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Winnetou tot! Diese beiden Worte sind genügend, um die Stimmung zu bezeichnen, in welcher ich mich damals befand. Es war, als ob ich mich von seinem Grabe gar nicht trennen könnte. Ich saß in den ersten Tagen schweigend bei demselben und sah dem regen Treiben der Menschen zu, welche an der neuen Niederlassung arbeiteten. Ich sage, ich sah zu, aber eigentlich sah ich nichts. Ich hörte ihre Stimmen, und dennoch hörte ich nichts. Ich war geistesabwesend. Mein Seelenzustand glich demjenigen eines Mannes, der einen Hieb auf den Kopf erhalten hat und, nur halb betäubt, alles wie von weitem hört und alles wie durch eine mattgeschliffene Glasscheibe sieht. Es war ein wahres Glück, daß die Roten unsere Spur nicht gefunden hatten und also unseren jetzigen Aufenthalt nicht entdeckten! Ich war jetzt nicht der Mann, es mit ihnen aufzunehmen. Oder wäre es doch vielleicht möglich, daß mich eine solche Gefahr aus meiner Selbstverlorenheit aufgerüttelt hätte? Vielleicht!
Die guten Leute gaben sich Mühe, mir Interesse für ihr Tun und Treiben abzugewinnen, aber der Erfolg trat nur langsam ein. Es verging eine halbe Woche, ehe ich mich aufraffte und ihnen bei der Arbeit half. Die wohltätige Wirkung davon ließ nicht auf sich warten; man mußte mir zwar jedes Wort abgewinnen, doch stellte sich die alte Tatkraft wieder ein, und ich war bald Derjenige, nach dessen Rat und Ansicht sich die Andern richteten.
Das währte zwei Wochen, dann sagte ich mir, daß ich nicht länger bleiben dürfe. Das Testament des Freundes zog mich fort, nach dem Nugget-tsil, wo wir Intschu tschuna und seine schöne Tochter begraben hatten. Auch war es meine Pflicht, nach dem Rio Pecos zu reiten und die Apachen von dem Tode des berühmtesten und besten ihrer Häuptlinge zu unterrichten. Zwar wußte ich, wie schnell die Kunde von einem solchen Ereignisse über die Prärie zu laufen pflegt – sie konnte schon vor mir dort eintreffen – aber ich mußte doch selbst hin, weil ich als der Augenzeuge der traurigen Begebenheit der sicherste Berichterstatter war. Die Ansiedler brauchten mich nicht notwendig, und wenn sie ja einen geübten Westmann nötig hätten, so durften sie sich an Walker wenden, welcher entschlossen war, einige Zeit bei ihnen zu bleiben. Es gab einen herzlichen Abschied von den braven Leuten, und dann trat ich den weiten Ritt auf meinem Schwarzschimmel an, der sich gut ausgeruht hatte.
Ein Anderer an meiner Stelle wäre wohl bemüht gewesen, auf seinem Wege möglichst viele Punkte zu berühren, wo es Menschen gab; ich tat das Gegenteil und mied dergleichen Orte; ich wollte niemand sehen, wollte allein mit meiner Trauer sein.
Dieser Wunsch wurde mir bis zum Beaver-Creck des Nordkanadian erfüllt, wo ich ein sehr gefährliches Zusammentreffen mit To-kei-chun, dem Häuptling der Comanchen, hatte, dem wir damals so glücklich entgangen waren. Während wir uns im Norden mit den Sioux herumgeschlagen hatten, war im Süden von den Comanchen wieder einmal das Kriegsbeil ausgegraben worden, und To-kei-chun hatte sich mit siebzig Kriegern nach dem ihnen heiligen Makik-Natun aufgemacht, um bei den dort befindlichen Häuptlingsgräbern den Kriegstanz aufzuführen und die »Medizin« zu befragen. Dabei waren ihm mehrere Weiße in die Hände gefallen, die an dem Marterpfahle sterben sollten; es gelang mir aber, sie ihm zu entreißen. Dieses Erlebnis jedoch übergehe ich hier, weil es in keiner Beziehung zu Winnetou steht, und werde es bei einer späteren Gelegenheit erzählen. Ich brachte diese Weißen bis an die Grenze von Neu-Mexiko, wo sie sich in Sicherheit befanden, und hätte von dort aus eigentlich direkt nach dem Rio Pecos gekonnt; aber das Testament Winnetous war mir zu wichtig, als daß ich über dasselbe noch länger hätte in Ungewißheit sein mögen, und so richtete ich meinen Ritt nach Südosten, um zunächst den Nugget-tsil aufzusuchen.
Dieser Weg war gefährlich, denn er führte mich durch das Gebiet der feindlichen Comanchen und dasjenige der Kiowas, vor denen ich mich erst recht nicht sehen lassen durfte. Ich traf auch auf verschiedene Fährten und Spuren, nahm mich aber außerordentlich in acht und kam glücklich und unbemerkt bis in die Nähe des Gualpaflusses. Dort stieß ich auf Hufeindrücke, die genau die Richtung hatten, welche die meinige war. Ich wollte mich von Roten nicht sehen lassen und mit Weißen nicht abgeben, hätte also von dieser Fährte abweichen sollen. Aber da wäre ich zu einem Umwege gezwungen gewesen, und es war ja auch wichtig, zu erfahren, ob hier Indianer oder Bleichgesichter geritten waren. Darum folgte ich der Spur, welche vielleicht eine Stunde alt sein mochte.
Bald sah ich, daß es drei Reiter gewesen waren, und dann kam ich an eine Stelle, wo sie kurze Zeit angehalten hatten. Einer von ihnen war abgestiegen, um wahrscheinlich einen gelockerten Riemen fester anzuziehen. Der Eindruck seiner Füße verriet mir, daß er Stiefel anhatte, also ein Weißer war, und weil ich keine Veranlassung hatte, anzunehmen, daß ein Weißer jetzt und hier sich in Gesellschaft von zwei Indianern befinde, lautete der einfache Schluß, daß ich drei Bleichgesichter vor mir hatte.
Es fiel mir nicht ein, ihretwegen von meiner Richtung abzuweichen, und ich ritt auf ihrer Fährte weiter. Ich war ja, falls ich auch mit ihnen zusammentraf, nicht gezwungen, bei ihnen zu bleiben. Sie waren langsam geritten, und so kam es, daß ich sie nach zwei Stunden vor mir sah. Zu gleicher Zeit erblickte ich auch die Hügel, zwischen denen sich der Fluß hier abwärts schlängelte.
Es war gegen Abend, und ich hatte die Absicht gehabt, am Flusse zu nachtlagern; es war wohl nicht nötig, diese Absicht wegen der drei Fremden aufzugeben. Sehr wahrscheinlich hatten sie dasselbe vor; aber ich war ja nicht gezwungen, ihnen Gesellschaft zu leisten. Kurz nachdem sie in dem Gesträuch, welches die Hügel bedeckte, verschwunden waren, erreichte ich dasselbe auch, und als ich an den Fluß gelangte, waren sie grad damit beschäftigt, ihre Pferde abzuschirren. Sie schienen recht gut beritten und ebenso bewaffnet zu sein, aber ihr Aussehen war nicht sehr vertrauenerweckend.
Sie erschraken, als sie mich so plötzlich sahen, beruhigten sich aber schnell, erwiderten meinen Gruß und kamen, als ich in einiger Entfernung von ihnen anhielt und nicht vollends zu ihnen hinritt, zu mir heran.
»Mann, habt Ihr uns erschreckt!« sagte der Eine von ihnen.
»Habt ihr ein böses Gewissen, daß euch mein Anblick solchen Schreck einjagt?« fragte ich.
»Pshaw! Wir schlafen auf unsern Gewissen; also müssen sie gut sein, denn ein böses Gewissen ist kein sanftes Ruhekissen, wie Ihr wissen werdet. Aber der Westen ist eine gefährliche Gegend, und wenn so plötzlich ein Fremder vor einem auftaucht, möchte man am liebsten mit der Hand gleich nach dem Messer greifen. Dürfen wir fragen, woher Ihr kommt?«
»Vom Beaver-Fork herüber.«
»Und wo wollt Ihr hin?«
»Nach dem Rio Pecos.«
»Da habt Ihr weiter als wir. Wir wollen nur nach den Mugworthills.«
Das erregte meine Aufmerksamkeit, denn die Mugworthills waren ganz dieselbe Berggruppe, welche von Winnetou und seinem Vater Nugget-tsil genannt worden war. Was wollten diese drei Männer dort? Auch ich wollte hin. Sollte ich mich ihnen anschließen? Da war es nötig, zu erfahren, welche Absicht sie hinführte. Darum fragte ich:
»Mugworthills? Was ist das für eine Gegend?«
»Eine sehr schöne. Es steht sehr viel wilder Beifuß dort, und Beifuß heißt auch Mugwort; daher der Name. Aber es ist nicht nur Beifuß dort zu finden, sondern etwas noch ganz Anderes.«
»Was?«
»Hm! Wenn Ihr das wüßtet! Werde mich aber hüten, es zu sagen! Würdet wohl gleich mit nach den Mugworthills wollen!«
»Plappermaul!« fuhr ihn der Zweite an. »Rede doch nicht so dumm daher!«
»Pshaw! Woran man gern denkt, das hat man auf der Zunge. Was seid Ihr denn eigentlich, Fremder?«
Es läßt sich denken, daß das, was er jetzt gesagt hatte, mich frappierte. Er sprach wirklich von dem Nugget-tsil; ich selbst hatte damals den Beifuß gesehen, welcher massenhaft dort wuchs. Seine Worte klangen so geheimnisvoll; ich beschloß, bei diesen Leuten hier zu bleiben, ihnen aber nicht zu sagen, wer ich war. Ich erteilte ihm also die Auskunft:
»Bin Fallensteller, wenn Ihr nichts dagegen habt.«
»Habe gar nichts einzuwenden. Und Euer Name? Oder wollt Ihr ihn verschweigen?«
»Kann ihn frei und allen Leuten nennen. Ich heiße Jones.«
»Seltener Name, außerordentlich selten!« lachte er. »Ob wir ihn uns wohl merken können? Wo habt Ihr denn Eure Fallen?«
»Die sind mir von den Comanchen genommen worden, mit der ganzen Jagdbeute von zwei Monaten.«
»Das ist Pech!«
»Ja, großes Pech. Bin aber doch froh, daß sie mich nicht selbst auch erwischt haben.«
»Glaube es. Diese Kerls verschonen keinen Weißen, zumal in der jetzigen Zeit.«
»Sind die Kiowas nicht ebenso schlimm?«
»Ja.«
»Und dennoch wagt ihr euch in ihr Gebiet?«
»Bei uns ist's etwas Anderes; wir sind sicher bei ihnen. Haben gute Empfehlungen, sehr gute. Mr. Santer ist der Freund ihres Häuptlings Tangua.«
Santer! Man kann sich denken, daß mich dieser Name förmlich elektrisierte. Ich hatte Mühe, meine Überraschung unter einer gleichgültigen Miene zu verbergen. Diese Leute kannten Santer. Nun stand es fest, daß ich mich ihnen anschließen würde. Ein anderer Santer als der, der uns wiederholt entkommen war, konnte nicht gemeint sein, denn er war ja der Freund des Häuptlings Tangua genannt worden.
»Ist dieser Santer ein so einflußreicher Mann?« erkundigte ich mich.
»Will es meinen! Wenigstens bei den Kiowas. Aber sagt, wollt Ihr nicht absteigen? Der Abend ist nahe, und Ihr wollt doch am Flusse übernachten, wo es Wasser und auch Futter für Euer Pferd gibt?«
»Hm! Ich kenne euch nicht, und ihr selbst sagtet vorhin, daß man vorsichtig sein müsse.«
»Sehen wir aus wie schlechte Kerls?«
»Nein; aber ihr habt mich zwar ausgefragt, aber mir noch nicht gesagt, wer ihr seid.«
»Das könnt Ihr sogleich erfahren. Wir sind Westmänner und treiben bald dieses und bald jenes. Man nährt sich, wie man kann. Ich heiße Gates; hier neben mir steht Mr. Clay, und der Dritte da ist Mr. Summer. Seid Ihr nun zufrieden?«
»Yes.«
»So steigt endlich ab, oder reitet weiter, ganz wie Ihr wollt.«
»Wenn ihr erlaubt, werde ich bei euch bleiben; es ist in dieser Gegend immer besser, wenn mehrere beisammen sind.«
»Well. Bei uns seid Ihr sicher aufgehoben. Der Name Santer schützt uns Alle.«
»Was ist dieser Santer eigentlich für ein Gentleman?« erkundigte ich mich, indem ich abstieg und mein Pferd anhobbelte.
»Ein Gentleman mm wahren Sinne des Wortes. Wir werden ihm viel zu verdanken haben, wenn es wirklich so kommt, wie er uns gesagt und versprochen hat.«
»Kennt ihr ihn schon lange?«
»Nein. Wir haben ihn erst vor einiger Zeit zum ersten Male gesehen und getroffen.«
»Wo?«
»In Fort Arkansas. Aber warum fragt Ihr so nach ihm? Ist er Euch bekannt?«
»Würde ich mich nach ihm erkundigen, wenn er mir bekannt wäre, Mr. Gates?«
»Hm, das ist richtig!«
»Ihr sagtet, sein Name gebe euch Sicherheit, und da ich bei euch bin, befinde ich mich, sozusagen, auch unter seinem Schutze. Da muß ich mich doch für ihn interessieren. Nicht?«
»Yes. Setzt Euch nun zu uns her, und macht es Euch bequem! Habt Ihr zu essen?«
»Ein Stück Fleisch.«
»Wir haben mehr. Wenn Ihr nicht genug habt, könnt Ihr noch von uns bekommen.«
Erst hatte ich diese Drei für Landstreicher angesehen; nun, da ich sie beobachten konnte, war ich mehr und mehr geneigt, sie für ehrliche Leute zu halten, das heißt, was man im Westen, wo es einen andern Maßstab gibt, noch so knapp ehrlich nennt. Wir schöpften uns an einer klaren Stelle des Flusses Wasser und aßen unser Fleisch. Dabei betrachteten sie mich von oben bis unten. Dann meinte Gates, der überhaupt für sie das Wort zu führen schien:
»Also um Eure Fallen und Felle seid Ihr gekommen? Das ist bedauerlich. Wie wollt Ihr Euch nun nähren?«
»Zunächst von der Jagd.«
»Sind Eure Gewehre gut? Ihr habt nicht nur eins, sondern sogar zwei, wie ich sehe.«
»Sie sind leidlich. Diese alte Donnerbüchse schießt mit Kugeln und für Schrot habe ich das kleine Gewehr.«
Ich hatte den Stutzen im selbstgefertigten Überzuge stecken. Hätte ich die beiden Namen Henrystutzen und Bärentöter gesagt, so hätten sie sofort gewußt, wer ich war.
»Da seid Ihr ein sonderbarer Heiliger. Ihr schleppt zwei Gewehre mit Euch, das eine für Kugeln, das andere für Schrot. Man nimmt doch ein Doppelgewehr, ein Lauf für Schrot und der andere für die Kugel!«
»Ist richtig; bin aber einmal an dieses alte Schießzeug gewöhnt.«
»Und was habt Ihr da unten am Rio Pecos vor, Mr. Jones?«
»Nichts Besonderes. Es soll dort leichteres Jagen sein als hier.«
»Wenn Ihr meint, daß die Apachen Euch dort jagen lassen, so hat man Euch gut berichtet. Glaubt doch diesen Unsinn nicht! Hier habt Ihr nur die Fallen und Felle verloren; dort aber könnt Ihr leicht um Euern eigenen Pelz kommen. Müßt Ihr denn partout hin?«
»Nein, das gar nicht.«
»So kommt mit uns!«
»Mit euch?« stellte ich mich erstaunt.
»Ja.«
»Nach den Mugworthills?«
»Ja.«
»Was soll ich dort?«
»Hm! Ich weiß nicht, ob ich es Euch sagen darf. Was meint ihr dazu, Clay und Summer?«
Die beiden Genannten sahen einander fragend an, und dann erklärte Clay:
»Die Sache ist zweifelhaft. Mr. Santer hat uns verboten, davon zu sprechen, und doch auch gesagt, daß er gern mehr passende Männer dazu nehmen möchte. Mach, was du willst.«
»Well,« nickte Gates. »Wenn Mr. Santer noch Andere engagiert, können wir ihm auch einen mitbringen. Ihr seid also jetzt an nichts gebunden, Mr. Jones?«
»Nein,« antwortete ich.
»Und habt Zeit?«
»So viel ich will.«
»Würdet Ihr Euch an einer Sache beteiligen, welche Geld, viel Geld einbringen kann?«
»Warum nicht. Geld verdient jeder gern, und wenn es viel oder gar sehr viel ist, so sehe ich nicht ein, warum ich nicht mitmachen soll. Nur muß ich natürlich wissen, um was es sich handelt.«
»Selbstverständlich! Es ist eigentlich ein Geheimnis, aber Ihr gefallt mir; Ihr habt ein so ehrliches, treuherziges Gesicht und würdet uns gewiß nicht übervorteilen und betrügen.«
»Na, ein ehrlicher Kerl bin ich freilich; das könnt ihr glauben.«
»Ich glaube es. Also, wir wollen nach dem Mugwortberge, um dort Nuggets zu suchen.«
»Nuggets!« rief ich aus. »Gibt's dort welche?«
»Schreit nicht so sehr! Nicht wahr, das packt Euch an? Ja, es gibt dort welche.«
»Von wem wißt ihr das?«
»Eben von Mr. Santer.«
»Hat er sie gesehen?«
»Nein, denn da würde er sich hüten, uns dazu zu nehmen, sondern das Nest für sich allein behalten.«
»Also nicht gesehen? Er vermutet es nur? Hm!«
»Es ist keine Vermutung, sondern Gewißheit, daß es dort welche gibt. Er kennt auch den ungefähren Ort, aber nicht die genaue Stelle.«
»Das wäre sonderbar!«
»Ja, sonderbar, aber dennoch wahr und richtig. Ich werde es Euch genau so erklären, wie er es uns erzählt hat. Habt Ihr einmal von einem gewissen Winnetou gehört?«
»Dem Häuptling der Apachen? Ja.«
»Ist Euch auch ein gewisser Old Shatterhand bekannt?«
»Habe mir auch von ihm erzählen lassen.«
»Die sind dicke Freunde miteinander und früher einmal an den Mugworthills gewesen. Der Vater von Winnetou war auch dabei und auch noch andere Rote und Weiße. Mr. Santer hat sie belauscht und dabei gehört, daß Winnetou mit seinem Vater nach den Bergen wolle, um Nuggets zu holen. Wenn man sie nur so holen kann, wann und wie es einem beliebt, so müssen sie doch in Masse zu haben sein. Gebt Ihr das zu?«
»Ja.«
»Nun hört weiter! Mr. Santer hat sich auf die Lauer gestellt, um den beiden Apachen zu folgen und den Ort zu entdecken. Das kann man ihm auch gar nicht verdenken, wie Ihr einsehen werdet, denn was wollen diese roten Kerls mit dem Golde, welches sie gar nicht brauchen können? Sie haben kein Geschick dazu.«
»Ist es ihm gelungen?«
»Leider nicht ganz. Er ist ihnen nachgegangen; sie hatten auch die Schwester Winnetous mit. Er hat sich nach ihren Spuren richten müssen, und dabei versäumt man immer Zeit. Als er in die Nähe der Stelle gekommen ist, sind sie schon fertig und auf der Rückkehr gewesen. Eine ärgerliche Geschichte!«
»Gar nicht ärgerlich!«
»Nicht? Wieso?«
»Er brauchte sie nur ruhig an sich vorüberzulassen und dann auf ihren Spuren weiterzugehen; diese hätten ihn zu den Nuggets geführt.«
»Alle Wetter! Das ist wahr! Ihr seid kein übler Kerl, wie ich da höre, und könnt uns wohl von Nutzen sein. Aber leider ist es anders gekommen. Er hat geglaubt, und zwar mit Recht geglaubt, daß sie Nuggets bei sich hatten, und auf sie geschossen, um ihnen dieses Gold abzunehmen.«
»Traf er gut? Waren sie tot?«
»Der Alte und das Mädchen, ja; ihre Gräber befinden sich dort. Er hätte auch Winnetou eine Kugel gegeben, hat aber fliehen müssen, weil Old Shatterhand plötzlich dazugekommen ist. Dieser hat ihn mit weißen und roten Kerlen verfolgt und bis zu den Kiowas getrieben, mit deren Häuptling er dann Freund geworden ist. Später ist er nach den Mugworthills zurückgekehrt, mehrere Male, ja viele Male, und hat sich fast die Augen ausgesucht, aber nie etwas gefunden. Jetzt nun hat er den guten Gedanken gehabt, Leute zu engagieren, die ihm suchen helfen sollen. Mehrere sehen ja mehr als einer. Diese Leute sind wir drei, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit uns reiten.«
»Habt Ihr denn Hoffnung auf Erfolg?«
»Große sogar. Die Roten sind so schnell von dem Fundorte zurückgekehrt, daß er gar nicht weit von der Stelle liegen kann, wo Mr. Santer auf sie getroffen ist. Es ist also nur eine kurze Strecke abzusuchen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir das Gold nicht entdeckten. Wir haben ja Zeit genug dazu. Wir können Wochen und Monate lang suchen, denn kein Mensch treibt uns fort. Was denkt Ihr von der Sache?«
»Hm! Eigentlich gefällt sie mir nicht.«
»Warum?«
»Es klebt Blut daran.«
»Seid nicht so dumm! Haben wir oder habt Ihr es vergossen? Trifft uns oder Euch die Schuld? Nicht die Spur! Was liegt an zwei Roten, die erschossen worden sind? Sie werden doch alle ausgerottet und ausgelöscht! Was geschehen ist, das geht uns nichts an. Wir suchen das Gold; wir finden es und leben dann wie Astor und wie andere Millionäre.«
Da hörte ich ja gleich, was für Leute ich vor mir hatte. Sie gehörten wohl nicht zu dem Abschaume, der mir schon so oft begegnet war, aber das Leben eines Indianers stand bei ihnen auch in keinem höheren Werte als dasjenige eines wilden, jagdbaren Tieres, welches jeder niederschießen kann. Sie waren noch nicht alt und handelten auch nicht wie erfahrene, vorsichtige Männer, sonst hätten sie sich nicht so schnell auf mein ehrliches Gesicht hin herbeigelassen, mich, den ihnen völlig unbekannten Menschen, in ihr Geheimnis einzuweihen und mir gar die Kameradschaft anzubieten.
Ich brauche wohl nicht zu sagen, wie überrascht ich von diesem Zusammentreffen und wie hochwillkommen mir dasselbe war. Santer wieder in Sicht! Diesesmal sollte er mir gewiß nicht wieder entwischen! Ich ließ mir aber nichts merken, neigte den Kopf wie im Zweifel herüber und hinüber und sagte dann:
»Die Nuggets hätte ich wohl gern; aber ich denke, wir bekämen sie gar nicht, auch wenn wir sie fänden.«
»Was für ein Gedanke! Wenn wir sie finden, haben wir sie ja!«
»Aber wie lange?«
»So lange es uns gefällt. Es wird doch keinem von uns einfallen, sie wegzuwerfen!«
»Aber sie werden uns genommen!«
»Von wem?«
»Von Santer.«
»Ah! Ihr seid wohl nicht recht klug?«
»Kennt lhr ihn?«
»In dieser Hinsicht, ja.«
»Und habt ihn doch erst vor kurzem kennen gelernt!«
»Er ist ein ehrlicher Kerl. Wer ihn anschaut, kann unmöglich an seiner guten Moralität zweifeln. Und außerdem wurde er von Allen gelobt, bei denen wir im Fort nach ihm fragten.«
»Wo ist er jetzt?«
»Er hat sich gestern von uns getrennt, um, während wir direkt nach den Mugworthills gehen, nach dem Salt-Fork des Red River zu reiten, an welchem das Dorf des Kiowahäuptlings Tangua liegt.«
»Was will er dort?«
»Tangua eine sehr wichtige und ihm höchst willkommene Botschaft bringen, nämlich die, daß Winnetou gestorben ist.«
»Wie? Winnetou ist tot?«
»Ja. Er ist von den Sioux erschossen worden. Er war der Todfeind Tanguas; also wird dieser vor Freude außer sich sein. Darum wich Mr. Santer von unserm Wege ab, um ihm diese Nachricht zu bringen. An den Mugworthills treffen wir wieder mit ihm zusammen. Er ist ein ehrenwerter Gentleman, der uns reich machen will, und wird Euch sicher gleich gefallen, sobald Ihr ihn seht.«
»Wollen es hoffen, aber auch vorsichtig sein!«
»Gegen ihn?«
»Ja.«
»Ich sage Euch, daß es nicht den geringsten Grund gibt, ihm zu mißtrauen.«
»Und ich sage euch, daß ich zwar entschlossen bin, mich euch anzuschließen, aber dann die Augen offen halten werde. Wer um einiger Nuggets willen, die sie bei sich hatten, zwei Menschen erschießt, welche ihm nichts taten, dem ist es wahrlich zuzutrauen, daß er, wenn wir das Gold gefunden haben, auch uns ermordet, um es für sich allein zu behalten.«
»Mr. Jones, was – – was – – – denkt – – –!«
Er sprach den Satz nicht aus und starrte mich erschrocken an. Auch Clay und Summer machten ganz bestürzte Gesichter.
»Ja,« fuhr ich fort, »es ist nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß er euch in der festen Absicht engagiert hat, euch erst mit suchen zu lassen und dann, wenn der Schatz gefunden worden ist, auf die Seite zu räumen!«
»Ihr scheint zu phantasieren!«
»Fällt mir nicht ein! Wenn ihr euch die Sache richtig und ohne Voreingenommenheit für Santer überlegt, so ist es gar nicht anders möglich, als daß ihr zu meiner Ansicht kommen, meine Vermutung teilen müßt. Denkt euch zunächst einen Menschen, welcher der Freund von Tangua ist, den man als den größten und unversöhnlichsten Hasser aller Bleichgesichter kennt! Wie kann er zu dieser Freundschaft des Roten gekommen sein?«
»Weiß es nicht.«
»Man braucht es nicht zu wissen, denn man kann es sich denken; es ist sehr leicht.«
»Nun, was denkt Ihr Euch, Mr. Jones?«
»Wer ein Freund des Feindes aller Weißen ist, muß diesem wohl bewiesen haben, daß er sich auch nichts aus dem Leben eines Weißen macht, und man hat also alle Veranlassung, höchst vorsichtig gegen ihn zu sein. Habe ich da recht oder nicht?«
»Es klingt wenigstens so, daß es sich hören läßt. Habt Ihr noch anderes vorzubringen?«
»Ja, das, was ich schon einmal gesagt habe.«
»Daß er die zwei Roten erschossen hat?«
»Ja.«
»Da wißt Ihr, daß ich ihm das gar nicht übelnehme. Das ist in meinen Augen gar kein Grund, ihm zu mißtrauen und ihn für einen schlechten Kerl zu halten.«
»Fühlt Ihr denn nicht, daß Ihr Euch da selbst ein schlechtes Zeugnis gebt?«
»Nein. Die Indianer sind alle Halunken, welche ausgerottet werden müssen!«
»Sie sind Menschen, welche auch ihre Rechte besitzen, die wir achten müssen!«
»Ihr sprecht da außerordentlich human. Aber selbst wenn Ihr recht hättet, könnte ich nicht einsehen, warum der Tod von zwei Roten gar so etwas Unverzeihliches sein soll.«
»Nicht – – –?«
»Nein. Man muß alles von der praktischen Seite nehmen. Vielleicht habt Ihr so viel Einsicht, zuzugeben, daß die Roten dem Untergange geweiht sind?«
»Leider kann ich das nicht bestreiten.«
»Nun, wenn sie alle vom Erdboden verschwinden müssen und unrettbar verloren sind, so ist es sehr gleichgültig, ob zwei von ihnen einige Tage eher zugrunde gehen, als es ihnen eigentlich bestimmt gewesen ist. Das ist der praktische Standpunkt, auf welchem ich stehe. Von diesem aus ist Derjenige, der ihren Tod herbeigeführt hat, kein Mörder, sondern er hat dem Schicksal nur ein wenig vorgegriffen.«
»Eine sonderbare Sache, diese praktische Moral! Seht Ihr das nicht ein?«
»Vielleicht ja. Aber es könnte Euch nicht schaden, wenn Ihr sie Euch auch aneignen wolltet.«
»Well, so will ich mich einmal auf diesen Euern Standpunkt stellen. Meint Ihr, daß Mr. Santer nicht auch von diesem aus zu verdammen ist?«
»Gewiß nicht.«
»O doch! Also, daß er den Häuptling der Apachen und seine Tochter überhaupt erschossen hat, soll keine Sünde sein; ich will einmal so tun, als ob diese Ansicht auch die meinige sei; aber nun kommt die höchst praktische Frage: Warum hat er sie erschossen?«
»Nur um den Ort zu erfahren, an welchem sie ihr Gold versteckt hatten.«
»Nein, deswegen nicht!«
»Nicht? Weshalb denn?«
»Um den Ort zu erfahren, brauchte er ihnen das Leben nicht zu nehmen. Wenn er sie ruhig gehen ließ und nach ihrer Entfernung untersuchte, wo sie gewesen waren, hätte er den Ort wahrscheinlich gefunden. Er hat Euch ja gesagt, daß sie sehr rasch zurückgekehrt seien. Bei der Schnelligkeit und Eile, mit welcher sie verfahren sind, haben sie sich wohl kaum die Zeit genommen, ihre Spuren so sorgfältig auszulöschen, daß sie nicht mehr zu erkennen waren. Sie hatten auch keine Veranlassung dazu, gar so vorsichtig zu sein, denn sie glaubten, sich ganz allein auf den Mugworthills zu befinden. Ihre Fährte hätte ihn gewiß an den betreffenden Ort geführt. Das habe ich schon einmal erwähnt.«
»Ändert aber nichts an der Sache. Wenigstens weiß ich nicht, wie Ihr denken könnt, meine Ansicht damit umzuwerfen, Mr. Jones.«
»Werdet es gleich hören, Mr. Gates. Er hat die Beiden nicht erschossen, um das Versteck zu entdecken, sondern um die Nuggets zu bekommen, die sie geholt, und also bei sich hatten.«
»Meinetwegen! Ist ganz dasselbe!«
»Ja, für ihn und die Erschossenen ist das ganz gleich, aber für uns wohl nicht.«
»Warum nicht?«
»Was meint Ihr wohl, wieviel Gold in dem Versteck gewesen ist? Wenig?«
»Viel, sehr viel jedenfalls! Ich kann es zwar nicht beweisen, aber es ist leicht zu denken.«
»Ich kann es beweisen.«
»Ihr?« fragte er verwundert.
»Ja. Man braucht nur ein wenig nachzudenken. Auch wenn man die Mugworthills nicht kennt, kann man annehmen, daß in jener Gegend kein natürlicher Fundort des Goldes vorhanden ist; es muß hingeschafft worden sein. Und wenn Indianer sich einmal die große Mühe geben, ein solches Depot anzulegen, so tun sie dies gewiß nicht um einer Wenigkeit willen.«
»Nein; das ist richtig.«
»Also es hat viel, sehr viel Gold dort gelegen. Was Winnetou und sein Vater sich dort geholt hatten, war nur ein kleiner Teil davon. Nicht?«
»Gebe das auch zu.«
»Und wegen einer solchen Lappalie hat Mr. Santer zwei Menschen erschossen!«
»Hm, ja; aber es war praktisch. Er wollte auch diesen kleinen Betrag noch haben.«
»Merkt Ihr denn noch nicht, was ich sagen will? Diese Praktik, welche Ihr so entschuldigt, kann für uns außerordentlich gefährlich werden.«
»Gefährlich? Wieso?«
»Nehmt doch an: Wir gehen hin und finden den ganzen Schatz; dann – – – –«
»Dann wird er sofort geteilt!« fiel er mir schnell in die Rede.
»Ja, er wird geteilt. Wieviel meint Ihr wohl, daß jeder von uns bekommen wird?«
»Wer kann das sagen! Da müßte man doch wissen, wieviel überhaupt dort liegt.«
»Auch dann könntet Ihr nicht wissen, wieviel jeder bekommt, denn Mr. Santer wird den Löwenanteil beanspruchen und uns nur soviel zusprechen, wie ihm gut dünkt.«
»Nein, das tut er nicht; da irrt Ihr Euch!«
»Gewiß nicht.«
»O doch. Es wird sehr ehrlich geteilt, denn Keiner soll mehr bekommen als der Andere.«
»Auch Santer nicht?«
»Auch er nicht.«
»Hat er das selbst gesagt?«
»Ja. Er hat es nicht nur versprochen, sondern uns sogar die Hand darauf gegeben.«
»Da ist er euch wohl recht nobel vorgekommen?«
»Natürlich! Er ist der anständigste und nobelste Mensch, den man sich denken kann.«
»Und ihr seid die drei kindlichsten Gemüter, die mir jemals begegnet sind!«
»Wieso?«
»Daß ihr diesem seinem Versprechen Glauben schenkt.«
»Warum sollen wir das nicht?«
»Soll ich euch das wirklich erst erklären?«
»Jawohl!«
»Nun, Einer, der um weniger Nuggets willen zwei Menschen erschießt, ist gewiß so goldgierig, daß es ihm gar nicht einfallen kann, in dieser Weise mit euch zu teilen.«
»Es waren ja nur zwei Rote!«
»Aber doch Menschen, die ihm nichts getan hatten! Wenn es Weiße gewesen wären, hätte er sich ebensowenig bedacht, sie aus dem Wege zu schaffen.«
»Hm!« brummte er ungläubig.
»Ich behaupte es! Ich behaupte sogar noch mehr. Er hat euch versprochen, daß ihr grad so viel bekommen sollt, wie er bekommt, und da denke – – –«
»Da denke ich, daß er sein Wort halten und es uns geben wird,« fiel er ein.
