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Zweites Kapitel.

Während der kleine Chevalier in wechselndem Hoffen und Bangen sich für die über seine ganze Zukunft entscheidende Stunde vorbereitete, gingen in jener eigentümlichen Welt von Versailles, deren auf der Oberfläche so helles und lächelndes Bild so viel gährende Leidenschaften und so viel Haß und Neid bedeckte, die zahllosen großen und kleinen Intriguen dieser, aus so großen Namen und meist so kleinen Persönlichkeiten zusammengesetzten Gesellschaft ihren Lauf. Vor Allem waren es zwei große Parteien, welche sich im heftigen Kampf einander gegenüberstanden: die Partei des Herzogs von Choiseuil und der Marquise von Pompadour, zu welcher alle Diejenigen gehörten, welche Wünsche hegten, die von der Macht der Regierung befriedigt werden konnten, alle jungen und lebenslustigen Kavaliere und alle jungen und schönen Damen, – und sodann die Partei der Jesuiten, der sogenannten Frommen, welche in dem Dauphin ihre Stütze fanden, zu welcher alle Diejenigen gehörten, denen die Regierung die Erfüllung ihrer Wünsche versagt hatte, und welcher sich vorzugsweise alle alten frommen Damen anschlossen, denen die Versuchung zu reizenden Verirrungen vom strengen Tugendpfade nicht mehr nahe trat. Diese Partei, zu welcher der Pater Linière vom Orden der Gesellschaft Jesu, der Beichtvater des Königs, als hervorragendes Mitglied zählte, ließ überall laut ihre frommen Verwünschungen gegen die Marquise von Pompadour erschallen und that alles Mögliche, um dem Könige Furcht vor dem Urtheil der Menschen und vor den Strafen des Himmels einzuflößen. Es gelang dieser Partei zwar niemals, die Stellung der klugen, stets aufmerksamen und durch die öffentliche und ihre Privatpolizei gut bedienten Marquise zu erschüttern, ebensowenig wie diejenige des Herzogs von Choiseuil, andererseits waren diese beiden Verbündeten aber auch nicht im Stande, den Einfluß des Paters Linière auf die leicht zu abergläubischer Furcht erregbare Natur des Königs zu brechen, und so trat oft in den öffentlichen Angelegenheiten, in welchen die Interessen der beiden Parteien sich gegenüberstanden, ein Stillstand ein, da keine der andern weichen wollte und keine die andere überwinden konnte, worüber dann die öffentliche Meinung in Broschüren und Quatrains bitter spottete, während der König sich in tiefes Schweigen hüllte, diese große Waffe, mit welcher er Alles, was ihn zu einer unangenehmen und peinlichen Entschließung drängte, von sich abzuhalten pflegte. So war auch jetzt wieder der Kampf sehr lebhaft; der Herzog von Choiseuil wollte ein erneutes festes Bündniß mit Oesterreich abschließen, – die Marquise, welche anfänglich schwankend gewesen, war durch die sarkastischen Bemerkungen Friedrich's des Großen und durch einen Brief, in welchem die stolze Maria Theresia sie »meine Cousine« nannte, mit Entschiedenheit den politischen Ueberzeugungen des Ministers beigetreten, aber der König schwieg und war zu keinem Entschluß zu bewegen. Obgleich die fromme Partei und insbesondere die Patres vom Orden der Gesellschaft Jesu stets die guten Freunde des wiener Hofes waren, so konnte dieß Zögern des Königs doch nur in dem Einfluß des Pater Linière seinen Grund haben, und die Marquise sowohl als Choiseuil gaben sich vergebliche Mühe, diesen Einfluß zu überwinden, für dessen Anwendung gegen die Wünsche des wiener Kabinets sie keinen andern Grund auffinden konnten, als den Wunsch, die Stellung des Ministers durch das Scheitern eines von ihm offen aufgestellten Planes, das ihn vor den europäischen Mächten kompromittiren mußte, zu untergraben.

