Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Dreizehntes Kapitel

Die große Saison von Rom hatte ihren Anfang genommen, die kühlere Witterung war eingetreten. Die Fremden begannen der ewigen Stadt zuzuströmen und die römische Aristokratie kehrte von ihren Villeggiaturen in den Bergen und an der Seeküste zurück. Alle Hotels waren überfüllt, und nur mit Mühe konnte man auf lange Vorherbestellung in den großen internationalen Gasthöfen Zimmer erhalten.

Dennoch waren im Albergo di Europa, als dort ein alter Diener erschienen war, um für den Grafen Rivero und seine Tochter Wohnung zu bestellen, eine Reihe von Zimmern sofort hergerichtet worden, und als wenige Tage darauf der Graf und die Gräfin ankamen, hatte man sie mit größter, diensteifriger Aufmerksamkeit als alte bekannte Gäste empfangen.

Der Graf war merklich gealtert, seine hohe, schlanke Gestalt, welche früher noch die ganze Elastizität der Jugend zeigte, hatte sich leicht gebeugt. Sein glänzendes schwarzes Haar war mit silbernen Fäden durchzogen, sein schönes und edles Gesicht war bleicher und welker geworden und zeigte deutlich die ersten Linien jener Runenschrift, welche die Zeit in das menschliche Antlitz gräbt, jener Linien, welche nie wieder verwischt werden, sondern sich langsam 245 und allmählich vereinigen zu dem letzten, schauerlichen Wort der Zerstörung, das der Tod unerbittlich auf die irdische Hülle der menschlichen Seele schreibt.

Seine dunklen Augen blickten kummervoll zu Boden und hatten jene stolze Sicherheit verloren, die sonst aus ihnen leuchtete, nur wenn seine Blicke auf seiner Tochter ruhten, wurden dieselben von einem milden Strahl erwärmt, und ein weiches, glückliches Lächeln flog über sein schwermütiges Gesicht.

Auch Julia hatte sich verändert, aber in anderer Weise als ihr Vater. Sie war schöner geworden, voller und kräftiger als früher, und fast schien es, als wäre sie gewachsen, so fest, sicher und stolz war die Haltung dieser früher so zierlichen und kindlichen Erscheinung. Der weiche, halb suchende und fragende Blick, mit welchem früher ihre großen Augen sich aufgeschlagen hatten, war fest und sicher geworden, hoch und frei trug sie das Haupt, und die kräftiger ausgebildeten Züge ihres Gesichts erinnerten in ihrer klassischen Reinheit an die Marmorbilder der antiken Römerinnen.

Der Graf und die Gräfin hatten in den Tagen nach ihrer Ankunft das Hotel nicht verlassen.

Der Graf hatte sogleich einen Brief an Monsignore Ricci, den Maestro di Camera Seiner Heiligkeit, in den Vatikan gesendet, und am dritten Tage hatte er eine Antwort mit dem großen Siegel des päpstlichen Hauses erhalten, welche ihm mitteilte, daß Seine Heiligkeit ihn am nächsten Vormittage in besonderer Audienz in seinen Privatzimmern empfangen werde.

Zur festgesetzten Stunde trat der Graf im schwarzen Anzuge, mit dem Stern des Piusordens auf der Brust, in den Salon seiner Tochter. Er war noch ernster als gewöhnlich und schloß Julia, die ihm entgegeneilte, lange und innig in seine Arme.

»Ich stehe vor dem großen Augenblick, meine Tochter,« sagte er, »der über mein künftiges Leben entscheiden wird, der alle meine Zweifel lösen und meinem Streben neue Bahnen öffnen, oder mir die traurige Gewißheit geben soll, daß mein vergangenes Leben vergeblich, mein vergangener Glaube ein Irrtum war.«

246 »Gott wird alles zum besten lenken«, sagte Julia mit ruhiger, klarer Stimme, indem der Blick ihres Auges mit dem kindlich schwärmerischen Ausdruck früherer Tage auf ihrem Vater ruhte. »Und wie es auch kommen möge, ich werde an dich glauben, mein Vater, du wirst stets der Vermittler zwischen Gott und meinem gläubigen Herzen sein, und mag all das große Streben, welchem du so viele Tage deiner Vergangenheit geopfert, verloren sein, meine Seele hast du gerettet und neugeschaffen zu einem Licht und zu einer Klarheit, von der bisher kein Strahl zu mir herabdrang. Und eine Seele zu bilden, sie zur Freiheit und zum Licht zu führen, das ist ein Schöpfungswerk, auf dem der wohlgefällige Blick der ewigen Liebe und Allmacht ruhen muß.«

Der Graf richtete sich empor. Wie in vergangener Zeit leuchteten seine Augen kühn und stolz auf. Der Schimmer jugendlicher Kraft erhellte seine Züge und mit vollem, metallischem Ton sprach er, indem er die Hand auf das Haupt seiner Tochter legte:

»Ich habe es gewagt, meine Hand an das Rad der Weltgeschichte zu legen, und wenn mein Streben verfehlt wäre, wenn mir das vernichtende Wort entgegentönte, welches der deutsche Dichter den Geist der Erde sprechen läßt: ›Du gleichst dem Geist, den du begreifst, – nicht mir‹, – so werde ich nicht zerschmettert zusammensinken wie jener deutsche Faust, sondern ich werde mich um so stolzer aufrichten und antworten: ›Hat jene große Welt, in welcher die Völker ihren Auf- und Niedergang vollenden, mich ausgestoßen, so trage ich dennoch das ewige Bild der Gottheit in mir‹, denn ich habe die Kraft, mir meine eigene Welt zu schaffen und diese Welt zu erwärmen und zu erleuchten mit dem ewigen Lichtquell der Liebe, den die göttliche Schöpfungskraft als einen Teil ihrer selbst in mich gelegt hat.«

Er küßte seine Tochter noch einmal zärtlich auf die Stirn, verließ dann schnell das Zimmer, schritt die Treppe hinab und stieg in seinen vor dem Hotel haltenden Wagen, der ihn in raschem Trabe nach dem Vatikan hinfuhr und weit seitwärts vor dem Eingangstor hielt.

