Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Capitel.

Der Kaiser Napoleon III. saß in früher Morgenstunde in seinem Cabinet im Schlosse der Tuilerien. Vor ihm lagen auf seinem Schreibtisch eine große Anzahl eingegangener Berichte, welche sein Cabinets-Chef Mocquard nach den Materien geordnet und ihm zur Durchsicht unterbreitet hatte.

Wie der Kaiser so da saß, in seinen Fauteuil zurückgelehnt, so daß man die etwas stark gewordene Figur und das Embonpoint, welches seinem früher so schlanken und geschmeidigen Wuchs die anmuthige Eleganz genommen, weniger bemerken konnte – lag auf seiner ganzen Erscheinung noch der Schimmer eines letzten Hauchs der Jugend. Sein dunkelblondes Haar war sorgfältig geordnet, und nur erst ganz unmerklich mit Grau untermischt.

Sein dichter Schnurrbart war an den Enden in zwei gerade Spitzen gedreht und ein langer nach unten hin breit auslaufender Knebelbart bedeckte sein Kinn, das ein wenig kurz und zurücktretend nicht jene stolze und unbeugsame Willenskraft verrieth, welche in der Gesichtsbildung des ersten Kaisers so besonders bemerkbar hervortrat. Seine in starker Wölbung heraustretende Stirne erschien im Verhältniß zu ihrer Höhe ein wenig schmal. Unter den dichten Augenbrauen, zwischen denen sich wie gewohnheitsmäßig kleine Falten bildeten, blickten seine Augen von unbestimmbarer Farbe und einem stets wechselnden Ausdrucke hervor. Es war eine besondere Eigenthümlichkeit dieser merkwürdigen Augen, daß sie bald sich unter den herabsinkenden Lidern, wie hinter verhüllendem Schleier verbargen, bald langsam sich öffnend oder in plötzlichem Aufblick groß hervortretend eine Fülle von Licht und Gluth ausstrahlten, welchen man einen Augenblick vorher kaum hätte in diesem so ruhig gleichgültigen und fast trägen Blick erwarten sollen. Ebenso wechselnd erschien dann auch die Farbe dieser Augen. Vom trüben und matten Grau ging sie plötzlich in einen tiefdunklen Ton über und ein leuchtender Phosphorglanz schimmerte aus den erweiterten Pupillen hervor.

Die Gesichtszüge des Kaisers waren weich bis zur Schlaffheit. Es lag in denselben ein tiefer, sinnender Ernst, ein Ausdruck von fast schwermüthiger Resignation – oft eine krankhafte, müde Erschöpfung und Abspannung. Doch waren diese Züge in wunderbarer Beweglichkeit, eines jeden Ausdrucks fähig, den der Kaiser auf ihnen erscheinen lassen wollte, wen er sich in Gesellschaft befand. Immer aber lag in seinem Gesicht der verbindliche Ausdruck einer liebenswürdigen und herzlichen Höflichkeit, jener Höflichkeit, welche die Franzosen so treffend politesse du coeur nennen, und welche Alles, auch die unangenehmsten Dinge so zu sagen weiß, daß niemals eine Verletzung persönlicher Gefühle stattfindet.

Der Kaiser trug einen leichten Morgenanzug von dunklem Stoff und rauchte eine jener großen dunkelbraunen Havanna-Cigarren, welche eigens für ihn aus den feinsten Deckblättern angefertigt wurden. Neben ihm auf einem kleinen Tisch stand ein einfaches Kaffee-Geschirr von Silber und aus einer Tasse von Sêvresporzellan duftete ein überaus starker Extrakt der reinsten Moccabohne.

Hier in der Einsamkeit seines Cabinets hatte der Kaiser jeden Zwang, jede sozusagen officielle Toilette seiner Gesichtszüge abgelegt. Seine Augen waren weit geöffnet und richteten sich mit träumerischem Ausdruck durch den offenen Fensterflügel nach den Baumwipfeln des Tuileriengartens hin; auf seinem Gesicht lag ein noch düsterer Ernst als gewöhnlich. Er hatte ein Papier, das er aufmerksam durchgelesen, wieder vor sich auf den Tisch gelegt und blies in großen Zügen die Rauchwolken aus seiner Cigarre empor, welchen in bläulichen Ringen dahinzogen und das Zimmer mit ihrem aromatischen Duft erfüllten.

»Ich habe eine mächtige Bresche gelegt in diese Verträge von 1815,« sagte er halb leise – »in diese Verträge, welche die Grundsätze der heiligen Allianz zur Basis des europäischen Völkerrechts machten und welche,« fuhr er mit halb zornigem, halb höhnischem Zusammenziehen der Lippen fort, »die napoleonische Dynastie für immer von dem Throne Frankreichs und von den durch ihren Gründer eroberten Rechten ausschließen.

