Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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Siebentes Capitel.

»Der goldene Sonntag«, wie die Frankfurter den ersten Tag der Anwesenheit der Fürsten nannten, war vorübergegangen; bis zum späten Abend waren die Straßen mit Menschen gefüllt gewesen, um das seltene Schauspiel eines so mannigfaltigen fürstlichen Glanzes zu genießen; man hatte am Nachmittag die sämmtlichen Souveraine in höchster Gala zu dem Diner des Kaisers von Oesterreich fahren sehen, alle trugen die Uniformen ihrer österreichischen Regimenter und man erzählte sich Wunderdinge von der Pracht dieses Diners, wo auf goldenem Service gespeist war, man theilte sich das ménu mit, das in der scheinbaren Einfachheit seiner Gänge Alles vereinigte, was die Kochkunst zu leisten vermochte und auf welchem neben den ausgesuchtesten Erzeugnissen kulinarischer Production die Namen der edelsten und seltensten Weine ihren Platz fanden, –man hatte Abends die Rückfahrt der Fürsten angesehen und müden von all dem Schauen und Umherstehen auf den Straßen waren die Frankfurter endlich zu Bett gegangen.

Verhältnißmäßig leer waren am nächsten Morgen die Straßen der alten Krönungs- und Kaiserstadt, als Vormittags um elf Uhr eine der fürstlichen Carossen nach der andern nach dem Palais in der Eschenheimer Gasse fuhr. Die Souveraine sollten zur ersten Sitzung zusammentreten, um über die Vorschläge zu berathen, welche der Kaiser über die künftige Neugestaltung Deutschlands machen wollte.

Ein mächtiger, runder Tisch stand in der Mitte des großen Conferenzsaales in diesem Palais, mit Lehnstühlen umgeben; hier sollten die Könige und Fürsten, welche sonst in der unnahbaren Stille der Cabinete mit ihren Ministern über die Fragen der Politik beriethen, welche nur von den Thronsesseln herab in wohl überlegter Rede zu den Vertretern des Volks zu sprechen gewohnt waren, hier sollten sie in eigner Arbeit und freier Diskussion in Berathung treten über die Angelegenheiten des großen, gemeinsamen Vaterlandes. Um elf Uhr waren die Fürsten versammelt; sie Alle trugen die Uniformen ihrer Armeen und die Bänder ihrer Orden; der junge, schlank gewachsene und idealisch schöne Fürst von Liechtenstein allein war in der österreichischen Uniform mit dem österreichischen Ordensbande erschienen. Hier sah man die kränklich schmächtige Gestalt des Königs von Baiern mit dem blassen, sinnigen, leidend nervösen Gesicht, – er unterhielt sich mit dem König Johann von Sachsen, der in leicht gebückter Haltung vor ihm stand, das scharf geschnittene Gesicht mit dem charakteristischen Profil lebhaft bewegt von dem Eindruck des großen und bedeutungsvollen Augenblicks; man konnte dem König Johann ansehen, daß er sich in der Uniform unbequem fühlte und ein scharf militairisches Auge hätte leicht manche kleine Unregelmäßigkeit in der militairischen Adjustirung dieses Monarchen bemerken können.

Hoch aufgerichtet stand der König von Hannover da, die ritterlich militairische Haltung seiner mächtigen, außergewöhnlich großen Gestalt hatte etwas Starres, bildsäulenhaft Unbewegliches, während die Züge seines schönen und edlen Gesichts von dem Licht inneren Geisteslebens erhellt waren. Der König unterhielt sich mit dem schlank gewachsenen, etwas kalt und apathisch blickenden Kronprinzen von Württemberg und mit dem Kurfürsten von Hessen, der in seiner preußisch militairischen Haltung und in dem Ausdruck seines Gesichts, trotz seiner kleineren, die Mittelgröße nicht überschreitenden Figur an den König Friedrich Wilhelm III. von Preußen erinnerte; der gewöhnlich mürrische und abwehrend zurückhaltende Ausdruck des Kurfürsten war heute einer verbindlichen Freundlichkeit und Höflichkeit gewichen und mit einem, seinen geschlossenen Lippen ungewohnten Lächeln hörte er dem König von Hannover zu, welcher mit dem ihm eigenen Humor eine treffende und heitere Bemerkung gemacht haben mußte.

In verschiedenen Gruppen unterhielten sich die Großherzöge.