Die Verhältnisse am Hofe waren daher in dem Augenblick, in welchem der Chevalier dort erscheinen sollte, sehr gespannt, die Anhänger der Marquise und des Herzogs begannen unruhig zu werden, und der alte Habitué des Hofes, der Herzog von Richelieu, der klassische Repräsentant jener Zeit der Frivolität und der Intrigue, welche noch von einer leichten Vergoldung chevaleresker Form überzogen war, dieser merkwürdige Mann, über den das Alter keine Macht zu haben schien, der zugleich Kammerherr und Marschall, zugleich bis zur Tollkühnheit tapferer Soldat und bis zur Selbsterniedrigung geschmeidiger Höfling war, – selbst er, der sonst mit jeder Partei kokettirte, um mit jeder die Früchte des Sieges theilen zu können, – begann seit Kurzem, sich ziemlich geflissentlich von der Marquise fernzuhalten.

Zu dem Kreise der bittersten Feindinnen der Marquise und demgemäß des Herzogs von Choiseuil und der Regierung gehörte die Herzogin von Guéménée, jene alte Tante, bei welcher die Cousine des Chevalier d'Éon, das Fräulein Louise von Beaumont, Aufnahme gefunden. Die Herzogin, von welcher alte Kenner des Hofes und seiner Geschichten behaupten wollten, daß sie in ihrer freilich lange verblichenen Jugend ebenso galant als schön gewesen sei, war jetzt ein Muster strenger Frömmigkeit, die Freundin des Paters Linière und die regelmäßige Besucherin aller Messen und aller Andachtsübungen, in welchen sie so viele Verwünschungen auf das Haupt der verhaßten Marquise, mit ihren Gebeten untermischt, dem Himmel übergab, daß wenn nur die Hälfte derselben Erhörung gefunden, die Marquise längst von feurigem Schwefelregen hätte vernichtet sein müssen.

Die Herzogin hatte sich fast ganz vom Hofe zurückgezogen, obgleich sie sich nicht hatte entschließen können, Versailles, diesen Mittelpunkt aller Interessen und aller Intriguen, zu verlassen; ihr großes Hotel, früher der Sammelplatz einer ausgelassen fröhlichen Gesellschaft, lag jetzt still da und seine Thüren öffneten sich nur den frommen Patres, alten Damen, welche die Gesinnung und den Groll der Herzogin theilten, und alt gewordenen Abbés, welche die boshafte Medisance, die dort den Gegenstand der Konversation bildete, mit einigen welken Blüten abgestandener Galanterie ausschmückten.

Das junge Fräulein von Beaumont war recht unglücklich in diesem großen glänzenden Hotel und in dieser einförmigen Gesellschaft, deren Unterhaltungen so wenig Reiz für ein siebenzehnjähriges Mädchen boten. Sie hatte ihre Jugend verlebt in dem kleinen und bescheidenen, aber reizend gelegenen Schlößchen an den sonnigen Ufern der Garonne, in Freiheit und kindlicher Lust, – auch ihr Vater war fromm gewesen und hatte sie früh schon mit noch stammelnden Lippen ihr Gebet sprechen gelehrt, wenn die Abendglocken herübertönten von der Kapelle auf dem nahen Hügel, – aber wie anders waren jene Gebete gewesen, als diejenigen, die sie hier bei ihrer Tante hörte, – hier schnürte sich ihre Brust eng und angstvoll zusammen und die Worte des Gebets, die ihre Lippen sprechen sollten, fielen matt zur Erde.

Fräulein Louise von Beaumont war eine schlanke, zierliche Gestalt, mit weichen, anmuthigen Bewegungen, ihr feines Gesicht erinnerte an eine Miniaturmalerei auf Elfenbein, während die großen Augen, welche unter den langen seidenen Wimpern hervorblickten, den schwärmerischen Ausblick italienischer Madonnenköpfe mit einem leichten Anflug jener hervorlauschenden Schalkhaftigkeit vereinigten, welche aus so vielen taubensanften Frauenaugen blickt und den englischen Dichter zu dem Wort veranlaßte: › Every woman has a rake at heart‹, und ihre wunderbar schönen und reichen dunkelbraunen Haare waren, als fürchte sie die Schönheit dieses herrlichen Schmuckes zu verhüllen, nur leicht mit Puder überstäubt.