»Oesterreich hat sich von jener östlichen Coalition, welche man die heilige Allianz nannte, und welche durch ihr Schwergewicht Europa beherrschte für immer getrennt – Rußland wird ihm seine Undankbarkeit nie vergessen – Italien ist regeneriert nach den Grundsätzen des neuen Völkerrechts, das an Stelle der Legitimität die Monarchie auf dem Willen des Volkes begründet, – aber noch steht ein mächtiges und gewaltiges Bollwerk jener alten Verträge da, welches wie eine starre Mauer sich an den Grenzen Frankreichs erhebt. Dieses Bollwerk, dessen Bau die Diplomatie des Wiener Congresses auf die Macht und den Einfluß Frankreichs gesetzt hat, wie einst die Berge Siciliens auf die Brust der niedergeworfenen Titanen gewälzt wurden, dies Bollwerk ist der Deutsche Bund; dieser Deutsche Bund, so schwerfällig und bewegungslos für die politische Initiative, aber von so gewaltiger Kraft in der Vertheidigung des bestehenden Rechts, weil er dieses vielgliedrige Deutschland vereinigt unter der Führung von zwei europäischen Großmächten und so eine Macht bildet, gegen welche kaum ein Kampf möglich ist. – So lange der deutsche Bund besteht,« fuhr er düster fort, »so lange besteht der festeste und innerste Kern dieser Verträge von 1815, welche meinem Thron die völkerrechtliche Grundlage nehmen und das Kaiserreich zu einem factischen Zustand machen, den die Mächte Europas annehmen, ohne ihn als sich ebenbürtig anzuerkennen.«

Er stand auf und ging langsam im Cabinet auf und nieder.

»Mein Oheim,« sprach er dann, vor dem geöffneten Fenster stehen bleibend und in tiefem Nachdenken hinaufblickend, »mein Oheim würde seinen Degen gezogen haben und mit gewaltigem Schlage dieses völkerrechtliche Gebäude zertrümmert haben, wie er es einst mit dem deutschen Reiche that, – aber das deutsche Reich war schwach und in sich verbröckelt, während dieser deutsche Bund sich bei einem Angriff von außen in gewaltiger und einiger Kraft erheben wird. –

»Mein Oheim wollte seine Dynastie zur ältesten in Europa machen, indem er die Throne zertrümmerte, aber selbst seine gewaltige Kraft zerschellte an diesem Werke, weil in ihm ein innerer Widerspruch lag. Er entfernte die Könige, aber er glaubte, seinen Thron auf derselben Basis der Legitimität aufbauen zu können, auf welche jene alten Dynastieen ihr Recht begründeten. Dadurch machte er sich zum Feinde Aller, er rief die europäische Coalition hervor, der er einsam gegenüberstand, nachdem er das Prinzip der Revolution verläugnet, das allein als übermächtiger Bundesgenosse ihm den Sieg in seinem Kampfe hätte sichern können. –

»Wie der einzelne Mensch,« sprach er weiter, indem er sich wieder in den Lehnstuhl vor seinem Schreibtisch niedersetzte, »aus seinen Fehlern lernen muß, so ist dies noch mehr die Pflicht der Dynastieen, welche die Zeit dazu haben, die dem Einzelnen so oft fehlt. Nicht die Throne zu zertrümmern, nicht die Dynastieen zu stürzen, ist die Aufgabe, die ich mir nach dem Studium der Geschichte meines Hauses zu stellen habe – mein Ziel muß es sein, allen Thronen in Europa dieselbe Rechtsbasis zu geben, auf welcher der meinige beruht, die Rechtsbasis des Volkswillens, der demokratischen Monarchie. Das aber ist nicht möglich, so lange die Macht dieses Deutschlands in seiner monarchischen Gliederung und in seiner nationalen Einigkeit in Europa dasteht. –

»Ich habe die Idee des europäischen Congresses mehrfach angeregt,« – sprach er nach einer Pause, indem er den Kopf langsam auf die Brust niedersinken ließ, »ich hoffte, an die Stelle der Wiener Congreß-Akte ein neues vertragsmäßiges Völkerrecht zu setzen, in welchem meine Schöpfungen ihren Platz finden würden. – – –

»Sie haben mit diesen Congreß verweigert, die stolzen Fürsten Europa's,« rief er, sich emporrichtend mit flammendem Blick, – »Weil sie trotz aller Freundlichkeit, mit der sie die vollendete Thatsache annahmen, trotz aller Dankbarkeit, welche sie wirklich für mich empfanden, weil ich die Revolution, die sie alle bedrohte, gebändigt habe, – weil sie trotz alle dem den Boden ihres legitimen Rechts nicht verlassen wollen, – weil sie mir nicht den völkerrechtlich gleich Platz in ihrer Reihe einräumen wollen.

»Nun,« fuhr er fort, indem er lächelnd über seinen Schnurrbart strich, – »sie haben den Boden der Negociation, den Boden des diplomatischen Conferenzsales nicht gewollt, so mögen sie es sich selbst zuschreiben, wenn ich die Dämonen entfessele. – Aber nicht ich werde es sein, der die Brandfackel in das Gebäude des alten Völkerrechts schleudert, – sie selbst sollen diesen Bau zerstören, auf den sie so stolz sind, – und in welchem sie mir den Platz nicht einräumen wollen.

»Der Augenblick ist günstig,« rief er abermals aufstehend, – »Rußland, das noch an seinen Wunden des Krimkrieges heilt, – ist von Neuem gebunden und an jedem Eingreifen in die Verhältnisse Europa's gehindert durch diese polnische Frage, welche wie ein offenes Geschwür all' seine Kräfte absorbiert.