Der elegante Großherzog von Baden sprach eifrig mit dem Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, der Herzog von Coburg knüpfte hier und da eine Unterhaltung an, welche aber bald wieder zu Boden fiel. – An der einen Seite des Saals standen die Bürgermeister der Freien Städte, Dr. Roeck für Lübeck, Dr. Müller für Frankfurt, Herr Duckwitz für Bremen und Dr. Haller für Hamburg, scharf abstechend in ihren schwarzen Anzügen von dieser im Glanz der Uniformen und Ordenssterne funkelnden Versammlung.

Vor einem Seitentisch stand der Hofrath von Biegeleben steif und unbeweglich, Papier und Feder vor sich, um das Protocoll über die Berathung der fürstlichen Versammlung aufzunehmen.

Freundlich näherten sich die Könige und Fürsten, einer nach dem Andern, den Bürgermeistern, um diesen Repräsentanten der wenigen, aus dem Mittelalter her noch übrig gebliebenen freien Städte Deutschlands, welche nicht ihres Gleichen und doch auch nicht ihre Unterthanen waren, einige verbindliche Worte zu sagen und man konnte bei jeder dieser fürstlichen Anreden auf dem Gesicht der Bürgermeister den freudigen Stolz aufleuchten sehen, welchen ihnen das Gefühl gab, hier, inmitten der Souveraine, als Gleichberechtigte zu tagen.

Eigenthümlich war, daß ganz im Gegensatz zu dem, am Tage vorher beim Kaiser von Oesterreich stattgefundenen Diner, heute die ganze Versammlung in ihrer äußeren Erscheinung einen wesentlichen, um so zu sagen preußischen Charakter trug; fast alle Uniformen der Souveraine, ausgenommen die des Königs von Baiern, zeigten preußischen Schnitt und preußisches Muster und man hätte bei einem oberflächlichen Anblick dieser erlauchten Gesellschaft glauben können, sich in einer Versammlung von preußischen Generalen zu befinden.

Kurze Zeit waren die Souveraine versammelt, da öffneten sich die Flügel der Eingangsthüre und in der großen österreichischen Generals-Uniform, das grüne Band des Stephansordens über der Brust, das goldne Vließ am Halse, trat der Kaiser Franz Joseph in den Saal. Tiefer Ernst lag auf seinen Zügen, sein Haupt war hochaufgerichtet, er ließ den stolzen Blick über diese glänzende Versammlung gleiten, welche die Macht eines so großen Theils von Deutschland repräsentirte und deren Häupter sich sämmtlich zu seiner Begrüßung verneigten.

Der Kaiser trat einige Schritte in den Saal hinein, – dann blieb er stehen und begrüßte nach allen Seiten hin das Haupt neigend seine fürstlichen Verbündeten.

Rasch näherte er sich dann dem, in der Mitte des Conferenztisches für ihn aufgestellten Sessel, rückte denselben mit kräftiger Bewegung vom Tisch zurück und setzte sich nieder, indem er mit einem verbindlichen Wink der Hand die Fürsten aufforderte, um ihn her Platz zu nehmen.

Der König von Baiern setzte sich zur Rechten des Kaisers, der König Johann von Sachsen nahm zu seiner Linken Platz, nachdem er vorher dem König von Hannover den Arm gegeben und ihn zu seinem Sitz, zur Rechten des Königs von Baiern, geführt hatte; die Groß-Herzöge und Fürsten setzten sich nach der Reihe ihres Ranges in der Bundesmatrikel, die Bürgermeister der Freien Städte dem Kaiser gegenüber.

Es trat ein Augenblick tiefer Stille ein.

Der Kaiser erhob sich, nahm aus seinem Hut, den er noch in der Hand gehalten hatte, ein Papier und begann mit einer, im ersten Augenblick etwas leisen und unter dem Eindruck einer gewissen Befangenheit zitternden, bald aber sich zu vollem und eindringlichem Ton erhebenden Stimme zu lesen:

Duchlauchtigste, freundlich liebe Brüder und Vettern,
Sehr werthe Bundesgenossen!

Eine Versammlung der Häupter der Deutschen Nation, berathend über das Wohl des Vaterlandes, ist ein Ereigniß, welches eine nach Jahrhunderten zählende Vergangenheit nicht gekannt hat. Möge durch den Segen der göttlichen Vorsehung Unsere Zusammenkunft an der Schwelle einer heilbringenden Zukunft stehen.