247 Der Graf stieg aus und schritt durch die Höfe und Vorhallen des Palastes an den Schweizer Leibwachen in ihren buntgestreiften, altertümlichen Wämsern mit den glänzenden Pickelhauben auf dem Kopf und den Hellebarden in der Hand vorbei nach dem Vorzimmer der Wohnung Seiner Heiligkeit.

Hier zeigte er dem diensttuenden Kämmerer das Schreiben, durch welches er zur Audienz geladen war.

Mit ausgezeichneter Höflichkeit und mit jenem leisen, flüsternden Ton, in welchem hier in der unmittelbaren Nähe des obersten Priesters der katholischen Kirche alle Gespräche geführt werden, ersuchte der erste Kämmerer vom Dienst den Grafen, einige Augenblicke zu warten.

Graf Rivero trat an eines der großen Fenster und blickte, in tiefes Nachdenken versunken, zu dem dunkelblauen Himmel hinauf, über welchem einzelne zusammengeballte Wolkenmassen hinzogen.

Nach einiger Zeit erschien Monsignore Ricci und führte mit verbindlicher Artigkeit den Grafen durch zwei weitere Vorzimmer in das Audienzzimmer Seiner Heiligkeit, vor dessen Tür zwei Schweizer, die Hellebarde in der Hand, unbeweglich dastanden.

In dem durch hohe Fenster, von denen die Vorhänge weit zurückgezogen waren, mit hellem Licht erfüllten Gemach, an dessen Wänden man einzelne Gemälde italienischer Meister erblickte, befand sich nur ein einziger Stuhl von vergoldetem Holz mit seidenen Kissen aus einer leichten, mit einem schweren, einfarbigen Teppich bedeckten Erhöhung.

Auf diesem Sessel saß Pius IX. in einem Gewande von weißer Seide, das große Kreuz am Halse, die Füße auf einem breiten seidenen Fußkissen ruhend, die Arme auf die Seitenlehne des Sessels gestützt. Das edle Gesicht des Papstes mit den großen, leuchtenden Augen, welche dem Opal ähnlich in verschiedenen Farben zu strahlen schienen, wandte sich mit einem ernsten, fast strengen und etwas traurigen Ausdruck zu dem eintretenden Grafen hin, welcher langsam bis zu dem Sessel des Papstes vorschritt, vor demselben die Knie beugte und seine Lippen auf das goldgestickte Kreuz des weißseidenen Schuhs drückte, mit welchem der Fuß des Papstes bekleidet war. Dann erhob 248 er sich wieder und erwartete in ehrerbietiger Haltung die Anrede Seiner Heiligkeit, indem er zugleich mit einem gewissen Befremden auf einen Mann blickte, der neben dem Stuhl Pius' IX. stand.

Dieser Mann, in der schwarzen Ordenstracht der Jesuiten, war der Pater Bekx, der General des Ordens von der Gesellschaft Jesu. Der Pater Bekx war eine Erscheinung, welche, trotz ihrer Unscheinbarkeit beim ersten Anblick, dennoch einen tiefen Eindruck auf jeden machen mußte, der diesem außergewöhnlichen Mann nähertrat. Seine magere Gestalt stand etwas gebeugt in der enganschließenden, schwarzen Ordenstracht da. Sein etwas eingefallenes, trockenes Gesicht hatte keine besonders hervortretenden Züge, der breite Mund mit den schmalen Lippen, die gerade, wenig hervorspringende Nase, die etwas tiefliegenden Augen und die breite, von dem ergrauenden Haar umgebene Stirn konnten, wenn man diesen Mann zuerst ansah und nur flüchtig den Blick auf ihm ruhen ließ, einen gewöhnlichen Ordensgeistlichen vermuten lassen, wie man denselben in der ewigen Stadt so unendlich oft begegnet. Aber dieses ganze Gesicht war durchschimmert von einem so vielbewegten geistigen Leben, diese feinen Lippen schlossen sich mit einer so festen Willenskraft hart und schneidig wie Stahl aufeinander, aus diesen Augen strahlten so scharfe, tief eindringende, Seele und Herz durchforschende Blicke hervor, daß man unwillkürlich nach wenigen Augenblicken schon den überwältigenden und fast niederdrückenden Eindruck dieser Persönlichkeit empfand.

Der Pater Bekx stand unbeweglich neben dem Sessel des Papstes, in ehrerbietiger Haltung halb gegen den Statthalter Christi auf Erden hingewendet, das Haupt in leichter Neigung demütig gebeugt. Und doch sprach aus dieser bescheidenen Haltung, aus diesem gebeugten Haupt, aus diesem Blick voll ruhiger Hingebung zugleich der Ausdruck des Gefühls der stolzen Macht, die in den Händen des unumschränkten Gebieters einer Gesellschaft ruht, welche die höchste Intelligenz in sich schließt, welche über die ganze Erde verbreitet ist und zugleich im blinden Gehorsam den Befehlen ihres Generals folgt.

