Karl May
Winnetou III
Karl May

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Unter den Comanchen

Da, wo die Gebiete von Texas, Arizona und Neu-Mexiko zusammenstoßen, also an den Zuflüssen des Rio Grande del Norte, erheben sich die Berge der Sierren de los Organos, Rianca und Guadelupe und bilden ein Gebiet von wilden, wirr durcheinander laufenden Höhenzügen. Diese zeigen sich bald als riesige, nackte Bastionen, bald sind sie von dichtem, dunklem Urwalde bestanden und werden hier durch tiefe, fast senkrecht abfallende Cannons und dort durch sanft absteigende Talrinnen getrennt, welche seit ihrer Entstehung von der Außenwelt abgesondert zu sein scheinen. Und dennoch trägt der Wind Blütenstaub und Samen über die hohen Zinnen und Grate, daß sich eine Vegetation entwickeln kann; dennoch klimmt der schwarze und der graue Bär an den Felsen empor, um in die dort herrschende Einsamkeit hinabzusteigen; dennoch fand der wilde Bison hier einige Pässe, durch und über welche er auf seinen Herbst- und Frühjahrswanderungen in Herden zu Tausenden von Exemplaren zu drängen vermochte; dennoch tauchen hier bald weiße, bald kupferfarbige Gestalten auf, so wild wie die Gegend selbst, und wenn sie wieder abgezogen und verschwunden sind, weiß niemand, was geschehen ist, denn die schroffen Steinriesen sind stumm, der Urwald schweigt, und noch kein Mensch hat die Sprache der Tiere zu verstehen gelernt.

Hier herauf kommt der kühne Jäger, nur allein auf sich und seine Büchse angewiesen; hier herauf steigt der Flüchtling, welcher mit der Zivilisation zerfallen ist; hier herauf schleicht sich der Indsman, der aller Welt den Krieg erklärt, weil alle Welt ihn vernichten will. Da taucht bald die Pelzmütze eines kräftigen Trappers, bald der breitrandige Sombrero eines Mexikaners, bald der Haarschopf eines Wilden zwischen den Zweigen auf. Was wollen sie hier? Was treibt sie herauf in diese abgeschlossenen Höhen? Es gibt nur eine Antwort. die Feindschaft gegen Mensch und Tier, der Kampf. uni ein Dasein, welches dieses Kampfes nicht immer wert zu nennen ist.

Drunten auf der Ebene stoßen die Jagdgründe und Gebiete der Apachen mit denen der Comanchen zusammen; an diesen Grenzen geschehen Heldentaten, von denen keine Geschichte etwas meldet. Durch die Zusammenstöße dieser reckenhaften Völkerschaften wird mancher Einzelne oder mancher versprengte Trupp heraufgedrängt in die Berge und hat hier von Fuß zu Fuß mit dem Tode oder mit Gewalten zu kämpfen, die zu besiegen eine Unmöglichkeit zu sein scheint.

Der Rio Pecos entspringt auf der Sierra Jumanes, hält erst eine südöstliche Richtung ein und wendet sich dann, in die Sierra Rianca tretend, grad nach Süden. Nahe am Austritte aus derselben schlägt er nach Westen einen gewaltigen Bogen, den rechts und links Berge einfassen; diese weichen zu beiden Seiten seiner Ufer doch so weit zurück, daß hüben und drüben ein bald schmaler, bald breiterer Prairiestreifen Platz findet, der eine üppig grüne Grasvegetation zeigt, die sich in dem von den Höhen bis zum Fuße des Gebirges niedersteigenden Urwalde verliert.

Das ist ein höchst gefährliches Terrain. Die Berge sind langgestreckt, so daß es nur selten einen Spalt, eine Schlucht gibt, die zur Seite führt, und wer hier einem Feinde begegnet, vermag nicht auszuweichen, wenn er nicht sein Pferd im Stiche lassen will, ohne welches er vielleicht auch verloren ist.

Wir hatten dieses Flußtal erreicht, welches ich bereits früher, allerdings in zahlreicher und sicherer Gesellschaft, durchritten hatte. Jetzt waren wir nur zu Vieren und sahen unsere Kräfte noch dadurch geschwächt, daß wir einen Gefangenen zu überwachen hatten, der sich zwar außerordentlich gehorsam zeigte, aber doch sehr leicht den Verrat im Herzen tragen konnte.

Er ritt in der Mitte neben Bob; Sam war voran, und ich folgte mit Bernard Marshal, der während der Zeit unseres weiten Marsches sich als ein tüchtiger Reiter erwiesen hatte.

Es war am Vormittag, und die Sonne hatte eben die Spitze der jenseits des Flusses liegenden Berge erreicht. Obgleich es Mitte August war, berührten uns ihre Strahlen doch außerordentlich wohltuend, denn hier zwischen den dunklen Höhen verschwand sie bereits am Nachmittag; die Nächte waren ziemlich kalt und die Morgen so feucht und frisch, daß wir unsere Decken so lange wie möglich um die Schultern trugen.

Hoblyn war bisher am Tage stets frei in unserer Mitte geritten, nachts aber hatten wir ihn gebunden; er bürgte mit dem Leben für die Wahrheit seiner Mitteilungen.

»Haben wir noch weit bis zum Skettel- und Head-Pik?« fragte mich Marshal.

»Morgen vielleicht erreichten wir die Berge, wenn wir, nach der Beschreibung von Hoblyn, nicht vorher rechts abgehen müßten.«

»Wäre es nicht besser, erst nach den Bergen zu gehen, da wir Fred Morgan dort treffen werden?«

»Selbst in diesem Falle dürften wir nicht direkt auf sie zuhalten, da er uns dann bemerken würde; er ist sicher bereits da, denn wir haben heute den vierzehnten August. Aber ich denke, Patrik ritt nach dem Tale, und wo der Sohn ist, wird wohl auch der Vater zu treffen sein. Übrigens kann Patrik höchstens einige Stunden Vorsprung haben, da wir ihm stets hart auf der Ferse geblieben sind. Heute nacht hat er sechs Meilen von hier gelagert, und wenn er zu gleicher Zeit, das heißt mit Tagesanbruch, mit uns aufgebrochen ist, so ist er höchstens drei Stunden vor uns her.«

»Have care!« rief in diesem Augenblick Sam Hawerfield vorn. »Dort liegt am Waldesrande auf dem Boden ein Zweig, der noch grün ist; er kann also noch nicht sehr lange abgebrochen worden sein, und folglich ist jemand vor kurzem hier gewesen.«

Wir ritten näher und stiegen ab. Sam hob den Zweig empor, besah ihn und reichte ihn dann mir hin.

»Schau dir doch das Ding zum Beispiel einmal an, Charley.«

»Hm, ich wollte wetten, daß dieser Zweig vor kaum einer Stunde abgebrochen wurde!«

»Meine es auch. Siehst du hier die Stapfen?«

Ich bückte mich zur Erde.

»Zwei Männer. Laß sehen!«

Ich zog zwei Stäbchen aus der Tasche, die ich mir nach den Fußspuren geschnitten hatte, welche am ersten Lagerplatze Patriks und seines Gefährten von uns beobachtet worden waren.

»Sie sind's; das Maß stimmt ganz genau! Wir dürfen nicht weiter, Sam.«

»Hast recht! Er darf nicht bemerken, daß jemand hinter ihm ist. Doch, wenn die Strolche hier vom Pferde gestiegen sind, so müssen sie eine Absicht dabei gehabt haben. Dort ließen sie die Pferde stehen, die mit den Hufen gescharrt haben, und hier gehen die Fußspuren in das Holz. Wollen sehen!«

Wir ließen die drei Andern warten und drangen, die Spuren verfolgend, in den Wald ein. Wir hatten eine ziemliche Strecke zu gehen, bis Sam, welcher voran war, stehen blieb. Grad vor ihm war der Boden zerstampft und die Moosdecke aufgelockert; es hatte das Ansehen, als habe man unter derselben gegraben und sie dann wieder an ihre frühere Stelle gelegt. Ich bückte mich nieder und entfernte das Moos.

»Eine Hacke!« rief Sam.

»Richtig!« antwortete ich überrascht, »hier hat eine Hacke gelegen.«

Unter dem Moose zeigte der lockere, moderige Bottomgrund ganz genau den Abdruck einer Hacke, welche hier gelegen hatte.

»Die haben sie sich geholt. Aber wer hat sie hier versteckt?« fragte Sam.

»Diese Frage ist sehr leicht zu beantworten. Als der Capitano mit dem Leutnant ihren Schatz vergraben und das Tal verlassen hatten, ist ihnen nach einiger Zeit dieses Werkzeug beschwerlich gefallen, und sie haben sich hier desselben entledigt. Jedenfalls werden wir draußen an den Saumbäumen ein Zeichen finden, welches sie sich für den Fall ihrer Rückkehr machten; denn die Hacke wird ja bei der Befreiung des Schatzes wieder gebraucht.«

Ich deckte das Moos wieder auf die Spur und ging zurück, um die Bäume draußen zu betrachten. Richtig! An zweien, nämlich an denen, welche rechts und links an der Fährte standen, waren noch die Spuren von drei Kerben zu sehen, die übereinander eingeschnitten waren, und außerdem hatte man bei beiden Bäumen die untersten drei Äste abgebrochen.

»Was folgt daraus, Charley? Kannst du es dir denken?« fragte mich Sans-ear.

»Ebenso gut wie du und jeder Andere, denn dies zu erraten ist ja leicht genug: er hat wirklich die Absicht, nach dem Tale zu gehen.«

»Es ist notwendig, daß wir ihm dort zuvorkommen, und es fragt sich also, ob er direkt hingeht oder erst seinen Vater sucht.«

»Das werden wir erfahren und zwar sofort.«

Ich wandte mich zu Hoblyn:

»Haben wir noch weit bis dahin, wo der Weg nach diesem Tale hier vom Flusse abgeht?«

»Nein; höchstens noch zwei Stunden, wenn ich mich recht entsinne.«

»So reiten wir bis dorthin. Folgt er diesem Wege, so geht er direkt zu dem Verstecke; behält er aber die gegenwärtige Richtung bei, so will er erst seinen Vater holen, und nach seinem Verhalten haben dann auch wir uns zu richten! Übrigens müssen sie sehr lange hier verweilt haben, da er kaum eine Stunde vor uns ist. Aus diesem Grunde ist es ratsam, ein wenig zu rasten; er könnte um irgend einer Ursache willen vor uns halten bleiben und würde uns dann sicherlich bemerken.«

»All right, Charley; so bleiben wir hier. Aber wir wollen nicht so unvorsichtig sein, wie er, und die Pferde im Freien lassen. Zieht sie herein zwischen die Bäume und nehmt ein weniges zu essen aus den Taschen, denn ich habe zum Beispiel seit Sonnenaufgang noch keinen Bissen zwischen die Zähne bekommen!«

Wir taten nach seinem Geheiße und ließen uns auf das weiche Moos nieder. Kaum war dies geschehen, so stieß Hoblyn einen schwachen Ruf aus und deutete mit der Hand zwischen die Bäume hinaus.

»Seht einmal die Schlucht da drüben, Mesch'schurs! Es war mir just so, als hätte ich ganz oben auf ihrem höchsten Punkt etwas schimmern sehen, gleich einer stählernen Lanzenspitze.«

»Unmöglich!« meinte Sam. »Wie kann man auf so weithin eine Lanzenspitze bemerken?«

»Und doch, Sam,« entgegnete ich ihm. »Wenn das Auge zufälligerweise grad auf den kleinen Punkt fällt, an dem sie sich befindet, so ist es recht gut möglich. Aber solche Lanzen tragen nur die Indsmen, und es müßten also – – –« Wahrhaftig, jetzt sah auch ich es blinken, einmal ganz oben und dann ein Stück weiter herab. »Hört, ihr Leute, das können nur Indianer sein, und es ist ein unendliches Glück, daß wir auf den Gedanken gekommen sind, hier unterzukriechen. Wären wir weiter geritten, so hätten sie uns unbedingt bemerkt, da wir die Sonne grad gegenüber haben.«

Ich nahm mein Fernrohr heraus und richtete es gegen die Schlucht. Was ich sah, war ganz geeignet, mich höchst besorgt zu machen.

»Hier, Sam, sieh dir die Kerls einmal genauer an! Es sind ihrer wenigstens hundertundfünfzig.«

Er nahm das Glas an das Auge und gab es dann Bernard.

»Guckt Euch einmal die Rothäute an, Master Marshall! Habt Ihr vielleicht bereits einmal mit diesen Comanchen zu tun gehabt?«

»Noch nicht. Es sind also Comanchen?«

»Ja. Der Gegend nach könnten es wohl auch Apachen sein; aber diese tragen den Schopf anders als die Kerls, die dort herabkommen. Seht Ihr die roten und blauen Farben, mit denen sie ihre Visagen bemalt haben? Das ist das sicherste Zeichen, daß sie sich auf dem Kriegspfade befinden. Darum haben sie die Lanzenspitzen so blank geschliffen, und in jedem Köcher stecken einige vergiftete Pfeile, mit denen ich heut zum Beispiel noch gar nicht gern zu tun haben mag. Was meinst du, Charley, wenn sie hier vorüberkämen?«

»Sie würden uns unbedingt bemerken.«

»Wenn man nur hinaus könnte, um den Zweig zu entfernen und unsere Spuren zu verwischen; das geht aber nicht!«

»Würde auch nichts helfen, Sam, denn sie würden weiter oben unsere Fährte doch bemerken und diese sicherlich bis hierher verfolgen.«

»Das weiß ich; aber wir könnten dann Zeit gewinnen, hier auszubrechen und uns zu salvieren, ehe sie zurückkämen.«

»Das ist richtig. Die Hufspuren sind gleich hier am Rande. Vielleicht geht es, auch ohne daß man hinaustritt.«

Hinter mir stand ein dürres, dünnes Fichtenstämmchen. Ich schnitt es ab und angelte mit ihm den Zweig herein; dann suchte ich mir eine Stelle, an welcher dürre Nadeln auf dein Boden lagen, sammelte einige Handvoll davon und säte sie über die Spur hinweg, welche allerdings so schwach war, daß sie nur von dem scharfen Auge eines Indianers bemerkt werden konnte.

»Wollen sehen, ob es hilft, Charley! Mich würdest du damit nicht täuschen.«

»Inwiefern?«

»Hat ein Ahorn Kiefernadeln?«

Allerdings stand gerad über den Hufspuren ein Ahorn, aber die Sache war nun einmal nicht zu ändern. Übrigens nahmen nun die Indsmen unsere vollständige Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie hatten eben den unteren Teil der Schlucht erreicht, blieben dort halten und schickten einige Krieger auf Spähe aus.

»Heigh-day, sie kommen nicht hierher!« rief Sam erfreut.

»Woraus seht Ihr das?« fragte Bernard.

»Erkläre es ihm, Charley, da du dich einmal seiner als Lehrmeister angenommen hast!«

»Sehr einfach. Von den drei Männern, welche rekognoszieren, reiten zwei längs der Höhe stromab und einer auf das Wasser zu. Sie wollen also übersetzen, werden aber nicht aufwärts kommen, da sie in diesem Falle das Terrain nicht ab-, sondern aufwärts untersuchen würden. Die zwei sollen das Terrain nach Spuren, also nach seiner Sicherheit untersuchen, während der dritte sehen soll, ob der Pecos hier zum Durchschwimmen geeignet ist.«

Bald kehrten alle drei zu den Wartenden zurück; sie schienen befriedigende Kunde zu bringen, denn die Truppe setzte sich direkt auf das Wasser zu in Bewegung. Wir konnten sie jetzt mit bloßem Auge zählen, und es ergab sich, daß ich sie eher etwas zu niedrig als zu hoch geschätzt hatte. Es waren lauter junge, kräftige Leute, die zu zwei Stämmen oder Dörfern gehören mußten, da zwei Häuptlinge an ihrer Spitze ritten.

»Die Beiden mit den Adlerfedem im Haare sind die Häuptlinge?« fragte Bernard.

»Ja.«

»Ich hörte, daß diese stets Schimmel reiten!«

»Schimmel? Hihihihi!« lachte Sam belustigt vor sich hin.

»Da seid Ihr sehr falsch berichtet, Bernard!« meinte ich. »Drüben im alten Lande kommt es wohl vor, daß ein Feldherr einen Lieblingsschimmel reitet, hier aber nicht. Der Indianer ist überhaupt kein Freund der hellen Farben beim Pferde, und kann er schon auf der Jagd keinen Schimmel gebrauchen, weil das Weiß das Wild verscheucht, so bei einem Kriegszuge erst recht nicht. Nur im Winter, wo die Farbe dem Schnee gegenüber als Maske dient, kann es einmal bei einem einzelnen Unternehmen vorkommen, daß man auf einen Schimmel steigt, und dann nimmt auch der Reiter einen weißen Kattun über. Ich selbst habe dies einmal droben am Nord-Park versucht, und zwar mit gutem Erfolge.«

Mittlerweile waren sämtliche Pferde in das Wasser gegangen, und obgleich der Fluß hier ein starkes Gefälle hatte, hielten sie sich doch so wacker, daß, als sie hüben landeten, sich kaum einige Ellen Abtrift ergaben. Nun wurde wieder rekognosziert, und dann setzte sich der Zug abwärts in Bewegung.

Jetzt konnten wir erleichtert Atem holen, denn die Gefahr war für uns keine geringe gewesen. Sam streichelte seiner Stute den Hals.

»Was meinst du, alte Tony, wenn uns die Roten heut abgestutzt hätten, mir die Ohren und dir den Schwanz? Ja so, das ist ja schon früher geschehen! Aber, Charley, was wird nun zum Beispiel mit Patrik und seinem Stakeman? Denn seine Spur bemerken sie ganz sicher!«

»Sie werden ihm nichts tun,« antwortete Hoblyn.

»Nichts? Warum?«

»Weil sie ihn kennen. Es sind Comanchen vom Stamme der Racurroh, mit denen er und der Capitano die Friedenspfeife geraucht haben, weil wir vieles von dem, was wir übrig hatten, an sie verhandelten.«

»Das ist schlimm, denn dann ist es sehr leicht möglich, daß er mit ihnen gegen uns gemeinschaftliche Sache macht.«

»Müssen auch das abwarten, Sam,« tröstete ich. »Er wird sich hüten, sie mit in das Tal zu nehmen! Höchstens erfordert es die Höflichkeit, daß er einige Stunden bei ihnen bleibt, um das Calumet mit den Häuptlingen zu rauchen; dann ist er wieder sein eigener Herr.«

Ich trat an den Saum des Waldes und streckte den Kopf durch die Zweige, um den Wilden nachzusehen. Sie waren bereits hinter der nächsten Krümmung des Flusses und dem Berg verschwunden. Ehe ich mich zurückwandte, warf ich meinen Blick ganz unwillkürlich stromauf und – fuhr mit dem Kopfe schnell hinter die Zweige. Sam hatte diese schnelle, beinahe erschrockene Bewegung bemerkt und fragte.

»Was gibt's? Kommen dort oben auch Indsmen?«

»Wie es scheint, ja! Wenigstens hält einer dort am Ausgange der oberen Schlucht.«

Sans-ear hatte das Fernrohr noch neben sich liegen und setzte es an.

»Zounds, es ist richtig! Aber es ist bloß einer, wenn nicht vielleicht noch weiter hinten welche halten. Was seh' ich! Das ist doch zum Beispiel gar ein Apache!«

»Wirklich?«

»Ja, und zwar ein Häuptling. Er trägt das Haar lang herab; es hängt ihm bis auf den Rücken des Pferdes nieder. Jetzt reitet er auf das Wasser zu.«

»Laß mir einmal das Rohr!«

Er gab es mir, leider aber konnte ich nichts mehr sehen, da der Mann sich bereits im Wasser befand und durch eine Erhöhung des diesseitigen Ufers verdeckt wurde.

»Weißt du, wie das ist, Charley? Diese Comanchen werden, ohne daß sie es ahnen, von den Apachen verfolgt, und dieser Häuptling ist vorangegangen, um sie stets im Auge zu behalten. Er fängt das ganz verwünscht klug an, denn er ist ihnen nicht auf ihrer Fährte gefolgt, sondern oberhalb von ihnen in der nächsten Schlucht über die Berge gegangen. Tretet zurück, denn diese Kerls haben scharfe Augen! Er kommt auf alle Fälle hier vorüber, darum haltet euren Pferden die Nüstern zu; sie sind es gewohnt, zu schnauben, wenn ein Indianer in die Nähe kommt. Meine Tony hat allerdings mehr Grütze im Kopfe. Nun, stille!«

Wir konnten ihn nicht kommen sehen, da wir uns am oberen Teile einer Talkrümmung befanden, aber kaum waren fünf Minuten seit den letzten Worten verflossen, so vernahmen wir den Huftritt seines Pferdes.

Die Andern hatten sich zurückgezogen, ich jedoch lag hinter einem ziemlich dichten Gesträuch. Er kam, langsam und den Boden musternd: Hatte er vielleicht einige niedergetretene Grashalme oder eine andere Spur bemerkt? Es mußte so sein, und siehe, jetzt hielt er mir grad gegenüber an und richtete den Blick auf die Nadeln, welche ich vorhin hinausgeworfen hatte. Im Nu stand er am Boden, mit dem Tomahawk in der Faust, denn er hatte Verdacht gefaßt.

»Feuer, Charley!« kommandierte Sam leise.

Ich aber drang ebenso schnell, als er vom Pferde gesprungen war, durch den Busch ihm entgegen. Sein muskulöser Arm holte aus zum fürchterlichen Hiebe.

»Winnetou! Will der große Häuptling der Apachen seinen Bruder töten?«

Er ließ den Arm sinken, und sein dunkles Auge leuchtete hell auf.

»Shar-Iih!«

Er rief nur dies eine Wort, aber es lag in dem Tone eine Freude, die ein stolzer Indsman lieber beherrscht, als laut erklingen läßt. Dann schlang er die Arme um mich und drückte mich an sich. Ich freute mich natürlich außerordentlich über dieses Zusammentreffen und fragte:

»Was tut mein Bruder an dieser Stelle des Pecos?«

Er steckte den Tomahawk in den Gürtel.

»Die Flöhe der Comanchen haben ihr Lager verlassen, um dem Apachen ihr Blut zu geben. Der große Geist sagt, daß Winnetou ihre Skalps nehmen wird. Was tut mein weißer Bruder in diesem Tale? Sagte er nicht vor vielen Monden, daß er wieder über das große Wasser ziehen werde zum Wigwam seines Vaters und seiner Schwestern? Wollte er nicht dann hinüber in die große Wüste, welche fürchterlicher ist, als die Mapimi und der Estaccado?«

»Ich habe das Wigwam des Vaters gesehen und bin in der Sahara gewesen; aber der Geist der Savanne hat mich gerufen im Lichte des Tages und im Traume der Nacht; ich bin seiner Stimme gefolgt.«

»Mein weißer Bruder hat recht getan! Das Herz der Prairie ist groß und weit; es faßt das Leben und den Tod, und wer seinen Puls gefühlt hat, der darf wohl gehen, aber er kommt immer wieder zurück. Howgh!«

Er nahm sein Pferd beim Zügel und trat mit mir unter die Bäume. Hier erst erblickte er meine Begleiter; aber obgleich ich mit keinem Worte derselben gedacht hatte, zeigte er sich nicht im mindesten überrascht, vielmehr tat er, als habe er sie gar nicht bemerkt. Er griff in die Satteltasche, zog Pfeife und Tabaksbeutel hervor und setzte sich mit würdevoller Haltung nieder.

»Winnetou ist weit im Norden am großen See gewesen, um den heiligen Ton für sein Calumet zu graben, Shar-Iih ist der erste, welcher mit ihm rauchen wird.«

»Es werden heut noch Andere mit meinem roten Bruder rauchen.«

»Winnetou raucht nur mit tapferen Männern, in deren Herzen kein Falsch ist, und auf deren Lippe die Wahrheit wohnt; doch er weiß, daß sein weißer Bruder auch nur mit solchen Männern redet.«

»Hat der große Häuptling der Apachen gehört von Sans-ear, dem tapferen, klugen Jäger?«

»Winnetou kennt ihn, aber er hat ihn noch nicht gesehen. Sans-ear ist listig wie die Schlange, klug wie der Fuchs und tapfer wie der Jaguar. Er trinkt das Blut der roten Männer und hat ihren Tod eingegraben auf dem Kolben seiner Büchse; aber sie haben ihm getötet sein Weib und sein Kind; er tötet nur die Bösen. Ich sehe sein Pferd; warum kommt er nicht zu Winnetou, um mit ihm zu rauchen die Pfeife des Friedens?«

Sam erhob sich und trat herbei, aber ich sah es ihm an, daß er sich einigermaßen verlegen fühlte in der Gegenwart des Mannes, der als der größte, tapferste und gerechteste Krieger aller Savannen bekannt war.