Dieß so schöne und lieblich anmuthige Mädchen saß an dem Morgen, an welchem der Chevalier seine Fahrt nach Versailles unternahm, allein in dem Salon der Herzogin von Guéménée mit einer Tapisseriearbeit beschäftigt, die sie von Zeit zu Zeit träumend in ihren Schooß sinken ließ, während ihre Lippen sich in leisem Selbstgespräch bewegten und ihre Augen bald in kindlichem Trotz, bald in schwermüthigem Sinnen sich nach den an den Deckensimsen angebrachten, von Rosenguirlanden umschlungenen Liebesgöttern emporrichteten.

Da erhob sich die seidene Portiere vor der Thür, welche in die großen Empfangszimmer führte, und ein junger Mann blickte vorsichtig spähend in das Zimmer hinein. Dieser junge Mann, der, von dem schweren faltigen Vorhang, den er mit der einen Hand leicht und graziös emporhielt, umrahmt, wie ein reizendes Genrebild dastand, mochte höchstens einundzwanzig bis zweiundzwanzig Jahre zählen. Er trug die elegante und kleidsame Uniform des Elitekorps der grauen Musketiere des Königs, den Degen mit dem goldenen Gefäß an der Seite, die weißen, tadellos anschließenden Stulphandschuhe an den feinen, schlanken Händen, den Hut mit der weißen Feder unter dem Arm. Sein Gesicht mit dem schwarzen Flaum aus der keck aufgeworfenen Oberlippe vereinigte in seinen weichen Zügen und in seinen glänzenden Augen die Schüchternheit des Knaben mit dem Muthwillen des Pagen und der Kühnheit des Soldaten, seine ganze Erscheinung war übergossen von dem Reiz der Jugend und dem eigentümlichen Zauber einer vornehmen Rasse, welche durch Erziehung und Leben auf den Höhen der Gesellschaft zu voller Entwickelung gebracht ist.

Der junge Mann, welcher so spähend in das Zimmer blickte und in glücklicher Freude aufjauchzen zu wollen schien, als er die schöne Louise erblickte, war der Chevalier Gaston von Aurigny, Fähndrich bei den grauen Musketieren, diesem vornehmen Korps der maison militairs des Königs, welche damals noch bestand und welche später, trotz des Rathes Friedrich's des Großen, Ludwig XVI. auflöste, um sich den Linientruppen und Nationalgarden anzuvertrauen, die ihn an die Revolution überlieferten. Gaston war ein armer jüngerer Sohn einer alten und berühmten Familie aus der Heimat des Fräuleins von Beaumont, mit der er als Kind gespielt hatte. Sein Haus stand mit demjenigen der Herzogin von Guéménée in traditionellen Beziehungen und auf Grund derselben war er von der alten Dame in ihre kleinen Zirkel gezogen worden. Der lebenslustige junge Offizier wäre wohl kaum oft in diesen für ihn so fremdartigen und seiner Natur so wenig sympathischen Kreis gekommen, wenn er nicht seine Jugendfreundin hier wiedergefunden, und wenn nicht sehr bald das schöne Fräulein von Beaumont für ihn einen unwiderstehlichen Anziehungspunkt gebildet hätte. Er wußte sich geschickt und geschmeidig bei der Herzogin zu insinuiren, welche sein häufiges Erscheinen in ihrem Hause für ein anerkennenswerthes Zeichen frommer und würdiger Gesinnung aufnahm, die sie dem schönen, von allen Verführungen des Hofes umgebenen Offizier um so höher anrechnete, und so fanden die jungen Leute vielfache, von Gaston eifrig gesuchte und von Louise nicht vermiedene Gelegenheiten sich zu sehen und unbelauscht zu sprechen und sich dabei über die Gefühle ihrer Herzen, die einander entgegenflogen, zu verständigen.

