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Die Mittwoch war angebrochen, und in Scheibenbad hatten sich die Leute sehr früh vom Lager erhoben. Der Tag war ja ein außerordentlich festlicher. Die Einweihung eines neuen Theaters ist ja grad besonders für einen Badeort ein Ereigniß, zumal man auch anderwärts die Wiederkehr desselben kaum nach hundert Jahren erwarten kann.
Die Straßen waren festlich geschmückt. An den Häusern hingen Kränze und Guirlanden; über die Gasten zogen sich lange Kranz- und Blumenseile, und der Platz vor dem Theater bot einen herrlichen Anblick.
An der Fronte des in herrlicher Frührenaissance erbauten Kunsttempels ragten Masten empor, an denen die Flaggen des Landes im Winde flatterten. Die Facade verbarg sich fast ganz unter duftendem Schmuck, und grüne Waldbäume mußten den Platz in einen kleinen Park verwandeln.
In den Gassen tummelte sich schon vor der Ankunft des Zuges ein reges Leben. Die Herren des Festcommitées standen auf dem Bahnhofe, um – – den König zu empfangen.
Einer befand sich in ihrer Nähe, den sie Alle kannten, und über den sie im Stillen lachten, obgleich an seinem Aeußeren nichts zu finden war, was Anlaß zu diesem Lachen geboten hätte.
Er trug, von unten angefangen, glänzende, lacklederne Stiefeletten, schwarze enganliegende Tuchhosen, einen glänzenden Frack, nach neuester Mode gearbeitet weiße Weste, weiße Handschuhe, weiße Cravatte und einen Chapeau claque auf dem Kopfe.
Das war Alles elegant; aber der Träger dieses Anzuges war – – der Wurzelsepp.
Er bewegte sich in diesem Kostüm mit wirklicher Grazie, als ob er sein Lebtage in nichts anderem gesteckt hätte. Der feinste Salonmensch hätte ihm nicht das geringste Regelwidrige nachweise; können; aber er war eben der Wurzelsepp, und da erlustirte man sich über ihn.
Endlich kam der Zug. Den feineren Coupées entstiegen fremde Berichterstatter, Dichter, Componisten und Theateragenten, auch Theaterdirectoren, welche vielleicht hofften, hier eine Aquisition zu machen. Sie wurden von den Mitgliedern des Festausschusses begrüßt.
Der Sepp war zu den Wagen dritter Classe gegangen. Er sah einen grauen Köpf erscheinen. Schnell öffnete er das betreffende Coupée.
»Ach, guten Morgen, Herr Pfarrer!« rief er. »Guten Morgen, Kapellenbauer! Grüß Gott, Ihr Warschauersleutln! Steigt aus!«
Sie kamen heraus, und er reichte Jedem die Hand.
Der Pfarrer ging eben wie ein Landgeistlicher. Der Bauer hatte sich auf's Feinste ausstaffirt. Seine grellrothe Weste leuchtete über den ganzen Perron. Die Warschauerleute trugen ihre neuen Anzüge. Doch war ihnen auch heut die Armuth und das Gedrücktsein anzusehen.
Der Sepp winkte einen Burschen herbei.
»Da ist dera Kutscher, der Euch nach der Thalmühlen fahren wird,« sagte er. »Lauft mit ihm, wir sehen uns später wieder.«
Der Bursche führte die Vier fort.
In einem Coupée hörte man eine scheltende Frauenstimme:
»Gott, ich ersticke! Ich verbrenne vor Hitze! Ich kann nicht durch. Helft mir!«
Das war Madame Qualèche, die frühere Gesanglehrerin der Leni.
Diese war auch bei der Hand. Sie hatte sich seitwärts gehalten und ging so einfach gekleidet wie ein Dienstmädchen. Sie eilte herbei und brachte mit Hilfe des Sepp und dreier Schaffner die Dicke aus dem Coupée, von wo sie dieselbe sogleich auch nach einem Wagen geleitete.
Aber in derselben Wagenabtheilung hatte sich noch eine Dame befunden, welche jetzt ausstieg.
Sie trug ein enganliegendes, graues Reisekleid, einen sehr breitrandigen Amazonenhut mit Riesenfeder. An einem über die Achsel hängenden Riemen hing eine Mappe, und in der Hand hatte sie einen Regenschirm, dessen Knauf aus einem Tintenfasse bestand.
Diese Dame war Franza von Stauffen, die Dichterin, welche nach einem Sujet suchte. Als sie den Sepp erblickte, trat sie auf ihn zu.
»Mein Herr,« sagte sie. »Was ist denn eigentlich hier los? Wohl eine Festlichkeit?«
»Gewiß, gnädiges Fräulein,« antwortete er, sich verbeugend.
»Was wohl für eine?«
»Das wissen Sie nicht, nun, so kommen Sie heut wohl ganz zufällig nach Scheibenbad?«
»Ja.«
»Desto mehr werden Sie sich freuen, hier vielleicht Stoff für zehn oder zwanzig Romane zu finden.«
»Woher wissen Sie, daß ich solche Stoffe suche?« fragte sie erstaunt.
»Sie sind ja Schriftstellerin.«
»Sehen sie mir das an?«
»Ich würde es Ihnen ansehen, aber ich kenne Sie ja, Fräulein von Stauffen, wie auch Sie mich kennen.«
»Ich Sie? Kann mich nicht besinnen! Wollen Sie meinem Gedächtnisse nicht ein Wenig zu Hilfe kommen?«
»Sie kennen ganz gewiß meinen Namen. Man pflegt mich den Wurzelsepp zu nennen.«
Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn erstaunt.
»Wie? Sie wären der Wurzelsepp?«
»Gewiß!«
»Ja, ja, jetzt sehe ich es. Jetzt erkenne ich Sie. Aber in dieser Salonkleidung!«
»Ich bin avancirt.«
»Gratulire, aber was ist hier los?«
»Theaterweihe.«
»Ach! Mit Kunstgenuß?«
»Sehr!«
»Prächtig! Was wird gegeben?«
»Die Oper Götterliebe.«
»Wie? Herrlicher Titel! Ich möchte Sie küssen, Herr Sepp!«
»Bitte, später! Nicht gleich hier auf dem Perron!«
»Wer ist der Componist?«
»Der Fex.«
»Ists möglich? Jener famose Geiger von damals? Sie wissen ja wohl noch?«
»Derselbe.«
»Das ist ja ein Roman! Das ist ein Sujet. Das notire ich mir. Ist er Director?«
»Nein. Er hat das nicht nöthig.«
»Warum?«
»Weil er Baron ist und Besitzer einer sehr bedeutenden Herrschaft.«
»Dieser zerlumpte Bursche?«
»Ja.«
»Das soll man glauben?«
»O bitte! Er war ein geraubtes Kind!«
»Herrgott! Wieder ein Stoff! Den notire ich mir. Herr Sepp, Sie sind ein Prachtmensch. Ich möchte Sie wirklich küssen!«
»Das eilt nicht allzusehr, mein Fräulein!«
»Wer ist denn der Dichter des Textes?«
»Ein früherer Schulmeister.«
»Früher? Was ist er jetzt?«
»Eben Dichter. Er kam vor kurzer Zeit aus Egypten zurück.«
»Ein Schulmeister in Egypten?«
»Der König hatte ihn hinübergeschickt. Eigentlich ist er ein Sohn des Barons von Alberg.«
»Eigentlich? Warum nicht wirklich?«
»Weil er nicht will.«
»Himmel! Ein Schulmeister, welcher kein Sohn sein will! Welch ein Stoff! Das giebt zehn Novellen. Ich werde Sie trotzdem küssen!«
»Mit Muse, Fräulein. Jetzt würde es zu sehr eilen.«
»Kommen auch Herrschaften?«
»Versteht sich, sogar der König.«
»Ach! Da muß ich mir ein Billet nehmen!«
»Dann dürfen Sie nicht zögern. Es ist schon fast Alles vergriffen.«
»Da werde ich freilich springen müssen. Aber welche Kräfte sind denn engagirt?«
»Natürlich nur die hervorragendsten!«
»Wer singt die Hauptrollen?«
»Den Gott singt der Krikelanton.«
»Krik – – –? Derjenige, welcher damals in meine Schlafstube gestiegen war?«
»Ja.«
»Und dem ich dann hier allerlei Krimskrams abkaufte? Er war Tabuletkrämer?«
»Derselbe.«
»Der, der ist jetzt Sänger?«
»Erster Größe. Er nennt sich Criquolini.«
»Von dem habe ich gehört und gelesen. Das ist also jener entflohene Wilddieb? Herr Sepp, Sie sind ein ausgezeichneter Mensch.«
»O bitte!«
»Wäre ich eine Königin, so müßten Sie mein Strumpfband als Orden tragen!«
»Aber unter dem Beinkleide?«
»Nein, auf der Brust, auf der Brust! Sie geben mir ja eine ganze Bahnlowry voller Stoff! Gehen Sie her! Ich küsse sie factisch.«
Sie streckte wirklich die Arme nach ihm aus.
»Vorsicht!« warnte er. »Es ist Polizei hier!«
»Was kann die dagegen haben?«
»Sehr viel! Es ist hier an verschiedenen Ecken angeschlagen gewesen, daß das öffentliche Küssen verboten sei.«
»So lassen wir es. Wer hat die weibliche Hauptrolle?«
»Signora Mureni.«
»Ach! Das ist die Berühmteste von Allen.«
»Und doch ist sie eine arme Waise.«
»Ach!«
»Ja. Sie heirathet jetzt einen Grafen.«
»Himmel! Was war ihr Vater?«
»Tagelöhner.«
»Wo hat sie sich mit dem Grafen verlobt?«
»Auf der Alm, ganz nahe da, wo Sie wohnten, als der Krikelanton barfuß zu Ihnen kam.«
»Herr Sepp, Herr Sepp! Sie bringen mich um!«
»Wieso? Ist ja gar nicht meine Absicht!«
»Vor Freude über die Sujets, welche Sie mir so massenhaft bieten.«
»Wenn ich Ihnen wirklich diene, so ists mir eine große Ehre, gnädiges Fräulein!«
»Ja, Sie dienen mir. Sie sind mein Stern, mein – mein – mein – kommen Sie vom Perron hinweg! Gehen wir in ein sogenanntes Zimmer, wo es Niemand sieht! Ich muß Sie unbedingt küssen, unbedingt!«
»Das geht nicht.«
»Warum?«
»Aus Rücksichten für Sie!«
»Ach in dieser Beziehung verbitte ich mir alle Rücksicht.«
»Und dennoch muß ich verzichten. Es leidet Niemand gern an Zahnschmerzen.«
»Was haben die Zahnschmerzen damit zu thun?«
»Sehr viel. Ich habe heut welche. Zahnschmerzen bekommt man von Zahnpilzen und Zahnthierchen. Wenn Sie mich küssen, können Sie leicht so ein Thierchen von mir bekommen oder gar einen Pilz, einen Zahnfliegenschwamm. Dann haben auch Sie Schmerzen und können heut die Festvorstellung nicht mit Andacht genießen.«
»Da haben Sie Recht. Ihre Aufmerksamkeit ist sehr dankenswerth. Behalten Sie Ihre Thiere und Pilze! Aber sagen Sie –«
»Bitte, bitte!« unterbrach er sie. »Sie müssen sich ein Billet besorgen. Eilen Sie!«
»Schön! Könnten Sie es mir nicht besorgen?«
»Geht leider nicht.«
»So sagen Sie mir wenigstens, wo man hier Logis bekommen kann!«
»In keinem Gasthofe. Sie müssen bei Privatleuten nachfragen.«
»Ist nicht Etwas leer in der Villa, welche zur Mühle gehört? Sie wissen, wir wohnten damals dort.«
»Dort war bereits seit voriger Woche Alles bestellt. Leben Sie wohl!«
Er eilte fort, sonst hätte er noch stundenlang bei ihr stehen können.
Als Leni ihre frühere Lehrerin nach der Mühle geschafft und für sie gesorgt hatte, kehrte sie nach der Stadt zurück. Unterwegs begegnete ihr – der Krikelanton.
Er befand sich bereits seit zwei Wochen hier, um den Proben beizuwohnen. Er erkannte die frühere Geliebte sofort und blieb mitten im Wege stehen. Sie wollte still um ihn herum. Da sagte er:
»Sie schämen sich wohl vor mir, Fräulein Berghuber?«
»Warum sollte ich mich schämen?« fragte sie, nun ebenfalls stehen bleibend.
»Nun, ich dächte, Sie hätten Grund dazu.«
»Eine verunglückte Sängerin!«
»Kann ich dafür?«
»Sie hatten sich überschätzt.«
»So waren Andere schuld.«
»Nun scheint es fast, als ob Sie nicht einmal als Dienstmädchen eine feste Stellung halten könnten. Aus Wien sind Sie ja fort, wie ich sehe.«
Sie blickte traurig zur Erde.
»Ja, so mußte es kommen,« fuhr er fort. »Ich habe es vorausgesehen. Bei wem dienen Sie hier?«
»Ich habe noch kein festes Engagement.«
»Also bummeln Sie? Das ist die vorletzte Stufe. Die letzte kennen Sie. Wissen Sie noch, daß ich Sie damals warnte, nicht so decolletirt zu gehen? Ich konnte es nicht ertragen. Sie haben meine Weissagung wahr gemacht. Sie sind gesunken und können niemals wieder emporkommen, während ich ein berühmter Künstler geworden bin. Pfui Teufel.«
Er spuckte vor ihr aus und ging dann weiter. Er war alle Tage nach der Mühle spaziert, um da zur Unterstützung seiner Stimme seine Morgenmilch zu trinken. Das hatte er auch heute vor.
Als er dort ankam, wunderte er sich über das rege Leben, welches dort herrschte. Eben wollte er eintreten, als ein Anderer herauskam, bei dessen Anblicke er zurückfuhr.
»Graf Senftenberg!« rief er aus.«
»Ach! Signor Criquolini!«
»Was thun Sie hier?«
»Sommerfrische mit meiner Braut.«
»Sind Sie denn verlobt?«
»Ja, doch erst seit einigen Tagen.«
»Mit wem? Aristokratin?«
»Ja, Aristokratin der Kunst.«
»Da warne ich Sie. Sein Sie vorsichtig!«
»Pah! Eine Tänzerin Valeska ist sie nicht. Die Meine maust nicht wie die Ihrige. Adieu!«
Der Graf trat wieder in das Haus zurück. Darum ging Anton nicht hinein, sondern er kehrte um und ging mißmuthig nach der Stadt zurück.