»Der Ehrgeiz Oesterreichs ist mächtig aufgeregt durch die Reformbewegung, welche einen Theil des deutschen Volks, im Gegensatz zu den früheren Traditionen, seine Blicke nach Wien richten lassen wird. Der innere Conflikt, welcher dem preußischen Staatsleben scheinbar seine Kraft raubt, erregt in Wien die Hoffnung, die populären Sympathieen Deutschlands zu erhalten, und der Kaiser Franz Josef hat die größte Neigung, mit raschem Griff die Hand auszustrecken nach der alten Kaiserkrone seines Hauses.

»So wird daher mit stillem Lächeln Oesterreich die zerstörende Hand an das feste Gefüge des deutschen Bundes legen. Die Steine werden in's Rollen kommen, und wenn endlich der Conflikt sich zuspitzt, dann wird es diesmal nicht wie 1849 der russische Czar sein, welcher Halt gebietet, sondern ich, und leicht wird es mir werden, zwischen dem Zwiespalt der deutschen Großmächte die kleinen Könige und Fürsten des Bundes unter meiner Tutel zur Vertheidigung ihrer Selbstständigkeit zu vereinen.«

Sein Auge öffnete sich weit und träumenden Blickes schien er in die Bilder der Zukunft zu schauen.

Ein kurzer Schlag gegen die Thüre ertönte.

»Seine Exzellenz Herr Drouyn de Lhuys,« meldet der Kammerdiener.

Der Kaiser erhob sich rasch, sein Gesicht nahm den Ausdruck kalter, gleichmäßiger Ruhe an und mit leichter zustimmender Neigung des Kopfes trat er dem Minister der Auswärtigen Angelegenheiten entgegen.

Herr Drouyn de Lhuys war damals ein Mann in der Mitte der fünfziger Jahre. Die Haltung seiner großen vollen Gestalt war sicher und vornehm, aber ohne geschmeidige Eleganz. Sein dünn gewordenes Haar fiel in's Graue und war kurz geschnitten. Sein bartloses Gesicht von gesunder, frischer Farbe zeigte den Ausdruck ruhiger und selbstbewußter Würde, der Blick des ganz klaren, grauen Auges war durchdringend und kalt, aber von wohlwollender und verbindlicher Höflichkeit, – die ganze ruhige und vornehm einfache Erscheinung dieses Staatsmannes hätte kaum seine vielseitige Thätigkeit in so bewegten Phasen der Geschichte seines Landes errathen lassen, in welchen er stets seiner Ueberzeugung getreu gehandelt und lieber das Portefeuille aufgegeben hatte, als daß er sich zum Werkzeug einer Politik, die er nicht billigte, hätte gebrauchen lassen.

Der Kaiser hatte vor dem Eintritt seines Ministers seine Cigarre fortgelegt, und reichte demselben mit liebenswürdiger Verbindlichkeit die Hand.

Herr Drouyn de Lhuys setzte sich auf den Wink des Kaisers neben dessen Schreibtisch, und öffnete eine einfache schwarze Mappe, welche er in der Hand trug.

»Ich bringe Ew. Majestät zwei wichtige Nachrichten,« begann der Minister mit seiner sonoren, aber etwas leisen Stimme, – »zwei Nachrichten, welche nach verschiedenen Richtungen unsere Politik den erstrebten Zielen näher führen.«

Der Kaiser richtete seinen Blick erwartungsvoll auf den Sprechenden, neigte den Kopf etwas zur Seite und fuhr mit der Hand über seinen Schnurrbart.

»Soeben erhalte ich,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, »von London die telegraphische Nachricht, daß der Zusammentritt der Notablen-Versammlung in Mexiko zur Beschlußfassung über die künftige Regierungsform des Landes gesichert ist. Die Versammlung wird aus zweihundertundfünfzig Mitgliedern bestehen, einschließlich der fünfunddreißig Mitglieder der junta superior de gobernio, welche der General Forey am 16. Juni ernannt hat und in dem Augenblick, in welchem ich die Ehre habe, zu Eurer Majestät zu sprechen, wird die feierliche Installation jener Versammlung bereits stattgefunden haben.«

Der Kaiser neigte mit zufriedenem Ausdruck den Kopf.

»Und sind wir dieser Versammlung vollkommen sicher?« fragte er dann.

»Vollkommen, Sire,« erwiderte Drouyn de Lhuys. – »Ich bin sogar in der Lage,« fuhr er fort, ein Blatt Papier aus der Mappe hervorziehend, »Eurer Majestät in bestimmter Fassung die Beschlüsse mitzutheilen, welche die Versammlung mit überwiegender Majorität votiren wird.«

Er verlas, während der Kaiser mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte, die folgenden Punkte:

»Die mexikanische Nation adoptirt als Regierungsform die constitutionelle erbliche Monarchie mit einem katholischen Fürsten, der den Titel »Kaiser von Mexiko« führen wird.

»Die Kaiserkrone von Mexiko soll dem Erzherzog Maximilian von Oesterreich angeboten werden, für sich und seine Deszendenten.