»Möglich, daß er es uns gibt, denn er weiß ja, daß er es wieder bekommt.«
»Weil er es uns nimmt?«
»Ja. Der Teil, welcher auf jeden von uns entfällt, ist jedenfalls hundertmal und noch mehrmal größer als der Betrag, welchen Intschu tschuna und Winnetou bei sich hatten. Hat er sie aus reiner Goldgier erschossen, so wollte ich darauf schwören, daß wir von dem Augenblicke an, an welchem wir das Gold erhalten, unseres Lebens keine Minute mehr sicher sind.«
»Abwarten, Mr. Jones!«
»Ich werde es allerdings abwarten.«
»Es ist ein großer Unterschied, ob man auf Indianer oder auf Weiße schießt!«
»Für einen Menschen aber nicht, den das Goldfieber ergriffen hat; das mögt ihr glauben.«
»Hm! Selbst wenn Ihr im allgemeinen recht hättet, in diesem Falle aber nicht. Mr. Santer ist ein Gentleman in jedem Sinne des Wortes!«
»Es sollte mich freuen, wenn ihr euch nicht irrtet!«
»Ich gehe jede Wette mit Euch ein, Mr. Jones. Seht Euch Mr. Santer nur erst an, so wird Euch Euer Auge sofort sagen, daß er volles Vertrauen verdient.«
»Well! Bin also höchst neugierig auf den Augenblick, an welchem ich ihn zu sehen bekomme.«
»Ihr seid voller Zweifel und Verdacht wie der Wassertümpel voller Quappen und Frösche. Wenn Ihr wirklich glaubt, daß Euch Gefahr drohe, so ist es doch sehr leicht, derselben auszuweichen!«
»Indem ich nicht mit nach den Mugworthills gehe?«
»Ja. Es steht Euch doch frei, Euch anzuschließen. Ich weiß überhaupt noch nicht, ob es Mr. Santer lieb sein wird, wenn wir Euch mitbringen. Ich glaubte, Euch einen Gefallen zu tun.«
Er sagte das in einem beinahe abweisenden Tone; er nahm es mir übel, daß ich ihm in Beziehung auf Santers Person keinen Glauben schenkte. Darum antwortete ich ihm:
»Es ist mir ja auch ein Gefallen, für den ich Euch herzlich dankbar bin.«
»So zeigt Eure Dankbarkeit in anderer Weise als dadurch, daß Ihr einen Gentleman verleumdet, den Ihr noch gar nicht einmal gesehen habt! Wollen uns nicht länger streiten, sondern diese Sachen fallen und auf sich beruhen lassen!«
Damit war dieser Gegenstand beendet, und wir sprachen von andern Dingen, wobei es mir gelang, den schlechten Eindruck, den ich mit meinem Mißtrauen hervorgebracht hatte, wieder zu verscheuchen.
Wie sicher hätten sie mir recht gegeben, wenn es mir möglich gewesen wäre, mich ihnen mitzuteilen! Aber das durfte ich nicht wagen. Sie waren unerfahrene, vertrauensselige Menschen, von denen ich annehmen mußte, daß sie mir, falls ich sie ins Vertrauen zog, mehr Schaden als Nutzen bringen würden.
Später legten wir uns zur Ruhe. Ich hielt den Ort, an dem wir uns befanden, für sicher, suchte aber trotzdem die Umgebung vorher sorgfältig ab, und da ich nichts Verdachterweckendes entdeckte, so unterließ ich es, den Vorschlag zu machen, abwechselnd zu wachen. Sie aber waren so harmlos, gar nicht auf so einen Gedanken zu kommen.
Am andern Morgen brachen wir vereint nach den Mugworthills auf, ohne daß sie ahnten, daß diese Gegend auch mein Ziel gewesen war.
Der Tag verging mir unter immerwährender innerer Unruhe und Besorgnis. Sie fühlten sich sicher; sie glaubten, bei einer Begegnung mit den Kiowas nur den Namen Santer nennen zu dürfen, um als Freunde behandelt zu werden, während ich überzeugt war, daß diese Roten mich sofort erkennen würden. Meine drei Gefährten hielten darum jede Vorsichtsmaßregel für überflüssig, und ich durfte ihnen nicht widersprechen, wenn ich nicht ihr Mißtrauen erwecken oder mir wenigstens ihren Unwillen zuziehen wollte. Glücklicherweise bekamen wir während des ganzen Tages keinen Menschen zu sehen.
Am Abend lagerten wir auf der offenen Prairie. Sie hätten gern ein Feuer angezündet, doch gab es kein Material dazu, worüber ich im Stillen sehr erfreut war. Es gab überhaupt keinen Grund, ein Feuer anzumachen, denn es war nicht kalt, und etwas zu braten hatten wir nicht. Am andern Morgen hatten wir, ehe wir den Ritt fortsetzten, das letzte Dürrfleisch zu essen, und nun waren wir auf die Jagd angewiesen. In Beziehung hierauf machte mir Gates die mich im Stillen belustigende Bemerkung:
»Ihr seid Fallensteller aber nicht Jäger, Mr. Jones. Ihr habt zwar gesagt, daß Ihr schießen könnt, aber es wird auch danach sein. Könnt Ihr einen Prairiehasen treffen, der hundert Schritte von Euch vorüberkommt?«
»Hundert Schritte?« antwortete ich. »Hm, das ist wohl etwas weit! Nicht?«
»Dachte es! Ihr würdet ihn nicht treffen. Überhaupt tragt Ihr die alte, schwere Donnerbüchse ganz vergeblich mit Euch herum. Mit einem solchen Dinge kann man wohl einen Kirchturm niederschießen, aber kein Kleinwild erlegen. Das braucht Euch aber keine Schmerzen zu machen, denn wir werden für Euch sorgen.«
»Ihr trefft wohl besser als ich?«
»Das könnt Ihr Euch denken! Wir sind Prairiejäger, echte Westmänner, verstanden!«
»Das ist nicht genug; das reicht nicht aus.«
»So? Was fehlt denn noch?«
»Das Wild. Ihr könnt noch so fertig sein im Schießen, wenn es kein Wild hier gibt, so werden wir doch hungern müssen.«
»Da habt keine Sorge! Wir finden welches.«
»Hier auf der Savanne? Da gibt es doch nur Antilopen, die uns nicht so nahe an sich lassen, daß wir zum Schusse kommen.«
»Wie klug Ihr redet! Habt allerdings so ziemlich das Richtige getroffen. Aber an den Mugworthills finden wir Wald und also auch Wild. Mr. Santer hat es gesagt.«
»Wann kommen wir hin?«
»Gegen Mittag vielleicht, wenn wir richtig geritten sind, was ich doch hoffe.«
Keiner wußte besser als ich, daß wir sehr richtig ritten und den Nugget-tsil noch vor Mittag erreichen mußten. Ich machte ja eigentlich den Führer, ohne daß sie es bemerkten. Sie ritten mit mir, nicht ich mit ihnen.
Noch hatte die Sonne nicht den höchsten Punkt ihres Tagesbogens erreicht, so sahen wir im Süden die bewaldeten Höhen, zu denen wir wollten, aus der Ebene aufsteigen.
»Ob das die Mugworthills sind?« fragte Clay.
»Sie sind's,« antwortete Gates, »Mr. Santer hat uns doch sehr genau beschrieben, was für einen Anblick sie bieten, wenn man von Norden her zu ihnen kommt. Und was wir da vor uns sehen, das stimmt mit der Beschreibung. In einer halben Stunde werden wir uns am Ziele befinden.«
»Noch nicht,« widersprach Summer.
»Wieso?«
»Du hast vergessen, daß die Mugworthills an ihrer nördlichen Seite für Reiter unzugänglich sind; man kann da nicht passieren.«
»Das weiß ich wohl; ich meinte nur, daß wir in einer halben Stunde dort sein werden. Dann umreiten wir die Hills, bis wir auf der Südseite an das Tal kommen, weiches zwischen sie hineinführt.«
Ich hörte, daß Santer ihnen das Terrain sehr gut beschrieben hatte. Um zu erfahren, wie weit diese Genauigkeit ging, erkundigte ich mich:
»In diesem Tale will er wohl mit euch zusammentreffen, Mr. Gates?«
»Nein, sondern oben auf der Höhe.«
»Wir sollen mit den Pferden hinauf?«
»Ja.«
»Gibt es einen Weg?«
»Eigentlich nicht, aber ein Wasserbett. Reiten kann man da freilich nicht, sondern man muß steigen und die Pferde nach sich führen.«
»Wozu das? Ist es denn notwendig, da hinaufzuklettern? Kann man denn nicht unten bleiben?«
»Nein, denn der Ort, an welchem wir suchen müssen, liegt da oben.«
»So sollte man wenigstens die Pferde unten lassen. Das wäre jedenfalls besser.«
»Unsinn! Man hört, daß Ihr nur Fallensteller seid. Es vergehen vielleicht Wochen, ehe wir da oben finden, was wir suchen. Können wir die Pferde so lange unten im Tale lassen? Es müßte stets jemand bei ihnen sein, der sie bewacht; oben aber haben wir sie in unserer Nähe und brauchen also keinen besondern Wächter für sie. Seht Ihr das nicht ein?«
»Doch! Wer die Örtlichkeit nicht kennt, der kann wohl einmal eine solche Frage stellen.«
»Übrigens ist es da oben interessant, denn, wie ich Euch schon gesagt habe, befinden sich dort die Gräber des Apachenhäuptlings und seiner Tochter.«
»Und bei diesen Gräbern lagern wir?«
»Ja.«
»Auch des Nachts?«
Ich hatte den triftigsten Grund zu dieser Frage. Ich mußte an dem Grabmale Intschu tschunas in die Erde graben, um zu Winnetous Testament zu kommen; da brauchte ich keine Zeugen. Und nun hörte ich, daß wir dort lagern würden. Das war äußerst unangenehm. Vielleicht ließen sich meine drei Gefährten durch die sehr natürliche Scheu, welche gewöhnliche Leute vor Begräbnisstellen zu haben pflegen, bestimmen, wenigstens des Nachts die Nähe der beiden Gräber zu meiden. Und selbst wenn dies geschah, war es unzulänglich für mich. Des Nachts konnte ich nicht sehen und also leicht einen Fehler begehen. Und selbst wenn dies nicht geschah, so war es in der Finsternis unmöglich, das Loch, welches ich zu graben hatte, dann so zuzufüllen, daß man früh keine Spur davon entdecken konnte.
»Auch des Nachts?« wiederholte Gates meine Frage. »Warum wollt Ihr das wissen?«
»Hm! Des Nachts an Gräbern zu schlafen, das ist nicht jedermanns Sache.«
»Ah, Ihr fürchtet Euch?«
»Das nicht!«
»O doch! Hört ihr es, Clay und Summer? Mr. Jones fürchtet sich vor den Toten! Er hat Angst vor den beiden Roten! Er denkt, sie gehen um und springen ihm auf den Rücken, hahahahahaha!«
Er lachte aus vollem Halse, und die Beiden stimmten ein. Ich schwieg dazu; ich mußte sie bei dem Glauben lassen, daß ich furchtsam sei, sonst hätten sie meinen Fragen Gründe untergelegt, auf die ich sie nicht bringen wollte. Dann fuhr er in ironisch beruhigendem Tone fort:
»Ihr seid also abergläubisch, Sir? Das ist eine große Albernheit. Die Toten kommen nicht wieder, und grad diese Zwei werden sich hüten, die ewigen Jagdgründe zu verlassen, wo sie bei Hirsch- und Büffelbraten in dulci jubilo leben. Und wenn sie Euch ja erscheinen sollten, was freilich nicht ganz ausgeschlossen ist, so braucht Ihr nur uns zu Hilfe zu rufen; wir jagen sie fort.«
»Würde schon selbst mit ihnen fertig werden, Mr. Gates. Wenn ich mich auch nicht grad fürchte, so halte ich es doch nicht für nötig, an Gräbern zu schlafen, wenn man sich ebensogut wo anders niederlegen kann.«
Während dieses Wortwechsels waren wir den Höhen so nahe gekommen, daß wir westlich einbiegen mußten, um sie von dieser Seite zu umreiten. An ihrer Südseite angekommen, bogen wir wieder links ein und kamen an das Tal, welches hineinführte und dem wir folgten. Später öffnete sich die früher mehrfach erwähnte Seitenschlucht, die wir emporritten, bis sie sich teilte. Da stiegen wir ab und kletterten, die Pferde nachführend, in dem felsigen Gerinne empor bis zu der scharfkantigen Höhe, über welche man hinüber mußte.
Ich war der letzte, mit Absicht natürlich; Gates stieg voran. Er blieb einige Male halten, um über die Beschreibung nachzudenken, die Santer ihm von der Örtlichkeit gegeben hatte, und traf dann stets das Richtige; er besaß ein gutes Gedächtnis. Dann ging es jenseits hinab und grad durch den Wald, bis die Bäume auseinandertraten. Da hielt Gates die Schritte an und rief aus:
»Richtig getroffen, ganz richtig! Da stehen die beiden Gräber. Seht ihr sie? Wir sind an Ort und Stelle. Nun braucht bloß Mr. Santer noch zu kommen.«
Ja, wir waren da! Da stand das Grabmal Intschu tschunas, des einstigen Häuptlings der Apachen, der mit einem mehrfachen Steinmantel umgebene Erdhaufen, in dessen Innern er ruhte, auf seinem Pferde, mit seinen Waffen, außer der Silberbüchse, und seiner Medizin. Und daneben befand sich die Steinpyramide mit dem aus ihrer Spitze ragenden Gipfel des Baumes, an dessen Stamme sitzend Nscho-tschi den letzten Schlummer schlief. Ich war mit Winnetou während unserer Streifzüge einige Male hier gewesen, um das Andenken der beiden geliebten Toten zu ehren, und kam nun ohne ihn, der inzwischen auch von mir geschieden war. Er hatte den ihm so teuern Ort auch ohne mich besucht, wenn ich mich in andern Ländern befand. Welche Gedanken mochten da hinter seiner Stirn gewohnt, welche Gefühle sein Herz bewegt haben! Santer und Rache! Dieser Mann und dieses Verlangen nach Wiedervergeltung hatten einst sein ganzes Innere eingenommen. Auch später noch?
Es war ihm nicht gelungen, des Täters in der Weise habhaft zu werden, daß er ihn bestrafen konnte. Jetzt stand ich hier und erwartete den Mörder. War ich nicht der wohlberechtigte Erbe meines Freundes, der Erbe seiner Rache? Hatte nicht der heiße Wunsch nach Vergeltung auch in mir gelebt? War es nicht eine Versündigung gegen ihn und die beiden Toten, wenn ich Santer hier in meine Hand bekam und seiner schonte? Aber da hörte ich im Geiste seine letzten Worte: »Schar-lih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl!« Leider klang auch eine andere Stimme an mein Ohr, die Stimme Gates', welche mir zurief:
»Was steht Ihr denn da und starrt die beiden Erdhaufen an! Sehr Ihr vielleicht die Geister schon, vor denen Ihr Euch ängstiget? Wenn das beim hellen Tag geschieht, wie soll das erst am Abend und in der Nacht werden!«
Ich antwortete nicht, führte mein Pferd auf die Lichtung, sattelte und zäumte es ab, gab es frei und machte mich dann, meiner Gewohnheit gemäß, daran, die Umgebung abzusuchen. Als ich zurückkehrte, hatten die drei Gefährten es sich bequem gemacht. Sie saßen an dem Grabmal des Häuptlings, grad an der Stelle, wo ich graben wollte.
»Wo lauft Ihr denn herum?« fragte Gates. »Habt wohl schon nach Nuggets gesucht? Das laßt bleiben! Es wird nur gemeinschaftlich gesucht, damit nicht Einer die Stelle finden und sie den Andern verheimlichen kann.«
Dieser Ton behagte mir nicht. Sie wußten zwar nicht, wer ich war, aber in solcher Weise durfte ich doch nicht mit mir sprechen lassen; darum antwortete ich mit derjenigen Schärfe, deren ich mich, ohne zu beleidigen, bedienen zu können glaubte:
»Fragt Ihr nur aus Neugierde, Sir, oder weil Ihr glaubt, mich kommandieren zu dürfen? Für beide Fälle mache ich Euch darauf aufmerksam, daß ich die Jahre hinter mir habe, in denen man sich schulmeistern läßt.«
»Schulmeistern? Mr. Jones, was wollt Ihr damit sagen?«
»Daß ich mich für einen selbständigen Menschen halte.«
»Das seid Ihr eben nicht. Von dem Augenblicke an, wo Ihr Euch uns angeschlossen habt, seid Ihr Mitglied unserer Gesellschaft geworden, und kein Glied eines Ganzen kann sich selbständig nennen.«
»Braucht sich aber auch nicht dominieren zu lassen!«
»Doch! Einen muß es geben, nach welchem sich die Andern zu richten haben.«
»Haltet Ihr Euch für diesen Einen?«
»Ja.«
»So befindet Ihr Euch im Irrtume. Wenn es unter uns Einen geben soll, auf den die Andern zu hören haben, so kann das nur Santer sein.«
»Der ist nicht da. Unterdessen vertrete ich seine Stelle.«
»Aber nicht in Beziehung auf mich. Ihr dürft nicht vergessen, daß Santer mich noch gar nicht engagiert hat; ich bin also noch nicht Mitglied eurer Gesellschaft.«
»So laßt auch das Spüren hier herum! Ihr habt kein Recht dazu, wenn Ihr glaubt, noch nicht zu uns zu gehören.«
»Darüber wollen wir uns nicht streiten, Sir. Ich darf wohl gehen, wohin ich will! Ich habe mich entfernt, um nachzusehen, ob wir hier sicher sind. Wenn ihr wirklich so tüchtige Westmänner seid, wie ihr sagt, so müßt ihr wissen, daß man nie im Walde lagert, ohne zu wissen, ob man allein da ist oder nicht. Weil ihr das unterlassen habt, habe ich es getan und damit eigentlich eure Anerkennung verdient, nicht aber den Ton, den Ihr Euch gegen mich erlaubt.«
»Ach! Nach Spuren habt Ihr gesucht?«
»Ja.«
»Versteht Ihr denn, die zu finden?«
»Wahrscheinlich!«
»Ich dachte, Ihr suchtet schon nach Nuggets!«
»So dumm bin ich nicht!«
»Warum wäre das dumm?«
»Weiß ich, nach welcher Seite, in welcher Richtung man von hier aus zu suchen hat? Das weiß nur Santer, vorausgesetzt, daß es wirklich Gold hier gibt, was ich aber sehr bezweifle.«
»Ja, Ihr scheint aus lauter Verdacht, Mißtrauen und Zweifel zusammengesetzt zu sein. Es wäre wirklich besser gewesen, wir hätten Euch gelassen, wo Ihr waret.«
»Meint Ihr? Vielleicht wäre ich der Einzige, welcher das Gold zu finden wüßte, wenn es hier läge. Es ist aber fort.«
»Fort? Wer sagt das?«
»Ich.«
»Warum? Wie könnt Ihr wissen, daß es nicht mehr hier liegt?«
»Der gesunde Menschenverstand sagt es mir. Es ist wirklich zu verwundern, daß ihr, die erfahrenen Westmänner, nicht längst darauf gekommen seid!«
»Sprecht nicht in Rätseln! Redet lieber deutlich! Es hat Gold hier gelegen!«
»Das gebe ich zu.«
»Wer soll es fortgeschafft haben?«
»Winnetou.«
»Ach! Wie kommt Ihr auf diese Idee?«
»Ich möchte lieber fragen, wie es möglich ist, daß ihr nicht auf sie gekommen seid. Nach dem, was ich von Winnetou weiß, war er nicht nur der tapferste, sondern auch der klügste, der listigste Indianer, den es gab.«
»Das wißt nicht nur Ihr, sondern das weiß jedermann.«
»So habt die Güte, einmal nachzudenken! Winnetou ging hierher, um Gold zu holen; er wurde überfallen und erkannte als kluger Mann sofort, daß seinem Geheimnisse nachgespürt worden war. Er mußte annehmen, daß Santer, welcher ihm entkam, später zurückkehren werde, um zu suchen. Was hättet Ihr an seiner Stelle getan, Mr. Gates? Das Gold etwa hier liegen lassen?«
»Alle Teufel!« stieß der Gefragte hervor.
»Nun, so antwortet doch!«
»Das ist allerdings ein Gedanke, aber ein ganz armseliger, miserabler Gedanke!«
»Wenn Ihr Winnetou für einen Idioten gehalten habt, so sucht hier immerhin nach Nuggets; aber werft nicht etwa mir vor, daß ich hinter eurem Rücken danach suche! Eine solche Dummheit laß ich mir nicht nachsagen.«
»Ihr glaubt also, daß nichts zu finden ist?«
»Ich bin überzeugt davon.«
»Warum aber seid Ihr da mit hierhergeritten?«
Da ich ihm die Wahrheit nicht sagen konnte, antwortete ich:
»Weil mir der Gedanke, den ich euch jetzt mitgeteilt habe, eben jetzt erst gekommen ist.«
»Ach, also waret Ihr bis jetzt ebenso dumm wie wir! Ich will zugeben, daß Eure Ansicht etwas für sich hat; aber es läßt sich ebenso viel und auch noch mehr dagegen sagen.«
»Was?«
»Ich bringe nur den einen Punkt: Das Versteck war so gut, daß Winnetou nicht zu befürchten brauchte, daß man es entdecken könne. Ist das etwa nicht möglich?«
»Doch!«
»Schön! Ich könnte noch Anderes gegen Euch vorbringen, will aber darauf verzichten. Warten wir, bis Mr. Santer kommt, was er dazu sagen wird.«
»Wann glaubt Ihr, daß er hier sein kann?«
»Heut noch nicht, aber morgen.«
»Morgen? Das ist unmöglich. Ich kenne zufälligerweise den Saltfork, wohin er ist. Wenn er sich sehr sputet, kann er frühestens übermorgen abends hier eintreffen. Womit verbringen wir bis dahin die Zeit?«
»Mit der Jagd. Wir brauchen Fleisch.«
»Hm! Meint ihr, daß auch ich mit jagen soll?«
Ich sprach diese Frage mit voller Absicht aus; sie sollten gehen und mich allein hier lassen. Leider hatte ich nicht den gewünschten Erfolg, denn er antwortete:
»Ihr würdet uns wahrscheinlich alles verderben. Wir brauchen Euch nicht. Ich gehe mit Clay und denke, daß wir etwas schießen werden. Ihr könnt mit Summer hier bleiben.«
Die beiden Genannten nahmen ihre Gewehre und entfernten sich. Verfolgte Gates etwa im stillen die Politik, mich nicht ohne Aufsicht hier zu lassen? Da hätte er mich aber doch wohl für pfiffiger halten müssen, als er mich zu halten schien. Wenn er glaubte, daß ich ihm die Jagd verderben könne, so dachte er sehr gering von mir, ohne aber einzusehen, welcher Fehler das von ihm war. Er sprach das Wort Fallensteller stets im Tone der Mißachtung aus und war also unerfahren genug, gar nicht zu wissen, daß grad ein Fallensteller es zu gar nichts bringen kann, wenn er nicht ein tüchtiger Schütze, überhaupt ein tüchtiger Westmann ist.
Er lief mit Clay den ganzen Nachmittag im Walde herum, und der ganze Erfolg war, daß sie gegen Abend glücklich ein armes Häschen brachten, an dem sich vier Personen sättigen sollten. Am nächsten Morgen ging er mit Summer fort; ihre ganze Jagdbeute bestand in einigen Wildtauben, die so alt waren, daß sie kaum gegessen werden konnten.
»Wir haben Pech, riesenhaftes Pech,« entschuldigte er sich. »Kein Wild läßt sich sehen!«
»Wenn man das viele Pech, welches ihr habt, braten und verzehren könnte, so wollte ich es loben,« antwortete ich. »Diese Tauben haben jedenfalls schon zu Methusalems Zeiten gelebt; es ist jammerschade, daß sie so jung sterben mußten!«
»Wollt Ihr Euch über mich lustig machen, Sir?«
»Nein, denn Ihr könnt Euch doch denken, daß es meinem Magen gar nicht so scherzhaft zumute ist.«
»So macht's doch besser, wenn Ihr könnt!«
»Well, ich werde einen Braten holen.«
»Und doch keinen bringen!«
»Einen Hasen oder eine vorsündflutliche Taube finde ich allemal!«
Ich nahm meine beiden Gewehre und ging fort. Mich langsam entfernend, hörte ich ihn lachend rufen:
»Da läuft er hin mit seinem Riesenböller. Er wird einige alte Bäume zusammenschießen, aber keine Haare und keine Feder treffen!«
Mehr hörte ich nicht. Wäre ich doch stehen geblieben, um zu horchen! Ich hätte noch mehr gehört, ich hätte etwas gehört, was für mich von großer Wichtigkeit gewesen wäre. Wie ich später erfuhr, waren sie wirklich und vollständig überzeugt gewesen, daß ich nichts treffen würde. Sie wollten mich beschämen und noch einmal ihr Glück versuchen, um mir, der ich nichts brachte, eine reiche Beute vorzeigen und mich auslachen zu können. Darum gingen sie nach mir auch fort, alle drei. Nun war der Platz verlassen, und ich hätte nachgraben können. Ich hätte das Testament Winnetous gefunden, gelesen, in meine Tasche versteckt und wäre immer noch sicher gewesen, irgend ein Wild zu schießen. Es sollte nicht sein!
Sie waren, um zu jagen, gestern und heut den Weg hinabgestiegen, auf dem wir heraufgekommen waren. In dieser Richtung, also nach Süden, hatten sie wohl alles Wild vertrieben. In dieser Überzeugung wendete ich mich nach Norden, die dort liegende Senkung hinab und nach dem Wiesenplane, über welchen wir damals die Kiowas gelockt hatten, um ihnen in der gegenüber sich öffnenden Schlucht eine Falle zu stellen. Hierher war wohl seit Jahren kein Mensch gekommen, so daß ich darauf rechnen konnte, zu einem guten Schusse zu kommen. Aber es war Mittag, also keine günstige Tageszeit, und so konnte ich zufrieden sein, als ich es nach Verlauf von einer Stunde zu zwei fetten Turkeyhennen gebracht hatte. Mit diesen kehrte ich nach dem Lagerplatze zurück.
Als ich dort ankam, war kein Mensch da. Wo steckten die drei? Waren sie nur zum Spaße entschlüpft, um heimlich zu lauschen, was ich bringen würde? Oder waren sie miteinander noch einmal jagen gegangen? Ich rief und bekam keine Antwort.
Ach, wenn sie wirklich fort wären! Aber ich mußte vorsichtig sein und suchte in aller Eile den Umkreis des Platzes ab. Da wurde es mir zur Gewißheit, daß sie sich wirklich entfernt hatten. Jetzt schnell an die Arbeit!
Ich zog das Messer und schnitt genau an der Westseite des Häuptlingsgrabes, hart an dem Rande desselben, ein Stück Rasen aus, um es dann später so wieder einzusetzen, daß von der Nachgrabung nichts zu sehen war. Aber Erdbrocken durften dann nicht umherliegen. Darum breitete ich meine Decke neben mir aus und legte den Boden, den ich aushob, sorgfältig auf dieselbe, um mit ihm das entstehende Loch dann wieder auszufüllen.
Ich arbeitete mit fieberhafter Geschwindigkeit, denn jeder Augenblick konnte die drei zurückbringen. Dabei horchte ich von Zeit zu Zeit, ob ihre Schritte oder Stimmen zu vernehmen seien. Bei der Aufregung, in welcher ich mich befand und die ich nicht ganz zu beherrschen vermochte, war es freilich leicht denkbar, daß meine Ohren nicht mehr die Schärfe besaßen wie dann, wenn ich meine gewöhnliche Ruhe bewahrt hätte.
Das Loch wurde tiefer und tiefer, gewiß über eine Elle tief. Da stieß das Messer auf einen Stein; ich entfernte ihn und einen zweiten, der unter ihm lag, und sah nun einen kleinen, viereckigen und vollständig trockenen Raum, dessen Wände aus glatten Steinen gebildet wurden. Auf dem Boden desselben lag ein starkes, zusammengefaltetes Leder – – das Testament meines Freundes und Bruders Winnetou. Im nächsten Augenblick steckte es in meiner Tasche und ich beeilte mich, das Loch zuzuwerfen.
Dies ging viel rascher als das Ausgraben von statten; ich schüttete die Erde von der Decke nach und nach hinein, stieß sie mit der Faust fest und legte schließlich das ausgestochene Rasenstück obenauf. Kein Mensch konnte nun sehen, daß hier ein Loch gegraben worden war.
Gott sei Dank! Das war gelungen – – wenigstens so dachte ich. Ich horchte. Es ließ sich nicht das geringste Geräusch vernehmen; ich hatte also Zeit, das Leder zu öffnen. Es war mit den Spitzen gegeneinander, wie ein Kuvert, zusammengelegt. Ein zweites lag drin, dessen umgeschlagene Spitzen Winnetou mit Hirschsehne zusammen genäht hatte. Ich schnitt es auf und sah das Testament, welches aus mehreren eng beschriebenen Papierblättern bestand.
Sollte ich es verbergen, oder durfte ich es lesen? So fragte ich mich. Warum es verstecken? Es gab ja gar keinen Grund hierfür. Wenn meine drei Gefährten zurückkehrten und mich lesen sahen, was konnten sie dagegen haben? Wußten sie, was es war? Ein Brief oder sonst etwas, was ich seit langem bei mir trug. Sie hatten nicht einmal das Recht, nach dem Papiere zu fragen. Und wenn sie dies taten, so konnte ich antworten, wie es mir beliebte. Dabei zog, nein, riß es mir förmlich die Augen auf, zu sehen, was Winnetou geschrieben hatte. Ja, geschrieben! Winnetou konnte schreiben. Klekih-petra war, wie in vielem andern, sein Lehrer auch in dieser Fertigkeit gewesen; nur hatte der herrliche Apache wenig Gelegenheit gefunden, sie auszuüben. Er hatte zuweilen eine Bemerkung in mein Notizbuch gemacht; ich kannte also seine Schrift; sie war nicht schön, nicht ausgebildet, aber höchst charakteristisch. Sie glich der Schrift eines vierzehnjährigen Schulknaben, welcher sich Mühe gegeben hat, kalligraphisch zu schreiben.
Ich konnte es doch nicht lassen, setzte mich nieder und schlug die Blätter auseinander. Ja, das war Winnetous Schrift; die Buchstaben von peinlich genau derselben Länge und Lage, nicht wie geschrieben, sondern mit Hingebung einzeln gezeichnet und gemalt. Wo hatte er diese vielen Zeilen wohl geschrieben, und wie lange, wie sehr lange mochte er darüber zugebracht haben. Meine Augen gingen mir über; sie füllten sich mit Tränen. Ich trocknete sie und las:
»Mein lieber, guter Bruder!
Du lebst, und Winnetou, der Dich liebte, ist tot. Doch seine Seele weilt bei Dir; Du hältst sie in Deiner Hand, denn sie steht geschrieben auf diesen Blättern; laß sie auf Deinem Herzen ruhen!
Du sollst den letzten Wunsch Deines roten Bruders erfahren und viele Worte von ihm lesen, die Du nie vergessen wirst; zunächst aber wird er Dir sagen, was am nötigsten ist. Du hast hier nicht das einzige Testament von Winnetou, denn er legte auch eines in die Ohren seiner roten Krieger; dieses hier ist nur für Dich.
Du wirst sehr viel Gold sehen und mit demselben tun, was mein Geist Dir jetzt sagt. Es lag im Nugget-tsil verborgen, doch Santer, der Mörder, trachtete danach. Darum hat Winnetou es fortgeschafft nach dem Deklil-to, wo du einst mit ihm gewesen bist. Erfahre die Stelle, an welcher es sich befindet. Du reitest den Indeltsche-tschil empor bis zu dem Tse-schosch am fallenden Wasser. Dort steigest Du vom Pferde und kletterst – – – –«
Bis hierher hatte ich gelesen, als ich eine Stimme hinter mir hörte:
»Good day, Mr. Shatterhand! Ihr versucht Euch wohl im Buchstabieren?«
Ich wendete mich um und sah, daß ich vorhin die größte Dummheit oder Nachlässigkeit meines Lebens begangen hatte. Zehn Schritte hinter mir hatte ich die Turkeyhennen hingeworfen und auch die Gewehre hingelegt. Ich saß nicht mit dem Rücken, sondern mit der rechten Seite an das Grabmal gelehnt, also mit dem Rücken nach dem Wege, welcher aus dem Tale heraufführte. An dieser unverzeihlichen Stellung war der Eifer für den letzten Willen Winnetous schuld. So hatte ich nicht sehen können, daß der, welcher jetzt zu mir sprach, sich hinter mir zu den Gewehren geschlichen hatte, die mir nun nicht erreichbar waren, denn er stand dort und hatte seine eigene Büchse auf mich angelegt. Ich fuhr mit einem Ruck empor, denn der Mann war kein Anderer als – – – – Santer!
Im nächsten Augenblicke hatte ich beide Hände am – – – ja wo? Am Gürtel, um die Revolver zu ziehen? Ja, das wollte ich, aber als ich vorhin an der Erde kniete, um das Loch zu graben, hatte mich der Gürtel mit den Gegenständen, welche darin steckten, gehindert und gedrückt und ich war im Gefühle der vermeintlichen Sicherheit so unvorsichtig gewesen, ihn abzuschnallen und hinzulegen; nun lag er am Boden und bei ihm auch noch das Messer. Ich war also augenblicklich ohne alle Waffe. Santer sah die nutzlose Bewegung meiner Hände, lachte höhnisch auf und drohte: »Keinen Schritt von der Stelle und keinen Griff nach den Waffen, sonst schieße ich augenblicklich! Es ist mein blutigster Ernst!«
Seine Augen flackerten mich dabei in einer Weise an, die mir sagte, daß ich allerdings sofort eine Kugel aus dem auf mich gerichteten Laufe bekommen würde. Hatte mich sein plötzliches Erscheinen vollständig überrascht, so war ich jetzt doch ebenso vollständig wieder gefaßt; ich stand unbeweglich und blickte ihm kaltblütig ins Gesicht.
»Jetzt endlich bist du mein!« fuhr er fort. »Siehst du meinen Finger am Drücker? Mit der leisesten Berührung blase ich dir eine Kugel ins Gehirn; verlaß dich darauf! Rühr also ja kein Glied, sonst schick ich dich zum Teufel! Mit dir hat man sich vorzusehen. Hast mich wohl nicht erwartet, he?«
»Nein,« antwortete ich ruhig.