Später mußte er zur Generalprobe, bei welcher alle Theilhaber versammelt waren.
Eigenthümlicher Weise hatten die Sänger die Trägerin der Hauptrolle noch gar nicht gesehen. Sie war noch nicht da. Heut aber sollte sie kommen und während der Hauptprobe ihre Rolle singen. Diese Rolle war bisher von einer unbeschäftigten Sängerin stellvertretend übernommen worden, wofür dieselbe ein Honorar erhielt.
Alle, Alle waren begierig die berühmte Signora zu sehen, von der man wußte, daß ihr Ruf noch viel zu wenig sage. Aber sie kam nicht.
Der Fex dirigirte natürlich selbst. Wie wunderte man sich als er das Zeichen zum Anfange gab. Die Mureni war nicht da und die Stellvertreterin auch nicht.
Die Musik begann, und alles klappte. Als die Mureni einzusetzen hatte, erscholl ihre Stimme aus der Höhe des zweiten Ranges herab. Sie war also da, ließ sich aber nicht sehen.
Das frappirte Alle. Welchen Grund hatte sie? Stolz? Wohl nicht. Die Probe fiel glänzend aus. Als sie zu Ende war, eilten Alle zu dem Ausgange, um die Sängerin zu sehen. Sie war bereits fort – natürlich hinaus nach der Mühle, welche so voller Gäste steckte, daß kein Mensch mehr Platz zu finden vermochte.
Und wer waren diese Gäste? Alle diejenigen Personen, von denen Leni zu dem Grafen gesprochen hatte.
Auch Rudolf von Sandau, der Baumeister, wohnte mit seiner Mutter da. Er hatte mit dem Theater Ruhm geerntet, und seine Zukunft war nun mehr als gesichert. Diejenige, welche er liebte, Milda von Alberg, war bereits gestern Abend gekommen, aber nicht in der Mühle abgestiegen. Der Sepp hatte ihr ein Privatlogis besorgt, in welchem sie sehr einsam gewesen wäre, wenn nicht Max Walther, ihr Stiefbruder, den Morgen bei ihr verbracht hätte.
Sie saß am Fenster und blickte auf die Straße hinaus. Sie war bleicher geworden. Sie liebte und wußte sich wieder geliebt; aber Rudolf hatte sich einmal vorgenommen, nicht eher das entscheidende Wort zu sprechen, als bis er eine sichere Existenz vor sich habe.
Dazu kam noch Eins. Ihr Vermögen drückte sie. Sie wußte, daß es nicht das ihrige sei, daß es den Nachkommen jenes Herrn von Sandau gehörte, den ihr Vater so unglücklich gemacht hatte. Und diese waren trotz allen Fleißes nicht aufzufinden.
Auch jetzt dachte sie wieder daran. Ihr Bruder saß lesend am Tische, beobachtete sie aber dabei. Sie seufzte tief auf.
»Milda,« sagte er. »Wollen wir nicht einen Ausgang machen?«
»Wozu?«
»Ich denke, Du langweilst Dich.«
»Gewiß nicht. Ich amüsire mich am regen Leben der Straße.«
»Und denkst dabei an alte Geschichten!«
»Leider! Ich denke stets daran.«
»Schlage Dir es aus dem Sinne.«
»Das ist nicht möglich. Ich quäle und quäle mich ab, um einen Weg entdecken zu können, auf welchem wir jene Familie finden können.«
»Dieses Sorgen und Quälen führt zu gar nichts. Ueberlaß es doch dem lieben Gott! So eine Sache wird oft von dem sogenannten Zufalle am Besten besorgt. Denke lieber an heut Abend, an den Lorbeerkranz!«
»Wie ist denn eigentlich der König auf den Gedanken gekommen, daß ich, grad ich Rudolf den Kranz geben soll?«
»Weil er weiß, daß Ihr Euch liebt.«
»Wie?« fragte sie erröthend. »Das weiß er?«
»Ja.«
»Von wem?«
»Vom Sepp.«
»Dieser alte Schwatzmichel!«
»O, der thut nichts ohne Ueberlegung. Hast Du ihn heut schon einmal gesehen?«
»Nein.«
»Ich sah ihn vom Theater kommen. Er hat das Galageschirr angelegt und sieht aus wie ein Obersthofmeister.«
Da klopfte es an.
»Herein!«
Wer trat ein? Derjenige, von welchem soeben gesprochen worden war, der Sepp.
»Grüß Gott!« meinte er in seiner gewohnten Weise.
Ganz ungewohnt aber war es von ihm, daß er eine Verbeugung machte, wobei er den Spannfederhut unter den Arm schob.
»Du, Sepp?« sagte Max. »Bringst Du etwas?«
»Ja, und zwar bringe ich mich selbst.«
»Das ist nicht viel Gescheidtes. Hast Du weiter nichts, nichts Besseres?«
»Nein. Ich hab nur sehen wollt, ob auch Alles in Ordnung ist.«
»Es fehlt an nichts.«
»Den Prologen hast richtig auswendig lernt?«
»Ja.«
»Daßt nicht etwan aus dem Concept fällst!«
»Ich habe ihn selbst gedichtet. Da ist ein Umfallen gar nicht möglich. Mach Dir um mich keine Sorge. Hilf lieber meiner Schwester.«
»Was fehlt ihr denn?«
»Die Familie von Sandau.«
»Wo soll ich die hernehmen?«
»Schaff sie nur!« scherzte Max. »Du bist ja Derjenige, der Alles fertig bringt.«
Der Sepp setzte seinen Hut auf den Tisch, sich auf den Stuhl und sagte:
»Ja, so ists. Dera Sepp soll alle Wunden heilen, die Andere schlagen. Aberst diese hier? Hm! Hat sich denn noch keine Spur funden?«
»Nicht die Ahnung einer Spur,« antwortete Milda.
»Nun, wollen mal sehen. Ich gab freilich die Hoffnungen noch lange nicht aufi. Wo habt Ihr denn eigentlich sucht?«
»Ueberall in Amerika.«
»Und wo noch?«
»Nirgends natürlich.«
»Da hat man es! Wann man seinen Nachbar sucht, darf man doch nicht hinauf in den Mond steigen.«
»Kann die Familie denn nicht auch in Deutschland wohnen?«
»Schwerlich. Sie sind damals hinüber. Das wissen wir ganz sicher.«
»Aber ebenso gut können sie wiederum herüber sein.«
»Denkst Du?«
»Ja,« nickte er, »das denk ich. Und dera Sepp wird wohl Recht haben.«
Er forschte in dem bleichen Gesichte der Baronesse. Sie sah ihn auch scharf an. Es hatte in seiner Stimme eine so eigenartige Betonung gelegen.
»Sepp,« sagte sie. »Du weißt etwas, denn Dein Ton war so eigenthümlich.«
»Das hat so seinen Grund.«
»Hast Du Dich geärgert?«
»Und wie sehr!«
»Worüber denn?«
»Ueber den heutigen Tag.«
»Geh! Mit Dir ist heut nicht zu reden.«
»Eben darum, weil ich mich über den heutigen Tag ärgere. Er wird mich um Alles bringen, was mich bisher erfreut hat.«
»Wie meinst Du das denn?«
»Ja schaut, das ist so: Heut kommen hier alle Bekannten zusammen. Wann man die anschaut, so sind sie Alle fertig. Es giebt weder für sie noch an ihnen mehr etwas zu thun. Und doch ists stets meine größte Freud gewest, wann ich mich hab mit denen Leutln beschäftigen konnt. Jetzt haben sich die Paare zusammenfunden und werden sich heut zeigen. Wie oft bin ich zum Vertrauten macht worden! Wie viele Geheimnissen hab ich bewahren mußt! Das ist nun aus. Ein einzigs Geheimniß hab ich noch; aber auch das muß heraus. Ich kann dera Fräulein Milda ihr Gesicht nicht mehr anschauen.«
»Betrifft dieses Geheimniß uns?« fragte sie rasch.
»Ja, es ist eben wegen jener Familie von Sandau.«
»Kennst Du sie etwa?«
»Ja.«
»Herrgott! Sage, wo befindet sie sich!«
»Das soll ich nicht sagen.«
»Aber Du weißt es?«
»Ja.«
»Von wem?«
»Von der Familie selberst.«
»Seit wenn?«
»Seit längerer Zeit.«
»Was? Und uns hast Du nichts gesagt!«
»Weil es mir verboten war.«
»Ist es Dir auch jetzt noch verboten?«
»Ja freilich.«
»Sepp, Sepp, kümmere Dich doch nicht um dieses dumme Verbot!«
»Wort soll man halten!«
»Aber in solchen Sachen nicht. Du siehst es ja, wie ich mich absorge und abquäle.«
Sie ergriff seine Hand. Er nahm ihre kleinen Händchen zwischen seine großen, streichelte sie zärtlich und antwortete:
»Meinst, daß ich wegen Dir mein Wort mal brechen soll?«
»Ja.«
»Schau, so sind die Frauenzimmern! Sie verführen Einen zu den größten Fehlern.«
»Aber, wenn Du weißt, wo sich die gesuchte Familie befindet, so sage es doch!«
»Eigentlich könntest Du es ebenso gut wissen.«
»Warum?«
»Weil Dir die Flieg auf dera Nasen sitzt. Es ist fast merkwürdig, wie man oft den Wald vor lauter Bäumen nicht derblickt! Als ich es erfuhr, hätt ich mir gleich selberst eine Ohrfeig geben könnt. Nämlich die Familie von Sandauen ist nicht mehr in Amerika. Sie ist längst wieder nach Deutschland zurück.«
»Aber wo ist sie jetzt?«
»Nach Bayern.«
»Herrgott! Sie befinden sich also hier in unserm engern Vaterlande?«
»Sogar im allerengsten.«
»Wo denn? Vielleicht gar nahe von hier?«
»Hier selbst.«
Milda war vor Erregung aufgesprungen, ebenso wie Max von seinem Sitze aufstand.
»Etwa als Badegäste?« fragte sie.
»Nein. Aberst da verrath ich bereits zu viel. Ich soll ja nicht davon reden.«
»Du mußt. Du mußt, lieber Sepp,« rief sie, seine Hände bittend ergreifend.
»Dann kanns mir schlimm ergehen.«
»O, ich nehme halt Alles auf mich. Alles.«
»Du kannst doch nicht die Vorwürf und Grobheiten auf Dich nehmen, die ich dann anhören muß.«
»Alle, alle!«
»Ich bekomme sie dennoch.«
»Sepp, ich bitte Dich inständig, sage mir, was Du weißt, und wo die Leute sich befinden!«
Der Alte that, als ob er sich die Sache überlege, und sagte dann in gutmüthigem Tone:
»Nun, ich kanns freilich nicht anhören, daßt mich so bittest. Also sollst derfahren. Aberst Du mußt mir vorher ein Versprechen geben.«
»Daßt jetzt noch nix sagst.«
»Werde ich das vermögen?«
»Ja. Ich will sogar meine Bedingung noch besser machen. Du sagst gegen keinen Menschen was bis nach dera Theatervorstellung heut.«
»Dann kann ich reden?«
»Reden und auch handeln.«
»Gut, das ist nicht schwer. Ich verspreche es.«
»Und dera Max auch?«
»Ja, auch ich werde bis dahin schweigen,« erklärte der junge Dichter.
»So verlaß ich mich auf Euer Wort. Die Familie ist, wie ich bereits sagt hab, von Amerika wieder rüber kommen. Dera Vater ist drüben im Dienst als Polizist erschossen worden. Erst habens ihren Namen ganz ablegen wollen; aberst er ist ein ehrlicher gewest und das Makel, welches auf demselben haftete, war ein unverdientes. Darum habens ihn doch beibehalten.«
»Mein Gott!« klagte Milda. »An dem Allen ist mein Vater schuld! Ich habe viel zu sühnen!«
»Auf Dich fällt gar kein Vorwurf.«
»Aber ich bin die Tochter meines Vaters!«
»Dafür kannst ja nicht. Nun haben die Leutln hier sucht, die verlorene Ehre wieder herzustellen, doch vergeblich. Sie haben ja keine Beweisen habt. Sie waren arm und haben sich kümmerlich behelfen mußt. Jetzt aberst geht es besser.«
»Also sie nennen sich noch von Sandau?«
»Das von habens weggelassen. Der Namen ist jetzund ein bürgerlicher. Aberst er wird bald wieder zu Ehren kommen. Dera König will ihn rehabilitiren lassen. Er weiß Alles.«
»Herrgott! Er weiß es wirklich?«
»Ja, Alles.«
»Und er kennt auch die Unschuldigen?«
»Sehr genau.«
»Warum hat er da nicht schon längst eingegriffen?«
»Der Sohn hat es nicht wollt.«
»Warum nicht?«
»Deinetwegen.«
Sie sah ihm einige Secunden lang starr in die Augen. Dann schlug sie die Hände vor das Gesicht, drehte sich um und sank schluchzend in den Stuhl.
Max trat zu ihr, legte ihr die Hand beruhigend auf die Achsel und bat:
»Milda, weine nicht! Wenn es so steht, so ist ja Alles, Alles gut.«
»Er – er – er ists!« schluchzte sie.
»Ja. Aber er ist unser Freund.«
»Rudolf, Rudolf ist dieser Sohn! O Gott, o Gott! Er hat Alles gewußt und sich doch nicht genannt.«
»Das ist ein Beweis von seltenstem Edelmuth. Wir haben mit ihm darüber gesprochen. Er weiß, daß wir ihn suchen. Verkennen also kann er Dich nicht.«
»Er hat meinetwegen auf seine Rechte, auf sein Vermögen und auf die Ehre seines Namens verzichtet! Er hat hart gearbeitet, um sich eine Existenz zu erringen. Und doch hat er gewußt, daß mein ganzes Vermögen ihm gehört!«
»Milda, beruhige Dich! Ich begrüße es mit tausend Freuden, daß es so gekommen ist. Er wird es so einzurichten wissen, daß der Name Deines Vaters nicht geschändet wird.«
»Ja, ja, das sehe ich ein!« rief sie, wieder aufspringend. »Es ist ein unendliches Glück, daß er es ist und kein Fremder. Ich muß sofort zu ihm, sofort. Ich möchte ihm auf den Knieen danken für das Opfer, welches er uns brachte. Ist denn seine Mutter damit einverstanden gewesen, Sepp?«
»Sofort. Sie hat Dich ja so lieb.«
»Welch herrliche, herrliche Leute! Sie steckten in tiefster Armuth und haben doch nichts gesagt, um nur mich nicht zu kränken!«
»Ja, da kannst halt sehen, wie Werth Du ihnen bist,« meinte der Alte gerührt.