»Mein roter Bruder hat recht gesagt; ich töte nur die Bösen, den Guten aber gehört meine Hilfe,« sagte er in bescheidenem Tone.

Ich winkte auch Bernard herbei.

»Der Häuptling der Apachen möge sein Auge leuchten lassen auch über diesen Krieger. Er war ein sehr reicher Mann; die weißen Mörder aber haben ihm seinen Vater getötet und seine Diamanten und Dollars geraubt. Der Mörder ist hier am Rio Pecos; er wird sterben von seiner Hand!«

»Winnetou ist sein Bruder; er wird ihm helfen, den Mörder seines Vaters zu ergreifen. Howgh!«

Dieses letzte Wort galt bei Winnetou stets als eine Beteuerung, die er sicherlich erfüllte. Ich hatte also für Bernard eine Kraft, eine Hilfe gewonnen, wie wir uns keine bessere wünschen konnten. Der Apache hatte jetzt seine Pfeife gestopft und steckte sie in Brand. Nachdem er den Rauch dreimal empor zum Himmel und dreimal nieder zur Erde geblasen hatte, stieß er ihn nach den vier Himmelsrichtungen aus und gab dann mir das Calumet. Ich tat ebenso und gab es Sam. Nachdem auch Marshall die Zeremonie beendet hatte, ging es in die Hände Winnetous zurück. Dann erkundigte sich Sam bei dem Apachen:

»Mein roter Bruder hat viele Krieger in der Nähe?«

»Uff!«

Dies war bei Winnetou stets ein Ausruf des Erstaunens. Sam kannte die Gewohnheiten des Apachen noch nicht, und da er nur dies eine Wort zur Antwort bekam, so glaubte er, falsch verstanden worden zu sein; daher wiederholte er:

»Ich fragte, ob mein roter Bruder seine Krieger in der Nähe hat?«

»Uff! Mein weißer Bruder mag mir sagen, wie viele Bären sein müssen, um tausend Ameisen zu zertreten!«

»Nur einer.«

»Und wie viele Krokodile, um hundert Kröten zu verschlingen?«

»Nur eines.«

»Und wie viele Häuptlinge der Apachen, um diese Mücken von Racurroh zu töten? Wenn Winnetou den Kriegspfeil ausgräbt, so nimmt er nicht seine Männer mit, sondern er geht allein; er kennt keinen einzelnen Stamm, dessen Häuptling er ist, sondern er ist der König aller Apachen; er mag die Hand ausstrecken hier oder dort, so eilen tausend Krieger herbei, um seine Befehle zu vollbringen. Er hat viele Zungen, die ihm erzählen, was die Söhne der Comanchen tun, und er hat viele Messer und Tomahawks, um seine Feinde zu vertilgen von der Erde.«

Dann wendete er sich mir zu:

»Der Mann soll sprechen mit der Faust; aber mein Bruder erzähle mir, was er mit diesen Männern will, die bei ihm sind!«

Ich gab ihm einen kurzen, aber genauen Bericht über die Ereignisse, welche uns an den Rio Pecos geführt hatten. Er hörte aufmerksam zu und blickte dann eine Weile zu Boden. Den letzten Rauch aus seiner Pfeife blasend, erhob er sich und steckte das Calumet wieder in die Tasche.

»Meine weißen Brüder mögen mir folgen!«

Er nahm sein Pferd, führte es hinaus und schwang sich auf; ich hielt mich ihm zur Seite, und im scharfen Schritte setzten wir unsern Ritt fort. Er ritt einen braunen, starkknochigen Klepper, den ich schon von früher her kannte. Dieses Tier hatte ganz das Aussehen eines abgetriebenen Karrengaules, und nur ein Kenner, wie Winnetou, konnte sich entschlossen haben, es als Reitpferd zu gebrauchen. Es war unerreichbar im Galopp, ruhig im Trabe, ausgiebig und unermüdlich im Schritte und kerngesund auf der Lunge. Seine Klugheit stand keineswegs hinter derjenigen von Sams Stute zurück, und mit seinen scharfen, stahlharten Hufen hatte es nicht nur einmal den gefährlichen grauen Wolf oder gar den Puma in die Flucht geschlagen. Wenn Winnetou aufsaß, so schien Roß und Reiter ein Leib und eine Seele, ein Wille und ein Entschluß zu sein, und niemals kam es vor, daß ihm die Kraft und Ausdauer, der Mut und die Gewandtheit dieses unvergleichlichen Tieres versagten.

Als wir die Spuren der Comanchen erreichten, erkannten wir, daß sich die Horde ganz und gar sicher gefühlt haben mußte, denn man hatte sich auch nicht die geringste Mühe gegeben, die Fährte weniger kenntlich werden zu lassen. So ritten wir wohl eine Stunde weit, bei jeder Biegung des Weges haltend, um das vor uns liegende Terrain zu überblicken. Eben waren wir wieder an eine Ecke des Waldes gekommen und standen schon im Begriffe, dieselbe zu umreiten, als der Apache plötzlich sein Pferd zurückriß.

Er deutete mit dem rechten Arme vorwärts, während die geschlossene Linke das Zeichen zur Schweigsamkeit und Vorsicht geben sollte. Ich streckte den Kopf vor und strengte meine Augen an, konnte aber nicht das Mindeste bemerken.

Winnetou hing seine Büchse an den Sattelknopf, zog das Bowiemesser, stieg ab und verschwand zwischen den Bäumen, ohne ein Wort zu verlieren.

»Was mag es geben, Charley?« fragte Sam.

»Weiß es nicht.«

»Ist ein närrischer Kauz, dieser Apache! Konnte er uns nicht erst sagen, was er vorhat?«

»Hast du nicht gehört, daß er sagte, der Mann soll mit Taten sprechen? Er hat etwas Verdächtiges bemerkt und ist gegangen, um sich zu überzeugen. Das hast du aus seinem Tun erkannt, und darum brauchte er keine Rede zu halten.«

»Aber sagen konnte er, welcher Art dieser Gegenstand war!«

»Das werden wir bald sehen.«

»Aber wir wüßten doch zum Beispiel, wonach wir uns zu richten und wie wir uns zu benehmen hätten!«

»Das wissen wir ohnedies. Wir haben hier hinter der Ecke zu warten, bis er zurückkehrt oder uns ein Zeichen gibt, vorwärts zu gehen; das ist doch einfach.«

»Massa, oh, ah, haben hören Massa?« unterbrach Bob den kleinen Wortwechsel.

»Was?«

»Haben schreien ein Mann!«

»Wo?«

»Da, hinter Ecke!«

Ich blickte die Andern fragend an, aber keiner hatte etwas gehört, doch konnte der Neger trotzdem recht haben.

Da erscholl – und jetzt hörten wir es alle – der Lockruf des Spottvogels. Jeder Andere hätte diese Töne wirklich für die Stimme des Wipp-por-will gehalten, ich aber wußte, daß sie vom Munde des Apachen kamen, denn diesen Ruf hatten wir während unserer früheren Fahrten miteinander verabredet und sehr oft in Anwendung gebracht.

»Ein Wipp-por-will hier,« meinte Sam. »Möchte zum Beispiel wissen, wo diese Art von Kreatur nicht anzutreffen wäre!«

»Diese Art von Kreatur hast du heut zum erstenmal gesehen und gehört: es ist Winnetou, der uns ruft. Vorwärts, dort steht er am Waldesrande!«

Ich nahm das Pferd des Apachen beim Zügel, und die Andern folgten. Winnetou stand einige hundert Schritte weit von uns am Saume des Forstes, in welchem er verschwand, sobald er bemerkte, daß seinem Rufe Folge geleistet wurde. An der Stelle angekommen, stieg ich ab und trat unter die Bäume. Dort stand der Apache, und zu seinen Füßen lag ein junger Mensch, gebunden mit seinem eigenen Gürtel. Er hielt die Augen in unendlicher Angst auf Winnetou gerichtet und stöhnte leise.

»Memme!«

Nur dies eine Wort sprach der Apache, dann wandte er sich verächtlich ab. Der Gefangene war ein Weißer. Als er mich erblickte, hellte sich sein Gesicht etwas auf; er mochte, da ich zu seiner Rasse gehörte, einige Hoffnung fassen, die sich vergrößerte, als jetzt auch Sam hinzutrat.

»Ein Weißer, ein Yankee!« rief dieser. »Warum behandelt ihn mein roter Bruder als Feind?«

»Böses Auge!« antwortete Winnetou kurz.

Hinter uns erscholl jetzt ein lauter Ruf, und als ich mich umwandte, sah ich Marshall mit einem unbeschreiblichen Gesichtsausdrucke den Gefangenen betrachten.

»Holfert! Um Gottes willen, wie kommen Sie hierher?«

»Marshall! Master Marshall!« antwortete der Angeredete, der also ein Bekannter Bernards sein mußte; aber es wollte mir scheinen, als ob er durch die Anwesenheit meines Freundes nicht sehr angenehm berührt werde.

»Wer ist dieser Mann?« fragte ich.

»Er ist aus Knoxville, heißt Holfert und war ein Gehilfe in unserem Geschäft,« antwortete Bernard.

Ein Gehilfe bei Marshall und hier in der Nähe des Orts, an welchem wir Morgan zu treffen hofften? Es kam mir ein Gedanke.

»War er noch bei Euch, als sich Euer Geschäft auflöste?«

»Ja.«

Ich wandte mich an den Gefangenen:

»Master Holfert, wir haben Euch bereits seit langer Zeit gesucht. Wollt Ihr mir wohl sagen, wo sich Euer guter Freund, der sich Fred Morgan nennt, befindet?«

Er erschrak.

»Seid Ihr ein Detektive, Sir?« fragte er.

»Was ich bin, das werdet Ihr seiner Zeit ganz genau erfahren, doch will ich Euch sagen, daß ich nicht gerne in einer amtlichen Eigenschaft mit Euch verfahren möchte, denn ich bin sehr geneigt, anzunehmen, daß Ihr nur verführt worden seid. Also antwortet! Wo ist Morgan?«

»Bindet mich los, Sir; dann werde ich euch alles sagen!«

Bernard machte ein Gesicht, als ob er etwas ganz Unglaubliches vernehme.

»Vom Losbinden kann keine Rede sein, doch wollen wir Eure Fesseln ein wenig lockern. Bob, schnalle ihn lockerer!«

Der Angeredete trat vor und bückte sich nieder.

»Bob, auch du!« rief Holfert erstaunt.

»Bob auch da, yes! Oh, wo sein Massa Bern', da auch immer sein Nigger Bob. Warum nicht bleiben Massa Holfert in Lu'ville, sondern gehen in Berge? Warum werden Massa Holfert binden?«

Er lockerte ihm den Gürtel, so daß er aufrecht sitzen konnte. Ich setzte das Verhör fort:

»Also zum drittenmal: Wo ist Morgan?«

»Am Head-Pick.«

»Wie lange wart Ihr jetzt mit ihm beisammen?«

»Über einen Monat.«

»Wo traft Ihr ihn?«

»Er hatte mich nach Austin bestellt.«

»Bestellt? Ah? So kanntet Ihr ihn früher?«

Der Gefangene schwieg. Ich zog den Revolver.

»Seht Euch einmal dieses kleine Ding hier an, Master Holfert! Ich weiß sehr genau, woran ich mit Euch bin, aber ich wünsche doch, daß Ihr mir über den Tod Eures Prinzipals und über das Verschwinden seines Eigentums etwas Näheres erzählt. Redet Ihr nicht, oder bringt Ihr die Unwahrheit vor, so erhaltet Ihr die Kugel. Im Westen pflegt man mit einem Raubmörder noch weniger Federlesens zu machen, als da drüben in den ›Staaten‹!«

»Ich bin kein Mörder!« stammelte der Mann in höchster Angst.

»Ich habe Euch bereits gesagt, daß ich ganz genau weiß, was ich von Euch zu halten habe! Es kommt nun allerdings darauf an, ob wir Euch als einen verstockten oder reumütigen Menschen behandeln sollen. Also, Ihr kanntet Morgan schon früher?«

»Er ist ein Verwandter von mir.«

»Und hat Euch in Louisville besucht?«

»Ja.«

»Weiter! Ich habe nicht Lust, eine Menge Fragen zu tun, da Ihr auch ohne dieselben reden könnt.. Denkt an den Revolver!«

»Wenn Master Marshall weggeht, werde ich alles erzählen!«

Ich mußte die Gefühlsregung des so unverhofft entdeckten Verbrechers berücksichtigen.

»Ihr sollt Euern Willen haben!«

Ich winkte Bernard, welcher sich entfernte, aber, wie ich wohl bemerkte, in einem Bogen wieder zurückkehrte und sich im Rücken des Gefangenen hinter den Stamm eines Baumes stellte. Ich hätte in diesem Augenblick in sein Herz blicken mögen.

»Nun also!«

»Morgan besuchte mich öfters, und ich ließ mich überreden, mit ihm zu spielen.«

»Er besuchte Euch in Eurer Privatwohnung?«

»Ja, nie im Geschäfte. Ich gewann und spielte leidenschaftlich weiter. Dann verlor ich, mehr und mehr, bis ich ihm mehrere tausend Dollars schuldig wurde. Ich konnte sie nicht bezahlen, und da drohte er mir mit der Anzeige, denn ich hatte ihm Wechsel mit der falschen Unterschrift meines Prinzipals gegeben. Ich konnte mich nicht anders retten, ich mußte ihm mitteilen, wo sich der Schlüssel zum Laden befand.«

»Ihr wußtet, was er dort wollte?«

»Ja. Wir wollten teilen und dann nach Mexiko gehen. Vorher aber mußten wir uns trennen, aus Vorsicht wegen der Verfolgung, und er bestimmte mir die Zeit, in welcher ich ihn in Austin treffen würde.«

»Ihr sagtet ihm, daß Euer Prinzipal stets einen Hauptschlüssel bei sich trage?«

»Ja; aber ich dachte nicht, daß er ihn ermorden werde. Er sagte, daß er ihn nur betäuben wolle. Wir lauerten den Prinzipal ab, doch anstatt ihn nur zu schlagen, stach er ihn nieder. Dann öffneten wir die Haustüre und legten den Toten in den Flur. Was wir fanden, teilten wir gleich an Ort und Stelle.«

»Er nahm die Diamanten, und Ihr erhieltet das Übrige?«

»Ja. Da ich Fachmann war, fiel es mir nicht schwer, meinen Anteil, allerdings nur unter Verlust, in Geld umzusetzen – –«

»Und nun – ah, ich errate! Dieses Geld hat Euch Morgan jetzt abgenommen?«

»So ist es.«

»Waret Ihr wirklich töricht genug, zu glauben, daß ein so schlechter Mensch ehrlich gegen Euch handeln werde? Ihr konntet es Euch doch denken, daß er Euch in die Wildnis führte, nur um sich ungestraft in den vollständigen Besitz des Raubes zu setzen! Auf welche Weise nahm er Euch das Geld ab?«

»Er hatte gestern abend die Wache. Ich schlief fest. Da fühlte ich eine Berührung und wachte auf. Morgan hatte mir bereits die Waffen und die Brieftasche genommen und stand im Begriffe, mir sein Messer in die Brust zu stoßen. Die Angst gab mir Kräfte; ich warf ihn zur Seite, sprang auf und rannte fort. Er verfolgte mich, aber weil es dunkel war, glückte es mir, zu entkommen. Ich bin während der ganzen Nacht fortgelaufen, denn ich konnte mir denken, daß er meinen Spuren nachgehen werde, sobald der Tag anbrach. Erst vor kurzer Zeit habe ich es gewagt, mich hier zu verstecken, um ein wenig zu schlafen; aber ich kam nicht dazu, denn die Indianer ritten vorüber. Darum wollte ich sogleich wieder fort. Da erblickte ich diesen Roten, und verkroch mich wieder – er hat mich dennoch gefunden!«

Der Mann war fürchterlich abgespannt. Vielleicht trug dieser Zustand das meiste dazu bei, daß er alles so offen bekannte; denn im Tone seiner Stimme war nicht viel von Reue und innerer Bewegung zu hören.

Ich fragte Bernard:

»Dieser Mann ist Euer. Was werdet Ihr mit ihm tun?«

Er schwieg; es mochte in seinem Herzen die Rache mit dem Mitleid kämpfen. Dann legte er dem Gefangenen noch einige Fragen vor und wandte sich endlich zu uns.

»Der Schurke hat vielleicht den Tod verdient, doch wollen wir ihn laufen lassen. Gott wird ihn richten!«

»Das ist schlimmer als ein schneller Tod, Bernard. Ohne Waffen, Pferd und alle Hilfe und Erfahrung würde er nicht weit kommen.«

»So nehmen wir ihn mit uns, bis sich eine Gelegenheit bietet, ihn los zu werden!«

»Er würde uns ungemein belästigen, da wir bereits einen Gefangenen bei uns haben. Es wäre leicht möglich, daß Beide gemeinschaftliche Sache machten.«

»Dann wären wir immer vier gegen zwei.«

»Hier handelt es sich nicht darum, daß sie uns körperlich gefährlich werden könnten, ich denke vielmehr an andere Möglichkeiten, durch die wir in bedeutende Fatalitäten kommen würden. Auch ich will sein Richter nicht sein. Wir könnten ihm eines unserer Packpferde geben und einige Waffen dazu. Frage Winnetou!«

Dieser hatte, seitwärts stehend, die ganze Verhandlung mit angehört. Jetzt trat er herzu und löste den Gürtel von den Armen Holferts.

»Aufstehen!«

Der Gefangene erhob sich. Winnetou zeigte auf dessen Hand.

»Hat der weiße Mann gewaschen seine Hand vom Blute des Gemordeten?«

»Ja,« antwortete der Gefangene verzagt bei dem Tone dieser Stimme.

»So ist Blut gewesen an dieser Hand, und Blut wird nicht gewaschen mit Wasser, sondern wieder mit Blut- so will es Manitou, und so will es der große Geist der Savanne. Sieht der weiße Mann dort den Zweig am Rande des Flusses?«

»Ja.«

»Er gehe hin und hole ihn. Wenn er ihn abzubrechen vermag, so soll er leben dürfen, denn der Zweig ist das Zeichen des Friedens und der Gnade.«

Wir alle waren einigermaßen überrascht über diese sonderbare Bedingung. Holfert ging auf das Ufer zu, welches ungefähr vierhundert Schritte entfernt war. Die ihm gemachte Bedingung war sehr leicht zu erfüllen, denn der Zweig befand sich nicht im Wasser, sondern hart am Ufer. Er erreichte ihn und streckte seine Hand danach aus. Da erhob Winnetou seine silberbeschlagene Büchse; der Schuß krachte, und Holfert stürzte, mitten durch den Kopf getroffen, vornüber in die Fluten.

Winnetou lud den abgeschossenen Lauf kaltblütig wieder.

»Der weiße Mann hat den Zweig nicht gebracht; er muß sterben! Der Geist der Savanne ist gerecht und barmherzig; er gibt nicht Gnade, die in das Verderben führt. Der weiße Mörder wäre getötet worden von den Comanchen, von den Stakemen und aufgefressen von den Coyoten!«

Dann bestieg er sein Pferd und ritt davon, ohne sich nach uns umzusehen.

Schweigend und in ernster Stimmung folgten wir.

Die Spuren der Comanchen blieben in gleicher Weise kenntlich. Daß sie einen Kriegszug vorhatten, zeigte ihre Bemalung, doch mußte ihr Ziel ein entferntes sein, sonst hätten sie sich vorsichtiger benommen. Winnetou kannte jedenfalls ihr Vorhaben, doch war er viel zu schweigsam, als daß er ohne genügende Veranlassung eine Bemerkung darüber hätte fallen lassen sollen. Eben wollte ich mich an seine Seite begeben, als wir vor uns einen – zwei – drei Schüsse knallen hörten.

Sofort hielten wir an. Winnetou winkte zurück und ritt vorwärts bis zur nächsten Biegung. Wir blieben halten. Er stieg ab und huschte in die Sträucher, aus denen er bald zurückkehrte, um uns durch eine Bewegung seiner Hand herbeizurufen.

»Comanchen und zwei Bleichgesichter!«

Mit diesen Worten kroch er wieder in die Büsche, und wir Drei folgten, während Bob bei Hoblyn und den Pferden blieb.

Vor uns erweiterte sich das Tal des Flusses zu einem breiten Kessel, in welchem sich uns ein überraschender Anblick bot. Hart am rechten Ufer des Flusses hatten die beiden Häuptlinge der Comanchen ihre Lanzen in die Erde gesteckt und an die Schäfte derselben die Schilde gelehnt. Sie selbst saßen dabei am Boden und rauchten ihre Calumets mit zwei Weißen, welche zu beiden Seiten von ihnen Platz genommen hatten. Die Tiere dieser vier Männer weideten in der Nähe. Vor ihnen entwickelte sich eine kriegerisch wilde und dennoch friedliche Szene: die Comanchen führten eines jener Kampfspiele auf, bei denen sie ihre ganze Meisterschaft im Gebrauch der Waffen zu beweisen pflegen. Die Entfernung war zu groß, als daß man die Züge der meisten zu erkennen vermochte, und ich griff darum zu meinem Fernrohr. Dann sagte ich zu Sans-ear:

»Holla, wer ist das! Sam, gucke einmal hindurch!«

Sans-ear ergriff das Rohr und richtete es.

»'s death, das ist dieser Fred Morgan mit seinem Sohn! Wie kommen sie hier zusammen und unter die Indsmen?«

»Das ist sehr leicht zu erklären; Patrik war ja immer kurz vor uns, und Morgan ist vom Head-Pik her diesem Holfert nach; da haben sie sich getroffen. Und vor den Indsmen brauchen sie sich nicht zu verstecken, wie du auch gehört hast.«

»So wird es sein, aber unlieb genug ist es mir dennoch!«

»Warum?«

»Wie werden wir uns die Beiden zwischen den Roten herausholen können?«

»Ich hoffe, sie werden nicht beisammen bleiben, denn es kann keineswegs die Absicht der zwei Spitzbuben sein, den Indianern etwas von dem Schatze, den sie heben wollen, wissen zu lassen.«

»Dann ist es am besten, wir bleiben hier, um sie zu beobachten.«

»Sicher scheinen wir hier zu sein, denn es ist nicht anzunehmen, daß einer von den Roten zurückkehren wird.«

»Kann nicht Morgan kommen, der doch Holfert verfolgen will?« fragte Marshall.

»Er wird von seinem Sohne und den Comanchen erfahren, daß diese ihm nicht begegnet sind, und also annehmen, daß er einen andern Weg eingeschlagen hat,« antwortete ich ihm. »Ziehen wir die Pferde in ein Versteck?«

Winnetou nickte zustimmend mit dem Kopfe, und ich trat hinaus, um dies zu besorgen. Die Packpferde wurden, da sich ein mehrstündiger Aufenthalt vermuten ließ, abgeladen und mit unsern anderen Tieren etwas tiefer hinein in den Wald gebracht.

Als Hoblyn den Talkessel erblickte, streckte er den Arm aus:

»Sir, dort rechts hinauf geht die Schlucht, welche wir verfolgen müssen.«

»Dort? Das ist fatal!«

»Warum, Charley?« fragte Sam.