»Ja, hast ausgerechnet, daß ich erst morgen abend kommen kann; diese Kalkulation war aber falsch.«
Das wußte er, hatte also mit meinen Gefährten gesprochen. Wo waren sie? Daß sie sich mit hier befanden, hätte mich beruhigt, wenn ich nicht so schon ruhig gewesen wäre. Sie mochten sein, wer, was und wie sie wollten, Mörder waren sie nicht, und ich hatte also wohl nicht zu befürchten, in ihrer Gegenwart von ihm umgebracht zu werden, wenn ich ihn nur jetzt nicht reizte; ich behielt also meine unbewegliche Haltung bei, während er mit dem Ausdrucke des unversöhnlichsten Hasses weiter sprach:
»Ich wollte nach dem Saltfork, um Tangua zu sagen, daß der Apache, der Hund, endlich verendet ist, traf aber zufällig auf eine Schar von Kiowas und bin also eher da. Unten stieß ich auf Gates und hörte von ihm, daß er einen Mr. Jones mitgebracht habe. Ich erfuhr, daß er zwei Gewehre habe, ein großes und ein kleines; das erregte meinen Verdacht; ich ließ mir den Kerl genau beschreiben und wußte nun, woran ich war. Er hatte sich zwar dumm, sehr dumm gestellt, konnte aber kein Anderer als Old Shatterhand sein. Ich stieg herauf, um mich zu verstecken und ihn bei der Rückkehr von der Jagd festzunehmen, doch war er schon da. Du grubst ein Loch, und wir sahen zu. Was ist das für ein Papier in deiner Hand?«
»Eine Schneiderrechnung.«
»Hund, glaube ja nicht, Spaß mit mir machen zu dürfen! Was ist's?«
»Eine Schneiderrechnung. Kommt her, und seht sie an!«
»Werde mich hüten! Muß dich erst fester haben! Was treibst du jetzt hier an den Mugworthills, die der Apache Nugget-tsil nannte?«
»Schatzgräberei.«
»Ah, dachte es mir!«
»Finde aber leider nur Schneiderrechnungen.«
»Werde sie mir genau ansehen. Dich hat der Teufel ja überall, wohin du nicht gehörst; dieses Mal aber hat er es endlich einmal gescheit angefangen. Mit dir ist's aus!«
»Oder mit Euch, denn einer von uns Beiden muß dran glauben; das ist gewiß!«
»Frecher Köter, der du bist! So ein Hund knurrt sogar noch im Sterben! Aber dieses ohnmächtige Zähnefletschen rettet dich nicht. Ich wiederhole: es ist aus mit dir! Und die goldenen Knochen, die du hier ausscharren wolltest, nehmen wir für uns!«
»Nehmt sie immerhin, und beißt Euch an ihnen die Zähne aus!«
»Höhne nicht! Du hast zwar gesagt, daß nichts mehr da sei; aber das Papier in deiner Hand wird uns wohl Auskunft geben.«
»So holt's Euch doch!«
»Ja, ich bekomme es; das werde ich dir gleich beweisen. Merke nur auf, was ich dir sage! Bei der geringsten unerlaubten Bewegung und bei der geringsten Weigerung, mir zu gehorchen, drücke ich los. Bei einem Andern würde ich vielleicht nur drohen, es aber nicht ausführen. Du aber bist ein so gefährlicher Halunke, daß ich unbedingt Ernst machen muß!«
»Das weiß ich selbst gar wohl!«
»Schön, daß du dies zugibst! Also kommt her, und fesselt ihn!«
Diese Worte waren nach der Seite hin gesprochen. Dort hatten Gates, Clay und Summer hinter den Bäumen gesteckt. Sie traten hervor und kamen langsam auf mich zu. Der Erstere sagte, wie sich entschuldigend, indem er einen Riemen aus der Tasche zog:
»Sir, wir haben zu unserem Erstaunen gehört, daß Ihr nicht Jones heißt, sondern Old Shatterhand seid. Warum habt Ihr uns belogen? Ihr wolltet uns betrügen; nun müssen wir Euch binden. Versucht ja keinen Widerstand! Es würde Euch nichts helfen, denn Mr. Santer schießt sofort; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«
»Keine unnützen Redereien!« rief Santer. Und mir befahl er: »Laß das Papier fallen, und gib ihm die Hände hin!«
Er war überzeugt, mich vollständig sicher zu haben; nun aber wußte ich, daß ich nicht ihm, sondern er mir gehören würde; es galt nur, die Situation schnell und kräftig auszunutzen.
»Nun, wird's? Schnell, sonst schieße ich!« gebot mir Santer. »Fort mit dem Papiere!«
Ich ließ es fallen.
»Her mit den Händen!«
Ich hielt, scheinbar gehorsam, Gates die Hände hin, doch so, daß er, als er sie zusammenbinden wollte, zwischen mich und Santer zu stehen kam.
»Weg dort, weg! Ihr steht ja meinem Gewehre im Wege!« rief dieser ihm zu. »Wenn ich schießen will, so –«
Er kam nicht weiter in seiner Rede, denn er wurde auf eine sehr unzarte Weise von mir unterbrochen. Anstatt mich binden zu lassen, faßte ich Gates beim Leibe, hob ihn empor und schleuderte ihn auf Santer, der zwar zur Seite springen wollte, doch zu spät; er wurde niedergerissen und das Gewehr ihm aus der Hand geschleudert. Im Nu war ich auch dort und kniete auf ihm. Ein Fausthieb betäubte ihn für kurze Zeit. Dann erhob ich mich ebenso schnell und donnerte die Drei an:
»Da der Beweis, daß ich wirklich Old Shatterhand bin! Ihr habt euch an mir vergreifen wollen. Augenblicklich fort mit euern Waffen, sonst schieße ich! Laßt sie fallen! Auch bei mir ist es Ernst!«
Ich hatte Santer seinen Revolver aus dem Gürtel gerissen und richtete ihn auf die drei ›richtigen Westmänner‹, die sofort gehorchten.
»Setzt euch nieder, dort an das Grab der Häuptlingstochter – schnell, schnell!«
Sie gingen und setzten sich. Ich hatte ihnen grad diesen Platz angewiesen, weil ihnen da keine Waffe nahe lag.
»Nun bleibt ruhig sitzen! Es soll euch nichts geschehen, denn ihr seid getäuscht worden. Aber ein Versuch zur Flucht oder Gegenwehr kostet euch augenblicklich das Leben!«
»Das ist ja schrecklich, ganz entsetzlich!« klagte Gates, indem er sich die Glieder rieb. »Das war ja grad, als ob ein Ball durch alle Lüfte flöge. Ich glaube, ich habe verschiedenes gebrochen!«
»Ist Eure eigene Schuld. Sorgt nun dafür, daß es nicht gar noch schlimmer kommt! Woher hattet Ihr den Riemen?«
»Von Mr. Santer!«
»Habt Ihr noch mehr?«
»Yes.«
»Gebt sie her!«
Er zog sie aus der Tasche und gab sie mir. Ich band mit ihnen Santers Füße zusammen und die Hände auf den Rücken.
»So, der liegt fest,« lachte ich vergnügt. »Soll ich etwa Euch auch fesseln?«
»Danke, Sir!« antwortete Gates. »Habe genug, vollständig genug. Werde hier ganz ruhig sitzen bleiben, so lange es Euch gefällt!«
»Daran tut Ihr sehr wohl, denn wie Ihr seht, verstehe ich keinen Spaß!«
»Danke überhaupt für allen Spaß! Und da hat man Euch für einen Fallensteller gehalten!«
»Dieser Irrtum war gar nicht groß, denn zu einem tüchtigen Trapper gehört viel mehr, als ihr zu ahnen scheint. Wie steht es denn mit eurer Jagd? Habt ihr etwas geschossen?«
»Nicht die sauere Bohne!«
»Da seht euch die zwei Hennen an; die habe ich gebracht. Wenn ihr euch gut betragt, könnt ihr sie nachher braten und mitessen. Hoffentlich werdet ihr bald einsehen, daß ihr diesen Santer für einen ganz andern Menschen gehalten habt, als er ist. Es gibt keinen größern Schuft unter der Sonne als ihn. Ihr werdet es gleich hören, denn ich sehe, daß er erwacht.«
Santer bewegte sich; er kam zu sich und schlug die Augen auf. Er sah, daß ich vor ihm stand und meinen Gürtel umschnallte. Er sah auch seine drei Gefährten, welche waffenlos am Grabmale der Indianerin saßen, und rief erschrocken:
»Was ist das? Ich – – ich – – bin gefesselt!«
»Ja, Ihr seid gefesselt,« nickte ich. »Die Lage ist auf ganz gemütliche Weise eine andere geworden. Ich hoffe, daß Ihr nichts dagegen habt.«
»Hund!« knirschte er wütend.
»Pst! Verschlimmert Euer Schicksal nicht!«
»Hol dich der Teufel, Schuft!«
»Ich warne Euch noch einmal! Vorhin habe ich mir Euer Du ruhig gefallen lassen, denn die Klugheit gebot mir das. Es wäre auch klug von Euch, höflicher zu sein.«
Er sah forschend zu seinen Kameraden hinüber und rief ihnen zu:
»Habt ihr etwa geplaudert?«
»Nein,« antwortete Gates.
»Das will ich euch auch raten!«
»Was ist's? Was sollen sie nicht plaudern?«
»Nichts!«
»Oho! Heraus mit der Sprache, sonst öffne ich Euch den Mund! Also?«
»Es ist wegen dem Golde,« antwortete er gezwungenerweise, wie es schien.
»Wieso wegen dem Golde?«
»Wo ich denke, daß es liegt; ich habe es ihnen vorhin gesagt. Ich dachte, sie hätten es ausgeplaudert.«
»Ist das wahr?« fragte ich Gates.
»Ja,« war seine Antwort.
»Er meint wirklich nichts anderes?«
»Nein.«
»Seid aufrichtig! Ich mache Euch darauf aufmerksam, daß Ihr durch eine etwaige Unwahrheit oder Hinterlist nicht mich, sondern Euch selbst in Schaden bringt.«
Er zögerte einige Augenblicke und versicherte dann im Tone der Aufrichtigkeit:
»Ihr könnt es glauben, Sir, daß es keine Lüge ist. Er meinte nur das Gold.«
»Ich glaube es trotzdem nicht. Eure Aufrichtigkeit ist eine falsche, und in seinem Gesichte lauert die Hinterlist. Ihr werdet aber dadurch nichts erreichen. Ich fordere Euch nochmals auf, mir die Wahrheit zu sagen, Mr. Gates. Hat Santer mit euch von den Kiowas gesprochen, als er euch unten im Tale traf?«
»Ja.«
»War er allein?«
»Ja.«
»Hat er die Roten wirklich getroffen?«
»Ja.«
»Und ist infolgedessen nicht am Saltfork gewesen?«
»Er war nicht dort.«
»Ist es eine bedeutende Schar gewesen?«
»Sechzig Krieger.«
»Wer führte sie an?«
»Pida, der Sohn vom Häuptling Tangua.«
»Wo sind sie jetzt?«
»Heim in ihr Dorf.«
»Das ist keine Lüge?«
»Es ist so, wie ich sage, Sir!«
»Ganz wir Ihr wollt, Mr. Gates. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, oft aber auch seine Hölle. Wenn Ihr mich anlügt, werdet Ihr es später sehr bereuen. Was das Gold anbetrifft, so ist Euer Ritt hierher ein vergeblicher gewesen. Ihr findet nichts, denn es liegt nichts da.«
Ich hob das Testament Winnetous auf, welches noch an der Erde lag, legte es in die beiden Lederumschläge und steckte es ein.
»Es scheint, Mr. Santer weiß das doch besser als Ihr,« entgegnete Gates.
»Er weiß noch weniger als nichts.«
»Wißt Ihr denn, wo es liegt?«
»Vielleicht.«
»So sagt es uns!«
»Das ist mir verboten.«
»Da habt Ihr es, Sir! Ihr seid zu unserm Schaden und nicht zu unserm Nutzen.«
»Das Gold gehört euch nicht.«
»Es wird uns aber gehören, denn Mr. Santer wird es uns zeigen und es mit uns teilen.«
»Er, der jetzt mein Gefangener ist?«
»Was könnt Ihr ihm tun? Er wird seine Freiheit wieder erlangen.«
»Schwerlich. Er wird vielmehr seine Taten mit dem Leben bezahlen müssen.«
Da ließ Santer ein höhnisches Gelächter hören; darum wandte ich mich ihm zu und sagte:
»Es wird Euch später nicht so sehr zum Lachen sein wie jetzt! Was meint Ihr wohl, daß ich mit Euch tue?«
»Nichts,« grinste er mich an.
»Wer hindert mich, Euch eine Kugel in den Kopf zu jagen!«
»Ihr selbst. Man weiß ja, daß Old Shatterhand sich fürchtet, einen Menschen zu töten!«
»Ich bin allerdings kein Mörder, das ist richtig. Ihr habt den Tod vielfach verdient. Noch vor wenig Wochen hätte ich Euch unbedingt erschossen, falls ich auf Euch getroffen wäre; aber Winnetou ist tot, ist als Christ gestorben; mit ihm soll auch die Rache begraben sein.«
»Führt keine solche schönen Reden! Ihr könnt nicht, wie Ihr wollt, das ist's!«
Das war eine Unverschämtheit, welche geradezu ins Grenzenlose ging! Ich konnte sie nur mit seiner Verstocktheit erklären, denn ich wußte nicht, was er wußte. Demnach sagte ich ihm im ruhigsten Tone:
»Lästert mich immerhin! Ein Mensch Euern Schlages kann mich nicht in Zorn bringen. Ich habe allerdings gesagt, daß die Rache mit Winnetou begraben sein soll; aber zwischen Rache und Strafe ist ein Unterschied. Das Christentum kennt zwar keine Rache, doch um so strenger verlangt es die Bestrafung jeder Schuld. Auf jedes Verbrechen soll die Sühne folgen. Ich werde mich also nicht an Euch rächen, aber Eurer Strafe dürft Ihr dennoch nicht entgehen.«
»Pshaw! Nennt es Strafe oder Rache; es ist ganz dasselbe. Lächerlich! Ihr wollt Euch nicht rächen, aber Ihr wollt mich bestrafen, wahrscheinlich mich ermorden. Mord ist Mord. Brüstet Euch doch nicht mit Eurem Christentum!«
»Ihr irrt. Es fällt mir nicht ein, mich an Euerm Leben zu vergreifen. Ich werde Euch nach dem nächsten Fort transportieren und dort dem Richter übergeben.«
»Ah, wollt Ihr das? Wirklich?«
»Ja.«
»Wie wollt Ihr das denn anfangen, Sir?«
»Das ist meine Sache!«
»Wohl auch die meinige, denn ich denke, daß ich auch dabei sein muß. Wahrscheinlich wird es umgekehrt, nämlich so, daß ich Euch transportiere und nicht Ihr mich. Und weil ich kein so frommer Christ bin, wie Ihr seid, wird es mir dann nicht einfallen, auf meine Rache zu verzichten. Sie ist schon da, schon da! Seht, wie sie kommt!«
Er stieß diese Worte überlaut frohlockend aus, und dieser sein Jubel war nicht unbegründet, denn er wurde noch übertäubt von einem Geheule, welches in diesem Augenblicke ringsum, auf allen Seiten erscholl, und zu gleicher Zeit tauchten von rechts und links, von vom und hinten zahlreiche rote, mit den Kriegsfarben der Kiowas bemalte Gestalten auf, welche schlangengleich herbeigeschnellt kamen und mich in ihre Mitte nahmen.
Ich war von Gates belogen worden; Santer hatte die Kiowas nach dem Nugget-tsil gebracht. Sie hatten, als sie von ihm die Nachricht vom Tode Winnetous vernahmen, sich sofort entschlossen, die Feier dieses ihnen so willkommenen Ereignisses da vorzunehmen, wo sein Vater und seine Schwester begraben lagen. Das war so recht indianisch und paßte genau zur Denkweise des Mörders, dem noch die Freude widerfahren sollte, mich, den Freund Winnetous, hier in den Mugworthills in seine Hand zu bekommen.
Der Überfall brachte mich, so plötzlich er kam, keineswegs aus der Fassung. Im ersten Augenblicke war ich entschlossen, mich zu verteidigen, und zog die Revolver; aber als ich mich von sechzig Kriegern eingeschlossen sah, steckte ich sie wieder in den Gürtel. Flucht war unmöglich und Widerstand vergeblich; er konnte meine Lage nur verschlimmern. Das einzige, was ich tat, bestand darin, daß ich diejenigen, welche mir am nächsten standen und ihre Hände nach mir ausstreckten, zurückstieß und mit lauter Stimme erklärte:
»Old Shatterhand gibt sich den Kriegern der Kiowas gefangen. Ist ihr junger Häuptling da? Ihm, aber auch nur ihm, werde ich mich freiwillig ausliefern.«
Die Roten ließen von mir ab und sahen sich nach Pida um, welcher an dem Angriffe auf mich nicht teilgenommen hatte und abwartend unter den nächsten Bäumen stand.
»Freiwillig?« höhnte Santer. »Dieser Kerl, der sich so hochtönend Old Shatterhand nennt, braucht gar nicht von freiem Willen zu reden. Er muß sich ergeben, sonst wird er niedergeschlagen. Immer drauf auf ihn!«
Er hütete sich aber sehr, mich selbst anzugreifen. Die Kiowas gehorchten seinem Rufe und drangen wieder auf mich ein, doch nicht mit den Waffen, sondern mit den Händen, denn sie wollten mich nicht tot, sondern lebendig in ihre Gewalt bekommen. Ich wehrte mich nach Kräften gegen sie und schlug mehrere nieder, hätte aber der großen Übermacht natürlich nicht standhalten können, wenn Pida nicht jetzt befohlen hätte:
»Halt, laßt von ihm ab! Er will sich mir ergeben, und euer Angriff ist also ohne Nutzen!«
Sie wichen von mir zurück; da rief Santer in zornigem Tone:
»Warum soll er geschont werden? Er mag so viele Hiebe und Stöße bekommen, wie Arme und Fäuste da sind. Immer drauf! Ich befehle es!«
Da trat der junge Häuptling auf ihn zu und sagte unter einer nicht sehr achtungsvollen Handbewegung gegen ihn:
»Du willst hier befehlen. Weißt du denn nicht, wer der Anführer dieser Krieger ist?«
»Du.«
»Und was bist denn du?«
»Der Freund der Kiowas, dessen Wille doch hoffentlich etwas zu gelten hat!«
»Ein Freund? Wer hat dir das gesagt?«
»Dein Vater.«
»Das ist nicht wahr; Tangua, der Häuptling der Kiowas, hat gegen dich nie das Wort Freund gebraucht. Du bist weiter nichts als ein Bleichgesicht, welches bei uns nur geduldet wird.«
Gern hätte ich die kurze Zeit dieses Wortwechsels dazu benutzt, mich plötzlich durchzuschlagen und zu entspringen; es wäre mir vielleicht auch gelungen, denn die Roten richteten ihre Aufmerksamkeit mehr auf Santer und Pida, als auf mich, aber ich hätte meine Gewehre zurücklassen müssen, und das wollte ich nicht. Nun kam Pida auf mich zu und sagte:
»Old Shatterhand will mein Gefangener sein. Wird er freiwillig alles hergeben, was er bei sich hat?«
»Ja,« antwortete ich.
»Und sich binden lassen?«
»Ja.«
»So gib mir deine Waffen!«
Es war mir im stillen eine Genugtuung, daß er mich so fragte, denn dies war ein Zeichen, daß er Angst vor mir hatte. Ich gab ihm die Revolver und das Messer. Santer nahm den Henrystutzen und den Bärentöter zu sich. Pida sah dies und fragte ihn:
»Warum vergreifst du dich an diesen Gewehren? Leg sie wieder hin!«
»Kann mir nicht einfallen! Sie sind mein.«
»Sie gehören mir!«
»Nein, sondern mir!« behauptete er.
»Sie sind das Eigentum Old Shatterhands gewesen, der sich mir ergeben hat; also sind sie mit ihm mein Eigentum geworden!«
»Wem hast du es zu verdanken, daß du ihn gefangen hast? Nur mir. Er befand sich schon in meiner Gewalt; er gehört mir und mit ihm alles, was er besitzt. Ich verzichte weder auf ihn noch auf diesen berühmten Henrystutzen.«
Da erhob Pida drohend die Hand und befahl:
»Leg sie wieder hin, augenblicklich!«
»Nein!«
»Nehmt sie ihm!« gebot der junge Häuptling seinen Leuten.
»Wollt ihr euch etwa an mir vergreifen?« fragte Santer, indem er die Haltung eines Mannes annahm, der sich verteidigen will.
»Nehmt sie ihm!« wiederholte Pida.
Da warf Santer, als er sah, wie viele Hände sich nach ihm ausstreckten, die Waffen weg und erklärte:
»Da sind sie! Da habt ihr sie, doch nicht für immer! Ich werde mich bei Tangua beschweren.«
»Tu das!« antwortete Pida mit hörbarer Verachtung.
Die beiden Gewehre wurden ihm gebracht, und ich mußte meine Hände herhalten, um sie mir zusammenbinden zu lassen. Während dies geschah, kam Santer herbei und sagte:
»So behaltet in Teufels Namen die Gewehre, aber alles andere, was in seinen Taschen steckt, ist mein, besonders was er hier – – – –!«
Er streckte die Hand nach der Tasche aus, in welche ich den letzten Willen Winnetous gesteckt hatte.
»Zurück!« herrschte ich ihn an.
Er fuhr bei diesem meinem Tone allerdings erschrocken zurück, faßte sich aber schnell und grinste mir in höhnischem Tone zu:
»Alle Wetter, ist das eine Dreistigkeit von dem Kerl! Ist gefangen und weiß, daß er auf dem letzten Loche pfeift, und fährt mich doch an, wie ein Kettenhund! Das hilft dir nichts. Ich will wissen, was du da ausgegraben und vorhin gelesen hast.«
»Versuche, es mir zu nehmen!«
»Das werde ich freilich tun! Ich gebe gern zu, daß es dich außerordentlich kränken muß, wenn ich diesen Schatz in meine Hand bekomme, aber du wirst dich darein ergeben müssen.«
Er trat wieder näher und griff mit beiden Händen zu. Noch waren mir die Hände nicht vollständig zusammengebunden; der Riemen war mir erst um das eine Handgelenk geknotet worden und sollte nun noch um das andere geschlungen werden. Ich machte mir mit einem schnellen, kräftigen Rucke die Arme frei, nahm mit der linken Santer bei der Brust und schlug ihm die rechte Faust auf den Kopf, daß er zusammenbrach und regungslos wie ein Klotz liegen blieb.
»Uff, uff, uff!« riefen die Roten ringsum.
»Nun bindet mich wieder,« sagte ich, indem ich die Hände wieder hinhielt.
»Old Shatterhand hat seinen Namen in der Tat,« lobte mich der junge Häuptling. »Was ist es, was dieser Santer von dir haben will?«
»Ein beschriebenes Papier,« antwortete ich; was es eigentlich war, durfte ich nicht sagen.
»Er sprach doch von einem Schatze!«
»Pshaw! Er weiß ja noch gar nicht, was auf dem Papiere steht. Wessen Gefangener bin ich denn eigentlich, der deinige oder der seinige?«
»Du bist mein.«
»Warum duldest du da, daß er sich an mir vergreift, um mich zu berauben?«
»Die roten Krieger wollen nur deine Waffen haben; alles andere können sie nicht brauchen.«
»Ist das ein Grund, es diesem Kerl zu geben? Ist Old Shatterhand ein Knabe, dem jeder Lump die Taschen leeren darf? Ich habe mich dir übergeben und dich dadurch als Krieger und Häuptling geehrt; willst du nun vergessen, daß ich auch ein Krieger bin, von dem sich dieser Santer nur Fußtritte holen kann?«
Der Indianer ehrt den Mut und den Stolz selbst an seinem ärgsten Feinde; ich war nicht als eine Memme bekannt und hatte Pida damals, als ich ihn aus seinem Dorfe entführte, um Sam zu retten, schonungsvoll behandelt; darauf rechnete ich, und es zeigte sich gleich, daß ich mich nicht in ihm getäuscht hatte, denn er antwortete, indem sein Blick gar nicht feindlich an mir niederglitt:
»Old Shatterhand ist der tapferste unter allen weißen Jägern; der aber, den du niedergeschlagen hast, besitzt zwei Zungen, von denen jede anders redet, und zwei Gesichter, welche bald so und bald anders aussehen: er soll nicht in deine Taschen greifen dürfen.«
»Ich danke dir! Du bist wert, ein Häuptling zu sein, und wirst dereinst zu den berühmtesten Kriegern der Kiowas gehören. Ein edler Krieger tötet den Feind, aber er erniedrigt ihn nicht.«
Ich sah, wie stolz ihn diese meine Worte machten, und es klang beinahe in bedauerndem Tone, als er sagte:
»Ja, er tötet den Feind. Old Shatterhand wird sterben müssen, und nicht bloß sterben; er wird sehr gemartert werden.«
»Martert mich, und tötet mich; ihr werdet keine Klage aus meinem Munde hören; aber diesen Kerl, den haltet fern von mir!«
Als mir die Hände zusammengebunden waren, mußte ich mich niederlegen, worauf man mir auch um die Fußgelenke einen Riemen schlang. Unterdessen erholte sich Santer aus seiner Betäubung; er stand auf, kam zu mir heran, versetzte mir einen Fußtritt und schrie dabei:
»Du hast mich geschlagen, Hund! Das sollst du büßen; ich erwürge dich!«
Er bückte sich nieder, um mir mit beiden Händen nach dem Halse zu greifen.
»Halt, rühre ihn nicht an!« rief Pida ihm zu. »Ich verbiete es dir!«
»Du hast mir nichts zu verbieten! Dieser Hund ist mein Todfeind und hat es gewagt, mich zu schlagen; dafür soll er jetzt erfahren, wie – – – –«
Er kam in seiner Rede nicht weiter, denn ich zog, ohne daß er so etwas erwartet hatte, plötzlich die Knie an den Leib und gab ihm mit den Füßen einen so gewaltigen Stoß, daß er weit fortgeschleudert wurde und, sich nach hinten überschlagend, wieder zu Boden stürzte. Jetzt brüllte er vor Grimm wie ein wildes Tier; er wollte schnell aufspringen, um sich wieder auf mich zu werfen, brachte dies aber nicht fertig. Seine Glieder schmerzten ihn; er kam nur langsam auf, verzichtete aber nicht auf augenblickliche Rache, sondern zog seinen Revolver, richtete ihn auf mich und schrie:
»Deine letzte Stunde ist gekommen, du Hund. Fahr zur Hölle, wo du hingehörst!«
Der ihm nächststehende Indianer faßte ihn bei der Hand; darum ging, als er doch abdrückte, die Kugel fehl.
»Was hinderst du mich?« fuhr er den Roten an. »Ich kann tun, was ich will, und dieser Hund, der mich erst geschlagen und dann getreten hat, muß sterben.«
»Nein, du darfst nicht tun, was du willst,« erklärte Pida, indem er zu ihm trat und ihm warnend die Hand auf den Arm legte. »Old Shatterhand gehört mir, und niemand sonst darf ihn berühren. Sein Leben ist mein Eigentum, und kein Anderer darf es ihm nehmen.«
»Aber ich habe eine Rache gegen ihn, welcher er schon längst verfallen ist!«
»Das geht mich nichts an; du hast meinem Vater, dem Häuptling, einige Dienste erwiesen, für welche er dir erlaubt, bei uns zu sein; das ist aber auch alles! Nimm dir nicht zu viel heraus! Ich sage dir: Wenn du dich an Old Shatterhand vergreifest, so stirbst du von dieser meiner eigenen Hand!«
»Was soll denn eigentlich mit ihm geschehen?« fragte er eingeschüchtert.
»Das werden wir beraten.«
»Was gibt es da erst zu beraten! Was ihr zu tun habt, ist doch klar!«
»Was?«
»Ihn töten.«
»Das wird geschehen.«
»Aber wann? Ihr seid hierher gekommen, um den Tod Winnetous, eures größten Feindes, zu feiern. Wie könnt ihr das besser tun als dadurch, daß ihr grad hier an dieser Stelle Old Shatterhand zu Tode quält, der sein bester Freund gewesen ist!«
»Das dürfen wir nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil wir ihn nach unserm Dorfe schaffen müssen.«
»Oh! Nach eurem Dorfe? Wozu das?«
»Um ihn Tangua, meinem Vater, zu bringen. Old Shatterhand hat ihm einst beide Knie zerschmettert und gehört also ihm. Tangua hat zu bestimmen, auf welche Weise er sterben soll.«
»Unsinn! Ihn erst nach eurem Dorfe schaffen! Das ist eine Dummheit, wie es gar keine größere geben kann!«
»Schweig! Pida, der junge Häuptling der Kiowas, begeht keine Dummheiten!«
»Es ist doch eine! Siehst du denn nicht ein, warum?«
»Nein.«
»Hast du denn nicht erfahren, wie oft dieser Old Shatterhand schon gefangen gewesen ist? Und stets hat er es durch seine List fertig gebracht, wieder zu entkommen. Wenn ihr ihn nicht gleich tötet, sondern erst lange mit euch herumschleppt, wird er bald wieder verschwunden sein.«
»Er wird uns nicht entkommen. Wir werden ihn so behandeln, wie ein so berühmter Krieger behandelt werden muß, aber dabei doch so wachsam sein, daß ihm die Flucht unmöglich ist.«
»Alle Teufel! Auch noch ihn wie einen berühmten Mann behandeln! Wollt ihr ihn nicht gar noch mit Girlanden umwickeln und seine Brust mit Orden behängen?«
»Pida versteht nicht, was du meinst; er weiß nicht, was Girlanden und Orden sind; aber das weiß er, daß wir gegen Old Shatterhand anders sein müssen, als wir gegen dich sein würden, wenn du unser Gefangener wärest.«
»Gut, gut! Ich weiß nun, woran ich bin. Ich habe auch Rechte auf ihn, große Rechte; ich wollte euretwegen auf diese Rechte verzichten; sein Leben sollte euch gehören; nun aber denke ich anders. Er gehört mir ebenso gut wie euch, auch wenn ihr denkt, ihn ›als einen berühmten Mann‹ zu behandeln, so werde wenigstens ich desto mehr dafür besorgt sein, daß es ihm nicht allzu wohl geht. Euch mag er täuschen; euch wird er entfliehen; ich aber werde darüber wachen, daß er den Lohn, den er an mir und vielen Andern verdient hat, auch wirklich bekommt. Wenn ihr ihn nach eurem Dorfe schafft, so reite ich mit.«
»Ich kann dir nicht verbieten, mit uns zu kommen, aber ich wiederhole meine Rede: Wenn du dich an ihm vergreifst, so erleidest du den Tod durch meine eigene Hand! Und nun werden wir darüber beraten, was jetzt geschehen soll.«
»Das bedarf keiner Beratung, ich kann es euch jetzt gleich sagen.«
»Deine Stimme wird nicht gebraucht; du gehörst nicht in die Beratung unsrer alten und weisen Männer.«
Er wendete sich ab und suchte die ältesten unter seinen Kriegern aus; mit diesen setzte er sich abwärts nieder, um sich mit ihnen zu besprechen. Die Andern hockten sich um mich her und flüsterten sich so leise Bemerkungen zu, daß ich sie nicht verstand. Sie waren jedenfalls außerordentlich froh darüber und ebenso stolz darauf, Old Shatterhand gefangen zu haben. Sie wußten, mich tot zu martern, das war für sie eine große Ehre und brachte ihnen einen Ruhm, um den sie sicher jeder andere Stamm beneidete.
Ich tat, als ob ich sie gar nicht beachtete, prüfte aber heimlich jedes einzelne Gesicht und das, was in oder auf demselben geschrieben stand. Das war keine erbitterte, leidenschaftliche und rücksichtslose Feindschaft. Damals, als ich noch keinen Namen besaß und ihren Häuptling so schwer verwundet, ja zum Krüppel geschossen hatte, damals war die Wut, die sie auf mich hatten, geradezu gnadenlos. Seitdem waren Jahre vergangen, und die damalige hochgradige Erbitterung hatte sich gelegt; ich war bekannt geworden und hatte oft und oft bewiesen, daß ein roter Mensch für mich einen ebenso hohen Wert besaß wie ein weißer. Höchstens war es nur Tangua, der Häuptling, welcher mich noch ebenso grimmig haßte wie früher, eine ganz natürliche Folge seiner Gebrechlichkeit, welche er mir zu verdanken hatte; denn daß er eigentlich selbst daran schuld war, das gab er wohl nicht zu.
Daß ich Pida damals gefangen genommen und trotz der zwischen uns herrschenden Feindschaft so schonend behandelt hatte, mußte für mich in die Wagschale fallen; ich war jetzt für die Kiowas wohl mehr der viel besprochene Old Shatterhand, als der Weiße, den ihr Häuptling gezwungen hatte, ihn in die Beine zu schießen. Das sah ich den Blicken an, welche sie auf mich warfen und die ich beinahe respektvoll nennen möchte. Das durfte mich aber ja nicht verführen, in Beziehung auf meine gegenwärtige Lage irgendwelche Hoffnung zu hegen. Sie mochten mich achten, so sehr sie wollten, ich hatte keine Gnade zu erwarten. Ja, einen Andern hätten sie jedenfalls noch eher freigelassen als mich, dessen Gefangennahme und Tötung ihnen den Neid aller andern roten Nationen einbringen mußte. In ihren Augen war ich dem gewissen, unvermeidlichen Tod am Marterpfahl verfallen, und wie ein Weißer in höchster Spannung ins Theater geht, wenn das Werk eines großen Dichters oder Komponisten gegeben wird, grad so und noch begieriger waren sie schon jetzt darauf, zu sehen, wie Old Shatterhand sich bei den Qualen verhalten werde, denen er entgegen ging.
Trotzdem ich mir dies sagte oder sagen mußte, hatte ich nicht die geringste Angst, ja auch nicht einmal Sorge um mich. Welchen Gefahren war ich nicht schon glücklich entgangen! Es war mir auch jetzt gar nicht so zumute, als ob ich mich nun vollständig aufzugeben hätte. Der Mensch muß bis zum letzten Augenblicke hoffen, aber freilich auch all das Seinige dazu beitragen, daß diese Hoffnung in Erfüllung gehe. Wer das nicht tut, der ist allerdings verloren.
Santer hatte sich zu meinen bisherigen drei Gefährten gesetzt und sprach leise und angelegentlich auf sie ein. Ich ahnte, was der Gegenstand seiner Rede war. Auch sie hatten oft von Old Shatterhand gehört; sie wußten, daß ich kein Lump, kein Schurke war, und so konnte sein gegenwärtiges Verhalten zu mir unmöglich einen guten Eindruck auf sie hervorgebracht haben. Dazu kamen die stillen Vorwürfe, die sie sich wahrscheinlich machten. Sie hatten auf seine Veranlassung hin mich nicht nur direkt belogen, sondern mir auch verschwiegen, daß die Indianer gekommen waren. Sie trugen also die eigentliche Schuld an meiner Gefangennahme, und das beunruhigte sie wahrscheinlich, denn sie waren keine ganz schlechten Menschen. Nun gab sich Santer jedenfalls Mühe, ihnen die Angelegenheit in ein solches Licht zu stellen, daß sie ihm keine Vorwürfe machen konnten.