Nachdem also der vorsichtig in das Zimmer hineinblickende Musketier sich überzeugt hatte, daß das junge Mädchen allein sei, trat er, rasch die Portière hinter sich zurückfallen lassend, einige Schritte vor und rief:

»Louise – meine theure Louise – Sie sind allein, – o welches Glück!«

Louise war bei dem Geräusch seines sporenklirrenden Schrittes und bei dem Ton seiner Stimme aufgesprungen und streckte ihm mit einem reizenden Lächeln beide Hände entgegen.

»Gaston,« sagte sie verwirrt und überrascht, – »Sie hier? – jetzt?«

»Ich habe keinen Dienst,« erwiederte der junge Mann, indem er die Spitzen ihrer schlanken Finger küßte, »und bin gekommen, um Sie wenigstens flüchtig zu sehen, – mein glücklicher Stern läßt mich Sie allein finden und schenkt uns einen süßen Augenblick, um zu plaudern, – wozu wir so selten leider Gelegenheit finden.«

»Die Herzogin wird nicht lange mehr fortbleiben,« sagte Louise, indem sie erröthend ihre Hände zurückzog, welche er nicht wieder von seinen Lippen lassen zu wollen schien, – »die Zeit der Messe ist fast vorbei – und wenn sie Sie hier findet, so könnte sie böse werden; – ich bin zur Strafe zu Hause gelassen, weil ich heute in der ersten Frühmesse nicht andächtig genug war, – weil ich zu oft nach einem gewissen Pfeiler hinsah, neben welchem ein gewisser junger Musketier kniete –«

Sie schlug nach einem schnellen, schalkhaften Blick stockend die Augen nieder.

»O,« rief Gaston entzückt, – »dann bin ich ja mitschuldig an Ihrem Vergehen und muß auch Ihre Strafe theilen, – die Einsamkeit ist zu Zweien weit weniger langweilig, als wenn man sie allein ertragen muß.«

Er führte sie zu ihrem Sessel zurück, zog ein Tabouret heran und setzte sich zu ihren Füßen.

»Ich werde suchen,« sagte er, ihre nur leicht widerstrebende Hand wieder an seine Lippen führend, »Sie recht oft schuldig zu machen, um recht oft diese Strafe mit Ihnen theilen zu können.«

»Sie scherzen, Gaston,« sagte Louise, »und ich bin doch so traurig, – wenn meine Tante je bemerkte, daß wir uns lieben, sie würde Ihre Besuche nicht mehr empfangen! Sie ist Ihnen jetzt freundlich gewogen, weil Sie ihr empfohlen sind, weil Sie ihr kleine Anekdoten erzählen, und weil sie Sie zur wahren Frömmigkeit nach ihrem Muster zu bekehren hofft, – aber wenn sie etwas merkte, – sie, die es für ein Verbrechen erklärt, wenn ich einen jungen Herrn nur ansehe, – und dann –« fügte sie zögernd hinzu.

»Und dann? – – was und dann?« fragte Gaston, ihre Hand liebkosend.

»Ach,« sagte Louise stockend und scheu im Zimmer umherblickend, – »ich habe immer nicht begriffen, warum die Tante so durchaus darauf besteht, mich in ein Kloster zu schicken, – ich habe geglaubt, sie strebte nur nach dem Verdienst, dem Himmel eine Seele zu retten, – aber –«

»Nun? – aber –?« fragte Gaston, aufmerksam und gespannt in das Gesicht des schönen Mädchens blickend.

»Neulich,« sagte Louise, indem sie die Augen vor seinem Blick niederschlug, – »vor einigen Tagen saß ich in der Orangerie hinter einem Bosket verborgen, – die Tante wußte es nicht und ging auf und nieder mit dem Pater Linière, ihrem Vertrauten –«

»Nun?« fragte Gaston unruhig.