»Im Fall der Erzherzog den ihm dargebotenen Thron nicht annehmen sollte, wendet sich die mexikanische Nation an das Wohlwollen Seiner Majestät des Kaisers der Franzosen, um einen andern katholischen Fürsten zu bezeichnen, dem die Krone anzubieten sein würde.«

Er verneigte sich und legte schweigend das Blatt Papier auf den Tisch.

Der Kaiser wartete einen Augenblick und als Drouyn de Lhuys nicht weiter sprach, sagte er mit einem durchdringenden forschenden Blick auf das ernste Gesicht seines Ministers:

»Die Nachricht, welche Sie mir bringen, entspricht vollkommen meinen Wünschen und den Plänen unserer Politik, die Sie mit so geschickter Hand ihrer Vollendung entgegengeführt haben. Die Aufrichtung eines mexikanischen Kaiserreichs verstärkt das monarchische Prinzip auf dem Festlande der andern Hemisphäre, und da dieses Kaiserreich durch französische Waffen errichtet ist und unter französischem Schutze stehen wird, so gewinnt der Einfluß der lateinischen Racen, an deren Spitze Frankreich steht, eine mächtige Ausdehnung, welche für die Zukunft Folgen von unermeßlicher Bedeutung haben muß. – Nordamerika ist in seinem Wesen germanisch, protestantisch und republikanisch und steht in jeder Beziehung in feindlichem Gegensatz zu Frankreich. Wir haben also für unsere Politik, wir für unsere Handelsbeziehungen durch die Errichtung des mexikanischen Kaiserreichs einen großen und glücklichen Schritt gethan, der uns außerdem Oesterreich verbindet, indem ein Prinz des Hauses Habsburg zur Herrschaft in den alten transatlantischen Reichen seiner Vorfahren wiederberufen wird.

»Außerdem«, sagte er, sich ein wenig zu seinem Minister hinüberneigend, »werden Sie sich so wenig wie ich der Ueberzeugung verschließen, daß diese Combination den persönlichen Wünschen des Kaisers Franz Josef ganz besonders entsprechend ist. – Es ist schwer, für den hochstrebenden und thatendurstigen Geist des Erzherzogs Maximilian in Oesterreich eine passende Stelle zu finden, und bei den vielen Fähigkeiten des Erzherzogs, sowie bei seinen oft ausgesprochenen liberalen und reformatorischen Anschauungen kann es nicht fehlen, daß die Opposition bei jeder Unzufriedenheit mit der Regierung ihre Blicke auf den Bruder des Kaisers richtet und von ihm einen Einfluß erwartet, en er nicht ausüben kann oder der, wenn er es versuchen sollte, ihn geltend zu machen, nur zu schiefen Verhältnissen und bedenklichen Mißstimmungen führen könnte. Es ist nicht zweifelhaft, daß unter diesen Umständen der Kaiser Franz Josef nur innerlich erfreut sein kann, wenn sich der Thatkraft des Erzherzogs fern von den beengenden Verhältnissen des Heimatlandes ein großer und weiter Wirkungskreis öffnet.«

Drouyn de Lhuys neigte zustimmend den Kopf, ohne daß sein Gesicht einen Augenblick den Ausdruck einer ernsten, fast abwehrenden Zurückhaltung verlor.

»Sie scheinen, mein lieber Minister,« sagte der Kaiser nach einem abermaligen kurzen Stillschweigen mit fast unmuthigem Ton – »Sie scheinen trotz der so günstigen Resultate unserer Politik nicht zufrieden zu sein.«

Drouyn de Lhuys richtete seinen klaren Blick auf den Kaiser und sprach:

»Ich bin zufrieden, Sire, mit den erreichten Resultaten – allein es genügt nicht, sie erreicht zu haben, wir haben die weitere Aufgabe zu erfüllen, sie für die Zukunft zu sichern.«

Der Kaiser sah ihn erwartungsvoll an.

»Das Kaiserreich Mexiko, Sire,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, »ist eine Schöpfung des augenblicklichen Waffenerfolges, der möglich wurde, weil Nordamerika durch den Kampf mit den Südstaaten sich außer Stande befand, seinen Einfluß geltend zu machen. Wäre dies möglich gewesen, – hätte Juarez einen Rückhalt an der vollen Kraft Nordamerika's gefunden, so möchte sicher unser Erfolg kein so schneller und leichter gewesen sein.«

»Ganz richtig,« sagte der Kaiser mit einem leichten Anflug von Ungeduld, – »die Sezession der Südstaaten hat aber auch von Anfang an ihren Platz in unseren Combinationen gehabt.«

»Wie aber die Errichtung des Kaiserreichs Mexiko,« fuhr Drouyn de Lhuys unbeirrt durch des Kaisers Einwurf fort, »eine Folge der Lähmung Nordamerika's ist, – so kann diese Staatsformation nur Bestand haben, so lange die Kraft Nordamerika's nicht wieder ersteht. Glauben Eure Majestät nicht, daß man in Washington ganz eben so gut wie hier in den Tuilerien die Bedeutung dieses mexikanischen Thrones versteht – glauben Eure Majestät nicht, daß man dort darin eine Kriegserklärung auf Tod und Leben erblickt?«

Der Kaiser schwieg und ließ langsam den Kopf auf die Brust sinken.

