Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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Fünftes Capitel.

In einem der Lesezimmer des »British Museum« in London saß um die Mittagsstunde vor einem, mit Büchern und Broschüren bedeckten Tisch, im tiefen Nachdenken ein Mann von etwa fünfzig Jahren; seine Gestalt war mager, eher zart als kräftig, aber nervig und fest gebaut; sein scharf geschnittenes, blasses Gesicht mit bereits grauem Haar und Bart, zeigte unverkennbar den eigenthümlichen Typus des jüdischen Race; die schmalen Lippen waren fest geschlossen, zuweilen spielte um dieselben ein kaltes, höhnisches Lächeln; die etwas tief liegenden Augen, von jener eigenthümlich unbestimmten, je nach dem Ausdruck des Gesichts wechselnden Farbe, die man zuweilen bei Personen findet, deren Geist in innerlich zurückgezogenem Leben arbeitet, erschienen bald theilnahmlos, matt und gleichgiltig, wie nach innen gerichtet, bald öffneten sie sich zu einem scharfen, durchdringenden Blick, der sich bis in die innersten Tiefen des Wesens der von ihm erfaßten Objekte bohren zu wollen schien.

Dieser Mann, die nicht sehr hohe aber scharf hervorspringende Stirn in die Hand gestützt, und sich über einen, vor ihm aufgeschlagenen Band des Heraklit herabbeugend, war der, wie so viele andere politische Flüchtlinge in London lebende Karl Marx, ein geborner Rheinländer, aus der Zeit, da das Gebiet diese deutschen Stroms einen Theil des französischen Kaiserreichs ausmachte. Nachdem er an allen politischen Agitationen lebhaften Antheil genommen und, wenn auch immerhin in isolirter, eigenthümlich selbstständiger Stellung sich an den Bewegungen in Deutschland betheiligt, hatte er sich, nach Wiederherstellung der politischen Autorität der Regierungen, nach London zurückgezogen und lebte hier meist in einer fast isolirten Abgeschlossenheit, den größten Theil seiner Zeit mit wissenschaftlichen Studien in alten Büchern und Handschriften verbringend; nur zuweilen erschien er plötzlich unerwartet Abends in den Lokalen, wo die Handwerkervereine ihre Versammlungen hielten; dann sprach er zu diesen Leuten, welche in unklarer Verworrenheit die Wege zur Verbesserung ihrer Lage suchten, und entwickelte ihnen mit einer scharf logischen, aber kalten Beredsamkeit seine Systeme über die Fragen des socialen Lebens.

Nachdem er eine Weile schweigend seine Lektüre fortgesetzt hatte, schob er das Buch zurück, ließ die Hände in den Schooß sinken und richtete den Blick sinnend aufwärts.

»Man muß hinabsteigen in die Tiefen des grauen Alterthums,« flüsterte er im leisen Selbstgespräch vor sich hin, »um die Wahrheit zu finden und um klar zu werden über den Weg, zu welchem die menschliche Gesellschaft zurückgeführt werden muß, wenn sie von den Fesseln unnatürlicher Zustände befreit werden soll. Alle Geister unser Tage sind voreingenommen und erfüllt von den falschen und verkehrten Begriffen, welche von der ersten Jugend an den heutigen Generationen eingeimpft werden; in jener alten Zeit, in welcher die Menschen dem natürlichen Ursprung ihres Geschlechts noch näher standen, bewegte der Ideengang der Geister sich frei von den heute so tief wurzelnden Irrthümern, deren falsche Prämissen nur zu noch falscheren Schlüssen führen können.