»Darum muß ich gleich zu ihnen, gleich!«
Sie griff nach ihrem Hute.
»Halt! Vergiß Dein Versprechen nicht!«
»Das kann ich nun nicht halten.«
»Was? Ein Versprechen nicht halten, welches man dem Sepp geben hat?«
»Es ist ja nun nicht möglich!«
»Das wäre eine schöne Geschichten! Ihr wartet bis heut Abend. Verstanden!«
»Wer soll das aushalten!«
»Du! Mach mir keine Dummheiten, sonst kannsts derfahren, daß dera Sepp Euch gar nimmer wieder anschaut im ganzen Leben. Wartet also bis zum Abend, und dann macht meinswegen, was Ihr wollt!«
Er ging, um keine Einsprüche mehr anhören zu müssen.
Er hatte so viel noch zu besorgen. So wenig man es merkte, es ruhte doch die größte Last des heutigen Tages auf seiner Schulter. Er war der Arrangeur der zu erwartenden abendlichen Festlichkeiten.
Die Mitglieder des Festausschusses standen bei jedem ankommenden Zuge auf dem Bahnhofe, um den König zu empfangen – vergeblich. Er kam nicht. Sie wußten nicht, daß er heimlich gekommen war. Er bewohnte einige Zimmer der Thalmühlen-Villa, ließ sich aber vorläufig nicht sehen.
So nahte der Abend, und die Thüren des Theaters wurden geöffnet. Das Publikum strömte förmlich hinein.
Jedermann war wie geblendet. Das war ein echter Tempel der Kunst!
Man begann zu ahnen, daß der junge Baumeister ein Meisterwerk geschaffen habe.
Und die herrlichen Freskogemälde am Plafond rissen zur Bewunderung hin. Der Maler war kaum zwanzig Jahre alt! Man wollte es nicht glauben. Auch der Vorhang war sein Werk. Er war vollendet zu nennen.
Die Plätze füllten sich bis oben an. Nur die vorderen Parketplätze waren leer geblieben. Für wen? Niemand wußte es.
Erst kurz vor Beginn der Ouverture erschienen diejenigen Personen, für welche sie reservirt waren, und diese zogen die Augen des Publikums auf sich.
Zuerst erschien der alte Sepp, jetzt nicht im Frack, sondern in seiner alten Gebirgskleidung. Viele der Badegäste erkannten ihn sofort als den Alten, der damals im alten Theater mit der Leni gejodelt hatte.
Sein Erscheinen erregte Aufsehen. Es ließ vermuthen, daß irgend eine Ueberraschung zu erwarten sei.
Dann kam der Kapellenbauer mit seinem Pfarrer und den Eltern des Krikelanton. Solche Leute in einer solchen Festvorstellung! Das war verwunderlich!
Nach diesen Drei stellte sich der Finkenheiner mit seiner Frau ein. Seine Tochter Liesbeth folgte mit ihrem Manne, dem Müllerhelm. Hinter ihnen schlich die alte Barbara aus der Mühle einher, prächtig aufgeputzt mit einer gelben, roth geblümten Saloppe und einer blauen Haube.
Jetzt erschienen zwei ausgesprochene Schönheiten, nämlich Paula Kellermann und die einstige Silbermartha, ganz einfach gekleidet, aber dennoch aller Blicke auf sich ziehend.
Von der anderen Seite stieg ein Ehepaar herein, der Feuerbalzer mit seiner Frau. Ihm folgte seine alte Mutter mit der Wirthin aus Hohenwald, welche dem jungen Lehrer damals so freundlich begegnet war.
Gleich darauf kam ein hoher, steifer Mann in böhmischer Tracht. Es war der Kerybauer aus Slowitz mit seiner braven Frau. Ihnen folgte ihre Tochter Gisela mit ihrem Manne, dem einstigen Knechte Ludwig Held. Dessen Mutter und seine Schwester Hanna mit ihrem jetzigen Manne, dem Höhlenbauers Stochen, schlossen sich ihnen an.
Nachdem eine kleine Weile vergangen war, kam Fritz Hiller, der jetzige Kronenbauer aus Kapellendorf mit seiner allerliebsten jungen Frau Martha, der Nichte des Försters Wildach.
Ein sehr stattliches Paar trat dann ein: Der Commerzienrath von Hamberger aus Wien, welcher die Frau Salzmann führte.
Zuletzt erschien die dicke Dame Qualéche, welche sich kaum in den Sitz zu drängen vermochte.
Zuletzt? Nein. Es kamen noch Drei, die drei Allerletzten, nämlich das gute Kleeblatt Clarinettenmenzel, Posaunenwenzel und Violenfrenzel.
In Anbetracht ihrer Gestalten und Gesichtsbildungen, so wie des Umstandes, daß sie genau dieselben Anzüge trugen wie daheim, war es gar nicht zu verwundern, daß bei ihrem Erscheinen das Geräusch des unterdrückten Lachens durch den Festraum ging.
Die anderen noch fehlenden Personen waren entweder bei der Vorstellung betheiligt oder befanden sich in den Prosceniums- und Fremdenlogen. Zu diesen Letzteren gehörten Milda von Alberg mit der Frau Bürgermeister Holberg, Max Walthers Mutter, ferner Rudolf von Sandau's Mutter und Anita, die Italienerin, welcher für heut auch eine kleine Aufgabe geworden war.
Jetzt war Alles vollzählig. Sämmtliche Mitglieder des Orchesters saßen auf ihren Plätzen. Der Musikdirector hatte die erste Violine übernehmen müssen. Er war nicht wenig stolz darauf, den jungen Mann entdeckt zu haben, unter dessen Direction er heute zu geigen hatte.
Da ging ein Flüstern durch den Raum. Der Fex war erschienen und an das Dirigentenpult getreten.
»Das ist er – der damalige Geiger – der so lumpenhaft erschien – jetzt ein Baron – reicher Mann – steinreich!« so flüsterte man sich zu.
Er hob den Taktstock. Die Glocke gab das Zeichen, und die Ouverture begann.
Es ist unnöthig ein künstlerisches Referat des Stückes und der Vorstellung zu geben.
Der Stoff war der nordischen Götterlehre entnommen, Freya, die schöne, herrliche Göttin der Liebe, wird von Od, ihrem Gemahle, schändlich verlassen. Sie fühlt sich namenlos unglücklich darüber und irrt an den Enden des Himmels umher, trauernd und klagend, bis ihr Heimdall, der Herrliche, erscheint und mit seiner Liebe ihr ein größeres Glück bringt, als sie vorher besessen hatte.
Sobald das Theater dem Publikum geöffnet wurde, waren alle Sänger und Sängerinnen versammelt, um sich in die Garderoben zu vertheilen. Nur die berühmte Ubertinka fehlte noch. Warum kam sie nicht. Sie hatte doch die Hauptrolle und mußte sich darauf vorbereiten!
Sie war aber bereits da. Durch eine kleine Hinterpforte war sie schon längst hereingeschlichen und hatte sich in ihre Garderobe eingeschlossen. Der Regisseur beruhigte die Collegen durch die Erklärung, daß die Künstlerin keinen Augenblick lang auf sich warten lassen werde.
Draußen begann die Ouverture und wurde glanzvoll zu Ende gespielt. Ein rauschender Beifall folgte. Der Fex war gezwungen, sich wiederholt zu verbeugen.
Und da gingen die Gardinen der Königsloge auseinander. Der Herrscher hatte, hinter denselben verborgen, dem herrlichen Musikstücke zugehört. Er wurde durch allseitiges Aufstehen von den Plätzen begrüßt.
Nun begann die Introduction, und der Vorhang stieg empor. Odyn, der Allesbeherrscher, saß auf seinem Throne. Vor ihm waren die Götter versammelt. Heimdall, der Lichte, forderte die Hand der Schönsten von ihm, die Hand Freya's. Odyn verweigerte sie ihm und erklärte, daß sie für Od bestimmt sei.
Od, dessen Rolle der Krickelanton sang, entgegnete, daß er Freya noch nie gesehen habe und erhielt zur Antwort, daß er sofort in Liebe zu ihr entbrennen werde, wenn sie erscheine. Heimdall pries die Unvergleichliche und sagte Od, daß er vor ihrer himmlischen Schönheit förmlich erschrecken werde.
In einem Recitativ gab Od zu verstehen, daß keine Schönheit ihn erschrecken könne und noch während er dies behauptete, fuhr er doch aufs Höchste erschrocken zurück, nicht etwa, weil das in seiner Rolle lag, sondern aus wirklichem Schreck.
Freya erschien nämlich, und er erkannte natürlich die Leni.
Ihr Auftreten rief, noch ehe sie die Lippen geöffnet hatte, eine rund um sich greifende Bewegung im Publikum hervor. Und mit vollem Rechte. Eine solche Erscheinung war wohl noch nie auf den Brettern gesehen worden.
Schön, lieblich und erhaben stolz zugleich, schritt sie, ohne Od eines Blickes zu würdigen, bis zur Mitte der Bühne vor und begann zu singen.
Sie trug das lang herabwallende, schneeweiße nordische Göttergewand, welches auf der einen Seite im Schlitz aufgerafft war, so daß man das herrliche, rechte Bein bis zum Knie herauf sah. Es war mit Sandalen bekleidet, von welcher aus sich goldene Spangen um die Wade emporschlangen. Auf den Schultern gerafft, gab es die schneeigen, vollen Arme blos, an welchen demantene Ketten und Ringe erglänzten. Um den prächtigen Busen legte sich ›Brisingamen‹, der göttliche Brustschmuck der nordischen Mythologie, blitzend von echten Brillanten, Rubinen, Sapphiren, Smaragden, Topasen und anderem Edelgestein. Auf dem Haupte saß der funkelnde Helm, unter welchem die dunkle Fluth des Haares, dieses echten Haares, hervorquoll und fast bis auf den Boden reichte.
Wie sie so dastand, war sie wirklich eine göttergleiche Erscheinung, deren Augen ebenso wie die Demanten durch den Raum blitzten, stolz, selbstbewußt und doch so freundlich mild.
Ein Sturm des Beifalles rauschte durch den Zuschauerraum. Selbst der König erhob sich für einen Augenblick, von ihrer packenden Schönheit überrascht.
Aus der Fremdenloge blickte Graf Senftenberg herab. Seine Gefühle waren unbeschreiblich. Dieses entzückende Wesen war sein, sein, sein! In diesem Worte lag eine ganze Welt von Seligkeit.
Und der Krickelanton? Der stand da, mit dem Oberkörper zurückgebeugt und sie wie eine überirdische Erscheinung anstarrend. Wenn er jetzt zu singen gehabt hätte, er hätte nicht einen einzigen Ton hervorgebracht. War denn das wirklich die Muhrenleni, vor der er heut noch ausgespuckt hatte? Konnte diese so schön, so unsagbar schön sein?
Aber fast noch mehr erschrak er über die Gewalt und den unbeschreiblichen Wohllaut ihrer Stimme, als sie jetzt die Arie begann:
»In tiefer, stiller Menschenbrust
Da lebt der Liebe süßes Walten.
Der Göttin ist sie unbewußt;
Ihr muß das heiße Herz erkalten.«
Als sie geendet hatte, war der Beifall gradezu phänomenal.
Indessen hatte Anton seine Selbstbeherrschung wieder erlangt und konnte das Terzett mit ihr und Odyn beginnen. Er wurde von dem Gotte mit ihr vermählt, und dann fiel der Vorhang.
Die Sängerin mußte fünfmal heraus. Das Publikum schien in seinem Beifalle gar kein Ende finden zu können.
Dann aber spielte sich hinter der Scene eine zwar kurze aber hitzige Scene ab.
Leni wollte sich nach ihrer Garderobe begeben. Da trat ihr Anton in den Weg.
»Leni, Leni!« rief er. »Du bist es – Du!«
»Mit wem sprechen Sie?« fragte sie, ihn strafend anblitzend.
»Mit Dir natürlich, mit Dir!«
»Ich kenne Sie nicht!«
»Du kennst mich. Du kennst mich. Du willst mich nur nicht kennen! Wer hätte gedacht, daß die Muhrenleni – – –«
»Es sich gefallen lassen muß, daß ein einstiger Wilddieb vor ihr ausspuckt!« fiel sie ihm in die Rede.
»Verzeihe es! Ich ahnte doch nicht – – –«
»Mögen Sie geahnt oder nichts geahnt haben, Ihr Verhalten war ein gemeines, ein niederträchtiges!«
»Nicht so, Leni, nicht so! Ich fühle, daß ich Dir Unrecht that. Aber ich fühle auch, daß ich Dich trotz Allem heut noch liebe, heiß und unsagbar liebe. Diese Liebe ist, als ich Dich vorhin sah, von Neuem erwacht und riesengroß wie ein Flammenbrand in mir emporgewachsen. Sie muß mich verzehren, wenn Du unversöhnlich bleibst.«
»Liebe? Was nennen Sie Liebe? Die Ihrige ist kein reines, keusches, läuterndes Feuer, sondern ein rußender, qualmender und erstickender Pechqualm, vor welchem man sich hüten muß. Wir haben unsere Rollen zu singen und zu spielen, sonst aber kennen wir uns nicht!«
»Leni, ich erkläre Dir, daß – – –«
Er wollte vor ihr niedersinken.