»Wenn man aber,« fuhr Drouyn de Lhuys immer in demselben ruhigen Ton fort, »die Bedeutung des Geschaffenen in Washington ebenso genau versteht als hier, so folgt daraus mit logischer Nothwendigkeit, daß man, sobald jemals Macht und Gelegenheit dazu sich wiederfindet, alle Kräfte aufbieten wird, um dasjenige wieder zu zerstören, was man im Augenblick der Ohnmacht hat entstehen lasse müssen.«

»Halten Sie es für möglich,« sagte der Kaiser, ohne aufzublicken, »daß eine solche Zeit kommen könne?

»Ich glaube nicht, daß der Kampf zwischen dem Süden und Norden der Vereinigten Staaten zu einem anderen Resultate führen könne, als zu einer dauernden Trennung derselben, in zwei gesonderte Gruppen, welche sich gegenseitig in eifersüchtiger Ueberwachung lähmen werden und von denen die südliche der Natur der Verhältnisse gemäß bald zum monarchischen Prinzip übergehen muß.«

»In politischen Combinationen, Sire,« sprach Drouyn de Lhuys ruhig weiter, »ist es bedenklich Möglichkeiten und Wünsche an die Stelle der sicheren Gewißheit zu setzen. Was Eure Majestät voraussetzen, ist möglich – vielleicht wahrscheinlich, indeß eine Garantie der Sicherheit dafür, vermag ich noch nicht zu erblicken. Eine solche kann nur geschaffen werden, wenn die Möglichkeit ausgeschlossen wird, daß der Norden über den Süden endlich Sieger bleibt und wenn die dauernde Trennung der beiden Hälften der bisherigen Union über alle Zweifel erhoben wird. Wollen Eure Majestät also die von mir im höchsten Maß anerkannten, und für die Zukunft so bedeutungsvollen Vortheile der mexikanischen Expedition und ihrer Resultate allen Wechselfällen gegenüber sicher stellen, so müssen Sie auf der Stelle fest und rückhaltslos für die Südstaaten Partei nehmen, mit denselben einen Vertrag abschließen und ihnen nöthigenfalls Truppen, Schiffe und Geld zur Verfügung stellen, denn – ich wiederhole es – das ganze Gebäude unserer transatlantischen Politik stürzt zusammen, wenn der Norden über den Süden Sieger bliebe, und wenn jemals die Union wieder zu ihrer alten Kraft erstarkte.«

Der Kaiser erhob sich und ging mehrere Male im Zimmer auf und nieder.

»Sie wissen,« sagte er dann, vor Drouyn de Lhuys stehen bleibend, der sich ebenfalls erhoben hatte, – »Sie wissen, daß England sich zurückzieht, – ich habe ja Palmerston darauf hinweisen lassen, daß es nothwendig sei, ernsthaft und energisch die Südstaaten zu unterstützen, – der alte feine Spieler zieht sich zurück, – seine Politik ist es, Zerstörung und Verwirrung in allen Theilen der Welt anzurichten, damit England seinen Vortheil dabei verfolgen kann, – niemals aber will er etwas Definitives schaffen, – Garantieen für die Ruhe der Zukunft herstellen. – Und Spanien,« fuhr er achselzuckend fort, »zieht sich ebenfalls von den Consequenzen der Londoner Convention von 1861 zurück, – dieser Prim hatte gehofft, sich zum Dictator und Kaiser von Mexiko erheben zu können – er sieht seine feinen Pläne vereitelt, – daher läßt er die ganze Sache im Stich. Soll ich nun ganz allein auf mich und Frankreich die ungeheure Last und das Odium einer solchen directen Intervention in die inneren Angelegenheiten der Vereinigten Staaten laden? – Ganz entgegen dem Prinzip, das ich stets gekannt und befolgt habe?«

»Wenn Eure Majestät nicht glauben, dies thun zu können, so wäre es vielleicht besser, daß wir uns ebenfalls ganz aus der Sache herauszögen, – es ist dies nicht unmöglich – Juarez hat durch seinen Minister Doblado eine Schrift aufsetzen lassen, in welcher er sich zu allen Opfern und zu jeder verlangten Genugthuung bereit erklärt und die Erfüllung aller Verpflichtungen zu garantiren verspricht. Es ist also noch die Möglichkeit, durch die Annahme seiner Vorschläge ehrenvoll aus der Sache herauszukommen und die ewige Feindschaft Nord-Amerika's zu vermeiden.«

Die Augen des Kaisers öffneten sich weit, seine Blicke funkelten.

»Und aufgeben,« rief er, »aufgeben sollte ich diesen großen Gedanken, die Monarchie und die Herrschaft der lateinischen Racen auf dem andern Welttheil sicher zu stellen? Diesen Gedanken, der einer der größten und weitumfassendsten ist von allen, die in meiner Regierung zur That werden können. Nein – nein mein lieber Minister – das wäre ein trauriges und demüthigendes Ende dieser Expedition, die mit so viel Ruhm für die französischen Waffen begonnen hatte.«

»Es wäre ein noch traurigeres und noch demüthigenderes Ende, Sire,« sagte Drouyn de Lhuys mit unerschütterlicher Ruhe, »wenn einst dieses Kaiserreich, das Frankreich geschaffen und dem Eure Majestät eine Dynastie zu geben im Begriff stehen, wieder zusammenbräche, ohne daß wir dann die Macht hätten, es zu schützen; diese Macht aber würde uns in dem Augenblicke fehlen, in welchem die Union wieder gesund und siegreich dastände, wenn in demselben Augenblicke die Verhältnisse Europas es uns vielleicht unmöglich machten, unsere Kräfte von hier abzuziehen.«

Der Kaiser blickte betroffen und nachdenklich zu Boden.