»Eine Lösung nur giebt es,« sagte er in seinem Selbstgespräch fortfahrend, indem er wieder den Kopf in die Hand stützte, »eine Lösung nur, das ist die Zerstörung dieses unnatürlichen Elementes in unserer Gesellschaft, des Capitals. Das Capital ist eine ungesunde Anhäufung der Arbeitskraft, welche dem ökonomischen Organismus der Gesellschaft entzogen wird. Wie die Stockungen des Blutes im menschlichen Körper und die Anhäufung desselben an einzelnen Stellen krankhafte Geschwüre erzeugen, während andern Theilen dadurch die nothwendige Lebenskraft entzogen wird, so zerstört das Capital das Gleichgewicht in dem großen Gesellschafts-Körper der Menschheit, dessen Gesundheit doch auf denselben Prinzipien beruht wie diejenige des einzelnen Organismus. Alles was sie lehren, jene Träumer von Reformen, von socialen Verbesserungen, es sind Palliativ-Mittel, welche im Grundwesen der Sache nichts ändern können.

»Tod und Vernichtung dem Capital,« sprach er lauter, »das ist die einzige Loosung, unter welcher der Kampf für die zukünftige Wiedergeburt der menschlichen Gesellschaft begonnen werden kann; zwischen der Arbeit und dem Capital giebt es keinen Pakt, keinen Ausgleiche, keine Versöhnung. Die Lebensbedingung der Arbeit, der Produktion ist die stete Bewegung im immer neuen Schaffen; das Capital ist die Ruhe, die lahm gelegte Kraft, welche die Arbeit mehr und mehr lähmen, erdrücken und endlich tödten muß, – da feiern sie diesen Proudhon,« sagte er mit bitterm Lachen, »als den Apostel einer neuen Lehre, weil er einige Schlagwörter in die Welt geschleudert hat, in denen sich unter dem scharfen Secirmesser der logischen Kritik wenig oder gar kein Sinn verbirgt, aber trotz seiner kühnen Phrasen, welche Thoren bejubeln und vor denen andere Thoren zittern, wagt er es nicht, die Axt an die Wurzeln zu legen, – alles Halbheit und leeres Phrasengeklingel. Wahrlich es reizt mich, diesen thörichten Schwätzer niederzuschmettern mit den Keulenschlägen der unerbittlichen und consequenten Logik, – aber freilich,« sagte er achselzuckend, »der große Haufe wird immer lieber der Phrase folgen, welche er so bequem nachsprechen kann, als daß er seine Gedankenträgheit überwindet und sich zwingt, die kalte und klare Wahrheit zu erfassen.« –

Einige Gentlemen, welche am andern Tische mit der Lektüre alter Bücher und Handschriften beschäftigt waren, blickten bei diesem lauter gewordenen Selbstgespräch erstaunt auf. Marx bemerkte es und schwieg. Er nahm abermals den Band des Heraklit zur Hand [und] setzte noch eine Zeitlang seine Lektüre fort, dann blickte er auf seine Uhr, stand auf, ergriff seinen Hut, den er neben sich auf den Tisch gestellt hatte und verließ die Räume des »British Museum«. Mit der Sicherheit eines langjährigen Bewohners der großen Weltstadt, schritt er durch das dichte Gewühl der Straßen von London dahin, immer in tiefen Gedanken, von Zeit zu Zeit die Lippen bewegend und einzelne halb unverständliche Worte vor sich hin murmelnd.

Er war nach Downing Street gekommen und trat in das große Gebäude des Auswärtigen Amts; dem Huissier zeigte er ein Papier, das er aus seiner Tasche zog, worauf ihn derselbe über die Corridore nach einem großen Salon führte, dessen Ameublement in einem mächtigen, runden Tisch in der Mitte und in einer Reihe von schweren Sesseln an den Wänden bestand.

Nachdem hier Marx kaum eine kurze Zeit lang schweigend auf- und niedergegangen war, öffnete sich eine Seitenthür, der Huissier trat ein, und führte ihn durch ein kleines Vorzimmer nach einem großen und hellen Cabinet, das mit seiner reichen und comfortabeln Ausstattung, mit seinem großen, von Büchern, Papieren und Karten bedeckten Tisch, mit seinen Gemälden und Statuetten, die Mitte hielt zwischen der eleganten Wohnung des Lebemannes und dem Arbeitszimmer eines vielbeschäftigten Gelehrten oder Staatsmannes.