Die Beratung dauerte gar nicht lange. Die Roten, welche an derselben teilgenommen hatten, erhoben sich von ihren Plätzen, und Pida verkündete seinen Leuten:
»Die Krieger der Kiowas werden nicht hierbleiben, sondern nach ihrem Dorfe aufbrechen, sobald sie gegessen haben; sie mögen sich also fertig machen, bald von hier fortzureiten.«
Ich hatte so etwas erwartet, nicht aber Santer, welcher die Sitten und Anschauungen der Indianer nicht so genau kannte wie ich. Er sprang überrascht auf, näherte sich Pida und fragte:
»Fort wollt ihr? Es war aber doch bestimmt, daß wir einige Tage hierbleiben würden!«
»Es ist oft etwas bestimmt worden, was später anders wurde,« antwortete der Häuptling.
»Ihr wolltet den Tod Winnetous feiern!«
»Das werden wir auch tun, nur heut noch nicht.«
»Wann denn?«
»Das werden wir von Tangua erfahren!«
»Aber welchen Grund könnt ihr denn haben, so plötzlich andern Sinnes zu werden?«
»Wir sind dir keine Rechenschaft schuldig; aber ich will es dir dennoch sagen, weil es dabei Old Shatterhand auch mit hört.«
Und mehr zu mir als zu Santer gewendet fuhr er fort:
»Als wir hierherkamen, um uns über den Tod Winnetous, des Häuptlings der Hunde der Apachen zu freuen, ahnten wir nicht, daß uns sein Freund und Bruder Old Shatterhand in die Hände fallen sollte. Dieses wichtige Ereignis ist eingetreten und verdoppelt unsere Freude. Winnetou war unser Feind, aber doch ein roter Mann; Old Shatterhand ist auch unser Feind und dazu ein Bleichgesicht; sein Tod muß noch größern Jubel hervorbringen, als derjenige von Winnetou, und die Söhne und Töchter der Kiowas werden den Tod dieser ihrer beiden berühmtesten Gegner zu gleicher Zeit feiern. Hier steht nur ein geringer Teil unserer Krieger, und ich bin nicht alt genug, um zu bestimmen, wie Old Shatterhand sterben soll. Da muß der ganze Stamm zusammenkommen, und Tangua, der größte und älteste der Häuptlinge, muß seine Stimme erheben, um zu sagen, was geschehen soll. Darum bleiben wir nicht hier, sondern wir beeilen uns, heimzukommen, denn unsere Brüder und Schwestern können nicht früh genug hören, was geschehen ist.«
»Aber es gibt keinen geeigneteren Ort, Old Shatterhand zu Tode zu martern, als den, wo wir uns jetzt befinden! Er, euer Feind, stirbt bei den Gräbern derjenigen, um derentwillen er euer Feind geworden ist!«
»Das weiß ich auch. Aber ist es denn schon fest bestimmt, daß er an einem andern Orte sterben soll? Können wir nicht hierher zurückkehren?«
»Das geht nicht, weil Tangua, der doch dabei sein muß, nicht reiten kann.«
»So läßt er sich von zwei Pferden hertragen. Mag er bestimmen, was er wolle, auf alle Fälle wird Old Shatterhand hier begraben werden.«
»Auch wenn er unten am Salt-Fork sterben muß?«
»Auch dann.«
»Er soll hierher geschafft werden?«
»Ja.«
»Von wem?«
»Von mir.«
»Unbegreiflich! Welchen Grund kann ein vernünftiger roter Krieger dazu haben, sich mit dem Kadaver eines toten, weißen Hundes solche Mühe zu geben!«
»Ich will es dir sagen, damit du Pida, den jungen Häuptling der Kiowas, besser kennen lernst, als du ihn zu kennen scheinst, und damit Old Shatterhand erfährt, wie ich es ihm danke, daß er mich damals nicht getötet, sondern gegen ein Bleichgesicht ausgewechselt hat.«
Und sich abermals mehr an mich als an ihn wendend erklärte er:
»Old Shatterhand ist zwar unser Feind, aber ein edler Feind. Er konnte unten am Rio Pecos Tangua einst erschießen, hat dies aber nicht getan, sondern ihn nur gelähmt. So hat er stets gehandelt; alle roten Männer wissen das und müssen ihn deshalb ehren. Sein Tod ist unvermeidlich; aber er soll den Tod eines großen Helden sterben, indem er uns beweist, daß ihm Martern, die noch kein Mensch erduldet hat, keinen Laut des Schmerzes zu entlocken vermögen. Und dann, wenn er gestorben ist, soll sein Leib nicht im Flusse von den Fischen gefressen oder auf der Prärie von den Wölfen und Geiern zerrissen werden. Ein bewährter Häuptling, wie er ist, muß ein Grab erhalten zu unserer eigenen Ehre, die wir ihn besiegten. Und wo soll dieses Grabmal stehen? Pida hat gehört, daß Nscho-tschi, die schöne Tochter der Apachen, ihm einst ihre Seele schenkte; darum soll seine Leiche neben der ihrigen ruhen, damit sein Geist in den ewigen Jagdgründen mit dem ihrigen sich vereinigen möge. Das ist der Dank, den Pida ihm bringt, dem er das Leben schenkte. Meine roten Brüder haben meine Worte vernommen, sie sind mit mir einverstanden?«
Er sah sich fragend im Kreise der Seinigen um.
»Howgh, howgh, howgh!« erscholl es zustimmend aus aller Mund.
Wahrlich, dieser junge Kiowa war ein ungewöhnlicher und, nach seinen Verhältnissen, ein edler Mensch! Daß er so bestimmt von meinem Martertode sprach, das berührte mich jetzt gar nicht, aber daß dieser Tod ein so fürchterlicher, also ein für mich so ruhmvoller sein sollte, dafür mußte ich ihm dankbar sein, und daß er mich neben Intschu tschuna und Nscho-tschi begraben wollte, das war ein Zug von Zartgefühl, wie man es bei einem Roten gar nicht zu finden glaubt. Während seine Krieger ihr beistimmendes Howgh aussprachen, lachte Santer laut auf und rief mir zu:
»Kerl, da muß man dir ja gratulieren! In den ewigen Jagdgründen mit einer hübschen Indianerin Hochzeit machen, wer es doch auch so gut haben könnte. Ich wollte, ich könnte wenigstens als Gast dabei sein, da ich nicht der Bräutigam sein darf! Willst du mich nicht einladen?«
Ich hätte ihn gar keiner Erwiderung würdigen sollen, antwortete ihm aber doch:
»Eine Einladung ist nicht nötig, denn du wirst noch viel eher dort sein, als ich.«
»Ah, wirklich? Du denkst also an Flucht? Gut, daß du das so offen sagst; ich werde dich festhalten; darauf kannst du dich verlassen!«
Jetzt brachen die Indianer auf, um in das Tal hinabzusteigen, wo sie ihre Pferde gelassen hatten. Man gab mir die Füße frei, band mich aber an zwei Rote, zwischen denen ich gehen mußte. Pida hing sich meine beiden Gewehre über. Santer folgte mit den drei andern Weißen, welche ihre Pferde führten, denn wir hatten unsere Tiere mit heraufgenommen; das meinige nahm ein Kiowa am Zügel.
Unten angekommen, wurde wieder gelagert. Die Indsmen brannten einige Feuer an und brieten sich Wildbret, welches sie mitgebracht hatten. Sie hatten auch Dürrfleisch in ihren Sattelsäcken. Ich bekam ein vortreffliches und so großes Stück, daß ich es kaum aufessen konnte, verzehrte es aber doch, denn es lag mir sehr daran, gut bei Kräften zu bleiben. Man mußte mir, damit ich essen könne, die Hände freigeben, bewachte mich aber während dieser kurzen Zeit so gut, daß mir ein Fluchtgedanke gar nicht kommen konnte. Dann, als gegessen worden war, wurde ich auf mein Pferd festgebunden, und der Ritt nach dem Dorfe der Kiowas begann.
Draußen auf der Ebene angekommen, drehte ich mich im Sattel um, um noch einen Scheideblick auf den Nugget-tsil zu werfen. Ob ich die Gräber Intschu tschunas und seiner Tochter wiedersehen würde? Hoffentlich! Denn wenn man mich als Leiche zurückbrachte, konnte ich nicht mehr sehen.
Der Weg von hier nach dem Dorfe am Salt-Fork des Red River ist bekannt; ich brauche ihn nicht zu beschreiben; auch geschah unterwegs nichts, was des Erwähnens wert wäre. Die Roten bewachten mich außerordentlich scharf, und wenn sie dies nicht getan hätten, so wäre mir die Flucht doch nicht möglich geworden, weil Santer sein Wort hielt und dafür sorgte, daß ich nicht die geringste Gelegenheit dazu bekam. Er gab sich alle Mühe, mir den Ritt so schwer wie möglich zu machen, mir Unbequemlichkeiten zu bereiten und mich zu ärgern. Was das letztere, nämlich den Ärger betrifft, so waren seine Anstrengungen vergeblich, denn es fiel mir nicht ein, mich durch die höhnischen Reden, mit denen er mich fort und fort überschüttete, aufregen zu lassen; ich setzte ihm den unerschütterlichsten Gleichmut entgegen und tat ihm nicht ein einziges Mal den Gefallen, ihm eine Antwort zu geben. Und seine anderen Bemühungen wurden von Pida zurückgewiesen, welcher nicht duldete, daß mir meine Lage peinlicher gemacht wurde, als unbedingt notwendig war.
Gates, Clay und Summer wurden von den Indsmen fast gar nicht beachtet; sie mußten sich an Santer halten. Ich bemerkte gar wohl, daß sie gern einmal mit mir gesprochen hätten, was ihnen von Pida wahrscheinlich nicht verboten worden wäre, doch Santer wußte es stets zu verhindern. Es lag ihm natürlich sehr viel daran, zu verhüten, daß ich Gelegenheit fand, sie aufzuklären. Übrigens behandelte er sie keineswegs als gute Kameraden. Sie hätten ihm helfen sollen, nach dem Golde zu suchen, und ich war vollständig überzeugt, daß er sich ihrer, sobald es gefunden worden war, unbedingt entledigt hätte; er wäre, wenn es hätte sein müssen, selbst vor einem dreifachen Morde nicht zurückgeschreckt. Jetzt aber hatte sich die Situation verändert. Sie hatten ihm jedenfalls mitgeteilt, daß ich der Meinung gewesen war, Winnetou habe die Nuggets fortgeschafft, und die Blätter, die er in meinen Händen gesehen hatte, mußten in seinen Augen ein Beweis dafür sein, daß diese Meinung das Richtige traf. Wenn aber das Gold weg war, so war es vergeblich, nach demselben zu suchen, und er hatte keine Leute mehr nötig, die ihm dabei helfen sollten. Darum waren Gates, Clay und Summer ihm jetzt eine Last, welche er am liebsten abgeschüttelt hätte. Aber wie? Konnte er sie einfach fortschicken? Nein. Er mußte sie mitnehmen, tat dies jedoch nur in der Absicht, sich ihrer bei der ersten Gelegenheit zu entledigen.
Es läßt sich denken, daß sein ganzes Dichten und Trachten von nun an auf meine Papiere gerichtet war; er hegte den heißen Wunsch, sie in seine Hände zu bringen. Sie mir offen zu nehmen, das durfte er wegen Pida nicht wagen. Es gab zwei Wege für ihn, sie zu bekommen: entweder er stahl sie mir während des Schlafes, oder er wartete unsere Ankunft im Dorfe ab, um Tangua zu bestimmen, sie ihm zuzusprechen. Es war für ihn gar nicht schwer, auf einem dieser Wege seinen Zweck zu erreichen. Die Papiere befanden sich noch in derselben Tasche. Wohin hätte ich sie verstecken sollen? An irgend einer Stelle meiner Kleidung? Das hätte heimlich geschehen müssen, also wenn ich allein war; aber da war ich ja stets gefesselt. Und dem Häuptlinge hatte er Dienste erwiesen, wofür ihm dieser dankbar war. Wie leicht mußte es da für ihn sein, Tangua zu bewegen, mir die Blätter zu nehmen und sie ihm zu geben! Das verursachte mir Kopfschmerzen. Um mich selbst, um meine Person und mein Leben, war ich nicht besorgt, desto mehr aber um die Hinterlassenschaft meines Winnetou.
Das Kiowadorf lag noch an derselben Stelle wie früher, also an der Einmündung des Salt-Fork in den Red River. Wir mußten den letzteren überschreiten und taten dies an einer Stelle, wo das Wasser seicht war. Dann, als wir nur noch einige Stunden zu reiten hatten, schickte Pida zwei Reiter voraus, welche unsere Ankunft melden sollten. Welche Aufregung, welchen Jubel mußte die Nachricht hervorbringen, daß der gefangene Old Shatterhand mit dabei war!
Wir befanden uns noch auf der offenen Prärie und sahen noch lange nicht den Wald, welcher an den Ufern der beiden Flüsse stand, da kamen uns schon Reiter entgegengesprengt, nicht in geschlossenen Trupps, sondern einzeln oder zu zweien oder dreien, wie die verschiedene Schnelligkeit ihrer Pferde es ergab. Es waren Kiowas, von denen jeder der Erste sein wollte, der Old Shatterhand zu sehen bekam.
Keiner versäumte, uns mit einem lauten Schrei, einem schrillen Ruf zu begrüßen, einen kurzen, forschenden Blick auf mich zu werfen und sich dann hinten anzuschließen. Ich wurde nicht etwa angestaunt und angegafft, was an einem zivilisierten Orte sicherlich geschehen wäre; diese Roten sind viel zu stolz, sich das Interesse, welches sie fühlen, oder die Aufregung, in der sie sich befinden, anmerken zu lassen.
So wurde unser Trupp von Minute zu Minute größer, ohne daß ich eine Belästigung dabei empfand, und als wir endlich den Wald vor uns liegen sahen, der hier am Salt-Fork nur einen schmalen Streifen bildete, hatte ich wohl an die vierhundert Indianer um mich her, lauter erwachsene Krieger. Das Dorf mußte an Ausdehnung und Bewohnerzahl gewonnen haben.
Unter den Bäumen standen die Zelte, in denen sich jetzt wohl kein einziger Mensch befand, denn alles, was da lebte, stand oder bewegte sich im Freien, um uns kommen zu sehen. Da gab es eine Menge Weiber, alte und junge, halberwachsene Burschen, Mädchen und Kinder. Diese brauchten nicht so zurückhaltend zu sein wie die ernsten, wortkargen Krieger, und sie machten von dieser Freiheit denn auch einen solchen Gebrauch, daß ich mir hätte die Ohren zuhalten mögen, wenn dies bei meinen gefesselten Händen möglich gewesen wäre. Sie schrien, jauchzten, brüllten, lachten, quiekten, kurz, machten einen Skandal, der mir zur Genüge bewies, wie außerordentlich willkommen ich diesen Leuten war.
Da aber hob Pida, welcher voranritt, die Hand, machte mit derselben eine schnelle, wagrechte Bewegung und sofort verstummte der Lärm. Auf ein weiteres Zeichen von ihm bildete die Reiterschar einen Halbkreis, in dessen Mitte ich genommen wurde, Pida neben mir, dabei zwei Rote, deren besondere Aufgabe es war, ja nicht von meiner Seite zu weichen. Santer drängte sich mit heran; der junge Häuptling tat so, als ob er ihn gar nicht sähe.
Wir ritten auf ein großes Zelt zu, dessen Spitze mit Häuptlingsfedern geschmückt war. Vor dem Eingange desselben befand sich in halb sitzender, halb liegender Stellung Tangua. Er hatte außerordentlich gealtert und war dürr wie ein Skelett geworden, aus dessen tiefen Augenhöhlen mich ein Blick traf, spitz wie ein Dolch, scharf wie ein Bowiemesser und unversöhnlich wie – wie – nun eben wie Tangua. Sein langes Haar war weiß wie Schnee geworden.
Pida sprang vom Pferde; seine Krieger taten dasselbe und traten eng um uns zusammen. Jeder wollte die Worte hören, mit denen ich von Tangua empfangen wurde. Man band mich vom Pferde los und ließ mir zunächst noch die Füße frei, so daß ich stehen konnte. Ich selbst war auch nicht wenig neugierig auf die ersten Empfangsworte des Alten, hatte aber lange auf sie zu warten.
Er betrachtete mich von oben bis unten, dann von unten bis oben, noch einmal und noch einmal; es war ein grausamer Blick, der mir hätte Angst einflößen können. Dann schloß er die Augen. Kein Mensch sprach; es herrschte die tiefste Stille, die nur von dem Geräusch, welches die Pferde hinter uns machten, unterbrochen wurde. Das war mir unangenehm, und eben wollte ich zuerst das Schweigen brechen, da sagte er, langsam und feierlich, ohne die Augen zu öffnen:
»Die Blume hofft auf den Tau; er will nicht kommen; sie senkt das Haupt und welkt; schon ist sie am Sterben, da kommt er endlich doch!«
Wieder schwieg er eine Weile; dann begann er abermals:
»Der Büffel scharrt im Schnee, unter welchem er keinen Grashalm findet. Er brüllt hungrig den Frühling herbei, der nicht kommen will; er magert ab, sein Höcker schwindet; seine Kraft wird klein, und fast muß er verenden. Da weht ein warmer Wind, und hart am Tode sieht er den Frühling noch.«
Es trat wieder eine Pause ein.
Was ist der Mensch doch für ein sonderbares, unbegreifliches Geschöpf! Dieser Indianer hatte mich gekränkt, beleidigt und verhöhnt, wie noch nie vorher ein Anderer, mich gehaßt und verfolgt, mir nach dem Leben getrachtet, und wie hatte ich ihm das vergolten? Mit Nachsicht. Anstatt ihn zu erschießen, hatte ich ihm meine Kugel nur in die Beine geschickt, und das auch nur notgedrungen. Und nun er vor mir lag als die Ruine eines Kriegers, eine Menschenhaut, die über klappernde Knochen gezogen ist, mit hohler Stimme wie im Traume, wie aus dem Grabe redend, da dauerte er mich, da tat er mir leid, und ich wünschte, ich hätte damals gar nicht auf ihn geschossen. Und das fühlte und das wünschte ich, obgleich ich wußte, daß er nach Rache förmlich lechzte und jetzt die Augen nur im Übermaße der Freude, des Entzückens geschlossen hielt, des Entzückens darüber, daß er nun endlich, endlich den Durst nach meinem Blute stillen könne. Ja, der Mensch ist zuweilen ein höchst sonderbarer Kerl, zumal wenn er – – ein Deutscher ist!
Jetzt sprach er von neuem, ohne etwas Anderes als seine blutleeren Lippen zu bewegen:
»Tangua war die Blume und war der hungernde Büffel. Er sehnte sich und brüllte nach Rache; sie wollte nicht kommen. Er schwand dahin von Mond zu Mond, von Woche zu Woche, von Tag zu Tag; sie zögerte noch immer. Schon war ihm der Tod des Alters nahe, da kam sie doch!«
Während er dies ganz in der vorigen Weise gesprochen hatte, riß er jetzt plötzlich die Augen weit auf, richtete sich, soweit ihm seine steifen Beine dies gestatteten, in die Höhe, streckte die hagern Arme mit den weit auseinander gespreizten zehn Fingern nach mir aus und schrie mit überschnappender Stimme:
»Ja, sie kommt, sie kommt! Sie ist da, sie ist schon da! Ich sehe sie; ich sehe sie hier, da gleich vor mir! Hund, wie, wie, wie sollst du sterben!«
Er sank ermattet zurück und schloß die Augen wieder. Niemand wagte es, die Stille zu unterbrechen; selbst Pida, sein Sohn, schwieg. Erst nach einer längeren Weile öffnete er die Lider wieder und fragte:
»Wie ist diese stinkende Kröte in eure Hände gefallen? Ich will es wissen.«
Diese Gelegenheit ergriff Santer sofort. Ohne zu warten, ob Pida, dessen Sache dies doch gewesen wäre, antworten werde, erwiderte er schnell:
»Ich weiß es am besten. Soll ich es dir sagen?«
»Sprich!«
Santer erzählte, versäumte aber nicht, sein Verdienst dabei in das hellste Licht zu stellen. Niemand unterbrach ihn. Pida war zu stolz dazu, und mir konnte es höchst gleichgültig sein, ob der Kerl sich lobte oder nicht. Als er zu Ende war, fügte er hinzu:
»Es ist also leicht einzusehen, daß ihr es mir zu verdanken habt, daß ihr euch an ihm rächen könnt. Gibst du das zu?«
»Ja,« nickte der Alte.
»Würdest du mir dafür einen Gefallen erweisen?«
»Wenn ich kann.«
»Du kannst.«
»So sag, was du wünschest!«
»Old Shatterhand hat in seiner Tasche ein sprechendes Papier, welches ich haben möchte.«
»Hat er es dir genommen?«
»Nein.«
»Wem gehört es?«
»Ihm nicht; er hat es gefunden. Ich aber bin nach den Mugwort-Hills geritten, um es zu suchen; leider kam er eher.«
»Es sei dein. Nimm es ihm ab!«
Santer war froh, dieses Resultat erreicht zu haben; er näherte sich mir. Ich sagte nichts, bewegte mich auch nicht, sah ihm aber drohend in das Gesicht. Er bekam Angst und zögerte, sich an mir zu vergreifen.
»Ihr habt gehört, was der Häuptling befohlen hat, Sir,« sagte er zu mir.
Diesmal gebrauchte er das Du nicht und nannte mich sogar Sir. Ich antwortete nicht. Darum fügte er noch hinzu:
»Mr. Shatterhand, es ist das Beste für Euch, Euch nicht zu weigern. Ergebt Euch also drein! Ich werde Euch jetzt in die Tasche greifen.«
Er trat noch näher und streckte die Hände aus; da stieß ich ihm die meinigen, obgleich sie zusammengebunden waren, indem ich sie zu einer Doppelfaust zusammenlegte, unter das Kinn, so daß er hintenüber und zur Erde flog.
»Uff!« riefen einige Rothäute wohlgefällig.
Tangua aber war anderer Ansicht, denn er rief zornig:
»Dieser Hund wehrt sich, obgleich er gefesselt ist! Bindet ihn so, daß er sich nicht bewegen kann, und nehmt ihm dann das sprechende Papier aus der Tasche!«
Da endlich ergriff sein Sohn Pida zum ersten Male das Wort, indem er zu ihm sagte:
»Mein Vater, der große Häuptling der Kiowas, ist weise und gerecht; er wird auf die Stimme seines Sohnes horchen.«
Während der Alte bis jetzt wie abwesend, wie in einem Zustande der Entrücktheit gesprochen hatte, wurde sein Auge jetzt klarer; er sah Pida hell an, und auch seine Stimme war eine andere, nicht mehr so dumpf, als er antwortete:
»Warum spricht mein Sohn diese Worte? Ist das Unrecht, was das Bleichgesicht Santer gefordert hat?«
»Ja.«
»Warum?«
»Nicht Santer hat Old Shatterhand besiegt, sondern wir haben dies getan. Old Shatterhand hat auf alle Gegenwehr verzichtet und keinen von uns verletzt, sondern sich mir freiwillig übergeben. Wessen Gefangener ist er da?«
»Der deinige.«
»Wem gehören also sein Pferd, seine Waffen und Alles, was er bei sich trug?«
»Dir.«
»Ja, mir. Ich habe eine große, eine wertvolle Beute gemacht. Wie kann da dieser Santer das sprechende Papier für sich verlangen?«
»Weil es ihm gehört.«
»Kann er das beweisen?«
»Ja. Er ist nach den Mugwort-Hills geritten, um es zu suchen, Old Shatterhand aber kam ihm zuvor.«
»Wenn er es gesucht hat, muß er es gekannt haben, muß also wissen, was es enthält. Mein Vater mag sagen, ob das richtig ist oder nicht!«
»Es ist richtig.«
»So soll Santer uns jetzt sagen, welche Worte das Papier zu sprechen hat.«
»Ja, das mag er tun. Wenn er es kann, so kennt er es, und es ist sein.«
Diese an Santer gerichtete Aufforderung brachte ihn in nicht geringe Verlegenheit. Er konnte sich freilich denken, daß sich der Inhalt der Blätter auf das am Nugget-tsil versteckt gewesene Gold bezog; aber wenn er das behauptete, und es stellte sich dann etwas anderes heraus, so hatte er gelogen. Und wenn es wirklich so war, durfte er es sagen? Es mußte ihm ja daran liegen, womöglich alleiniger Besitzer des Geheimnisses zu bleiben. Darum versuchte er es mit der Ausrede:
»Was das sprechende Papier enthält, ist für keinen andern Menschen von Wichtigkeit, als nur für mich allein. Daß es mir gehört, habe ich dadurch bewiesen, daß ich allein seinetwegen nach den Mugwort-Hills geritten bin. Daß Old Shatterhand es vor mir fand, ist nur ein Zufall gewesen.«
»Das war klug gesprochen,« erklärte Tangua. »Santer soll das sprechende Papier bekommen; es ist sein Eigentum.«
Da war es für mich Zeit, auch ein Wort zu sprechen, denn ich las aus Pidas Gesicht, daß er sich bewogen fühlte, seinen Widerstand aufzugeben. Darum sagte ich:
»Ja, das war klug, aber nicht wahr gesprochen. Santer ist nicht dieses Papieres wegen nach den Mugwort-Hills gekommen.«
Der Alte fuhr bei dem Klange, dem Tone meiner Stimme zusammen, wie jemand, der vor einer Gefahr erschrickt. Er zischte mich giftig an:
»Der stinkende Hund beginnt zu bellen, doch wird es ihn gar nichts nützen!«
»Pida, der junge, tapfere Häuptling der Kiowas, sagte vorhin, daß Tangua gerecht und weise sei,« fuhr ich fort. »Wenn das wahr ist, wirst du nicht parteiisch handeln.«
»Es ist wahr.«
»So sag, ob du erwartest, von mir eine Lüge zu hören!«
»Nein. Old Shatterhand ist das gefährlichste der Bleichgesichter und mein ärgster Feind, aber er hat nie mit zwei Zungen gesprochen.«
»So sage ich dir, daß kein anderer Mensch als nur ich allein wissen konnte, wo das Papier lag, und was es enthält. Santer hat keine Ahnung davon, und nicht ich, sondern er kam zufällig dazu, als es gefunden worden war. Ich hoffe, daß du mir das glaubst.«
»Tangua nimmt an, daß Old Shatterhand nicht lügt; aber Santer behauptet auch, die Wahrheit gesagt zu haben. Wie soll ich da entscheiden, wenn ich gerecht sein will?«
»Es ist gut, wenn die Gerechtigkeit sich mit der Klugheit paart. Santer ist oft bei den Mugwort-Hills gewesen; er hat dort Gold gesucht, doch ohne es zu finden; das weiß Tangua genau, denn er hat ihm das Suchen ja erlaubt. Er kam auch diesmal nur des Goldes wegen.«
»Das ist Lüge!« fuhr mich Santer an.
»Es ist die Wahrheit,« behauptete ich. »Tangua mag sich bei den drei andern Bleichgesichtern erkundigen. Santer hat sie mitgebracht, damit sie ihm suchen helfen sollen.«
Der Alte tat dies, und Gates, Clay und Summer mußten zugeben, daß es so war, wie ich gesagt hatte. Da machte Santer einen letzten zornigen Versuch:
»Und dennoch kam ich des Papieres wegen! Allerdings wollte ich nebenbei auch wieder nach den Nuggets suchen und nahm diese drei Männer mit, daß sie mir helfen sollten, doch von dem Papiere sagte ich ihnen nichts, weil nur ich davon wissen durfte.«
Das brachte den alten Häuptling wieder aus der Fassung. Er rief mißmutig aus:
»Da hat nun jeder recht! Was soll ich tun?«
»Klug sein,« antwortete ich. »Santer mag uns sagen, ob das Papier Wert für ihn hat oder nicht!«
»Natürlich hat es Wert,« erklärte er. »Es ist sogar von großer Wichtigkeit für mich, sonst würde ich nicht so darauf bestehen, es zu bekommen.«
»Gut! Ist es nur ein Papier, oder sind es mehrere?«
»Mehrere,« antwortete er; er hatte das wohl gesehen, als ich am Grabe saß und las.
»Wie viele? Zwei – drei – vier – fünf?«
Er schwieg, und wenn er jetzt nicht das Richtige traf, so war er überführt.
»Seht, daß er schweigt!« sagte ich. »Er weiß es nicht.«
»Ich habe es vergessen. Wer merkt sich so etwas genau!«
»Wenn diese Papiere so sehr wichtig für ihn sind, muß er genau wissen, um wie viele Blätter es sich handelt. Und selbst wenn er es früher gewußt und dann später vergessen haben sollte, so wird er wenigstens und ganz bestimmt sagen können, ob sie mit Tinte oder mit Blei geschrieben worden sind. Aber ich vermute, daß er auch da wieder schweigen wird.«
Diese letzten Worte sagte ich in stark ironischem Tone, um ihn zu einer schnellen Antwort zu verleiten. Ich erwartete, daß er das Richtige nicht erraten würde, weil im wilden Westen Tinte nur in den Forts zu finden ist und es viel eher vorkommen kann, daß jemand einen Bleistift bei sich hat. Diese Berechnung war richtig, denn er erwiderte meine ironische Bemerkung mit der unbedachten aber zuversichtlichen Behauptung:
»Natürlich weiß ich das, denn so etwas vergißt man nicht. Die Papiere sind mit Bleistift geschrieben.«
»Sollte das kein Irrtum sein?« fragte ich der Sicherheit wegen noch einmal.
»Ich irre mich nicht; es ist Bleistift und nicht Tinte!«
»Gut! Wer von den anwesenden Kriegern hat sprechende Papiere der Bleichgesichter gesehen, so daß er Tinte von Blei unterscheiden kann?«
Es gab einige, die sich getrauten, diese Unterscheidung treffen zu können. Übrigens waren Gates, Clay und Summer da. Darum forderte ich Pida auf:
»Der junge Häuptling der Kiowas mag die Papiere aus meiner Tasche nehmen und sie prüfen lassen, sie aber Santer ja nicht zeigen.«
Er tat dies und ich sorgte dabei dafür, daß die drei Weißen die Zeilen zwar zu sehen, doch nicht zu lesen bekamen. Sie erklärten, daß sie mit Tinte geschrieben seien, und Tangua und Pida stimmten, obgleich sie nicht viel davon verstanden, dieser Meinung bei.
»Ihr Dummköpfe!« fuhr Santer Gates an. »Hätte ich mich doch niemals mit euch abgegeben! Ihr wißt ja nicht einmal, was Tinte und was Bleistift ist!«
»Na, so dumm, wie Ihr da sagt, sind wir doch noch nicht,« entgegnete Gates. »Es war Tinte und wird Tinte bleiben.«
»Ja, und ihr steckt drin in dieser Tinte und werdet nicht so leicht herauskommen!«
Ihm zu sagen, daß sie hätten lügen sollen, das wagte er freilich nicht. Nun wendete sich Pida, indem er die Zettel wieder in die Lederumschläge steckte, an seinen Vater:
»Old Shatterhand hat seinen Gegner überwunden. Mein Vater wird jetzt wissen, ob Santer ein Recht auf diese Papiere besitzt.«
»Sie waren nicht sein, sondern sie gehörten Old Shatterhand,« antwortete der Alte.
»Also sind sie nun mein Eigentum, denn Old Shatterhand ist mein Gefangener. Da sich diese zwei Männer um sie streiten, müssen sie sehr wichtig sein. Ich werde sie gut aufbewahren in meiner Medizin.«
Er steckte sie ein. Das war mir höchst fatal und doch auch wieder lieb. Fatal, weil die Papiere in meinem Interesse doch am besten bei selbst mir aufgehoben waren. Wie sollte ich zu ihnen kommen, im Falle mir die Flucht gelang? Und doch auch lieb, denn ich traute Santern nicht. Im Falle ich sie hätte behalten dürfen, wäre er sehr wahrscheinlich auf den Gedanken gekommen, sie mir zu nehmen, wenn nicht während des Schlafes, dann mit Anwendung von Gewalt; ich war ja gefesselt und konnte mich nicht nachhaltig genug wehren. Da war es doch vielleicht besser, wenn die Blätter sich im Besitze des jungen Häuptlings befanden, an dem er sich nicht vergreifen durfte. Er sagte zu diesem, und zwar in einem Tone, als ob er nun nichts mehr von ihnen wissen wolle und gänzlich auf sie verzichte:
»Ja, behalte sie! Sie werden dir nichts nützen, denn du kannst sie ja doch nicht lesen. Ich hätte sie zwar gern gehabt, denn sie sind mir wirklich wichtig, kann sie aber doch entbehren, weil ich ihren Inhalt vollständig kenne. Kommt, Mesch'schurs! Wir haben hier nichts mehr zu suchen und wollen sehen, wo wir ein Unterkommen finden.«
Er entfernte sich mit Gates, Clay und Summer, und es fiel niemandem ein, sie zurückzuhalten. Das mit den Papieren war entschieden, und ich erwartete, daß man sich nun mit meiner Person beschäftigen werde. Es kam auch so, doch vorher fragte der Alte seinen Sohn:
»Old Shatterhand hatte die sprechenden Zettel noch bei sich. Habt ihr ihm die Taschen denn nicht leer gemacht?«
»Nein,« antwortete Pida. »Er ist ein großer Krieger; wir werden ihn zwar töten, aber seinen Namen und seine Tapferkeit nicht dadurch kränken, daß wir ihm in die Taschen greifen. Wir haben seine Waffen; das ist genug; alles andere wird er mir doch hinterlassen, wenn er gestorben ist.«
Ich erwartete, daß der Alte nicht damit einverstanden sei, irrte mich da aber, denn er warf einen stolzen, wohlgefälligen, ja fast liebevollen Blick auf seinen Sohn und sagte:
»Pida, der junge Häuptling der Kiowas, ist ein edler Krieger; er schont selbst seine ärgsten Feinde; er tötet sie zwar, aber er beschimpft und entehrt sie nicht. Sein Name wird noch größer und berühmter werden als derjenige von Winnetou, dem Hunde der Apachen. Zum Lohne dafür will ich ihm erlauben, sein Messer in das Herz Old Shatterhands zu senken, wenn dieser so gemartert ist, daß ihm das Leben fliehen will. Pida soll den Ruhm haben, von sich sagen zu können, daß das größte, gefährlichste und berühmteste der Bleichgesichter von seiner Hand gestorben ist. Jetzt hole man die Alten herbei! Wir wollen beraten, wann und wie dieser bissige weiße Hund sein Leben herzugeben hat. Er mag inzwischen an dem Baume des Todes hängen.«
Was das für ein Baum war, das sollte ich sogleich sehen und erfahren. Ich wurde zu einer unten vielleicht zwei Fuß starken Kiefer geschafft, um welche rundum Pfähle je zu vieren eingerammt waren, deren Zweck ich erst am Abende kennen lernte. Diese Kiefer hieß der Baum des Todes, weil an ihr diejenigen Gefangenen angebunden wurden, welche dem Martertode geweiht waren. An dem untersten Aste hingen die dazu nötigen Riemen bereit. Ich wurde in der Weise an den Stamm befestigt, wie einst Winnetou und sein Vater an ihren Bäumen gehangen hatten, als sie in unsere Hände und in diejenigen der Kiowas geraten warenSiehe Band I Seite 218. Zwei bewaffnete Krieger setzten sich als Wächter rechts und links von mir nieder. Vor dem Zelte des Häuptlings bildete sich, Tangua gegenüber, ein Halbkreis der Ältesten, um über mein Schicksal, oder vielmehr, da dasselbe schon beschlossen war, über die Art und Weise meines Todes zu beraten. Ehe damit begonnen wurde, kam Pida zu mir und untersuchte die Riemen. Sie waren fürchterlich straff angezogen; er lockerte sie ein wenig und sagte zu den Wächtern:
»Ihr sollt streng auf ihn achtgeben, aber nicht ihn quälen. Er ist ein großer Häuptling der weißen Jäger und hat niemals einem roten Krieger unnötige Schmerzen bereitet.«
Dann entfernte er sich wieder, um an der Beratung teilzunehmen.
