,« erwiederte Baron Holbach, »ist dieser Rousseau der Apostel einer neuen Aera der Menschheit, – wie die Priester die Vertreter sind der finstern Vergangenheit; – dem weisen und großen Staatsmanne gehört die Zukunft, der mit starker und fester Hand diese beiden Mächte erfaßt und lenkt, – die eine, um sie zu beugen unter das Gesetz und das Recht – die andere, um sie zu entkleiden von thörichter Uebertreibung und den Kern der Wahrheit, den sie in sich trägt, zu pflegen und zu entwickeln.«
»Rousseau hat also die Pension zurückgewiesen?« rief Diderot freudig, – »das freut mich, daß er seine Unabhängigkeit bewahrt hat gegen die Lockungen der Marquise, – die – ich sage es offen – zu meinem Bedauern Ihre Freundin ist, Herr Herzog.«
Der Herzog von Choiseuil hatte in sinnendes Nachdenken versunken dagestanden.
»Sie haben Recht, Baron,« sagte er, ohne auf Diderot's Bemerkung zu antworten, – »jene beiden Mächte lenken und bestimmen die Zukunft der Welt, wie die beiden Rosse, das lichte und das dunkle, welche Plato vor den Wagen der menschlichen Seele spannte. Aber wie schwer schon ist es, diesen kleinen Wagen des eigenen Selbst zu lenken, über den doch Jeder allein Herr und Meister ist! – Um mit zwei solchen Rossen aber die Welt auf sicherer Bahn zu führen, dazu müßte man der Sonnengott selbst sein – wie es der große König war in seinen schönen Tagen; – ein vermessener Phaeton aber, der nicht als Herr die Zügel zu führen vermag, würde zerschellen in furchtbarem Sturz und die Welt mit in den Abgrund niederreißen. Dazu fühle ich nicht die Kraft in mir, – obgleich die Kaiserin von Rußland mir die Ehre erzeigt, mich den Kutscher von Europa zu nennen.«
»Die Kraft des Sonnengottes,« sagte d'Alembert mit mildem Ernst, »liegt in den Händen Desjenigen, Herr Herzog, – der es wagt, das leuchtende Gestirn eines geistigen Tages über die Menschheit heraufzuführen, – der es wagt, das denkende Volk als seine einzige Stütze zu betrachten, – diesem Volk als seinem einzigen Verbündeten die Hand zu reichen – über alle jene kleinlich durch einander spielenden Mächte des Hofes und ihre Intriguen hinweg –«
»Die dennoch in ihrer Kleinlichkeit stark genug sind,« rief Choiseuil schnell einfallend, »um aus den vereinten Fäden ihrer Intriguen ein Netz zu knüpfen, das einen Löwen fesseln kann.«
»Der Löwe muß den Muth haben,« sagte Diderot, »das Netz zu zerreißen, – das ganze Volk wird zu seiner Hülfe herbeieilen –«
»Muth – Diderot?« rief Choiseuil mit blitzenden Augen. – »Stellen Sie mich dem Lawinensturz der Berge, dem Wogenrollen des sturmgepeitschten Meeres entgegen – mein Muth wird nicht wanken und mein Wahlspruch wird sein: Si fractus illabatur orbis, impariunt ferient ruinae! Aber was hilft die Kraft, – was hilft der begeisterte Muth in einem Kampf, den nur List und zähe Beharrlichkeit führen kann, in dem es nicht gilt, einem offen herandrohenden Feinde die Brust zu bieten, sondern langsam und vorsichtig alle die Knoten zu entdecken und zu lösen, welche neidische Mißgunst in dunkler Verborgenheit knüpft, – alle die Streiche abzuwehren, welche heuchlerisch lächelnde Bosheit gegen uns führt? Sie bedauern, Diderot, daß die Marquise meine Freundin ist – Sie thun ihr Unrecht, – die Marquise ist besser und größer als man glaubt, – durch sie allein kann ich, wenn auch langsamen und gehemmten Schrittes, meinem Ziele mich nähern. Und dieses Ziel ist so groß – so erhaben! Ich will nicht die Kirche und ihre Tempel zerstören, Baron Holbach, – aber ich will Frankreich seine eigene freie Kirche errichten, frei in ihrem Glauben und Denken von jener fremden Macht in Rom, welche