Rasch von seinem, vor einem breiten Schreibtisch, im hellen Licht eines der großen, hohen Fenster stehenden Lehnstuhl sich erhebend, trat dem kleinen, und äußerlich unscheinbaren deutschen Flüchtling, der erste Lord des Schatzes von England, Viscount Palmerston entgegen.

Die hohe, schlanke Gestalt dieses viel gewandten Ministers zeigte in ihrer leichten, freien Haltung keine Spur von dessen hohem Alter und auch sein edel geschnittenes Gesicht mit den charakteristisch plastischen Zügen der alten, englischen Aristokratie trug, trotz der grauen Haare und des grauen Bartes, noch den Ausdruck jugendlicher Frische und Heiterkeit; das klare, graue Auge des Lords blickte scharf unter den edel geschwungenen Augenbrauen hervor, in seinem Blick lag eine gewisse überlegene vornehme Gleichgültigkeit, man empfand unwillkürlich, daß dies Auge seit lange gewohnt war, die Dinge und Verhältnisse von oben herab anzuschauen; um den Mund blieben selbst im ernstesten Gespräch gewisse Linien eines verbindlich höflichen Lächelns stereotyp, wodurch der ganze Ausdruck dieses Gesichts einen Schein von leichter sanguinischer Oberflächlichkeit erhielt, der mit der hohen, schön gewölbten Denkerstirn nicht im Einklang stand.

Karl Marx blickte auf die hohe und vornehme Erscheinung des allmächtigen Premier-Ministers von Groß-Britannien mit unbeweglicher Ruhe; das kalte, höhnische Lächeln verschwand kaum von seinen Lippen und der verfolgte, fast heimathlos gewordene Fremde, der sein Leben in kleinen, dürftigen Zimmern und in schmutzigen Kneipen, unter Handwerkern und Fabrikarbeitern, verbrachte, schien in keiner Weise berührt weder von dem Eindruck der Person dieses höchsten Würdenträgers der Krone, noch von der aristokratischen und eleganten Umgebung, in welcher er sich befand.

Lord Palmerston verbeugte sich leicht mit jener vollkommenen höflichen Sicherheit, in welcher zugleich in Zug von abwehrender Zurückhaltung liegt, und sprach mit seiner wohltönenden, angenehmen Stimme, in reinem Deutsch, das kaum eine leichte Nüance fremden Accents erkennen ließ: »Ich habe mehrere Ihrer Schriften gelesen, mein Herr, welche mit großem Geist und großer Schärfe die tief einschneidenden Fragen der Gegenwart behandeln. – Ich habe deswegen gewünscht, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen und mit Ihnen über die Ideen, welche Sie ausgesprochen, mich zu unterhalten. Ich danke Ihnen, daß Sie durch Ihren Besuch meinen Wunsch erfüllt haben.«

Mit artiger Wendung kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück, setzte sich vor demselben nieder und deutete seinem Gast einen Sessel neben demselben an. Karl Marx nahm Platz, stellte seinen Hut neben sich auf die Erde, und erwartete ruhig die weitere Anrede des Ministers.

»Die socialen Fragen der Gegenwart,« sagte Lord Palmerston, indem sein Blick fortwährend mit forschender Beobachtung auf dem charakteristischen Gesicht seines Besuchers ruhte, »die socialen Fragen der Gegenwart, welche Sie mit so viel Geistesschärfe zu behandeln verstehen, haben für England ein ganz besonders hervorragendes Interesse, weil gerade die Wohlfahrt und Macht Englands auf der Arbeit und dem richtigen Verhältniß zwischen Arbeit und Capital beruht. Ich habe deshalb besondere Aufmerksamkeit –«

»Kann es zwischen Capital und Arbeit überhaupt ein richtiges Verhältniß geben,« fragte Marx in scharfem Ton den Minister unterbrechend, der ein Wenig befremdet einen Augenblick schwieg und dann in ruhigem Ton weiter sprach:

»Ich glaube, daß es die Aufgabe einer weisen Staatskunst sein muß, jenes richtige Verhältniß zu finden und in der Praxis herzustellen, denn alle sociale Unruhe beruht ja auf einem bestehenden Mißverhältniß zwischen den beiden Faktoren der Produktion –«