»Weil wir nicht hin und diesen Beiden also nicht zuvor kommen können. Du kannst dir doch denken, daß sie sofort nach Abzug der Comanchen sich auf den Weg machen werden!«

»Da habt keine Sorge, Sir!« fiel Hoblyn ein. »Diesen Weg kennt nur der Capitano und ich; der Leutnant aber geht einen andern, der weiter unten am Bette eines Nebenflusses emporführt.«

»Dann mag es sein, und wir können diesen Leuten da ruhig und unbesorgt zuschauen!«

Die Comanchen hatten sich in zwei Parteien geteilt, welche sich gegenseitig zu bekämpfen schienen, bald in geschlossener Truppe, bald aufgelöst im Einzelkampfe, und zeigten dabei eine Ausdauer und Behendigkeit, weiche einen europäischen Zuschauer in das höchste Erstaunen versetzen mußten. Bei ihnen gab es keinen Sattel und auch nicht das gewöhnliche Zaumzeug. Sie binden eine Decke, ein Fell oder eine Matte auf den Rücken ihres Tieres. An jeder Seite dieses Felles ist ein breiter und sehr starker Riemen befestigt, welcher über den Nacken des Pferdes gelegt ist und dazu dient, den Arm hindurchzustecken, wenn der Reiter sich auf die eine oder andere Seite des Pferdes legen will, während er mit einem Fuße an dem Rücken desselben hängen bleibt. Diese eigentümliche Sattelung und die große Übung macht es den wilden Reitern möglich, das Tier als Schild zu gebrauchen, es zwischen sich und den Feind zu bringen und doch Freiheit und Bewegung genug zu haben, um über den Rücken des Pferdes hinweg oder unter dem Halse desselben hindurch den Pfeil auf den Gegner zu schnellen oder ihm, falls sie mit einem Feuergewehre bewaffnet sind, eine Kugel zuzuschicken. Diese Krieger sind dabei so außerordentlich gewandt, daß sie sich, je nachdem es erforderlich ist, bald auf die rechte und bald auf die linke Seite des Tieres werfen und zugleich eine Leichtigkeit und Schnelligkeit entwickeln, die einem Kunstreiter Ehre machen würden. Die Pferde gehen dabei so sicher, daß selten eine Kugel oder ein Pfeil das Ziel verfehlt. Der Riemen, in welchem der Arm ganz nahe an der Schulter hängt, ist an die Mähne des Tieres auf dem Widerrist befestigt, so daß selbst dann, wenn die Satteldecke losginge, dieser Stützpunkt nicht verloren gehen kann. Hat der gewandte Reiter diese Schlinge gut befestigt, so bedarf er zur Ausführung seiner Kunststücke überhaupt keiner Decke und keines Sattels, denn seine mit Mokassins bekleideten Füße haften mittels der Ferse mit gleicher Sicherheit auf dem nackten Pferdsrücken wie auf der Büffelhaut, welche denselben bedecken könnte. Wenn diese außerordentlichen Reiter über den Rücken des Pferdes wegschießen, zielen sie natürlich von oben; schießen sie aber unter dem Halse desselben hindurch, so legen sie den Pfeil unten an, was ihnen bei ihrer außerordentlichen Übung ebenso leicht wird, als wenn sie in der gewöhnlichen Weise zielen.

Unsere ganze Aufmerksamkeit war dem Kampfspiele der Comanchen, welches einer arabischen ›Phantasia‹ sehr ähnelte, zugewendet, und nur ein einziges Mal blickte ich durch die Büsche in der Richtung zurück, aus welcher wir gekommen waren – zu unserm Glück, denn mit Schrecken sah ich längs des Waldrandes zwei Reiter herabkommen, welche die Fährte der Comanchen sehr sorgfältig beobachteten.

»Have care, ihr Männer; dort kommen Leute!«

Alle sahen zurück, und Hoblyn rief:

»Der Capitano mit Conchez!«

»Wahrhaftig, er ist's! Schnell in den Wald hinein, und die Spuren verwischt!«

In zwei Minuten war dies geschehen. Alle wichen zurück, und nur ich blieb mit Winnetou an einer etwas weiter vorgeschobenen Stelle, in welcher es uns möglich war, die Nahenden zu beobachten, ohne von ihnen bemerkt zu werden.

Schon waren sie sehr nahe, und sicher wären sie um die Biegung geritten, wenn nicht grad jetzt die Comanchen ein Kampfgeschrei erhoben hätten, welches wie ein Geheul von wilden Tieren klang. Sie stutzten, lugten sorgfältig um die Ecke und führten dann ihre Pferde auf dieselbe Stelle, wo die unserigen gestanden hatten. Wir wichen zu unsern Gefährten zurück.

Hart hinter den Ankömmlingen standen zwei Ahornbäume eng beisammen; es gelang mir, mich bis zu ihnen anzuschleichen, um ihre halblaute Unterhaltung zu belauschen. Ich hatte dabei den Tomahawk für unvorhergesehene Fälle in der Hand.

»Es sind Comanchen,« meinte der Capitano. »Wir haben also nichts von ihnen zu befürchten. Nur müssen wir zuvor wissen, wer die beiden Weißen sind.«

»Es ist zu weit; man kann sie nicht erkennen.«

»Man könnte sich nach der Kleidung richten. Den Vorderen kenne ich nicht, und der Andere wird von den Häuptlingen verdeckt.«

»Capitano, seht Euch einmal von den vier Pferden den Goldfuchs an! Er hat einen Stutz, was in der Savanne und auf den Bergen eine Seltenheit ist. Was meint Ihr dazu?«

»Carajo, das ist der Fuchs des Leutnant!«

»Denke es auch! Dann wird der zweite Weiße kein Anderer sein als er.«

»Richtig! Jetzt beugt er sich vor. Siehst du die bunte Serape? Er ist es! Was ist zu tun?«

»Ja, wenn ich nur wüßte, was Ihr eigentlich mit ihm vorhabt, dann ließe sich vielleicht über die Sache sprechen.«

»Jetzt wird es allerdings notwendig, daß ich es dir sage. Ich habe nämlich das Beste von unsern Schätzen hier in dieser Gegend vergraben, weil ich es nicht im Hide-spot aufbewahren wollte, da es Einige unter uns gibt, denen ich nicht trauen kann. Den Ort, an welchem die Sachen liegen, kennt niemand, als ich und der Leutnant. Er hat seinen Vater erwartet und ihn – statt in unser Lager – hieher an den Rio Pecos bestellt; dies machte meinen Verdacht rege, und da er nach seinem letzten Ritt durch den Estaccado direkt hierherging, ohne mich erst aufzusuchen, so hatte ich die Überzeugung, daß er sich vorgenommen hat, uns den Schatz zu rauben. Mit den Indsmen ist er nur zufälligerweise zusammengekommen. Nun fragt es sich, ob wir gleich jetzt zu ihnen gehen und ihn bestrafen, oder ob wir ihm folgen und ihn auf der Tat ertappen.«

»Das letztere ist jedenfalls das Beste. Suchen wir ihn da unten auf, so ist es gar nicht möglich, ihm eine böse Absicht zu beweisen. Er wird ganz einfach sagen, daß er nur hergekommen sei, um seinen Vater zu holen, und wer weiß, was ihm dann noch für Wege offen bleiben, zum Ziele zu gelangen. Wir sind zu Zweien, er mit seinem Vater auch, und auf die Indsmen ist nie ein sicherer Verlaß.«

Conchez gab sich sichtlich Mühe, seinen Hauptmann von dem ersten Punkte abzubringen; es mußte ihm natürlich daran liegen, das Versteck kennen zu lernen.

»Recht hast du. Die Racurroh befinden sich auf einem Kriegszuge und werden sich nur einige Viertelstunden hier aufhalten; dann bricht Patrik sicherlich sofort auf. Er hat noch eine ziemliche Strecke zu reiten, ehe er zur Seite einbiegen kann, auf welcher sich der Ort befindet; ich aber weiß einen näheren Weg, auf dem wir vor ihm hingelangen. Er soll sicherlich nichts bekommen, wenn – wenn der Schatz überhaupt noch da ist.«

»Noch da ist? Wer sollte ihn denn weggenommen haben, da nur ihr Beide ihn kennt!«

»Hm, Sans-ear und Old Shatterhand, denen wir unsere letzte große Schlappe verdanken.«

»Die? Wie sollten denn diese Beiden hinter das Geheimnis gekommen sein?«

»Auf eine sehr einfache Weise. Ich wollte Hoblyn dem Leutnant nachschicken und war so unvorsichtig, ihm schon die nötigen Instruktionen zu geben. Er ist spurlos verschwunden, und ich kann den Gedanken nicht los werden, daß er gemeinschaftliche Sache mit den Jägern gemacht hat, um sich das Leben zu retten.«

»Hm, dann wäre es vielleicht am besten, wenn – –«

»Nun, wenn – –?«

»Wenn wir uns an die Comanchen wendeten.«

»Und ihnen unser Geheimnis mitteilten, so daß sie uns den Schatz abnehmen? Nein. Übrigens haben wir Zeit, uns die Sache noch zu überlegen, denn wie ich sehe, ziehen die Roten ihre Proviantsäcke hervor. Auch wir können einen Bissen essen. Hole das Fleisch!«

Wenn Conchez aufstand, um zu den Pferden zu gehen, mußte er mich unbedingt sehen; ich kroch also so schnell wie möglich zurück und kam auch wirklich kaum eine Sekunde zu früh aus dem Bereiche seiner Augen.

Bei den Gefährten angekommen, teilte ich ihnen das Ergebnis meines Lauschens mit.

»Von den drei Voyageurs, die mit dem Leutnant den Kaufleuten nachritten, haben sie zum Beispiel nichts gesagt?« fragte Sam. »Es müßte doch wohl einer davon bei Patrik sein!«

»Nichts. Vielleicht hat er diesen Einen ermordet, um freie Hand zu haben. Was aber tun wir mit diesen Beiden da?«

»Ruhig gehen lassen, Charley.«

Winnetou schüttelte den Kopf.

»Meine weißen Brüder mögen bedenken, daß sie nur einen einzigen Skalp haben!«

»Wer wollte uns ihn nehmen?« entgegnete Sam.

»Die Schlangen von Racurroh.«

»Wird ihnen nicht gelingen. Sie werden sich überhaupt bald davonmachen, denn sie befinden sich auf dem Kriegspfade.«

»Mein weißer Bruder ist ein kluger Jäger und tapferer Krieger, doch kennt er nicht die Wege der Comanchen. Diese roten Männer weiden in die Berge gehen zum Grabe ihres Häuptlings Tschu-ga-chat, wie sie es jedes Jahr tun an dem Tage, an welchem er getötet wurde von Winnetou, dem Häuptling der Apachen.«

Jetzt war es auf einmal erklärt, warum er diesen Trupp Comanchen verfolgte.

»Das ist ganz dasselbe,« meinte Sam. »Wenn sie auf einem solchen Wege gehen, werden sie sich zum Beispiel den Kuckuck um uns und die Stakemen kümmern.«

»Auch ich möchte mich nicht unnötigerweise mit Blut beflecken,« stimmte ich bei.

»Meine weißen Brüder mögen tun, was ihnen beliebt,« sprach der Apache. »Sie schonen den Feind, der ein Räuber und Mörder ist, und werden dafür ihr eigenes Blut geben. Der Apache hat gesprochen. Howgh!«

Es tat mir eigentlich leid, ihm entgegentreten zu müssen; aber es war heute bereits das Blut eines Menschen geflossen, und es widerstrebte meinen innersten Gefühlen, selbst gegen Mörder die Waffe zu richten, wenn dies nicht von erlaubter Notwehr geboten war.

Noch hing ich diesen Gedanken nach, als vom Lagerplatz der Comanchen her Rufe erschollen, welche auf ein plötzlich eingetretenes, unvorhergesehenes Ereignis schließen ließen. Wir bemerkten, daß auch der Capitano mit seinem Begleiter höchst aufmerksam wurde, und so pürschte ich mich in einem Bogen an den Waldessaurn, um die Ursache zu erfahren.

Als ich einen Punkt erreicht hatte, der mir einen sicheren Durchblick bot, sah ich die Comanchen dicht gedrängt am Ufer des Flusses stehen und einen Gegenstand betrachten, den ich nicht erkennen konnte. Dieser wurde nach einiger Zeit wieder in den Fluß gestoßen, und sämtliche Krieger bildeten einen Kreis um die zwei Häuptlinge und die beiden Weißen. Dann saßen alle plötzlich auf und setzten ihren Weg fort. Ich kehrte zurück.

»Was war es?« fragte Bernard.

»Sie haben etwas im Flusse gefunden, vielleicht gar Holferts Leiche.«

Winnetou horchte auf. Dann wäre unsere Anwesenheit ja verraten gewesen!

»Glaubt mein weißer Bruder, daß ein toter Mann so weit zu schwimmen vermag?«

»Unter Umständen, ja. Der Fluß ist hier tief und reißend und hat glatte Ufer, so daß sich nicht leicht etwas ansetzen kann.«

Ohne weiter ein Wort zu sagen, erhob er sich und verschwand nach links hinauf zwischen den Bäumen. Ich wußte, was er tun wollte. Er ging jedenfalls im Schutze des Waldes so weit stromauf, bis er nicht mehr gesehen werden konnte, und begab sich dann in das Wasser, um an Ort und Stelle zu schwimmen und sich zu überzeugen, welcher Gegenstand den Comanchen aufgefallen war.

Obgleich er der vortrefflichste Schwimmer war, den ich kannte, mußte ich mir doch sagen, daß dieses Unternehmen kein ungefährliches sei. Erstens konnte der Capitano mit Conchez aufbrechen und, von derselben Wißbegierde getrieben, an den Fluß gehen; zweitens konnten, was als sehr wahrscheinlich anzunehmen war, die Comanchen Verdacht geschöpft haben und schließen, daß, wo eine frische Leiche mit Schußwunde vorhanden ist, auch jemand da sein muß, der diese Wunde verursacht hat. In diesem Falle war anzunehmen, daß ihre Entfernung nur eine scheinbare wäre, und sie zurückkommen würden, um sich Gewißheit zu holen. Wenn es während eines Feldzuges bestimmte Regel ist, keine Festung unerobert oder wenigstens zerniert hinter sich zu lassen, so ist es im ›wilden Westen‹ ebenso gefährlich, nicht genau zu wissen, wen man im Rücken hat.

Die Strecke, welche Winnetou erst stromab und dann wieder aufwärts zu durchschwimmen hatte, mochte eine halbe Meile lang sein; er als guter Schwimmer konnte höchstens eine halbe Stunde brauchen, um diese Strecke zurückzulegen; zehn Minuten für den zu durchlaufenden Landweg dazu gerechnet. Noch aber war er keine Viertelstunde fort, so brach der Capitano mit seinem Begleiter auf. Wir konnten sie nicht zurückhalten.

Was ich vermutet hatte, geschah: sie ritten bis zum Rastplatz der Comanchen und wandten sich dann nach dem Flusse. Jetzt galt es, Winnetou, welcher jedenfalls da, wo er in das Wasser gegangen war, seine Kleider und Waffen abgelegt und höchstens nur das Messer bei sich hatte, zu beschützen; natürlich ohne mich dabei sehen zu lassen. Ich ergriff meine Büchse.

»Bleibt hier!«

Bei diesen Worten verließ ich unser Versteck und eilte, so schnell es mir der Wald gestattete, innerhalb des Saumes desselben abwärts, bis ich eine Stelle erreichte, von welcher aus ich den Ort bestreichen konnte, wo der fragliche Gegenstand wieder in das Wasser geworfen worden war. Noch aber hatte ich diesen Platz nicht eingenommen, als der Capitano seine Büchse erhob und in das Wasser feuerte. Er hatte nicht getroffen. Ich kannte die Behendigkeit Winnetous im Tauchen. Keine fünf Sekunden nach dem Schusse sah ich ihn wie einen Fisch emporschnellen, das Ufer erreichen und sich auf den Capitano stürzen. Da erhob Conchez den Karabiner. Ich konnte nicht anders, schießen mußte ich; aber sein Leben mußte ich schonen. Mit einer blitzschnellen Bewegung wandte sich Winnetou von dem Capitano ab, warf sich zu Conchez hinüber und schlug diesem in dem Augenblick, als er abdrücken wollte, den Lauf des Karabiners in die Höhe. Der Schuß ging in die Luft. Winnetou entriß ihm das Gewehr, nahm es beim Laufe, um es als Keule zu gebrauchen, und tat gerad zur rechten Zeit einen gewaltigen Seitensprung, denn der Capitano hatte bereits ausgeholt, um ihm von hinten einen Kolbenschlag zu versetzen.

Eben stand er im Begriffe, sich gegen Beide zugleich zu wenden, als von abwärts her ein lautes Geheul erscholl. Auch in Betreff des zweiten Punktes bestätigte sich meine Vermutung: die Comanchen waren nicht allzuweit fortgeritten und hatten daher den Schuß des Capitano vernommen; sie kamen im Galopp zurück.

Kaum hatte Winnetou sie bemerkt, so schlug er dem Capitano die Büchse, welche zum Glück nur einläufig gewesen war, aus der Hand, schleuderte den Karabiner weit in das Wasser hinüber und sprang in Sätzen, welche denen eines gehetzten Panthers glichen, stromaufwärts.

Ich wußte, daß er in dieser Weise volle zehn Minuten lang mit dem schnellsten Renner um die Wette zu laufen vermochte; er hatte mich diese Sprünge gelehrt, bei denen man, nicht laufend, sondern sich in weiten Sätzen durch die Luft werfend, den Schwerpunkt immer nur auf das eine Bein legt, welches gleichsam als Spannfeder dient, und dann, wenn dieses müde wird und zu zittern beginnt, auf das andere überwechselt. Er brauchte keine zehn Minuten, um zu seinen Kleidern zu gelangen, und dann war er sicherlich so klug, noch eine Strecke weiter zu fliehen, ehe er sich in den Wald wandte und unter dem Schutze desselben zu uns zurückkehrte.

Ich rannte so schnell wie möglich nach unserem Versteck.

»Rasch auf! Wir müssen fliehen!«

»All devils! Wohin zum Beispiel?« fragte Sam. »Dort kommen die Comanchen; die beiden Weißen sind auch dabei!«

»Das ist ein Glück! Sie werden an uns vorüberjagen und da oben genug zu tun haben, um die Fährte Winnetous zu finden. Schnell, die Pferde an den Rand! Sobald sie vorüber sind, jagt ihr aus allen Kräften flußab, und zwar auf ihrer eigenen Spur, daß sie später die eurige nicht zu unterscheiden vermögen. Ich bleibe zurück, um den Rückzug zu decken und den Apachen zu erwarten.«

»Du allein?« fragte Sam.

»Natürlich,« antwortete ich mit einem erklärenden Seitenblick auf Hoblyn, dem doch immerhin nicht zu trauen war. »Die Anderen sind nicht erfahren genug; ich muß sie dir übergeben!«

»Well, dann vorwärts; sie sind vorüber!«

Wirklich sprengte eben jetzt der letzte Comanche an uns vorbei; und nun befand sich die Waldecke zwischen uns und ihnen, so daß wir von ihnen nicht gesehen werden konnten. Während Sam mit den Andern davonritt, vertilgte ich unsere Spuren, so gut es sich tun ließ. Eben war ich damit fertig, als es im Unterholze raschelte. Winnetou stand vor mir.

»Uff! Die Schakals der Comanchen suchen die Spur des Apachen. Wo sind die Gefährten meines weißen Bruders?«

»Sie sind vorangeritten.«

»Die Gedanken meines Bruders sind stets klug. Die Bleichgesichter sollen nicht lange auf uns warten!«

Er legte eiligt seine Kleider an, die er bisher in der Hand getragen hatte, und zog dann sein Pferd in das Freie. Ein Blick nach aufwärts belehrte mich, daß wir vor den Comanchen jetzt noch sicher waren, und darum fragte ich:

»Was hat mein roter Bruder im Flusse gefunden?«

»Die Leiche des Bleichgesichtes. Winnetou hat heut zweimal gehandelt wie ein Knabe, der keine Gedanken hat; aber er fürchtet sich nicht, und seine weißen Brüder werden ihm verzeihen!«

Das war ein Eingeständnis, welches der stolze Apache sicher keinem Anderen als nur mir allein gemacht hätte. Ich antwortete nicht darauf, denn er brauste auf seinem Renner bereits wie ein Sturmwind dahin, so daß ihm mein Mustang kaum zu folgen vermochte.

Da, wo unser Weg rechtsab in die Berge führte und also von der Fährte der Comanchen abzweigte, hielten die Unsrigen. Sam war abgestiegen, um unter Mithilfe der übrigen die Füße der Pferde zu umwickeln. Es mußten zu diesem Zwecke einige aus dem Hide-spot der Stakemen mitgenommene Decken zerschnitten werden. Dann ging es vorwärts, in die Schlucht hinein, Winnetou hinterher zu Fuße, um die ja noch entstehenden Spuren zu verwischen.

Als wir die erste Krümmung der Schlucht hinter uns hatten, blieb ich halten.

»Bernard, nehmt mein Pferd beim Zügel, bis ich nachkomme!«

»Was willst du tun, Charley?« fragte Sam.

»Hier bleiben, um abzuwarten, was die Roten anfangen werden.«

»Well, das ist gut! So werden wir ja erfahren, ob sie hinter unsere Schliche kommen.«

Die Gefährten ritten weiter, während ich in die Büsche kroch. Ich hatte noch nicht lange dagelegen, so vernahm ich schon Hufschlag. Die Comanchen kamen zurück, aber es war nicht der ganze Trupp, sondern nur die Hälfte. Wo waren die Andern? Ich sah auch die beiden Morgans; der Capitano und Conchez fehlten. Die Indsmen kamen sehr langsam geritten und hielten den Blick auf den Boden gerichtet. Da, wo wir abgestiegen waren, um die Hufe zu umwickeln, hielten sie an, Der eine Häuptling, welcher sich bei ihnen befand, sprang plötzlich vom Pferde, bückte sich nieder und nahm einen Gegenstand von der Erde auf, den ich nicht erkennen konnte. Er zeigte ihn vor; der Boden wurde genauer untersucht. Man hielt eine Beratung, und dann trennten sich die beiden Weißen und der Häuptling von dem Trupp, um zu Fuß in die Schlucht einzudringen.

Mit scharfen Augen selbst das scheinbar Bedeutungslose untersuchend kamen sie näher; es waren gefährliche Augenblicke für mich. Doch, dank unserer Vorsicht, bemerkten sie nicht das geringste Zeichen von unserer Anwesenheit. Im Vorübergehen erblickte ich den fraglichen Gegenstand in der Hand des Häuptlings. Es war ein wollener Faden, der beim Zerschneiden der Decken von einem der Unsrigen achtlos zur Erde geworfen worden war; es hing also hier ganz wörtlich unser aller Leben nur an einem Faden.

Sie schritten noch ein Stück in die Schlucht hinein, dann kehrten sie um. Sie hatten die Überzeugung gewonnen, daß hier kein Mensch geritten oder gegangen sei, und hielten also ein Schweigen nicht mehr für unbedingt geboten.

»Hier war niemand,« hörte ich Fred Morgan sagen; »die Pferdespuren waren also unsere eigenen.«

»Aber wer war die Rothaut, und wer waren die beiden Weißen, die wir noch nicht gefunden haben?« fragte sein Sohn.

»Das werden wir bald erfahren, denn entgehen können sie uns unmöglich. Der Rote war nackt, drum konnte man nicht erkennen, zu welchem Stamme er gehört.«

»Er hat uns keinen schlechten Dienst erwiesen, wenn die Leiche wirklich dieser Holfert war, von dem du mir erzählt hast.«

»Er war's. Aber wie kam der Indianer an die Stelle, wo wir so lange lagerten? War er bereits vorher dort, oder kam er später hin? Ich glaube – – –«

Mehr konnte ich nicht hören, denn sie waren nun wieder an mir vorüber. Aus dem Gehörten aber konnte ich entnehmen, daß wir uns zunächst in Sicherheit befanden, und daß der Capitano es vorgezogen hatte, sich den Comanchen nicht zu zeigen. Dies geschah jedenfalls aus dem Grunde, weil es nur in diesem Falle ihm möglich war, den Leutnant auf der Tat zu ertappen. Freilich schien es mir sehr fraglich, ob es ihm und Conchez gelingen werde, den scharfen Augen der Comanchen zu entgehen.

Jetzt erreichten die drei Späher ihren Trupp wieder, welcher auf einen kurzen Befehl des Häuptlings umschwenkte und hinter den Bäumen verschwand. Ich hatte somit meine Absicht erreicht und eilte den Gefährten nach, welche bereits eine solche Strecke zurückgelegt hatten, daß ich erst nach einer halben Stunde zu ihnen stieß. Winnetou sah mich fragend an, und ich berichtete, was ich gesehen hatte.

»Well,« meinte Sam, »so ist es uns zum Beispiel gelungen, ihnen ein Schnippchen zu schlagen.«

»Die Söhne der Comanchen haben Augen und sehen nicht, und ihre Ohren sind verstopft, daß die Schritte ihrer Feinde sie nicht hören. Meine weißen Brüder mögen den Pferden ihre Mokassins abnehmen!«

Dieser Mahnung Winnetous wurde gern Folge geleistet, da es den Tieren außerordentlich hart ankam, mit den umwickelten Hufen die Beschwerden des Weges zu überwinden.

Es war ein böser Ritt, eine ungebahnte, von Felstrümmern übersähte Schlucht entlang, worin Bäume lagen, welche das Alter oder der Sturm von beiden Seiten herabgestürzt hatte. Je weiter wir kamen, desto wilder ward die Gegend, bis wir gegen Abend die Höhe des Gebirgzuges erreichten, welcher sich parallel mit der Sierra von Nord nach Süd erstreckt. Wir ritten jenseits desselben hinab und erreichten, als die Sonne sank, einen vortrefflichen Lagerplatz.

Der Abend und die Nacht verflossen in ungestörter Ruhe, und ein kurzer Rekognitionsritt, welchen ich am Morgen nach rückwärts unternahm, bestärkte mich in der Überzeugung, daß wir unverfolgt geblieben seien.