»Halt, keine Scene!« unterbrach sie ihn. »Sie können nie bei mir Erhörung finden, nie, nie nie! Merken Sie sich das, und denken Sie an den Carnevalsabend in Wien, an welchem Sie mit Ihrer Valeska in der verschlossenen Loge saßen und über mich spotteten! Sie Beide waren einander werth. Die Tänzerin sitzt im Zuchthause, die Tänzerin, die den Einbrecher liebte und Sie nur zum Narren hielt, und Ihre Zukunft, welche wird es sein, wenn Sie sich nicht ändern? Mir graut vor Ihnen und vor ihr!«
Sie wandte sich ab und verschwand in ihrer Garderobe. Er starrte nach der Thür derselben, ballte die Fäuste, drückte sich dieselben an die Stirn und murmelte zähneknirrschend:
»Anton, Anton, Du hast einen Himmel von Dir gestoßen! Aber noch ist nicht Alles verloren. Sie hat mich geliebt, und so eine Liebe stirbt nicht; das fühle ich jetzt deutlich in mir. Sie muß mich wieder lieben!«
Und unten in den zwei verborgensten Eckplätzen des Parkets saßen seine Eltern. Sie waren noch nie in ihrem Leben in einem Theater gewesen und fühlten sich vor Bewunderung starr und steif.
»Mutter,« flüsterte er ihr zu, »hast Du so was für möglich halten?«
»Nein, nie!«
»Ich bin ganz weg. Mir steht das Maul auf. Ich muß mir Mühen geben, daß ichs wiederum zubringen thu.«
»Und mir ists, als sei ich im Himmelreich.«
»Und doch warens lauter Götzen.«
»Nicht Götzen, sondern Göttern. Dera Herr Pfarrern hat es uns doch unterwegs derklärt.«
»Ja so! Ob das Alles so geschehen ist!«
»Ja, wer das wissen thät.«
»Dera geistliche Herr sagt, das wären die Gottheiten von Schweden und Norwegen und Deutschland gewest. O Sappermenten, muß das ein Himmel gewest sein.«
»Der gefallt Dir wohl?«
»Hast denn nicht die Göttin sehen und auch singen hört? Wie schön war die, wie schön!«
Er faltete die Hände.
»Die thätst wohl gleich heirathen?«
»Auf dera Stell, gleich vom Teller weg!«
»O Du alter, sakrischer Bub! Jetzund ist Dir wohl Deine Frauen nicht mehr schön und gut genug!«
»Ach, red nicht so! Das ist doch was ganz Anderes. An so eine Göttin dürft Unsereins nicht denken, selbst wann man noch mal jung und ledig wär!«
»Hast sie denn richtig anschaut?«
»Ja.«
»Und sie auch erkannt?«
»Sie hat ein Gesicht habt fast wie die Leni.«
»Die wars ja auch!«
»Was? Die Leni? Du, ist die denn wirklich gar so schön und fein?«
»Was fragst noch! Hasts ja sehen!«
»Wer hätt das denken könnt! Die Muhrenleni! Und welch eine Stimm!«
»Ja, so schön ist meine nicht!«
»Sei stark, Frau! Wirst doch nicht etwa gar eifersüchtig sein wollen!«
»Gar nicht! Du wärst der Richtige, der einer Andern den Kopf verdrehen thät!«
»Jetzund nicht mehr, aberst früher!«
»Schweig! Denk lieber an ein ruhig End als an solche Dingen! Hast auch den Gott sehen, der da links stand und so verschrocken that, als sie kam? Er ist ihr Mann worden?«
»Den hab ich wohl sehen.«
»Nun, wer wars?«
»Fast hat er Aehnlichkeit mit unserm Anton habt.«
»Er wars ja selberst!«
»Wie? Was? Der Anton wärs gewest?«
»Jawohl.«
»Das kann ich mir nicht denken!«
»Er ist ja Sänger und spielt im Theater!«
»So meinst wirklich, daß ers war?«
»Ganz gewiß!«
»Du, dann können wir mal stolz sein! Dera Anton ein Gott! Und was hat er für ein Gewandl habt!«
»Ja, er ist alleweil ein sauberer Bub.«
»Nun haben wir ihn sehen und wissen genau, daß er da ist. So werden wir wohl auch mit ihm reden dürfen.«
»Gar wohl. Wir wollens dem Grafen sagen, der ihn heut noch nicht funden hat.«
»Ist der auch hier?«
»Ja, da oben schaut er aus dera Kapellen heraus. Guck, er nickt uns zu!«
»Ja, er ist ein gar freundlicher Herr!«
– Schon begann die Introduction zum zweiten Acte. Derselbe spielte in Od's Felsenburg. Der Gang der Handlung war einfach. Od hatte seiner Gemahlin Freya die Treue gebrochen und eine Geliebte in seine Burg genommen. Diese umstrickte ihn so, daß er Freya verstieß.
Anton spielte seine Rolle meisterhaft. Liebe und Wuth, Entzücken und Reue tobten in ihm. Hatte er nicht auch Leni verstoßen? Hatte sie ihn nicht angefleht damals grad wie jetzt?
Und ganz ebenso gab Leni ihre Rolle geradezu hinreißend. Sie gedachte der Zeit, in welcher Anton von ihr gegangen war, in welcher der Schmerz um ihn in ihr genagt hatte. Der Rolle gemäß mußte sie vor dem Ungetreuen niederknieen, um ihn um Entfernung der Nebenbuhlerin zu bitten. Seine Antwort war, daß er sie verstieß und vor die Götterburg bringen ließ. Bereits am Thore derselben stehend, wandte sie sich noch einmal um, erhob verzweifelnd ihre Hände und sang:
»Stirb, meine Seele, brich, mein Herz!
Tor,
Tor war der Gott des Donners und Blitzes. wirf den Blitz mir an die Stirn!
In meinen Adern rast der Schmerz,
Und Wahnsinn tobt mir durch das Hirn!«
Dann wurde sie hinausgeschleift. Das war so überwältigend gegeben, daß die Zuschauer sich von tiefem Grauen gepackt fühlten.
»Du,« flüsterte der alte Warschauer seiner Frau zu. »Mit dem Anton bin ich gar nimmer zufrieden.«
»Warum?«
»Weil er sich an das andre Weibsbild hangen hat und die Leni verstößt. Eine Schönere und Bravere kann er doch gar nimmer bekommen!«
»Ja, ich weiß auch nicht, was er denkt.«
»Wir müssen ihm den Kopf zurecht setzen, wann wir mit ihm reden!«
»Das müssen wir freilich, und zwar richtig und gehörig. Er muß den Verstand verloren haben!«
»Das möcht man fast denken!«
»Er hat schon damals so schlimm an ihr handelt, und nun thut ers wieder, wo sie doch tausendmal schöner ist als früher!«
»Und sogar seine Frau!«
»Ist sie das?«
»Ja. Hasts denn nicht sehen und hört, daß dera alte oberste Gott mit dem langen Bart, dens Odyn nennen, sie mit nander zusammenthan hat?«
»Das war eine Trauung?«
»Freilich!«
»Was! So find sie nun richtig Mann und Frau worden?«
»Natürlich.«
»So könnens doch gar nie wieder von einander gehen, wanns so ist!«
»Nein. Geschieden werdens nicht, dazu werdens wohl keine Dispensionen bekommen. Und wenn er sie dennoch fortjagt, so wird ihn das Gericht zwingen, daß er ihr das Kostgeld bezahlt.«
»So begreif ich gar nicht, daß der talkete Bub sich das gar nicht überlegt!«
»Weißt, er ist noch zu jung und zu hitzig. Wann wir ein verständiges Wort mit ihm reden, wird er sie wieder zu sich nehmen. Das arme Schankerl kann mir leid thun, die Leni! So jung, so schön, so gut und brav und doch schon verstoßen!«
»Und dazu so rasch! Vor einer halben Stund ist sie seine Frau worden, und schon steckt er sie zur Thür hinaus!«
»Gräm Dich noch nicht! Wir werden schon derfahren, wohin sie ist. Nachhero suchen wir sie aufi und bringens ihm zurück. Und wann er nicht will, so geben wir ihr die zweihundert Gulden, die wir noch übrig haben.«
»Ja, da hast Recht. Sie hat sie uns doch erst schickt, und damit reicht sie schon eine Zeit lang aus.«
In dieser Weise betrachteten diese guten, einfachen Leute die Sache. Sie nahmen das Leben auf den Brettern für die reine Wirklichkeit.
Im dritten Acte sieht man Freya zwischen einsamen, wirren Felsenbrocken sitzen. In der Ferne wogt das Meer.
Sie klagt über ihr Unglück, und trostlos klingt es von ihren Lippen:
»Meine Hoffnung ist gestorben
Längst schon vor dem Abendroth,
Jede Blüthe mir verdorben,
Und mein Sein sinkt in den Tod.«
Da röthet sich über den Meeresfluthen der Himmel, ein Strahlenkranz beginnt zu leuchten, und aus demselben schwebt Heimdall, der lichte Gott hernieder.
Er sieht die Trauernde und wendet sich zu ihr. Als sie zu ihm aufschaut, erkennt er Freya, die er liebte und noch liebt und die ihm von Odyn versagt wurde.
Sie erzählt ihm, daß sie verstoßen worden sei, unschuldig verstoßen, um einer Unwürdigen willen. Da ergrimmt sein Herz, und er schwört, sie zu rächen.
Der Zwiegesang der Beiden war überreich an packenden Momenten. Der Componist hatte bewiesen, daß er eines solchen Dichters würdig sei. Kein Auge blieb ohne Thränen.
Da kamen auf segelblähendem Schiffe die Götter herbei. Sie stiegen an das Land und gewahrten diese Beiden. Od, der Ungetreue, war dabei. Odyn erkannte Freya und fragte, was sie hier am äußersten Ende suche. Heimdall antwortete an ihrer Stelle und erklärte, daß er geschworen habe, sie zu rächen. Er forderte Od zum Kampfe auf, und Odyn gab seine Erlaubniß dazu.
Die Götter und Göttinnen gruppirten sich im Halbkreise. Die beiden Feinde traten hervor. Heimdall erklärte, daß Freya der Preis sei, um den er kämpfe, und nun begann das Ringen der beiden göttlichen Recken.
Heimdall blieb Sieger. Od sank in die Kniee und wäre von seinem Gegner getödtet worden. Da aber schleuderte der Donnergott Tor seinen Hammer zwischen sie. Blitze zuckten rundum, und Odyn erklärte, daß ein Gott nicht sterben dürfe.
Freya hatte dem Kampfe zugeschaut, der ihre tiefste Seele erregte. Ihr Busen wogte, ihr Athem ging stockend; ihr Fuß zuckte vorwärts oder rückwärts, je nach dem Stande des Kampfes. Ihr Blick war nur gerichtet auf Heimdall, den Herrlichen. Plötzlich, plötzlich, blitzesschnell stieg es in ihr auf, daß sie nicht geliebt habe aber jetzt liebe, den Gott, der für sie und um sie kämpfte.
Sie wurde ihm zugesprochen und fiel in seine Arme. Voller Entzücken brach sie in Wonnetöne aus und endete mit den Worten:
»Nun wird es wieder licht um mich
Nach langer, grabesdunkler Nacht;
Die Liebe strahlt um mich und Dich,
Und tausend Sonnen sind erwacht!«
Aber bei den letzten Worten: »Die Liebe strahlt um mich und Dich«, blickte sie nicht, wie es ihre Rolle mit sich gebracht hätte, Heimdall an, in dessen Armen sie lag, sondern ihr Auge suchte den Geliebten, den Grafen Senftenberg.
Er sah es. Er sah ihren Blick voll unendlicher Innigkeit auf sich leuchten und preßte sich die Hände auf die Brust.
Er hätte am Liebsten zu ihr hinab auf die Bühne springen und sie an sein Herz reißen mögen vor allen Leuten.
Das Stück war aus und der Vorhang fiel. Der Beifall war fast beispiellos.
Die Künstler mußten wieder und immer wieder erscheinen, und die Leni wurde mit Blumen und Kränzen fast überschüttet. Sie konnte in ihnen förmlich waden.
Da rief eine Stimme:
»Der Componist heraus!«
Eine andere fügte hinzu:
»Der Dichter heraus!«
Sofort fielen alle Stimmen ein. Nur eine augenblicklich kurze Pause trat in diesen Ausrufen ein, da hörte man eine dritte Stimme:
»Der Baumeister hervor, und der Maler heraus!«
Jubelnd wurde das von Hunderten wiederholt. Mann schwieg nicht eher, als bis der Aufforderung Folge geleistet wurde.
Sie erschienen alle Vier zu gleicher Zeit: Der Fex, der einstige Lehrer Max Walther, Rudolf von Sandau und der Elephantenhanns.
»Bravo! Hoch, hoch, hoch!« erschallte es durch das ganze Haus.
Sie verbeugten sich und wollten abtreten. Da wurde gerufen:
»Da bleiben! Kränze her! Lorbeeren für die Künstler.«
»Lorbeeren, Kränze, Kränze!« stimmten Alle ein.
Da traten vier weißgekleidete, schöne Frauengestalten aus den Coulissen, die Geliebten der vier Künstler, welche Letztere die Kränze in Empfang nahmen, der Fex von seiner Paula, Max Walther von der Silbermartha, Baumeister Rudolf v. Sandau von Milda v. Alberg und der glückstrahlende Elephantenhanns von der schönen Italienerin Anita.
Von diesem Arrangement hatten die Empfänger nichts gewußt. Das gab einen Jubel auf der Bühne und im Publikum, der gar kein Ende nehmen wollte, bis der Maschinist sich weigerte, den Vorhang wieder zu heben.
Alle Welt war gesättigt und entzückt von diesem einzigen Kunstgenuß, und nur langsam leerte sich das Theater.
Die oben erwähnten Inhaber des Parketes hatten Weisung erhalten, nicht fort zu gehen, sondern sitzen zu bleiben. Sie folgten diesem Gebote ohne Grund desselben zu ahnen.
Als der Raum vollständig leer war, trat der Director vor die Gardine und meldete:
»Seine Königliche Majestät haben allergnädigst geruht zu befehlen, daß für die noch anwesenden Herrschaften ein kleiner, intimer Festball arrangirt werde.
Es ist dabei Wunsch Seiner Königlichen Majestät, daß die herkömmlichen Standesschranken fallen und ein herzliches, freundliches Einvernehmen zwischen allen Damen und Herren erzielt werde.