»Das Mißverhältniß besteht einfach,« sagte Karl Marx kurz, »in der Ansammlung des Capitals und der Theilung der Arbeit – um gesunde Zustände herzustellen, muß man das Capital theilen und die Arbeit concentriren.«

Lord Palmerston blockten einen Augenblick zu Boden, er schien ein Wenig überrascht von der beinahe rücksichtslosen Schärfe, mit welcher dieser Mann seine Meinung aussprach, dieser deutsche Doktor, von welchem er vorausgesetzt haben mochte, daß er ihm mit der, den Gelehrten seiner Nation eigenthümlich weitläufigen Unklarheit seine Theorieen entwickeln würde.

»Sie werden mir zugeben,« sagte er dann, »daß das Princip, welches Sie so eben klar und scharf aufgestellt haben, in seiner unmittelbaren praktischen Ausführung großen, ja unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnen würde, und daß es die Aufgabe keiner Regierung sein kann, in einem Kampfe zwischen zwei im Staatsorganismus berechtigt bestehenden Faktoren ausschließlich Partei für den Einen zu nehmen.«

»Die Arbeit bedarf keiner Parteinahme der Regierung,« sagte Marx in demselben fast unhöflich abwehrenden Ton, »sie ist berufen sich selbst zu helfen und wird niemals zur Freiheit gelangen, wenn sie sich nicht ganz rücksichtslos und ausschließlich auf ihre Selbsthülfe verläßt. Jede Intervention der Staatsgewalt kann ihr nur verderblich werden, es sei denn,« fügte er etwas leiser, und wie zu sich selber sprechend hinzu, »daß sie selbst dahin gelangt, die Gewalt des Staates in ihre Hand zu nehmen.«

»Das könnte nur durch den Umsturz alles Bestehenden geschehen,« sagte Lord Palmerston, »und könnte nur durch einen erbitterten Krieg der einen Hälfte gegen die andere erreicht werden.«

»Nicht der einen Hälfte gegen die andere,« erwiderte Marx, indem sein eigenthümlich höhnisches Lächeln um seine Lippen spielte, »die Verhältnißzahl ist nicht zutreffend, es ist vielmehr ein Kampf von neun Zehntheilen gegen ein Zehntheil.« –

»Aber dies eine Zehntheil,« sagte Lord Palmerston, »steht an concreter Macht den anderen neun Zehntheilen gleich.« –

»Nur so lange,« erwiderte Marx unerschütterlich, »bis jene neun Zehntheile ihre Macht verstehen und zu gebrauchen gelernt haben werden.«

»Es ist schwer,« sagte der Minister, »über die Principien, deren Gebiet wir hier berührt haben, uns in einer Unterredung zu verständigen, vielleicht können wir Gelegenheit finden, weiter darüber zu sprechen. – Ich bin,« fuhr er lächelnd fort, »ein Mann der Praxis, wozu mich mein Beruf nöthigt und gerade über die praktische Behandlung der großen, socialen Angelegenheit Europa's möchte ich mit Ihnen sprechen, – selten, fast nie, kommen ja die Principien in ihrer starren Consequenz zur Ausführung; die praktische Welt, das Leben, in dem wir uns bewegen müssen, besteht in Compromissen –«

»Darum ist auch dieses praktische Leben so falsch, so unklar, so unbefriedigend nach allen Seiten hin,« sagte Marx.

Lord Palmerston schwieg abermals einen Augenblick, er schien zu fühlen, daß eine weitere Fortsetzung des Gesprächs in diesem Ton zu keinem Resultat führen könnte.

»Die Arbeiter-Bewegung,« sagte er nach einer kurzen Pause, »ist durch ganz Europa in einer Organisation begriffen, man arbeitet an der Herstellung einer allgemeinen internationalen Association zur Verbesserung der Lage der Arbeiter, zur Vertheidigung ihrer Rechte.«

Marx neigte schweigend das Haupt.