Jetzt ging es weiter, und zwar auf einer Bodengestaltung, wie ich sie früher am Colorado getroffen hatte. Der Wald hörte nach und nach auf, da es an Wasser zu mangeln begann. Es gab eine Menge trockener Flußbetten. Alle waren gewaltig tief eingeschnitten und gaben von der Gewalt der Wasser, die früher hier geflossen waren, ein redendes Zeugnis. Sobald man sich einem dieser netzförmig unter sich verbundenen Flußbetten näherte, gewahrte man das gegenüberliegende Ufer als eine Abschattung desjenigen Bodens, auf welchem man sich befand. Je weiter man kam, desto deutlicher trat der vorher bemerkte Strich hervor, bis man beinahe urplötzlich vor einem tiefen Abgrunde stand, dessen Furchtbarkeit zwar dadurch gemildert wurde, daß es auf seiner Sohle ebenso wie oben tageshell war, der aber vermöge der Steilheit seiner Wände den Reisenden ein sehr schwer zu überwindendes Hindernis bot.

Betrachtet man diese Täler genauer, so findet man, daß während der Regenzeit ihre ganze Breite mit Wasser angefüllt sein muß; denn zu beiden Seiten ist der Wasserstand unverkennbar in verschiedenen Höhen markiert. Hier sieht man prachtvoll übereinander gelagerte Felsen mit so malerischen oder grotesken Umrissen, daß man den Bleistift gar nicht aus der Hand legen möchte. Es türmen sich Pyramiden und kubische Massen, es bauen sich gewaltige Säulen und Bogen auf- und übereinander, und das Wasser hat stellenweise so eigentümliche Rundungen ausgehöhlt, so wunderbare Konturen, man möchte sagen Verzierungen, ausgewaschen, daß man sich kaum des Gedankens erwehren kann, dieselben seien von Menschenhänden gemacht.

Der Boden dieser Flußbetten muldet sich nach der Mitte zu nur sehr wenig aus, und nur selten ist es möglich, von dem hohen Ufer hinabzugelangen, man müßte denn ein sehr guter Kletterer sein. Aber das Hochland ist nach allen Richtungen hin so durchfurcht, daß man, an dem Ufer eines solchen trockenen Flußbettes fortgehend, sehr bald zu einem Seitentale gelangt, durch welches man in das Hauptbett zu kommen vermag. Da sich nun dasselbe gewöhnlich in einer bestimmten Richtung fortzieht, so kann es recht gut als Straße dienen und bietet vermöge seiner tiefen Lage dem Reisenden den Vorteil, daß er von keinem anderen Punkte als nur vom Ufer aus bemerkt werden kann. Natürlich ist damit zugleich der Nachteil verbunden, daß auch er einen Feind nicht eher bemerkt, als bis er ihn unmittelbar vor sich hat.

Wir folgten einem solchen Tale in stets westlicher Richtung. Je weiter wir darin vorwärts kamen, desto mehr verlor es seine ursprüngliche Tiefe, desto weniger mündeten Seitentäler ein, und endlich sahen wir vor uns die bewaldeten Höhen der Sierra Rianca aufsteigen.

Am Fuße des Gebirges trafen wir wieder auf zahlreiche Wasserläufe, welche alle dem Rio Pecos zuströmten, und unter ihnen befand sich auch der, der in dem von uns gesuchten Tale seinen Ursprung nahm.

Am späten Nachmittag erreichten wir dieses Tal. Es hatte die Länge von ungefähr anderthalb englischen Meilen und die durchschnittliche Breite von einer halben Stunde. Rings war es von waldbesetzten Höhen eingefaßt und zeigte längs des Wassers auf seiner Sohle eine saftig grüne Trift. Leider durften wir unsere Tiere hier nicht weiden lassen, sonst wäre unsere Anwesenheit sofort verraten gewesen.

»Ist dieses Tal auch ganz sicher das gesuchte?« fragte ich Hoblyn, da ein Irrtum sehr leicht möglich war.

»Ich bin meiner Sache sicher, Sir. Da oben unter jener Wintereiche habe ich mit dem Capitano mein erstes Nachtlager gehalten.«

»Ich schlage vor, eines der nächsten Täler aufzusuchen, um unsere Pferde dort weiden zu lassen; es könnte eine Wache bei ihnen zurückbleiben, und wir hätten hier freie Hand.«

»Klingt ganz gut,« meinte Sam; »aber kann nicht der Fall eintreten, daß wir unsere Tiere plötzlich brauchen? Ich gebe meine Tony nicht so weit weg!«

»Well, so müssen wir im Walde nach einem versteckten Plätzchen suchen. Ich will mit Bob diese Seite absuchen, während Winnetou die andere Seite begeht. Ihr Übrigen wartet, bis wir zurückkommen.«

Ich stieg ab, nahm meine Büchse und schritt mit dem Neger in den Wald hinein. Dieser stieg ziemlich steil an der Seite des Tales empor, und es war wegen der umgestürzten Bäume und der zahlreich zerstreuten Felsblöcke nicht leicht, die Pferde hier heraufzubringen. Wir gingen nicht nahe, sondern in einiger Entfernung parallel miteinander fort und hatten wohl die zurückzulegende Strecke bereits halb hinter uns, als ich plötzlich Bob einen lauten Schrei ausstoßen hörte.

»Massa, oh, ah, Massa kommen schnell, schnell!«

Ich wandte mich zu ihm und sah, wie er zum Stamm einer niedrigen Blutbuche sprang, den untersten Ast derselben erfaßte und sich emporschwang.

»Was gibt's, Bob?«

»Massa kommen schnell, helfen Nigger Bob! O nein, nicht kommen, sondern laufen und holen all, viel' ganz' Leute, um machen tot das Ungetüm!«

Ich brauchte nicht zu fragen, welches Ungetüm er meinte. denn ich sah es eben jetzt durch das Unterholz brechen. Es war ein grauer Bär, einer von der liebenswürdigen Sorte, welche der Jäger Grizzly nennt.

Ich habe den Löwen in der Wildnis jene Laute ausstoßen hören, welche der Araber mit dem Worte ›Rad‹, d. i. Donner, bezeichnet; ich habe den bengalischen Tiger brüllen hören, und das Herz ist mir, wenn auch die Hand nicht zittern durfte, dabei unruhig geworden; aber das tiefe, heisere, heimtückische, dämonische Brummen des grauen Bären schneidet durch Mark und Bein und verursacht selbst dem Beherzten ein Gefühl, als wenn ihm die Zähne ›eilig‹ würden, nur daß einem diese Empfindung nicht bloß durch die Zähne, sondern durch den ganzen Körper läuft.

Vielleicht noch acht Schritte von mir entfernt, richtete er sich auf den Hinterfüßen empor und riß den Rachen auf. Er oder ich – einer mußte sterben. Ich zielte auf das Auge und drückte ab, hielt in demselben Augenblick auf das Herz und gab den zweiten Schuß. Die Büchse wegwerfend, zog ich das Messer und sprang zur Seite, um so besser stoßen zu können. Das riesige Tier schritt kerzengrad auf mich zu, als seien beide Kugeln an ihm vorübergegangen – zwei, drei, fünf, sechs Schritte, und eben holte ich zum Stoße aus, als er die erhobenen Vordertatzen sinken ließ, ein beinahe heulendes Grunzen ausstieß, wohl eine Minute lang stehen blieb und dann wie unter einem gewaltigen Keulenschlage zusammenbrach. Die eine Kugel war ihm in das Gehirn und die andere in das Herz, also beide mitten in das Leben hineingedrungen. Ein Panther oder Jaguar wäre unter gleichen Verhältnissen wie eine Katze zusammengezuckt. Mein Grizzly war ruhig weitergegangen – nur noch zwei Schritte, und ich wäre verloren gewesen.

»Oh, ah, gut, schön!« rief Bob vom Baume herunter. »Bär richtig tot sein, Massa?«

»Ja; komm herunter!«

»Aber auch gewiß tot sein, Massa? Nicht fressen Nigger Bob?«

»Er ist ganz tot.«

So schnell, wie er hinaufgekommen war, kam Bob wieder herab; doch als er näher trat, zögerte sein Fuß. Ich selbst beugte mich mit aller Vorsicht zu dem Tiere nieder und stieß ihm mein Messer wiederholt zwischen die bekannte zweite und dritte Rippe.

»Oh, ah, groß Bär, sein mehr groß als ganz Bob! Kann Bob essen Bär?«

»Ja; die Tatzen und die Schinken sind delikat.«

»Oh, Massa geben Bob auch Tatzen und Schinken, denn Nigger Bob sein sehr ganz viel gern delikat.«

»Bekommst dein Teil wie jeder Andere. Doch warte hier; ich komme gleich wieder!«

»Bob warten hier? Oh, wenn nun Bär bekommen wieder Leben!«

»Dann springst du wieder auf den Baum!«

»Wenn Massa gehen, dann Bob lieber gleich springen auf Baum!«

Wirklich saß er einen Augenblick später abermals oben auf dem Aste. Der gute Bob war kein Hasenfuß; er hielt menschlichen Feinden gegenüber recht wacker Stand; einem Grizzly aber war er noch nicht begegnet, und so konnte ich ihm seine weise Vorsicht auch nicht übel deuten.

Ich suchte zunächst die Umgebung ab, um zu sehen, ob ich es nur mit einem einzelnen Bären, oder mit einer Familie zu tun hatte. Ich fand die Spuren nur dieses einen Tieres und konnte also ruhig sein. Übrigens blieben Bob und ich nicht lange allein. Man hatte natürlich meine Schüsse gehört und war, da man nicht wußte, wen ich gegen mich hatte, dem Orte zugeeilt, an welchem sie gefallen waren.

Alle erklärten das Tier für eines der größten, die man bisher gesehen hatte, und Winnetou bog sich nieder, um seinen Medizinbeutel in das Blut desselben zu tauchen.

»Mein weißer Bruder hat gut getroffen; die Seele des Bären wird ihm danken, denn sie ist nicht gemartert, sondern schnell erlöst worden und darf nun gehen in die ewigen Jagdgründe ihrer Väter!«

Die Indianer glauben nämlich, daß in jedem grauen Bären die Seele eines berühmten Jägers wohne, die hier eine Läuterung, eine Art Fegfeuer zu erleiden habe. Er half mir, das Tier aus dem Felle zu bringen und die wertvollsten Fleischteile desselben abzulösen. Das Übrige wurde so mit Zweigen, Steinen, Moos und Erde bedeckt, daß wir hoffen konnten, es werde kein Geier angezogen werden, der uns sehr leicht verraten konnte.

Der Apache hatte drüben auf der andern Seite des Tales bereits ein für uns und unsere Pferde geeignetes Versteck entdeckt, welches wir jetzt aufsuchten. Da es noch heller Tag war, so konnten wir es wagen, ein Feuer anzumachen und an demselben die saftigen Bärentatzen zu braten. Trefflich war denn auch die Mahlzeit.

Als es dunkel wurde, wickelten wir uns in unsere Decken und suchten, nachdem die Wachordnung bestimmt war, die Ruhe. Diese erlitt keine Störung, und selbst der größte Teil des nächsten Vormittags verging, ohne daß unsere Aufmerksamkeit durch irgend etwas Besonderes in Anspruch genommen ward.

Wir hatten am Eingange des Tales einen Posten aufgestellt; um die angegebene Zeit war Sam damit betraut. Er hatte noch nicht lange seinen Vordermann abgelöst, als er wieder zurückkehrte.

»Sie kommen!« meldete er.

»Wer?« fragte ich.

»Ja, das kann ich zum Beispiel noch nicht genau sagen, weil sie erst näher kommen müssen.«

»Wie viele sind es?«

»Zwei, zu Pferde.«

»Laß sehen!«

Ich eilte der bezeichneten Stelle zu und erkannte mit Hilfe meines Fernrohres die beiden Morgans, welche allerdings noch eine Viertelstunde zu reiten hatten, bis sie das Tal erreichten. Alle Spuren unserer Anwesenheit waren bereits sorgfältig vertilgt worden, und da wir ihnen außerdem an der Zahl überlegen waren, so konnten wir ihre Ankunft in aller Gemütsruhe erwarten.

Eben wollte ich mit Sam zurückkehren, als ich es über uns in den Büschen krachen hörte. War es vielleicht wieder ein Bär? Ein sorgfältigeres Horchen überzeugte uns, daß es zwei Wesen sein mußten, die sich bergabwärts uns näherten.

»All devils, Charley, wer mag das sein?«

»Werden es gleich sehen. Schnell zwischen die Sträucher!«

Wir verbargen uns, so daß uns die Zweige zwar vollständig deckten, wir aber sofort wehrfertig waren, wenn es sich ja um wilde Tiere handeln sollte. Einige Minuten später erkannten wir, daß wir es mit keinem Wild, sondern mit zwei Männern zu tun hatten, welche ihre Pferde nach sich zogen. Und diese zwei waren – der Capitano und Conchez. Ihre Tiere sahen außerordentlich mitgenommen aus, und auch die Reiter zeigten in ihrem ganzen Äußern, daß sie eine schlimme Reise hinter sich haben mochten.

Unweit unseres Versteckes blieben sie halten; sie hatten da eine freie Aussicht hinaus in die Weite.

»Endlich!« rief der Capitano mit einem Seufzer der Erleichterung. »Das war ein Ritt, wie ich ihn nicht bald wieder machen möchte. Aber wir kommen noch zur rechten Zeit; es ist noch niemand hier gewesen.«

»Woran seht Ihr es?« fragte Conchez.

»Mein Versteck ist noch unberührt. Die Morgans sind also noch nicht hier gewesen, und wie sollte ein Anderer grad hierher in diese abgelegene Gegend kommen?«

»Ihr habt wahrscheinlich recht. An diesen Sans-ear und Old Shatterhand denkt Ihr also nicht mehr?«

»Nein; denn wären sie den Morgans gefolgt, so hätten sie unbedingt auf die Comanchen stoßen müssen, und da wäre ihnen das Weitergehen wohl verleidet worden.«

»Aber wer ist jener nackte Indianer im Rio Pecos gewesen, und die weiße Leiche dort im Wasser?«

»Geht uns jetzt nichts an. Schaden kann uns niemand, denn wir haben die Comanchen zwischen uns und einem jeden, dem es etwa in den Sinn gekommen sein sollte, uns zu folgen.«

»So denkt Ihr also, daß wir die Roten ganz sicher hinter uns haben?«

»So sicher, wie ich dich neben mir sehe. Sie haben den Indianer niedergemacht, wenn es ein Feind von ihnen gewesen ist – was ich aber nicht glaube, denn ein Apache wagt sich jetzt nicht hierher – und sind uns dann gefolgt. Wir mußten ja solche Eile brauchen, daß wir eine Spur zurückgelassen haben, wie sie keine Bisonherde deutlicher macht.«

»Und wenn sie uns hier finden?«

»Schadet uns nichts; wir sind Freunde. Sie werden sich höchstens wundern, daß wir uns ihnen nicht zu erkennen gegeben haben, und das werde ich ihnen schon erklären, indem ich ihnen von diesem Leutnant erzähle, der – carajo, ich lasse mich hängen, wenn er da draußen nicht bereits kommt!«

»Er ist's!«

»Gut, so haben wir ihn endlich fest, und er soll erfahren, was es heißt, seinen Hauptmann und seine Kameraden zu betrügen!«

»Sie kommen allein, und das ist allerdings ein Beweis, daß die Comanchen uns auf dem Fuße sind. Aber sagt, Capitano, wollt Ihr den Schatz heut wirklich heben – in meiner Gegenwart?«

»Ja.«

»Für wen?«

»Für uns.«

»Für uns? Wie meint Ihr das? ›Für uns‹ das kann heißen, für die ganze Compagnie oder auch nur für uns Beide.«

»Was wäre dir lieber?«

»Das ist leichter zu denken als zu sagen, Capitano. Aber wenn Ihr Euch vergegenwärtigt, wie es jetzt im Hide-spot steht, so ist es jedenfalls besser, gar nicht dorthin zurückzukehren. Wenn man sich seine gute Zeit lang abgemüht hat, verlangt es einen auch einmal nach Ruhe und Bequemlichkeit, und ich denke, was Ihr dazu braucht, das habt Ihr hier in Eurem Verstecke reichlich beisammen, so reichlich, daß für mich auch ein weniges abfällt.«

»Du sprichst wie ein Buch, und ich will dir auch nicht Unrecht geben. Aber jetzt gilt es vor allen Dingen, diesen zwei Schurken auf die Finger zu klopfen. Komm weiter aufwärts! Dort gibt es einen Platz, wie wir ihn gar nicht besser für uns finden können, und der Schatz, den sie heben wollen, ist ganz in der Nähe.«

Meinte der ahnungslose Capitano vielleicht den Ort, an welchem wir unser Lager genommen hatten? Sie schritten allerdings ganz in dieser Richtung mit den Pferden davon, und wir folgten ihnen. Sie waren so unbesorgt und achtlos, daß sie nicht einmal die Fußspuren bemerkten, welche ich und Sam hinterlassen hatten. Allerdings gehörte auch ein gutes Auge dazu, sie zu erkennen.

Die Unsrigen hörten natürlich, daß sich etwas Ungewöhnliches nahe, und hatten sich erhoben. Noch heut kann ich mir den Gesichtsausdruck der beiden Ehrenmänner vergegenwärtigen, als sie, durch die letzten Büsche tretend, den Indianer erkannten, dem sie am Rio Pecos nachgesprungen waren. Beinahe mußte ich hell auflachen.

»Hoblyn!« rief Conchez, seinen früheren Gefährten erkennend.

»Hoblyn?« fragte der Capitano. »Wahrhaftig! Wie kommst du in die Sierra Rianca, und wer sind diese Leute hier?«

Ich trat von hinten näher an ihn heran und klopfte ihm auf die Achsel.

»Bekannte, lauter Bekannte sind's, Capitano. Tretet näher, nehmt Platz, und macht es Euch bequem!«

»Wer seid Ihr, Sennor?« fragte er mich.

»Ich werde Euch diese Männer vorstellen und komme also zuletzt daran. Dieser schwarze Master heißt Bob und war der beste Freund eines gewissen Master Williams, den Ihr ja wohl gekannt habt. Dieser weiße Gentleman ist ein Herr Marshall aus Louisville, der einige Worte mit den Morgans zu reden hat, die Euch die Eier aus dem Neste nehmen wollen. Dieser braune Monseigneur heißt Winnetou; Ihr habt den Namen wohl schon einmal gehört, und ich will also über ihn keine lange Rede halten. Dieser Gentleman hier wird gewöhnlich Sans-ear genannt, und mich heißt man zuweilen Old Shatterhand.«

Der Mann war vor Schreck so verblüfft, daß er keine Worte fand und nur den Ruf zu stammeln vermochte:

»Ist's – möglich?«

»Sehr! Setzt Euch, und macht es Euch so bequem, wie ich es mir machte, als ich Euch im Hide-spot belauschte. Ich lag hart hinter Euch und nahm mir Eure Pistole als Andenken mit. Vorgestern lag ich wieder bei Euch, als Ihr die Comanchen belauscht und Eure Herzen gegeneinander ausgeschüttet habt. Bob, nimm diesen beiden Mesch'schurs einmal die Waffen ab, und binde ihnen die Hände und Füße ein wenig zusammen!«

»Sennor – –!« fuhr der Capitano auf.

»Schon gut! Wir sprechen mit Euch, wie man mit Stakemen zu reden hat. Gebt Euch keine unnütze Mühe, denn ich sage Euch: ehe die Morgans das Tal vollends erreichen, seid Ihr gefesselt und geknebelt oder – tot.«

Das alles war so schnell und unerwartet über sie gekommen, daß sie gar nicht Zeit fanden, eine Gegenwehr zu versuchen.

»Sagt einmal, Sennor Capitano, wo sich das Versteck befindet, nach welchem es den Morgans so gelüstet!« fragte ich ihn.

»Die Sachen gehören nicht Euch!«

»Ganz wie Ihr wollt; sie werden aber doch vielleicht unser. Ich will Euch gar nicht zwingen, Euer Geheimnis auszuplaudern, aber eine andere Frage werdet Ihr mir wohl beantworten: Was ist aus den sogenannten Voyageurs, die mit Eurem Leutnant gingen, und aus den Kaufleuten geworden, welchen sie folgten?«

»Die Kaufleute – hm, ich weiß es nicht – – –«

»Well, ich weiß es nun. Und die Voyageurs?«

»Zwei werden zum Hide-spot zurückgekehrt sein, den dritten ermordete der Leutnant unterwegs. Wir haben seine Leiche gefunden.«

»Dachte es! Jetzt laßt Euch ruhig den Knebel geben! Es geschieht, damit Ihr uns den beiden ›Carajos‹ nicht verratet.«

Wir waren gerade mit ihnen fertig, als Fred Morgan mit seinem Sohne am Eingange des Tales erschien. Sie blieben eine Minute halten und überblickten das Terrain. Dann gab Patrik seinem Pferde die Sporen und kam im Trabe herbei; sein Vater folgte ebenso schnell. Sie schienen nicht die Absicht zu haben, sich lange hier aufzuhalten. Grad uns gegenüber, etwa zwanzig Schritte von unserem Lager aus, stand ein junges Brombeerengeranke; dahin wandten sich die Beiden.

»Hier ist es, Vater!« sagte Patrik.

»Hier? Ein wohlfeiler Platz, an dem man einen Schatz nicht sucht!«

»Heraus damit, und dann fort! Man weiß nicht, wer die beiden Weißen gewesen sind, und ob es den Comanchen gelungen ist, sie festzunehmen.«

Beide sprangen ab und pflockten ihre Pferde an das Ufer des Baches. Während die durstigen Tiere tranken, knieten die Spitzbuben nieder, legten ihre Waffen beiseite und begannen, das Gestrüpp mit Hilfe ihrer Messer zu entfernen. Es kam eine lockere Humuserde zum Vorschein, welche aufgewühlt wurde.

»Hier!« rief Patrik nach einiger Zeit und brachte ein Paket zum Vorschein, welches sehr sorgfältig in behaarte Büffelhaut eingenäht war.

»Ist das alles?«

»Alles, aber genug; Banknoten, Depositen und so weiter. Jetzt das Loch zu, und dann fort!«

»Vielleicht bleibt ihr auch ein wenig länger da!«

Diese Worte wurden von Sam gesprochen, während ich mit einem Sprunge zwischen ihnen und ihren Waffen stand und die Andern ihre Büchsen auf sie anlegten. Sam stand vor den beiden Männern wie der Tiger, der sich auf seine Beute stürzen will. Sie waren im ersten Augenblick vollständig überrascht, besannen sich aber schnell und wollten ihre Waffen ergreifen. Ich streckte ihnen den Revolver entgegen.

»Bleibt stehen, wo ihr jetzt haltet, denn jeder Versuch, einen Schritt hinwegzutun, kostet Euch das Leben!« sagte ich.

»Wer seid Ihr?« fragte Fred Morgan.

»Fragt diesen sogenannten Master Mercroft, Euern Sohn.«

»Wer gibt Euch das Recht, uns hier anzufallen?«

»Wir selbst, ebenso wie ihr euch das Recht gegeben habt, Andere anzufallen, wie zum Beispiel den Master Marshal in Louisville, den Bahnzug später und früher noch die Farm eines gewissen Sam Hawerfield, der jetzt vor euch steht. Tut uns doch einmal den Gefallen, und legt euch platt auf die Erde!«

»Werden es bleiben lassen!«

»Werdet es dennoch tun, wenn ich Euch unsere Namen nenne. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apachen; dieser ist Sans-ear, der frühere Sam Hawerfield, und wer ich bin, wird Euch Euer Sohn bereits erzählt haben. Ich zähle bis drei; liegt ihr dann noch nicht, so seid ihr des Todes. Eins -zwei – –«

Mit zusammengekniffenen Zähnen und geballten Fäusten gehorchten sie.

»Bob, binde siel«

»Bob werden binden sehr schön, ganz fest, Massa!« meinte der Schwarze, und er tat sein Möglichstes, dieses Versprechen wahr zu machen.

Bernard war bisher bei den andern Gefangenen geblieben; jetzt löste ihn der Neger ab, und er trat herzu. Als Fred Morgan ihn erblickte, riß er die Augen auf, als ob er ein Gespenst vor sich habe.

»Marshal!«

Dieser warf ihm einen kurzen Blick zu, sprach aber kein Wort; doch der Blick sagte mehr als Worte; es lag in ihm der kalte, ruhige Entschluß der gerechten Vergeltung.

»Bob, bringe die Andern heraus!« meinte Sam. »Auch wir haben zum Beispiel keine Ursache, uns hier lange aufzuhalten, und wollen kurz und bündig über diese Leute richten.«

Der Neger brachte nun Conchez und den Hauptmann herbei. Auch Hoblyn kam nach. Er hatte sich bisher besser gehalten, als es einem Stakeman zuzutrauen gewesen war.