»Der Pater sprach streng mit ihr,« fuhr Louise fort, »und verlangte, daß sie noch vor Schluß des Jahres mich in das Kloster der Ursulinerinnen bringen sollte.«

»Und warum?« rief der junge Mann heftig.

»Die Tante hat,« sagte das junge Mädchen, – »wie ich aus jenem Gespräch vernahm, ihr Vermögen dem Orden der Gesellschaft Jesu vermacht, und der Pater fürchtete, daß wenn ich mich verheirathe, ich, ihre einzige Erbin und Verwandte, – daß dann Streitigkeiten darüber entstehen könnten, – deßwegen sei es besser, sagte er, wenn ich ebenfalls in den Schooß der Kirche aufgenommen werde, damit auf keine Weise der Tante das Verdienst streitig gemacht werden könne, durch das Opfer ihrer weltlichen Güter einst das Heil ihrer Seele zu erkaufen.«

»O diese frommen Patres,« rief Gaston entrüstet, – »wie sie so freigebig sind mit dem Heil der Seele, wenn man es mit goldenem Preise aufwiegt, – und die Herzogin, – vielleicht dachte sie vor dreißig Jahren anders, – doch meine süße Louise,« sagte er dann wieder ganz heiter, »seien Sie ohne Sorgen, bald vielleicht wird die Stunde unseres Glückes schlagen, – ich bin nicht reich, Sie sind es auch nicht, abgesehen von dem Erbe Ihrer Tante, zwischen dem und Ihnen noch die zähe Gesundheit der Herzogin und die noch zäheren Ränke der hochwürdigen Herren Patres stehen, aber, – ich habe einen mächtigen Schutz gefunden –«

»Einen Schutz?« fragte Louise erstaunt.

»Eine Beschützerin vielmehr,« sagte Gaston, – »die Marquise von Pompadour zeigt mir bei jeder Gelegenheit ihr Wohlwollen, sie redet mich an, sie gibt mir kleine Aufträge, und neulich hat sie mich nach meinen Verhältnissen, nach meinen Plänen für die Zukunft gefragt –«

»Die Marquise von Pompadour?« fiel Louise in gedehntem Ton ein, indem sie befangen die Augen niederschlug.

»Nun ja,« sagte Gaston, – »kann es eine bessere Beschützerin geben?«

»Man spricht so viel Böses von ihr,« erwiederte Louise leise, – »die Herzogin verwünscht sie täglich und nennt sie ein Werkzeug des Teufels, – sie beherrscht den König,« – fügte sie mit steigender Verlegenheit hinzu. –

»Meine theure Louise,« unterbrach sie Gaston, indem er ihr die Hand küßte, »blicken wir nicht hinein in diese goldene Lichtwolke, welche die Majestät umgibt, ein solcher Blick macht die Augen gewöhnlicher Sterblicher erblinden und es zucken aus jener Wolke gefährliche Blitze hervor, vernichtend für Den, der ihr vermessen nahe tritt; mir genügt es, daß die Marquise eine sehr mächtige Dame ist und daß sie mir freundliches Wohlwollen beweist, – sie hat mir gesagt, ich möge mich an sie wenden, wenn ich einmal einen Wunsch habe, – nun,« rief er heiter mit freudiger Zuversicht, – »bei der nächsten Gelegenheit bitte ich sie um ein Regiment in der Provinz, davon und von dem Ertrage Ihres kleinen Erbgutes und meines geringen Vermögens können wir leben, – und dann, meine süße Louise,« sagte er, sanft ihren auf die Brust herabgesenkten Kopf aufrichtend, so daß er in ihre zögernd zu ihm aufgeschlagenen Augen blicken konnte, – »dann, meine süße Louise, werden Sie meine Frau, wenn Sie mit mir diesen Hof von Versailles mit seinen so glänzenden, aber so kalten Galerieen und Sälen verlassen wollen –«

»O, lieber heute als morgen,« rief Louise in kindlicher Naivität, – »ich fühle mich hier wie ein Vogel in einem goldenen Käfig! – ich habe auch schon im Stillen ähnliche Gedanken gehabt,« fügte sie etwas befangen hinzu, »denn – auch ich habe einen Schutz gefunden, auf dessen mächtigen Beistand ich Pläne für unsere Zukunft baute.«

»Einen Schutz? Sie?« fragte Gaston.