kein Gefühl hat für die Größe und das Glück des Landes, – ich möchte das Volk erlösen aus den Fesseln fruchtloser Arbeit, daß seine Werkstätten und seine Felder ihm zur wahren, zur eigenen und theuren Heimat werden, – aber wie – wie soll ich diesem Ziel nahe kommen, wenn ich nicht die Kräfte benütze, durch deren Spiel und Gegenspiel die Welt gelenkt wird, – ich will das Licht, – und wenn des Lichtes ewig reiner Strahl durch trübes Glas auch zu unserem Auge dringt, – bleibt es darum weniger Licht? – sollte ich seinem Strom den Zugang verschließen, weil ich das trübe Glas durch reineres nicht ersetzen kann? – Die Philosophen können ihre Systeme bauen in des Denkens freier, unbeschränkter Sphäre, – der Staatsmann muß im gegebenen, streng bemessenen Raum sich einzurichten wissen.«
D'Alembert trat nahe zu ihm heran und fragte, mit offenem, freiem Blick ihn anschauend:
»Sie streben nach dem Licht, Herr Herzog, – ich weiß es und ganz Frankreich dankt es Ihnen, – doch – verzeihen Sie mir die Frage in dieser Stunde der Offenheit, – kann der Bund mit dem finstern Oesterreich, an dessen Hof die Hand Roms allmächtig ist, zum Lichte führen? Warum wollen Sie für das Kabinet von Wien jenen edlen König von Preußen bekämpfen, der, ein Philosoph auf dem Throne, Licht und Freiheit in seinen Staaten verbreitet und allen erleuchteten Geistern Europas die Hand bietet?«
»Ich bewundere den König Friedrich, d'Alembert,« erwiederte Choiseuil ohne zu zögern, – »aber ich fürchte ihn – ich fürchte ihn als Franzose; – als der Sohn meiner Rasse wünsche ich, daß Frankreich an der Spitze der Welt bleibe in seinem Geist und seiner Macht, – wenn aber der Geist, mit welchem der König von Preußen sein Volk durchdringt, noch mehr erstarkt, wenn ihm das schnell gezückte Schwert die Bahnen öffnet, dann wird ein Augenblick kommen, in welchem dieses kleine Preußen, das man vor Kurzem verspottete und das heute schon den ersten Mächten Europas die Spitze bietet, das deutsche Volk um sich sammeln wird; – das vielgetheilte, so schwerfällige und ungefüge römische Reich wird verschwinden und ein neues Reich der deutschen Nation wird erstehen, – geführt von dem Geist und der Kraft dieses siegreich aufstrebenden Preußens. Und dieses neue deutsche Reich, zu dessen Bau der König Friedrich heute den festen Grundstein legen möchte, – dieses deutsche Reich wird der Todfeind Frankreichs sein, – es wird den Platz in Europa in Anspruch nehmen, der uns gebührt, – und – ich habe nicht die Zuversicht, daß wir ihn behaupten werden. – Darum müssen wir dem Beginn widerstehen, denn wenn wir Preußen unterdrücken, so unterdrücken wir die Zukunft Deutschlands und erhalten diesen an unseren Grenzen schlafenden Riesen in seiner Ohnmacht. – Sie sehen, d'Alembert,« fuhr er nach einer augenblicklichen Pause fort, – »ich lebe nicht bloß vom Tage zum Tage, – ich sende meinen Blick sorgsam spähend in die Zukunft voraus, – aber,« sagte er traurig, – »Sie selbst verstehen mich nicht – und Sie sind doch mein Freund, – was soll ich von Denen erwarten, die mir fern stehen, – die mich von fern beurtheilen, – und nicht meine Freunde sind?«
»Es ist schwer, Herr Herzog,« erwiederte d'Alembert, »ein großes Reich zu regieren, und ein leitender Staatsmann aus seiner Höhe muß einsam dastehen.«
»So einsam, d'Alembert,« rief Choiseuil schmerzlich bewegt, – »daß dieser Einsamkeit lastendes Gewicht mich erdrückt, daß mich oft tiefe Sehnsucht erfüllt, diese Last von mir zu werfen und in stiller Zurückgezogenheit Mensch mit Menschen zu sein.«
Die Herzogin näherte sich ihrem Gemahl schnell und ergriff seine Hand.