»Wer soll sprechen?« fragte Bernard.

»Charley, du!« meinte Sam.

»Nein. Wir sind hier alle Partei, nur Winnetou ist unberührt. Er ist ein Häuptling der Prairie und soll das Wort haben!«

Alle waren einverstanden. Der Apache neigte zustimmend sein Haupt.

»Der Häuptling der Apachen hört reden den Geist der Savanne; er wird sein ein gerechter Richter über die Söhne der Bleichgesichter. Meine Brüder mögen nehmen ihre Waffen, denn nur Männer dürfen richten über die Gefangenen!

Das war so indianische Sitte, und wir folgten ihm. Er begann:

»Wie ist der Name dieses Weißen?«

»Hoblyn,« antwortete Sam.

»Was hat er getan?«

»Er war ein Stakeman.«

»Haben meine Brüder gesehen, daß er tötete einen ihrer Männer?«

»Nein.«

»Hat er freiwillig gesagt, daß er ein Mörder ist?«

»Nein.«

»Wem hat er bisher geholfen, den Stakemen oder meinen Brüdern?«

»Uns.«

»So mögen meine Brüder richten mit dem Herzen und nicht mit der Büchse. Winnetou wünscht, daß dieser Mann frei sei, aber nicht wieder gehe zu den Stakemen!«

Wir stimmten Alle bei, und der Ausspruch des Apachen hatte so sehr meine eigene Ansicht getroffen, daß ich die Büchse und das Messer Fred Morgans ergriff und beides Hoblyn hinreichte.

»Nehmt! Ihr seid frei und dürft also wieder Waffen tragen.«

»Ich danke Euch, Sir!« meinte er freudig. »Ihr sollt Euch in mir nicht täuschen!«

Es war ihm anzusehen, daß er den guten Willen hatte, dieses Versprechen zu erfüllen. Winnetou fuhr fort:

»Wer ist dieses Bleichgesicht?«

»Der Anführer der Stakemen.«

»Das ist genug; er soll sterben! Denken meine Brüder anders?«

Keiner sagte ja; das Urteil war also bestätigt.

»Und wie heißt dieser Mann?«

»Conchez.«

»Das ist ein Name, wie ihn tragen die falschen Männer des Südens. Was war er?«

»Ein Stakeman.«

»Was wollte er hier? Er wollte betrügen seine eigenen Gefährten um den Schatz; er hat zwei Seelen und zwei Zungen; er möge sterben!«

Auch jetzt erhob sich keiner zur Verteidigung des Angeklagten. Winnetou fuhr fort:

»Aber nicht von der Hand eines braven Mannes sollen sie sterben, sondern von der Hand dessen, der selbst gerichtet wird. Wie heißt dieser Mann?«

»Patrik.«

»Man nehme ihm die Fesseln ab. Er mag werfen die Stakemen in das Wasser, denn keine Waffe soll berühren ihren Körper, sondern sie mögen im Wasser ertrinken.«

Bob band ihn los, und während wir ihn vor den Läufen unserer Büchsen behielten, vollbrachte er den ihm gewordenen Befehl mit einer Bereitwilligkeit, wie sie nur der wirklich hartgesottene Sünder zeigen kann. Er sah sich verloren, und es war ihm ganz sichtlich eine Genugtuung, vorher an seinen früheren Gefährten den Henkerdienst zu verrichten. Diese waren so fest gebunden, daß sie sich nicht im mindesten zu wehren vermochten. Sie versuchten dies auch gar nicht, und dennoch mußte ich mich abwenden; ich konnte den Blick unmöglich auf die Stätte richten, welche zwei Menschen eines zwar zehnfach verdienten, aber immerhin gewaltsamen Todes sterben sehen sollte.

In zwei Minuten war es vorüber. Patrik ließ sich wieder binden; es gab ja keine andere Wahl für ihn.

»Wer sind nun diese zwei Bleichgesichter?« fragte Winnetou.

»Sie sind Vater und Sohn.«

»Wessen klagen meine Brüder sie an?«

»Ich klage sie an des Mordes an meinem Weibe und meinem Kinde,« antwortete Sam.

»Ich klage den Vater an des Raubmordes an meinem Vater,« fügte Bernard hinzu.

»Und ich klage an den Vater des Raubüberfalles eines Bahnzuges und des Mordes eines Bahnbeamten,« beendigte ich. »Ich klage den Sohn an des Mordversuches an mir und Euch. Es ist genug, wir brauchen das Übrige gar nicht zu rechnen!«

»Mein weißer Bruder hat recht gesagt: es ist genug. Sie sollen sterben. Der schwarze Mann möge sie töten!«

»Halt!« rief da Sam. »Das gebe ich nicht zu. Ich bin ihnen gefolgt seit vielen Jahren; das, was sie mir getan haben, ist ihr ältestes Verbrechen; sie sind mein, und ich lasse sie keinem Andern. Ihr Leben gehört mir, und ihre Kerben kommen auf meine Büchse. Dann ist Sans-ear zufrieden, und er und seine alte Tony mögen Ruhe finden in irgend einer Kluft des Gebirges oder draußen in der Prairie, wo die Gebeine von tausend Jägern bleichen!«

»Das Verlangen meines Bruders ist gerecht; er möge die Mörder nehmen aus den Händen der Andern!«

»Sam,« – sagte ich leise, indem ich mich zu ihm neigte, damit die Andern meine Worte nicht hörten – »beflecke dich nicht mit dem Blute der Mörder, indem du sie als Wehrlose kaltblütig niederschießest. Solche Rache entehrt einen Christenmenschen und ist Sünde. Überlaß sie dem Neger!«

Der harte Jäger starrte finster vor sich nieder und schwieg. Um ihm Zeit zum Überlegen zu geben, trat ich mit Bernard zu dem Pferde Fred Morgans. Wir fanden in den Satteltaschen einige Perlen, welche der Juwelier als die seinigen erkannte; weiter nichts. Wir untersuchten nun ihn selbst und fanden endlich ein Päckchen, welches mit Hirschsehne an die innere Seite seines Büffelhemdes angenäht war. Es enthielt Banknoten in nicht unbedeutendem Werte; dies war jedenfalls der Anteil, den er Holfert abgenommen hatte. Bernard steckte das Päckchen zu sich.

In diesem Augenblick vernahm ich von dem Platze her, an welchem unsere Pferde standen, ein ängstliches Schnaufen. Es war mir, als könne dies nur mein Mustang gewesen sein. Ich schritt also hinzu und sah, wie das Pferd mit gesträubter Mähne und funkelnden Augen am Riemen zerrte, um sich zu befreien. Entweder gab es ein Raubtier in der Nähe, oder es waren Indianer da. Ich stieß einen Warnungsruf aus; dieser aber wurde nicht vernommen, denn in demselben Augenblick erscholl draußen von der Wiese her ein entsetzliches Geheul.

Schnell war ich am Rande des Buschwerkes und blickte durch die Zweige. Was ich sah, war fürchterlich. Der ganze Platz wimmelte von Wilden. Drei oder vier knieten über Sam, den sie niedergerissen hatten; zwei hatten zu gleicher Zeit miteinander den Lasso über Winnetou geworfen und schleiften ihn an der Erde hin; Hoblyn lag mit zerschmettertem Schädel am Boden, und Bernard konnte ich gar nicht erkennen, so viele hatten ihn gefaßt. Wo Bob stak, konnte ich nicht sehen.

Die Racurroh waren also dem Kapitän wirklich gefolgt, hatten sich während der Gerichtsszene unbemerkt herangeschlichen und waren nun so unerwartet über die Gefährten hergefallen, daß eine Gegenwehr der reine Wahnsinn gewesen wäre. Was konnte ich für sie tun? Nichts, als mich retten. Es wäre mir möglich gewesen, ein halbes Dutzend der Indsmen niederzuschießen, aber wem war damit geholfen? Getötet war außer Hoblyn noch keiner, und so weit ich Comanchen kannte, ließ sich erwarten, daß sie die Überrumpelten als Gefangene mit sich führen würden, um sie daheim einen langsamen Martertod sterben zu lassen. Ich kehrte also zu meinem Pferde zurück, band es los und kletterte, es hinter mir herziehend, so schnell wie möglich zur Höhe empor. Etwas Anderes mit mir zu retten, dazu gab es keine Zeit, denn die Wilden hatten mich jedenfalls in das Gesträuch treten sehen und ließen es sich sicher angelegen sein, mich zu fangen.

Die bedeutende Steilung machte es mir außerordentlich schwer, mit dem Pferde vorwärts zu kommen; aber als ich die Höhe erreicht hatte, hörte das hindernde Unterholz auf. Ich stieg in den Sattel und verfolgte den lang sich hindehnenden Bergesrücken mit einer Hast, als ob die ganze Indianerhorde hinter mir her sei. Drüben ging es wieder in ein Tal hinab. Ich gab mir nicht die mindeste Mühe, meine Spur zu verbergen, im Gegenteil, ich wußte, daß sie sicher gefunden und verfolgt würde, und wollte die Verfolger irre leiten.

So ritt ich, ohne anzuhalten, einen großen Teil des Tages immer nach West, bis ich einen Wasserlauf erreichte, der meinem Zwecke dienlich war. Ich lenkte mein Pferd in das Wasser, welches über ein felsiges Bett hinfloß, in dem die Hufe keine Eindrücke hinterlassen konnten, und ritt in demselben So lange aufwärts, bis ich glaubte, daß die Verfolger ermüden würden; dann band ich ihm die Lappen um die Füße und kehrte auf einem Umwege nach dem Ausgangspunkte meines Fluchtrittes zurück.

Die Sonne war bereits untergegangen, als ich den Höhenzug erblickte, hinter welchem das verhängnisvolle Tal lag. Weiter durfte ich mich heute nicht nähern, und so suchte ich mir im Walde eine moosige Stelle, welche sich zum Lager eignete. Mein Pferd war durch die Umhüllung seiner Füße so ermüdet worden, daß es keine Lust zum Fressen verspürte, sondern sich sofort neben mich auf den Boden warf.

Wie so schnell hatten sich die Verhältnisse geändert! Aber ich war nicht aufgelegt zu sentimentalen Betrachtungen; hier konnten nur Taten retten, und um zu diesen befähigt zu sein, bedurfte ich vor allen Dingen der Ruhe und des Schlafes. Ich empfahl mich dem Schutze Gottes, schloß die Augen und – – öffnete sie wieder, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand; so lange hatte ich geschlafen.

Jetzt suchte ich zunächst einen verborgenen Platz, an welchem es ein wenig Weide gab; da band ich mein Pferd an und machte mich dann auf, den Schauplatz der gestrigen Katastrophe zu besuchen. Es war ein außerordentlich gefährliches Unternehmen, aber es mußte gewagt werden, wenn ich den Gefährten nützlich sein wollte. Schritt um Schritt pürschte ich mich zur Höhe empor; um eine Strecke zurückzulegen, welche ein langsamer Fußgänger in zehn Minuten durchgeht, brauchte ich zwei volle Stunden, dann aber ging es, und nun mit verzehnfachter Vorsicht, bergab. Eben wollte ich an einer ziemlich alten Steineiche vorüber, als ich einen ganz eigentümlichen Laut vernahm.

»Pst!«

Ich blickte mich um, konnte aber nichts bemerken.

»Pst!«

Jetzt hörte ich, daß der Laut von oben kam, und schaute empor.

»Pst, Massa!«

Ah, da droben über dem ersten Aste des Baumes war ein Loch ausgefault und aus demselben grinste mir das schwarze Gesicht Bobs freundlich lachend entgegen.

»Wart, Massa; Bob kommen!« flüsterte er von oben herab.

Dann hörte ich ein Geräusch, ähnlich demjenigen, welches ein im Zimmer Sitzender vernimmt, wenn ein Schornsteinfeger in der nebenan emporführenden Esse arbeitet, und gleich darauf bewegten sich die Haselruten, welche rund um den Stamm des Baumes aufgeschossen waren.

»Massa kommen herein in Zimmer; kein Indian' finden dann klug Bob und Massa!«

Ich kroch hinein und befand mich im Innern des hohlen Baumes, dessen Öffnung durch die Haseln vollständig verdeckt wurde.

»Lack-a-day, wie hast du diesen Aufenthalt entdeckt?« fragte ich.

»Viehzeug reißen aus vor Bob, kriechen in Baum und gucken oben durch Fenster. Bob können machen auch so.«

»Was war es für ein Tier?«

»Bob wissen nicht. Waren so groß, haben vier Beine, zwei Augen und einen Schwanz.«

Infolge dieser ebenso genauen wie geistreichen Schilderung kam ich auf die Idee, daß es ein Waschbär gewesen sei.

»Wann hast du den Baum entdeckt?«

»Gleich als Indian' kommen.«

»Also seit gestern hast du hier gesteckt! Was hast du alles gehört und gesehen?«

»Bob haben hören und sehen viel Indian'.«

»Weiter nichts?«

»Sein das nicht genug?«

»Waren keine Wilden hier?«

»Waren hier, aber nicht finden Bob. Dann machen Feuer, als Abend sein und braten Schinken von Bär, den Massa haben schlachten. Warum dürfen fressen unsern Bär?«

Die Indignation des guten Schwarzen war jedenfalls eine sehr gerechtfertigte, konnte aber leider das Faktum nicht ändern.

»Weiter!«

»Dann werden es Morgen, und sein Indian' fort.«

»Ah, fort! Wohin?«

»Bob nicht wissen, denn nicht können gehen mit, aber sehen viel Indian' fort aus Tal. Klein Fenster droben können ehen alles. War auch dabei Massa Winnetou und Massa Sam und Massa Bern'. Haben viel Strick und Riemen um Leib.«

»Und dann?«

»Dann? Dann schleich Indian' hierher und dorther; wollen Bob fangen, aber Bob sein klug.«

»Wie viele sind noch da?«

»Nicht wissen Bob, aber wo sind, das wissen.«

»Nun, wo?«

»Drüben bei Bär. Bob kann sehen durch Fenster.«

Ich blickte in die Höhe. Es war möglich, sich im Innern des hohlen Baumes emporzuarbeiten; Bob hatte das bewiesen. Ich versuchte es ebenso, und es gelang. Oben bei dem Loche angekommen, welches Bob Fenster nannte, konnte ich wirklich einen Blick hinüber nach der jenseitigen Talwand werfen; es war so ziemlich ein Blick aus der Vogelschau. Und wahrhaftig, am Stamme der Blutbuche, auf welche sich Bob vor dem Bären gerettet hatte, sah ich die Gestalt eines Indianers hocken. Man hatte die Gefangenen weggeführt und eine heimliche Besatzung im Tale zurückgelassen, um, wenn wir zurückkehrten, was doch auf alle Fälle zu erwarten war, uns festzunehmen.

Was war zu tun? Ich kletterte wieder hinab.

»Es ist nur einer drüben, Bob!« sagte ich.

»Wo anders sein noch einer und noch einer, aber Bob nicht wissen.«

»Erwarte mich hier!«

»Massa wollen gehen? Oh, Massa lieber bleiben hier bei Bob.«

»Wir müssen sehen, daß wir unsere Freunde retten können.«

»Retten? Retten Massa Bern'? Oh, oh, das sein schön und sein sehr viel gut! Bob auch mit retten Massa Bern' und Massa Sam und Massa Winnetou!«

»So verhalte dich ruhig, daß du nicht erwischt wirst!«

Ich verließ den hohlen Baum. Es war mir ein höchst wohltuendes Gefühl, wenigstens Einen außer mir noch verschont zu wissen, wenn dieser Eine auch grad der Neger war. Übrigens mußte ich es sehr schlau nennen, daß man bei den Überresten des Bären eine Wache gesetzt hatte. Das Fleisch konnte ja für uns eine Anziehungskraft besitzen, die uns in das Verderben führte.

Eine Stunde später befand ich mich auf der andern Seite des Tales, keine drei Ellen von dem Indianer entfernt, welcher unbeweglich wie eine Statue saß und kein anderes Glied rührte, als zwei Finger der rechten Hand, welche mit einer kleinen Geierpfeife spielten, die an seinem Halse hing. Ich wußte, daß die Töne dieser Pfeifen oft als Signale verwendet werden; sollte hier vielleicht etwas Ähnliches verabredet sein?

Der Indianer war noch jung, kaum achtzehn Jahre alt; vielleicht war der gegenwärtige Kriegszug sein erster. Er hatte einen sehr interessanten Kopf, und die Sauberkeit seiner Kleidung ebenso wie die feine Arbeit seiner Waffen ließ mich vermuten, daß er der Sohn eines Häuptlings sei. Sollte ich ihn töten? Sollte ich dies junge, hoffnungsvolle Leben zerstören? Nein.

Ich schob mich leise, ganz leise vorwärts, packte mit der Linken seine Kehle und gab ihm mit der Rechten einen vorsichtigen Hieb, der einem älteren Manne nicht das mindeste getan haben würde, diesen Jüngling aber auf der Stelle betäubte; dann fesselte und knebelte ich ihn und befestigte ihn so an den Stamm eines Baumes, daß er rings von Büschen umgeben war und also nicht gesehen werden konnte. Die Geierpfeife hatte ich ihm abgenommen. Ich versteckte mich, setzte sie an den Mund und stieß einen kurzen, halblauten Pfiff aus. Sofort raschelte es mir gegenüber in den Büschen. ein alter Indianer trat hervor und kam eiligen Laufes herübergesprungen. Ein Kolbenschlag meiner Büchse streckte ihn nieder. Er war nicht tot, sondern nur bewußtlos; ich hatte ihn ja nicht töten, sondern unschädlich machen wollen.

Es mußten mehr als drei oder vier Indianer vorhanden sein, und alle diese Leute auf dieselbe Weise herpfeifen und niederschlagen, das wäre ja die schändlichste Metzelei gewesen; aber sie war auch ein Ding der Unmöglichkeit. Vor allem mußte ich erfahren, wo sich die Pferde der Indsmen befanden; es war das eine gefahrvolle Sache. Ich ahmte das kurze Wiehern eines Hengstes nach und siehe da, eben dort, wo der Indianer herausgekommen war und wo unsere Pferde gestanden hatten, ertönte eine mehrstimmige Antwort.

Jetzt mußte ich auf mein gutes Glück vertrauen; ich band den alten Indianer mit seinen eigenen Riemen fest, nahm den jungen auf meine Achsel und eilte unter dem Schutze der Bäume um die kurze Krümmung, welche den Hintergrund des Tales bildete, der Stelle zu, an welcher die Pferde standen. Es waren ihrer sechs, ein sicherer Beweis also, daß sich noch vier Indsmen auf der Lauer befanden; diese standen jedenfalls weiter vorn nach dem Eingange zu, so daß ich hinten genugsam Zeit zu meinen Vorbereitungen hatte.

Ich stieg zunächst hinauf zu Bob. Er war im Innern des Baumes in die Höhe geklettert und schaute durch sein Fenster von oben herab. Als er mich nahen sah, kam er herabgerutscht und blickte zwischen den Haselruten hindurch.

»Massa, oh, haben fangen ein Indian'! Massa machen wohl tot Indian'?«

»Nein; ich will ihn nur gefangen halten. Willst du Massa Bernard mit retten?«

»Oh, Bob werden retten gern lieb' gut' Massa Bern'. Wie es müssen machen Bob?«

»Du nimmst hier diesen Indianer und trägst ihn hier in gerader Richtung bergab, bis du an den großen Hickory kommst. Da legst du ihn ab und wartest auf mich.«

»Bob werden es machen so, Massa!«

»Aber du rührst seine Fesseln nicht an. Wenn er frei wird, bist du verloren!«

»Bob nicht werden sein verloren!«

»Gut, also vorwärts!«

Der riesige Neger warf sich den Indianer über die Achsel und stieg jenseits von der Höhe hinab. Ich kehrte zu den Pferden der Comanchen zurück. Es war gewiß eine schwere Aufgabe, alle sechs Tiere bei diesem Terrain zu entführen, das heißt, sie aus dem Tale empor und drüben wieder hinabzubringen. Allein jedoch brachte ich es wohl besser fertig als mit Hilfe des Negers, da alle indianischen Pferde einen unüberwindlichen Abscheu gegen die schwarze Rasse hegen, deren Ausdünstung den Tieren zuwider ist. Aufsteigen lassen sie den Neger, aber wenn er, vor ihnen hergehend, sie führen will, so weigern sie sich, ihm zu folgen.

Was ich bereits vorhin bemerkt hatte, bewährte sich jetzt: unsere Schätze – sowohl jene von uns aus dem Hide spot mitgebrachten, als auch das den beiden Morgans abgenommene Paket – waren verloren: – das Gold ist deadly dust, tödlicher Staub; es bringt unter hundert, die ihm in den Diggins und dem wilden Westen nachjagen, neunzig in den Tod. Der Glanz und Klang des verführerischen Metalls weckt finstere Dämonen, und nur unter dem Gesetze bewährt es seine segensreiche Macht.

Ich nahm die Bauchriemen der Pferde und band damit den Kopf je eines an den Schwanz des andern, so daß die sechs Tiere eine fortlaufende Reihe bildeten; dann faßte ich das vorderste beim Zügel, und fort ging es, die steile Berglehne hinan. Ich hatte meine liebe Not mit den widerspenstigen Tieren, und die übrigen vier Indianer mußten weit entfernt stehen, daß sie das Schnauben und Stampfen der Pferde nicht vernahmen; doch gelangte ich glücklich hinauf und drüben wieder hinab – die Wilden hatten keine Pferde mehr und waren also nicht mehr imstande, die Ihrigen einzuholen. Ebenso war ihr Hauptzweck, mich und Bob nachträglich zu fangen oder zu töten, verfehlt.

Der Neger saß unter dem ihm bezeichneten Hickory und bewachte den Indsman. Es mochte ihm, so allein mit dem Feinde, doch etwas bänglich zu Mute gewesen sein, und er war sichtlich erfreut und erleichtert durch mein Erscheinen.

»Oh, schön, daß kommen Massa. Indian' machen Augen wie Teufel, haben auch brummen und grunzen wie Vieh, aber Nigger Bob haben geben ihm einen Klaps auf Maul, daß er sein stille!«

»Du darfst ihn nicht schlagen, Bob, denn das ist nicht ritterlich und außerdem eine Beleidigung, die ein Indianer nur mit dem Tode vergilt. Wenn er ja wieder frei werden sollte und dich einmal trifft, so bist du verloren!«

»Nigger Bob verloren? Oh, ah, Massa! Dann lieber gleich schlagen tot Indian', daß nicht er werden wieder frei!«

Er zog wirklich seinen Bowiekneif und setzte die Spitze desselben auf die Brust des Comanchen.

»Halt, Bob, keinen Mord! Wenn wir ihn leben lassen, wird er uns großen Nutzen bringen. Hilf mir, ihn auf das Pferd binden!«

Ich nahm dem Indianer den Knebel aus dem Munde.

»Mein roter Bruder mag atmen, aber er darf nicht sprechen, außer wenn ich ihn frage!«

»Ma-ram wird reden, wenn es ihm beliebt,"« antwortete er. »Das Bleichgesicht wird mich töten und meinen Skalp nehmen, auch wenn ich nicht spreche.«

»Ma-ram wird leben und seinen Skalp behalten, denn Old Shatterhand tötet seinen Feind nur im Kampfe.«

»Das Bleichgesicht ist Old Shatterhand? Uff!«

»Ich sage die Wahrheit. Ma-ram ist nicht mehr mein Feind, sondern mein Bruder. Old Shatterhand wird ihn bringen in das Wigwam seines Vaters.«

»Der Vater von Ma-ram ist To-kei-chun, der große Häuptling der Comanchen, welcher über die Krieger der Racurroh gebietet; er wird Ma-ram töten, weil er der Gefangene des Bleichgesichtes ist.«

»Will mein Bruder frei sein?«

Der Indianer blickte mich verwundert an.

»Kann Old Shatterhand den Krieger freigeben, dessen Leben und Skalp ihm gehört?«

»Wenn mein junger roter Bruder mir verspricht, nicht zu fliehen, sondern mich in die Wigwams seines Stammes zu begleiten, so werde ich ihn losbinden und ihm ein Pferd geben; auch seine Waffen, die dort am Sattel hängen, darf er behalten.«

»Uff! Old Shatterhand hat eine starke Faust und ein großes Herz; er ist nicht wie die andren Bleichgesichter. Aber hat er nicht eine doppelte Zunge?«

»Ich rede stets die Wahrheit. Will mein roter Bruder mir gehorchen, bis wir vor dem Angesichte To-kei-chuns stehen?«

»Ma-ram will es!«

»So nehme er das Feuer des Friedens aus meiner Hand; es wird ihn verzehren, wenn er seine Worte nicht hält!«

Das Versteck meines Pferdes befand sich in der Nähe. Ich holte das Tier herbei und nahm aus der Satteltasche zwei von den Strohzigaretten, die ich mir aus den Vorräten des Hide-spot angeeignet hatte. Ein Streichholz gab es auch, und so wurden die dünnen ›Habanos‹, nachdem ich den Indianer von seinen Fesseln befreit hatte, in Brand gesteckt und unter den gebräuchlichen Formalitäten geraucht.