Ballkarten sind von der Logenschließerin in Empfang zu nehmen.
Für die anzurichtende Festtafel ist keine Bestimmung über die Reihenfolge der Plätze getroffen. Herr Joseph Brendel, genannt der Wurzelsepp, wird präsitiren. Die anderen Herrschaften können sich nach Wunsch plaziren. Toaste sind natürlich erbeten und gern gestattet. Weinkarten liegen auf, damit ein Jeder beliebige Wahl treffen könne und ist überhaupt gewünscht, daß Jedermann sich nach eigenem Gusto bewegen und vergnügen möge!«
Diese Bekanntmachung, von welcher nur Wenige vorher gewußt hatten, wurde sowohl im Parket als auch hinter dem Vorhange mit Jubel aufgenommen.
Das hatte dem heutigen Abende gefehlt. Man kannte sich ja, man liebte sich, und diejenigen, welche sich noch nicht gesehen hatten, konnten sich einander nähern.
Die drei zur berühmten »Wenzelei« gehörigen Musiker steckten die Köpfe zusammen.
»Hört,« fragte der Clarinettenmenzel, »habt Ihr's auch verstanden?«
»Es war ja deutlich genug,« antwortete der Posaunenwenzel.
»Ein Fressen solls geben mit Tanz und Wein,« nickte der Violenfrenzel.
»Ob wir auch mit gemeint sind?«
»Man sollts doch denken!«
»Ich denks ganz sicher. Es hat ja geheißen, alle Anwesenden, und wir sind ja anwesend.«
»Das ist freilich wahr, aberst es fragt sich, was wir dabei zu thun bekommen.«
»Natürlich essen und trinken.«
»Oder auch nicht. Vielleichten hat man uns nur kommen lassen, damit wir die Musiken zum Ball blasen sollen.«
»Da haben wir doch unsere Instrumenten nicht mit, und die hätten wir doch mitbringen müssen!«
»Das ist nicht nöthig, das ganze Orchester liegt ja voller Instrumenten.«
»Hm! Wenn mans nur genau wüßt!«
»Am Besten ists, wir fragen, damit wir keinen Fehlern machen.«
»Ja, und da kommt grad der Richtige, an den wir uns wenden können!«
Der Sepp trat nämlich vom Corridor herein. Der Clarinettenmenzel näherte sich ihm von der Seite und sagte:
»Mit Verlaub, Herr Sepp! Sie haben bei der Tafel den Vorsitz?«
»Ja.«
»Da wissen Sie auch, wer mit speisen darf.«
»Ei freilich!«
»Sind auch wir dabei, die Wenzelei?«
»Versteht sich!«
»Wir haben gedacht, daß wir zum Balle spielen sollen.«
»O nein,« lachte der Alte. »Dazu haben wir andere Kräfte, die Theaterkapelle.«
»Na, wir könnens auch,« erklärte Menzel, halb und halb beleidigt.
»Das wissen wir. Aber Sie sind Gäste. Wenn Sie uns bei der Tafel eine Probe Ihrer Kunst zum Besten geben wollen, so wird es uns freuen.«
»Das werden wir thun; ja ja, das thun wir, und Sie sollen staunen.«
Jetzt mußten die Gäste des Parketes zurück um Platz für die Verlängerung des Podiums zu machen. Dabei nahm der Sepp die alten Warschauers an sich und führte sie in ein entlegenes Stübchen, wo er sie bat, zu warten, bis er sie holen werde.
»Warum sollen wir nicht bei denen Uebrigen bleiben?« fragte der Alte.
»Weil Ihr den Anton sehen sollt.«
»Hier?«
»Nein. Ich bring Euch nachhero hin.«
»Das gefreut uns sehr! Aber sag doch mal: Er hat kämpft. Ist er verwundet?«
»Nein.«
»Aber die Leni hat man ihm nommen?«
»Freilich.«
»Die hat nun dera andere Gott?«
»Jetzt nicht mehr.«
»Aberst sie ist ihm doch zusprochen worden!«
»O, das ist ja Alles nur zum Schein. Das wird nur spielt, und wanns aus ist, geht ein Jeder seinen vorigen Weg.«
Er ließ die Alten kopfschüttelnd zurück.
Der Anton hatte während des Spieles seine Eltern nicht gesehen; er ahnte gar nicht, daß sie hier seien. Nach Erlaß der Bekanntmachung ließ er sich von einem der Logenschließer die Tanzkarte geben. Er ging eben die Tanzfolge durch, als die Leni kam, um sich auch eine Karte geben zu lassen. Als sie ihn erblickte, wollte sie umkehren. Schnell aber stand er bei ihr.
»Leni,« sagte er. »Du mußt mir einen Tanz geben!«
»Wie? Ich muß?«
»Ja. Wenn Du es nicht thust, störe ich das ganze Vergnügen. Dann ist mir Alles egal.«
»Sie wollen mich also zwingen!«
»Ja. Aus Rücksicht auf das Allgemeine müssen Sie meinen Wunsch erfüllen!«
Sie blitzte ihn mit zornigen Augen an und sagte, verächtlich die Achsel zuckend:
»Wenn Sie meinen, daß ich mich zwingen lasse, irren Sie sich sehr.«
»So tragen Sie die Schuld, wenn den Anderen das Vergnügen verdorben wird.«
»Nein, Sie tragen sie. Uebrigens können Sie versichert sein, daß Sie gar keine Störung bereiten werden. Der König ist noch da, und wenn Sie so frech sein sollten, gemein zu handeln, was ich Ihnen allerdings ganz gern zutraue, so wird der Director Sie einfach hinauswerfen lassen: Ich werde Sorge tragen, daß man sich sofort darauf vorbereitet. Polizisten sind ja stets zu haben.«
Sie wollte fort. Er aber ergriff sie am Aermel des Gewandes.
»Leni, hassest Du mich denn wirklich?«
»Nein, aber ich verachte und bemitleide Sie. Das ist bekanntlich schlimmer als Haß.«
»Leni, gieb mir einen Tanz!«
»Nein!«
»Thu es um meiner Eltern willen, auf die Du so viel hältst!«
»Und die Sie verhungern lassen!«
»Ich habe ihnen oft geschickt!«
»Das ist Lüge. Aber gut! Um Ihrer Eltern Willen will ich einen Tanz notiren, aber nur einen.«
»Welchen? Den ersten, die Polonaise?«
»Nein. Die gehört meinem Sepp.«
»Dann den zweiten, den Walzer!«
»Schön!«
Sie ließ sich eine Karte geben und schrieb neben den Tanz den Namen.
»Hier, sehen Sie!« sagte sie, ihm die Karte zur Ansicht zeigend.
Er laß: Walzer – Warschauer.
»Schön!« sagte er. »Ich werde mich einfinden.«
Sie hörte das bereits nicht mehr; sie eilte möglichst schnell fort.
»Welch ein Mädchen!« murmelte er. »Sie hat es drin gehabt, ohne daß ich es ahnte. Na, einen Tanz hab ich. Das ist ein Anfang. Und bei Tisch werde ich neben ihr sitzen. Ich werde es so einzurichten wissen.«
Er zog sich mürrisch in eine Ecke zurück.
Während die Bühne und das Parkete für den Tanz eingerichtet wurden, hatten sich die meisten Anwesenden nach dem Foyer begeben, wo Gratiserfrischungen bereit standen, da suchten und fanden sich die Paare.
Rudolf von Sandau hatte sich vorgenommen, heut bei Milda das entscheidende Wort zu sprechen. Er hatte schon vorher Geld verdient; der Theaterbau hatte ihm eine bedeutende Summe eingebracht, und sein Name war jetzt so bekannt, daß er eine sorgenlose Zukunft erwarten konnte.
Er sah Milda in einem Fauteuil sitzen. Max Walther, ihr Stiefbruder, stand bei ihr. Er ging auf sie zu. Als Max dies bemerkte, entfernte er sich, indem er that, als ob er den Freund nicht kommen sehe.
»Endlich finde ich Muse, der Spenderin meines Lorbeerkranzes den wohlverdienten Dank zu sagen. Das war eine höchst angenehme Ueberraschung.«
Er gab ihr die Hand, die sie nur leicht berührte.
»Ich war dazu befohlen,« bemerkte sie.
Das klang, so fremd, so kalt. Er sah sie genauer an, und nun fiel ihm die bleiche Farbe ihres Gesichtes und die müde Ungewißheit ihres Blickes auf.
»Milda, sind Sie unwohl?« fragte er.
»Nein, nur müd.«
»Sie sind dieses Angegriffensein nicht gewöhnt, welches bei einer solchen Festivität unvermeidlich ist. Also befohlen waren Sie? Von wem?«
»Sie sind doch nicht seine Unterthanin.«
»Aber Königen gehorcht man stets.«
»Wenn Majestät es nicht gewünscht hätte, so wären Sie wohl nicht zu dieser Ehrendienstleistung bereit gewesen?«
»Wohl kaum.«
»Weshalb? Ach, ja! Die drei anderen Damen waren Ihnen nicht genehm.«
»Sie irren sich. Paula und Martha sind unschuldig an den Sünden ihrer Väter. Ihre Gesellschaft ist mir ganz angenehm.«
Er sah ihr tief in die Augen. Sie senkte den Blick. Er bemerkte, daß es schmerzlich um ihre Lippen zuckte.
»Milda, Sie sind wirklich krank,« sagte er. »Sie sind sehr unwohl. Nehmen Sie einen Mund voll frischer Luft. Bitte, lassen Sie mich Sie nach den Garten begleiten!«
Er bot ihr den Arm und sie widerstrebte nicht. Es war ja besser, sich so bald wie möglich auszusprechen.
Er führte sie nach dem Garten, nach demselben Garten, in welchem damals der italienische Geigenvirtuos, Concertmeister Rialti so viel Pech gehabt hatte. Da begannen sie, langsam auf und ab zu gehen.
»Darf ich vielleicht erfahren, was sie so krank gemacht hat?« fragte er.
»Sie dürfen nicht blos, sondern Sie müssen es erfahren,« antwortete sie.
»Nun bitte!«
»Sie wissen, was mein Vater gesündigt hat, und daß ich die Ehre und das Vermögen eines Anderen herzustellen habe.«
»Ist es diese unglückliche Angelegenheit?«
»Ja.«
»Ich würde sie ruhen lassen.«
»O nein.«
»Sie werden niemals ihren Zweck erreichen. Diese Familie ist verschollen.«
»Das habe ich bisher geglaubt.«
»Bisher? Sie glauben es also nicht mehr?«
»Nein.«
»Haben Sie einen Grund dazu?«
»Ich habe eine Spur.«
»Ach! Wohin führt sie?«
»Von Amerika herüber nach Bayern.«
»Was Sie sagen.«
»Jener Herr von Sandau ist gestorben, und seine Wittwe ging mit ihrem Knaben nach Bayern, wo sie ein mehr als kärgliches Brod verdiente.«
»Milda!« rief er ganz betroffen aus. »Woher wissen Sie das? Wer hat es Ihnen gesagt?«
»Davon später. Der Sohn wuchs heran und wurde ein braver, tüchtiger Mann. Er lernte mich kennen; er erfuhr, daß mein Vater den seinigen um seine Ehre, sein Vermögen und seine Freiheit gebracht hatte. Er konnte das Alles zurückfordern; er konnte mir Alles, Alles nehmen, auch die Ehre seines Namens. Er that es nicht, der Edle; er blieb arm; er behielt die Schande und schwieg. Was sagen Sie dazu?«
Rudolph antwortete nicht.
»Kennen Sie diesen jungen Mann?«
»Erst nach einigen Augenblicken sagte er:
»Milda, da hat mir Jemand einen recht, recht unangenehmen Strich durch meine Rechnung gemacht. Wer es auch sei, ich muß ihm zürnen und möchte es ihm nie vergeben.«
»Wollen Sie gegen ihn unedler sein als gegen mich?«
»Sie haben Recht. Aber eingestanden, daß ich nicht blos Sandau, sondern von Sandau heiße, ist denn das für Sie so ein großer Grund, sich unglücklich zu fühlen?«
»Ja, ein sehr großer.«
»Warum?«
»Darf ich ganz offen sein?«
»Ich bitte darum!«
»Auch wenn das, was ich sage, nicht ganz weiblich zurückhaltend klingen wird?«
»Sprechen Sie getrost. Ich werde Sie nicht mißverstehen, jetzt nicht und überhaupt nie.«
»Wäre ein Anderer der Betreffende, so würde ich ihm Alles geben, was ich besitze, und dann mich meiner Armuth freuen. Mein Herz wäre dabei unbetheiligt.«
»Und jetzt? Ist es anders?«
»O, wie anders! Rudolf, nicht wahr, wir lieben uns, lieben uns herzlich?«
»Herzlich und innig, meine Milda!«
»Und grad das ist's, was mich so unglücklich macht. Hätte ich einem Fremden Alles geben müssen, so wäre es mir doch erlaubt gewesen, Ihnen zu gehören. Der bürgerliche Baumeister hätte mich geliebt und über den Makel meines Namens weggesehen. Der Baron aber, der Sie sind, kann das nicht. Wir müssen unsere Liebe begraben, und ich kann nichts thun, als in Verborgenheit zu verschwinden. Jedenfalls finde ich eine Freistatt bei meinem Bruder Max. Ich werde Sie nie vergessen und wünsche Ihnen aus treuer, steter Liebe und für ihren beispiellosen Edelmuth des Himmels reichsten Segen. Morgen sollen Sie alle Papiere empfangen, mit Hilfe deren Sie die Ehre Ihres Namens leicht wieder herzustellen vermögen. Ein Inventarium all meines bisherigen ungerechten Besitzthums liegt dabei. Es gehört Alles Ihnen, und ich bitte nur, meine Kleider und die persönliche Wäsche behalten zu dürfen.«
Sie sagte das halblaut und mit unterdrücktem Schluchzen.
»Milda,« rief er aus. »Was denken Sie von mir! Sie sprechen von meinem beispiellosen Edelmuthe und trauen mir doch zu, gegen Sie, grad gegen Sie so beispiellos ohne alle und die mindeste Rücksichtsnahme zu handeln! Nein, nein! Ich habe an den Fall gedacht, daß Sie entdecken könnten, daß ich der Gesuchte bin, und mir reiflich überlegt, wie ich in diesem Falle zu handeln habe. Soll ich es Dir sagen?«
»Bitte, Rudolf!«
»Nämlich der König weiß Alles – «
»Wer hat es ihm gesagt?« fragte sie schnell.