Ich stand aufrecht an den Baum gebunden, mit dem Rücken an demselben, und sah die Menge der Frauen, Mädchen und Kinder, welche herbeikamen, um mich zu betrachten. Die Krieger hielten sich fern; ja selbst die Knaben, die kleinen ausgenommen, waren schon zu stolz, mich mit ihrer Neugierde zu belästigen. Haß las ich in keinem einzigen Gesichte, sondern nur eine mit Achtung gepaarte Neugierde. Sie wollten den weißen Jäger sehen, von dem sie so viel gehört hatten und dessen Tod ihnen ein Schauspiel bieten sollte, wie es so grausam und aufregend vielleicht noch nicht dagewesen war.
Unter ihnen fiel mir eine junge Indianerin auf, welche noch nicht Squaw zu sein schien. Sie ging, als sie mein Auge auf sich gerichtet sah, abseits, blieb dort abgesondert von den Andern stehen und sah nur noch verstohlen zu mir herüber, als ob sie sich schäme, bei den gewöhnlichen ›Gaffern‹ gestanden zu haben. Sie war nicht gerade schön, aber doch auch keineswegs häßlich; ich hätte sie lieblich nennen mögen. Ihre weichen Gesichtszüge gewannen durch den milden, ernsten und offenen Blick ihres großen Auges an Interesse. Dieses Auge erinnerte mich lebhaft an Nscho-tschi, wenn sie auch sonst keine Ähnlichkeit mit der Schwester des Apachen hatte. Einer augenblicklichen Regung folgend, nickte ich ihr freundlich zu. Da errötete sie bis unter die Haarwurzeln, wendete sich ab und entfernte sich; nach kurzer Zeit blieb sie einen Augenblick lang stehen, um sich noch einmal nach mir umzusehen, dann verschwand sie im Eingange eines der größeren und besseren Zelte.
»Wer war die junge Tochter der Kiowas, welche dort allein stand und jetzt fortgegangen ist?« fragte ich meine Wächter.
Es war ihnen nicht untersagt worden, mit mir zu sprechen, und so antwortete der Eine:
»Das war Kakho-Oto, die Tochter von Sus-Homascha, der sich schon als Knabe die Auszeichnung errungen hat, eine Feder im Haar zu tragen. Gefällt sie dir?«
»Ja,« antwortete ich, obgleich diese Frage in meiner Lage und von einem Roten ziemlich sonderbar klang.
»Die Squaw unsers jungen Häuptlings ist ihre Schwester,« fügte er hinzu.
»Pidas Squaw?«
»Ja.«
»So ist sie also mit Pida verwandt?«
»Ja. Du siehst ihren Vater mit der einen großen Feder im Schopfe dort bei der Beratung sitzen.«
Damit war das kurze Gespräch beendet; es sollte aber Folgen haben, die ich ganz und gar nicht beabsichtigt hatte.
Die Beratung währte lange, wohl über zwei Stunden; dann wurde ich geholt, um mein Schicksal zu vernehmen. Ich hatte lange Reden über die Verbrechen der Weißen überhaupt, dann über meine eigenen anzuhören. Tangua brachte einen nicht enden wollenden Bericht über unsere damalige Gegnerschaft, welche mit der Lähmung seiner beiden Beine endete; es blieb natürlich auch nicht unerwähnt, daß ich dann später Sam Hawkens befreit und mich an Pida vergriffen hatte; kurz, ich bekam ein Sündenregister zu hören, gegen welches keine Gnade oder Schonung aufkommen konnte; aber noch viel länger war dann das Verzeichnis der Qualen, die meiner warteten. Ich glaube nicht, daß unter allen Weißen, welche jemals von den Indianern zu Tode gemartert worden sind, sich einer befunden hat, der eines so fürchterlichen und langsamen Todes gestorben ist, wie mir in Aussicht stand. Ich konnte außerordentlich stolz auf diese große Auswahl sein, denn sie war der sicherste Maßstab der Achtung, in welcher ich bei diesen liebenswürdigen Leuten stand. Das einzige Tröstliche dabei war, daß man mir eine Gnadenfrist stellte, was seinen Grund in dem Umstande hatte, daß eine Abteilung der Kiowas sich nicht daheim befand; sie sollte nicht um den Hochgenuß kommen, Old Shatterhand sterben zu sehen, und darum mußte ihre Rückkehr abgewartet werden.
Ich verhielt mich bei Verkündigung dieses Urteilsspruches natürlich so, wie sich ein Mann, der den Tod nicht fürchtet, verhalten muß, sagte aber das, was ich zu sagen hatte, so kurz wie möglich und hütete mich sehr, eine Äußerung zu tun, durch welche meine roten Richter sich beleidigt fühlen konnten.
Das war dem in solchen Fällen gewöhnlichen Verhalten ganz entgegengesetzt, da es für ein Zeichen des Mutes gehalten wird, wenn der Verurteilte seine Peiniger auf alle mögliche Weise zu erbittern trachtet. Ich unterließ das wegen Pida, der sich so edelmütig gegen mich benahm, und auch wegen des Verhaltens der Kiowas überhaupt; ich hatte bei ihnen eine ganz andere Aufnahme gefunden, als nach ihrem Charakter und der zwischen ihnen und den Apachen herrschenden Feindschaft zu erwarten gewesen war. Daß die Ruhe, welche ich zeigte, mir für Feigheit ausgelegt werden könne, das hätte wohl ein Anderer zu befürchten gehabt, ich aber nicht.
Als ich zurückgeführt wurde, um wieder an den Baum des Todes gebunden zu werden, kam ich an dem Zelte vorüber, welches dem alten ›Eine Feder‹ gehörte. Seine Tochter stand unter dem Eingange. Mir gar nichts dabei denkend, blieb ich stehen und fragte sie:
»Meine junge rote Schwester freut sich wohl auch sehr darüber, daß der böse Old Shatterhand ergriffen worden ist?«
Sie errötete wie vorhin, als ich ihr zunickte, zögerte einen Augenblick und antwortete dann:
»Old Shatterhand ist nicht bös.«
»Woher weißt du das?«
»Alle wissen es.«
»Warum wollt ihr mich denn da töten?«
»Du hast Tangua gelähmt und bist kein Bleichgesicht mehr, sondern ein Apache.«
»Ich bin ein Bleichgesicht und werde es stets bleiben.«
»Nein, denn Intschu tschuna hat dich damals unter die Apachen aufgenommen und dich sogar zu einem ihrer Häuptlinge gemacht. Hast du nicht Winnetous Blut und er das deinige getrunken?«
»Das haben wir allerdings getan; aber es hat nie ein Kiowa durch mich ein Leid erlitten, außer wenn er selbst mich dazu zwang; das mag ›Dunkles Haar‹ ja nicht vergessen!«
»Wie? Old Shatterhand kennt meinen Namen?«
»Ich habe mich nach ihm erkundigt, denn ich sah, daß du die Tochter eines großen und vornehmen Kriegers bist. Mögest du noch so viele schöne Sonnen erleben, wie mir nur noch Stunden übrig bleiben!«
Ich ging. Meine Wächter hatten nichts dagegen gehabt, daß ich mit ihr sprach; ein anderer Gefangener wäre nicht mit solcher Rücksicht behandelt worden. Das war nicht bloß eine Folge von Pidas Charakter und Gesinnung, sondern sicher auch des Umstandes, daß sein Vater ein Anderer geworden war. Und diese Veränderung hatte ihren Grund nicht in dem Alter, welches entweder milder stimmt oder die Tatkraft raubt, sondern die Gesinnung des Sohnes hatte ihren Einfluß auf den Vater nicht verfehlt. Ein edles Reis gibt dem alten Stamme neuen Wert und bessere Säfte.
Als ich wieder angebunden war, blieben mir nicht nur die Krieger, sondern auch die Weiber und die Kinder fern; es schien ein darauf bezüglicher Befehl erteilt worden zu sein, und das war mir lieb, denn es ist nicht angenehm, als seltenes Schaustück an einem Baume zu hängen und angestaunt zu werden, wenn es auch nur von Kindern ist.
Später sah ich ›Dunkles Haar‹ aus ihrem Zelte treten; sie hatte ein flaches, tönernes Gefäß in der Hand und kam damit zu mir.
»Mein Vater hat mir erlaubt, dir zu essen zu geben. Willst du es nehmen?« fragte sie.
»Gern,« antwortete ich; »nur kann ich mich meiner Hände nicht bedienen, weil sie gefesselt sind.«
»Du brauchst nicht losgebunden zu werden, ich will deine Dienerin sein.«
Das, was sie gebracht hatte, war gebratenes und in Stücke zerschnittenes Büffelfleisch. Sie hatte ein Messer in der Hand, mit welchem sie die Stücke aufspießte und mir in den Mund schob. Old Shatterhand, von einer jungen Indianerin wie ein Kind ›gefuttert‹! Ich hätte trotz meiner keineswegs beneidenswerten Lage darüber lachen können. Zu schämen brauchte ich mich nicht, denn die, welche sich mir so hilfreich erwies, war keine zimperliche weiße Lady oder Signorina, sondern eine Kiowa-Indianerin, welcher solche Situationen nicht mehr fremd waren.
Die beiden Wächter sahen sehr ernsthaft zu, doch schien es mir, als ob sie nur mit Anstrengung ein Lächeln unterdrückten. Als ich den letzten Bissen erhalten hatte, hielt es der eine von ihnen an der Zeit, das gute Mädchen dadurch zu belohnen, daß er aus der Schule schwatzte:
»Old Shatterhand hat gesagt, daß ›Dunkles Haar‹ ihm sehr gefällt.«
Sie sah mich prüfend an, ich glaube, daß ich fast ebenso rot geworden bin, wie sie es war; dann wendete sie sich, um zu gehen. Aber sie hatte nur wenige Schritte gemacht, da drehte sie sich wieder zu mir um und fragte:
»Hat dieser Krieger jetzt die Wahrheit gesprochen?«
»Er fragte mich, ob du mir gefällst, und ich habe ja gesagt,« antwortete ich der Wahrheit gemäß.
Sie ging und ich erteilte dem Plauderer einen Verweis, der aber gar keinen Eindruck auf ihn machte.
Am Spätnachmittage sah ich Gates, welcher zwischen den Zelten umherschlenderte.
»Darf ich einmal mit diesem Bleichgesichte sprechen?« fragte ich meine Aufseher.
»Ja,« lautete der mir günstige Bescheid. »Doch dürft ihr nicht etwa von Flucht reden!«
»Was das betrifft, so braucht mein roter Bruder keine Sorge zu haben.«
Ich rief Gates zu mir, und er kam langsam und zögernd herbei wie einer, der nicht recht weiß, ob er es tun darf oder nicht.
»Nur immer heran!« forderte ich ihn auf. »Oder ist Euch verboten worden, mit mir zu sprechen?«
»Mr. Santer sieht es nicht gern,« gestand er.
»Hat er das gesagt?«
»Ja.«
»Das glaube ich. Er befürchtet, daß ich Euch ein helles Licht anbrenne über ihn.«
»Ihr denkt noch immer falsch von ihm, Mr. Shatterhand!«
»Ich nicht, sondern Ihr!«
»Er ist ein Gentleman!«
»Das könnt Ihr nicht beweisen, während ich Euch das Gegenteil mit höchst schlagenden Gründen zu belegen vermag.«
»Ich mag sie nicht hören. Ihr seid ihm einmal feindlich gesinnt.«
»Allerdings, und zwar so feindlich, daß er alle Veranlassung hat, sich vor mir in acht zu nehmen.«
»Vor Euch? Hm! Sir, nehmt es mir nicht übel, wenn ich Euch das sage, aber vor Euch braucht sich niemand mehr in acht zu nehmen.«
»Weil ich hier sterben soll?«
»Ja.«
»Zwischen Sollen und Werden ist ein großer Unterschied. Ich habe schon oft sterben sollen, bin aber noch nicht getötet worden! Könnt Ihr denn wirklich glauben, daß Old Shatterhand ein so schlechter Kerl ist, wie Santer sagt?«
»Ich glaube da alles oder auch nichts. Ihr seid Feinde; wer da recht hat, ob er oder Ihr, das geht mich nichts an.«
»So solltet Ihr mich wenigstens nicht täuschen und belügen!«
»Wann habe ich das getan?«
»In den Mugwort-Hills, als Ihr mir verschwieget, daß die Kiowas da waren. Wäret Ihr ehrlich gewesen, so stände ich jetzt nicht als Gefangener hier!«
»Seid Ihr etwa aufrichtiger gewesen?«
»Habe ich Euch getäuscht, oder gar betrogen?«
»Ja.«
»Wann und wie?«
»Ihr nanntet Euch Jones!«
»Das nennt Ihr einen Betrug, Mr. Gates?«
»Natürlich!«
»Betrug ist die widerrechtliche Aneignung eines Vorteils über einen Andern. Von so etwas ist aber bei mir keine Rede gewesen. Daß ich meinen Namen verschwieg und einen andern nannte, möchte ich nicht einmal List nennen, sondern es war die einfachste Notwendigkeit. Santer ist ein vielfacher Mörder, ein großartiger Betrüger, ein ganz außerordentlich gefährlicher Mensch; er trachtet auch mir nach dem Leben. Ihr waret seine Gefährten. Durfte ich Euch da sagen, wer ich bin, und daß ich nach den Mugwort-Hills wollte?«
»Hm!« brummte er.
»Hm? Nehmt es mir nicht übel, Mr. Gates, aber wenn Ihr da noch im Zweifel seid, ob ich recht habe oder nicht, so kann ich Euch nicht begreifen.«
»Ihr hättet uns trotz alledem die Wahrheit sagen sollen; das waret Ihr uns schuldig!«
»Ich war euch gar nichts schuldig, verstanden! Ihr seid unerfahrene Leute; ja das seid ihr, wenigstens so einem Westmann gegenüber, wie ich bin; da mußte ich zurückhaltend sein. Und dazu hatte euch Santer engagiert, den ihr mit eurem Lobe bis zum Himmel erhobt. Da mußte ich meinen Namen verschweigen.«
»Hättet Ihr ihn uns genannt, so hätten wir Euch doch wohl Glauben geschenkt!«
»Nein!«
»Doch!«
»Nein! Das kann ich Euch beweisen.«
»Womit denn?«
»Glaubt Ihr mir etwa jetzt, wo Ihr doch nun wißt, daß ich Old Shatterhand bin?«
»Daran seid Ihr nur selber schuld, weil Ihr uns belogen und hintergangen habt!«
»Ausrede! Ihr wißt jetzt, wer ich bin und weshalb ich meinen Namen verschweigen mußte, und habt, was die Hauptsache ist, gesehen und erfahren, wie Santer gegen mich handelt.«
»Er will Euch ja gar nichts tun.«
»Wer hat das gesagt?«
»Er selbst.«
»Wann?«
»Vorhin erst wieder.«
»Damit will er Euch täuschen. Er brennt förmlich darauf, mich um das Leben zu bringen.«
»Nein, er sagt keine Lüge!«
»Seht Ihr, daß Ihr selbst jetzt noch zu ihm haltet, mir aber mißtraut! Da wäre es erst recht vergeblich gewesen, wenn ich mich an den Mugwort-Hills Euch offenbart hätte. Ich habe mir dort ja alle Mühe gegeben, Euch zu beweisen, daß er es unredlich meint. Das glaubt Ihr selbst jetzt noch nicht, wo es für Euch doch Pflicht- und Herzenssache sein sollte, es nicht mit ihm zu halten, sondern mir beizustehen, mir, dem Gefangenen, der elend hingemordet werden soll!«
»Er sagte vorhin, daß er Euch retten will.«
»Lüge, nichts als Lüge! Ich sehe, Ihr seid nicht zu überzeugen. Er hat Euch umgarnt, und Ihr müßt durch Schaden klug werden.«
»Von Schaden ist keine Rede. Gegen Euch mag er anders gewesen sein, weil Ihr ihn verfolgt und nach dem Leben getrachtet habt, mit uns aber meint er es ehrlich.«
»So hofft Ihr noch immer auf das Gold?«
»Ja.«
»Es gibt keins in den Mugwort-Hills!«
»So liegt es wo anders.«
»Wo denn?«
»Das wissen wir nicht, werden es aber erfahren.«
»Von wem?«
»Santer will es entdecken.«
»Auf welche Weise? Hat er Euch das gesagt?«
»Nein.«
»Da habt Ihr es ja wieder, daß er nicht ehrlich und aufrichtig gegen Euch ist!«
»Er kann uns doch nicht etwas sagen, was er selbst noch gar nicht weiß!«
»Er weiß es; er weiß es sogar ganz genau, nämlich auf welche Weise er den Ort entdecken kann, an dem sich die Nuggets jetzt befinden!«
»Wenn Ihr das sagt, müßt Ihr es doch auch wissen?«
»Allerdings.«
»So sagt es mir!«
»Das geht nicht.«
»Ah! Seht Ihr, daß Ihr selbst nicht ehrlich seid! Und da sollen wir es mit Euch halten!«
»Ich würde aufrichtig mit Euch sein, wenn ich Euch trauen dürfte. Ihr könnt mir keine Vorwürfe machen, denn Ihr selbst zwingt mich, verschwiegen zu sein. Wo habt Ihr hier denn Euer Unterkommen gefunden?«
»Wir wohnen zusammen in einem Zelte, welches Santer für uns ausgewählt hat.«
»Und er selbst wohnt auch bei Euch?«
»Ja.«
»Wo liegt dieses Zelt?«
»Neben dem, welches Pida gehört.«
»Sonderbar! Und das hat er sich selbst ausgesucht?«
»Ja. Tangua erlaubte ihm, da zu wohnen, wo er wollte.«
»Und da hat er sich grad neben Pida einlogiert, der ihm kein solches Wohlwollen wie sein Vater entgegenbringt? Hm! Nehmt Euch in acht! Es kann leicht vorkommen, daß Santer plötzlich verschwunden ist und Euch hier sitzen läßt. Dann steht zu erwarten, daß in den Gesinnungen der Roten für Euch plötzlich eine Änderung eintritt.«
»Welche?«
»Jetzt dulden sie Euch; dann aber betrachten sie Euch als Feinde. Ob es dann in meiner Macht steht, Euch zu helfen, das muß ich bezweifeln.«
»Ihr – – uns – – helfen – – –?« stotterte er erstaunt. »Mr. Shatterhand, Ihr sprecht ja grad so, als ob Ihr Euch auf freiem Fuße befändet und ein Freund der Kiowas wäret!«
»Ich habe meine Gründe dazu, denn – – –«
»Donner!« unterbrach er mich. »Jetzt sieht er, daß ich da bei Euch stehe!«
Santer trat nämlich grad jetzt zwischen den Zelten hervor, erblickte ihn und kam rasch herbei.
»Ihr scheint schreckliche Angst vor diesem Kerl zu haben, dem Ihr doch ein so großes Vertrauen schenkt!« sagte ich in ironischem Tone.
»Angst nicht, aber er will es nun einmal nicht haben, daß wir zu Euch gehen.«
»So lauft fort, und bittet ihn um Verzeihung und um Gnade, Mr. Gates!«
»Was habt Ihr hier zu suchen, Gates?« rief Santer schon von weitem. »Wer hat Euch gesagt, daß Ihr Euch mit diesem Menschen unterhalten sollt?«
»Ich kam nur zufällig vorüber, und da redete er mich an,« antwortete der Angedonnerte.
»Hier kann es keinen Zufall geben. Packt Euch fort! Ihr kommt mit mir!«
»Aber, Mr. Santer, ich bin doch kein Kind und – –«
»Ihr schweigt und geht mit mir! Vorwärts!«
Er ergriff ihn beim Arme und zog ihn mit sich fort. Was mußte er diesen drei unerfahrenen Männern alles vorgelogen haben, daß sie es so mit ihm hielten und sich dazu eine solche Behandlung von ihm gefallen ließen!
Selbstverständlich waren mir Wächter gegeben worden, welche leidlich englisch verstanden; sie hatten also gehört, was wir verhandelt hatten, und da bekam ich wieder einen Beweis dafür, daß mein Ansehen bei ihnen ein ganz anderes war als dasjenige von Santer, denn der Eine von ihnen, welcher mir immer geantwortet hatte, während der Andere sich schweigsam verhielt, machte, als Santer mit Gates fortging, die Bemerkung:
»Das sind Schafe, die einem Wolf folgen; er wird sie auffressen, sobald er Hunger bekommt. Warum glauben sie nicht der Warnung Old Shatterhands, der es doch gut mit ihnen meint!«
Kurze Zeit darauf kam Pida, um zwar meine Fesseln zu untersuchen, aber auch sich zu gleicher Zeit zu überzeugen, daß ich mich nicht zu beklagen hatte. Er deutete auf die erwähnten Pfähle, welche je zu vieren in die Erde gerammt waren, und sagte:
»Old Shatterhand wird vom langen Stehen ermüdet sein; er soll in der Nacht hier zwischen den Pfählen liegen; wünscht er vielleicht schon jetzt, sich niederzulegen?«
»Nein,« antwortete ich; »ich kann es noch aushalten.«
»So mag es nach dem Abendessen geschehen. Hat der weiße Jäger noch einen Wunsch?«
»Ja, eine Bitte.«
»Sage sie mir; wenn ich kann, werde ich sie gern erfüllen.«
»Ich möchte dich vor Santer warnen.«
»Vor diesem? Der ist gegen Pida, den Sohn des Häuptlings Tangua, ein Ungeziefer!«
»Sehr richtig! Aber auch das Ungeziefer hat man zu beachten, wenn es sich einnisten will. Ich habe gehört, daß er jetzt neben dir wohnt?«
»Ja; das Zelt stand leer.«
»So nimm dich in acht, daß er nicht in das deinige kommt! Er scheint die Absicht dazu zu haben.«
»Ich werfe ihn hinaus!«
»Das kannst du tun, wenn er offen kommt. Wie aber, wenn er sich heimlich herbeischleicht, ohne daß du es bemerkst?«
»Ich würde es bemerken.«
»Auch wenn du nicht im Zelte wärest?«
»So würde sich meine Squaw in demselben befinden und ihn fortjagen.«
»Er trachtet nach dem sprechenden Papiere, welches du genommen hast.«
»Er wird es nicht bekommen.«
»Ja, geben wirst du es ihm wohl nicht; aber kannst du es verhüten, daß er es dir stiehlt?«
»Selbst wenn es ihm gelänge, heimlich in das Zelt zu gelangen, so würde er es nicht finden, denn es ist außerordentlich gut verwahrt.«
»Ich hoffe das. Würdest du mir vielleicht erlauben, es noch einmal anzusehen?«
»Du hast es doch schon gesehen und gelesen.«
»Nicht ganz.«
»So sollst du es ganz sehen, doch nicht jetzt, denn es wird dunkel. Morgen früh, wenn es hell geworden ist, werde ich es bringen.«
»Ich danke dir! Und noch eins: Er trachtet nicht nur nach dem sprechenden Papiere, sondern auch nach meinen Gewehren. Sie sind berühmt, und er möchte sie sehr gern haben. In wessen Händen befinden sie sich jetzt?«
»In den meinigen.«
»So verwahre sie gut!«
»Sie sind vortrefflich aufgehoben. Selbst wenn es ihm gelänge, am hellen Tage mein Zelt zu betreten, würde er sie nicht sehen. Ich habe sie in zwei Decken geschlagen und unter mein Lager gelegt, damit sie ja nicht feucht werden, Sie gehören von jetzt an mir. Ich werde in dem Ruhme, einen Henrystutzen zu besitzen, dein Nachfolger sein, und da wird Old Shatterhand mir eine Bitte gewähren.«
»Wenn ich kann, sehr gern.«
»Ich habe die Gewehre genau betrachtet. Mit dem Bärentöter kann ich schießen, aber mit dem Stutzen nicht. Würdest du mir vor deinem Tode wohl zeigen, wie man es zu machen hat, um ihn zu laden und mit ihm zu schießen?«
»Ja.«
»Ich danke dir! Du hättest es nicht notwendig, mir dieses Geheimnis mitzuteilen. Wenn du es mir nicht sagtest, so wäre mir der Stutzen nutzlos. Da du es aber tust, werde ich dafür sorgen, daß du bis dahin, wo deine Martern beginnen, alles bekommst, was dein Herz begehrt.«
Er ging, ohne zu wissen, was für eine Hoffnung er in mir erweckt hatte.
Offen gestanden, hatte ich geglaubt, aus der Anwesenheit von Gates, Clay und Summer einen Nutzen ziehen zu können. Selbst wenn sie auch nicht grad Freunde von mir sein wollten, hatten sie als Weiße doch die Pflicht, sich meiner möglichst anzunehmen. Wenn sie das wollten und taten, so mußte sich irgend eine Gelegenheit finden, mir zum Loskommen vorn Baume des Todes zu verhelfen. Hatte ich nur erst die Fesseln von den Händen, dann konnte mich gewiß niemand halten. Leider aber mußte ich diesen Gedanken aufgeben. Das Verhalten von Gates hatte mir bewiesen, daß ich auf ihn und seine beiden Gefährten nicht rechnen durfte.
Ich war also auf mich ganz allein angewiesen. Aber auch da fiel es mir nicht ein, zu verzagen. Es mußte, mußte und mußte sich ein Weg finden, dem Martertode zu entgehen. Nur ein allereinzigesmal die Hand frei und ein Messer in derselben! Das war doch nicht unmöglich, ja nicht einmal schwer. Übrigens hatte ich zwar den Gedanken noch nicht gehabt, aber er kam mir jetzt, nämlich der Gedanke an ›Dunkles Haar‹. Sie schien Teilnahme für mich zu hegen, und ich wußte ja sehr wohl, wie vielen Weißen es gelungen ist, eine solche Teilnahme zur Flucht auszunützen. Mochte kommen, was da wollte, fort mußte ich! Fort, fort, und wenn ich noch im letzten Augenblicke, ehe man mich an den Marterpfahl band, zum verzweifelten Mittel greifen sollte!
Und da kam Pida und bat mich, ihm den Gebrauch meines Stutzens zu erklären! Etwas Besseres konnte ich mir doch gar nicht wünschen. Sollte ich ihm zeigen, wie das Gewehr zu laden, überhaupt zu behandeln war, so mußte er mir die Hände freigeben. Ein Griff in seinen Gürtel nach dem Messer und ein Schnitt durch die Riemen an meinen Füßen, so war ich nicht mehr gebunden und hatte meinen Stutzen mit den vielen Schüssen! Freilich war das ein gewagtes Unternehmen; aber was konnte ich denn mehr wagen als das Leben, welches ich im Falle des Mißlingens doch auch verlieren mußte?
Besser wäre es allerdings gewesen, wenn sich eine Gelegenheit geboten hätte, durch List zu entkommen, ohne mich den Kugeln oder überhaupt Waffen der Roten aussetzen zu müssen. Bis jetzt gab es noch keinen darauf bezüglichen Gedanken; vielleicht fand sich später einer; ich hatte ja noch Zeit.
Also während der Nacht sollte ich mich legen! Es waren rund um den Baum sechzehn Pfähle eingeschlagen, je vier nach jeder der vier Seiten; sie reichten also für vier Gefangene, und aus ihrer Anordnung ersah ich, in welcher Weise man daran befestigt wurde. Wenn man sich zwischen sie hineingelegt hatte, wurden die Hände und die Füße je an einen Pfahl gebunden; dann lag man so, daß die Arme und Beine weit auseinander gespreizt waren, gewiß eine sehr unbequeme Lage, welche den Schlaf wohl kaum aufkommen ließ, aber den Indianern die Sicherheit bot, daß der Gefangene, selbst wenn er nicht bewacht wurde, nicht loskommen konnte.
Während ich diese innerlichen und äußerlichen Betrachtungen anstellte, war es dunkel geworden, und vor den Zelten begannen die Feuer zu leuchten, an denen die Squaws das Abendessen bereiteten. ›Dunkles Haar‹ war es wieder, welche mir das meinige, und Wasser dazu, brachte. Sie mußte ihren Vater bewegt haben, sich die Erlaubnis dazu von Tangua geben zu lassen. Diesesmal sprachen wir nicht miteinander; nur als sie ging, bedankte ich mich. Hierauf verließen mich meine bisherigen Wächter, welche von zwei anderen abgelöst wurden, die sich nicht unfreundlicher zu mir stellten als die vorigen. Ich fragte sie, wann ich mich niederlegen müßte, und sie sagten, daß Pida kommen würde, um dabei zu sein.
Zunächst aber kam statt des jungen Häuptlings ein Anderer würdevollen, langsamen Schrittes herbei – – – ›Eine Feder‹, der Vater von meiner Pflegerin. Er blieb vor mir stehen, betrachtete mich wohl eine ganze Minute lang schweigend und befahl dann den Wächtern:
»Meine Brüder mögen sich entfernen, bis ich sie rufe! Ich habe mit diesem Bleichgesichte zu reden.«
Sie gehorchten ihm sofort; er mußte also in hohem Ansehen stehen, obgleich er kein Häuptling war. Als sie fort waren, setzte er sich vor mich hin, und es verging wieder eine Weile, ehe er in feierlichem Tone anhub:
»Die Bleichgesichter wohnten jenseits des großen Wassers; sie hatten Land genug; aber dennoch kamen sie über das Wasser herüber, um uns unsere Berge, Täler und Ebenen zu rauben.«
Hierauf schwieg er. Seine Worte bildeten nach indianischer Art eine Einleitung, aus der ich schloß, daß er etwas Wichtiges mit mir zu verhandeln hatte. Was konnte das sein? Fast ahnte ich es! Er erwartete wohl eine Antwort von mir; ich schwieg, und so fuhr er nach einer Pause fort:
»Sie wurden von den roten Männern gastfreundlich aufgenommen, vergalten aber diese Gastfreundschaft mit Diebstahl, Raub und Mord!«
Wieder eine Pause.
»Noch heut sind sie nur darauf bedacht, uns zu übervorteilen und immer weiter zurückzudrängen, und wenn ihnen das nicht mit List gelingt, so brauchen sie Gewalt!«
Abermals Pause.
»Wenn ein roter Mann einen Weißen sieht, so kann er gewiß sein, einen Todfeind vor sich zu haben. Oder gibt es etwa unter den Bleichgesichtern welche, die nicht unsere Feinde sind?«
Ich merkte wohl, auf was oder wen er mit dieser Einleitung lossteuerte, nämlich auf meine Person, auf mich selbst. Als ich auch jetzt noch zögerte, eine Bemerkung zu machen, sprach er die direkte Frage aus:
»Will Old Shatterhand mir nicht antworten? Haben die Weißen nicht also an uns gehandelt?«
»Ja, ›Eine Feder‹ hat recht,« gab ich zu.
»Sind sie nicht unsere Feinde?«
»Sie sind es.«
»Sollte es unter ihnen welche geben, die nicht so feindlich gesinnt sind wie die Andern?«
»Es gibt welche.«
»Old Shatterhand mag mir einen nennen!«
»Ich könnte dir mehrere, ja viele Namen sagen, will aber darauf verzichten, denn wenn du die Augen öffnest, so siehst du einen von ihnen vor dir stehen.«
»Ich sehe nur Old Shatterhand!«
»Den meine ich.«
»So nennst du dich also einen Weißen, der nicht so feindlich gegen uns handelt wie die Andern?«
»Nein.«
»Nicht?« fragte er gedehnt und erstaunt, denn mein Nein machte ihn in seinem Konzepte irre.
»Mein roter Bruder hat Worte gebraucht, die nicht das Richtige bezeichnen.«
»Welche Worte?«
»Daß ich nicht so feindlich handle wie die andern Weißen. Ich handle überhaupt nicht feindlich gegen die roten Männer.«
»Hast du nicht welche getötet oder verletzt?«
Ja, aber nur dann, wenn sie mich dazu zwangen. Ich bin nicht etwa, wie deine Worte sagten, nicht ganz, sondern nur ein wenig Feind der Indianer; ich bin auch nicht weder Feind noch Freund von euch, sondern ich bin geradezu ein Freund, ein aufrichtiger Freund der roten Männer. Das habe ich sehr oft bewiesen. Wo ich nur immer konnte, habe ich den roten Männern gegen die Weißen beigestanden und sie gegen die Übergriffe der Bleichgesichter verteidigt. Wenn du gerecht sein willst, mußt du das zugeben.«
»Ich bin gerecht!«
»Denke an Winnetou! Wir sind wie Freunde, und wir sind wie Brüder gegeneinander gewesen! War Winnetou nicht ein roter Mann?«
»Er war es, obgleich ein Feind von uns.«
»Er war nicht euer Feind, sondern ihr habt ihn euch zum Feinde gemacht. Wie er seine Apachen liebte, so liebte er alle Indianer. Er trachtete danach, mit allen in Frieden zu leben; sie aber zogen es vor, sich untereinander zu zerfleischen und aufzureiben. Das war sein Kummer, sein Gram, der ihn niemals verlassen hat. Und wie er fühlte und dachte, so habe ich auch gefühlt und gedacht. Alle unsere Handlungen und unsere Taten sind der Liebe und der Teilnahme entflossen, die wir für die rote Nation hegten.«
Ich hatte ebenso langsam und feierlich gesprochen wie er. Als ich nun schwieg, senkte er den Kopf und saß so mehrere Minuten still; dann hob er ihn wieder und sagte:
»Old Shatterhand hat die Wahrheit gesprochen. ›Eine Feder‹ ist gerecht und gibt das Gute selbst an seinen Feinden zu. Wären alle roten Männer so, wie Winnetou war, und folgten alle Bleichgesichter dem Beispiele, welches Old Shatterhand ihnen gibt, so würden die roten und die weißen Völker wie Brüder nebeneinander leben, sich lieben und einander helfen und die Erde hätte Raum für alle ihre Söhne und ihre Töchter. Aber es ist gefährlich, ein Beispiel zu geben, dem niemand folgen mag: Winnetou ist gestorben, indem ihn die Kugel eines Feindes traf, und Old Shatterhand geht dem Martertode entgegen.«
Jetzt hatte er das Gespräch auf dem Punkte, auf den er es hatte bringen wollen. Ich hielt es für geraten, ihm nicht entgegen zu kommen; darum schwieg ich. Er fuhr also fort:
»Old Shatterhand ist ein Held; er wird viele und große Qualen erdulden müssen. Wird er seinen Peinigern die Freude machen, ihn schwach zu sehen?«
»Nein. Wenn ich einmal sterben muß, so werde ich als ein Mann in den Tod gehen, dem man ein Grab der Ehren errichtet.«
»Wenn du sterben mußt? Hältst du deinen Tod für zweifelhaft?«
»Ja.«
»Du bist sehr aufrichtig!«
»Soll ich dich belügen?«
»Nein. Aber diese Wahrheit zu sagen, das ist außerordentlich kühn von dir!«
»Old Shatterhand ist niemals feig gewesen.«
»So hoffst du wohl auf Flucht?«
»Ja.«
Diese Offenheit war ihm noch viel erstaunlicher als die vorige.