»Haben die Bleichgesichter keinen großen Geist, der ihnen Ton zu einem Calumet wachsen läßt?« fragte Ma-ram.

»Sie haben einen Geist, der größer ist, als alle Geister; er hat ihnen viel Ton gegeben, aber sie rauchen die Pfeife nur in ihrem Wigwam, denn er lehrte sie, den ›Rauch des Friedens zu essen‹ aus diesen Zigarren, die nicht so viel Platz brauchen, wie die Pfeife.«

»Uff! Si-karr? Der große Geist der Bleichgesichter ist klug! Diese Si-karr kann leichter getragen werden, als das Calumet.«

Bob zog ein sehr verwundertes Gesicht darüber, daß ich jetzt so gemütlich und ganz in der Nähe so furchtbarer Feinde Zigarren mit einem Indianer rauchte, den er erst auf das Pferd hatte binden sollen.

»Massa, auch Bob wollen rauchen mit Frieden!« sagte er.

»Hier hast du eine Zigarre, aber rauche sie zu Pferd, denn wir müssen aufbrechen!«

Der Comanche suchte sich sein Pferd aus und schwang sich auf. Wie ich die Indianer bisher hatte kennen gelernt, brauchte ich nicht die mindeste Sorge zu haben, daß er mir entfliehen werde. Ein zweites Pferd bestieg Bob, allerdings nach vieler Mühe. Die übrigen band ich auseinander und koppelte sie dann mit den Zügeln zusammen, so daß ich sie gut an der Hand zu führen vermochte. Dann stieg ich auf meinen Mustang, und der Marsch begann.

Zwischen der Tiefe, in welcher wir uns befanden, und dem für unsere Gesellschaft so verhängnisvoll gewordenen Tale dachte sich die Höhe nach der Ebene zu immer weiter ab. Wir folgten ihr und ritten dann um sie herum, um auf diese Weise auf die Fährte der Comanchen zu kommen, die wir auch erreichten; allerdings nicht, ohne vom Tale aus bemerkt zu werden. Die Indianer erhoben ein Wutgeheul, welches weithin erschallte. Wir kümmerten uns natürlich nicht darum, und auch Ma-ram hatte so viel Selbstbeherrschung, daß er mit keiner Wimper zuckte und nicht die geringste Absicht verriet, sich nach ihnen umzublicken.

Ohne daß ein Wort gesprochen wurde, folgten wir der Fährte bis zum Abend, wo wir den Rio Pecos erreichten und einen zum Nachtlager passenden Ort fanden. In den Decken der indianischen Pferde war ein ziemlicher Vorrat getrockneten Fleisches vorhanden, so daß wir weder zu hungern noch ein Wild zu schießen brauchten. Wir waren so weit von den vier Comanchen entfernt, daß sie uns während der Nacht sicherlich nicht erreichten.

Ma-ram legte sich sofort schlafen; ich wechselte mit Bob in der Wache ab. Als es Tag zu werden begann, nahm ich den vier übrigen Pferden die Decken, Zügel und alles, was sie trugen, ab und jagte sie in den Fluß. Sie schwammen über ihn und verschwanden bald jenseits desselben im Walde. Der Indianer hatte dabei zugesehen, ohne ein einziges Wort über die Lippen zu bringen.

Die Spur, welcher wir nun folgten, war sehr deutlich; die Comanchen mußten sich also wieder sicher wissen. Sie hatten sich immer an der rechten Seite des Rio Pecos gehalten und waren dem Flusse abwärts gefolgt bis dahin, wo er in die obere Sierra Guadelupe tritt. Hier teilte sich zu meinem Erstaunen die Fährte. Die zahlreichere Hälfte der Wilden hatte sich in das Gebirge gewendet, während die Anderen der bisherigen Richtung treu geblieben waren.

Ich stieg ab, um die Spuren zu untersuchen. Inmitten der letzteren Fährte sah ich ganz deutlich die Hufeindrücke der alten Tony, welche ich zu genau kannte, als daß ich sie hätte verkennen können. Kurz vorher hatten wir die Spur eines Nachtlagers gefunden. Ich wandte mich zu Ma-ram:

»Die Söhne der Comanchen sind in die Berge gegangen, um das Grabmal ihres großen Häuptlings zu besuchen?«

»Mein Bruder sagt es.«

»Und diese hier« – ich deutete dabei auf die andere Fährte – »wollen ihre Gefangenen nach den Wigwams der Comanchen bringen?«

»So befahlen die beiden Häuptlinge der Racurroh.«

»Die Kinder der Racurroh haben auch die Schätze der Bleichgesichter bei sich?«

»Sie haben sie behalten, weil sie nicht wissen, welchem von den Bleichgesichtern sie gehören.«

»Und wo haben die Comanchen ihre Wigwams aufgeschlagen?«

»In der Savanne, welche an diesem Wasser hier und dem Flusse liegt, den die Bleichgesichter den Rio Grande nennen.«

»Also in der Savanne zwischen den zwei Gebirgen?«

»So ist es.«

»Dann werden wir diese Fährte nicht verfolgen, sondern grad nach Mittag reiten.«

»Mein Bruder mag tun, was er will; aber er möge wissen, daß dort kein Wasser für ihn und seine Pferde ist!«

Ich blickte ihm scharf in die Augen.

»Hat mein roter Bruder einmal Berge gesehen, welche nahe an einem großen Flusse liegen und dennoch kein Wasser haben? Jeder Fluß bekommt sein Wasser aus den Bergen.«

»Mein Bruder mag sehen, wer recht hat, er oder der Comanche!«

»Ich weiß, warum der Comanche nicht in die Berge will!«

»Mein Bruder sage es mir!«

»Die Söhne der Racurroh reiten mit ihren Gefangenen am Flusse hin, der einen großen Bogen macht; wenn ich grad nach Süden reite, ereile ich sie, noch ehe sie ihre Wigwams erreichen.«

Er schwieg, denn er sah ein, daß ich ihn durchschaut hatte. Ich zählte die vorhandenen Hufspuren und fand, daß es ihrer sechzehn waren; Winnetou, Sam und Bernard wurden also von dreizehn Feinden eskortiert. Sie waren jedenfalls sehr sorgfältig gefesselt, und selbst wenn ich sie erreichte, so konnte ich sie eher durch List als mit Anwendung von Gewalt retten.

So lenkte ich nach Süden ein und ließ die Pferde so viel wie möglich ausgreifen. Es war ein böser und sehr beschwerlicher Ritt, da ich die Gegend nicht kannte und von Ma-ram auch keine genügende Auskunft erlangen konnte. Es glückte aber, und schon am nächsten Vormittag hatten wir die Berge überwunden und sahen die weitgedehnte Savanne vor uns liegen. Von links her glänzten die Wasser des Rio Pecos, dem wir jetzt wieder zuhielten, zu uns herüber.

Der Wald stieg mit uns von den Bergen herab und begleitete uns eine Strecke weit längs des Flusses in die Prairie hinein. An einem Bache, welcher in den Pecos mündete, trafen wir wieder die Spuren der Comanchen. Sie stammten wohl von gestern Mittag her, und gar nicht weit davon, an einem zweiten Bache, hatten die Roten gerastet, wohl um die größte Tageshitze vorüberzulassen.

Auch ich beschloß, hier ein wenig auszuruhen, wählte aber eine Stelle, welche sich nicht so sehr nahe am Flusse, sondern mehr rückwärts im Gebüsche befand und infolgedessen mehr Sicherheit vor Entdeckung gewährte. Diese Vorsichtsmaßregel sollte sich gar bald bewähren, denn ich hatte kaum mit Ma-ram Platz genommen, so kam Bob, der sich und sein Pferd im Flusse baden wollte, wieder zurück und rief:

»Massa, oh, oh, Reiter kommen – ein, zwei, fünf, sechs Reiter. Reißen aus, Massa, oder schlagen tot Reiter?«

Ich sprang an den Rand des Gebüsches vor und gewahrte allerdings sechs Pferde, welche in zwei Gruppen von je dreien von fern her stromaufwärts auf uns zugesprengt kamen; die zwei hintersten von den je dreien schienen Pakete zu tragen, während auf dem vordersten ein Reiter saß. Wir hatten es also mit nur zwei Feinden zu tun, wenn es wirklich Feinde waren, denn ich erkannte trotz der Entfernung, daß es keine Indianer, sondern Weiße seien.

Aber hinter ihnen jagten fünf Gestalten, die nichts anders als Indsmen sein konnten und die beiden Flüchtlinge in höchstens fünf Minuten erreichen mußten. Es konnte sich hier nur um eine Verfolgung handeln, und um zu sehen, wie ich mich zu verhalten habe, nahm ich mein Fernglas zur Hand.

»Zounds!« entfuhr es mir unwillkürlich, denn der Vorderste war Fred Morgan und der Andere sein Sohn Patrik.

Sollte ich sie töten oder lebendig fangen? Nein, mit dem Blute dieser Raubmörder wollte ich meine Hand nicht besudeln. Ich nahm meine Büchse und wartete. Sie kamen hart am Flusse herauf, die Indianer keine fünfhundert Schritte hinter ihnen. Schon hörte ich das Schnauben ihrer Pferde – jetzt waren sie da und wollten an uns vorüber – ich drückte zweimal ab. Ich hatte auf die Köpfe der beiden Reittiere gezielt; sie brachen zusammen. Die Saumtiere waren an ihnen befestigt und versuchten, durch die Schüsse erschreckt, sich loszureißen. Die Reiter waren weit fort zur Erde geschleudert worden. Ich wollte mich auf sie werfen.

»O-hi-hi-hiiii!« erscholl da der Schlachtruf der herbeigekommenen Wilden, in welchen auch Ma-ram mit einstimmte, und in demselben Augenblick war ich umzingelt. Drei Tomahawks und zwei Messer blitzten über meinem Kopfe.

»Cha!« rief da Ma-ram, indem er die Hand abwehrend ausstreckte. »Dieses Blaßgesicht ist der Freund von Ma-ram!«

Sie ließen von mir ab, aber die Folgen ihres Angriffes waren nicht mehr zu verbessern: die beiden abgeworfenen Reiter hatten Zeit gehabt, sich aufzuraffen und in die Büsche zu entfliehen, und die Pferde, bei dem fürchterlichen Geheul der Indianer wild aufbäumend, hatten sich losgerissen und waren in das Wasser des Flusses gestürzt. Ich hatte gleich von vornherein in ihnen unsere vier Lastpferde erkannt; sie waren sehr schwer beladen und deshalb sofort nach ihrem Sturze untergegangen.

Vier der Indianer sprengten den beiden Flüchtlingen nach; den fünften hielt ich zurück.

»Mein roter Bruder möge mir sagen, warum die Krieger der Comanchen ihre weißen Freunde verfolgen!«

»Die weißen Männer haben einen Mund wie die Schlangen; ihre Zunge hat zwei Spitzen. Sie haben während der Nacht die Wache getötet und sind mit ihren Schätzen entflohen.«

»Mit dem Golde?«

»Sie nahmen das Metall und die vielen Medizinzettel, welche in dem Felle waren.«

Er ließ uns stehen und eilte seinen Kameraden nach. Die beiden Morgans hatten also Sorge gehabt, daß sie ihre Schätze von den Comanchen nicht bekommen würden, und sich mit denselben davongemacht. Unter den ›Medizinzetteln‹ waren die Depositenscheine und Banknoten zu verstehen, welche wir ihnen hatten abnehmen wollen. Grad da, wo die Pferde in das Wasser gestürzt waren, machte der Fluß eine Krümmung, so daß ein Wirbel entstand, der uns alle Hoffnung nehmen mußte, das von den Fluten Verschlungene je wieder herauszubekommen, deadly dust, tödlicher Staub!

Was war jetzt zu tun? Die Sorge um die Freunde war natürlich größer als das Verlangen, der beiden Feinde habhaft zu werden. Übrigens waren hinter diesen die fünf Comanchen her, denen wir die Verfolgung recht gut überlassen konnten.

»Warum schießt mein weißter Bruder auf das Pferd und nicht auf den Reiter?« fragte Ma-ram. »Hat Old Shatterhand nicht zielen gelernt?«

»Weshalb tötete Old Shatterhand nicht Ma-ram, den Comanchen, über dessen Herzen schon das Messer war? Er tötete die Pferde, weil er mit den Reitern reden wollte.«

»Er wird mit ihnen reden, denn er wird sie verfolgen mit seinen roten Brüdern!«

Ich mußte beinahe lächeln über das Bestreben des Indianers, mich soviel wie möglich von der Verfolgung der Fährte zurückzuhalten. Ich antwortete:

»Er wird sie nicht verfolgen. Die Krieger der Comanchen sind weise und tapfer; sie werden die bösen Bleichgesichter fangen und in ihre Wigwams bringen. Ma-ram möge sein Pferd besteigen und mir folgen!«

Das Ereignis hatte mir alle Lust zur Rast benommen, und hierzu kam eine Betrachtung, welche sich mir aufdrängen mußte: Unsere Freunde waren von dreizehn Reitern begleitet worden; die beiden Morgans, fünf Comanchen und die ermordete Wache mußten jetzt abgerechnet werden, und so ergab sich, daß sie nur noch von fünf Indianern bewacht wurden. Unter diesen Verhältnissen war es leichter, sie zu befreien.

Ich ließ also die Pferde stärker ausgreifen, als vorher. Bis zur Abenddämmerung hatten wir eine so bedeutende Strecke zurückgelegt, daß, als ich die Fährte sorgfältig untersuchte, ich zu der Überzeugung kam, der kleine Trupp sei erst am Mittag hier vorübergekommen. Die Flucht der Morgans, die Ermordung des Wachtpostens und die Annahme, daß sie nicht verfolgt würden, hatten ihre sonstige Eile gemindert.

Obgleich Ma-ram sich sehr angelegentlich nach einem Nachtlager umsah, mußte er mir doch noch fast vier englische Meilen folgen, bis es so dunkel wurde, daß es absolut unmöglich war, die Spuren noch zu erkennen. Dann erst gab ich den Befehl, abzusteigen. Kaum graute der Morgen, so wurde wieder aufgebrochen.

Jetzt führte die Fährte vom Flusse abwärts in die Savanne hinein, immer nach Süden. Wir trafen hier und da auf Büffelwege, in denen wir uns vorwärts bewegten, und dabei bemerkte ich, so oft ich die Fährte beobachtete, daß wir den Verfolgten immer näher rückten. Schon hegte ich die Hoffnung, sie um die Mittagszeit einzuholen, als mich ein einziger Augenblick enttäuschte. Wir kamen nämlich auf einen Platz, der von zahlreichen Pferden zerstampft war, und von hier aus führten wenigstens vierzig Hufspuren nach Süden.

»Uff!« rief Ma-ran.

Weiter sagte er nichts, aber sein Auge leuchtete vor Vergnügen, während seine Züge unbeweglich blieben. Und ich verstand ihn recht gut. Die Eskorte unserer Gefährten war auf eine Comanchentruppe gestoßen, unter deren Schutze sie dem Lagerplatze zueilte.

»Wie weit ist es noch bis zum Lagerdorfe der Comanchen?« fragte ich den Indianer.

»Die Racurroh haben kein Lager; sie bauten sich ein Dorf, welches größer ist als die Städte der Bleichgesichter, in die Savanne. Wenn mein weißer Bruder schnell reitet, wird er es erreichen, noch ehe die Sonne hinter den Gräsern verschwindet.«

Am Mittag wurde eine kurze Rast gemacht, und wirklich tauchten gegen Abend mehrere dunkle Linien am Horizont auf, die ich bei Betrachtung durch das Fernrohr als lang gestreckte Zeltreihen erkannte.

Die Comanchen hatten jedenfalls der nahen Büffeljagd wegen hier eine so bedeutende Niederlassung errichtet und schienen durch die Ankunft der Gefangenen außerordentlich in Anspruch genommen zu sein, da wir niemand antrafen und uns dem Lager so weit zu nähern vermochten.

Ich parierte mein Pferd.

»Dort sind die Wigwams der Comanchen?« fragte ich.

»Sie sind es,« antwortete Ma-ram.

»Wird dort To-kei-chun, der große Häuptling, anwesend sein?«

»Der Vater Ma-rams ist stets bei seinen Kindern.«

»Will mein roter Bruder hinreiten und ihm sagen, daß Old Shatterhand ihn besuchen wird?«

Er blickte doch ein wenig überrascht zu mir empor.

»Fürchtet sich Old Shatterhand nicht vor so vielen Feinden? Er tötet den Büffel und den grauen Bären, aber er kann nicht töten die Comanchen, welche zählen wie die Bäume des Waldes.«

»Old Shatterhand will töten die Tiere des Waldes, aber nicht seine roten Brüder. Er fürchtet sich nicht vor den Sioux, den Kioways, den Apachen und Comanchen, denn er ist aller tapfern Krieger Freund und gibt seine Kugel nur dem Bösen und dem Verräter. Er wird hier warten. Mein Bruder gehe!«

»Aber Ma-ram ist sein Gefangener; wenn er ihn nun verliert?«

»Ma-ram ist jetzt nicht mehr mein Gefangener; er hat den Rauch des Friedens mit mir gegessen; er ist frei!«

»Uff!«

Mit diesem Worte gab er seinem Tiere die Fersen zu fühlen und ritt im Galopp davon. Ich stieg mit Bob ab; wir setzten uns nieder und ließen die Pferde grasen. Der gute Neger machte ein höchst bedenkliches Gesicht.

»Massa, was werden Indian' machen mit Nigger Bob, wenn Massa nehmen Bob mit zu Indian'?«

»Das müssen wir abwarten.«

»Abwarten sein bös' schlimm' schlecht' Ding. Werden Bob abwarten, daß Indian' braten Bob am Pfahl?«

»Es wird vielleicht nicht so schlimm, wie du denkst. Wir müssen zu den Comanchen, wenn wir deinen Massa Bernard erretten wollen.«

»Oh, ah, ja, Nigger Bob werden retten gut' Massa Bern'; werden lassen sich braten und kochen und fressen, wenn nur Indian' geben frei Massa Bern'!«

Er begleitete diesen heroischen Entschluß mit einem Grinsen, welches den Indianern sicher allen Appetit, ihn zu verspeisen, benommen hätte, und nahm dann ein Stück Dürrfleisch vor, um vor seinem Martertode wenigstens noch in etwas des Lebens Reize zu genießen.

Wir brauchten nicht sehr lange auf den Erfolg unserer Anmeldung zu warten, denn nach einiger Zeit kam ein sehr zahlreicher Reitertrupp auf uns zu, welcher sich auflöste, einen weiten Kreis bildete, in den wir eingeschlossen wurden, und diesen im Galopp und unter Heulen und Waffenschwenken plötzlich so verengte, daß es schien, als ob wir niedergeritten werden sollten. Eine Gruppe von vier Häuptlingen kam wirklich ventre à terre grad auf uns zu und setzte über uns hinweg. Bob fiel hintenüber zur Erde, ich aber blieb ruhig sitzen und regte den Kopf kein Haar breit nach rechts oder links.

»Oh, ah, Indian' reiten tot Bob und Massa!« brüllte der Neger, indem er den Kopf erhob, um sich über den neuesten Stand der Dinge vorsichtig zu unterrichten.

»Fällt ihnen nicht ein! Sie wollen nur probieren, ob wir Mut haben oder uns vor ihnen fürchten.«

»Probieren? Oh, Indian' mögen nur kommen; Bob haben Mut, sehr ganz viel groß Mut!«

Er setzte sich mit seiner fürchterlichsten Miene wieder aufrecht, und zwar grad zur rechten Zeit, denn die Häuptlinge waren abgestiegen und kamen auf uns zu. Der älteste von ihnen nahm das Wort:

»Warum erhebt sich der weiße Mann nicht, wenn die Häuptlinge der Comanchen zu ihm treten?«

»Er will ihnen damit zeigen, daß sie ihm willkommen sind,« antwortete ich. »Meine roten Brüder mögen an meiner Seite Platz nehmen!«

»Die Häuptlinge der Comanchen setzen sich nur an die Seite eines Häuptlings. Wo hat der weiße Mann seine Wigwams und seine Krieger?«

Ich nahm den Tomahawk in die Rechte.

»Ein Häuptling muß stark und tapfer sein. Wenn die roten Männer nicht glauben, daß ich ein Häuptling bin, so mögen sie mit mir kämpfen; dann werden sie erfahren, ob ich die Wahrheit sage.«

»Wie ist der Name des Bleichgesichtes?«

»Die roten und weißen Krieger und Jäger nennen mich Old Shatterhand.«

»Der weiße Mann wird sich diesen Namen selbst gegeben haben!«

»Wenn die Häuptlinge der Comanchen mit mir kämpfen wollen, so dürfen sie den Tomahawk und das Messer nehmen; ich aber nehme nur meine Hand. Howgh!«

»Der weiße Mann spricht stolze Worte; er wird zeigen dürfen, ob er Mut hat. Er steige auf sein Pferd und komme mit den Kriegern der Racurroh!«

»Werden diese Krieger das Calumet mit mir rauchen?«

»Sie werden beraten, ob sie es tun dürfen.«

»Sie dürfen es, denn ich komme in Frieden zu ihnen!«

Ich stieg auf, und auch Bob krabbelte sich auf sein widerspenstiges Pferd. Um ihn schien man sich gar nicht zu bekümmern; der Indianer ist gegen die schwarze Rasse noch stolzer als der Weiße. Ich aber wurde von den Häuptlingen in die Mitte genommen, und fort ging es in rasendem Galopp auf das Lagerdorf zu, in dasselbe hinein und zwischen den Zeltreihen hinauf, bis wir an ein großes Zelt gelangten, vor welchem sie anhielten und absprangen. Ich tat dasselbe.

Bob war nicht zu sehen; ich war umgeben von den sämtlichen Kriegern, welche mich geholt hatten. Der Häuptling, welcher bereits vorhin das Wort geführt hatte, griff nach meiner Büchse.

»Das Bleichgesicht möge uns seine Waffen geben!«

»Ich behalte meine Waffen, denn ich bin freiwillig zu euch gekommen und nicht euer Gefangener.«

»Der weiße Mann wird uns aber dennoch seine Waffen geben, bis die roten Männer wissen, was er bei ihnen will.«

»Fürchten sich die roten Männer vor ihm? Wer verlangt, daß ich meine Waffen von mir geben soll, hat Angst vor mir.«

Er fühlte sich bei seiner Kriegerehre angegriffen und warf den anderen Dreien einen fragenden Blick zu; in ihrem Auge mußte er eine beruhigende Antwort gelesen haben, denn er meinte:

»Die Krieger der Comanchen wissen nicht, was Angst und Furcht ist; der weiße Mann mag seine Waffen behalten.«

»Welchen Namen führt mein roter Bruder?«

»Old Shatterhand spricht mit To-kei-chun, vor dem die Feinde zittern.«

»Ich bitte meinen Bruder To-kei-Chun, mir eine Hütte zu geben, in welcher ich warten kann, bis die Häuptlinge der Comanchen mit mir reden werden!«

»Deine Worte sind gut; das Bleichgesicht soll ein Zelt bekommen, bis die Krieger der Racurroh sich beraten haben, ob sie mit ihm das Calumet rauchen werden.«

Er winkte mit der Hand und schritt voran; ich nahm meinen Mustang beim Zügel und folgte ihm. Die Indianer bildeten eine Gasse, welche wir durchschritten, und dabei bemerkte ich manches alte und junge Frauengesicht, das heimlich aus dem oder jenem Zelte lugte, um den Weißen anzusehen, der es gewagt hatte, die Höhle der Löwen zu betreten. Glücklicherweise war dieser Comanchenstamm nicht derjenige, mit welchem Winnetou damals bei der Mapimi gekämpft hatte.

Diese Zelte oder Hütten waren ganz in der Weise aufgeführt, wie ich sie bereits auch bei den nördlichen Indianern gefunden hatte. Die Arbeit ihrer Errichtung wird nur von den Frauen besorgt, wie denn der Indianer keine Beschäftigung als Krieg, Jagd und Fischfang kennt und alles Übrige den Schultern des Geschlechtes aufbürdet, welches bei uns gewöhnlich das schwächere genannt wird.