249 »Du bist zurückgekehrt, mein Sohn,« sagte der Papst mit seiner sanften, harmonischen Stimme, »und wir haben dich auf deine Bitte vor unser Angesicht beschieden, um aus deinem Munde zu hören, ob dein Geist frei geworden ist von jenen Irrtümern, welche sich im Verkehr mit der Welt wie die Flecken eines bösen Rostes auf die Reinheit deines Glaubens und Strebens gelegt hatten.«

»Heiligster Vater,« erwiderte der Graf, indem er den Blick der Liebe und Verehrung, aber zugleich mit dem Ausdruck eines festen und schmerzlichen Entschlusses zu dem Papst aufschlug, »ich habe, wie Eure Heiligkeit mir geboten, lange und ernst in der Einsamkeit der Natur über alles das nachgedacht, worüber Eure Heiligkeit die Gnade hatten mit mir zu sprechen, und ich glaube –«

»Du beginnst, mein Sohn,« fiel der Papst ein, indem er in edler Bewegung die Hand gegen den Grafen erhob, »du beginnst damit, uns eine Unwahrheit zu sagen, – wenigstens nicht die volle Wahrheit zu sprechen, – seit du vor unserem Angesicht gestanden, hast du dich nicht, wie wir dir geboten, der Selbstprüfung in stiller Einsamkeit hingegeben, du hast vielmehr, wie uns berichtet worden, von neuem die Hand gelegt an die Entwicklung der Geschicke unserer Tage, du hast eingreifen wollen in den Gang der Politik, und deine Tätigkeit, obgleich sie unwirksam geblieben, hätte, wenn ihr Erfolg zuteil geworden wäre, nur der heiligen Sache der Kirche nachteilig werden können. Du bist dann«, fuhr er in strengerem Ton fort, »in Berührung getreten mit Personen und Verhältnissen, welche der Sache unserer heiligen Kirche fremd sind, ja derselben fast feindlich gegenüberstehen, – das ist nicht stille Einkehr in dich selbst gewesen, welche wir dir zur Pflicht machten, um dich zu befreien von den schädlichen Einflüssen, die falsche und verderbliche Ansichten auf dich gewonnen.«

Ein trauriges Lächeln spielte um die Lippen des Grafen, er ließ einen Augenblick den Kopf auf die Brust sinken, dann richtete er sich in seiner ganzen Höhe empor, und den Blick frei und fest auf den Papst richtend, erwiderte er mit voller, klarer Stimme:

»Es ist ein Beweis hoher Gnade, für welche ich tief 250 und innig dankbar bin, daß Eure Heiligkeit sich so eingehend über mein Leben unterrichtet haben. Es ist wahr,« fuhr er dann fort, »ich bin aus der Einsamkeit, in welche ich mich zurückgezogen hatte, auf einen Augenblick in die Welt zurückgekehrt, um zu versuchen, ob ich mit der Kraft meines überzeugungsvollen Wortes ein Ereignis hindern könnte, welches nach meiner wohldurchdachten und unumstößlichen Meinung der heiligen Sache der Kirche schweren und unverbesserlichen Schaden hätte zufügen müssen. Meine Tätigkeit ist wirkungslos geblieben, die Vorsehung selbst hat verhindert, was ich für ein großes Unglück hielt. Sie hat jene Revolution in Spanien zugelassen, welche die Kombinationen des französischen Kaisers durchkreuzte und den verderblichen Krieg verhinderte, dessen Nachwirkung auch für die Kirche und für die segensreiche Macht Eurer Heiligkeit hätte verhängnisvoll werden müssen.«

»Du sprichst vermessene Worte, mein Sohn,« sagte der Papst –, »wir sind der erste Diener desjenigen, der der Welt den Frieden und die Versöhnung gebracht hat, – Frieden und Versöhnung muß das Ziel unseres Strebens auf Erden sein, aber um dahin zu gelangen, ist auch der Kampf notwendig gegen die Feinde der Kirche, denn nur der Sieg der Kirche und ihre einige und unteilbare Herrschaft über die ganze Menschheit wird der Welt den endlichen und unzerstörbaren Frieden bringen. Jenes neue Kaisertum aber, an dessen Aufrichtung ehrgeizige Personen in Deutschland arbeiten, ist einer der gefährlichsten und schlimmsten Gegner der von uns vertretenen und geführten Kirche. Nur wenn jene neuerstandene Macht, welche Österreich niedergeworfen, welche mit diesem frevelhaften, uns bedrohenden Königreich Italien verbündet ist, welche überall dem verderblichen Geist der Neuerung die Hand reicht, nur wenn diese Macht gebrochen ist, dann kann die Herrschaft der Kirche und ihr Segen sich wieder über die Welt verbreiten. Und du, mein Sohn,« fuhr er in dem Ton strengen, aber noch immer väterlichen und liebevollen Vorwurfs fort, »du hast in kühner Selbstüberhebung einen Kampf verhindern wollen, der zu so großen Siege hätte führen können. Dadurch, mein Sohn, hast du eine große Schuld 251 auf dich geladen, – eine um so größere, als du gegen unseren Befehl gehandelt hast, – da dir aufgegeben war, dich selbst zu reinigen von den verderblichen Irrtümern, damit du wieder zu einem mächtigen und gesegneten Streiter für die heilige Sache der Kirche werden möchtest, wie du es einst warst.«

»Ich habe gehandelt,« erwiderte der Graf immer in tief ehrerbietigem, aber ebenso festem Ton, »wie meine Überzeugung und mein Gewissen mich zu handeln trieben. Denn, Heiligster Vater,« fuhr er lebhafter fort, »ich bin überzeugt, wenn es zu diesem Kriege zwischen Frankreich und Deutschland gekommen wäre, so würde Deutschland gesiegt haben, und damit würde zugleich der letzte Schutz verschwunden sein, welcher Eurer Heiligkeit gegen das andringende Italien zur Seite steht, und welcher heute noch dem päpstlichen Stuhl die Freiheit des Entschlusses sichert, in die neue und unaufhaltsame Entwickelung der Dinge herrschend und bestimmend einzugreifen und aus dem neuerstandenen Italien den Fußschemel der Kirche zu machen.«

Der strenge Ausdruck, welcher auf dem Antlitz des Papstes bei den ersten Worten des Grafen erschienen war, machte einem tiefen Erstaunen Platz.