»Ich höre,« fuhr Lord Palmerston fort, »daß man sich in Italien, Deutschland und vorzugsweise in Paris mit dem Gedanken beschäftigt ein allgemeines Centralcomité zu bilden, von dem aus alle Schritte der Arbeiter in den verschiedenen Ländern und ihre Verhältnisse einheitlich geleitet werden sollen.«

Marx nickte abermals zustimmend.

»Die Fäden,« sprach Lord Palmerston weiter, »dieser Organisation laufen in Paris zusammen und es scheint, daß in nächster Zeit dort ein gemeinschaftlicher Mittelpunkt geschaffen werden soll.«

Wieder bestätigte Marx die Bemerkung des Ministers durch schweigendes Kopfnicken.

»Ich würde dies,« fuhr Lord Palmerston fort, »im Interesse der Sache der Arbeiter beklagen. Sie wissen selbst am besten, mit welcher scharf concentrirten und fest gegliederten Polizeimacht die Regierung des französischen Kaiserreiches in alle Verhältnisse eindringt und sich alle Elemente des öffentlichen Lebens zu unterwerfen trachtet. Die Errichtung eines leitenden Mittelpunktes für die europäische Arbeiterbewegung in Paris würde eine nach beiden Seiten hin gefährliche Alternative in sich schließen, entweder würde die unsichtbare Polizeigewalt der französischen Regierung das leitende Comité ihrer Herrschaft unterwerfen und ihren Zwecken dienstbar machen, oder, wenn dies nicht gelingen sollte, seine Thätigkeit derartig einengen und lähmen, daß das Centralcomité unter dem, ewig über seinem Haupte schwebenden Damokles-Schwert für die allgemeine Sache eine leitende Wirksamkeit auszuüben unfähig werden müßte.«

»Das ist richtig,« sagte Marx kurz. –

Ein Ausdruck der Befriedigung erschien einen Augenblick auf dem Gesicht des Ministers, dann sprach er weiter:

»Nach meiner Ansicht liegt es weit mehr im wahren Interesse der Arbeiter den Centralpunkt der socialistischen Bewegung nach England zu verlegen und unter den Schutz der englischen Gesetze zu stellen, welche jeder Bewegung freie Sicherheit gewähren.«

Marx schwieg.

»Ich kann,« sagte der Minister, indem er mit scharfem Blick die Wirkung seiner Worte auf dem unbeweglichen Gesicht seines Besuches zu beobachten versuchte, »ich kann über die Prinzipien, welche die Bewegung der Arbeiter als ihr letztes Ziel aufstellt, verschiedener Ansicht mit Ihnen sein, ich kann jedoch als der erste Beamte einer freien Nation denjenigen, welche die Arbeiter an die Spitze ihrer internationalen Organisation stellen, vollkommene Freiheit ihrer Berathungen und Maßnahmen zusichern, so lange sie die Gesetze des Landes respectiren.«

»Sie haben Recht, Mylord,« erwiderte Marx in ruhigem Ton, »ich stimme mit Ihnen vollkommen darin überein, daß eine Leitung der europäischen Arbeiterbewegung von Paris aus, deren Ruin sein müßte. – Ich weiß, daß weder Sie, noch irgend ein englischer Minister im Stande wären, auch wenn sie wollten, den lähmenden oder corrumpirenden Einfluß auszuüben, der in Paris stattfinden würde und ich war auch, bevor ich die Ehre hatte mit Ihnen zu sprechen, der Ueberzeugung, daß, wenn eine einheitliche Aktion in die Sache der Arbeiter gebracht werden soll, deren Leitung ihren Sitz nur in England haben kann. –

»Doch,« fuhr er fort, indem er seinen klaren Blick scharf und fest auf den Minister richtete, »wenn ich dieser Ueberzeugung bin, so habe ich sie nur deshalb, weil ich es überhaupt für nothwendig halte, jeden Einfluß irgend einer Regierung, und sei es die freiste und liberalste, von der Sache der Arbeiter vollständig und rücksichtslos auszuschließen.