Vertrauend auf den hohen Charakter Meiner Mitfürsten, vertrauend auf den rechtliebenden und durch Erfahrung geläuterten Geist, welcher im deutschen Volke lebt, habe Ich gewünscht, diese Stunde herbeizuführen, in welcher die Fürsten Deutschlands zum Zwecke der Befestigung ihres Bundes sich die brüderlichen Hände reichen. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, offen Meine Ueberzeugung auszusprechen, daß Deutschland mit Reche einer zeitgemäßen Entwicklung seiner Verfassung entgegensieht, und Ich bin gekommen, um Meinen Verbündeten in persönlichem Gedankenaustausch darzulegen, was Ich zur Erreichung dieses großen Zweckes für möglich halte und für Meinen Theil zu gewähren bereit bin.

Empfange Ew. Majestäten und Sie Alle, Durchlauchtigste, vielgeliebte Verbündete, Meinen Dank für Ihre bundesfreundliches Entgegenkommen.

Ich habe meinen erhabenen Bundesgenossen einen unter Meiner unmittelbaren Leitung ausgearbeiteten Entwurf des Deutschen Bundes überreichen lassen. Gegründet auf einen erweiterten Begriff der Bundeszwecke, legen die Bestimmungen dieses Entwurfs die vollziehende Gewalt des Bundes in die Hände eines Directoriums, in welchem ein Bundesrath zur Seite stehen würde.

Sie berufen periodisch eine Versammlung von Abgeordneten zur vollberechtigten Theilnahme an der Gesetzgebung und dem Finanzhaushalte des Bundes. Sie führen periodische Fürstentage in das politische Leben Deutschlands ein. Sie verleihen durch Gründung eines unabhängigen Bundesgerichts dem öffentlichen Rechtszustande in Deutschland eine unantastbare Gewähr. In all' diesen Beziehungen wahren sie folgerichtig und so streng als möglich den Grundsatz der Gleichberechtigung unabhängiger verbündeter Staaten, vereinigen aber mit diesem Grundsatze zugleich diejenigen Rücksichten auf Machtverhältniß und Volkszahl, welche von der Natur der vorgeschlagenen Einrichtungen, insbesondere einer kräftigen Executive und einer Gesammtvertretung am Bunde, unzertrennlich sind.

Alle Erwägungen aber, die Mich im Einzelnen leiteten, entstammen in ihrem tiefern Grunde nur Einem einzigen Gedanken. Ich glaubte, daß es an der Zeit sei, den Bund, den Unsere Väter schlossen, im Geiste Unserer Epoche zu erneuern, ihn durch die Theilnahme Unserer Völker mit frischer Lebenskraft zu erfüllen und ihn dadurch zu befähigen, Deutschland in Ehre und Macht, in Sicherheit und Wohlfahrt als ein unzertrennliches Ganze zusammenzuhalten bis in die spätesten Tage.

Meine Vorschläge sind ohne Zweifel der Vervollkommnung fähig. Ich bin der Erste, es anzuerkennen. Allein Ich gebe Meinen erhabenen Verbündeten zu bedenken, ob es in Unserem gemeinsamen Interesse liege, um der möglichen Verbesserung des Planes, der jedenfalls im Vergleiche mit dem gegenwärtigen Zustande einen hohen Gewinn für Deutschland in sich schließt, auch nur um eine kurze Frist zu verzögern.

In der vorgeschlagenen Reformacte selbst sind die nöthigen verfassungsmäßigen Mittel dargeboten, um in gesetzlich geregeltem Gange mit sicherer Hand die Mängel des ursprünglichen Werkes zu beseitigen und die Verfassungszustände des Bundes in immer vollständigeren Einklang mit allen begründeten Anforderungen zu setzen. Nicht in der Eröffnung weitaussehender Berathungen, sondern nur in einem raschen und einmüthigen Entschlusse der deutschen Fürsten, vor deren hochsinniger Hingebung an die gemeinsame große Sache untergeordnete Rücksichten als bedeutungslos zurücktreten, vermag Ich die Möglichkeit zu erblicken, festen Boden in der Frage der Zukunft Deutschlands zu gewinnen.