Der Pater Bekx schüttelte langsam den Kopf und sah den Grafen Rivero fragend und erwartungsvoll an.

»Ein Fußschemel der Kirche,« rief der Papst, – »dies Italien, dessen König uns nicht nur unsere heiligsten Rechte, sondern auch den Besitz des Erbteils der Nachfolger des Apostels Petrus rauben will, der mit dem Geiste der Lüge und des Unglaubens sich verbündet, dessen räuberische Heere schon an den Grenzen unseres Gebiets lagern?«

»Und die von dem Gebiete Eurer Heiligkeit«, erwiderte Graf Rivero, »nur durch die Macht Frankreichs zurückgehalten werden, durch diese Macht, welche zusammenbrechen wird, wenn sie es unternehmen sollte, in die Entwickelung der deutschen Nation einzugreifen. Wenn Frankreich mit Deutschland Krieg führt, so wird es nicht mehr die Macht besitzen, die italienische Bewegung zum Heile der Kirche zu lenken.

252 Der Papst schwieg einen Augenblick, ein Blitz des Unwillens zuckte aus seinen großen, strahlenden Augen auf den Grafen hin.

»Du glaubst, mein Sohn, daß dieses preußische Deutschland, zu welchem das unserer Kirche treu ergebene Bayern nicht gehört, Frankreich besiegen würde und daß dann unser Gebiet und Rom den Heeren des von Gott verlassenen Königs Viktor Emanuel preisgegeben sein möchte. Diese Meinung«, fuhr er fort, »beweist wenig Vertrauen zu dem Schutz, welchen der Himmel endlich unserer heiligen Sache gewähren muß. Wir verwerfen deine Meinung als einen Irrtum, – aber es ist ein politischer Irrtum, ein Irrtum deines Verstandes, dessen Aufklärung wir der Zeit und deiner besseren Einsicht überlassen können. Aber«, fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »du hast von einer Versöhnung unserer heiligen Sache mit diesem Königreich Italien gesprochen, das wie ein brandendes und drohendes Meer den Felsen Petri umdrängt; – eine solche Versöhnung für möglich zu halten, das ist ein schwererer, ein verhängnisvollerer Irrtum. Wir vermögen es nicht zu fassen, wie ein gläubiger Sohn der heiligen Kirche an eine solche Versöhnung nur denken kann.«

»Und doch,« erwiderte der Graf, indem er sich hoch aufrichtete, während sein bleiches Gesicht sich rötete und aus seinen Augen das Licht jugendlicher Begeisterung flammte, »und doch ist eine solche Versöhnung leicht, doch würde sie zur vollkommenen und sicheren Wiederherstellung der Macht und Herrlichkeit der Kirche führen. Ganz Italien ist katholisch, Heiliger Vater,« fuhr er fort, »und gut katholisch; – daß es seine nationale Einheit verlangt, kann man ihm nicht verargen, da der Zug nach nationaler Einigung und Macht heute durch alle Völker der Erde geht. In diesem Zuge an sich liegt keine Feindschaft gegen die Kirche oder gegen Eure Heiligkeit. Wenn die nationale Idee sich in diesem Augenblick dem Papsttum gegenüberstellt, so ist dies nur die Folge der Stellung, welche die Kurie ihrerseits eingenommen hat. Wenn Eure Heiligkeit selbst die nationale Größe dieses schönen Italiens, das so lange den Völkern der Erde voranschritt, in Ihre heiligen Hände 253 genommen hätten, so würde, ich wiederhole es, nach meiner Überzeugung heute ganz Italien zu den Füßen des päpstlichen Thrones liegen. Was ist jener König von Piemont dem großen Italien? Nicht ihm fliegen die Herzen entgegen, sondern nur der Idee, welche er vertritt und welche in allen Gemütern warme Begeisterung entzündet. Wenn Eure Heiligkeit«, fuhr er immer wärmer und begeisterter sprechend fort, »von Rom aus die Einheit Italiens verkünden würden, welche wir ja einst schon in einem Bunde der Fürsten unter dem Vorsitz des Papstes erstrebten, dann würde die Begeisterung ganz Italiens nicht nur der nationalen Idee als solcher, sondern auch dem Vertreter dieser Idee, dem Oberpriester der Kirche, durch welchen Italien an der Spitze der katholischen Welt steht, entgegenfliegen. Eure Heiligkeit würden allmächtig in Italien werden, durch Italien die lateinischen Völker und durch diese die Welt beherrschen.«

Einen Augenblick zuckte es über das Antlitz des Papstes hin wie ein Verständnis dieser Gedanken, welche auch ihn einst beim Beginn seines Pontifikats erfüllt hatten.