»Und warum bleibst Du mit dieser Sehnsucht im Herzen in jener unheimlichen Welt des Kampfes, des Hasses, des Undankes und der Verstellung?« fragte sie. »Knüpfen Dich nicht stärkere Bande an mich, die ich mit tagelanger Angst und Unruhe die seltenen Lichtblicke glücklicher häuslicher Ruhe erkaufen muß? – Laß uns hingehen nach Chanteloup, – wo wir uns selbst leben können, – wo Du hinter dem lächelnden Antlitz der Freunde nicht den Verrath suchen darfst, – wo Du der fürstliche Herr bist auf Deinem eigenen Besitz und tausend Glückliche machen kannst, statt hier in ermattender Arbeit eine trügerische Größe zu vertheidigen und für jede Gunst und Wohlthat nur tückischen Undank zu erkaufen. – O stehen Sie meiner Bitte bei, meine Herren, – Sie leben in der reinen Welt des geistigen Schaffens und des harmonischen Friedens der Wissenschaft, – helfen Sie mir meinen Gemahl in dieselbe Welt herüberzuziehen aus jener starrenden Wildniß des Hofes und der Politik.«
Choiseuil sprach mit weicher Stimme, indem er die Herzogin an sich zog und den Arm um sie schlang:
»Es bedarf der Unterstützung der Freunde nicht, meine Theure, um Deine Bitte zu meinem Herzen dringen zu lassen, mehr als je habe ich in der letzten Zeit die Sehnsucht nach Ruhe empfunden, – mehr als je ist mir der Hof und sein Treiben verhaßt –«
»Halten Sie ein, Herr Herzog,« rief d'Alembert, – »verbannen Sie diese weichen Gefühle, – wer da steht, wo Sie stehen, – wer das Schicksal einer großen Nation in seinen Händen hält und die Kraft fühlt, Millionen einer glücklichen Zukunft zuzuführen, der gehört sich nicht mehr selbst, – der hat das Recht nicht, wie der kleine Bürger, stilles friedliches Glück vom Leben zu fordern. Man steigt nicht umsonst zu den Gipfeln des Daseins empor; – wer den Blick von freier Sonnenhöhe auf die niedere Welt herabsenken will, der muß auch dem Sturm und den Wettern trotzen. Was soll aus Frankreich werden, Herr Herzog, wenn Sie uns verlassen?«
»Gott wird für Frankreich sorgen, « sagte die Herzogin bittend, – »laß uns zum Frieden, zum Glück zurückkehren.«
Choiseuil stand unschlüssig da, – ein Diener trat ein und brachte auf einer Platte von Vermeil einen Brief, – der Herzog löste schnell das Siegel des Couverts und las das kleine Billet. Heftige Bewegung malte sich auf seinen Zügen, unruhig hingen die Blicke seiner Gemahlin an ihm.