Durchlauchtigste Brüder und Vettern, sehr liebe Bundesgenossen. Wie Sie mit Mir die erhebenden Eindrücke dieses Augenblickes theilen, so theilen Sie auch Mein tiefes Bedauern darüber, daß, da Preußen nicht unter Uns vertreten ist, Eine große Genugthuung Unseren heiligsten Wünschen fehlt!«

Der Kaiser hielt einen Augenblick inne; man hörte in dem lautlos stillen Saal die Athemzüge der Fürsten. Franz Joseph überschaute mit einem raschen Blick diese Versammlung, welche mit gespannter Aufmerksamkeit an seinen Lippen hing, dann hob er das Concept seiner Rede wieder empor und fuhr mit etwas leiser Stimme, schnell sprechend als wolle er einen peinlichen Eindruck überwinden, fort:

»Es ist Mir versagt geblieben, den König Wilhelm von Preußen zu bewegen, Unserem Einigungswerke Seine persönliche Mitwirkung zu gewähren. Aber die Hoffnung auf ein glückliches Ergebniß dieses Tages halte Ich deshalb nicht minder standhaft fest. Der König von Preußen hat meine Gründe für die Nothwendigkeit und Dringlichkeit einer Reform der Bundes-Verhältnisse vollkommen gewürdigt. Keinen andern Einwand hat König Wilhelm Meiner Einladung zu einer Fürsten-Versammlung entgegengestellt, als daß diese wichtige und schwierige Angelegenheit nicht hinlänglich vorbereitet sei, um unmittelbar in dem erlauchten Kreise der Fürsten Deutschlands in Berathung gezogen zu werden.

Im Grundsatz hat sich der König nicht gegen die Fürsten-Versammlung erklärt, sondern nur geglaubt, daß Berathungen unserer Minister einer solchen vorhergehen sollten.

Ich habe Se. Majestät auf die Unfruchtbarkeit aller früheren, durch Mittelspersonen gepflogenen Verhandlungen aufmerksam gemacht; aber von Uns, die Wir erschienen sind, hängt es nunmehr ab, durch die That zu beweisen, daß für Uns die Frage der Erneuerung des Bundes reif ist, daß in Unseren Gemüthern der Entschluß: die deutsche Nation nicht länger die Mittel zu höherer politischer Entwicklung entbehren zu lassen, feststeht.

Einigen wir Uns um des unberechenbar wichtigen Ganzen willen leicht und rasch über das Einzelne! Wahren Wir bundestreu in Allem den Platz, der dem mächtigen Preußen gebührt, und hoffen Wir zu Gott, daß das Beispiel Unserer Eintracht mit siegender Gewalt auf alle deutschen Herzen wirke.

Mir persönlich aber, durchlauchtigste Bundesgenossen und Freunde, wird es stets zur höchsten Beruhigung gereichen, lautern Willens Mein Streben dahin gerichtet zu haben, in dieser ernsten Zeit das Nationalband der Deutschen zu festigen und den Bund, durch den wir eine Gesammtmacht sind, auf die Höhe seiner für Deutschlands Heil und Europa's gleich wichtigen Bestimmung zu erheben!«

Er hatte geendet, neigte leicht das Haupt nach allen Seiten und setzte sich nieder.

Unmittelbar darauf stand der König von Bayern auf, hob ein Blatt Papier nahe zu seinem, etwas kurzsichtigen Auge und sprach mit seiner weichen, leisen und fast tonlosen Stimme:

»Der Einladung Ew. Majestät folgend, sind Wir hierher gekommen. Alle, wie ich nicht zweifle, beseelt von demselben bundestreuen und vaterländischen Gefühle, aus welchem die Einladung selbst hervorgegangen ist, und durchdrungen von dem heißen Wunsche, dem Verlangen nach zeitgemäßer Ausbildung der Bundesverfassung eine gerechte und für alle Theile heilsame Befriedigung zu gewähren.

Dieser Uebereinstimmung im Ziele und Streben Uns bewußt, haben Wir uns versammelt, ohne im Einzelnen die Vorschläge zu kennen, welche Eure Kaiserliche Majestät Unserer gemeinschaftlichen Berathung zu übergeben beabsichtigten.