»Uff, uff!« stieß er hervor, indem er beide Hände erhob. »Du bist bis jetzt sehr nachsichtig behandelt worden; man wird dir größere Strenge zeigen müssen!«
»Ich fürchte keine Strenge; sie erschreckt mich nicht; ich bin vielmehr stolz darauf, dir die Wahrheit nicht verschwiegen zu haben. Dies hätte kein Anderer getan.«
»Old Shatterhand hat recht. Nur er kann die Kühnheit besitzen, so ehrlich zu sagen, daß er die Flucht ergreifen will. Es ist das nicht nur kühn, sondern verwegen!«
»Nein. Ein Verwegener handelt entweder nicht mit klarer Einsicht oder aus dem Grunde, daß er nichts mehr zu verlieren hat. Meine Aufrichtigkeit aber hat einen guten Grund und einen ganz besonderen Zweck.«
»Welchen?«
»Ich kann ihn dir nicht sagen, sondern du mußt ihn dir denken.«
Was ich ihm nicht sagen durfte, war das: Er kam jedenfalls, um mich dadurch zu retten, daß er mir seine Tochter zur Frau anbot. Wenn ich darauf einging, so wurde ich nicht getötet, sondern erhielt meine Freiheit wieder nebst einer jungen Frau dazu, mußte aber Kiowa werden. Darauf konnte ich natürlich nicht eingehen, ich war also gezwungen, ›Eine Feder‹ mit seinem Antrage zurückzuweisen, was ihn nicht nur außerordentlich kränken, sondern mit Rachedurst erfüllen mußte. Um dem vorzubeugen, sagte ich ihm so aufrichtig, daß ich meinen Tod nicht für so sicher hielt wie er. Das sollte heißen: Biete mir deine Tochter nicht an, denn ich rette mich auch, ohne daß ich der Mann einer Indianerin werde. Wenn er diesen Wink verstand, entging er der Kränkung und ich seinem Hasse und seiner Rache. Er sann auch wirklich nach, kam aber leider nicht auf den richtigen Gedanken, denn er sagte in einem nach seiner Art pfiffig überlegenen Tone:
»Old Shatterhand will uns nur Sorge um ihn bereiten, obwohl er weiß, daß er nicht entkommen kann. Er hält es unter seiner Würde, einzugestehen, daß er verloren ist; aber ›Eine Feder‹ läßt sich nicht dadurch irre machen. Du weißt genau, daß du verloren bist.«
»Ich weiß genau, daß ich entfliehen werde!«
»Du wirst zu Tode gemartert!«
»Ich werde entkommen!«
»Flucht ist unmöglich, denn wenn ich sie für möglich hielte, so würde ich mich selbst hersetzen, um dich zu bewachen; entkommen wirst du also nicht; aber daß du dem Tode entgehest, dazu ist allerdings eine Möglichkeit vorhanden.«
»Welche?« fragte ich, da er nun einmal nicht davon abzubringen war.
»Mit meiner Hilfe.«
»Ich bedarf keiner Hilfe!«
»Du bist doch noch viel stolzer, als ich dachte. Wer weist eine Hilfe zurück, mit welcher er sein Leben retten kann!«
»Der, welcher diese Hilfe nicht braucht, weil er es versteht, sich selbst zu retten.«
»Du bleibst bei deinem Stolze, der lieber untergeht als jemand Dank schuldet. Aber ich fordere keinen Dank; ich will Dich frei sehen. Du weißt, daß ›Dunkles Haar‹ bei dir gewesen ist?«
»Ja.«
»Sie ist meine Tochter. Sie hat großes Mitleid mit dir.«
»Da muß Old Shatterhand ein sehr bedauerns- und beklagenswerter Mensch, aber kein tapferer Krieger sein! Mitleid ist ja eine Beleidigung!«
Ich bediente mich mit Absicht dieses barschen Ausdruckes, um ihn zum Aufgeben seiner Absicht zu bringen; aber auch dies gelang mir nicht; er versicherte im milden Tone:
»Beleidigen wollte ich dich nicht. Noch ehe sie dich sah, hat sie von dir so viel gehört. Sie weiß, daß Old Shatterhand der größte weiße Krieger ist, und möchte dich gern retten.«
»Das zeigt, daß ›Dunkles Haar‹ ein gutes Herz besitzt; aber daß sie mich rettet, ist geradezu eine Unmöglichkeit.«
»Es ist nicht unmöglich, sondern sogar leicht.«
»Du befindest dich im Irrtume.«
»Nein. Du kennst alle Gebräuche der roten Männer, aber dieser scheint dir unbekannt zu sein. Du wirst auf denselben eingehen, denn du hast zu ›Dunkles Haar‹ gesagt, daß sie dir gefällt.«
»Das ist wieder eine Täuschung. Ich habe dies nicht zu ihr gesagt.«
»Sie gestand es mir aber doch! Und meine Tochter hat mir noch keine Unwahrheit gesagt.«
»So liegt eine Verwechslung der Personen vor. Sie brachte mir zu essen. Da fragte mich der Wächter, ob sie mir gefalle, und ich sagte ja. So ist es.«
»Das ist ganz dasselbe; sie hat dir gefallen. Weißt du, daß derjenige zum Stamme gehört oder in denselben aufgenommen werden kann, der eine Tochter desselben zu seiner Squaw macht?«
»Ja.«
»Auch wenn er vorher ein Feind oder gar ein Gefangener desselben gewesen ist?«
»Ich weiß es.«
»Und daß ihm dann seine Schuld erlassen und sein Leben geschenkt wird?«
»Auch das ist mir bekannt.«
»Uff! So wirst du mich verstehen.«
»Ja, ich verstehe dich.«
»Meine Tochter gefällt dir, und du gefällst ihr. Willst du sie zur Squaw nehmen?«
»Nein.«
Es trat eine tiefe, lange Stille ein. Das hatte er nicht erwartet. Ich war ein Kandidat des Todes und sie eines der begehrenswertesten Mädchen, die Tochter eines der angesehensten Krieger des Stammes, und dennoch schlug ich sie aus! War so etwas möglich?
Endlich fragte er, aber sehr kurz:
»Warum nicht?«
Konnte ich ihm meine eigentlichen Gründe sagen? Daß ein gebildeter Europäer nicht seine ganze Existenz dadurch vernichten kann, daß er ein rotes Mädchen heiratet? Daß einem solchen Manne die Ehe mit einer Indianerin nicht das bieten kann, was sie bieten soll und muß? Daß Old Shatterhand nicht zu den weißen Halunken gehört, die eine rote Squaw nehmen, nur um sie später zu verlassen; die oft gar bei jedem andern Stamme eine andere Frau haben? Diese und viele andere Gründe, welche nicht innerhalb seines Horizontes lagen, konnte ich sie ihm sagen? Nein. Ich mußte einen Grund bringen, den er verstehen und begreifen konnte, und darum antwortete ich:
»Mein roter Bruder hat gesagt, daß er Old Shatterhand für einen großen Krieger halte, dies scheint aber nicht wahr zu sein.«
»Es ist wahr.«
»Und doch soll ich mein Leben aus der Hand eines Weibes nehmen? Würdest du das tun?«
»Uff!« rief er aus.
Dann war er still. Dieser Grund schien ihm einzuleuchten, wenigstens einigermaßen. Nach einiger Zeit fragte er mich:
»Was denkt Old Shatterhand von ›Eine Feder‹?«
»Daß er ein großer, tapferer und erfahrener Krieger ist, auf den sich sein Stamm im Kampfe und bei der Beratung verlassen kann.«
»Du würdest mein Freund sein mögen?«
»Sehr gern.«
»Und was sagst du zu ›Dunkles Haar‹, die meine jüngste Tochter ist?«
»Sie ist die liebste und beste Blume unter den Töchtern der Kiowas.«
»Ist sie eines Mannes wert?«
»Jeder Krieger, dem du erlaubst, sie zur Squaw zu nehmen, kann stolz darauf sein.«
»Du weisest sie also nicht zurück, weil du mich oder sie verachtest?«
»Das sei fern von mir! Aber Old Shatterhand kann sein Leben verteidigen, kann sich dasselbe erkämpfen, aber es aus der Hand eines Weibes nehmen, das kann er nicht.«
»Uff, uff!« nickte er.
»Soll Old Shatterhand etwas tun, worüber jeder, der es am Lagerfeuer erzählen hört, die Nase rümpft?«
»Nein.«
»Soll man von Old Shatterhand sagen: Er ist vor dem Tode ausgerissen und einer hübschen, jungen Squaw in die Arme gelaufen?«
»Nein.«
»Habe ich nicht die Pflicht, meinen Ruf und meine Ehre zu wahren, selbst wenn ich deshalb mein Leben auslöschen lassen muß?«
»Ja.«
»So wirst du nun begreifen, daß ich nein sagen muß. Aber ich danke dir, und ich danke auch ›Dunklem Haare‹, deiner schönen Tochter! Ich wollte, ich könnte euch in anderer Weise als nur in Worten dankbar sein!«
»Uff, uff, uff! Old Shatterhand ist ein ganzer Mann. Es ist zu beklagen, daß er sterben muß. Was ich ihm vorschlug, war das einzige Mittel, ihn zu retten; aber ich sehe ein, daß er als tapferer Krieger es nicht annehmen kann. Wenn ich das meiner Tochter sage, wird auch sie ihm nicht zürnen.«
»Ja, sage ihr das! Es würde mir sehr leid tun, wenn sie dächte, daß ich dich nur ihretwegen zurückgewiesen hätte.«
»Sie wird dich noch mehr lieben und ehren als bisher, und wenn du am Marterpfahle stehst und alle Andern dabei sind, um deine Qualen zu sehen, wird sie im tiefsten und dunkelsten Winkel ihres Zeltes sitzen und ihr Angesicht verhüllen. Howgh!«
Nach diesem Bekräftigungsworte stand er auf und entfernte sich, ohne wieder davon zu sprechen, daß er bei mir Wache sitzen wolle. Die Wächter nahmen, als er fort war, ihre Plätze wieder ein.
Gott sei Dank, das war glücklich überwunden! Das war eine Klippe, an welcher meine Hoffnung auf Rettung sehr leicht hätte Schiffbruch leiden können, denn wenn ich ihn mir zum Feind gemacht und seine Rachsucht herausgefordert hätte, so wäre seine Wachsamkeit mir unbedingt gefährlicher gewesen als alles andere.
Bald darauf kam Pida, und ich mußte mich niederlegen. Mit weit auseinander gespreizten Armen und Beinen wurde ich an vier Pfähle gebunden, doch bekam ich eine zusammengerollte Decke als Kopfkissen und wurde mit einer zweiten zugedeckt.
Kaum war Pida fort, so bekam ich einen andern Besuch, einen Besuch, über den ich mich außerordentlich freute: Mein Schwarzschimmel war es, der in der Nähe geweidet hatte, ohne sich den andern Pferden beizugesellen, und, nachdem er mich liebkosend beschnaubt hatte, sich neben mir niederlegte. Die Wächter hinderten ihn nicht daran; das Pferd konnte mich doch nicht losbinden und entführen.
Diese Treue des Schimmels war jetzt für mich von großem Werte. Wenn mir die Flucht ja gelang, so war dies wahrscheinlich in der Nacht, und wenn es mein Pferd stets so machte wie heute, so daß es des Abends zu mir kam, so brauchte ich mich nicht mit einem andern, minderwertigen zu begnügen oder mir die schwere und zeitraubende, darum gefährliche Arbeit zu machen, es zu suchen.
Es war so, wie ich vermutet hatte: ich konnte nicht schlafen. Die auseinandergezogenen Arme und Beine begannen zu schmerzen und schliefen dann ein. Wenn ich ja einmal einschlummerte, so wachte ich sehr bald wieder auf, und es war geradezu eine Erlösung für mich, als der Morgen anbrach und ich wieder los- und an den Baum gebunden wurde.
Wenn dies noch viele Nächte so geschah, so mußte ich trotz der guten körperlichen Ernährung physisch herunterkommen; aber sagen durfte ich nichts, denn über Schlaflosigkeit sich beklagen, wie wäre Old Shatterhand da blamiert gewesen!
Ich war neugierig, wer mir das Frühstück bringen würde. Ob ›Dunkles Haar‹? Wohl kaum, denn ich hatte ihren Vater zurückgewiesen! Aber sie kam doch. Sie sagte kein Wort, aber in ihren Augen las ich, daß sie nicht etwa über mich zornig, sondern vielmehr traurig war.
Als Pida kam, um nach mir zu sehen, erfuhr ich, daß er mit einem Trupp seiner Krieger auf die Jagd reiten und erst am Nachmittage wiederkommen werde. Ich sah sie kurze Zeit darauf auf die Prärie hinaussprengen.
Einige Stunden vergingen; da sah ich Santer unter den Bäumen erscheinen. Er führte sein gesatteltes Pferd an der Hand, hatte sein Gewehr übergeworfen und kam gerade auf mich zu. Er hielt vor mir an und sagte:
»Ich will auch auf die Jagd und halte es für meine Schuldigkeit, Euch dies zu melden, Mr. Shatterhand. Wahrscheinlich treffe ich Pida da draußen, der Euch so wohl gewogen ist und mich so wenig leiden kann.«
Er schien eine Antwort zu erwarten, aber ich tat so, als ob ich ihn weder gehört noch gesehen hätte.
»Ihr seid wohl taub geworden, he?«
Wieder keine Antwort.
»Das tut mir leid, nicht bloß um Euch, sondern auch meinetwegen!«
Er streichelte mir mit höhnischer Zärtlichkeit den Arm.
»Fort, Halunke!« fuhr ich ihn an.
»Oh, reden könnt Ihr, aber hören nicht. Schade, jammerschade! Wollte Euch einiges fragen.«
Er sah mir frech in das Gesicht. Das seinige hatte dabei einen ganz eigentümlichen, ich möchte sagen, teuflisch triumphierenden Ausdruck. Er hatte irgend etwas in petto; das war gewiß.
»Ja, wollte Euch fragen,« wiederholte er. »Würdet Euch dafür interessieren, wenn Ihr es hörtet, Mr. Shatterhand.«
Er sah mich erwartungsvoll an, ob ich etwas sagen würde. Als dies nicht geschah, lachte er:
»Hahahaha, gibt das ein Bild! Der berühmte Old Shatterhand am Todesbaume, und der Schurke Santer ein freier Mann! Aber es kommt noch besser, viel besser, Sir. Ist Euch vielleicht ein Wald bekannt, hin, ja, so eine Art Fichtenwald oder Indeltsche-tschil?«
Dieses Wort elektrisierte mich. Es stand ja in Winnetous Testament. Ich fühlte, daß meine Augen ihn durchbohren wollten.
»Ach, da guckt er mich an, als ob er anstatt der Augen Säbel im Kopfe hätte!« lachte er. »Ja, ja, es soll solche Wälder geben, wie ich gehört habe!«
»Schurke, wo hast du das her?« fragte ich.
»Daher, woher ich auch den Tse-schosch habe. Kennst du den vielleicht?«
»Alle Wetter! Ich werde – – –«
»Warte nur, warte!« unterbrach er mich. »Was ist denn das für ein sonderbares Ding, ein Deklil-to, oder wie es heißt? Ich möchte – – –«
»Kerl!« rief, nein, schrie, nein, brüllte ich. »Du hast die Papiere, die ich dem – – –«
»Ja, die habe ich!« fiel er mir mit höhnisch-triumphierendem Gelächter in die Rede.
»Du hast Pida bestohlen!«
»Bestohlen? Unsinn, Blödsinn! Ich habe nur geholt, was mir gehört. Nennt man das stehlen? Ich habe die Papiere; ich habe sie mit der ganzen Emballage.«
Bei diesen Worten klopfte er an seine Brusttasche.
»Haltet ihn! Nehmt ihn fest!« schrie ich, fast außer mir, den Wächtern zu.
»Mich halten?« lachte er, indem er schnell in den Sattel stieg. »Versucht es doch!«
»Laßt ihn nicht fort!« brüllte ich. »Er hat Pida bestohlen; er darf nicht entkommen, nicht – – –«
Die Worte, welche ich weiter sprechen wollte, erstickten in der Anstrengung, die ich machte, mich vom Baume loszureißen. Santer ritt davon, ritt im Galopp davon, und die Wächter waren zwar aufgesprungen, taten aber nichts, als daß sie ihm mit verständnislosen Augen nachstierten. Winnetous Testament! Der letzte Wille meines Bruders Winnetou war gestohlen worden! Da draußen jagte der Dieb schon über den offenen Plan, und kein Mensch machte Miene, ihn zu verfolgen!
Ich war außer mir und zog, zog, zog mit aller Gewalt an dem Riemen, der meine Hände fest am Baume hielt. Ich dachte nicht daran, daß er gradezu unzerreißbar war und daß ich auch nicht fortgekonnt hätte, wenn er zerrissen wäre, weil meine Füße doch auch festgebunden waren. Ich fühlte auch die Schmerzen nicht, welche sein Einschneiden in die Handgelenke hervorbringen mußte; ich zog und zog und schrie und schrie – – – da stürzte ich plötzlich vornüber auf die Erde; der Riemen war zerrissen.
»Uff, uff!« riefen die Wächter; »er ist los, er ist los!«
Sie griffen nach mir, um mich zu halten.
»Laßt mich, laßt!« brüllte ich. »Ich will ja gar nicht fliehen; ich will nur los, um Santer zu verfolgen und festzuhalten! Er hat Pida, euern jungen Häuptling, bestohlen.«
Mein Geschrei hatte natürlich das ganze Dorf rebellisch gemacht. Alles eilte herbei, um mich festzuhalten. Das war verhältnismäßig leicht, weil ich noch mit den Füßen festhing und es hundert Hände gab, die sich nach mir ausstreckten; aber ohne Hiebe und Stöße von meiner und Schrammen und Beulen von ihrer Seite ging es doch nicht ab, bis ich mit den Händen wieder fest am Baume hing.
Die roten Kerls rieben sich die Stellen, an denen ich sie getroffen hatte, schienen mir aber gar nicht sehr böse darüber zu sein, sondern äußerten ihr außerordentliches Erstaunen nur darüber, daß ich den Riemen zerrissen hatte.
»Uff, uff, uff – – – losgekommen – – hätte kein Büffel zerrissen – – – hätte kein Mensch glauben können!«
Solche und ähnliche Bewunderungsrufe wurden laut, und nun erst fühlte ich die Schmerzen in meinen Handgelenken, welche bluteten, denn der Riemen hatte mir, ehe er zerriß, daß Fleisch bis auf die Knochen zerschnitten.
»Was steht ihr hier und starrt mich an!« herrschte ich ihnen zu. »Habt ihr noch nicht verstanden, was ich gesagt habe? Santer hat Pida bestohlen. Schnell auf die Pferde! Holt ihn zurück!«
Aber keiner gehorchte. Ich war außer mir und schrie immerfort, bis endlich Einer kam, der verständiger als die Andern war, nämlich ›Eine Feder‹. Er drängte die Andern auseinander, kam zu mir und fragte, was geschehen sei. Ich sagte es ihm.
»Das sprechende Papier gehörte also jetzt Pida?« erkundigte er sich zum Überflusse.
»Natürlich, natürlich! Du hast ja auch dabei gesessen, als es ihm zugesprochen wurde!«
»Und du weißt genau, daß Santer mit demselben entflohen ist und nicht wiederkommen will?«
»Ja, ja!«
»So müssen wir Tangua fragen, was geschehen soll, denn er ist der Häuptling.«
»Fragt ihn meinetwegen, fragt! Aber zögert nicht, sondern macht schnell, schnell, schnell!«
Aber er zauderte noch, denn er sah den Riemen, den ich zerrissen hatte, an der Erde liegen, bückte sich, betrachtete ihn, schüttelte den Kopf und fragte den ihm nächststehenden Roten:
»Das ist der Riemen, den er zerrissen hat?«
»Ja.«
»Uff, uff! Ja, er ist Shatterhand! Und dieser Mann muß sterben! Warum ist er kein roter Krieger, kein Kiowa, sondern ein Bleichgesicht!«
Nun erst ging er fort und nahm den Riemen mit; die Andern außer meinen Wächtern folgten ihm.
Nun wartete ich mit Spannung, mit verzehrender Ungeduld darauf, wann die Verfolgung des Diebes beginnen werde. Keine Spur davon! Nach kurzer Zeit ging das ruhige Dorfleben in seinen bisherigen Bahnen weiter. Das hätte mich rasend machen können. Ich bat meine Aufseher, sich doch zu erkundigen. Sie durften nicht fort. Sie riefen einen Andern herbei, durch den ich erfuhr, Tangua habe die Verfolgung untersagt; an den sprechenden Papieren liege nichts, denn Pida könne es nicht lesen und nicht brauchen.
Man kann sich meine Aufregung, meinen Ärger, nein, nicht bloß Ärger, sondern meine Wut denken! Ich knirschte mit den Zähnen, daß meine Wächter besorgt zu mir aufblickten, und war nahe daran, mich wieder loszureißen, trotz der Schmerzen, die mir das verursachte. Ich stöhnte förmlich vor Grimm. Aber was konnte das nützen und helfen? Nichts, gar nichts! Ich mußte mich darein ergeben. Das sah ich endlich ein und zwang mich, wenn nicht zur innern, so doch zur äußern Ruhe. Aber die erste Gelegenheit zur Flucht mußte benutzt werden, und wenn die Hindernisse dabei noch so bedeutend sein sollten; das nahm ich mir vor!
So mochten drei Stunden vergangen sein, als ich eine weibliche Stimme laut rufen hörte. Ich hatte vorhin gesehen, aber es nicht beachtet, daß ›Dunkles Haar‹ aus ihrem Zelt getreten und fortgegangen war. Jetzt kam sie eiligen Laufes und laut schreiend zurück, verschwand im Eingange und kam dann mit ihrem Vater wieder heraus, der, auch laut rufend, mit ihr davonrannte. Alle, die sich in der Nähe befanden, liefen hinter ihnen her. Da mußte etwas, und zwar etwas Wichtiges geschehen sein! Vielleicht bezog es sich auf den Diebstahl der Papiere!
Es dauerte nicht lange, so kam ›Eine Feder‹ stracks nach der Stelle gerannt, wo ich am Baume stand, und rief mir schon von weitem zu:
»Old Shatterhand versteht alles. Ist er auch ein Arzt?«
»Ja,« antwortete ich, in der Hoffnung, zu einem Kranken geführt zu werden, denn da mußte man mich ja losbinden.
»Du kannst also Kranke heilen?«
»Ja.«
»Aber nicht Tote erwecken?«
»Ist jemand tot? Wer ist es?«
»Meine Tochter.«
»Deine Tochter? ›Dunkles Haar‹?« fragte ich erschrocken. »Nein, sondern ihre Schwester, die Squaw des jungen Häuptlings Pida. Sie lag gefesselt an der Erde und regte sich nicht. Der Medizinmann hat sie untersucht und gesagt, daß sie gestorben sei, erschlagen von Santer, dem Diebe der sprechenden Papiere. Will Old Shatterhand mitkommen und ihr das Leben wiedergeben?«
»Führt mich zu ihr!«
Ich wurde vom Baume gelöst und dann mit wieder zusammengebundenen Händen und lang gefesselten Füßen durch das Dorf nach Pidas Zelt geführt. Daß ich dieses und die Lage desselben jetzt kennen lernte, war mir außerordentlich lieb, weil sich in demselben, wie ich ja wußte, meine beiden Gewehre befanden. Der Platz wimmelte von roten Männern, Frauen und Kindern, welche ehrerbietig eine Gasse bahnten, so daß ich hindurch konnte.
Ich trat mit ›Eine Feder‹ in das Zelt, in welchem ›Dunkles Haar‹ und ein alter häßlicher Kerl neben der am Boden liegenden vermeintlichen Leiche hockten; dieser Kerl war der Medizinmann, Beide standen auf, als sie mich eintreten sahen. Ich überflog mit einem Blicke den ganzen Raum. Ah, da links lag mein Sattel mit der Decke, und an einer der Seitenstangen hingen meine Revolver, und über ihnen steckte das Bowiemesser! Diese Gegenstände befanden sich hier, weil der Besitzer des Zeltes jetzt ihr Eigentümer sein sollte. Es läßt sich denken, wie froh ich darüber war!
»Old Shatterhand mag die Tote ansehen, ob er sie wieder lebendig machen kann!« bat mich ›Eine Feder‹.
Ich kniete nieder und untersuchte sie mit den gefesselten Händen. Erst nach längerer Zeit entdeckte ich, daß ihr Blut noch in Bewegung war. Ihr Vater und ihre Schwester hielten ihre Augen mit angstvoller Spannung auf mich gerichtet.
»Sie ist tot, und kein Mensch kann Tote erwecken,« erklärte der Medizinmann.
»Old Shatterhand kann es,« behauptete ich.
»Du kannst es, du? Wirklich?« fragte ›Eine Feder‹ schnell und froh.
»Wecke sie auf, o wecke sie auf!« bat mich ›Dunkles Haar‹, indem sie mir beide Hände auf die Schulter legte.
»Ja, ich kann es, und werde es tun,« wiederholte ich; »aber wenn das Leben wiederkehren soll, so darf kein Mensch als ich allein bei der Toten sein.«
»Wir sollen also hinaus?« fragte der Vater.
»Ja.«
»Uff! Weißt du, was du verlangst?«
»Was?« fragte ich, obgleich ich es sehr wohl wußte.
»Hier sind deine Waffen. Wenn du sie bekommst, bist du frei. Versprichst du mir, sie nicht anzurühren?«
Es läßt sich denken, wie schwer mir die Antwort wurde. Mit dem Messer konnte ich meine Fesseln trennen. Hatte ich dann die Revolver und den Stutzen, so hätte ich den sehen mögen, der so tollkühn gewesen wäre, sich an mich zu wagen! Aber nein! Es konnte dabei zum Kampfe kommen, was zu vermeiden war, und es widerstrebte mir, die Ohnmacht eines Weibes zu einem solchen Zwecke auszubeuten. Auf einem für weibliche Arbeiten aufgespannten Felle sah ich verschiedene Handwerkszeuge, Nadeln, Bohrer und dergleichen liegen, dabei auch zwei oder drei kleine Messer, wie sie von den Indianerinnen zum Auftrennen der starken, festen Sehnennähte gebraucht werden. Diese kleinen, dünnen Klingen pflegen sehr scharf zu sein. Ich brauchte nur ein solches Messer, um bald frei zu sein. Darum antwortete ich getrost:
»Ich verspreche es. Ihr könnt, um ganz sicher zu sein, die Waffen ja auch mit hinausnehmen!«
»Nein, das ist nicht nötig. Was Old Shatterhand verspricht, das hält er sicher. Aber das genügt noch nicht.«
»Was noch?«
»Du könntest, da du einmal vorn Baume los bist, die Flucht auch ohne diese Waffen und in anderer Weise ergreifen. Willst du mir versprechen, dies jetzt nicht zu tun?«
»Ja.«
»Wieder zum Baume des Todes zurückzukehren und dich anbinden zu lassen?«
»Ich gebe dir mein Wort darauf!«
»So kommt heraus! Old Shatterhand ist kein Lügner wie Santer; wir dürfen ihm vertrauen.«
Als sie das Zelt verlassen hatten und ich mich allein in demselben befand, war es mein Erstes, eins dieser Messer unter den zugeknöpften linken Ärmelbund meines Hemdes zu schieben; dann erst beschäftigte ich mich wieder mit der Frau.
Ihr Mann war auf der Jagd; das hatte Santer benutzt, bei ihr einzudringen. Seitdem war so lange Zeit vergangen, und sie lag noch immer besinnungslos da. Das konnte nicht nur eine durch den Schreck verursachte Ohnmacht sein, sondern es war eine tiefere Betäubung. Ich griff ihr also an den Kopf und fühlte, daß der Oberschädel in der Gegend der Pfeilnaht stark geschwollen war. Als ich drückte, stieß die Frau einen schmerzlichen Seufzer aus. Ich drückte wieder und wieder, bis sie die Augen öffnete und mich ansah, erst stier und ohne Gedanken; dann aber hauchte sie meinen Namen ›Old Shatterhand‹.
»Kennst du mich?« fragte ich.
»Ja.«
»Besinne dich! Werde nicht wieder ohnmächtig, sonst bleibst du tot! Was ist geschehen?«
Meine Drohung, daß sie tot bleiben würde, war von guter Wirkung. Sie gab sich Mühe, raffte sich zusammen, richtete sich mit meiner Hilfe sitzend auf, legte die Hände auf den schmerzenden Kopf und sagte:
»Ich war allein; er kam herein und verlangte die Medizin; ich gab sie ihm nicht; da schlug er mich.«
»Wo war die Medizin? Ist sie fort?«
Sie blickte nach einer Stange empor und rief erschrocken, natürlich mit matter Stimme:
»Uff! Sie ist fort! Er hat sie genommen! Als er mich schlug, fiel ich hin; weiter weiß ich nichts.«
Erst jetzt fiel es mir ein, daß Pida gestern gesagt hatte, daß er die Papiere sehr sorgfältig in der Medizin verbergen werde. Und heut, ehe Santer fortritt, rühmte er sich, sie mit der ganzen Emballage zu besitzen. Er hatte also die Papiere samt der Medizin mitgenommen. Dem Häuptling Pida war also die Medizin gestohlen worden, ein beinahe unersetzlicher Verlust! Er mußte, um sie wieder zu erhalten, den Dieb sofort verfolgen.
»Bist du jetzt stark genug, wach zu bleiben? Oder wirst du wieder umfallen?« fragte ich.
»Ich falle nicht,« erklärte sie. »Du hast mir das Leben wiedergegeben; ich danke dir!«
Da stand ich auf und öffnete die Zeltmatte. Vater und Schwester standen nahe derselben, weiterhin die Dorfbewohner.
»Kommt herein!« forderte ich die Beiden auf. »Die Tote ist wieder lebend geworden.«
Welche Freude diese Worte hervorbrachten, brauche ich nicht zu sagen. Vater und Tochter und dann mit ihnen später auch alle Kiowas waren überzeugt, daß ich ein Wunder getan hatte. Es gab für mich keinen Grund, ihnen zu widerstreiten. Ich verordnete natürlich nichts als Umschläge und zeigte ihnen, wie diese zu machen seien.
So groß diese Freude, war dann auch die Wut über das Verschwinden der Medizin. Dies mußte natürlich Tangua gemeldet werden, welcher dem Diebe sofort eine Kriegerschar nachschickte und auch mehrere Boten aussandte, die Pida suchen sollten. Ich wurde von ›Eine Feder‹ wieder nach dem Baume des Todes geführt und dort festgebunden. Er war meines Lobes voll und strömte von Dankbarkeit über, freilich nur nach Indianerart.
»Wir werden dir nun noch viel größere Qualen am Pfahle bereiten, als wir vorher wollten,« versicherte er mir. »Noch nie soll ein Mensch so gelitten haben wie du, damit du in den ewigen Jagdgründen der größte und höchste aller Bleichgesichter werdest, welche die Erlaubnis bekommen, dort einzuziehen.«
Danke! dachte ich; laut aber sagte ich:
»Hättet ihr Santer sofort verfolgt, wie ich es verlangte, so wäre er wieder in eure Hände geraten; nun aber wird er wahrscheinlich entkommen!«
»Wir fangen ihn! Seine Spur muß deutlich zu lesen sein.«
»Ja, wenn ich hinter ihm her sein könnte!«
»Das kannst du doch!«
»Ich? Ich bin doch gefangen und gefesselt!«
»Wir lassen dich mit Pida fortreiten, wenn du versprichst, mit ihm wiederzukommen und dich martern zu lassen. Sag, ob du das tun willst!«
»Nein. Wenn ich einmal sterben soll, dann lieber so bald wie möglich; ich kann es kaum erwarten.«
»Ja, du bist ein Held; das weiß ich, und das höre ich jetzt wieder, denn nur ein Held kann solche Worte sagen. Wir alle beklagen es, daß du kein Kiowa bist!«
Er ging, und ich war rücksichtsvoll genug, ihm nicht vorher zu sagen, daß seine Klage in meinem fühllosen Herzen keinen Widerhall fand. ich hegte ja sogar die Absicht, alle diese meine Bewunderer schon in der nächsten Nacht zu verlassen, und zwar, ohne Abschied von ihnen zu nehmen!
Pida war schnell gefunden worden und kam auf schweißtriefendem Pferde in das Dorf gesprengt. Sein erster Weg war natürlich in sein Zelt, sein nächster zu seinem Vater, und dann kam er zu mir. Er sah äußerlich ruhig aus, mußte sich aber wohl große Mühe geben, seine Aufregung zu verbergen.