»Einen Beschützer vielmehr,« erwiederte Louise.

»Einen Beschützer?« fragte Gaston gedehnt, – »und ist er so mächtig als meine Beschützerin?«

»Er sollte mächtiger sein,« sagte Louise erröthend, – »der König hat mir schon bei verschiedenen Gelegenheiten, so oft meine Tante es nicht vermeiden kann, mit mir am Hofe zu erscheinen, sein besonderes Wohlwollen gezeigt, – er redet mich an, er sagt mir sehr freundliche und gnädige Worte –«

»Der König?« sagte Gaston, nachdenklich zur Erde blickend.

»Neulich, als ich ihm mit meiner Tante in der Galerie begegnete,« fuhr Louise unbefangen fort, »hat er mir gesagt, wenn ich einmal einen Wunsch hätte, so möge ich mich an ihn wenden; – nun, bei nächster Gelegenheit werde ich Muth fassen und ihn bitten, daß er uns mit einander vereinigen möge, – ihn kostet das ein Wort –«

»Meine süße Louise,« fiel Gaston mit einiger Verlegenheit ein, – »das ist ja sehr glücklich, – aber – aber – Sie dürfen nicht zu viel auf die Freundlichkeit des Königs geben, Seine Majestät wird von so vielen Seiten mit Bitten bestürmt, – hat so viel zu denken, – lassen Sie mich zunächst versuchen, was ich erreichen kann.«

Louise war ganz erstaunt, daß ihre Mittheilung einen fast niederschlagenden Eindruck auf ihren Geliebten zu machen schien, – doch ehe sie antworten konnte, wurde die Portière der nach der Galerie führenden Thür zurückgeschlagen und ein Lakai meldete den Herrn Herzog von Richelieu.

Der Herzog war damals über sechzig Jahre alt, doch war sowohl der Ausdruck seines schönen, zugleich listig feinen und stolz herausfordernden Gesichts wie seiner schlanken, geschmeidigen Gestalt noch völlig jugendlich. Er, der von seiner Jugend an intriguirt und opponirt hatte, selbst gegen den großen Ludwig XIV., der ihn zweimal in die Bastille geschickt, wohin ihm dann die Prinzessinnen von Geblüt Pasteten und Konfekt brachten, befand sich jetzt wieder in der entschiedensten Opposition gegen die Regierung, denn auf Veranlassung des Herzogs von Choiseuil war ihm sein Kommando genommen, nachdem er mit der englisch-hannöverischen Armee unter dem Herzog von Cumberland bei dem Kloster Seven eine Kapitulation geschlossen, statt sie zu vernichten, da er keine Lust mehr hatte, einen angreifenden und langwierigen Feldzug fortzusetzen. Auch den Botschafterposten in Wien, den er verlangte, hatte man ihm abgeschlagen und so war er denn nach Versailles zurückgekommen, voll Zorn über eine Regierung, die seinen Wünschen so wenig entgegenkam. Er hatte sich an den Boulevards von Paris von den Erträgen der ungeheuren Kontributionen, die er in Hannover erhoben, jenes reizende kleine Palais gebaut, das noch heute, wo es industriellen Zwecken dient, den Namen Pavillon de Hanovre führt, und beschäftigte sich damit, alle Maßregeln der Regierung, namentlich auf dem militärischen Gebiet, auf das Schonungsloseste zu kritisiren, während er zugleich dem Könige schmeichelte, der für ihn in der Erinnerung an glückliche Jugendzeiten eine große Schwäche hatte.