»Der Sepp.«
»Ist der so eine unvorsichtige Plaudertasche?«
»O bitte! Ich glaube nicht, daß wir ihm mit Recht diesen Namen geben dürfen. Eine Unvorsichtigkeit ist es nicht von ihm.«
»Hat er es mit Deiner Einwilligung gethan?«
»Nein. Er hat dieselbe nicht nachgesucht, denn er wußte ganz genau, daß ich sie ihm verweigert hätte; aber meiner Mutter hat er Andeutungen gemacht und, da sie ihn nicht deutlich verstand, aus ihren Worten wohl die Ueberzeugung geschöpft, daß sie ihre Zustimmung gebe. Seine Absicht war jedenfalls eine sehr gute.«
»Davon bin ich gern überzeugt, denn ich kenne ihn. Eine böse oder schlimme Absicht kann der alte Sepp wohl überhaupt niemals verfolgen.«
»Auf keinen Fall. Er hat es wirklich und ernstlich gut gemeint. Wie die Sachen stehen, kann unsere Angelegenheit nicht ohne das Einschreiten der königlichen Huld so geordnet werden, daß für beide Theile eine Befriedigung erwächst.«
»Wie meinst Du das?«
»Die verlorene Ehre meines Vaters kann unmöglich auf gewöhnlichem Wege wieder hergestellt werden, ohne daß die Deinige darunter leidet.«
»Das ist freilich wahr.«
»Wenn ich diese Angelegenheit bei der Gerichtsbehörde anhängig machte, was doch der gesetzlich vorgeschriebene Weg ist, so würden die Untersuchungsacten hervorgesucht werden müssen, damit der Fall von Neuem verhandelt werde. Ich müßte die Beweise von der Unschuld meines Vaters, welche sich in Deiner Hand befinden –«
»Und welche ich Dir natürlich unbedingt und unweigerlich zur Verfügung stellen werde,« unterbrach sie ihn.
»Dessen bin ich überzeugt. Ich mußte diese Beweise dem Vertheidiger übergeben und sie also zur Kenntniß des Staatsanwaltes bringen. Die Folge davon wäre natürlich, daß die Unschuld meines Vaters und die Schuld des Deinigen erwiesen würde. Den Letzteren würde man in contumaciam verurtheilen, ja man würde vielleicht sogar nach seinem gegenwärtigen Aufenthalte forschen, um ihn persönlich herbei zu bringen, und auf alle Fälle würde sein Name der Ehre beraubt.«
»Das würde allerdings geschehen. Und darauf bin ich ja auch vorbereitet.«
»Warum aber soll das geschehen, wenn es einen Weg giebt, die Unschuld meines Vaters zu beweisen, ohne daß auf den Deinigen ein öffentlicher Makel fällt?«
»Du meinst, daß dies möglich sei?«
»Gewiß. Ich habe mich Dir bisher nicht zu erkennen gegeben, weil ich Dich liebe und weil mir die Ruhe Deines Herzens noch heiliger ist als die meinige. Aber ich sagte mir doch, der Fall könne eintreten. Du möchtest auf irgend eine Weise erfahren, daß ich der von Dir Gesuchte sei. Dann wollte ich auf das Betreten des gerichtlichen Weges verzichten. Ich wollte mir die Beweise von Dir erbitten und sie in die Hände des Königs legen. Der Monarch wird sich überzeugen, daß mein Vater unschuldig gewesen ist, und in seiner Hand steht die Macht, dies zu veröffentlichen und unsere Ehre zu restituiren, ohne daß die Deinige oder diejenige Deines Vaters angetastet wird. Der König hat sich bereit dazu gezeigt. Er hat dem Sepp erklärt, daß er um Deinetwillen die Schuld Deines Vaters unerwähnt lasten wolle. Auf diese Weise kann die Angelegenheit zur beiderseitigen Zufriedenheit geordnet werden. Das haben wir dem Sepp zu verdanken, und darum dürfen wir ihm nicht zürnen, daß er Schritte gethan hat, zu denen er sich nicht vorher die Erlaubniß von uns einholte.«
»Wenn Du die Sache so darstellst, habe ich ihn allerdings zu loben anstatt zu tadeln.«
»Ja, er weiß stets, was er thut.«
»Aber dennoch habe ich ein Bedenken.«
»Welches?«
»Wird man auch wirklich allgemein an die Unschuld Deines Vaters glauben, wenn dieselbe nicht durch Nennung des eigentlich Schuldigen erwiesen wird?«
»Warum nicht?«
»Man wird glauben, daß es sich nur um einen Act königlicher Gnade handle.«
»Daran ist nicht zu denken.«
»O gewiß!«
»Nein, nein! Bedenke, daß die That in Oesterreich geschehen ist. Der König hat also nicht die Gewalt, eigenmächtig zu verfahren. Die Unschuld meines Vaters muß nach österreichischen Gesetzen und vor einer österreichischen Untersuchungsbehörde erwiesen werden. Dies ist keineswegs zu verhindern. Aber der König kann durch seinen Einfluß, durch seine Vermittelung erreichen, daß nichts von den Einzelheiten dieser Untersuchung verlautet, und daß nur das Ergebniß derselben in die Oeffentlichkeit dringt. Meinst Du, daß man auch dann an der Wahrhaftigkeit des Ergebnisses zweifeln werde?«
»Nein, dann wohl nicht.«
»So mußt Du also erkennen, daß Du gar keinen Grund zur Bekümmerniß hast. Du kannst ganz ruhig sein. Dein Name bleibt vollständig unerwähnt.«
»Und doch ist das eine Zartheit von Dir, für welche ich Dir niemals werde danken können.«
»Ich habe keinen Dank verdient. Ich handle nur nach meiner Verpflichtung. Es wäre ja gradezu ein Verbrechen von mir, eine Unschuldige so unheilbar zu kränken. Du bist mir also zu gar nichts verpflichtet.«
»O doch, Rudolf! Unsere Lebenswege gehen zwar nun auseinander, aber ich werde stets, stets an Dich und Deine Großmuth denken – – – «
»Bitte, Milda, sprich nicht so! Es giebt keinen Grund dazu, daß wir scheiden sollen, nicht den geringsten.«
»Das sagst Du eben aus Großmuth.«
»Nein, nein; es giebt wirklich keinen.«
»Es giebt sogar zwei. Mag die Schuld meines Vaters verschwiegen werden, wir Beide kennen sie doch!«
»Nun, was ist da weiter?«
»Auch Deine Mutter kennt sie, ebenso der König, der Sepp und Bruder Max nebst seiner Mutter. Es sind also genug Leute vorhanden, denen sie kein Geheimniß ist.«
»Fürchtest Du vielleicht, daß eine dieser Personen Etwas verrathen werde?«
»Nein. Aber sie würden es mir schwer anrechnen, wenn ich es duldete, daß das Leben der Tochter des Schuldigen an das Leben des Sohnes des Unschuldigen gekettet werde.«
»Welche unnütze Befürchtung! Grad damit wir vereinigt werden können, sind alle diese Personen bemüht, die Sache so zu lösen, daß Dein Vater nicht dabei genannt werde. Ich bitte Dich von ganzem Herzen, laß dieses Bedenken fallen! Es ist völlig grundlos. Und ich hoffe, daß Dein zweiter Grund ebenso wenig stichhaltig ist.«
»Er ist wohl noch wesentlicher als der vorige.«
»Darf ich ihn erfahren?«
»Natürlich! Von diesem Augenblicke an bin ich arm. Dir gehört Alles, was ich bisher besessen habe.«
»Das ist noch fraglich.«
»Nein, es ist gewiß.«
»Wollen wir es auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen lassen, Milda?«
»Um Gotteswillen, nein!«
»Das würde ich unbedingt thun. Und selbst wenn mir die Behörde Alles zuspräche, würde ich nicht den Werth auch nur einer Stecknadel von Dir annehmen.«
»Du müßtest doch!«
»Wer könnte mich zwingen?«
»Eben die Behörde, indem sie es Dir zuspricht.«
»Das möchte sie thun; aber mich wirklich zwingen, den Besitz auch factisch anzutreten, dazu hat kein Mensch und keine Behörde die Gewalt.«
»Was würdest Du denn thun?«
»Und wenn ich es nicht behielte?«
»So würde ich es verschenken.«
»Rudolf!« rief sie aus.
»Ja,« erklärte er eifrig, »ich würde es verschenken. Alles, Alles! Du hättest also Dein Eigenthum von Dir geworfen, ohne mir auch nur für einen Pfennig Nutzen zu schaffen.«
»Das wäre unrecht, höchst Unrecht von Dir!«
»Nein. Warum willst Du Dich partout von mir scheiden! Wenn ich Dich nicht haben soll, so verzichte ich auch auf alles Andere. Ich bin ja gern, gern bereit, Alles, Alles was Du hast, aus Deiner Hand zu nehmen, als ein Geschenk oder auch als mein rechtmäßiges Eigenthum – – –«
»So thue es doch!«
»Sehr gern, doch nur unter einer Bedingung, daß Du auch Dich mir schenkst.«
»Rudolf, das kann, das kann ich nicht.«
Da ergriff er ihr Köpfchen, drückte es an sich und sagte:
»Komm, lege Dein kleines, liebes, hartes Trotzköpfchen einmal an mein Herz und höre mich an. Ich habe Dir gesagt, wie Alles werden kann und werden soll. Meine Worte sind vergeblich. Du meinst, daß Ehre und Eigenthum zwischen uns stehen. Aber besteht denn nicht die beste und einzige, friedliche Lösung des ganzen Conflictes darin, daß wir Beides, Ehre und Eigenthum, mit einander besitzen? Ich habe bisher geglaubt, daß Du mich lieb habest, jetzt aber muß ich daran zweifeln.«
»Rudolf, das darfst Du nicht.«
»O gewiß, ich muß zweifeln. Was ist alles Andere gegen eine große, wahre, wirkliche Liebe. Sagt nicht die heilige Schrift, daß die Liebe Alles verträgt, Alles glaubt, Alles hofft. Alles duldet und auch Alles überwindet? Und die Deinige will nichts, gar nichts hoffen und überwinden.«
Sie blieb schweigend und an ihn gelehnt stehen. Nach einigen Augenblicken antwortete sie mit stockender Stimme:
»Rudolf, Du weißt, wie ich Dich liebe.«
»Bisher habe ich es geglaubt.«
»Glaube es, glaube es auch weiter! Meinst Du, daß es mir ein Leichtes ist, von Trennung zu sprechen? Grad dies muß Dir beweisen, daß ich Dich wahr und selbstlos liebe.«
»So ist meine Liebe nicht so selbstlos wie die Deinige. Sie ist egoistisch, Ich will glücklich sein, glücklich, glücklich; hörst Du wohl? Und das kann ich nur sein, wenn ich Dich habe. Du willst mir ein großes, schweres Opfer bringen, indem Du mir Alles giebst und nichts behältst. Ich kann es nicht annehmen. Dafür aber erbitte ich mir ein anderes Opfer. Gieb Dich mir! Du bist mir werther und lieber als Alles. Nur mit Dir nehme ich auch das Andere. Willst Du, meine Milda? Willst Du?«
Er beugte sich tief zu ihr nieder. Er hatte so innig und dringend gesprochen, daß sie die Arme um ihn schlang und leise antwortete:
»Würdest Du es nicht bereuen?«
»Nein, niemals!«
»Und was wird Deine Mutter dazu sagen?«
»Sie wird ganz glücklich sein, da Du ihr damit den innigsten und herzlichsten Wunsch erfüllst.«
»So bin ich ihr willkommen?«
»Hoch willkommen! Sie hat Dich lieb gehabt von dem Augenblicke an, an welchem Du zum ersten Male zu ihr nach Eichenfeld kamst. Drum sag, willst Du nun endlich mein sein?«
»Ja, Rudolf, ich will. Versuche es mit mir. Ich werde mir Mühe geben, Euch vergessen zu machen, was mein Vater Euch gethan hat.«
»Es ist vergeben und vergessen. Dadurch, daß sein Kind mein Eigen wird, ist Alles gesühnt.«
Er drückte sie fest, fest an sich und küßte sie. Sie hielt ihn innig umschlungen und weinte vor Freude und Rührung.
Sie achteten nur auf sich und bemerkten also nicht, daß eine hohe Gestalt langsam auf sie zukam.
Es war der König. Auch er war tief in Gedanken versunken. Er hatte den Garten aufgesucht, um dem Geräusche zu entfliehen, welches durch die im Theater vorzunehmenden Vorbereitungen verursacht wurde. Erst als er sich bereits in ihrer Nähe befand, bemerkte und erkannte er sie.
»Ah, Herr von Sandau,« sagte er, indem er das Wörtchen »von« betonte, »ist die Lösung des Conflictes erreicht?«
Milda machte in mädchenhafter Scham eine Bewegung, als ob sie entfliehen wolle. Rudolf aber hielt sie fest und antwortete, indem er sich tief verneigte:
»Ich habe gefunden, was ich suchte, Königliche Majestät, Glück und Erhörung.«
»So halten Sie es fest, dieses Glück. Ihr König wird das Seinige thun, es zu befestigen. Senden Sie mir seiner Zeit die betreffenden Unterlagen ein, und nehmen Sie jetzt meine aufrichtigen Glückwünsche!«
Er legte Milda leise die Hand auf das Haupt und schritt dann langsam weiter.
Rudolf zog die Geliebte an sich und sagte leise und gerührt.
»Seine Hand lag auf Ihrem Scheitel. Du besitzest den Segen unseres Königs; er ist die Gewähr, daß unser Glück kein Ende nehmen wird.«
Die Arme um einander geschlungen, schritten sie in entgegengesetzter Richtung davon, um den König nicht zu stören.