Der Pater Bekx sah mit scharfem, forschendem Blick auf den Papst hin, dessen Augen mit liebevollem Wohlgefallen auf dem bewegten, von begeistertem Feuer glühenden Antlitz des Grafen ruhten, – dann aber wurde das Gesicht Pius' IX. wieder kalt und strenge und er sprach, indem die seinen Brauen sich über seinen Augen zusammenzogen:

»Du vergißt, mein Sohn, daß dieses verblendete und irregeleitete Volk Italiens Rom als die Hauptstadt seines parlamentarischen Königreichs verlangt, daß es unsere weltliche Herrschaft umstürzen möchte, daß es hier auf dem Boden, auf welchem die Nachfolger des heiligen Petrus berufen sind, in unbeschränkter Autorität zu herrschen, sein Parlament versammeln will, um nach Majoritätsbeschlüssen die alten, heiligen Rechte zu zerstören und neue Gesetze zu geben, welche fehlbare Menschensatzungen an die Stelle der Gebote der Religion und der Kirche setzen.«

»Ich erkenne ganz«, sagte der Graf, »den Frevel, welcher in dem Streben nach dem weltlichen Besitz und dem Angriff gegen die Rechte des heiligen Stuhls liegt. Aber«, fuhr er 254 fort, »ist es nicht die Aufgabe der Kirche, die fehlerhafte und verderbliche Richtung des Geistes der Zeit zu beherrschen und so zu lenken, daß auch sie zur immer größeren Ehre Gottes führe? War es nicht ein schwerer und verhängnisvoller Fehler, daß die reformatorische Bewegung Luthers, welche sich doch nur gegen die von erleuchteten Kirchenfürsten selbst anerkannten Mißbräuche und Übelstände richtete, sich selbst überlassen, mit falschen Mitteln bekämpft und so zu einer Bewegung gegen die Kirche selbst gemacht wurde, welche große Ländergebiete von ihrer Herrschaft ablöste? Welche Grundlage kann der Weltherrschaft der Kirche dieses römische Gebiet geben, das ihr nur erhalten wird durch die schützende Hand einer fremden Regierung, deren Macht einst brechen, deren Anschauung von einem Tag zum anderen wechseln kann? Die Macht der Kirche, Heiligster Vater, beruht auf der Herrschaft über die Geister, und wenn um dieses kleinen weltlichen Gebietes willen diese Herrschaft über die Geister preisgegeben wird, so ist der Gewinn wahrlich ein geringer, und selbst dieser Gewinn ist nicht sicher und dauernd. Wenn aber die Kirche jetzt mächtig in freiem Entschluß der Bewegung der Geister voranschreitend, diese beherrscht und führt, dann wird sich alles ihr unterwerfen und es kann möglich sein, selbst die traurigen Folgen jener Reformation wieder zu beseitigen, welche Deutschland spaltete und so viele Millionen der Kirche entfremdete.«

»Wir sind erstaunt,« sagte der Papst mit mildem Ernst, indem er sich zum Pater Bekx wandte, »wie auch in einer gläubigen Seele, die von treuer Hingebung für die heilige Religion stets erfüllt war, so verhängnisvolle und verderbliche Irrtümer entstehen und sich festsetzen können, so daß ein frommer und uns tief ergebener katholischer Christ das für nützlich und heilsam halten kann, was die Feinde des Glaubens verlangen und erstreben.«

»Das ist die Macht des bösen Geistes, Heiliger Vater,« sagte der Pater Bekx mit einer scharfen und trotz des ehrerbietig gedämpften Tons das ganze Gemach durchdringenden Stimme, »daß sie die menschliche Vernunft durch falsche Trugschlüsse auch von richtigen und frommen 255 Ausgangspunkten zu den verderblichsten und unheilvollsten Irrtümern hinleitet. Das ist der Fluch des vermessenen eigenen Denkens und Forschens. In den irdischen Dingen mag der Verstand prüfen und urteilen, der Religion und dem Glauben gegenüber muß er schweigend sich beugen. Nicht umsonst hat man die Kirche als den Felsen Petri bezeichnet. An diesem Felsen möchten sie rütteln, um ihn mit den wechselnden Wellen des sogenannten Zeitgeistes zu überspülen, und darum muß es die Aufgabe aller treuen Diener der Kirche sein, diesen Felsen zu schützen und zu verteidigen, damit sich auf seinen ewigen Grund diejenigen retten können, welche«, fügte er mit einem Blick auf den Grafen hinzu, »in den Fluten der menschlichen Vernunft Schiffbruch gelitten haben.«

Wohlgefällig lächelnd neigte der Papst nochmals das Haupt.

»Unser frommer Bruder hat recht,« sagte er, »auch du hast Schiffbruch gelitten, mein Sohn, in den unruhigen Wellen, welche das stolze und selbstgenügsame Denken schlägt, – aber wir zürnen dir darum nicht«, fügte er mit mildem Ton und einem liebevollen Blick auf den Grafen hinzu. »Es ist ja unser Beruf als Nachfolger des heiligen Apostelfürsten, die Seelen zu fischen aus den trüben Fluten des Lebens und sie zu retten auf den festen Ankergrund der Kirche. Auch du wirst den Weg zurückfinden zu unserem ewigen Felsen, wenn wir erst hoch auf dessen Spitze die untrügliche Leuchte entzündet haben werden, welche weithin über der Welt und des irdischen Lebens schwankenden Wellen allen Irrenden den Weg zur Rettung zeigt, wenn nur die Autorität unseres vom heiligen Geist durchströmten oberhirtlichen Wortes über alle Zweifel und Wirrnisse erhoben sein wird. Bleibe hier, mein Sohn, am Fuße unseres apostolischen Stuhls und unter der Leitung unseres würdigen Bruders hier, dem wir ganz besonders die Führung und Klärung deiner Seele übertragen. Bald wird das Konzil, das wir berufen haben, der die ganze Welt umfassenden Kirche den festen Mittelpunkt wiedergeben und unser unfehlbares Wort als die heilige Regel und Norm für die Gewissen aller Gläubigen aufstellen. Dann wird 256 der große Bau der Kirche«, fuhr er fort, indem schwärmerische Begeisterung von seinem Gesicht strahlte, »fest ineinandergefügt den Mächten der Welt, die alle gegen seine Mauern anstürmen, siegreich Widerstand leisten und allen Gläubigen eine feste und sichere Zuflucht gewähren.«