»Außerdem, Sire,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, »hat die Sache noch eine andere sehr ernste Seite. Eure Majestät kennen den Plan der mexikanischen Bons.«

»Ein vortrefflicher Plan,« warf der Kaiser ein.

»Gewiß Sire,« sagte Drouyn de Lhuys, »aber nur dann, wenn die Realität, auf welcher diese finanzielle Combination beruht, gesichert ist, und zwar vollständig und gegen alle Wechselfälle gesichert. Es werden,« fuhr er fort, »ungeheure Summen, den Ersparnissen des Landes entnommen, in diesen mexikanischen Bons angelegt werden; wenn dann einst das mexikanische Kaiserreich, das eben die einzige Sicherstellung für jene Capitalanlage darbietet, zusammenbrechen sollte, so werden alle jene großen Werthe, – Werthe, welche den Besitz vieler Familien des Landes repräsentieren, und welche im Vertrauen auf die politische Schöpfung Eurer Majestät hingegeben werden – sie werden verloren sein ohne Rettung und Ersatz, und der Haß und die Verwünschungen deshalb werden die Regierung Eurer Majestät treffen.

»Verzeihen Sie, Sire,« sprach er nach einem augenblicklichen Schweigen weiter, »meine Freimüthigkeit, allein ich halte es für meine heiligste Pflicht, Eurer Majestät ohne allen Rückhalt meinen Rath und meine Meinung zu sagen, und ich kann keinen andern Rath geben, als entweder den Gedanken, dessen Größe und Bedeutung ich im höchsten Grade würdige, ganz aufzugeben, oder seine Durchführung für alle Zukunft unerschütterlich sicher zu stellen.«

Des Kaisers Gesicht hatte sich einen Augenblick mit finstern Schatten überzogen, einige Secunden stand er schweigend, dann trat er dicht vor seinen Minister hin und sagte mit jenem liebenswürdigen Lächeln, das ihm zu Gebote stand und das seinem Gesicht einen so hinreißenden Zauber gab:

»Ich danke Ihnen, mein lieber Herr Drouyn de Lhuys, nicht nur für Ihre freimüthige Offenheit, sondern auch für die treue und vorsichtige Sorge, welche Sie dem Wohle Frankreichs widmen, allein ich glaube, Sie sehen zu schwarz, ich glaube nicht an einen definitiven Sieg des amerikanischen Nordens, und selbst wenn dieser eintreten sollte, so wird inzwischen die neue Staatsorganisation in Mexiko so viel Festigkeit und Kraft gewonnen haben, daß keine Parteierhebungen sie mehr wird in Frage stellen können. Doch sind Ihre Gründe so ernst und gewichtig,« fügte er hinzu, »daß ich sie in die eingehendste Erwägung ziehen werde; ich bitte Sie noch einmal, bei Palmerston anzufragen und ihm die Gründe darzulegen, die nunmehr eine Anerkennung und offene Unterstützung der Südstaaten rathsam erscheinen lassen.«

»Zu Befehl, Sire,« erwiderte Drouyn de Lhuys, »ich bin indeß von der Erfolglosigkeit dieses Schrittes überzeugt. Lord Palmerston wird sich niemals zu einer Initiative mit uns entschließen, wohl aber wird er uns folgen, wenn wir rücksichtslos und fest vorgehen. Hätten wir dies Princip in allen Fragen festgehalten, so wären wir die Herren der Allianz mit England geblieben, während wir jetzt leider ein wenig in die zweite Stellung hinabgedrängt worden sind. Indeß der Schritt kann immerhin noch einmal geschehen, ich verkenne nicht, daß es in mancher Beziehung besser ist, wenn wir mit England gemeinschaftlich handeln können. Doch aber,« fuhr er mit etwas erhobener Stimme fort, »muß ich Eurer Majestät in diesem Augenblick nochmals sagen, daß ich ein schweres Unglück für die Zukunft voraussehe, wenn jetzt eine halbe Maßregel geschieht, und eine halbe Maßregel ist die Aufrichtung des mexikanischen Kaiserthrons, wenn nicht zugleich die Südstaaten auf das Energischste und Kräftigste unterstützt werden.«

Der Kaiser schwieg und schlug die Augen nieder.

»Sie hatten mir noch eine Mittheilung zu machen?« fragte er dann, indem er sich wieder vor seinen Schreibtisch setzte und Drouyn de Lhuys einlud, sich neben ihm niederzulassen.

»Sie betrifft,« sagte der Minister, »die deutschen Angelegenheiten. Mir ist von dem Herzog von Grammont mitgetheilt, daß man in Wien fest entschlossen sei, die Reform des deutschen Bundes in energischer Weise in die Hand zu nehmen und daß bereits ein völlig ausgearbeitetes Projekt in dieser Beziehung bestehe, welches der Bundestags-Versammlung in Frankfurt vorgelegt werden soll.«

Ein Ausdruck heiterer Zufriedenheit erschien auf dem Gesichte des Kaisers.