»Ich will vollkommen offen gegen Sie sein,« sprach er mit scharfer Betonung, – »denn es ist nicht meine Sache, meine Meinung zu verhüllen. Wenn die Bewegung der Arbeiter unter dem Schutz der englischen Gesetze sich organisirt, so soll sie dennoch frei von jeder Einwirkung der englischen Regierung bleiben und ich muß mit derselben Offenheit hinzufügen, wenn diese Bewegung jemals zu dem Ziele führt, das sie nach meiner Ansicht sich vorstecken muß, so wird sie die Zustände in England ebenso sehr in ihren tiefsten Grundelementen erschüttern und verändern, als in allen andern Staaten, ja vielleicht in England noch mehr als in allen andern, weil hier mehr noch als anderswo die großen Gegensätze in der heutigen Gesellschaft sich scharf und unversöhnlich gegenüberstehen.« –

Ein fast unmerkliches Lächeln spielte einen Augenblick um die feinen Lippen des Ministers: »Ich bin gewiß weit entfernt,« sagte er, »irgend einen Einfluß auf die Bewegung ausüben zu wollen, welche von den dabei Interessirten in eigener und selbstständiger Freiheit geleitet werden muß, und was das endliche Resultat derselben betrifft, so muß ich Ihnen wiederholen, daß, nach meiner Ueberzeugung und Erfahrung auch das in starrster und exclusivster Consequenz verfochtene Prinzip, im praktischen Leben stets zu Compromissen führt. Ich fürchte,« sagte er, den Kopf ein wenig aufwerfend mit einem Anflug stolzer Ueberlegenheit, »darum die in ihren Ausgangspunkten so berechtigte Bewegung der Arbeiter nicht, und werde derselben wahrlich nicht aus Besorgniß und Aengstlichkeit lähmend entgegentreten.«

»Ich muß,« sagte Karl Marx nach einer kurzen Pause, »da ich einmal in dieser Unterredung, die ich nicht gesucht habe, meine Ansichten mit Eurer Lordschaft austausche, noch einen Schritt weiter gehen in meiner Offenheit.«

Der Lord neigte höflich das Haupt und blickte erwartungsvoll in das Gesicht des Sprechenden.

»Die sociale Arbeiterbewegung,« fuhr Marx fort, »ist nach meiner Ueberzeugung unzertrennlich von der Sache der politischen Revolution, welche sich überall auf dem Continent vorbereitet; die Staatseinrichtungen in Frankreich, in Deutschland, in Rußland und selbst in Italien machen eine gesundere Form der socialen Verhältnisse einfach unmöglich. Um zu einer solchen zu gelangen, muß der politische Druck zerstört werden, welcher unter dem Regiment der constitutionellen Bourgeoisie nicht minder wie unter der autokratischen Herrschaft auf den Arbeitern lastet. Eine enge Verbindung des internationalen Comités der Arbeiter mit allen revolutionären Elementen in Europa ist daher unerläßlich und von diesem Gesichtspunkte aus wird der leitende Sitz einer solchen Organisation in London, der englischen Regierung vielleicht Verlegenheiten den übrigen Kabineten gegenüber bereiten; ich sage dies nicht,« fuhr er fort, »weil ich mich durch diese Rücksicht irgend in der Verfolgung meines, als richtig erkannten Gedankens abhalten lassen würde, ich sage es nur, im Ihnen gegenüber aufrichtig zu sein und Ihnen keinen Zweifel darüber zu lassen, was Sie von mir und denjenigen, die meine Gesinnung theilen, zu erwarten haben.«

»England hat sich nie darum gekümmert,« sagte Lord Palmerston achselzuckend, »wie die Regierungen des Continents Mit den revolutionären Elementen fertig werden. Blicken Sie hin auf die verschiedenen Länder Europa's, wo überall sich eine revolutionäre Bewegung erhoben hat, immer hat England unbeweglich den vollendeten Thatsachen gegenüber gestanden und jeder Revolution das Recht zuerkannt, ihre Prinzipien durchzuführen, wenn sie dazu die Macht hatte, – wir sind eben matter of fact-men,« fügte er lächelnd hinzu, »und kümmern uns sehr wenig um das, was in andern Ländern vorgeht, namentlich wenn unsere unmittelbaren Interessen nicht dadurch berührt werden.«