Bei dem Eintritt des Herzogs, der wie immer, wenn er sich in der Opposition befand, die Uniform der Marschälle von Frankreich trug mit dem blauen Bande vom heiligen Geist und dem Ludwigskreuz an rother Schleife, hatte sich Gaston schnell erhoben und war einige Schritte von Louisen stehen geblieben.

Richelieu warf einen schnellen, forschenden Blick auf den jungen Offizier und das erröthende Mädchen, dann näherte er sich mit seinen leichten, elastischen, kaum das spiegelglatte Parket berührenden Schritten und verbeugte sich artig vor Fräulein von Beaumont.

»Ich komme, mich nach dem Befinden der Frau Herzogin zu erkundigen,« sagte er mit seiner hellen und klaren, aber durch die Gewohnheit des Hofes fast bis zu halbem Flüsterton gedämpften Stimme, – »und da ich so unglücklich bin, sie nicht zu finden, so kann mich nur die Freude trösten, ihre schöne Nichte zu sehen, – immer schöner,« fuhr er fort, Louisen galant die Hand küssend, – »immer rosiger, immer anmuthiger, – eine frische Knospe unter den vielen welkenden Blumen in dieser heißen Atmosphäre unseres Hofes.«

»Die Herzogin ist in der Messe,« sagte Louise verlegen, – »sie muß jeden Augenblick zurückkehren – –«

»Dann werde ich sie erwarten,« fiel der Herzog ein, »wenn Sie mir erlauben wollen, mein Fräulein, einen Augenblick das Glück Ihrer Gesellschaft zu genießen.«

Er warf einen hochmüthig fragenden Blick auf Gaston von Aurigny.

Louise sprach schnell:

»Ich habe die Ehre, dem Herrn Herzog den Chevalier von Aurigny, – einen Schützling der Herzogin, – vorzustellen.«

Richelieu nickte leicht mit dem Kopf und sah den jungen Mann prüfend an, Gaston verneigte sich tief und sagte dann, sich Louise nähernd:

»Ich bitte Sie, mein Fräulein, der Frau Herzogin mein Bedauern auszudrücken, daß ich sie nicht erwarten kann, der Dienst ruft mich, – ich habe die Ehre, mich dem Herrn Herzog zu empfehlen.«

Er grüßte Richelieu ehrerbietig und ging hinaus.

»Ich habe diesen jungen Mann noch nicht gesehen,« sagte der Herzog, indem er halb über seine Schulter ihm nachblickte, – »kommt er oft zur Herzogin?«

»Nicht sehr oft,« erwiederte Louise, welche nicht vermochte, ihrer.Verlegenheit Herrin zu werden, – »der Dienst nimmt ihn viel in Anspruch, er ist ein Jugendbekannter von mir, – meine Tante will ihm wohl, – wir plaudern oft von unserer Kindheit.«

»Er hat einen etwas vertraulichen Ton gegen Sie,« sagte Richelieu mit einer gewissen gutmüthig wohlwollenden Miene, die er vortrefflich anzunehmen verstand, – »Sie müssen das vermeiden, man könnte das übel deuten, – Sie sind keine Kinder mehr.«

»Mein Gott, Herr Herzog,« rief Louise, – »wie kann man es übel deuten, wenn ich mit einem Freunde meiner Tante plaudere und wenn wir uns zusammen unserer Kindheit erinnern?«

»Es ist gewiß sehr schön und gut,« sagte Richelieu lächelnd, «wenn man seine Jugendfreunde liebt, – aber es verändert ein wenig die Sachlage, mein Fräulein, wenn diese Jugendfreunde große und schöne junge Männer und Fähnriche bei den grauen Musketieren Seiner Majestät sind, – eine junge Dame Ihrer Stellung muß immer an ihre Zukunft, an ihr Glück denken und ihre Kindererinnerungen vergessen.«

Louise blickte sich scheu um und sagte, bittend die Hände gegen den Herzog erhebend:

»O Herr Herzog, – sprechen Sie so nicht zu. meiner Tante, – sie könnte dem armen Gaston verbieten, wiederzukommen, und das würde mich, – – das würde ihn,« verbesserte sie sich schnell, – »sehr traurig machen.«