»Du sprichst vom Frieden,« rief der Herzog mit zornflammenden Blicken, – »und schon tönt mir von Neuem der Kriegsruf der Gegner entgegen! – Hören Sie, d'Alembert, – hören Sie, Diderot, – und Sie, Baron Holbach, – eine unbekannte Hand schreibt mir, – der Pater Linière habe einen Boten nach Rom gesendet mit der Nachricht, daß mein Sturz sicher sei, – Richelieu sei zu meinem Nachfolger bestimmt, – heut Abend noch oder spätestens morgen werde Alles vollzogen werden.«
»Richelieu – im Bunde mit den Jesuiten,« rief Baron Holbach, – »welch' unerhörte Verbindung –«
»Die Feindschaft gegen mich hat sie geknüpft,« fiel Choiseuil ein. Aber warten Sie, meine Herren Patres, – warten Sie, Herr Herzog von Richelieu, – Ihnen will ich nicht weichen; – wohl möchte ich zurücktreten, um in Frieden auszuruhen, – aber stürzen, meine Herren, – stürzen sollen Sie mich nicht, – Sie sollen fühlen, daß Choiseuil der Mann ist, Ihrer Intrigue die Stirn zu bieten –«
»So ist es recht, Herr Herzog,« rief Baron Holbach, – »treten Sie furchtlos in den Kampf für das Licht – für Frankreichs Zukunft – das Volk, steht hinter Ihnen.«
»Es ist heut Abend ein Maskenfest bei der Marquise,« sprach Choiseuil entschlossen, – »ich wollte zu Hause bleiben, – nun aber werde ich hingehen, – meine Feinde sollen mich auf dem Platze finden.«
»O diese Politik,« seufzte die Herzogin, – »sie ist ein Dämon von unwiderstehlicher Gewalt, und wer ihr einmal verfallen ist, den reißt sie ohne Erbarmen in ihre Wirbel fort!«
Choiseuil reichte der Herzogin den Arm und sprach mit ruhiger Höflichkeit: »Leben Sie wohl, meine Herren, – morgen bin ich nicht mehr Minister – oder Frankreich ist von meinen finsteren Gegnern befreit.«
»Und wir, meine Freunde,« rief Diderot, – »wir wollen nach Paris eilen und alle geistigen Kräfte Frankreichs aufbieten zum Kampfe gegen die Feinde des Lichts und der Freiheit!«
Die Philosophen verabschiedeten sich eilig von dem Herzog und der Herzogin und fuhren in der leichten Equipage des Baron Holbach nach Paris zurück, um noch an demselben Abend ihre weit verzweigten Verbindungen zu erneuten Angriffen gegen die Gegner des Ministers in Bewegung zu setzen, was eine Flut von witzigen und boshaften Quatrains und von schneidenden Broschüren zur Folge hatte, denn diese Spottgedichte und kurzen kritischen Abhandlungen waren damals die Waffen, mit denen die öffentliche Meinung bei dem Mangel einer organisirten Tagespresse sich Geltung schaffte und ihr mißliebige Personen und Zustände angriff.
Der Herzog von Choiseuil aber umarmte mit herzlicher Innigkeit seine Gemahlin, die mit thränenden Augen zu ihm aufblickte.
»Sei ruhig, meine theure Freundin,« sagte er, – »ich fürchte den Sieg meiner Feinde nur für Frankreich, – nicht für mich, – ich werde freudig, wenn es das Schicksal so fügt, in eine glückliche Einsamkeit mich zurückziehen, – aber ohne Kampf sollen sie nicht triumphiren, – man soll niemals sagen, daß Choiseuil seinen Gegnern den Rücken gewendet hat. Mein Blick ist geübt, die Schattirungen in dem Leben des Hofes zu erkennen; existirt die Intrigue, vor welcher eine unbekannte Hand mich gewarnt, so werde ich heut Abend einen Faden derselben erfaßen.«
Noch einmal küßte er der seufzenden Herzogin die Hand, dann eilte er in seine Gemächer, ließ sich von seinem Kammerdiener einen schwarzen Domino, einen Hut mit schwarzen Federn und eine seidene Halbmaske reichen und fuhr in seiner Karrosse mit dem großen Wappen am Schlage, mit Läufern und Fackelträgern nach der seitwärts von den königlichen Appartements gelegenen Wohnung der Marquise von Pompadour, deren Fenster in Hellem Lichte strahlten, und vor deren Aufgangstreppe sich eine Welt von an- und abfahrenden Wagen, von Masken und Lakaien durch einander drängte.
Alles machte dem Herzog Platz, obgleich die Maske sein Gesicht bedeckte, man hatte seine Livrée erkannt und er gab sich keine Mühe, seine Haltung und seinen Gang zu verstellen. Stolz schritt er die breite, von riesigen Kandelabern erleuchtete Treppe hinauf, während er mit bitteren Gefühlen darüber nachdachte, wie diese ganze Menge, die jetzt so ehrerbietig ihm auswich, voll Hohn über seinen Sturz jubeln würde, wenn es seinen Feinden gelänge, über ihn zu triumphiren.
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