»Old Shatterhand hat meine Squaw, welche ich liebe, vom Tode erweckt und wieder lebendig gemacht,« sagte er, »Ich danke ihm. Er weiß Alles, was geschehen ist?«
»Ja. Wie befindet sich die Squaw?«
»Ihr Kopf schmerzt, doch das Wasser tut ihr wohl; sie wird bald wieder gesund sein. Aber meine Seele ist krank und kann nicht eher geheilt werden, als bis ich meine Medizin wieder habe.«
»Warum ließet Ihr Euch nicht warnen?«
»Old Shatterhand hat immer recht. Hätten unsere Krieger ihm wenigstens heut gehorcht, dem Diebe sogleich nachzujagen, so wäre er wohl jetzt schon wieder hier.«
»Pida wird ihn verfolgen?«
»Ja. Ich muß eilen und bin nur zu dir gekommen, um Abschied zu nehmen. Nun wird dein Tod wieder aufgeschoben, obgleich du gern schnell sterben möchtest, wie ›Eine Feder‹ sagt. Du mußt warten, bis ich wiederkomme!«
»Gern!«
Das war wirklich höchst aufrichtig gemeint; er aber nahm es nach seiner Anschauung und tröstete mich:
»Es ist nicht gut, den Tod so lange vor Augen zu haben, aber ich habe befohlen, daß dir diese Zeit so leicht wie möglich gemacht wird. Noch leichter aber würde sie dir werden, wenn du das tun wolltest, was dir vorzuschlagen ich jetzt gekommen bin.«
»Was ist es?«
»Willst du mit mir reiten?«
»Ja.«
»Uff! Das ist gut, denn da werden wir den Dieb ganz gewiß ergreifen! Ich werde dich sofort losbinden und dir deine Waffen geben.«
»Halt, noch nicht! Ich stelle meine Bedingung.«
»Ich will sie hören.«
»Daß ich nur als freier Mann mitreite.«
»Uff! Das ist nicht möglich.«
»So bleibe ich da.«
»Du bist ja frei, solange wir fort sind; dann aber kehrst du mit mir zurück und bist wieder unser Gefangener. Wir verlangen nichts von dir, als daß du uns dein Wort gibst, uns unterwegs nicht zu entfliehen.«
»Ihr nehmt mich also nur mit, weil mir keine Fährte entgehen kann? Ich danke! Ich bleibe hier. Als Spürhund läßt Old Shatterhand sich nicht gebrauchen!«
»Willst du dich nicht anders besinnen?«
»Nein.«
»Bedenke wohl! Es ist dann möglich, daß wir den Dieb meiner Medizin nicht ergreifen.«
»Mir entgeht er nicht, wenn ich ihn haben will. Ein jeder mag sich holen, was ihm gestohlen worden ist.«
Er schüttelte, ohne mich zu verstehen, enttäuscht den Kopf und beteuerte mir:
»Ich hätte dich gern mitgenommen, um dir dafür zu danken, daß du meine Squaw lebendig gemacht hast. Ich kann nicht dafür, daß du nicht willst.«
»Wenn du mir wirklich danken willst, so kannst du mir einen Wunsch erfüllen.«
»Sage ihn mir!«
»Ich habe eine Vermutung, welche sich auf die drei Bleichgesichter bezieht, die mit Santer gekommen sind. Wo befinden sie sich?«
»Jetzt noch in ihrem Zelte.«
»Frei?«
»Nein. Sie sind gefesselt. Sie waren die Freunde des Diebes meiner Medizin.«
»Aber sie sind unschuldig!«
»Das sagen sie; aber Santer ist jetzt unser Feind, und die Freunde meines Feindes sind meine Feinde. Sie werden an den Baum des Todes gebunden und mit dir sterben.«
»Und ich sage dir, daß sie von Santers Tat nicht das Geringste gewußt haben!«
»Das geht uns nichts an! Hätten sie auf dich gehört! Ich weiß, daß du sie gewarnt hast.«
»Pida, der junge, tapfere und edle Häuptling der Kiowas, mag hören, was ich ihm sage: Ich soll den Martertod sterben und habe nicht für mich gebeten; für sie aber bitte ich.«
»Uff! Wie lautet deine Bitte?«
»Gib sie frei!«
»Ich soll sie ziehen lassen, mit ihren Pferden und ihren Waffen? Wie kann ich das!«
»Gib sie frei um deiner Squaw willen, die du lieb hast, wie du mir sagtest!«
Er wendete sich von mir ab; in seinem Innern kämpfte es; dann drehte er sich mir wieder zu und sagte:
»Old Shatterhand ist nicht wie andere Bleichgesichter, nicht wie andere Menschen. Man kann ihn nicht begreifen und verstehen! Wenn er für sich gebeten hätte, so wären wir vielleicht bereit gewesen, ihm Gelegenheit zu geben, dem Tode zu entgehen; er hätte mit unsern tapfersten und stärksten Kriegern um sein Leben kämpfen dürfen. Er aber mag nichts geschenkt haben und bittet für Andere.«
»Das tue ich; ich wiederhole sogar meine Bitte!«
»Nun wohl, sie sollen frei sein, aber dann habe auch ich eine Bedingung.«
»Welche?«
»Dir selbst wird nun nichts, aber auch gar nichts geschenkt! Für die Rettung meines Weibes hast du keinen Dank zu fordern. Wir sind quitt.«
»Gut! Vollständig quitt!«
»So werde ich sie jetzt freilassen. Aber sie sollen beschämt werden. Sie haben dir nicht geglaubt und nicht auf dich gehört; sie mögen zu dir kommen, um sich zu bedanken. Howgh!«
Er wendete sich ab, und ich sah ihn in das Zelt seines Vaters gehen, der ja wissen mußte, was er mir versprochen hatte. Kurze Zeit darauf kam er wieder heraus und verschwand unter den Bäumen. Als er zurückkehrte, folgten ihm die drei Weißen auf ihren Pferden. Er wies sie zu mir, kam aber nicht selbst wieder mit.
Gates, Clay und Summer kamen mit wahren Armensündermienen herangeritten.
»Mr. Shatterhand,« sagte der Erstere, »wir haben gehört, was geschehen ist. Ist es denn etwas gar so Schreckliches, wenn einmal so ein alter Medizinsack abhanden kommt?«
»Diese eure Frage bestätigt nur meine bisherige Meinung, daß ihr vom wilden Westen blutwenig versteht. Die Medizin' zu verlieren, das ist das Schrecklichste, was einem indianischen Krieger passieren kann. Das solltet ihr doch wissen!«
»Well! Darum also war Pida so grimmig, und darum wurden wir gefesselt! Nun wird es Santer schlecht ergehen, wenn sie ihn fangen!«
»Das hat er auch verdient! Seht ihr denn nun ein, daß er euch nur hintergehen wollte?«
»Uns? Geht uns die Medizin etwas an, mit welcher er verschwunden ist?«
»Ungeheuer viel! Denn in dem Medizinbeutel befinden sich die Papiere, die er so gern haben wollte.«
»Und in welcher Beziehung stehen diese Papiere zu uns?«
»Sie enthalten eine ganz genaue Beschreibung der Stelle, an welcher die Nuggets versteckt sind.«
»Alle Teufel! Ist das wahr?«
»Gewiß!«
»Oder solltet Ihr Euch täuschen?«
»Nein. Ich habe es gelesen.«
»So kennt Ihr die Stelle auch?«
»Ja.«
»Sagt sie uns, Mr. Shatterhand, sagt sie uns! Wir reiten dem Halunken nach und nehmen ihm das Gold vor der Nase weg!«
»Dazu seid ihr erstens nicht die richtigen Kerls, und zweitens habt ihr mir bisher nicht geglaubt und braucht mir nun auch nicht zu glauben. Santer hat euch nur als Hunde engagiert, die ihm helfen sollten, die goldenen Füchse aufzuspüren; dann hätte er euch niedergeschossen. Jetzt kann er euch entbehren und hat es auch nicht nötig, euch stumm zu machen, denn er weiß, daß die Roten euch als seine Spießgesellen betrachten und behandeln werden.«
»Wetter! So hätten wir also nur Euch unser Leben zu verdanken? Pida sagte es.«
»Wird wohl so sein. Euer Schicksal war, mit mir am Marterpfahle zu sterben.«
»Und Ihr habt uns losgebeten? Euch selbst nicht auch? Sagt, was wird denn mit Euch?«
»Gemartert werde ich, weiter nichts.«
»Zu Tode?«
»Yes.«
»Das tut uns leid, herzlich leid, Sir! Könnten wir Euch nicht auf eine Weise helfen?«
»Danke, Mr. Gates! Bei mir ist jede Hilfe vergeblich. Reitet getrost fort, und wenn ihr zu Menschen kommt, so könnt ihr erzählen, daß Old Shatterhand nicht mehr lebt, sondern bei den Kiowas an dem Marterpfahle gestorben ist.«
»Eine traurige Botschaft, eine verteufelt traurige Botschaft! Ich wollte, ich könnte Besseres von Euch erzählen!«
»Das würde der Fall sein, wenn ihr mich nicht in den Mugwort-Hills belogen hättet. Wäret ihr aufrichtig gewesen, so hätten mich die Kiowas gewiß nicht gefangen genommen. Ihr seid schuld an meinem Tode, der ein grausamer, ein gräßlicher sein wird. Diesen Vorwurf mache ich euch und wünsche, daß er euch mitten aus dem Schlafe weckt. Und nun macht euch fort!«
Er wußte vor Verlegenheit nicht, was er antworten sollte. Clay und Summer, die überhaupt noch kein Wort gesagt hatten, wußten noch viel weniger, und so hielten sie es für das beste, sich von dannen zu trollen. Eigentlich bedankt hatte sich keiner von ihnen, doch leisteten sie mir dadurch Ersatz, daß sie, als sie eine kleine Strecke fort waren, sich noch einmal mit betrübten Mienen nach mir umblickten.
Sie waren noch nicht draußen am Horizonte verschwunden, so ritt auch Pida fort, doch ohne sich nach mir umzusehen, und das mit vollstem Rechte, denn wir waren ja quitt! Er glaubte, mich bei seiner Rückkehr hier noch in Fesseln zu finden, und ich war überzeugt, ihn, wenn er auf Santers Fährte blieb, entweder am Rio Pecos oder weiterhin auf der Sierra Rita wieder zu sehen. Wer würde recht behalten, er oder ich?
Als ›Dunkles Haar‹ mir zu Mittag das Essen brachte und ich mich nach dem Befinden ihrer Schwester erkundigte, hörte ich, daß die Schmerzen so nachgelassen hätten, daß sie fast keine mehr fühlte. Das gute Mädchen hatte mir so viel Fleisch gebracht, daß ich es nicht aufessen konnte, und ehe sie sich entfernte, blickte sie mich aus feuchten Augen bedauernd an. Ich sah, daß sie etwas auf dem Herzen hatte, sich aber scheute, es ohne Aufforderung zu sagen. Darum ermunterte ich sie:
»Meine junge Schwester will mir etwas mitteilen? Ich möchte es erfahren.«
»Old Shatterhand hat unrecht getan,« antwortete sie mit hör- und sichtbarem Zagen.
»Inwiefern?«
»Daß er nicht mit Pida geritten ist.«
»Ich hatte keinen Grund dazu.«
»Der große, weiße Jäger hätte wohl Grund dazu gehabt. Es ist ehrenvoll, ohne Laut am Pfahle zu sterben, doch denkt ›Dunkles Haar‹, daß ehrenvoll zu leben doch besser ist.«
»Ja, aber ich sollte doch in die Gefangenschaft zurückkehren, um hier zu sterben.«
»Das mußte Pida fordern, aber es wäre doch wohl anders geworden. Old Shatterhand hätte vielleicht Pida erlaubt, sein Freund und Bruder zu sein und die Pfeife des Friedens mit ihm zu rauchen.«
»Ja, und einen Freund und Bruder, mit dem man das Calumet geraucht hat, den läßt man nicht am Marterpfahle sterben. So denkst du doch?«
»Ja.«
»Du hast recht, aber ich habe auch recht. Du möchtest wohl gern, daß ich am Leben bliebe?«
»Ja,« gestand sie aufrichtig. »Du hast ja meiner Schwester das Leben wiedergegeben!«
»So sei nicht allzusehr besorgt um mich! Old Shatterhand weiß stets, was er tut.«
Sie sah sinnend vor sich nieder, warf einen verstohlenen Seitenblick auf die Wächter und machte eine ungeduldige Handbewegung. Ich verstand sie. Sie wünschte, von Flucht mit mir reden zu können, und durfte das nicht. Als sie dann ihr Auge wieder zu mir erhob, nickte ich ihr lächelnd zu und sagte:
»Das Auge meiner jungen Schwester ist durchsichtig und klar. Old Shatterhand kann ihr durch dasselbe bis ins Herz hinuntersehen. Er kennt ihre Gedanken.«
»Sollte er sie wirklich kennen?«
»Ja, und sie werden in Erfüllung gehen.«
»Wann?«
»Bald.«
»Es sei so, wie du sagst. ›Dunkles Haar‹ wird sich sehr darüber freuen!«
Dieses kurze Gespräch hatte ihr Herz erleichtert und ihren Mut erhöht. Während des Abendessens wagte sie schon mehr. Zu dieser Zeit brannten, wie gestern, schon die Feuer, sonst war es dunkel unter den Bäumen. Da sie mir die einzelnen Fleischstücke mit dem Messer reichte, stand sie nahe bei mir. Da trat sie mir in bezeichnender Weise auf den Fuß, um meine Aufmerksamkeit auf die nächsten Worte zu lenken und fragte:
»Old Shatterhand hat nur noch einige Bissen und wird noch nicht satt sein. Will er noch etwas anderes haben? Ich verschaffe es ihm.«
Die Wächter legten diesen Worten keine Bedeutung unter; ich aber wußte, was sie meinte. Ich sollte ihr eine Antwort geben, welche allerdings zunächst das Essen betraf, dabei aber den Gegenstand nennen, den ich brauchte, um mir die Flucht zu ermöglichen; sie wollte ihn ›mir verschaffen‹, wie sie gesagt hatte. Ich antwortete:
»Meine Schwester ist sehr gut, doch ich danke ihr. Ich bin satt und habe Alles, was ich brauche. Wie geht es der Squaw des jungen Häuptlings der Kiowas?«
»Der Schmerz verschwindet mehr und mehr, doch legt sie noch immer Wasser auf.«
»Das ist gut. Sie bedarf der Pflege. Wer ist bei ihr?«
»Ich.«
»Auch diesen Abend?«
»Ja.«
»Auch des Nachts muß jemand bei ihr sein.«
»Ich werde bis zum Morgen bleiben.«
Ihre Stimme zitterte; sie hatte mich verstanden.
»Bis zum Morgen? Dann sehen wir uns wieder.«
»Ja, dann sehen wir uns wieder!«
Sie ging. Den Wärtern war der Doppelsinn unserer Worte nicht aufgefallen.
Ich mußte nach Pidas Zelt, um dort meine Sachen zu holen. Nach unserm jetzigen Gespräch war ich überzeugt, daß ›Dunkles Haar‹ dort sein und mich erwarten werde; das freute mich, erregte aber auch sehr gerechtfertigte Bedenken in mir. Wenn ich meine Waffen und was sonst noch von mir dort war, in Gegenwart der beiden Schwestern holte, so wurden ihnen morgen früh gewiß die schwersten Vorwürfe gemacht. Um mich nicht zu verraten, waren sie gezwungen, ruhig zu bleiben, und doch erforderte ihre Pflicht, um Hilfe zu rufen. Wie war diesem Zwiespalte abzuhelfen? Nicht anders als dadurch, daß sie sich freiwillig von mir fesseln ließen. War ich dann fort, so konnten sie schreien, so viel und so sehr sie wollten, und, wenn sie gefragt wurden, sagen, daß ich plötzlich im Zelte erschienen sei und sie mit der Faust niedergeschlagen habe. Das glaubte man gewiß, denn ich war auch den Kiowas in dieser Beziehung bekannt. Ob die Schwester von ›Dunkles Haar‹ auch einverstanden sei, das machte mir keine Schmerzen. Sie hielt mich für ihren Lebensretter.
Noch einen Gedanken gab es, über den ich aber nicht so schnell hinwegkommen konnte: War mein Stutzen noch da? Nein, denn Pida kannte den Wert dieses Gewehres und hatte es also mitgenommen. Ja, denn er konnte nicht mit demselben umgehen und hätte sich gewiß die Handgriffe vor seinem Fortritte zeigen lassen. Welches war richtig, das Ja oder das Nein? Das war abzuwarten. Hatte er den Stutzen mitgenommen, so verstand es sich von selbst, daß ich eher nach diesem Gewehre als nach Santer zu trachten hatte.
Nun kam die Ablösung der beiden Wächter; ›Eine Feder‹ brachte sie. Er war ernst aber dabei freundlich mit mir und band mich selbst los, weil er glaubte, die Andern würden die bis auf die Knochen gehenden Wunden an meinen Handgelenken nicht berücksichtigen. Ich legte mich zwischen die vier Pfähle und zog dabei mit der rechten Hand, ohne daß es bemerkt wurde, das kleine Messerchen aus dem linken Ärmel heraus. Dann hielt ich den linken Arm hin, um mir die Schlinge hinter die Hand legen zu lassen. Als dies geschehen war und die Hand nun an den Pfahl gebunden werden sollte, tat ich, als ob mich der Riemen an der Wunde schmerze, und zog sie, wie man es bei Schmerzen zu machen pflegt, mit einer hastigen Bewegung an den Mund. Dabei schob ich mit der rechten Hand die Klinge zwischen das Handgelenk und den Riemen und schnitt diesen beinahe durch.
»Paß auf!« fuhr ›Eine Feder‹ den Roten an, der mich band. »Du bist an die Wunde gekommen. Old Shatterhand soll wohl später, aber nicht schon jetzt gequält werden!«
Hierauf ließ ich das Messer fallen und merkte mir die Stelle, wo es lag und wo ich es später mit der linken Hand erreichen konnte. Dann wurde mir die rechte Hand angebunden, worauf auch die Füße an die Reihe kamen. Ich erhielt auch wieder zwei Decken, grad wie gestern, eine unter den Kopf, und die andere wurde über mich ausgebreitet. Als dies geschehen war, machte ›Eine Feder‹ noch die mir höchst willkommene Bemerkung:
»Wenn sonst alle Tage, aber heut kann Old Shatterhand nicht fliehen. Mit solchen Wunden an den Gelenken zerreißt er keinen Riemen.«
Nach diesen Worten entfernte er sich, und die beiden Aufseher hockten sich zu meinen Füßen nieder.
Es gibt Menschen, welche vor so wichtigen Augenblicken kaum ihre Erregung beherrschen können; ich bin da immer ruhig gewesen, ruhiger noch als sonst. Es verging eine Stunde und noch eine; die Feuer erloschen; nur dasjenige leuchtete noch, welches vor dem Zelte des Häuptlings brannte. Es wurde kühl, und meine Wächter zogen die Knie an den Leib. Dies war aber eine unbequeme Stellung, und so legten sie sich nieder, die Köpfe mir zugekehrt. Es wurde Zeit für mich. Ein langsamer aber kräftiger Ruck, und der linke, fast zerschnittene Handriemen riß; diese Hand war frei. Ich zog sie an mich und suchte das Messer, welches ich fand. Nun wendete ich, was mir vorher unmöglich gewesen war, den Oberkörper nach der rechten Seite, schob die linke Hand unter der Decke bis zur rechten hinüber und schnitt diese los. Beide Hände frei! Ich fühlte mich schon gerettet!
Nun zu den Füßen! Aber wie? Um mit den Händen bis zu den Füßen langen zu können, mußte ich mich nicht nur aufsetzen, sondern auch ganz hinunterrücken; dann befand ich mich gleich hinter den Köpfen der beiden Indianer. Waren sie sehr wachsam? Ich bewegte mich einige Male; sie lagen still. Schliefen sie etwa?
Dem mochte sein, wie ihm wolle; besser schnell gehandelt als langsam! Ich schob die Decke von mir ab, setzte mich und rückte nach unten. Wahrhaftig, die Kerls schliefen! Zwei schnelle Schnitte, und ich war frei; zwei ebenso rasche Fausthiebe an ihre Köpfe, und die Aufseher waren betäubt. Ich band sie mit den vier zerschnittenen Riemen und schnitt von der Decke zwei Ecken, um sie ihnen als Knebel in den Mund zu schieben, daß sie nicht rufen konnten. Zu erwähnen ist, daß mein Pferd heut wieder in der Nähe lag.
Nun stand ich auf und streckte die Glieder. Wie wohl das tat! Als die Arme ihre Gelenkigkeit wieder erhalten hatten, legte ich mich wieder nieder und kroch fort, von Baum zu Baum, von Zelt zu Zelt. Nichts regte sich im Dorfe und ich kam glücklich bei dem Zelte des jungen Häuptlings an. Schon wollte ich die Türdecke leise zur Seite ziehen, da hörte ich ein Geräusch zu meiner linken Hand. Ich lauschte. Leise Schritte kamen, und wer blieb da drei Schritte vor mir stehen, ohne mich zu sehen?
»Dunkles Haar!« sagte ich leise.
»Old Shatterhand!« antwortete sie.
Ich stand auf und fragte:
»Du bist nicht in dem Zelte. Warum?«
»Es ist niemand drin, damit wir nicht ausgescholten werden. Meine Schwester ist krank; ich muß sie pflegen und habe sie deshalb nach dem Zelte des Vaters geholt.«
O Weiberlist!
»Aber meine Waffen sind noch da?« fragte ich.
»Ja, noch grad so wie am Tage.«
»Da habe ich sie gesehen. Aber die Gewehre?«
»Unter dem Lager von Pida. Hat Old Shatterhand sein Pferd?«
»Es wartet auf mich. Du bist so gut gegen mich gewesen; ich habe dir sehr zu danken!«
»Old Shatterhand ist gegen alle Menschen gut. Wird er vielleicht einmal wiederkommen?«
»Ich denke es; dann bringe ich Pida mit, der mein Freund und Bruder sein wird.«
»Reitest du ihm nach?«
»Ja. Ich werde ihn treffen.«
»So sag ja nichts von mir. Niemand außer der Schwester darf wissen, was ich tat.«
»Du hättest noch mehr getan; ich weiß es. Reich mir deine Hand, daß ich dir danke!«
Sie gab sie mir.
»Möge deine Flucht vollends gelingen! Ich muß fort; die Schwester sorgt um mich.«
Sie zog, ehe ich es hindern konnte, meine Hand an ihre Lippen und huschte fort. Ich stand und lauschte ihr nach. Du gutes, rotes Kind!
Dann trat ich in das Zelt und tastete zunächst nach dem Lager. Unter demselben steckten, in eine Decke gewickelt, die Gewehre. Ich nahm sie hervor und hing sie über. Messer und Revolver waren da, auch der Sattel mit den Taschen. Noch nicht fünf Minuten waren vergangen, so verließ ich das Zelt und kehrte zum Baume des Todes zurück, um mein Pferd zu satteln. Als dies geschehen war, beugte ich mich zu den Wächtern nieder; sie waren wach.
»Die Krieger der Kiowas haben kein Glück mit Old Shatterhand,« sagte ich mit unterdrückter Stimme zu ihnen. »Sie werden ihn nie an ihrem Marterpfahle sehen. Ich reite Pida nach, ihm zu helfen, Santer zu fangen, und werde ihn als Freund und Bruder behandeln. Vielleicht kehre ich mit ihm zu euch zurück. Sagt dies dem Häuptling Tangua; er soll nicht um seinen Sohn in Sorge sein, denn ich werde ihn beschützen. Die Söhne und Töchter der Kiowa sind freundlich zu mir gewesen; sagt ihnen meinen Dank und daß ich ihnen dies nie vergessen werde. Howgh!«
Ich nahm meinen Schwarzschimmel beim Zügel und führte ihn fort, denn reiten wollte ich noch nicht, um niemanden aufzuwecken. Erst als ich mich weit genug entfernt hatte, stieg ich in den Sattel, der mich nach der Ansicht der Kiowas nie wieder hatte tragen sollen, und ritt südwärts in die Prairie hinein.
Denn nach Süden führte mein Weg, obgleich ich in der nächtlichen Dunkelheit die Spuren von Santer und den ihn verfolgenden Kiowas nicht sehen konnte. Ich brauchte sie nicht zu sehen und hatte überhaupt nicht die Absicht, mich nach ihnen zu richten. Ich wußte, daß Santer nach dem Rio Pecos ritt, und das war mir genug.
Wer aber sagte mir, daß er diese Richtung nahm? Das Testament von Winnetou.
In demselben kamen, so weit ich es gelesen hatte, drei Ausdrücke in der Sprache der Apachen vor. Den einen, Indeltsche-tschil, hatte er verstanden; Tse-schosch und Deklil-to, diese beiden waren ihm fremd. Und selbst wenn er die Bedeutung dieser Worte gekannt hätte, so wußte er doch nicht, wo dieser ›Fels des Bären‹ und dieses ›dunkle Wasser‹ zu suchen waren. Sie lagen weit drüben in der Sierra Rita, wo ich nur ein einzigesmal mit Winnetou gewesen war. Wir selbst hatten dem Felsen und dem Wasser diese Namen gegeben, die also weiter niemand mehr kannte, als ich und die beiden Apachen, welche uns damals begleitet hatten; sie waren jetzt alt und kamen nicht mehr von dem Pueblo am Rio Pecos fort. Santer mußte also zu ihnen hin.
Wer aber sagte ihm, daß er zu ihnen, grad zu ihnen mußte? Jeder Apache, den er nach dem Deklil-to und dem Tse-schosch fragte. Der ganze Stamm kannte diese Namen und wußte, was wir dort erlebt hatten; dort gewesen aber waren mit uns nur diese beiden Alten. Daß Santer sich erkundigte, war gewiß, sonst konnte er den Ort nicht finden, und diese Erkundigungen konnten nur bei den Apachen eingezogen werden, von denen jeder, dem er die Namen sagte, ihn nach dem Pueblo wies.
Aber es gab unter den Apachen welche, die ihn kannten, und zwar als Winnetous Feind, als den Mörder Intschu tschunas und Nscho-tschis! Durfte er sich da nach dem Pueblo wagen?
Warum nicht? So ein Mensch, wie er war, wagt für Gold alles. Im Notfalle gab es Ausreden. Grad das gestohlene Testament konnte ihn aus argen Verlegenheiten retten, ihm als Legitimation dienen, weil auf dem oberen Umschlage das Totem Winnetous eingeschnitten war.
Mein Plan war, eher als er nach dem Pueblo der Apachen zu kommen, diese letzteren vor ihm zu warnen und ihn bei seiner Ankunft sogleich festzunehmen. Das war das beste, was ich tun konnte, zumal mein Pferd ein tüchtiger Läufer war, so daß es mir nicht schwer werden konnte, ihn auszustechen. Dieser Plan enthob mich auch der Mühe, auf Spuren zu achten und mit dem Lesen derselben viel Zeit zu verschwenden.
Leider hatte ich das Unglück, daß mein Schimmel schon am nächsten Tage zu lahmen begann, ohne daß ich die Ursache entdecken konnte. Erst am dritten Tage bemerkte ich eine Entzündung, deren Ursache ein langer, spitzer Dorn war, den ich herauszog. Das hatte aber unser Fortkommen sehr verzögert, so daß ich annehmen mußte, nicht vorausgekommen, sondern vielmehr zurückgeblieben zu sein.
Noch hatte ich den Rio Pecos nicht erreicht und befand mich auf einer sehr grasarmen Savanne, als vor mir zwei Reiter auftauchten, welche gerade auf mich zukamen. Es waren Indianer. Weil ich ein einzelner Reiter war, scheuten sie sich nicht, ihren Weg fortzusetzen. Als wir einander näher kamen, schwang der eine von ihnen sein Gewehr, rief meinen Namen und sprengte mir im Galopp entgegen. Es war Yato-Ka, ein Apachenkrieger, den ich kannte; den Andern hatte ich noch nicht gesehen. Als wir uns begrüßt hatten, fragte ich:
»Meine Brüder befinden sich auf keinem Kriegs- oder Jagdzuge, wie ich sehe. Wo wollen sie hin?«
»Hinauf nach Norden in die Gros-Ventre-Berge, um das Grab Winnetous, unsers Häuptlings, zu ehren,« antwortete Yato-Ka.
»So wißt ihr, daß er gestorben ist?«
»Wir erfuhren es vor wenigen Tagen; da erhob sich ein großes Klagegeschrei auf allen Höhen und in allen Tälern.«
»Wissen meine Brüder, daß ich bei seinem Tode anwesend gewesen bin?«
»Ja. Old Shatterhand wird es uns erzählen und unser Anführer sein, wenn wir den Tod des berühmtesten Häuptlings der Apachen rächen.«
»Darüber sprechen wir später. Ihr Beide seid doch nicht allein aufgebrochen, um so weit nach Norden zu reiten?«
»Nein, sondern wir gehen als Kundschafter voraus, weil die Hunde der Comanchen die Beile des Krieges ausgegraben haben. Die Andern kommen eine große Strecke hinter uns her.«
»Wie viele Krieger?«
»Fünfmal zehn.«
»Wer führt sie an?«
»Til-Lata, der dazu erwählt worden ist.«
»Ich kenne ihn. Er ist der Beste, der sich dazu eignet. Habt ihr fremde Reiter gesehen?«
»Einen.«
»Wann?«
»Gestern. Es war ein Bleichgesicht, welches nach dem Tse-schosch fragte. Wir haben es nach dem Pueblo zu dem alten Inta gewiesen.«
»Uff! Diesen Mann suche ich. Er ist der Mörder von Intschu tschuna; ich will ihn fangen.«
»Uff, uff!« riefen die Beiden, ganz starr vor Schreck. »Der Mörder! Und wir wußten es nicht! Wir haben ihn nicht aufgehalten!«
»Das tut nichts. Genug, daß ihr ihn gesehen habt. Ihr könnt euern Ritt nicht fortsetzen, sondern müßt umkehren. Ich führe euch später nach den Gros-Ventre-Bergen. Kommt!«
Ich ritt weiter.
»Ja, wir kehren um,« stimmte Yato-Ka bei. »Wir müssen den Mörder haben!«
Nach einigen Stunden erreichten wir den Rio Pecos, überschritten ihn und setzten den Weg am andern Ufer desselben fort. Dabei erzählte ich den beiden Apachen von meinem Zusammentreffen mit Santer am Nugget-tsil und den weiteren Erlebnissen im Dorfe der Kiowas.
»So ist also Pida, der junge Häuptling, dem entflohenen Mörder nachgeritten?« fragte Yato-Ka.
»Ja.«
»Allein?«
»Er folgte der Kriegerschar, welche sein Vater schon vorher abgesandt hatte, und wird sie rasch eingeholt haben.«
»Weißt du, wie stark diese Schar war?«
»Ich sah sie fortreiten und zählte sie; es waren zehn Mann; also sind es mit Pida elf.«
»So wenig?«
»Um einen einzelnen Flüchtling einzufangen, sind elf Krieger nicht zu wenig, sondern weit eher zu viel.«
»Uff! Die Söhne der Apachen werden eine große Freude erleben, denn wir werden Pida und seine Krieger fangen und an die Pfähle der Marter binden!«
»Nein,« antwortete ich kurz.
»Nicht? Du meinst, daß sie uns entgehen? Der Mörder Santer ist nach unserm Pueblo, und sie sind ihm nach, um ihn zu fangen; sie müssen also auch nach unserm Pueblo und werden in unsere Hände fallen.«
»Davon bin auch ich überzeugt; aber an den Marterpfählen werden sie nicht sterben.«
»Nicht? Sie sind doch unsere Feinde, und du solltest von ihnen hingerichtet werden!«
»Sie haben mich gut behandelt, und Pida ist trotz des Todes, der mir bestimmt war, jetzt mein Freund!«
»Uff!« rief er verwundert aus. »Old Shatterhand ist noch der sonderbare Krieger, der er stets gewesen ist: er nimmt seine Feinde in Schutz. Ob aber Til-Lata damit einverstanden sein wird?«
»Gewiß!«
»Bedenke, daß er stets ein tapferer Krieger war und jetzt Häuptling geworden ist! Diese neue Würde zwingt ihn, zu beweisen, daß er ihrer würdig ist. Er darf keinem Feinde Nachsicht erweisen.«
»Bin nicht auch ich ein Häuptling der Apachen?«
»Ja, das ist Old Shatterhand.«
»Wurde ich nicht viel eher Häuptling als er?«
»Viele Sonnen eher.«
»So hat er mir zu gehorchen. Wenn die Kiowas ihm in die Hände fallen, so wird er ihnen nichts tun, weil es so mein Wille ist.«
Er hätte vielleicht noch Einwände vorgebracht, aber unsere Aufmerksamkeit wurde jetzt durch eine Spur in Anspruch genommen, welche von links her durch eine seichte Stelle des Flusses kam und dann ganz so, wie auch wir reiten mußten, dem rechten Ufer des Rio Pecos folgte. Wir stiegen natürlich ab, um sie zu untersuchen. Die Leute, welche diese Fährte hinterlassen hatten, waren im Gänsemarsch geritten, um ihre Zahl zu verbergen, was man dann tut, wenn man vorsichtig sein muß. Sie befanden sich in Feindesland, und ich nahm also an, Pida mit seinen Kiowas vor uns zu haben, obgleich ich nicht bestimmen konnte, wieviel Reiter es gewesen waren.
Nach einiger Zeit erreichten wir eine Stelle, wo sie gehalten hatten und aus dem Gänsemarsche gewichen waren; da gelang es mir, die Eindrücke von elf Pferden festzustellen; ich hatte mich also nicht geirrt und erkundigte mich bei Yato-Ka:
»Eure Krieger kommen hier am Flusse herauf?«
»Ja, sie werden mit den Kiowas zusammentreffen, welche nur elf zählen, während unsere Apachen zehnmal fünf sind.«
»Wie weit befinden sich eure Leute von hier?«
»Sie waren, als du mit uns zusammenstießest, einen halben Tagesritt hinter uns.«
»Und die Kiowas sind, wie ich aus ihrer Fährte ersehe, nur eine kleine halbe Stunde vor uns. Wir müssen uns beeilen, sie einzuholen, noch ehe sie den Apachen begegnen. Reiten wir schneller!«
Ich setzte mein Pferd in Galopp, denn das Zusammentreffen der beiden feindlichen Trupps, welches ich in ein freundliches verwandeln wollte, konnte jeden Augenblick stattfinden. Pida hatte es verdient, daß ich mich seiner annahm.
Es dauerte nicht lange, so machte der Fluß einen Bogen nach links, den die Kiowas kennen mußten, denn sie waren ihm nicht gefolgt, sondern geradeaus geritten, um ihn abzuschneiden.
Wir taten natürlich dasselbe und sahen sie bald auf der vor uns liegenden Ebene, wie sie südwärts ritten, ein Pferd genau in den Stapfen des andern. Sie bemerkten uns nicht, weil sich keiner von ihnen umdrehte.
Da hielten sie plötzlich an; sie stutzten und wendeten darin die Pferde, um schleunigst umzukehren. Da erblickten sie auch uns, hielten wieder einen Augenblick an und setzten dann ihren Rückzug fort, doch nicht direkt auf uns zu.
»Warum kehren sie um?« fragte Yato-Ka.