Wir haben es gethan in dem Vertrauen, daß der Geist gegenseitiger Rechtsachtung und gemeinschaftlicher Hingebung an die großen Gesammt-Interessen, in welchem Unsere Väter den Deutschen Bund im Sinne und nach den Verhältnissen Ihrer Zeit geschlossen haben, auch jene Vorschläge durchdringen und tragen werden. Wir leben des Vertrauens, daß dieselben demgemäß eine geeignete Grundlage bilden werden, um darauf im Geiste und nach den Bedürfnissen Unserer Zeit einen Bau zu gründen, welcher der deutschen Nation, die an geistiger und sittlicher Tüchtigkeit, an Bildung und Thätigkeit, wie an materiellen Kräften keiner anderen Nation nachsteht, die gebührende Macht nach außen in concentrirterer Fassung und die ihrer Geschichte und ihrem Wesen entsprechende reiche Gliederung und Lebensthätigkeit im Innern gewährt und erhält.

In diesem Geiste werde Ich die Vorschläge Ew. Kaiserlichen Majestät in die gewissenhafteste Erwägung nehmen und Mich darüber aussprechen, und Ich glaube, hiermit der gleichen Gesinnung aller hier vereinigten Bundesgenossen Ausdruck geliehen zu haben. Ew. Kaiserliche Majestät haben es Selbst ausgesprochen, daß die Vorschläge der Vervollkommnung fähig sind, und so lebhaft Ich auch den Wunsch theile, daß die Grundzüge des Reformplanes ohne weitaussehende Berathungen eine rasche und einmüthige Billigung finden mögen, und daß der Nation so nach alter deutscher Sitte die Bahn der Entwicklung durch ihre Fürsten selbst geöffnet werde, so wenig möchte Ich es doch ausschließen, daß schon aus diesem unserem ersten Zusammentritt einzelne Modifikation jener Grundzüge hervorgehen könnten, zumal etwa solche, welche die Einigung zu fördern und zur segensreichen That des freien Entschlusses zu gestalten vermögen.

Aus tiefster Seele theile Ich das Bedauern Ew. Kaiserlichen Majestät, und gewiß theilen es mit Uns alle Unsere theuren Bundesgenossen, daß es Uns noch versagt bleibt, des Königs von Preußen Majestät in Unserer Mitte zu begrüßen. Halten wir die Hoffnung fest, daß bei Unserm nächsten Zusammentritt dieses mächtige Glied die große Kette deutscher Macht und Herrlichkeit abschließen werde, und vergessen Wir nicht, daß Wir diese Hoffnung in dem Grade der Erfüllung näher führen können, in dem Unsere jetzigen Bestrebungen zu einem raschen und einmüthigen Beschlusse führen.

Deutschlands Völker haben, einzelne kurze Verirrungen und Wirren abgerechnet, seit nahezu einem halben Jahrhundert den Frieden des Rechtes und der Treue genossen. Verleugnen wir es nicht – da es oft verkannt worden –, daß der Deutsche Bund und seine Verfassung der Grund war, auf dem jener Friede gepflegt ward. Verkennen wir aber auch nicht, daß diese Grundlagen nun der zeitgemäßen Fortbildung und Entwicklung, insbesondere auch durch organische Einfügung einer Vertretung der einzelnen Völker, bedürfen.

Das Ziel, nach dem Wir ringen, ist uns klar, sind auch die Wege noch nicht geebnet und theilweise verhüllt.

Gehen wir mit ruhigem und festem Sinn, mit treuem und redlichem Willen an das Werk: dann wird der Segen des allmächtigen Gottes mit Uns sein und Unser Werk krönen.«

Der König Maximilian schwieg, holte erschöpft tief Athem und sank in seinen Lehnstuhl zurück. –

Die tiefe Stille in der Versammlung dauerte einige Augenblicke fort; der Kaiser blätterte flüchtig in einem Actenstück, das vor ihm auf dem Tisch lag und die Reformvorschläge enthielt, die er den Fürsten zu machen beabsichtigte. Er schien sprechen zu wollen, um die Berathungen der Conferenz einzuleiten.

Da wurde das tiefe Schweigen im Saal durch die Stimme des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin unterbrochen, welcher in festem, ruhigen Ton sprach:

»Ich bitte Ew. Kaiserliche Majestät um Erlaubniß, einen Antrag stellen und begründen zu dürfen.«

Franz Joseph blickte ein wenig erstaunt auf und neigte zustimmend das Haupt gegen den Großherzog.