Tiefer Schmerz erschien auf den Zügen des Grafen.

»Eure Heiligkeit«, sagte er, »haben die Gnade gehabt, mir diesen Gedanken schon auszusprechen, als ich das letztemal vor Ihrem Antlitz zu stehen das Glück hatte. Und weil ich vor diesem Gedanken erschrocken zurückbebte, weil ich in demselben schwere und drohende Gefahren für die Kirche und die Religion erblickte, hatten Eure Heiligkeit mir befohlen, mich in stiller Zurückgezogenheit in mich selbst zu versenken und über diese so schwere und verhängnisvolle Frage nachzudenken; – ich habe getan, was Eure Heiligkeit mir befahlen. Ich habe gedacht und geforscht mit allen Kräften meines Geistes, ich habe gerungen im Gebet mit aller Kraft meines Glaubens, damit Gott mich erleuchten möge, damit ich das Recht erkenne und den Irrtum zu ergründen imstande sei. Aber, Heiligster Vater,« fuhr er fort, »ich habe die Überzeugung, welche ich vor Eurer Heiligkeit auszusprechen mich erkühnte, nicht als Irrtum erkennen können, – je tiefer ich nachgedacht habe über die Stellung der Kirche unserer Tage, um so fester und kräftiger ist in mir die Überzeugung geworden, daß die Kirche nicht durch die starre, unbewegliche Autorität den Sieg über ihre Gegner erringen kann, – daß aber auch niemals der Augenblick günstiger gewesen ist, um ihr die Weltherrschaft wieder zu erobern, wenn sie die Bewegung der Geister erfaßt und leitet, wenn sie zurückkehrt zu dem Geist der Freiheit, den der Erlöser in seinem heiligen Blut die Welt durchströmen ließ. Denn der Geist ist die Bewegung, ist das Leben, ist die Freiheit, und wenn die Kirche der Bewegung, dem Leben und der Freiheit entgegentritt, so wird der Geist der Welt sich gegen sie wenden, sie wird erstarren und absterben, wie der Felsen, der starr und tot emporragt und dessen Gipfel sich mit Eis und Schnee bedeckt, die der Strahl der Sonne nicht mehr zu schmelzen vermag. Nicht in dem unbeweglichen Felsen, heiliger Vater, wohnt der Geist 257 Gottes, er weht über die Erde in dem Hauch des Windes, der die Luft reinigt und erfrischt, er duftet empor aus dem Kelch der Blumen, er flammt nieder in dem Wetterstrahl, er ist überall da, wo Leben und Bewegung herrscht. Vor allem aber wohnt er in dem schlagenden und fühlenden Menschenherzen, in dem vorwärtsstrebenden Menschengeist, dieser ungreifbaren, feinen und edlen Substanz, die nur wiederum durch den Geist erfaßt und geleitet werden kann. Und die Kirche, Heiligster Vater,« fuhr er immer begeisterter, immer glühender fort, »muß diesem Wesen der Gottheit entsprechen, sie darf sich nicht auf den toten, unnahbaren Felsen zurückziehen, sie muß das Leben, den Geist der ganzen Welt zu sich heranziehen, um ihn zu läutern und zu reinigen, um seinen Fortschritt und seine Bewegung führen zu können. Die Macht Eurer Heiligkeit ist groß und die Herzen aller Gläubigen beugen sich ihr, aber diese Macht ist nicht groß genug, um das geistige Leben der Welt in starre und tote Formen zu bannen. Wenn Eure Heiligkeit dem Geiste voranschreiten, so werden alle, auch die heutigen Feinde der Kirche, folgen müssen, und das Zeichen des Kreuzes wird im Geiste der Wahrheit den Geist der Lüge besiegen, wie der Erzengel den Fürsten der Hölle unter die Spitze seines flammenden Schwertes niederwarf, – wenn aber die Kirche dem Geist sich entgegenstellt, so werden auch diejenigen irre werden, welche heute noch ihre treuesten Diener sind. Das ist meine Überzeugung, Heiligster Vater, ich kann sie nicht ändern, so sehr ich geforscht und gerungen habe. Und aus dieser Überzeugung flehe ich Eure Heiligkeit an, das Konzil zu einer großen Vertretung der christlichen Weltgemeinde zu machen. Wenn sich das geistige Leben aller Völker in einem klaren Bilde vor Eurer Heiligkeit Blick darstellt, damit dann dieses Leben von dem apostolischen Stuhl aus durch die Bischöfe und Priester, je nach seiner nationalen Eigentümlichkeit abgesondert, geregelt und gelenkt werden könne, – dann, Heiligster Vater, wird die Kirche ein lebendiger Organismus werden, der wahre Leib Christi, von dessen heiligem Blut durchströmt, Leben wird aus allen Adern dieses Leibes nach dem Herzen hinfließen, Leben wird vom Herzen aus wieder zurückgeführt werden, 258 und dann wird der Papst, das Herz dieser großen, lebendigen Kirche, der Mittelpunkt und der Herr der Welt sein, gleichviel, ob das unmittelbare, kleine Stück Erde, das seinen Thron trägt, zugleich seiner weltlichen Herrschaft unterworfen ist oder nicht.«

Der Papst sah wie erstaunt den Grafen an. Er hatte mehrere Male langsam den Kopf geschüttelt, während der Pater Bekx, die Hände faltend, mit scharfem, stechendem Blick zu dem Sprechenden hinübersah.