»Sie haben eure Krieger gesehen und dabei bemerkt, daß diese ihnen an Zahl weit überlegen sind. Wir aber sind nur drei, und so glauben sie, sich vor uns nicht fürchten zu müssen.«
»Ja, da kommen unsere Apachen. Siehst du sie da draußen? Sie haben die Kiowas erblickt, denn sie kommen im Galopp herbei, um sie zu verfolgen.«
»Reitet ihr Beide ihnen entgegen, und sagt der ›Blutigen Hand‹, daß er halten bleiben soll, bis ich zu ihm komme!«
»Warum willst du nicht mit?«
»Ich habe mit Pida zu sprechen. Vorwärts! Macht schnell!« Sie gehorchten dieser Aufforderung, während ich mich nach links wendete, wo die Kiowas von weitem an uns vorüber wollten. Sie waren, um mich zu erkennen, uns bis jetzt noch zu fern gewesen; nun aber, da ich ihnen entgegenritt, sahen sie, wer ich war. Pida stieß einen schrillen Ruf des Schreckens aus und trieb sein Pferd zu größerer Eile an; ich aber lenkte das meinige so, daß er nicht an mir vorüber konnte, und rief ihm zu:
»Pida mag anhalten, denn ich werde ihn gegen die Apachen in Schutz nehmen.«
Er schien trotz des Schreckes, den er soeben gezeigt hatte, großes Vertrauen zu mir zu haben, denn er parierte sein Pferd und rief seinen Leuten zu, auch anzuhalten. Da er ihnen voraus war, ritten sie vollends zu ihm heran und folgten dann seinem Befehle. Trotz der Selbstbeherrschung, welche ein roter Krieger in jeder Lage üben soll, sah ich, ihm näher kommend, daß es ihm große Mühe kostete, den Eindruck, welchen mein so unerwartetes Erscheinen auf ihn machte, zu bemeistern. Seinen ebenso erstaunten Leuten gelang dies noch weniger als ihm.
»Old – – Shat – – terhand!« rief er aus. »Old Shat – ter – – hand ist frei! Wer hat dich losgegeben?«
»Niemand,« antwortete ich. »Ich habe mich selbst freigemacht.«
»Uff, uff, uff! Das war doch unmöglich!«
»Für mich nicht. Ich wußte, daß ich loskommen würde; darum ritt ich nicht mit dir; darum wollte ich nichts von dir geschenkt haben, und darum sagte ich zu dir, daß ein jeder sich selbst holen möge, was ihm gestohlen worden ist. Du brauchst über mich nicht zu erschrecken. Ich bin dein Freund und werde dafür sorgen, daß dir von den Apachen nichts geschieht.«
»Uff! Willst du das wirklich?«
»Ja. Ich gebe dir mein Wort.«
»Was Old Shatterhand sagt, das glaube ich.«
»Das darfst du getrost. Schau zurück! Da hinten halten die Apachen, denen ich meine beiden Begleiter entgegengeschickt habe. Sie sind abgestiegen, um zu warten, bis ich zu ihnen kommen werde. Habt ihr Santers Spur gesehen?«
»Ja; aber ereilen konnten wir ihn noch nicht.«
»Er will nach dem Pueblo der Apachen.«
»Das dachten wir, denn wir sahen die Richtung seiner Fährte und folgten ihr.«
»Ein großes Wagnis für euch! Jedes Zusammentreffen mit den Apachen mußte euch den sichern Tod bringen!«
»Das wußten wir; aber Pida muß sein Leben wagen, um seine Medizin wieder zu bekommen. Wir wollten das Pueblo umschleichen, bis es uns gelingen würde, Santer zu ergreifen.«
»Das wird euch nun leichter werden, da ich die Gefahr von euch abwende. Aber ich kann euch nur dann beschützen, wenn du mein Bruder bist. Steig ab! Wir werden die Pfeife des Friedens miteinander rauchen.«
»Uff! Hält Old Shatterhand, der große Krieger, dem es gelungen ist, ohne alle Hilfe aus unserer Gefangenschaft zu entkommen, Pida für würdig, sein Freund und Bruder zu sein?«
»Ja. Beeile dich, damit die Krieger der Apachen nicht ungeduldig werden!«
Wir stiegen ab und rauchten nach der vorgeschriebenen Weise die Pfeife, worauf ich Pida aufforderte, an Ort und Stelle zu bleiben und auf meinen Wink zu warten. Dann stieg ich wieder auf und ritt zu den Apachen, welche inzwischen von Yato-Ka über sein Zusammentreffen mit mir und meine Absichten unterrichtet worden waren. Sie bildeten, jeder sein Pferd an der Hand, einen Halbkreis, in welchem Til-Lata, die ›Blutige Hand‹, stand.
Ich kannte diesen Apachen sehr gut. Er war zwar ehrgeizig, mir aber stets gewogen gewesen, sodaß ich darauf rechnete, bei ihm keinen Widerstand in Beziehung auf Pida zu finden. Ich gab ihm die Hand, begrüßte ihn mit einigen freundlichen Worten und fügte hinzu:
»Old Shatterhand kommt ohne Winnetou, den Häuptling der Apachen. Meine roten Brüder werden näheres über den Tod dieses berühmten Kriegers erfahren wollen, und ich werde ihnen alles erzählen; zunächst aber habe ich mit ihnen über die Kiowas, von denen ich jetzt komme, zu reden.«
»Ich weiß, was Old Shatterhand verlangen will; Yato-Ka hat es mir gesagt,« antwortete ›Blutige Hand‹.
»Und was sagst du dazu?«
»Old Shatterhand ist ein Häuptling der Apachen, die seinen Willen ehren. Die zehn Krieger der Kiowas mögen sofort nach ihrem Dorfe zurückkehren, ohne sich länger hier aufzuhalten; da werden wir ihnen nichts tun.«
»Und Pida, ihr junger Häuptling?«
»Ich sah, daß er mit Old Shatterhand die Pfeife des Friedens rauchte. Er mag mit uns kommen und unser Gast sein, so lange du wünschest, daß er bei uns bleibe, dann aber ist er wieder unser Feind.«
»Gut, ich bin einverstanden. Die Krieger der Apachen werden mit mir umkehren, um den Mörder von Intschu tschuna und seiner Tochter zu fangen. Wenn das geschehen ist, werde ich sie nach dem Grabe Winnetous, ihres toten Häuptlings, begleiten. Howgh!«
»Howgh!« antwortete ›Blutige Hand‹, indem er zur Bekräftigung seine Rechte in die meinige legte.
Hierauf winkte ich Pida herbei, welcher auf Til-Latas Bedingung einging und seine Kiowas zurückschickte. Dann ging es wieder am Ufer des Pecos abwärts, bis wir am Abende Lager machten.
Da wir uns auf dem eignen Gebiete der Apachen befanden, konnten wir ein Feuer machen. Um dasselbe lagernd, aßen wir, und dann erzählte ich ausführlich von dem Tode Winnetous. Mein Bericht machte einen tiefen, tiefen Eindruck auf die Zuhörer, die noch lange wortlos saßen und dann einzelne Züge aus dem Leben ihres geliebten und bewunderten Häuptlings erzählten. Ich befand mich dabei in einer Stimmung, als ob ich den Tod Winnetous jetzt noch einmal miterlebt hätte, und als sie schliefen, lag ich noch lange, ohne Ruhe zu finden. Ich dachte an sein Testament und an das Gold, von welchem in demselben die Rede war. Dann träumte mir von diesem Golde. Es war ein schrecklicher Traum! Das gleißende Metall lag bergeshoch am Rande eines tiefen Abgrundes und wurde von Santer hinunter in die Tiefe geschaufelt. Ich wollte dies nicht dulden, wollte es retten und kämpfte mit ihm, ohne seiner Herr werden zu können. Da krachte der Boden unter uns; ich sprang zurück, und Santer stürzte mit allem Golde hinab in den gähnenden Schlund. Ich erwachte in Schweiß gebadet. Träume sind Schäume; aber ich konnte während des ganzen folgenden Tages das Gefühl nicht los werden, daß dieser Traum kein gewöhnlicher sei. Und doch war er so leicht zu erklären!
Wir ritten sehr schnell und machten zu Mittag eine nur kurze Rast, um nicht zu spät im Pueblo anzukommen, denn Santers Aufenthalt dort war jedenfalls von keiner langen Dauer.
Am Spätnachmittage langten wir in der Nähe des Pueblo an. Rechts stand das Grabmal, welches damals für Klekih-petra errichtet worden war, und noch ragte unser Kreuz aus demselben hervor. Links war die Stelle des Flusses, von welcher aus ich hatte um mein Leben schwimmen müssen. Wie oft hatte ich später mit Winnetou hier gestanden und von jenen für mich so bösen Tagen gesprochen!
Dann bogen wir rechts in das Nebental ein und sahen das Pueblo vor uns liegen, wo ich Winnetou und all die Seinen einst kennen lernte. Es war gegen Abend, und der von verschiedenen Stockwerken aufsteigende Rauch verriet, daß sich die Bewohner mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigten. Man sah uns kommen, dennoch hielt Til-Lata die Hände rund vor den Mund und rief hinauf:
»Old Shatterhand kommt, Old Shatterhand! Eilt, ihr Krieger, ihn zu empfangen!«
Das gab ein großes Geschrei von Etage zu Etage. Die Leiterbäume wurden herabgelassen, und als wir von den Pferden gesprungen waren und emporstiegen, streckten sich hundert große und kleine Hände aus, mir den Willkommen zu bieten, einen traurigen Willkommen, denn ich kam heut zum erstenmale ohne Winnetou, dem es bestimmt gewesen war, diesen so lieben Ort niemals wiederzusehen.
Wie schon früher erwähnt, wurde der Pueblo nur von einem kleinen Teil des Stammes bewohnt; es waren solche, die dem Herzen Winnetous immer am nächsten gestanden hatten, und darum läßt es sich denken, daß ich gleich nach der ersten Begrüßung mit tausend Fragen nach ihm bestürmt wurde. Ich wies sie alle zurück und erkundigte mich zunächst:
»Ist Inta hier? Ich muß ihn sprechen.«
»Er ist in seiner Kammer,« wurde mir geantwortet. »Wir werden ihn holen.«
»Nein; er ist alt und gebrechlich und mag bleiben. Ich gehe zu ihm.«
Man führte mich in einen kleinen, in den Felsen gehauenen Raum, wo der Alte saß. Er erschrak freudig, als er mich sah, und begann, mir eine lange Rede zu halten, die ich aber mit der Frage unterbrach:
»Sag mir das später! War ein fremdes Bleichgesicht da?«
»Ja,« antwortete er.
»Wann?«
»Gestern.«
»Hat der Mann seinen Namen genannt?«
»Nein. Er sagte, Winnetou habe ihm dies verboten.«
»Er ist fort?«
»Ja.«
»Wie lange blieb er hier?«
»Die Zeit ungefähr, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen.«
»Er hatte zu dir gewollt?«
»Ja, er ließ sich zu mir führen und zeigte mir auf Leder das Totem Winnetous, von dem er einen letzten Befehl auszuführen habe.«
»Was wollte er von dir?«
»Die Beschreibung des Sees, den Ihr damals Deklil-to genannt habt.«
»Du hast sie ihm gegeben?«
»Ich mußte doch, denn Winnetou hatte es befohlen.«
»Hast du ihm die Gegend genau beschrieben?«
»Den Weg von hier aus hin und auch die Gegend dort selbst.«
»Den Fichtenwald, den Fels, den Wasserfall?«
»Alles.«
»Auch den Weg auf den überhängenden Stein hinauf?«
»Auch ihn. Es erquickte meine Seele, mit ihm reden zu können von den Orten, an denen ich damals gewesen bin mit Old Shatterhand und Winnetou, dem Häuptling der Apachen, der uns verlassen hat und in die ewigen Jagdgründe gegangen ist. Bald werde ich ihn dort wiedersehen.«
Dem alten Manne war kein Vorwurf zu machen; er hatte nur dem Totem seines geliebten Häuptlings gehorcht. Ich fragte ihn noch:
»War das Pferd dieses Bleichgesichtes sehr abgemattet?«
»Gar nicht. Als er auf demselben fortritt, ging es so munter, als ob es lange Zeit ausgeruht habe.«
»Hat er hier gegessen?«
»Ja, doch nicht viel, denn er hatte keine Zeit dazu. Er fragte nach Fasern zu einer Zündschnur.«
»Oh! Hat er welche bekommen?«
»Ja.«
»Wozu brauchte er die Schnur?«
»Das sagte er nicht. Auch Pulver mußten wir ihm geben, sehr viel Pulver.«
»Zum Schießen?«
»Nein, sondern um etwas auf- oder wegzusprengen.«
»Hast du gesehen, wohin er das Totem steckte?«
»In einen Medizinbeutel, über den ich mich wunderte, denn ich weiß doch, daß die Bleichgesichter keine Medizinen haben.«
»Uff!« rief Pida, der neben mir stand. »Er hat ihn noch! Es ist meine Medizin, die er mir gestohlen hat.«
»Gestohlen?« fragte Inta verwundert. »War denn dieser Mann ein Dieb?«
»Noch schlimmer als ein Dieb!«
»Und doch hatte er das Totem Winnetous!«
»Das hatte er auch gestohlen. Er war Santer, der Intschu tschuna und Nscho-tschi ermordet hat.«
Der Alte stand einer Bildsäule gleich. Wir ließen ihn in seinem Schrecken stehen und entfernten uns.
Also war es uns nicht gelungen, Santer einzuholen; ja, wir hatten ihm nicht einmal einen kleinen Teil seines Vorsprunges abgewonnen. Das war unangenehm, und ›Blutige Hand‹ schlug darum vor:
»Wir bleiben gar nicht hier, sondern reiten sogleich fort. Vielleicht holen wir ihn da ein, ehe er das dunkle Wasser erreicht.«
»Glaubst du, das tun zu können, ohne auszuruhen? Wir haben allerdings Mondschein und können da während der Nacht reiten.«
»Ich brauche keine Ruhe!«
»Und Pida?«
»Ich kann nicht eher ruhen, als bis ich meine Medizin wieder habe,« antwortete dieser.
»Gut, so essen wir und nehmen dann frische Pferde. Meinen Schimmel werde ich hier lassen. Auch mich treibt es fort. Daß er sich Pulver und Zündschnur hat geben lassen, deutet auf Explosion hin, auf eine Sprengung, durch welche er mir alles zerstören kann. Wir müssen uns beeilen.«
Die Bewohner des Pueblo baten uns freilich dringend, zu bleiben; ich sollte ihnen von Winnetou erzählen, von unsern letzten Erlebnissen und von seinem Tode. Ich vertröstete sie auf unsere baldige Rückkehr; damit mußten sie sich zufrieden geben. Schon zwei Stunden nach unserer Ankunft ritten wir auf frischen Pferden und mit reichlichem Proviant versehen wieder fort, ich, Til-Lata, Pida und zwanzig Apachen. Auf so viel Begleitung hatte Til-Lata gedrungen, obgleich wir sie zu unserem Schutze nicht brauchten, denn das Land, durch welches wir kamen, gehörte den verwandten Mimbrenjos, von denen wir keine Feindseligkeiten zu erwarten hatten.
Wir mußten, um von dem Pueblo nach dem See des dunkeln Wassers zu kommen, einen Weg von wenigstens sechzig geographischen Meilen machen, und zwar auf der letzten Strecke durch sehr schwieriges, felsiges Terrain. Wenn ich pro Tag fünf Meilen rechnete, so war es viel, und wir brauchten zwölf Tage, um zum Ziele zu gelangen.
Es fiel uns gar nicht ein, nach Santers Spur zu suchen; damit hätten wir ja doch nur die Zeit vertrödelt. Wir ritten einfach den Weg, den ich während des Rittes mit Winnetou kennen gelernt hatte, und nahmen an, daß Santer sich auch auf demselben befand, weil Inta ihm keinen andern hatte beschreiben können. Wich er von ihm ab, so kam das uns zu gute.
Es ereignete sich unterwegs nichts, was ich nicht übergehen dürfte, bis wir am elften Tage eine Begegnung hatten. Es kamen uns zwei Rote entgegengeritten, Vater und Sohn, von denen ich den ersteren kannte. Er war ein Mimbrenjo, welcher uns damals mit Fleisch versorgt hatte. Auch er erkannte mich sogleich wieder, hielt sein Pferd an und rief erfreut:
»Old Shatterhand! Was sehe ich! Du lebst, du bist nicht tot, nicht gestorben?«
»Soll ich gestorben sein?«
»Ja, von den Sioux erschossen.«
Sogleich ahnte ich, daß er Santer getroffen hatte.
»Wer hat das gesagt?« fragte ich darum.
»Ein Bleichgesicht, welches uns erzählte, auf welche Weise der große Old Shatterhand und der berühmte Winnetou um das Leben gekommen sind. Ich mußte es ihm glauben, denn er besaß das Totem Winnetous und auch seine Medizin.«
»Es war trotzdem Lüge, denn du siehst ja, daß ich am Leben bin.«
»So ist wohl auch Winnetou nicht tot?«
»Dieser ist leider tot. Wie kamst du mit dem Weißen zusammen?«
»In unserm Lager. Er wollte sein müdes Pferd vertauschen und einen Führer nach dem Deklil-to haben. Das war wohl ein falscher Name, und er meinte das Wasser, welches bei uns Schisch-tu heißt. Er bot die Medizin Winnetous, und ich ging darauf ein, vertauschte ihm ein frisches Pferd und brachte ihn mit meinem Sohne hier nach dem Schisch-tu, den er sofort als den richtigen Ort erkannte.«
»Er hat dich betrogen. Hast du die Medizin?«
»Ja, hier.«
»Zeig sie uns!«
Er zog sie aus der Satteltasche. Pida stieß einen Freudenruf aus und griff danach. Der Mimbrenjo wollte sie nicht hergeben, und so entspann sich ein kurzer Streit, dem ich mit der Erklärung ein Ende machte:
»Diese Medizin gehört hier dem jungen Häuptling der Kiowas. Winnetou hat sie nie in seinen Händen gehabt.«
»Du mußt dich irren!« rief der Mimbrenjo.
»Ich weiß es genau.«
»Ich habe ja nur dieser kostbaren Medizin wegen mit ihm den weiten Weg gemacht, und ihm ein besseres Pferd gegeben!«
»Er brauchte ein frisches Pferd, weil er die Verfolger hinter sich wußte, und hat dir diese große Lüge gemacht, um dich zum Tausche zu bewegen.«
»Wenn es nicht Old Shatterhand sagte, würde ich es nicht glauben. Muß ich die Medizin hergeben?«
»Ja.«
»Gut! Aber dann kehre ich wieder um und nehme dem Lügner und Betrüger das Leben!«
»So reite mit uns, denn auch wir wollen sein Leben haben.«
Er war einverstanden und ritt mit. Als wir ihm kurz mitteilten, wer Santer war und was er auf dem Gewissen hatte, bereute der enttäuschte Indianer es außerordentlich, den Mörder durch den Pferdetausch unterstützt zu haben, denn dadurch und daß er einen Führer gehabt hatte, war er im Vorsprunge geblieben.
Pida war ganz glücklich, seine Medizin, und zwar vollständig unverletzt, wieder zu haben. Er hatte den Zweck seines Rittes erreicht; würde ich dies auch von mir sagen können?
Am nächsten Tage erreichten wir den See, aber erst am Abende, wo nichts mehr zu machen war. Wir lagerten uns still unter Bäumen und brannten kein Feuer, um uns Santern nicht zu verraten. Dieser hatte dem Mimbrenjo nicht gesagt, was er hier wolle, und ihn gleich nach der Ankunft veranlaßt, sofort zurückzureiten.
Unser Weg hatte uns vom Rio Pecos aus schräg über die südwestliche Ecke von Neu-Mexiko geführt, und wir waren jetzt in Arizona, wo die Gebiete der Gilenjos mit denen der Mimbrenjos zusammenstoßen. Auch die Gilenjos sind Apachen. Jene Gegenden sind meist öde und traurig. Felsen und nichts als Felsen, Stein und nichts als Stein! Aber wo es einmal Wasser gibt, da entwickelt sich eine reiche, üppige Vegetation, welche aber nicht weit über die Ufer der Wasserläufe hinausgeht. Die Sonne verbrennt alles, was die entzogene Feuchtigkeit nicht stets und schnell wieder ergänzen kann. Wald gibt es außerordentlich wenig.
Da aber, wo wir uns jetzt befanden, machte die Natur eine Ausnahme.
Es war ein Talkessel, welcher mehrere Quellen besaß, die seinen Grund gefüllt und einen See gebildet hatten, dessen Wasser nach Westen ablief, während wir uns jetzt an dem östlichen Ufer befanden. Die dichtbewaldeten Wände des Tales stiegen hoch, hoch empor und gaben dem unergründlich tiefen See jene düstere Farbe, die uns veranlaßt hatte, ihn ›Dunkles Wasser‹ zu nennen, während die Mimbrenjos ihn, wie wir gestern erfahren hatten, ›Schwarzen See‹ nannten. Die nördliche Talwand war die höchste. Aus ihr trat in Pfeilergestalt ein nackter Felsen hervor, der senkrecht aus dem Wasser stieg. Hinter ihm sammelte sich die Feuchtigkeit der viel höheren und bewaldeten Kuppe und hatte sich durch sein Gestein einen Abfluß gebohrt, durch den es wie aus dem Schlauche einer Gießkanne wohl hundert Fuß tief in den See stürzte. Das war das ›fallende Wasser‹ in Winnetous Testament. Grad über diesem Wasserfalle sah man eine Höhle im Gestein, zu welcher wir damals nicht gelangen konnten, deren Zugang aber Winnetou später entdeckt haben mußte. Und wieder über dieser Höhle ragte der oberste Teil des Felsens wie ein Schutzdach oder eine riesige, frei in die Luft strebende Platte vor, welche so schwer sein mußte, daß man sich darüber wunderte, daß sie nicht längst in die Tiefe gestürzt war.
Rechts von diesem Felsen und eng an ihn gelehnt, gab es einen zweiten, auf welchem wir damals einen Grizzly erlegt hatten. Darum nannte Winnetou ihn Tse-schosch, den Fels des Bären. Dies zur Erläuterung.
Wir standen vor der Entscheidung, und so konnte ich nur wenig schlafen. Kaum graute unten bei uns der Tag, so machten wir uns daran, nach etwaigen Spuren von Santer zu suchen. Wir fanden nichts. Darum beschloß ich, nach oben zu steigen, wo er nun jedenfalls zu suchen war. Ich nahm nur Til-Lata und Pida mit. Wir folgten dem von Winnetou erwähnten Fichtenwalde in die Höhe, bis wir auf dem Felsen des Bären standen. »Dort steigst du vom Pferde und kletterst – – –« weiter hatte ich im Testamente nicht lesen können. Wohin sollte ich klettern? Höchst wahrscheinlich nach der Höhle da oben. Das mußte versucht werden. Das Terrain war sehr steil, aber es ging, höher und höher und immer höher, bis wir uns seitlich unter der Höhle befanden. Weiter konnten wir nicht. Wenn es da einen Weg gab, so hatten wir ihn verfehlt, weil ich Winnetous Beschreibung nicht besaß. Eben wollte ich umkehren, da fiel ein Schuß, und eine Kugel schlug neben mir an das Gestein. Dann schrie eine Stimme von oben herunter:
»Hund, du bist wieder frei! Ich glaubte nur die Kiowas hinter mir. Fahr zum Teufel!«
Es fiel ein zweiter Schuß, der auch nicht traf. Wir blickten in die Höhe und sahen Santer vorn am Rande der Höhle stehen.
»Willst du das Testament des Apachen holen und den Schatz heben?« hohnlachte er herab, »Du kommst zu spät. Ich bin schon da, und die Zündschnur ist schon angebrannt. Du bekommst nichts, gar nichts, und die verrückten Stiftungen und Schenkungen nehme ich auch für mich!«
Er unterbrach sich mit einem wiehernden Gelächter und fuhr dann fort:
»Du kennst den Weg nicht, wie ich sehe? Auch den nicht, der drüben wieder hinunterführt? Da schaffe ich das Gold hinab, ohne daß ihr es hindern könnt. Ihr habt den weiten Weg umsonst gemacht. Diesesmal bin ich der Sieger, hahahaha!«
Was war zu tun? Er war oben bei dem Schatze, und wir konnten nicht hinauf. Vielleicht fanden wir den Weg noch, aber dann war er mit dem Raube wohl schon fort; er hatte ja von einem zweiten Wege gesprochen. Da gab es kein Bedenken, ich mußte ihm eine Kugel hinaufschicken. Nur war es schwer, von unserm Standorte aus in die Höhe zu schießen; er hatte ja auch nicht getroffen. Ich stieg daher etwas tiefer, schräg hinab und nahm den Stutzen von der Schulter.
»Oh, der Hund will schießen!« rief er. »Das geht hier schlecht. Ich werde mich dir besser stellen.«
Er verschwand, doch nach kurzer Zeit erschien er wieder, hoch oben auf der Platte. Da trat er vor, immer weiter vor, fast bis an den Rand; fast schwindelte mir. Er hielt etwas Weißes in der Hand.
»Seht herauf!« schrie er herab. »Hier ist das Testament. Ich kenne es schon auswendig und brauche es nicht mehr. Der See da unten soll es haben; ihr bekommt es nicht.«
Er zerriß die Blätter und warf die Fetzen in die Luft, die langsam und weiß niederwirbelten, um in das Wasser zu fallen. Das für mich so kostbare Testament! Was ich fühlte, war nicht Zorn, auch nicht Grimm; ich fühlte aber, daß ich kochte.
»Bube,« brüllte ich hinauf, »höre mich nur einen Augenblick!«
»Jawohl! Ich höre dich so gern!« antwortete er herab.
»Intschu tschuna läßt dich grüßen!«
»Danke!«
»Nscho-tschi auch!«
»Danke sehr, danke!«
»Und im Namen Winnetous schicke ich dir diese Kugel. Zu bedanken brauchst du dich nicht!«
Dieses Mal legte ich den Bärentöter an; der Schuß war sicherer; ich mußte treffen. Das Zielen nimmt bei mir kaum einen Augenblick in Anspruch, auch jetzt – – – aber was war das? Wankte mein Arm? Oder bewegte sich Santer? Oder wankte der Fels? Ich konnte nicht fixieren und legte die Büchse ab, um mit beiden Augen zu sehen.
Herrgott, der Felsen wankte hin und her; es tat einen schweren, dumpfen Knall; aus der Höhle drang Rauch, und wie von einer unsichtbaren Gigantenfaust gestoßen, neigte sich von der Höhle an aufwärts der Fels langsam tiefer und immer tiefer, mit Santer oben auf der Platte, welcher die Arme in die Luft warf und um Hilfe brüllte; dann, als der Schwerpunkt verloren gegangen war, krachte, prasselte und donnerte die Felsenmasse hinab in die Tiefe, hinab in den See! Oben um die Bruchkante spielte noch der Pulverdampf in leichten Wölkchen.
Ich stand sprachlos, entsetzt!
»Uff!« rief Pida, indem er beide Hände in die Luft warf. »Der große Geist hat ihn gerichtet und den Felsen unter ihm umgestürzt.«
Til-Lata zeigte hinab auf die schäumenden Fluten des Sees, welcher in diesem Augenblicke das Aussehen eines riesigen, brodelnden Kessels hatte, und sagte, trotz seiner Bronzefarbe blaß bis an die Ohren:
»Der böse Geist hat ihn hinuntergezogen in das kochende Wasser und wird ihn nicht wieder hergeben bis an das Ende aller Dinge. Er ist verflucht!«
Ich wollte nichts und konnte auch nichts sagen. Mein Traum, mein Traum, mein Traum! Das Gold hinab in den Schlund! Und welch ein Ende für Santer! Es war mir noch im letzten Augenblicke erspart worden, ihm eine Kugel zu geben; er hatte sich selbst gerichtet, oder vielmehr er selbst hatte das Urteil eines Höheren an sich vollzogen; er war sein eigener Henker gewesen, denn er hatte die Zündschnur angesteckt.
Unten gestikulierten die Apachen an dem Ufer des Sees. Die beiden Häuptlinge eilten hinab, ob etwas von Santer zu sehen sei. Vergebliches Beginnen! Den hatten die Felsmassen in das Wasser geschleudert und auf dem Grunde des Sees begraben und zugedeckt.
Mir, dem sonst so kräftigen Menschen, den nichts aus der Fassung zu bringen vermochte, wurde ganz schwach, so schwach, daß ich mich setzen mußte. Ich schwindelte; ich mußte die Augen schließen, und dennoch sah ich den wankenden, stürzenden Felsen vor mir und hörte Santers Hilferufe.
Wie war das gekommen? Jedenfalls infolge einer Vorsichtsmaßregel Winnetous. Mir wäre es nicht passiert! Die Beschreibung des Versteckes und der vorzunehmenden Manipulationen war von ihm jedenfalls so abgefaßt, daß nur ich allein sie verstehen konnte, jeder Andere aber mißverstehen mußte. Er hatte eine Mine gelegt, welche der Unberufene auf Grund dieses Mißverständnisses anzünden mußte, um sich selbst zu verderben. Aber wie stand es mit dem Schatze, mit dem Golde? War es noch oben oder lag es auch unten auf dem Grunde des schwarzen Wassers, von den Trümmern des Felsens den Menschen für immer entzogen?
Und wenn es da unten lag, mich schmerzte es nicht; aber daß die Zeilen meines toten Bruders zerrissen und zerstreut worden waren, das war mir ein Verlust, wie es für mich keinen zweiten geben konnte. Der Gedanke hieran gab mir augenblicklich die verlorene Spannkraft wieder. Ich sprang auf und kletterte so schnell wie möglich den Berg hinunter, denn ich konnte doch vielleicht einige oder mehrere Stücke retten. Ja, da schimmerte es, als ich unten angekommen war, papierweiß von der Mitte des Sees herüber. Ich zog mich aus, sprang in das Wasser und schwamm hinüber; ja, es war ein kleiner Fetzen des Testamentes. Ich durchquerte die Oberfläche des Sees nach allen Richtungen und fand noch drei andere Rudera. Diese Überbleibsel des Testamentes legte ich dann in die Sonne, um sie trocknen zu lassen, und als dies geschehen war, versuchte ich die verwaschenen und zerlaufenen Buchstaben zu entziffern; einen Zusammenhang konnte es natürlich nicht geben. Ich las nach langer Anstrengung:».... eine Hälfte erhalten .... weil Armut .... Felsen bersten .... Christ .... austeilen .... keine Rache ....«
Das war alles, also fast gar nichts und doch genug, um wenigstens einen Teil des Inhalts ahnen zu lassen. Ich habe diese kleinen Papierstücke heilig aufgehoben.
Später, als ich mein inneres Gleichgewicht wiedergefunden hatte, begannen wir die Nachforschungen. Ein Teil der Apachen wurde rund um den See geschickt, um nach dem Pferde Santers zu suchen; es mußte da sein und gefunden werden, sonst verschmachtete es, wenn es angebunden war. Die übrigen stiegen mit uns in die Höhe, um uns den Weg nach der Höhle, die es aber nicht mehr gab, suchen zu helfen. Wir bemühten uns mehrere Stunden lang vergeblich, bis ich mir das, was ich von dem Testamente gelesen hatte, noch einmal Wort für Wort überlegte. Der letzte Satz, auf den es ankam, lautete: »Dort steigst du vom Pferde und kletterst – – –«. Da fiel mir das Wort ›kletterst‹ auf. Man klettert zwar auch einen Berg empor, wenn er sehr steil ist, gewöhnlich aber wird dieses Wort in anderer Bedeutung gebraucht. Sollte es hier auf einen Baum Beziehung haben? Wir forschten nach und da bemerkten wir freilich eine ziemlich starke und hohe Fichte, welche nahe am Felsen stand, schief nach demselben zu gewachsen war und sich oben an eine Kante desselben legte. Das mußte es sein! Ich kletterte hinauf. Die Kante war breiter, als man von unten dachte; ich betrat sie und folgte ihr um die Ecke. Richtig! Das war der rechte Weg gewesen! Ich sah einen wohl drei Ellen breiten und leicht gangbaren Absatz vor mir, welcher an der hintern Seite des Felsens ziemlich sanft nach oben führte und jetzt da endete, wo der Felsen abgebrochen war, also auf der neuen Platte desselben. Ich stand da in einem wüsten Gewirr von größeren und kleineren Steinen, konnte aber doch deutlich den Boden der zerstörten Höhle unterscheiden. Wenn das Gold nicht unter demselben, sondern in den Wänden des Loches oder noch höher nach dem Plateau hinauf versteckt gewesen war, so lag es jetzt im See.
Ich rief die Apachen herauf, um mir suchen zu helfen. Wir wendeten jeden Stein und jedes Steinchen um, fanden aber nichts, keine Andeutung, keine Spur. Wir waren doch alle Männer, welche gelernt hatten und gewohnt waren, aus dem kleinsten Merkmale, dem allergeringsten Anzeichen den richtigen Schluß zu ziehen, hier aber war alle Mühe umsonst und aller Scharfsinn nutzlos. Als wir gegen Abend wieder hinunter an den See kamen, um dort zu übernachten, kamen soeben die nach dem Pferde ausgeschickten Apachen zurück: sie hatten es gefunden. Ich durchsuchte die Satteltaschen; sie enthielten nichts.
Wir sind vier volle Tage an dem ›Dunkeln Wasser‹ gewesen und haben allen vorhandenen Spürsinn angestrengt. Ich bin überzeugt, daß das Gold gefunden worden wäre, wenn es sich noch oben am oder im Felsen befunden hätte. Es lag unten in der Tiefe bei dem, der es beinahe entdeckt hatte und dann mit ihm begraben worden war. Wir kehrten resultatlos nach dem Pueblo am Rio Pecos zurück, nahmen aber wenigstens die Gewißheit mit, daß Intschu tschuna und Nscho-tschi endlich, endlich gerächt worden waren. –
So verschwand das Testament des Apachen grad so, wie sein Verfasser schwand und die ganze rote Rasse verschwinden wird, reich angelegt, doch ohne den großen Zweck zu erreichen, die ihm gestellte hohe Aufgabe erfüllen zu dürfen. Wie die Fetzen des Testaments in die Luft gestreut, so halt- und ruhelos und fetzenhaft irrt und schwebt der rote Mann über die weiten Flächen, die einst ihm gehörten.
Aber wer zwischen den Gros-Ventre-Bergen am Metsurflusse vor dem Grabmale des Apachen steht, der sagt: »Hier liegt Winnetou begraben, ein roter, aber großer Mann!« Und wenn einst der letzte dieser Fetzen zwischen Busch und Wasser vermodert ist, dann wird eine rechtlich denkende und fühlende Generation vor den Savannen und Bergen des Westens stehen und sagen: »Hier ruht die rote Rasse; sie wurde nicht groß, weil sie nicht groß werden durfte!« – –