Dieser fuhr fort: »Ew. Kaiserliche Majestät haben bereits persönlich in entschiedener Weise den Wunsch und das Bestreben an den Tag gelegt und ausgesprochen, Seine Majestät der König von Preußen zur Betheiligung an den Berathungen der Fürsten-Versammlung zu bestimmen; Ich erlaube Mir den Antrag, daß, diesem Bestreben Ew. Majestät entsprechend, auch aus der Mitte der versammelten Souveraine ein gemeinsamer Ausdruck des Wunsches hervorgehen möge, daß Se. Majestät der König von Preußen sich zur persönlichen Theilnahme an der Conferenz entschließen wolle. Ich möchte den Vorschlag machen, daß zu diesem Zweck von sämmtlichen hohen Theilnehmern an der Conferenz ein Schreiben an den König von Preußen gerichtet und dem König durch eine Abordnung aus unserer Mitte überbracht werde.«

Es zog eine leichte Wolke über die Stirne des Kaisers, er legte die Hand auf das vor ihm befindliche Actenstück und ließ den Blick über die Versammlung gleiten.

Abermals traten einige Augenblicke tiefer Stille ein, dann nahm der König von Sachsen das Wort und sprach mit seiner klaren, ein wenig im Dialekt seines Landes anklingenden Stimme:

»Ich bin überzeugt, daß die Gesinnung, welche Se. Königliche Hoheit der Großherzog von Mecklenburg zu dem so eben vernommenen Vorschlage bestimmt hat, von Uns Allen getheilt wird; es scheint Mir daher überflüssig, über die Opportunität des beantragten Schrittes irgend eine Diskussion eintreten zu lassen; jedoch möchte ich Mir erlauben zu bevorworten, daß um den von uns angestrebten Zweck sicher zu erreichen, es Mir höchst wichtig erscheint, zu der erneuten Einladung an des Königs von Preußen Majestät nur unter einer doppelten Voraussetzung zu schreiten; zunächst scheint es mir nothwendig – um ein praktisches Ergebniß unserer Berathungen sicher zu stellen – daß wir sofort zu einem Einverständniß darüber zu gelangen suchen, daß die Conferenz in den Vorschlägen Sr. Kaiseren Majestät von Oesterreich eine geeignete Grundlage für die Verhandlungen über eine Reform des Deutschen Bundes erkenne.«

Der Kaiser neigte einige Male lebhaft das Haupt.

Der König von Sachsen fuhr fort:

»Sodann möchte Ich vorschlagen, im Voraus festzustellen, daß auch in dem, von Uns Allen tief zu beklagenden Fall, wenn König Wilhelm auf die an ihn ergehende Einladung eine ablehnende Antwort ertheilen sollte, Wir, die hier in Frankfurt versammelten Fürsten, Uns dadurch nicht abhalten lassen würden, unsere Berathungen auf der Grundlage jener Vorschläge fortzusetzen; unter diesen beiden Voraussetzungen stimme ich dem Vorschlage des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin bei.«

Franz Joseph athmete wie erleichtert auf, als der König von Sachsen geendet; die leichte Verstimmung, die sich auf seinem Gesicht gezeigt hatte, verschwand und mit einer artigen Wendung gegen den ihm zur Rechten sitzenden König von Bayern forderte er diesen zur Aeußerung seiner Meinung auf.

»Ich stimme vollständig der Ansicht Seiner Sächsischen Majestät bei,« sagte Maximilian II.

Die gleiche Zustimmung sprachen in kurzen Worten der König von Hannover und der Kronprinz von Württemberg aus.

»Von dem Standpunkt aus,« nahm der Groß-Herzog von Baden das Wort, »welchen Ich stets bei der Frage über die Reform des Deutschen Bundes inne gehalten habe, kann ich meinerseits nur den hohen Werth der von Seiner Kaiseren Majestät ergriffenen Initiative anerkennen und wenn auf der Grundlage der gemachten Vorschläge – unter Zustimmung seiner Preußischen Majestät –,« sagte er mit schärferer Betonung, »ein Beschluß zu Stande kommt, so werden Wir ein für das Wohl der deutschen Nation hochwichtiges und segensreiches Werk vollendet haben.«

Die Meisten der übrigen Souveraine stimmten durch Kopfneigen und kurze Worte ebenfalls den Anschauungen des Königs von Sachsen bei.