»Meine geheimen Agenten,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, »theilten mir zugleich mit, daß die Absicht bestehe, alle deutschen Fürsten persönlich zu einer Art von Reichstag nach Frankfurt einzuladen und dort das Reformprojekt zu berathen.«

Das Gesicht des Kaisers wurde ernst.

»Hat man sich etwa mit Preußen über das Reformprojekt verständigt?« fragte er, »und sollte etwa eine Verstärkung der einigen Macht Deutschlands unter getheilter Leitung des Bundes angestrebt werden?«

»Nicht im Geringsten,« erwiderte Drouyn de Lhuys, »man umgiebt vielmehr das Reformprojekt selbst mit dem tiefsten Geheimniß, besonders Preußen gegenüber, Alles scheint auf eine Ueberraschung, um nicht zu sagen Ueberrumplung, hinauszulaufen.«

Der Kaiser blickte einen Augenblick ganz erstaunt auf seinen Minister, dann strich er mit leichtem Lächeln über seinen Knebelbart und fragte:

»Haben Ihre Agenten nichts über das Projekt selbst erfahren?«

»Ganz Genaues nicht,« erwiderte Drouyn de Lhuys, »der Herzog von Grammont hat den Grafen Rechberg in einer vertraulichen Unterredung über die ihm zu Ohren gekommenen Gerüchte befragt. Graf Rechberg hat die Absicht Oesterreichs, die Bundesverhältnisse zu reformiren, nicht in Abrede genommen, auch zugegeben, daß man vorhabe, in naher Zeit mit bestimmten Vorschlägen hervorzutreten, er hat indeß mehrere Mittheilungen über den Inhalt dieser Vorschläge vorbehalten, bis das Projekt vollständig durchgearbeitet und die Ansicht des österreichischen Cabinets völlig aufgeklärt und festgestellt sein würde. Der Herzog hat nach dieser Erklärung natürlich nicht weiter insistiren können.«

»Und haben Sie durch andere Agenten nichts Näheres erfahren können?« fragte der Kaiser.

»Man hat mir allerdings Mittheilungen gemacht,« erwiderte Drouyn de Lhuys, »welche natürlich jeder officiellen Glaubwürdigkeit entbehren und auch nach ihrem Inhalt mir wenig Wahrscheinlichkeit zu enthalten scheinen.«

Er nahm ein Blatt Papier aus seiner Mappe, auf welches er einige Notizen geschrieben hatte.

»Man will,« sprach Drouyn de Lhuys, »ein Direktorium an die Spitze des Bundes stellen, welches aus fünf Fürsten bestehen soll, dem Kaiser von Oesterreich, dem König von Preußen, dem König von Bayern und zwei Fürsten, welche die am achten, neunten und zehnten Armeecorps betheiligten Souveräne aus ihrer Mitte zu wählen haben. An der Seite dieses Direktoriums soll ein aus den übrigen Bundesfürsten gebildeter Bundesrath stehen. Daneben soll eine Bundes-Abgeordneten-Versammlung von dreihundert Mitgliedern zusammentreten, welche die Volksvertretungen der einzelnen Bundesstaaten aus ihrer Mitte wählen. Außerdem spricht man von einer periodischen Versammlung der Fürsten und von einem Bundesgericht.«

Der Kaiser hatte die Mittheilungen seines Ministers lächelnd angehört, immer heiterer war der Ausdruck seines Gesichts geworden, und als Drouyn de Lhuys schwieg und das Papier mit seinen Notizen vor sich auf den Tisch legte, lehnte sich Napoleon in seinen Lehnstuhl zurück, kräuselte mit beiden Händen die langen Spitzen seines Schnurrbarts und brach in ein lautes Lachen aus.

Drouyn de Lhuys blickte verwundert auf diesen bei seinem sonst so ruhigen und kalt verschlossenen Souverän zu ungewöhnlichen Ausbruch der Heiterkeit.

»Sie haben Recht,« rief der Kaiser, »das ist in der That das Unwahrscheinlichste, das man Ihnen hätte berichten können, aber glauben Sie mir, gerade diese Unwahrscheinlichkeit ist mir der Beweis für die Richtigkeit dieser Mittheilungen, so Etwas kann keiner Ihrer Agenten erfinden; würde man Ihnen Conjekturen mittheilen, dieselben würden wahrscheinlicher sein. Dies Projekt kann nur in der österreichischen Staatskanzlei seinen Ursprung haben, wo man seit einiger Zeit anfängt, sich mehr nach den Resolutionen politischer Clubs zu richten, als nach den traditionellen Grundsätzen der großen Staatsmänner der Vergangenheit! Ein Direktorium von fünf Fürsten, deren zwei immer von drei Gruppen gewählt werden, dazu ein Bundesrath, eine Fürsten-Versammlung, und endlich dies Parlament aus diesen Delegirten, welche die heimischen Parteistreitigkeiten der kleinen Versammlungen in das große Repräsentantenhaus übertragen werden. Denken Sie sich, mein lieber Minister, was daraus entstehen würde! Eine solche Institution wäre der Krieg Aller gegen Alle, der ewige Zank Aller mit Allen. Träte dieses Reformprojekt je in's Leben, so würde das traditionelle Sprichwort vom polnischen Reichstag vergessen werden, man würde nur noch vom Deutschen Bunde sprechen. Dem Deutschen Bund warf man bisher seine Unbeweglichkeit vor, nach diesen Institutionen müßte er eine Beweglichkeit erlangen, welche an den Tanz jener Derwische erinnern würde, die sich in seltsamen Sprüngen und Verdrehungen konvulsivisch bewegen, ohne jemals von der Stelle zu kommen!«

Und abermals lehnte er sich in seinen Lehnstuhl zurück und lachte herzlich.