Die Frauen holen die Häute, welche die Zelt- oder Hüttenwände bilden sollen, herbei, breiten sie in der Sonne aus und zeichnen mit einem Stücke Kohle die Form darauf, welche nötig ist; dann schneiden sie diese Formen zu und nähen mit feinen Riemen die Felle zusammen. Nun werden auch die Stangen herbeigeholt, und man schafft alles an den Platz, welcher für die Wohnung ausgewählt wurde. Hier wird mit Hilfe der primitivsten Werkzeuge ein Kreis etwa zwei Fuß tief ausgeworfen, innerhalb dessen man mehr oder weniger Pfähle, je nach der beabsichtigten Größe der Wohnung, aufstellt. Die Pfähle oder Stangen müssen zum mindesten so lang sein, wie der Durchmesser der ausgeworfenen Grube. Sie werden oben zusammengeneigt und mit jungen Weiden oder Haseln verbunden. Diese Arbeit ist aber nicht leicht, da die Frauen und Mädchen an den Stangen emporklettern müssen und sich während des Bindens nur mit den Füßen festhalten können. Ist das Gerüst auf diese Weise festgestellt, so beginnt der schwierigste Teil des Baues, nämlich die Bekleidung des Zeltgerippes mit den schweren Häuten. Die Stangen dieses Gerippes sind in der Mitte ihrer Länge durch andere Stangen geschützt, welche oben eine Gabel haben und durch Riemen mit ihnen verbunden sind; es entsteht demnach innerhalb des ersten Kreises ein zweiter, durch welchen der ganze Raum in zwei Abteilungen geschieden wird. Beide Stangenkreise werden nun dachziegelähnlich mit Häuten belegt, und zwar so, daß oben ein Loch übrig bleibt, um dem Rauche des in der Mitte des Zeltes brennenden Feuers einen Ausweg zu lassen. Die zwei kreisrunden Abteilungen können nun vermittelst Häuten oder durch Flechtwerk in beliebige Unterabteilungen zerlegt werden, je nachdem der Besitzer es für nötig hält.

Das Zelt, nach welchem ich geführt wurde, war nur klein und augenblicklich unbewohnt. Ich band mein Pferd außen an, öffnete die Türvorhänge, welche aus zwei halben Fellen bestanden, und trat ein, ohne mich weiter um den Häuptling zu bekümmern, welcher mir auch gar nicht folgte.

Noch befand ich mich nicht zwei Minuten lang im Innern des Raumes, als der Eingang geöffnet wurde und eine uralte Indianerin eintrat, um ein dickes Gebund Reisholz von ihrem Rücken auf den Boden zu werfen. Sie verschwand wieder und kam nach einiger Zeit mit einem großen, aber halb zerbrochenen irdenen Topf zurück, in welchem sich Wasser und noch etwas Anderes zu befinden schien. Jetzt schürte sie ein Feuer an und setzte den Topf mitten in die Glut hinein.

Ich hatte mich auf dem Boden ausgestreckt und sah ihr, ohne ein Wort zu sprechen, zu. Ich wußte, daß ich nach indianischen Begriffen meiner Ehre außerordentlich viel vergeben würde, wenn es mir einfallen sollte, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Auch konnte ich mir sehr leicht denken, daß ich mich hier, sozusagen, auf einer Beobachtungsstation befand und daß, ungesehen von mir, wohl verschiedene Augen durch irgend welche Löcher oder Lücken auf mir ruhten.

Das Wasser im Topfe begann zu kochen, und nun sagte mir der Geruch, daß ich Rindfleisch zu essen bekommen solle. Wirklich setzte mir die Alte nach Verlauf von vielleicht einer Stunde den glühend heißen Topf grad zwischen die ausgestreckten Beine hin und überließ es mir, sich hierauf entfernend, ganz nach meinem Gusto zu speisen. Ich tat es und will gestehen, daß ich dem großen Stücke Büffellende, welches ich vorfand, ganz gehörig zusprach und schließlich auch die Fleischbrühe nicht verschmähte, obgleich die Reinlichkeit des Gefäßes alles zu wünschen übrig ließ und das Mahl ganz ohne Salz zubereitet war, von dem der Indianer überhaupt nichts wissen mag.

Gerecht betrachtet, mußte ich mir sagen, daß man mir eine ganz außerordentlich noble Behandlung angedeihen ließ, und noch heut würde ich hundert gegen eins wetten, daß mein Kochtopf der einzige war, den es im ganzen Lager gab.

Nach beendigter Mahlzeit streckte ich mich wieder aus, legte mir meine Decke unter den Kopf und gab mich gewissen Betrachtungen hin, die sehr geeignet waren, mich wach zu erhalten. Daher merkte ich, daß auch mein Pferd gefüttert wurde, und daß zwei Wachtposten unablässig und leise um meine Hütte patrouillierten. Später brannte das Feuer nieder, und ich schlief ein. Ich stand – oder richtiger – ich lag jedenfalls am Vorabend wichtiger Ereignisse; aber eine schlaflos durchbrachte Nacht konnte mir nichts nützen. Daher wurde ich erst am Morgen durch ein prasselndes Geräusch erweckt, und als ich die Augen aufschlug, sah ich die Alte wieder, welche ein neues Feuer angefacht und den bekannten Topf abermals in die Flamme gesetzt hatte.

Sie verrichtete ihre Obliegenheiten, ohne mir einen besonderen Blick zuzuwerfen, und ich hatte auch gar keine Veranlassung, mich über diese Achtlosigkeit gekränkt zu fühlen. Ich verzehrte mein Fleisch mit demselben Appetit wie am vorigen Abend und beschloß dann, ein wenig vor die Hütte zu treten. Kaum aber hatte ich den Kopf durch die Tür gesteckt, so fuhr einer der beiden Wächter mit seiner Lanze auf mich zu, als ob er mich von oben bis unten durchspießen wolle.

Das durfte ich mir nun allerdings nicht gefallen lassen, wenn ich mir nicht meinen Kredit ein für allemal untergraben wollte; ich faßte also die Lanze unweit ihrer Spitze mit beiden Händen an, stieß sie von mir und zog sie dann so plötzlich und so kräftig wieder an mich zurück, daß der rote Krieger nicht festzuhalten vermochte; er ließ los und stürzte gerade zu meinen Füßen nieder.

»Uff!« brüllte er, sich emporraffend und nach seinem Messer greifend.

»Uff!« machte auch ich, indem ich mein Messer zog und dabei mit der Linken die eroberte Lanze in die Hütte warf.

»Das Bleichgesicht mag mir meinen Speer geben!«

»Die Rothaut mag sich ihren Speer holen!«

Das schien ihm, wie ich aus seiner Miene entnehmen konnte, denn doch nicht ganz ratsam zu sein, aber er bekam Hilfe, denn der andere Posten kam um das Zelt herum auf mich zu.

»Der weiße Mann gehe hinein!« befahl er mir barsch.

Auch er hielt mir die Spitze seiner Lanze so dicht vor das Gesicht, daß ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, das so wohl gelungene Experiment zu wiederholen; im nächsten Augenblick lag er genau da, wo der Andere gelegen hatte, und seine Lanze flog in das Zelt, wie die vorige. Das schien den Beiden zu viel; sie stießen einen Ruf aus, infolgedessen das ganze Lager in Alarm geriet.

Gerade meiner Hütte gegenüber lag eine bedeutend größere, vor deren Tür drei Schilde angelehnt waren. Auf den Ruf der Wächter wurden die Vorhänge zurückgeschlagen, und ein dunkler Mädchenkopf erschien, um nach der Ursache des Lärmes auszuschauen; zwei schwarze, feurige Augen ruhten auf mir, und dann verschwand das Köpfchen wieder. Zwei Sekunden später aber traten die vier Häuptlinge hervor und auf uns zu. Auf einen gebieterischen Wink To-kei-chuns wichen die Wächter zurück.

»Was tut das Bleichgesicht hier vor der Hütte?«

»Ich höre wohl nicht recht? Mein roter Bruder will wohl fragen, was die zwei roten Krieger hier vor meiner Hütte tun!«

»Sie merken auf, daß dem Bleichgesicht nichts Uebles geschehe, und darum soll der weiße Mann in seiner Hütte bleiben.«

»Hat To-kei-chun so schlimme Männer unter seinen Kriegern, oder gilt sein Befehl so wenig, daß er seinen Gast mit Wächtern schützen muß? Old Shatterhand braucht keinen Wächter, denn seine Faust wird jeden zerschmettern, der Böses sinnt und Lügen denkt. Meine roten Brüder können ruhig wieder in ihr Wigwam treten; ich werde mir ihr Dorf ansehen und dann kommen, um mit ihnen zu reden.«

Ich trat in die Hütte zurück, um meine Schießgewehre, die ich natürlich nicht zurücklassen durfte, mit mir zu nehmen; als ich aber wieder ins Freie wollte, starrte mir wohl ein Dutzend Lanzen entgegen. Also gefangen! Sollte ich mich wehren oder nicht? Ich ging zur hinteren Seite des Zeltes, holte mit dem Tomahawk aus und schlug durch das harte Leder ein Loch, durch welches ich das Zelt verlassen konnte. Als ich jetzt hinten erschien, während sie vorn Wache hielten, bekam ich zunächst außerordentlich verdutzte Gesichter zu sehen, und dann erhob sich ein Geschrei, als ob sich hundert Bären von ihren Ketten losgerissen hätten. Die Häuptlinge waren wieder in ihr Zelt zurückgekehrt; jetzt kamen sie abermals hervor und zwar mit einer Eile, die sich sehr wenig mit ihrer gewöhnlichen Würde vereinbaren ließ. Sie drängten sich durch die Krieger hindurch, und es schien, als ob sie mich fassen wollten.

Mich mit den Waffen zur Wehr setzen, das ging nicht, denn ich wäre verloren gewesen, und die Gefährten mit mir; ich riß also mein Fernrohr aus der Tasche, zog es in zwei Teilen auseinander und hielt ihnen dieselben mit drohender Miene entgegen.

»Halt, sonst sind alle Söhne der Comanchen verloren!«

Sie prallten wirklich zurück. Sie kannten wohl diese Art von Instrument noch gar nicht; hatten sie aber wirklich schon eines gesehen, so konnten sie ja gar nicht wissen, was für unheilvolle Wirkungen außerdem mit seinem Gebrauche verbunden waren.

»Was will der weiße Mann tun?« fragte To-kei-chun. »Warum bleibt er nicht in seinem Wigwam?«

»Old Shatterhand ist ein großer Medizinmann unter den Bleichgesichtern,« antwortete ich; »er wird den roten Männern zeigen, daß er alle Seelen der Comanchen töten kann.«

Ich steckte das Fernrohr wieder zu mir und nahm den Henrystutzen vor.

»Die roten Männer mögen sehen den Pfahl dort vor dem Zelte!«

Ich deutete auf eine Stange, welche vor einem der entfernteren Zelte stand. Dann erhob ich das Gewehr und schoß. Der Pfahl war oben an seiner Spitze durchlöchert, und ein Gemurmel des Beifalls ließ sich hören. Der Wilde erkennt Mut und Geschicklichkeit selbst bei seinen ärgsten Feinden an. Beim zweiten Schusse drang die Kugel einen halben Zoll unter der ersten ein; beim nächsten Schusse schlug die dritte in gleicher Entfernung unter der zweiten ein; aber Beifall ließ sich nicht hören, denn die Indsmen wußten nur von Doppelgewehren und hatten keine Ahnung von der Beschaffenheit eines Henrystutzens. Beim vierten Schusse stand die ganze Menge regungslos; beim sechsten und siebenten wurde das Erstaunen noch größer, dann ging dieses Erstaunen in eine Bestürzung über, die sich in den Gesichtern Aller malte. So versandte ich zwanzig Kugeln, eine jede einen halben Zoll unter der vorherigen, dann aber hörte ich auf. Ich hing das Gewehr mit ruhiger Miene über die Schulter und sagte gelassen:

»Sehen nun die roten Männer, daß Old Shatterhand ein großer Medizinmann ist? Wer ihm ein Leid tun will, der muß sterben. Howgh!«

Jetzt schritt ich durch die Menge hindurch, ohne daß nur Einer den Versuch gewagt hätte, mich anzuhalten. Zu beiden Seiten der Zeltgasse standen die Frauen und Mädchen vor den Türen und staunten mich an, wie ein höheres Wesen; ich konnte sehr zufrieden sein mit dem Eindruck, den meine kleine Spiegelfechterei hervorgebracht hatte.

Vor einem der nächsten Zelte stand eine Wache. Drinnen befand sich jedenfalls ein Gefangener, Wer konnte es sein? Ich ging noch mit mir zu Rate, ob ich den Posten fragen solle oder nicht, als ich aus der Türlücke eine wohlbekannte Stimme vernahm:

»Massa, oh, oh, lassen heraus Nigger Bob! Indian' haben fangen Bob und werden schlachten und fressen Bob.«

Ich trat hinzu, öffnete die Tür und ließ ihn heraus. Die Wache war so eingeschüchtert, daß sie keinen Widerstand leistete, und auch unter den Wilden, welche mir folgten, erhob sich kein Einspruch.

»Bist du gleich hier hereingesteckt worden, als wir in das Dorf kamen?« fragte ich den Schwarzen.

»Ja, Massa. Indian' nehmen Bob von Pferd und führen ihn in Hütte; dort stecken bis jetzt.«

»So hast du keine Ahnung, wo dein Massa Bernard sein mag?«

»Von Massa Bern' nichts sehen, nichts hören Bob!«

»Komm, und halte dich eng hinter mir!«

Wir waren nur um einige Zelte weitergegangen, so kamen uns schon die vier Häuptlinge mit einer zahlreichen Begleitung entgegen. Die vorsichtigen Leute waren uns hinter den Zelten vorausgeeilt, um mich in meinem Spaziergange zu unterbrechen. Ich legte die Hand an den Kolben meines Stutzens, doch To-kei-chun gab mir schon von weitem durch einen Wink zu verstehen, daß er in keiner feindseligen Absicht komme. Ich blieb stehen und erwartete ihn.

»Wohin will mein weißer Bruder gehen? Er komme mit zum Platze der Beratung, wo die Häuptlinge der Comanchen mit ihm sprechen werden!«

Vorher war ich der ›weiße Mann‹ oder das ›Bleichgesicht‹; jetzt nannte er mich seinen ›weißen Bruder‹, ich mußte mich also doch bei diesen Leuten einigermaßen in Respekt gesetzt haben.

»Werden meine roten Brüder das Calumet mit mir rauchen?«

»Sie werden mit ihm reden, und wenn seine Worte gut sind, wird er sein, wie ein Sohn der Comanchen.«

»So mögen meine Brüder gehen; Old Shatterhand wird ihnen folgen!«

Es ging wieder rückwärts, an meinem Zelte vorüber. Etwas weiter oben, ja wirklich, da sah ich Sams alte Tony angehängt stehen und daneben Winnetous und Bernards Pferd. Die drei Gefangenen selbst aber befanden sich nicht in der Nähe, sonst hätte ich ihre Wache bemerken müssen.

Endlich kamen wir an eine Stelle, an welcher sich die Zeltreihe erweiterte und einen beinahe kreisförmigen Platz bildete, der von mehreren Reihen von Indianern eingefaßt war. Dies war sicherlich der Ort der Beratung.

Die Häuptlinge schritten auf die Mitte desselben zu und ließen sich nieder; eine Anzahl Wilder, gewiß aus irgend einem Grunde Bevorzugte, näherte sich und setzte sich den Häuptlingen gegenüber in einem Halbkreise zur Erde. Ich machte wenig Federlesens, setzte mich auch und gab sogar Bob einen Wink, hinter mir Platz zu nehmen. Dies schienen die Häuptlinge sehr mißfällig zu bemerken.

»Warum setzt sich der weiße Mann, da doch Gericht über ihn gehalten werden soll?« fragte To-kei-chun.

Ich machte eine Bewegung der Geringschätzung.

»Warum setzen sich die roten Männer, da doch Old Shatterhand über sie Gericht halten wird?«

Trotz der Regungslosigkeit ihrer Mienen bemerkte ich doch, daß diese Art der Antwort sie überraschte.

»Der weiße Mann hat eine scherzhafte Zunge, doch er mag sitzen bleiben. Aber warum befreit er den schwarzen Mann und bringt ihn mit in die Versammlung? Weiß er nicht, daß der Nigger nie sitzen darf, wenn der rote Mann dabei ist?«

»Der schwarze Mann ist mein Diener; wenn ich es ihm gebiete, so setzt er sich, und wenn viele Tausend Häuptlinge dabei stehen. Ich bin bereit, man beginne die Beratung!«

Ich wußte sehr genau, daß nur in dieser unverfrorenen Weise ein Heil für mich zu finden sei. Je schroffer ich auftrat, natürlich ohne sie direkt zu beleidigen, desto mehr imponierte ich ihnen; ein passiver Gehorsam wäre mein sicheres Verderben gewesen.

To-kei-chun brannte das Calumet an und gab es herum; mir wurde es nicht gereicht. Als diese einleitende Zeremonie beendet war, erhob er sich und begann seine Rede. Gegen Fremde sind die Indianer außerordentlich schweigsam; wo es aber gilt, da entwickeln sie eine Redseligkeit, die derjenigen einer deutschen Versammlung keineswegs nachsteht. Es gibt unter ihnen Häuptlinge, die wegen ihrer Rednertalente weithin berühmt sind und mit ganz derselben rhetorischen Geschicklichkeit zu Werke gehen, wie die großen Redner der zivilisierten Völker alter und neuer Zeit. Ihre blumenreiche Sprache erinnert sehr an die Ausdrucksweise der orientalischen Völkerschaften. Der Häuptling begann mit der gewöhnlichen Einleitung, wenn es gilt, gegen einen Weißen zu sprechen, nämlich mit einer Anklage gegen die ganze Rasse der Bleichgesichter:

»Der weiße Mann möge hören, denn To-kei-chun, der Häuptling der Comanchen, wird sprechen! Es sind nun viele Sonnen her, da wohnten die roten Männer ganz allein auf der Erde zwischen den beiden großen Wassern. Sie bauten Städte, sie pflanzten Bäume, sie jagten den Bison. Ihnen gehörte der Sonnenschein und der Regen; ihnen gehörten die Flüsse und Seen; ihnen gehörte der Wald, das Gebirge und alle Savannen des weiten Landes. Sie hatten ihre Frauen und Töchter, ihre Brüder und Söhne und waren glücklich. Da kamen die Bleichgesichter, deren Farbe ist wie der Schnee, deren Herz aber ist wie der Ruß des Rauches. Es waren ihrer nur wenige, und die roten Männer nahmen sie auf in ihre Wigwams. Doch sie brachten mit die Feuerwaffen und das Feuerwasser; sie brachten mit andere Götter und andere Priester; sie brachten mit den Verrat, viele Krankheiten und den Tod. Es kamen immer mehr von ihnen über das große Wasser; ihre Zungen waren falsch und ihre Messer spitz; die roten Männer glaubten ihnen und wurden betrogen. Sie mußten das Land hergeben, wo die Gräber ihrer Väter lagen; sie wurden aus ihren Wigwams und ihren Jagdgebieten verdrängt, und wenn sie sich wehrten, so tötete man sie. Um sie zu besiegen, säten die Bleichgesichter Zwietracht unter die Stämme der roten Männer, die nun getötet werden und sterben müssen, wie Coyoten in der Wüste. Fluch ihnen, so viel Sterne am Himmel sind und Blätter auf den Bäumen des Waldes!«

Ein lauter Beifallruf belohnte diese Interjektion des Häuptlings, der so laut sprach, daß er rundum deutlich gehört werden konnte. Er fuhr fort:

»Eines von diesen Bleichgesichtern ist in die Wigwams der Comanchen gekommen. Dieser Weiße hat die Farbe der Lügner und die Sprache der Verräter. Die roten Krieger werden aber seine Worte hören und mit Gerechtigkeit über ihn richten. Er mag sprechen!«

Er setzte sich wieder nieder, und nun erhoben sich die andern drei Häuptlinge, einer nach dem andern. Jeder hielt eine Rede in demselben Sinne und schloß daran die Forderung an mich, zu sprechen. Ich hatte während dieser Vorträge mein kleines Skizzenbuch hervorgezogen und bemühte mich, die vor mir sitzenden Häuptlinge mit dem Hintergrunde der Krieger und der Zelte zu skizzieren.

Als die vierte Rede unter Beifall vollendet war, winkte To-kei-chun mit der Hand zu mir herüber:

»Was tut der weiße Mann, während die Häuptlinge der Comanchen sprechen?«

Ich riß das Blatt aus dem Buche, erhob mich und gab es ihm.

Der große Häuptling der Racurroh mag selbst sehen, was ich tue!«

»Uff!« rief er beinahe überlaut, als er einen Blick auf das Blatt warf.

»Uff! Uff! Uff!« klang es noch dreimal, als die drei andern Häuptlinge das Blatt ergriffen, und To-kei-chun fügte hinzu:

»Das ist eine große Medizin! Der weiße Mann zaubert die Seelen der Comanchen auf dieses weiße Fell. Hier sitzt To-kei-chun, hier sind seine drei Brüder und dort stehen ihre Krieger und Zelte! Was will das Bleichgesicht damit tun?«

»Das soll der rote Mann gleich sehen!«

Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand und ließ auch die hinter mir sitzenden Krieger einen Blick auf dasselbe werfen, die ebenso erstaunt waren, wie die Häuptlinge selbst. Dann knitterte ich es zusammen, rollte es zwischen den Händen zu einer Kugel und steckte diese in den Lauf meiner Büchse.

»To-kei-chun, du selbst hast gesagt, daß ich eure Seelen auf dieses Papier gezaubert habe; jetzt stecken diese Seelen in dem Laufe meines Gewehres. Soll ich sie hinausschießen in die Luft, daß sie von den Winden zerrissen werden und niemals in die ewigen Jagdgründe gelangen?«

Der Eindruck dieses Streiches war drastischer, als ich erwartet hatte. Alle vier Häuptlinge sprangen empor, und ringsumher ertönte ein einziger Schrei des Entsetzens. Ich beeilte mich, sie zu beruhigen:

»Die roten Männer mögen sich setzen und das Calumet mit mir rauchen; wenn sie meine Brüder sind, werde ich ihnen ihre Seele zurückgeben!«

Sie nahmen sehr schnell wieder Platz, und To-kei-chun griff zur Pfeife. Es kam mir ein lustiger Einfall, durch den ich diese Leute vielleicht noch willfähriger machen konnte. Einer der drei Häuptlinge hatte nämlich auf seinem büffelledernen Jagdrocke als besondere Zierde zwei talergroße Messingknöpfe. Ich trat nahe zu ihm heran.

»Mein roter Bruder, leihe mir einmal diesen Schmuck; er wird ihn gleich wieder bekommen!«

Ehe er sich weigern konnte, hatte ich ihm beide Knöpfe abgedreht und trat um einige Schritte zurück, ohne mich um seine Bestürzung zu bekümmern.

»Meine roten Brüder sehen hier diese Knöpfe zwischen meinen Fingern, einen in jeder Hand; sie mögen genau aufmerken!«

Ich tat, als schleuderte ich die Knöpfe in die Luft, und hielt ihnen dann die leeren Hände entgegen.

»Meine Brüder mögen herschauen! Wo sind die Knöpfe?«

»Fort!« rief ihr Besitzer mit aufsteigendem Zorne.

»Ja; sie sind fort, weit hinauf gegen die Sonne. Mein roter Bruder mag sie herunterschießen!«

»Das kann kein roter und kein weißer Mann, auch kein Zauberer!«

»So werde ich es tun! Meine roten Brüder mögen aufmerken, wenn die Knöpfe herabkommen!«

Ich nahm nicht meine Büchse, weil in derselben die Skizze stak, sondern das alte, geladene Doppelgewehr, welches neben To-kei-chun lag, richtete den Lauf desselben kerzengerade empor und drückte ab. Einige Sekunden später schlug etwas hart neben uns in den Boden. Der Besitzer des kostbaren Knopfes fuhr hinzu und grub ihn mit Hilfe seines Messers aus der Erde.

»Uff, er ist's!«

Während alle den wunderbaren Gegenstand betrachteten, legte ich den zweiten Knopf auf die Mündung des zweiten Laufes und richtete das Gewehr empor. Der Schuß krachte und jedermann blickte in die Höhe. Da stieß Bob einen lauten Schrei aus, sprang vom Boden auf und rieb sich, auf einem Beine umherspringend, die Achsel.