»So sehr ich,« sagte der König von Hessen – ein wenig mit der Stimme anstoßend, als suche er die treffendsten Worte für den Ausdruck seiner Gedanken, – »so sehr ich mit der, von meinen erhabenen Bundesgenossen ausgesprochenen Anerkennung für die Initiative Seiner Kaiserlichen Majestät übereinstimme, so möchte ich doch darauf aufmerksam machen, daß aus dem Beschluß, den uns mitzutheilenden Entwurf als Basis der Berathungen anzunehmen, selbstredend noch nicht die Genehmigung der einzelnen Bestimmungen desselben folge und daß jener reiflichen Prüfung nicht vorgegriffen werden darf, welche der Bedeutung so wichtiger Materien entspricht, die in ihren einzelnen Punkten noch große Schwierigkeiten bieten werden.«

»Gewiß darf einer solchen ausführlichen Berathung nicht vorgegriffen werden und Jeder von Uns muß Sich die Zustimmung zu den einzelnen Punkten offen halten,« sagte der König von Hannover.

»– um so mehr,« fiel der Großherzog von Baden ein, »als vielleicht für verschiedene dieser Punkte auch die demnächstige Zustimmung der ständischen Versammlungen in den einzelnen Ländern erforderlich sein wird.«

»Es versteht sich von selbst,« sagte der Kaiser Franz Joseph mit einer leichten Ungeduld im Ton, »daß es nie hat in meiner Absicht liegen können, vorab eine Zustimmung meiner Erlauchten Bundesgenossen zu jedem einzelnen Punkt Meiner Vorschläge zu erwarten; wenn dieselben wie ich zu meiner großen Genugthuung vernehme, allseitig als die geeignete Basis für unsere Verhandlungen acceptirt werden, so bleibt doch selbstredend die vollkommen freieste Erörterung und Entschließung über jeden einzelnen Paragraph derselben jedem der hohen Souveraine vorbehalten.«

Mit einer leichten Befangenheit im Tone sprach Bürgermeister Roeck aus Lübeck:

»Im Namen der Abgeordneten der Freien Städte habe ich die hohe Ehre, Eurer Kaiserlichen Majestät und den versammelten erhabenen Souverainen zu erklären, daß auch die vier Senate ihre Repräsentanten beauftragt haben, unter der dankbarsten Würdigung der Einladung Eurer Kaiserlich Königlichen Apostolischen Majestät, in die zu eröffnenden hochwichtigen Berathungen über eine heilsame Neugestaltung der Verfassung des Deutschen Bundes bereitwilligst einzutreten; ich darf es jedoch nicht unbemerkt lassen, daß wir, die Vertreter der Freien Städte, in einer andern Stellung uns befinden als diejenige der anwesenden erhabenen Souveraine es ist. Unser Verhalten muß außer der verfassungsmäßigen Sanktion der aus der Berathung hervorgehenden Beschlüsse, zunächst auch von einer Genehmigung unserer Senate abhängig sein, welche uns, da ihnen die Vorlagen nicht bekannt gewesen, mit Instructionen nicht haben versehen können.«

»Ich darf also,« sagte Kaiser Franz Joseph nach einem kurzen Stillschweigen, »constatiren, daß der Vorschlag des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin einen gemeinsamen Schritt bei dem König von Preußen zu thun, damit,« sagte der Kaiser mit etwas erhobener Stimme, »alle Mittel erschöpft werden, um des Königs Theilnahme an der Fürstenberathung herbeizuführen, die allgemeine Zustimmung erhalten hat. Ich freue mich zugleich,« fuhr er fort, »ebenfalls constatiren zu können, daß die hohe Versammlung die beiden von dem Königs von Sachsen bevorworteten Punkte sich aneignet und beschlossen hat, auch im Falle der Nichtbetheiligung des Königs von Preußen ihre Berathungen fortzusetzen; ich lege besonderen Werth darauf, aus diesem Entschluß meiner Verbündeten die Ueberzeugung gewonnen und die Zusage empfangen zu haben, daß die hohen Herren sämmtlich des festen Willens seien, unter allen Umständen ein bestimmtes Resultat aus den Verhandlungen hervorgehen zu lassen. Ich möchte Mir nun erlauben, die Aufmerksamkeit der hohen Versammlung auf die Art der Ausführung des beschlossenen Schrittes bei dem Könige von Preußen zu lenken und möchte den Vorschlag machen, Seine Majestät den König von Sachsen zu ersuchen, daß er es übernehmen wolle, das von Uns zu unterzeichnende Schreiben dem König Wilhelm zu überbringen.«

Der König von Sachsen verneigte sich zustimmend.