Pius IX. winkte leicht mit der Hand, als wolle er den Grafen veranlassen, weiterzusprechen und seine Gedanken bis zum letzten Ende vollständig zu entwickeln.

Nach einem tiefen Atemzug fuhr der Graf fort:

»Die Hauptstützen der Kirche, heiligster Vater, die Hauptorgane der verbindenden und einigenden Macht des Papstes sind die Bischöfe, welche unmittelbar in den Gemeinden der Gläubigen stehen und deren geistiges Leben aus der Nähe zu beurteilen und zu führen imstande sind. Die dogmatische Unfehlbarkeit des Heiligen Stuhls aber greift tief in das freie Hirtenamt der Bischöfe ein. Die Bischöfe stehen unmittelbar den weltlichen Mächten gegenüber, welche Gewalt haben über alle äußeren Verhältnisse der Gläubigen ihrer Diözese. An den Bischöfen liegt es, den Frieden mit diesen weltlichen Mächten zu erhalten und ihnen keine Gelegenheit zu geben, in das innere und freie Leben der Kirche einzugreifen. Können die Bischöfe, welche in den Glaubenssachen nur das Konzil über sich haben, dessen Teilnehmer sie sind, können sie sich unbedingt den dogmatisch unfehlbaren Aussprüchen des päpstlichen Stuhls unterwerfen, der doch keine unmittelbare Fühlung hat mit dem nationalen Leben und den besonderen Verhältnissen ihrer Sprengel? Und wenn sie es tun,« fuhr er fort, »wenn sie um der Einigkeit der Kirche willen dies neue Dogma annehmen, das ihre ganze Stellung in ihrem innersten Wesen verändert, werden sie nicht auch in eine ganz veränderte Stellung treten zu den weltlichen Mächten und zu ihren Diözesanen selbst, werden sie nicht die Eifersucht der Regierungen, das Mißtrauen der Gläubigen gegen sich hervorrufen, wird nicht Kampf und Zwietracht nach allen Seiten 259 hin die Kirche in Not und Gefahr stürzen, statt sie zu stärken und zum Siege zu führen? Heiligster Vater, ich sehe schwere, dunkle Zeiten vor meinem Geist heraufsteigen, – ich sehe den alten Bau in Trümmer sinken und nur nach schweren Kämpfen wird ein neuer Tempel aus neuen Steinen entstehen können, wenn nicht Eure Heiligkeit selbst die neue Zeit mit mächtiger Hand erfassen. Ich habe gegen niemand«, fuhr er nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, »über das gesprochen, was in meinem Innern lebt, was ich erkenne mit meinem Geist und empfinde mit meinem glaubensvollen Herzen und was ich hier vor Eurer Heiligkeit auszusprechen für meine Pflicht halte. Ich werde wahrlich nicht Propaganda für meine Ansichten machen, ich werde sie tief in mich verschließen, ich bin ein einfacher, fehlbarer und demütiger Christ und blicke voll tiefer Ergebung zu der unendlich höher erleuchteten Einsicht Eurer Heiligkeit empor. Aber ich flehe mit der ganzen Inbrunst meines Herzens, daß Gott, wenn meine Anschauung die richtige ist, derselben bei Eurer Heiligkeit Eingang geben möge, daß er mich aber, wenn ich mich täusche, endlich meinen Irrtum erkennen lasse, – was ich bis zu dieser Stunde zu tun nicht imstande bin«, fügte er mit leisem, aber festem und entschiedenem Ton hinzu.

Langsam näherte er sich dem Sessel des Papstes, ließ sich auf die Knie nieder, faltete die Hände und senkte schweigend das Haupt auf die Brust.

Der Papst machte wie unwillkürlich eine Bewegung mit der Hand, als wolle er dieselbe zum Segen erheben, dann aber ließ er sie wieder auf die Lehne des Sessels herabsinken und sprach mit strengem Ton, aber immer noch wohlwollend zu dem Grafen herabblickend:

»Du bist kränker an deiner Seele, mein Sohn, als wir geglaubt haben, und es erfüllt uns mit tiefem Schmerz, zu sehen, daß so höchst verderbliche Irrtümer Eingang in deinen Geist gefunden haben. Wir müßten unser Antlitz von dir abwenden und dich den Strafen überlassen, welche die Kirche für alle solche ketzerische Irrtümer festsetzt. Aber«, fuhr er in sanfterem Ton fort, »wir erinnern uns der großen Verdienste, welche du dir durch dein treues und 260 unermüdliches Wirken im Dienst der heiligen Religion erworben hast, – wir erinnern uns des Wortes des Heilandes, nach welchem mehr Freude im Himmel sein wird über einen zurückkehrenden Verirrten, als über hundert Gerechte, und deshalb wollen wir das Urteil der Verwerfung noch nicht über dich aussprechen, wir wollen dir Zeit geben, deine Irrtümer zu erkennen und zu bereuen und dich der besseren Erkenntnis zu öffnen, damit die reichen Kräfte, mit denen der Himmel dich begnadigt hat, auch fernerhin wieder, wie einst, sich im Dienst unserer heiligen Sache entwickeln können. Darum geben wir dir auf, hier in Rom zu bleiben und dich vom Verkehr mit der Welt zurückzuhalten. Unser würdiger Bruder hier, dessen Geist ebenso reich und kräftig ist, als sein Glaube kindlich und unerschütterlich, wird dir zur Seite stehen, er wird dich belehren, er wird dich führen, und seinem Eifer wird es gelingen, dich zu der ersten Pflicht eines Streiters für die Kirche zurückzuführen, – zu dem schweigenden, selbstverleugnenden Gehorsam. Wir übergeben dir, würdiger Bruder«, fügte er, sich zu dem Pater Bekx wendend, hinzu, »diese kranke und irrende Seele, du wirst sie uns geheilt und zu unserem Dienst gekräftigt zurückgeben.«