Als sie in das Innere des Theaters gelangten, trat ihnen Frau von Sandau entgegen. Dieselbe hatte beobachtet, daß sie sich vorhin entfernten, und nun ihre Rückkehr mit Sehnsucht erwartet. Als sie die Augen ihres Sohnes so hell und glücklich leuchten sah, rief sie freudig aus:
»Ist es Dir gelungen, ihre Bedenken zu besiegen, Rudolf?«
»Wohl noch nicht ganz. Aber sie will mein sein. Hier hast Du Deine Tochter, liebe Mutter.«
Milda eilte in die Arme der Frau, welche sich zärtlich um sie schlossen. Die warmen Worte, welche zwischen ihnen gewechselt wurden, waren nicht zu hören unter den Klängen des Orchesters, welches jetzt eine Einleitung zu spielen begann.
Dann erklangen die rauschenden Takte der Polonaise, welche auf den Karten als erster Tanz verzeichnet war.
Der alte Sepp stand hinter der Coulisse und schaute sich nach einer Tänzerin um. Da kam die Leni herbei.
»Sepp, tanzest die Polonaise?« fragte sie.
»Natürlich.«
»Mit wem?«
»Ich hab mir eben die alte Barbara sucht.«
»Nein. Diesen ersten Tanz bekommst von mir.«
Sein Auge leuchtete freudig auf.
»Was? Mit Dir soll ich sie tanzen?« rief er. »Weißt denn nicht, daßt halt die Königin vom Ballfest bist?«
»Kein Wort weiß ich davon. Hier ist ja die Eine grad so wie die Andere.«
»Nein. Du bist doch die Schönst und Best von Allen, und daßt grad zum alten Seppen kommst, das ist eine große Ehren für mich.«
»Also willst?«
»Ja freilich!«
»So mach und thu den Arm her, denn wir Beid müssen die Polonaise kommandiren.«
»Auch noch? Na, da schau, was ich für Dummheiten machen werd! Wann ich falsch lauf, so wink und pfeif nur laut, damit ichs hören thu!«
Trotz dieser Worte, welche nicht viel Sicherheit und Selbstbewußtsein verriethen, schritt er unendlich stolz neben seinem Lieblinge her, und da er gut aufmerkte, so brachte er es glücklich fertig, keinen Fehler zu begehen.
Kurz vor dem Schlusse der Polonaise erkundigte sich die Leni:
»Weißt, wo dera Anton ist?«
»Ja. Er sitzt in dera Fremdenlogen oben und schaut heimlich auf uns herab.«
»Er hat sich den nächsten Tanz bestellt.«
»Hast ihm denselben geben?«
»Er bekommt ihn nicht. Hol nur gleich jetzt seine Eltern, wann wir fertig sind.«
Die Polonaise ging zu Ende, und der Sepp begab sich nach dem Zimmerchen, in welches er die alten Warschauers geschafft hatte. Er unterhielt sich mit ihnen. Als aber die Musik anstimmte, führte er sie hinaus nach den Coulissen.
Auf der andern Seite stand die Leni. Wie sie erwartet hatte, kam Anton herbei geeilt. Er verbeugte sich und bot ihr den Arm.
»Was wünschen Sie?« fragte sie im Tone des Erstaunens.
»Diese Tour.«
»Sie – – –?!«
»Natürlich! Sie gehört mir ja!«
»Ihnen? Davon weiß ich kein Wort.«
Er trat einen Schritt zurück, maß sie mit zornigem Blicke und sagte:
»Willst Du mich beleidigen?«
»O nein. Wir stehen uns ja so fern, daß eine Beleidigung zwischen uns gradezu eine Unmöglichkeit ist.«
»Schön, so bitte ich also um Deinen Arm!«
»Ich sehe keine Veranlassung dazu.«
»Donnerwetter! Du hast meinen Namen ja auf Deine Tanzkarte notirt!«
»Ihren Namen? Da muß ich mich denn doch wohl überzeugen.«
Ihre kalte, strenge, ungläubige Miene brachte ihn in zornige Aufregung.
»Ja, da steht es!« rief er. »Zeig her!«
Er riß ihr die Karte aus der Hand.
»Herr, was fällt Ihnen ein!« zürnte sie. »Ich habe zwar stets daran gezweifelt, daß es Ihnen gelingen werde, sich einige, wenigstens äußerliche Bildung anzueignen; aber daß Sie einer Dame ihr Eigenthum entreißen, daß ist denn doch zu stark!«
Da trat er ganz nahe an sie heran und sagte in zischendem, halblautem Tone:
»Leni, rege mich nicht noch weiter auf, sonst geschieht Etwas, was Dir nicht lieb ist!«
»Oder vielmehr Etwas, was Ihnen nicht gefällt, mein Herr Criquolini.«
»Hier steht der Name. Der Tanz gehört mir!«
Er hielt ihr die Karte vor die Augen. Sie nahm ihm dieselbe, blickte darauf, that als ob sie sich besinne und sagte dann:
»Dieser Name ist freilich auch der Ihrige; aber ich habe einen andern Herrn gemeint.«
Bei diesen Worten gab sie dem in der gegenüberliegenden Coulisse stehenden Sepp einen heimlichen Wink, worauf dieser dem alten Warschauer sagte, da drüben stehe die Leni und wolle ihn sprechen.
»Einen anderen Tänzer?« sagte Anton. »Das dulde ich nicht!«
»Sie werden es sich doch gefallen lassen.«
»Nein. Ich mache schauderhaften Scandal!«
»Vielleicht doch nicht, wenn Sie den Herrn sehen, mit dem ich tanzen will.«
»Mag er sein, wer er will!«
»Das werden Sie gleich sehen. Da kommt er.«
Der Anton drehte sich um und erbleichte. Er fuhr erschrocken um einige Schritte zurück.
»Mein Vater!« rief er aus.
»Kennen Sie ihn überhaupt noch?« fragte die Leni. »Das ist ja gradezu ein Wunder.«
»Mein Vater!« wiederholte er.
Er war kalkweiß im Gesicht geworden.
»Wenn Sie mir erlauben, sende ich Ihnen noch Jemand,« sagte die Leni, indem sie sich entfernte.
Der alte Warschauer stand jetzt bei seinem Sohne.
»Anton, endlich, endlich!« rief er, ihm beide Hände entgegenstreckend.
Der Sohn erhob seine Hände nicht, um sie dem Vater zu geben. Der Schreck hielt ihn noch gefangen.
»Vater, Vater! Wie kommst hierher?« fragte er.
»Mit dem Herrn Pfarrern und dem Kapellenbauer.«
»Warum?«
»Um Dich zu schauen.«
»Wer hat Euch sagt, daß ich hier bin?«
»Die Leni. Sie hat uns einladen und uns dreihundert Gulden geben, damit wir was zu essen haben und Kleider kaufen können.«
»Sie also, sie und immer sie!«
»Ja, sie hat für uns sorgt. Du aber nicht.«
»Wie gehts dera Muttern?« erkundigte sich Anton, den schweren Vorwurf überhörend.
»Sie ist doch auch hier.«
»Wo denn, wo?«
»Dort! Da kommt sie!«
Er zeigte zurück, von woher jetzt die alte Frau herbei eilte.
»Anton, mein lieber Anton!« rief sie aus, vor Freude weinend. »Da hab ich Dich endlich!«
Sie schlang ihre Arme um ihn.
Er wußte nicht, was er sagen solle. Er wollte reden, brachte aber kein Wort heraus. Er hatte seiner armen, alten Eltern nicht gedacht, und doch waren sie so glücklich, ihn zu sehen. Er blickte in die abgehärmten Gesichter – – abgehärmt? O, wohl noch mehr abgehungert! – – – und schlug die Hände vor das Gesicht.
Dann drückte er sie an sich, die Mutter mit dem rechten und den Vater mit dem linken Arm.
»Mutter, Vater!« rief er aus. »Was habe ich than! Wie ungut bin ich gewest!«
»Sei still!« bat die Alte. »Wirst keine Zeit habt haben. Jetzt hat die Leni für uns sorgt. Nachhero später wirst vielleichten auch Du – –«
Sie hielt inne, denn ihr Sohn hatte den Arm von ihr gelassen und sah nach der Richtung, in welcher sie auf Leni zeigte.
»Ah!« sagte er. »Sie tanzt, und doch hat sie mir diese Tour versprochen!«
Er starrte auf sie und auf ihren Tänzer.
»Wer ist dera seine, noble Herr, den sie bei sich hat?« fragte sein Vater. »Ah, das ist doch dera Graf, der bei uns gewest ist!«
»Kennt Ihr ihn?« fragte Anton.
»Ja. Er war mit der Leni oben auf der Alm.«
»Mit ihr, mit ihr? Ganz allein?«
»Ja. Und nachhero sind wir mitsammen bei dem Kapellenbauern blieben.«
»Er mit ihr auf der Alm! Auf welcher?«
»Auf dem Kapellenbauern der seinigen.«
»Also auf der ihrigen, wo's früher gewest ist?«
»Ja.«
»Himmeldonnerwettern! Wartet einmal! Ich werd nachhero gleich wieder kommen.«
Er sprang fort und schlüpfte zwischen den Tanzenden hindurch bis vor Leni und den Grafen hin, welche soeben ihre Tour beendet hatten und, abseits stehend, mit einander sprachen.
»Da kommt er!« flüsterte sie ihm zu.
»Ich werde ihn streng empfangen!«
»Nein, nicht streng sondern nur ruhig! Bitte!«
Jetzt war der Anton da. Er richtete den flammenden Blick auf die Beiden und sagte zur Sängerin:
»Du tanzest, tanzest mit einem Andern? Und doch gehört diese Tour mir!«
»Sie gehörte Ihrem Vater,« antwortete Leni. »Und da derselbe keine Zeit hatte, konnte ich natürlich anderweit über sie verfügen.«
»Nein, sie gehörte mir!«
»Ich habe den Namen Warschauer aufgeschrieben und damit nicht Sie, sondern Ihren Vater gemeint!«
»Das geht mich nichts an. Nicht mein Vater hat um den Tanz gebeten, sondern ich habe Sie engagirt!«
Er befand sich in einer gewaltigen Aufregung. Es war ihm gar wohl zuzutrauen, daß er in derselben eine Gewalttätigkeit begehen werde. Darum nahm der Graf das Wort:
»Meiner Ansicht nach stehen beide Fälle sich gleich. Sie und Ihr Vater hatten sich zu begrüßen; dadurch wurde die Dame frei.«
»Aber warum für Sie?«
»Weil ich sie engagirte.«
»Gut! Jetzt aber bin ich nicht mehr verhindert. Ich will meine Tänzerin haben!«
Der Graf zuckte die Achsel.
»Thut mir leid! Jetzt nun ist das Engagement mein.«
»Dann eine Extratour.«
»Ich als Herr, der sie engagirte, habe das Recht, Ihnen diese Extratour zu verweigern.«
Da flammten Antons Augen auf, und seine Hände ballten sich.
»Herr! Wissen Sie, was Sie thun?«
»Sie wagen viel!«
»O nein, sondern die Dame würde ein Wagniß begehen, wenn Sie mit Ihnen tanzte.«
»Wieso?«
»Sie würde sich der Gefahr aussetzen, daß ich mich von ihr von dem Augenblicke an fern hielte, an welchem sie sich von dem Geliebten der Tänzerin und Einbrecherin Valeska berühren ließ.«
Das war freilich eine Beleidigung! Der Anton machte ein Bewegung, als ob er sich auf den Grafen stürzen wolle.
»Herrrrrrr Criquolini!«
Das klang so stolz, so befehlend und zurückweisend, daß Anton einen Schritt zurückwich; aber er rief mit knirrschender Stimme:
»Graf, das ist eine todeswürdige Beleidigung!«
»Pah!« antwortete der Graf achselzuckend.
»Ich werde Sie fordern lassen!«
»Ich habe Ihnen bereits in Wien gesagt, daß ich Sie nicht für satisfactionsfähig halte.«
»Sie schlagen sich nicht mit mir?«
»Nein.«
»So werde ich Sie zwingen.«
»Das vermögen Sie nicht, denn schlüge ich mich mit Ihnen, so würde dann ich meine Satisfactionsfähigkeit einbüßen, und gegen etwaige Gewaltthätigkeiten giebt es Gesetze und polizeilichen Schutz.«
Anton zog die Arme ein und duckte seinen Oberkörper, als halte er sich sprungbereit.
»Sehen Sie dort!«
Bei diesen Worten deutete der Graf nach dem Eingange. Dort standen mehrere Polizisten. Sie waren für alle Fälle requirirt worden, und der alte Sepp, der Alles beobachtete, hatte sich dorthin postirt, als er sah, daß Anton zum Grafen und der Leni eilte.
»Alle tausend Teufel!« zischte der Sänger. »Sie haben also wirklich Polizei geholt.«
»Wie Sie sehen.«
»So fürchten Sie sich vor mir?« lachte er höhnisch.
»O nein. Aber es galt, auf alle Fälle meine Dame zu schützen. Gegen einen anständigen Gegner hätte ich ausgereicht.«
»Sie haben den Teufel zu schützen, nicht aber die Leni, welche mir gehört!«
»Ihnen? Davon weiß ich kein Wort!«
»Sie wissen, daß sie meine Geliebte ist!«
»Das ist mir unbekannt!«
»Daß sie es wenigstens war!«
»Daß Sie sich gekannt haben, weiß ich; aber von einem wirklich innigen Verhältnisse, von einem näheren Umgange war keine Rede.«
»Das war und ist nicht nöthig. Sie war, ist und bleibt meine Geliebte, mein Eigenthum!«
»Signor Criquolini, Sie befinden sich da in einem gewaltigen Irrthume. So viel ich weiß, ist Fräulein Leni allerdings verlobt, aber nicht mit Ihnen.«
»So? Mit wem denn?«
»Der Betreffende steht vor Ihnen.«
Er deutete dabei auf sich selbst.
»Was, was wollen Sie damit sagen?«
»Daß Signora Ubertinka seit Kurzem meine Verlobte, meine Braut ist.«
Es war, als ob Anton zu Stein erstarre. Er sah die Beiden nicht an, sondern hier war der vulgäre Ausdruck ganz am richtigen Platze: er klotzte sie an. Sein Blick war völlig ausdruckslos, und kein Zug seines Gesichtes bewegte sich.
»Ihre – Ver – lob – te!« stammelte er.