»Gewiß wird auch,« sprach der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, »Seine Majestät der König von Sachsen es gütigst übernehmen, das an den König von Preußen zu richtende Schreiben abzufassen.«

König Johann drückte abermals seine Zustimmung aus.

»Dabei würde zu erwägen sein,« sagte der Großherzog von Baden, »ob in dem Einladungsschreiben an Seine Majestät den König von Preußen erwähnt werden soll, daß die Conferenz für ihre Berathungen bereits die Vorschläge Seiner Kaiserlichen Apostolischen Majestät als Basis angenommen habe.«

»Ganz gewiß,« sagte der König von Hannover, »muß dies nach meiner Ueberzeugung geschehen, denn wenn wir den König Wilhelm nochmals zur Theilnahme an unserer Conferenz einladen, so haben wir die Verpflichtung, ihm ganz klar und rückhaltlos mitzutheilen, was von uns bereits beschlossen ist, damit er in voller Kenntniß der Sachlage seine Entschließung fassen könne; zugleich aber,« fuhr der König fort, »möchte ich anheim geben zu beschließen, daß wir während der Abwesenheit Seiner Majestät von Sachsen keine Plenar-Sitzungen halten. – Wir können ja durch Einzel-Berathungen die Aufgabe der Verständigung über die wichtigsten Punkte der gemachten Vorlagen so sehr als möglich fördern; die Berathungen aber in Plenarsitzungen fortzusetzen, bevor der König von Preußen seine definitive Antwort gegeben hat, scheint mir nicht angemessen.«

Der Kaiser blickte umher; in dem Ausdruck der Gesichtszüge sämmtlicher Souveraine konnte er die Zustimmung zu den eben gesprochenen Worten lesen – schweigend verneigte er sich gegen den König von Hannover.

»Ich möchte noch,« sagte der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, »darauf aufmerksam machen, daß es unsern Verhandlungen Nachtheil bringen, und gewiß auch Seine Preußische Majestät unangenehm berühren muß, wenn Gerüchte über die hier gefaßten Beschlüsse dem König von Sachsen voraneilen sollten; ich halte e daher für zweckmäßig zu verabreden, daß über die Verhandlungen der Conferenz nichts nach außen verlauten dürfe.«

»Ich bin vollkommen der Ansicht Eurer Königlichen Hoheit,« sagte der Kaiser von Oesterreich, »und bin überhaupt der Meinung, daß der Gang der Verhandlungen in unserer Conferenz sich in keiner Weise zur öffentlichen Besprechung eigne.«

»Um die Sache thunlichst zu fördern,« sagte der König von Hannover, »möchte ich die hohe Versammlung bitten, in möglichst kurzer Zeit wieder zur Unterzeichnung des Einladungsschreibens an den König von Preußen zusammenzutreten. Seine Majestät von Sachsen,« fuhr er fort, sich lächelnd gegen seinen königlichen Nachbar verneigend, »werden ja bei Höchstihrer Gewandtheit die Feder zu führen nur wenig Zeit zur Abfassung des Schreibens bedürfen.«

»Wenn es Eurer Majestät recht ist,« sagte der Kaiser von Oesterreich, sich zum König von Sachsen wendend, »so würde ich die hohe Versammlung ersuchen, um vier Uhr heute zum zweiten Male zusammen zu treten, um den Wortlaut des Schreibens zu vernehmen und dasselbe zu unterzeichnen.«

»Mein Entwurf soll bis vier Uhr bereit sein,« sagte der König von Sachsen.

»Also darf ich Meine Erleuchten Bundesgenossen bitten, um vier Uhr abermals sich hier zu versammeln,« sprach der Kaiser aufstehend, »Ich werde mir erlauben, Höchstdenselben heute meine Reformvorschläge gedruckt mitzutheilen.«

Die ganze Versammlung erhob sich.

Der Kaiser von Oesterreich richtete an die Könige und einige Großherzöge, die ihm zunächst standen, einige kurze höfliche Worte und verließ dann den Saal. Die Souveraine folgten und durch die inzwischen wieder mit einer dichten Menschenmasse angefüllten Straßen rollten die fürstlichen Equipagen vom Bundespalais den verschiedenen Hotels zu.

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