»Sein Sie unbesorgt, mein Fräulein,« erwiederte Richelieu treuherzig, – »ich gehöre nicht zu den indiskreten Leuten, ich habe Ihnen nur den Rath eines erfahrenen Mannes gegeben, – haben Sie stets Vertrauen zu mir, – unter meiner Führung werden Sie sicher über das.glatte Parket dieses Hofes dahinschreiten.«

Das mit niedergeschlagenen Augen vor ihm stehende Mädchen sah den triumphirenden Blick nicht, den er auf ihr ruhen ließ, – es schien, als sei er glücklich, dieses kleine Geheimniß entdeckt zu haben, er war der Mann, um den Faden eines solchen Geheimnisses zu einem unauflöslichen Knoten zu verschlingen, wenn er einen seiner verborgenen Zwecke, dadurch zu erreichen hoffen konnte.

Lakaien schlugen die Thürvorhänge auseinander, die Herzogin trat ein. Sie war gebeugt vom Alter, aber noch kräftig und energisch in ihren Bewegungen. Ihre welken Züge waren regelmäßig und zeigten noch die Spuren früherer Schönheit, der durch den weißgepuderten Kopfputz gehobene Glanz ihrer dunklen Augen berührte fast unheimlich, da diese Augen so stechend und durchbohrend blickten, als wollten sie die tiefsten Gedanken Desjenigen durchdringen, auf den sie sich richteten. Sie war ganz in schwarze Seide gekleidet, in der Hand trug sie einen Rosenkranz und ein Gebetbuch und blickte bei ihrem Eintreten etwas erstaunt auf den Herzog, der nicht zu den häufigen Besuchern ihres Hauses gehörte.

Richelieu ging ihr mit der unbefangensten Miene von der Welt entgegen und küßte ihr galant die Hand, während Louise ihr die Mantille und das Gebetbuch abnahm.

»Ich habe Sie erwartet, Frau Herzogin,« sagte er, »um Ihnen meine Huldigung darzubringen und mich in Ihre wohlwollende Erinnerung zu rufen.«

Die Herzogin erwiederte seine Begrüßung mit einer leichten Neigung des Kopfes in ziemlich kühler Weise und ließ sich in einen Fauteuil nieder.

»Geh' auf Dein Zimmer, mein Kind,« sagte sie zu Louise, »und lies in dem Erbauungsbuche, das ich Dir gegeben, – ich hoffe. Du hast die innere Sammlung wieder gefunden, welche Dir heute früh fehlte.«

»Ich fand Fräulein von Beaumont,« bemerkte Richelieu mit seinem treuherzigsten Ton, während zugleich ein flüchtiger, boshafter Seitenblick zu dem jungen Mädchen hinüberflog, – »in tiefen, frommen und ernsten Betrachtungen, und fühlte mich verpflichtet, sie darauf aufmerksam zu machen, daß eine junge Dame sich nicht zu sehr von den Gedanken an die Welt entfremden müsse, – sie hat noch länger Zeit, sich mit dem Himmel zu versöhnen, als wir,« fügte er seufzend hinzu, »die wir allmälig alt werden, – ich meine mich, Frau Herzogin,« verbesserte er sich schnell, als die Herzogin ihm einen strengen Blick zuwarf.

Louise erröthete und machte dem boshaften Marschall, während sie sich entfernte, hinter dem Rücken ihrer Tante ein bittendes Zeichen.

»Ein junges Mädchen kann nie zu viel an den Himmel denken,« sagte die Herzogin salbungsvoll, – »die Jugend verfliegt so schnell –«

»Das weiß sie am besten,« flüsterte Richelieu, während er durch eine jener anmuthigen Verbeugungen, deren Geheimniß er vor Allen besaß und welche die heutige Gesellschaft nicht mehr kennt, sich von Fräulein von Beaumont verabschiedete, die sich in die inneren Gemächer zurückzog.

Richelieu und die Herzogin blieben allein.

*


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