Der Graf stand auf, stolzer Mut leuchtete aus seinen Augen, seine etwas gebeugte Gestalt nahm die ganze Elastizität früherer Tage wieder an und mit vollklingender, laut durch das ganze Gemach hin tönender Stimme sprach er:

»Ich hatte die Kraft meines Lebens dem Dienst der heiligen Kirche geweiht, und ich habe mich willig allen Anordnungen gefügt, welche die einzelnen Handlungen in diesem Dienst betrafen, solange ich die freudige Überzeugung in mir trug, daß der Weg, auf dem ich voranging, wirklich zum Heile der Kirche führte. Diese Überzeugung, Heiligster Vater, habe ich verloren, und so sehr ich mich vor Eurer Heiligkeit in tiefer Demut beuge, so wenig kann ich mich in blindem Gehorsam dem ehrwürdigen Vater hier unterwerfen. Ich habe es gewagt, im Dienst der heiligen Sache, der ich mein ganzes Leben hingab, Menschenherzen, welche aus Gottes liebevoller Schöpferhand hervorgegangen sind, als Werkzeuge zu gebrauchen. Diese Herzen, unschuldiger und reiner vielleicht als das meine, sind gebrochen. Ich 261 habe machtlos und verzweifelnd vor den Leichen derer gestanden, welche meine Vermessenheit dem Tode weihte. Ich bin schaudernd und innerlich vernichtet vor den Folgen der Taten zusammengesunken, welche ich aus freier, gläubiger Überzeugung getan habe, und diese gläubige Überzeugung allein kann eine Rechtfertigung, eine Entschuldigung meiner Taten sein. Aber, Heiligster Vater,« rief er, »sobald diese Überzeugung mir fehlt, kann ich kein blind gehorsames Werkzeug in einem Kampf mehr sein, von dem ich keinen Sieg voraussehe, und auch der ehrwürdige Pater hier wird es nicht vermögen, mir jene Überzeugung zu geben, nachdem ich sie vor dem Angesicht Eurer Heiligkeit selbst nicht habe gewinnen können.«

Jetzt verschwand der väterlich liebevolle Ausdruck von den Zügen des Papstes, seine bisher so mild und sanft leuchtenden Augen schienen plötzlich eine tiefdunkle Farbe anzunehmen, sprühende Flammen blitzten aus denselben hervor. Er richtete sich aus seiner zurückgelehnten Stellung auf, hob die Hand wie abwehrend gegen den Grafen und sprach mit einer Stimme, die wie das Grollen eines fernen Wetters von den Marmorwänden des Gemachs widertönte:

»Du bist auf dem Wege, von dem schmerzlichen, aber verzeihlichen Irrtum zur Auflehnung überzugehen. Wir haben dir jetzt nichts weiter zu sagen, wir geben dir bis zum Abend des morgenden Tages Bedenkzeit, ob du dich unserem Urteil unterwerfen, dich der belehrenden und strafenden Zucht unseres würdigen Bruders hier hingeben willst, – wo nicht, so werden wir unser liebevolles und verzeihendes Antlitz von dir abwenden und dich dem Fluche verfallen lassen, der den abtrünnigen und aufrührerischen Söhnen der Kirche gebührt.«

Er winkte mit der Hand; ein tiefer Atemzug hob die schwer arbeitende Brust des Grafen, seine Augen glänzten in düsterem Feuer. Er wollte sprechen, da fiel sein Auge auf den Pater Bekx, welcher ihn kalt und scharf ansah. Er schien das Wort von den bereits geöffneten Lippen zurückzurufen, beugte schweigend das Knie, berührte mit den Lippen das Kreuz des päpstlichen Schuhes und zog sich dann, 262 rückwärts schreitend, nach der Tür des Gemachs zurück, immer den Blick tief eindringend, schmerzvoll und starr auf den Papst gerichtet.

Auch auf dem Antlitz Pius' IX. lag schmerzliche Wehmut, er schien mit sich selber zu kämpfen und ein Wort der Versöhnung schien auf seinen Lippen zu schweben, – aber er blieb stumm, er erhob die Hand nicht wie sonst zum Segen. und die lautlose Stille wurde nur durch das Geräusch der Tür unterbrochen, welche der Graf öffnete und welche sich hinter demselben wieder schloß.

Schweigend erwiderte der Graf die Grüße des diensttuenden Kämmerers, der ihn bis zur Tür des Vorzimmers geleitete, schweigend durchschritt er die Vorhöfe, in denen unbeweglich, wie vorher, die Schweizergarden standen, er erreichte seinen Wagen und fuhr schnell nach dem Hotel zurück.

 


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