»– Besonders,« sagte Marx mit scharfem Blick und leichtem Lächeln, »wenn England, wie dies zuweilen geschieht, aus revolutionären Bewegungen auf dem Continente Vortheile zieht – Vortheile für seine politische Machtstellung den, durch innere Unruhen geschwächten Mächten gegenüber – Vortheile für seine Industrie und seinen Handel durch die zerrütteten ökonomischen Verhältnisse in andern Ländern.«

Lord Palmerston blickte eine Sekunde schweigend zu Boden. »Sie sehen also,« sagte er dann, »daß, wie verschieden auch unsere Ansichten sein mögen über die Gestaltung des socialen Lebens der Völker, wir doch darin übereinstimmen, daß die Bewegung auf diesem Gebiet am sichersten, ruhigsten und erfolgreichsten auf englischem Boden und unter dem Schutz der englischen Gesetze sich entwickeln können, und daß es im wahren Interesse der Gesellschaft liegt, die Einwirkungen weniger starker und vorurtheilsfreier Regierungen auf jene Bewegung zu verhindern. Ich darf also gewiß voraussetzen, daß Sie Ihren so mächtigen Einfluß,« fügte er mit verbindlicher Neigung des Kopfes hinzu, »in diesem Sinne anwenden.«

»Ich habe,« sagte Karl Marx in beinahe brüskem Ton, »in meiner Unterredung mit Ihnen, Mylord, nichts gefunden, was mich veranlassen könnte, von meiner bereits früher feststehenden Ansicht abzugehen, welche ja für den Augenblick mit der Ihrigen vollkommen übereinstimmt und ich habe zugleich meine Pflicht als ehrlicher Mann erfüllt, indem ich Ihnen ausgesprochen habe, wie unendlich weit unsre Meinungen über die zukünftigen Phasen der socialen Bewegung auseinander gehen.«

»– Ich bin überzeugt,« sagte Lord Palmerston aufstehend, »daß wir auch über diese Differenzen bei weiteren Besprechungen zur Verständigung kommen werden.«

»Ich werde,« fügte er artig hinzu, »stets mit besonderem Vergnügen zu solchen Besprechungen bereit sein.«

»Und ich meinerseits,« erwiderte Marx, indem er sich ebenfalls erhob, »werde niemals Bedenken haben meine Meinung auszusprechen und diejenige Anderer anzuhören.«

Er verneigte sich fast unmerklich gegen den Minister, wendete sich um und verließ langsamen und ruhigen Schrittes das Cabinet, während Lord Palmerston ihn höflich einige Schritte begleitete.

Lord Palmerston ging einige Male im Zimmer auf und nieder.

»Das ist ein merkwürdiger Mann,« sagte er, »hart und scharf wie Stahl und dabei von unergründlicher Tiefe in seinen Gedanken und Plänen; – ich hatte ihn mir anders gedacht; ich hatte erwartet, einen deutschen Träumer zu finden, den man zu lenken im Stande sein würde. – Dieser Mann aber ist nicht zu lenken, er hat nicht den gewöhnlichen Ehrgeiz, der sich auf die kleinen Erfolge von heut zu morgen richtet, – man kann ihm nicht imponiren, er will herrschen, und unbedingt herrschen und wenn er in die Bewegung der Arbeiter fest eingreift, so wird er der Cäsar dieser Sache werden. – Nun,« sprach er, »vor der Hand unterstützt er meine Pläne, er wird es zu verhindern wissen, daß Napoleon die revolutionäre Agitation Europa's in seine Hand nimmt, und wenn man auch auf ihn keinen Einfluß gewinnen kann, so wird sich doch durch das Wiederspiel der Kräfte, welche in dieser internationalen Association thätig sind, die absolute Herrschaft bekämpfen lassen, nach welcher dieser unbeugsame Geist strebt.« –

Der Huissier trat ein und überreichte dem Minister eine Karte; Lord Palmerston las den darauf befindlichen Namen und sprach: »Lassen Sie den Herrn eintreten.«


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