»Oh, ah, Massa mich treffen, Nigger Bob auf Achsel schießen!«

Der Knopf war ihm wirklich auf die Schulter gefallen und lag neben ihm am Boden. Der Häuptling hob ihn auf und steckte die beiden wiedererlangten Wertobjekte mit einer Miene zu sich, in welcher der feste Entschluß lag, sie nicht wieder in die Sonne werfen zu lassen. Dieses kleine Taschenspielerstückchen machte, so leicht es ist, einen außerordentlichen Eindruck. Ich hatte zwei Knöpfe in die Sonne geworfen und sie wieder heruntergeschossen; sie waren wirklich oben gewesen, sonst hätte der eine nicht so tief in die Erde geschlagen und der andere dem Schwarzen, der vor Schmerzen die fürchterlichsten Gesichter schnitt, eine so respektable Beule verursacht. Die Häuptlinge saßen still am Boden, sichtlich nicht wissend, wie sie sich jetzt zu benehmen hätten, und ihre Umgebung wartete mit Spannung der Dinge, die nun kommen würden. Ich versuchte, die Spannung in einer allerdings etwas gewagten Weise zu lösen. Neben To-kei-chun lag noch die Pfeife nebst dem Opossumbeutel, in dem sich der nach indianischer Sitte mit Hanfblättern vermischte Tabak befand. Ich ergriff das Calumet, stopfte es, nahm meine stolzeste Haltung an und begann:

»Meine roten Brüder glauben an einen großen Geist, und sie haben recht, denn ihr Manitou ist auch mein Manitou; er ist der Herr des Himmels und der Erde, der Vater aller Völker und will, daß alle Menschen in Frieden und Eintracht bei einander wohnen. Die roten Männer sind wie das Gras zwischen diesen Zelten; die Bleichgesichter aber haben eine Zahl wie die Halme aller Prairien und Savannen. Sie sind herübergekommen über das große Wasser und haben vertrieben die roten Männer von ihren Jagdgründen; das ist nicht gut von ihnen. Aber warum hegen da die roten Männer Feindschaft gegen alle Bleichgesichter? Wissen die roten Männer nicht, daß sehr viele Nationen der Bleichgesichter auf Erden wohnen und daß es nur drei von ihren Stämmen sind, welche die roten Krieger vertrieben haben? Wollen die Krieger der Comanchen ungerecht sein und den Unschuldigen mit dem Schuldigen hassen? Old Shatterhand gehört zu dem mächtigen und weisen Stamme der Germani; hat dieser Stamm den roten Männern jemals ein Leid getan? Die großen Häuptlinge der Germani zürnen den Häuptlingen der drei bösen Stämme, also sind die Krieger der Germani Freunde und Brüder der roten Männer. Meine roten Brüder mögen anblicken Old Shatterhand, der vor ihnen steht! Sehen sie in seinem Gürtel den Skalp eines roten Mannes? Finden sie an seiner Lanze, seinen Leggins und Mokassins die Haare eines ihrer Brüder? Wer kann sagen, daß er seine Hand tauche in das Blut der roten Männer? Er hat mit seinen Freunden im Walde gelegen, als die Krieger der Racurroh mit seinen beiden Feinden das Calumet rauchten, und keinem ein Haar gekrümmt. Er hat Ma-ram, den Sohn des großen Häuptlings To-kei-chun, gefangen genommen; aber er hat ihn nicht getötet, sondern ihm seine Waffen gegeben und ihn in das Wigwam seines Vaters geführt. Hat er nicht sechs Krieger der Racurroh töten können und ihnen nichts getan, sondern nur den Einen gebunden, damit ihn seine Brüder finden und losbinden können? Konnte er nicht folgen den Kriegern, welche in die Berge gezogen sind, viele von ihnen töten und das Grabmal des toten Häuptlings entweihen? Hat er nicht mit seiner Büchse geschossen auf die beiden Bleichgesichter, welche die Wache der Comanchen töteten und dann mit dem Golde entflohen? Hat er nicht die Seelen der Comanchen in seinem Rohre und will sie dennoch nicht verderben? Kann er nicht alle Medizinen der Racurroh in die Sonne werfen, ohne daß er sie wieder herunterschießt, und dennoch begehrt er, der Bruder der Comanchen zu sein und das Calumet mit ihnen zu rauchen? Die Häuptlinge der Comanchen sind tapfer, weise und gerecht; wer das nicht glaubt, den wird Old Shatterhand töten mit dem Rohre, aus welchem tausend Kugeln kommen, und darum wird er jetzt mit ihnen den Rauch des Friedens essen!«

Ich steckte den Tabak in Brand, tat zwei Züge nach dem Himmel und der Erde, vier nach den Weltgegenden und gab dann To-kei-chun die Pfeife. Es gelang mir wirklich, ihn zu überrumpeln; er nahm das Calumet, tat seine sechs Züge und gab es dann weiter; der letzte Häuptling gab es mir zurück, und jetzt erst setzte ich mich, und zwar mitten unter sie hinein.

»Wird mein weißer Bruder uns nun unsere Seelen wiedergeben?« fragte einer der Häuptlinge besorgt.

Ich mußte sehr vorsichtig antworten:

»Bin ich nun unter den roten Männern wie ein Sohn der Comanchen?«

»Old Shatterhand ist unser Bruder; er ist frei. Er wird eine Hütte erhalten und kann tun, was er will.«

»Welche Hütte werde ich bekommen?«

»Old Shatterhand ist ein großer Krieger; er wird das Zelt erhalten, welches er sich wählt.«

»So mögen meine roten Brüder mit ihm kommen, damit er wählen kann!«

Sie erhoben sich, um mir zu folgen. Ich schritt die Zeltreihe noch weiter aufwärts, bis ich eine Hütte bemerkte, vor welcher vier Männer Wache hielten. Ich legte die Hände an den Mund und stieß das Geheul des Coyoten aus, und sofort wurde mir aus dem Innern des Zeltes die erwartete Antwort. Ich tat einen Sprung bis an die Tür und rief:

»Hier ist die Wohnung von Old Shatterhand!«

Die Häuptlinge sahen einander höchst verblüfft an, denn diesen so leicht denkbaren Fall hatten sie gar nicht vorgesehen.

»Dieses Zelt kann mein weißer Bruder nicht bekommen!«

»Warum?«

»Es gehört den Feinden der Comanchen.«

»Wer sind diese Feinde?«

»Zwei Bleichgesichter und ein roter Mann.«

»Wie sind die Namen dieser Männer?«

»Der rote Mann ist Winnetou, der Häuptling der Apachen, und einer der Weißen ist Sans-ear, der Indianertöter.«

Wußten sie noch gar nicht, daß ich der Gefährte der Gefangenen gewesen war? Ich hatte allerdings zu Ma-ram kein Wort darüber gesprochen, aber es mußte doch durch Patrik zur Sprache gekommen sein.

»Old Shatterhand will diese Männer sehen!«

Mit diesem Worte trat ich ein; sie folgten augenblicklich.

Die Gefangenen lagen, an Händen und Füßen gebunden, an der Erde und waren außerdem noch an die Zeltstangen gefesselt. Sie hatten jedenfalls bereits meine Stimme erkannt, aber keiner von ihnen sprach ein Wort, keiner verriet durch eine Miene die frohe Empfindung, welche meine Anwesenheit hervorrufen mußte.

»Was hatten diese Männer getan?« fragte ich.

»Sie haben getötet die Krieger der Comanchen.«

»Hat mein roter Bruder dies gesehen?«

»Die Krieger der Racurroh wissen es.«

»Die Krieger der Racurroh werden es beweisen müssen! Dieses Zelt ist mein, und diese drei Männer sind meine Gäste!«

Ich zog das Messer, um die Bande der Gefangenen zu lösen; da ergriff einer der Häuptlinge meinen Arm.

»Diese Männer müssen sterben. Mein weißer Bruder wird sie nicht zu seinen Gästen machen!«

»Wer kann mir das verbieten?«

»Die vier Häuptlinge der Racurroh!«

»Sie mögen es wagen!«

Ich stellte mich zwischen sie und die Gefangenen. Außer ihnen war nur Bob eingetreten.

»Bob, schneide die Stricke entzwei; zuerst bei Winnetou!«

Der Neger hatte sich bereits zu seinem Herrn geschlichen; doch folgte er meinem Befehle, da auch er den Gedanken haben mochte, daß Winnetou uns mehr nutzen könne, als Bernard.

»Der schwarze Mann mag sein Messer einstecken!« gebot derselbe Häuptling, aber bereits war Winnetou frei von seinen Fesseln.

»Uff!« rief der Häuptling, als er seinen Befehl mißachtet sah, und wollte sich auf Bob werfen, der bereits über Sam kniete, um ihn zu befreien.

Ich trat ihm entgegen; er zuckte das Messer auf mich und traf mich, da ich mich schnell zur Seite wandte, in den Oberarm. Er hatte nicht Zeit, das Messer aus der Wunde zu ziehen; ein Faustschlag von mir streckte ihn zu Boden; ein zweiter traf mit derselben Wucht seinen Nebenmann; dann faßte ich den Dritten bei der Kehle, während Winnetou trotz seiner geschwollenen Handgelenke seine Finger bereits um den Hals To-kei-chuns gelegt hatte.

Nur das einzige »Uff!« war erschollen; draußen standen die Wächter, dennoch waren wir in zwei kurzen Minuten Herren der Hütte, und die Häuptlinge lagen gebunden und geknebelt am Boden.

»Heavens, war das Hilfe in der Not!« meinte Sam, indem er sich die vor Schmerz und der Stockung des Blutes beinahe bewegungslosen Glieder rieb. »Charley, wie hast du das nur zum Beispiel fertig gebracht?«

»Später erkläre ich euch das, jetzt aber bewaffnet euch vor allen Dingen; diese vier Männer tragen genug Waffen bei sich!«

Auch ich öffnete, um allen Eventualitäten begegnen zu können, den an meinem Gürtel hängenden Munitionsbeutel und lud meinen Stutzen wieder. Während dieser kurzen Arbeit gab ich ihnen meine Verhaltungsmaßregeln, welche darauf hinausliefen, die vier Häuptlinge augenblicklich zu töten, wenn man einen Angriff auf uns unternehmen sollte. Dann trat ich aus der Hütte. Die Wachen hatten sich aus Respekt vor den Häuptlingen etwas von derselben zurückgezogen, und weiterhin stand eine bedeutende Anzahl von Comanchen, welche uns gefolgt waren, neugierig auf den Verlauf des gegenwärtigen Abenteuers. Ich ging zunächst zu den Wachen.

»Meine Brüder haben vernommen, daß Old Shatterhand ein Häuptling der Comanchen geworden ist?«

Das Senken ihrer Augen bedeutete eine bejahende Antwort.

»Die roten Krieger werden die Hütte gut bewachen und Keinen hineinlassen, bis die Häuptlinge anders befehlen!«

Nun trat ich zu den Anderen.

»Meine Brüder mögen gehen und alle Krieger nach dem Ort der Beratung rufen!«

Sie zerstreuten sich, und ich schritt allein der angegebenen Stelle zu. Wer mit den Gebräuchen der Wilden nicht vertraut ist, wird in meinem Verhalten eine fürchterliche Waghalsigkeit suchen, doch mit Unrecht. Der Indianer ist keineswegs der ›Wilde‹, für den er ausgegeben wird. Er hat seine unumstößlichen Gesetze und Gebräuche. Wer sich dieselben nutzbar zu machen versteht, läuft wenig Gefahr. Übrigens handelte es sich hier ja gleich von vornherein um Leben oder Tod, und mehr als das Leben konnte ich also durch kein Wagnis auf das Spiel setzen.

Es gelang mir unterwegs, die Spuren des unbedeutenden Stiches zu verwischen; dann setzte ich mich da nieder, wo ich vorhin gesessen hatte, In zehn Minuten war der ganze Platz von Kriegern angefüllt. in der Mitte blieb ein freier Raum, in welchem sich jene Bevorzugten niedergelassen hatten, die bereits vorhin gegenwärtig gewesen waren. An andern Orten geht eine Versammlung nie ohne Lärm ab; hier aber unter diesen sogenannten Wilden wurde kein einziges Wort gesprochen. Jeder kam ernst und still, suchte sich seinen Platz und stand dann bewegungslos wie eine Statue, um das Kommende zu erwarten.

Ich winkte die vorhin erwähnten Ausgezeichneten zu mir heran; sie nahmen vor mir in einem Halbkreise Platz und ich begann:

»Old Shatterhand ist Häuptling der Comanchen geworden. Meine Brüder haben es gehört?«

»Wir wissen es,« antwortete Einer für sie Alle.

»Er sollte sich eine Hütte auslesen und wählte das Zelt der Gefangenen. War es nun sein Eigentum?«

»Es gehörte ihm!«

»Und dennoch wurde es ihm verweigert. Sind die Häuptlinge der Comanchen Lügner? Die Gefangenen begehrten den Schutz von Old Shatterhand. Durfte er ihnen denselben verweigern?«

»Nein.«

»Er nahm sie in seinen Schutz und sagte, sie seien seine Gäste. Durfte er das tun?«

»Er hatte das Recht und die Pflicht dazu. Aber er darf sie dem Gerichte nicht entziehen; er darf nur sie beschützen und mit ihnen sterben.«

»Und er darf ihre Fesseln lösen, wenn er sich für sie verbürgt?«

»Das darf er.«

»So hat er nur getan, wozu er das Recht hatte; dennoch wollte ihn einer der Häuptlinge töten. Das Messer traf nur seinen Arm. Was darf ein Comanche tun, wenn ein anderer Mann ihn in seinem eigenen Zelte töten will?«

»Er darf ihn töten.«

»Und Alle, die dem Mörder helfen wollen?«

»Alle!«

»Meine Brüder sind weise und gerecht. Die vier Häuptlinge der Racurroh wollten mich ermorden; ich tötete sie aber nicht, sondern meine Hand schmetterte sie zu Boden; sie liegen gebunden in meiner Hütte und werden von meinen Gästen bewacht. Blut um Blut, Gnade um Gnade. Ich verlange die Freiheit meiner Gäste gegen die Freiheit meiner Mörder! Meine Brüder mögen sich beraten, und ich werde warten; aber sie mögen meine Gäste nicht beunruhigen, denn diese werden die Häuptlinge töten, wenn ein Anderer als Old Shatterhand in die Hütte tritt!«

Kein Zug ihres Gesichtes verriet den gewaltigen Eindruck, den diese Rede auf sie machen mußte. Ich zog mich soweit von ihnen zurück, daß ich ihre Worte nicht hören konnte. Sie bildeten, wie ich mir gleich beim ersten Zusammentreffen mit ihnen gedacht hatte, sozusagen ein unter den Häuptlingen stehendes Ratskollegium. Auf ihre Winke kamen von jeder Seite des Platzes einige Männer herbei, denen sie den Sachverhalt zur Weiterbeförderung an die Umstehenden mitzuteilen schienen. Diese Maßregel brachte einige Bewegung in der Versammlung hervor, aber ohne daß mir irgend welche Belästigung daraus erwuchs. Dann wurde lange, sehr lange beraten, bis sich drei von ihnen erhoben und zu mir traten. Einer nahm das Wort:

»Unser weißer Bruder hält die Häuptlinge der Racurroh gefangen in seiner Hütte?«

»So ist es.«

»Er wird sie den Kriegern der Comanchen ausliefern, damit diese über sie Gericht halten.«

»Meine Brüder vergessen, daß die Krieger nie über ihren Häuptling Gericht halten können, außer wenn er im Kampfe feig ist. Die Häuptlinge der Racurroh wollten Old Shatterhand töten; sie sind in seinem Wigwam, und er allein kann sie bestrafen.«

»Und was wird er mit ihnen tun?«

»Er wird sie töten, wenn er nicht die Freiheit seiner Gäste bekommt!«

»Kennt er diese Gäste?«

»Ja.«

»Es ist Sans-ear, der Indianertöter.«

»Haben meine Brüder gesehen, daß er einen Comanchen getötet hat?«

»Nein. Und Winnetou, der Pimo, der Hunderte von Comanchen tötete!«

»Hat er einen Racurroh getötet?«

»Nein. Wer ist der Dritte?«

»Ein Mann aus dem Norden, der noch niemals den Sohn einer roten Mutter tötete.«

»Wenn unser Bruder die Häuptlinge tötet, so wird auch er mit seinen Gästen erschlagen!«

»Meine Brüder treiben Scherz! Wer will Old Shatterhand töten? Hat er nicht die Seelen der Comanchen in dem Laufe seines Gewehres?«

Sie befanden sich in Verlegenheit und besannen sich. Unmöglich konnten sie ihre Häuptlinge preisgeben.

»Mein Bruder möge warten, bis wir wiederkehren!«

Sie entfernten sich, und die Beratung begann von neuem. Soweit ich blicken konnte, verriet kein Angesicht eine Spur von Haß oder Wut gegen mich. Ich wehrte mich mutig und vertraute ihnen; es war also keine Schande für sie, mit mir zu unterhandeln. Nach beinahe einer halben Stunde kehrten die drei Abgesandten wieder zu mir zurück.

»Old Shatterhand soll haben seine Freiheit und die Freiheit seiner Gäste den vierten Teil einer Sonne lang!«

Ah, also gerieten sie auf das alte Indianervergnügen, ihre Gefangenen freizulassen, um eine interessante Jagd abhalten zu können, und verbanden damit den Vorteil, alle Gefahr von ihren Häuptlingen abzuwenden. Sechs Stunden gaben sie uns Vorsprung; das war wenig; aber wenn wir grad sechs Stunden vor abends aufbrachen, so dehnte sich diese Frist zugleich über die ganze Nacht aus, während welcher sie uns doch nicht folgen konnten. Ich wäre unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein Tor gewesen, wenn ich nicht zugegriffen hätte; doch mußte das allerdings mit der nötigen Zurückhaltung geschehen.

»Old Shatterhand sagt ja, wenn seine Gäste die Waffen zurückerhalten, die man ihnen abgenommen hat.«

»Sie werden sie bekommen.«

»Auch alles Andere, was ihnen gehörte?«

Ich zielte damit besonders auf die Wertsachen, welche Bernard bei sich getragen hatte, und von denen ich nicht wußte, ob er ihrer beraubt worden sei.

»Alles!«

»Meine weißen Gäste sind gefangen worden, obgleich sie den Racurroh nichts Böses getan hatten; die Häuptlinge aber sollen freigelassen werden, trotzdem sie mich töten wollten; der Tausch ist nicht gleich!«

»Was verlangt mein Bruder noch?«

»Dieser Stich im Arme soll kosten den Häuptlingen drei Pferde, die ich mir unter ihren Tieren auswähle; ich gebe ihnen dafür drei von den unsrigen.«

»Mein Bruder ist klug wie der Fuchs; er weiß, daß seine Tiere müde sind. Aber er soll haben, was er begehrt. Wann wird er die Häuptlinge gehen lassen aus seinem Wigwam?«

»Wenn er fortreitet von seinen roten Brüdern.«

»Und wird er geben die Seelen aus dem Laufe seiner Büchse?«

»Er wird sie nicht in die Winde schießen.«

»So möge er ziehen, wohin er will. Er ist ein großer Krieger und listiger Schakal; die Sinne der Häuptlinge der Comanchen sind verdunkelt gewesen, daß sie mit ihm geraucht haben das Calumet des Friedens. Howgh!«

Der Handel war gemacht, und ich konnte gehen. Die Umstehenden ließen mich unbehelligt durch, und langsam, ohne mich zu beeilen, schritt ich meinem Wigwam zu. Ich war natürlich mit der außerordentlichsten Spannung erwartet worden, und als ich allein eintrat, war dies ihnen ein Zeichen, daß die Sache nicht sehr schlimm abgelaufen sein könne.

»Nun?« fragte Bernard, den die Wißbegierde keinen Augenblick warten ließ.

»Wurden Euch Eure Diamanten oder Papiere abgenommen?«

»Nein. Warum?«

»Weil Ihr sie sonst wieder erhalten müßtet. Wir sind auf sechs Stunden frei!«

»Frei, Massa?« rief Bob. »Oh, ah, frei sein Bob und Massa Bern'. Aber bloß sechs Stunden, dann wieder fangen Indian' Massa Bern' und Bob!«

»Well,« meinte Sam, »das ist Alles, was wir nur wünschen können. Das war ja eine ganz verteufelte Patsche, in die wir da zum Beispiel hineingeraten sind! Aber, wie steht es mit der Tony?«

»Die bekommst du, und dazu Alles, was dir gehört. Auch Winnetou erhält sein Pferd. Die andern Tiere aber sind zu angegriffen, und obgleich ich meinen braven Mustang nicht gern fortgebe, habe ich mir doch ausbedungen, unter den Pferden der Häuptlinge drei für uns auswählen zu dürfen.«

»Heigh-day, Charley,« lachte Sam; »sechs Stunden Vorsprung und fünf gute Pferde, das ist genug für solche alte Seekers, wie wir sind. Denn daß du dir keine Ziegenböcke aussuchen wirst, das will ich ganz gewißlich meinen!«

Jetzt ging es nicht anders, ich mußte ihnen wenigstens kurz erzählen, was ich seit unserer gewaltsamen Trennung erlebt hatte. Noch war ich damit nicht fertig, so ertönte draußen ein Ruf. Ich trat hinaus und sah die Alte, aus deren Topf ich zweimal gegessen hatte.

»Das Bleichgesicht mag kommen!«

»Wohin?«

»Zu Ma-ram.«

Das war eine sonderbare Botschaft. Ich verständigte erst meine Gefährten und folgte ihr dann. Sie führte mich zu der Hütte, welche meiner gestrigen Wohnung gegenüber lag. Vor derselben hielten zwei Pferde, auf deren einem Ma-ram saß.

»Mein weißer Bruder möge sich seine Pferde wählen!«

Also das war es! Ich stieg auf, und schnell ging es durch die Straße hinaus in die Prairie, wo wir eine ziemliche Anzahl von Pferden angehobbelt fanden. Der junge Indianer führte mich geradeswegs zu einem Rapphengste und sagte:

»Das beste Roß der Racurroh! Ma-ram erhielt es von seinem Vater; er schenkt es Old Shatterhand für den Skalp, den er ihm gelassen hat!«

Ich war überrascht über dies reiche und beinahe großmütige Geschenk, denn auf einem solchen Rosse konnte ich nicht eingeholt werden. Natürlich nahm ich es an und suchte für Bernard und Bob zwei andere aus, mit denen sie zufrieden sein konnten.

Nun ging es wieder zurück. Ma-ram hielt vor seinem Zelte.

»Mein weißer Bruder steige herab und komme herein!«

Diese Einladung konnte ich nicht ausschlagen. Ich wurde in das Innere des Zeltes geführt und erhielt ein Stück Kammaskuchen zu kosten, den die Comanchen ganz vortrefflich zuzubereiten verstehen. Dann verabschiedete ich mich. Als ich aus der Hütte trat, sah ich das dunkeläugige Mädchen, welches ich bereits am Morgen bemerkt hatte, bei meinen Pferden beschäftigt. Sie packte Proviant auf und errötete, als ich sie dabei überraschte.

»Wer ist diese Tochter der Racurroh?« fragte ich Ma-ram.

»Es ist Hi-Iah-dih, die Tochter des Häuptlings To-kei chun. Sie bittet dich, zu nehmen, was sie dir bietet, weil du verschonet hast ihren Bruder Ma-ram.«

Ich reichte dem Mädchen die Hand.

»Manitou gebe dir Glück und viele Sonnen, du Blume der Savanne. Dein Auge ist hell, und deine Stirn ist rein; möge auch dein Leben so licht und ungetrübt bleiben!«

Ich schwang mich auf und brachte meine drei Pferde zu den Freunden. Diese und namentlich Sam gerieten in Entzücken beim Anblick des Rapphengstes.

»Charley,« meinte er, »der ist beinahe so viel wert wie meine alte Tony, nur daß diese einen kürzeren Schwanz und längere Ohren hat. Üebrigens ist nun Alles beisammen, denn diese roten Kerls haben uns Alles gebracht, was uns fehlte. Jetzt ist es grad sechs Uhr vor Abend. Laß uns aufbrechen und dann zum Beispiel sehen, ob sie uns nochmals bekommen werden!«

»Wir packten auf, was wir mitzunehmen hatten, und lösten dann die Fesseln unserer Gefangenen.

»Massa, nun fort,« mahnte Bob, »sehr viel schnell fort, daß nicht kommen nach Indian' und fangen wieder all' ganz Massa Bern', Sam, Charley und Winnetou!«

Die Häuptlinge rührten sich nicht, so lange wir uns noch im Zelte befanden. Wir stiegen auf; fort ging es! Die Zeltstraße war leer; kein Indianer war zu sehen; jedenfalls aber wurde unser Abzug von Allen beobachtet. Nur beim Zelt To-kei-chuns war es mir, als ob vier Augen durch die Ritze des Vorhanges lugten. Hundert Herzen klopften in der Erwartung, uns einzuholen; hier aber gab es sicherlich zwei, welche wünschten, daß wir entkommen möchten. – – –


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