Ueber das ernste Gesicht von Drouyn de Lhuys war bei den Worten des Kaisers ein Lächeln geglitten, das aber bald wieder verschwand, und in seinem früheren ruhigen Ton sprach er:

»Eure Majestät haben sehr scharf die in der That komische Seite des Reformprojekts hervorgehoben, das ich noch immer nicht dem österreichischen Cabinet zutrauen kann, allein diese ganze Sache hat nach meiner Ueberzeugung auch eine sehr ernste Seite, über welche wir uns vollkommen klar sein müssen.«

Der Kaiser neigte den Kopf vor und hörte aufmerksam zu.

»Der Deutsche Bund,« fuhr Drouyn de Lhuys fort, »ist eine Institution, welche auf europäischen Verträgen beruht und unter der Garantie aller Großmächte Europa's steht. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß Aenderungen in der Verfassung des Deutschen Bundes nicht einseitig von den Fürsten vorgenommen werden können, ohne sich in Einverständniß mit den Garantiemächten zu setzen. Die Verhältnisse in Deutschland bilden den Schwerpunkt der Ruhe Europa's, und wenn Deutschland in den Zustand der tanzenden Derwische geräth, so wird daraus eine ewige Beunruhigung der Welt entstehen – leicht aber auch etwas Schlimmeres – eine Entscheidung durch die Waffen, welche die ganze Macht Deutschlands endlich in die Hand der einen oder der andern Großmacht des Bundes bringen und das Reich Carl's des Fünften wieder erstehen lassen wird. Vergessen Eure Majestät nicht,« fuhr er mit tiefernster Betonung fort, »daß an der Spitze des preußischen Cabinets ein Mann steht, welcher Blut und Eisen als das Heilmittel für die Zustände in Deutschland erklärt hat! Jedenfalls müssen wir die schärfste Aufmerksamkeit auf jene Verhältnisse richten, und unser Recht festhalten, als Garanten der europäischen Verträge bei Veränderung der Bundesverfassung gehört zu werden.«

Ein rascher Blitz leuchtete in dem Auge des Kaisers auf, er erhob den Kopf und schien sprechen zurück wollen.

Dann aber verhüllte sich sein Blick wieder unter den herabsinkenden Augenlidern, er saß einige Augenblicke in schweigendem Nachdenken da und sprach dann in ruhigem Ton:

»Sie haben vollkommen Recht, mein lieber Minister, wenn ich auch all' diesen Reformprojekten noch keine ernsthafte Bedeutung beizulegen vermag, und wenn ich auch glaube, daß jeder Versuch des Herrn von Bismarck seine Theorie von Blut und Eisen zur That werden zu lassen, endlich mit einem Rückzug à la Olmütz enden muß, so theile ich doch vollständig Ihre Ansicht, daß man ein Recht niemals aufgeben müsse und ich bitte Sie daher, Gramont zu beauftragen, daß er in der vorsichtigsten und höflichsten Weise die europäische Rechtsbasis der deutschen Bundesverfassung in Wien betonen möge, damit man dort keinen Zweifel darüber habe, daß wir nicht gesonnen seien, unsere Berechtigung aufzugeben.«

Drouyn de Lhuys verneigte sich.

»Haben Sie Nachrichten aus Petersburg?« fragte der Kaiser.

»Heute nicht, Sire,« erwiderte Drouyn de Lhuys, »ich erwarte den Courier in den nächsten Tagen.«

»Sobald er eingetroffen ist,« sagt Napoleon, »müssen wir über die weitere Behandlung dieser polnischen Angelegenheit ernsthaft sprechen, ich möchte nicht bei der zweifelhaften Stellung, welche England uns gegenüber anzunehmen beginnt, eine ernsthafte Verwicklung mit Rußland provociren, und wie Lord Palmerston sich vorsichtig aus dieser mexikanischen Angelegenheit herauszieht, so möchte ich ihm die polnische Sache ebenfalls allein auf die Schultern laden.«

Drouyn de Lhuys erhob sich.

»Wenn Eure Majestät keine weiteren Befehle für mich haben,« sprach er, seine Mappe verschließend, »so möchte ich Sie nur nochmals um ernste Prüfung der Frage wegen Anerkennung und Unterstützung der amerikanischen Südstaaten bitten.«

»Seien Sie überzeugt, daß ich darüber eingehend nachdenken werde,« sagte der Kaiser, indem er aufstand und mit verbindlicher Höflichkeit dem Minister die Hand reichte, welcher mit tiefer Verbeugung das Cabinet verließ.


 << zurück weiter >>