»Wie Sie hören!«
»Ih – – re – – Braut!« fuhr er mühsam fort. »Das – das – ist – nicht – möglich!«
»Ich sage es Ihnen und versichere, daß ich noch nie wissentlich die Unwahrheit gesagt habe.«
»Ists – – wahr – – Leni?«
»Ja,« antwortete sie, indem sie den Arm um den Grafen legte. »Ich bin so unendlich glücklich, die Braut Arnims zu sein.«
»Ar – nim! Arnim nennt sie ihn! Da ist es wahr; da ist es freilich wahr!«
Er legte die Hand vor die Augen, als ob ihn ein plötzliches, grelles Licht blende, und wendete sich von ihnen ab.
Wankenden Schrittes und unsicheren Ganges bewegte er sich über die Bühne, dahin, wo seine Eltern standen. Aber er beachtete dieselben nicht, er blickte sie gar nicht an, sondern er schritt an ihnen vorüber.
»Anton, hier sind wir!« sagte seine Mutter.
Er hörte es nicht.
»Anton, Anton! Siehst uns denn nicht?«
Er ging weiter, in den Gang hinein und trat in sein Garderobezimmer, dessen Thür er hinter sich verriegelte.
»Das hat ihn getroffen!« sagte der Graf.
»Sehr, sehr, wie ein Schlag!« nickte Leni.
»Ich wünsche, daß es nicht von kurzer Wirkung für ihn sei. Vielleicht bessert es ihn.«
»Ich möchte darum beten! Vielleicht wird er nun seinen Eltern ein braver Sohn.«
»Wenn er sich nur nicht noch mehr verhärtet!«
»Dagegen wollen wir sorgen. Wenn wir ihn jetzt allein lassen, so nimmt wohl der Zorn und die Verbitterung die Oberhand.«
»Willst etwa Du zu ihm?«
»Nein, o nein. Ich habe Deine Geduld bereits allzu sehr mit ihm in Anspruch genommen. Ich werde ihm eine Andere senden, welche, so Gott will, mehr Macht über ihn hat als ich.«
Sie trat zu Antons Eltern und wurde von dessen Mutter im ängstlichen Tone angesprochen:
»Was ists mit dem Anton? Was hat er mit Dir habt?«
»Er hat etwas erfahren, was er nicht für möglich gehalten hat.«
»Er sah so ganz verschrocken aus, so wie ich ihn im Leben noch gar nie sehen hab.«
»Es mag ihn allerdings angriffen haben.«
»Was hast ihm denn sagt, daß er darüber gar so ganz von sich kommen ist.«
»Daß ich verlobt bin.«
»Verlobt? Wie? Hast einen Bräutigam?«
»Ja.«
»Herrgott! Wer ists denn?«
»Graf Senftenberg.«
»Mit dem jetzt tanzt hast?«
»Ja.«
»Leni, was sagst! Der wird Dein Mann?«
»Ja, meine liebe Mutter Warschauer.«
»So wirst gar so reich und eine Gräfinnen?«
Die alte Frau schlug die Hände zusammen, daß es schallte, und ihr Mann machte ein Gesicht, auf welchem Freude und Enttäuschung mit einander kämpften.
»O, das ists nicht, was mich so glücklich macht. Ich würde ihn ebenso innig lieb haben, wenn er nicht so reich und kein Graf wäre.«
»Ja, ein gar braver Herr muß er sein; das haben wir freilich sehen.«
»Gönnsts doch dera Leni, daß sie so einen guten Mann bekommen thut?«
»Von ganzem Herzen! Aber Einer kann mir leid thun, dera Anton. Der ist ganz außer sich.«
»Er ist selber schuld.«
»Ja, heut konntst bereits längst seine Frauen sein. Er ist halt dumm gewest.«
»Wir waren nicht für einander bestimmt.«
»O doch! Dera Herrgott hats schon haben wollen, aberst dera Anton hat sein Glück mit denen Füßen von sich stoßen. Was mag er machen?«
»Willst nicht nach ihm sehen?«
»Ja. Weißt, wo er ist?«
»Er trat in den Gang. Wenn er nicht ganz fort ist, so befindet er sich in seiner Garderobe.«
»So bitt, zeig mir dieselbige!«
Leni führte die alte, besorgte Frau nach der Thür derselben. Als sie klinkte, fand sie diese verschlossen.
»Er ist drin,« sagte sie. »Klopf so lange, bis er öffnet, und laß nicht los. Es könnten ihm sonst dumme Gedanken kommen.«
Sie entfernte sich, und die Frau begann zu klopfen. Sie that dies lange vergeblich. Endlich hörte sie drinnen rufen:
»Wer ist draußen?«
Die Stimme klang so eigenthümlich, ganz anders als diejenige ihres Sohnes.
»Ich bins, Deine Muttern,« antwortete sie.
»Was soll ich?«
»Mach auf, und laß mich eini!«
»Ich kann Dich nicht brauchen.«
»Sei doch gut, und laß mich hinein! Ich möcht mit Dir reden, Anton.«
»Später!«
»Nein, jetzund.«
»Mutter, ich bitt, laß mich allein!«
»Nein, grad allein sollst nicht sein, und wannst mir nicht aufmachst, so hol ich alle Andern herbei und mach halt einen Spektakeln!«
Die Angst gab ihr diese Drohung ein, welche nicht ohne Erfolg blieb, denn er öffnete die Thür und sagte:
»So komm! Wirst Dich aberst nicht gar sehr an mir erlustiren.«
Er kehrte sogleich wieder auf den Stuhl zurück, auf welchem er gesessen hatte. Seine Mutter machte die Thüre zu und trat näher.
»Herrgottle, wie schaust aus!« rief sie erschrocken, als sie sein Gesicht erblickte.
Es war alle Farbe aus demselben gewichen. Er sah in diesem Augenblicke um dreißig Jahre älter aus, als er war.
»Gefall ich Dir nicht?« fragte er.
Es klang wie Selbstironie und wie ein tiefer, tiefer Schmerz aus seinem Tone. Seine Stimme war belegt; sie hatte eine Klangfarbe, die noch niemals an ihr wahrgenommen worden war. Er saß gebückt, die Ellbogen auf den Knieen und das Gesicht in die Hände gelegt. Sein Auge hatte einen fast irren Blick und einen fieberhaften Glanz.
»Nein,« antwortete sie. »So gefällst mir freilich nicht, gar nicht, Anton!«
»Ich sollt meinen, daß ich Dir und dem Vatern schon lange nicht gefallen hätt!«
»Warum?«
»Weil ich so ein Wüster und Unguter war.«
»Anton, sag das doch nicht!«
»Ich muß es sagen, weil es die Wahrheiten ist. Ich bin allezeit ein schlechter Bub gewest.«
»Kind, Kind! Willst mich zum Weinen bringen!«
»Nein, Mutter, weine nicht! Wirst gar oft schon über mich weint haben. Ich seh Dirs halt an. Hast vor Leid weint über mich und auch gar vor Hunger.«
»Nein, nein! Wir haben allzeit was zu essen habt. Da brauchst Dich nicht zu sorgen.«
»Nein, nix habt Ihr habt, gar nix, wann die Leni Euch kein Geld schickt hätt.«
»Aber sie hat doch immer welches schickt!«
»Und von dem Sohne habt Ihr keins erhalten?«
»Weil wir nachhero keins brauchten.«
Er schüttelte den Kopf, zeigte auf einen Stuhl, welcher ganz in seiner Nähe stand, und sagte:
»Setz Dich herbei, Mutter! Ich muß mit Dir reden.«
Sie befolgte diese Weisung und nahm Platz.
»Schau, Mutter,« fuhr er fort, »das ist heut ein Tag, wie ich noch keinen derlebt hab. Ich hab nicht denkt, daß so was möglich sein könnt. Ich hab immer denkt, daß ich Derjenige bin, der da Recht hat und nach dem sich alle Anderen richten müssen. Nun aberst ists kommen so plötzlich und so gewaltig wie der Schlag einer Keulen. Es hat mich beinahe niederworfen.«
»Darfsts Dir halt nicht so zu Herzen nehmen.«
»Weißt denn, was es ist?«
»Ja.«
»Von dera Leni?«
»Sie wird eine Gräfin.«
»Ja, das ists! Schau, ich hätt also eine Gräfin zur Frau haben könnt, wann ich anderst gewesen wär!«
»Mußt halt denken, daß es auch noch andere Dirndln giebt!«
»Aberst eine solche nicht.«
»Mußts nur suchen!«
»Nein. Eine Leni giebts halt nicht wieder. Das weiß ich schon ganz gewiß. Ich war gar nicht werth, daß sie mir gut gewest ist. Ich hab einen Edelstein in dera Händen habt, einen gar kostbaren Diamanten. Den hab ich verkannt und für ein Stuckerl schwarze, schmutzige Kohle gehalten.«
»Meinst die Leni?«
»Ja. Sie war dera Diamant, den ich wegworfen hab. Dann ist ein Anderer kommen, der besser war und klüger als ich; der hat ihn aufgehoben. Als ich das vorhin erfuhr, hab ich denkt, daß dera Edelstein wiederum mein werden muß. Aberst damit ist es halt aus. Ich hab mein Recht verloren, und ein Menschenkind ist doch auch keine Sach, die man wegwirft und sodann wiederum wegnehmen kann, ganz so, wie es Einem beliebt.«
Er hatte in scheinbar ruhigem Tone gesprochen; aber seine Stimme klang gepreßt, und er schluckte zwischen den einzelnen Worten und machte Pausen als ob ihm das Reden sehr schwer falle.
Die alte Frau fühlte, daß die Rede ihn quälte, daß er sich selbst wehe that.
»Anton,« bat sie, »sprich doch lieber nicht davon! Es ist nicht gut.«
»O, es ist schon gut. Wann die Wunde heilen soll, muß man das wilde Fleisch herausi schneiden. Und das will ich jetzt thun.«
»Aberst das thut weh!«
»Das ist recht so, denn ich habs verdient. Ich habs schon ganz allein an Euch verdient.«
»Das sollst doch nicht sagen!«
»Es ist ja wahr! Habt Ihr denn nicht wartet, auf mich, auf einen Briefen von mir oder auf ein Geldl, das ich Euch schicken sollt?«
»Das schon zuweilen.«
»Aberst es ist nix kommen! Habt Ihr da nicht zankt und raisonnirt?«
»Ich nicht,« gestand sie.
»Du nicht, aber dera Vatern?«
»Ja, der freilich. Ich hab zuweilen weinen mußt, und da hat dera Vatern sich auch die alten Augen wischt und nachhero schimpft.«
»Schau, sogar weint habt Ihr über mich!«
»Da sind die Leutln schuld gewest, die dem Vatern von Dir verzählt haben.«
»So! Habens verzählt?«
»Oft.«
»Wer denn?«
»Die in Wien gewest sind und denen sie es sagt haben.«
»Und was haben sie sagt?«
»Daß wir hungern müssen und daßt aber Du herrlich und in Freuden lebst.«
»Herrgott! Das, das habt Ihr derfahren?«
»Es ist doch nicht wahr gewest.«
Sie sagte das im entschiedensten, zuversichtlichsten Tone. Er aber war in der kurzen Zeit dieser wenigen Minuten ein ganz Anderer geworden. Er gestand aufrichtig:
»Es ist wahr, Muttern; es ist wirklich wahr!«
»So schlimm aberst doch nicht?«
»Noch schlimmer!«
»Nein, Anton, nein!«
»O doch! Das will ich Dir gleich zeigen.«
Er zog eine wohlgefüllte Brieftasche hervor, legte sie ihr in die Hand und sagte:
»Wiegs einmal in dera Hand!«
Sie hob und senkte prüfend die beschwerte Hand und fragte.
»Was ist drin? Wohl gar ein Geldl?«
»Ja. Rath mal, wie viel!«
»Das kann ich nicht derrathen.«
»Ja, da hast Recht. Das kannst nicht derrathen, denn es ist gar zu viel für Deine Gedanken.«
»Es sind wohl Kassenbilleterls?«
»Lauter Hundertmarkscheinen.«
»Herr, mein Gott! Soll ich das glauben!«
»Ja, und es sind auch noch größere Scheinen dabei. Es sind sechzigtausend Mark.«
Sie fuhr vom Stuhle auf.
»Glaubsts wohl nicht?« fragte er.
»Nein.«
»Ich war in Amerika, wo ich für meinen Gesang gar viel bekommen hab. Noch viel, viel mehr als das hier in dera Brieftaschen, aber ich hab viel verlebt und verspielt.«
»Anton!«
»Ja, so ein schlechter Kerlen bin ich gewest.«
Er legte nun seiner neben ihm sitzenden Mutter eine aufrichtige Beichte ab. Sie weinte vor Schmerz und doch auch vor Wonne, und das half auch ihm zu Thränen, die wie eine Erlösung auf sein Gemüth wirkten. Die Reue hatte ihn gepackt, und aller Haß, alle Rache, aller Zorn war verschwunden.
»Wirst mir vergeben können?« fragte er, als er geendet hatte.
Sie schlang die Arme um ihn und erklärte unter Schluchzen:
»Anton, Du weißt gar nimmer, was eine Muttern ihrem Kind vergeben kann. Schlecht bist doch nicht gewest, sondern nur leichtsinnig, und das wird halt besser werden.«
»Von heut an wirds anderst, von heut an!«
»Ja, Anton. Hier hast Dein Geldl. Wannst einmal ein paar Guldln übrig hast, wirst nun an uns denken.«
»Nein, ich nehms nicht wieder.«
»Ich kanns doch nicht behalten!«
»Behalten sollsts, behalten mußts. Du und dera Vatern. Es ist Euer.«
»Was!« rief sie fast bestürzt. »Unser soll es sein? So ein großes Geld!«
»Es ist Euer. Ihr sollt Euch das Häusle vorrichten. Das Uebrige thun wir auf Zinsen, von denen Ihr leben könnt.«
»Dann hast doch Du aber nix!«
»O, ich hab noch hier in dera Börs lauter Goldstuckerln, fast an die tausend Mark. Für die heutige Vorstellung erhalte ich auch ein fein Spielhonorar. Das kann ich ja gar nicht verbrauchen. Und nun nehm ich ein Engagement an einem großen Theatern, oder ich geb Concerten. Da sollst halt schauen, was für ein Geldl ich verdienen thu.«
»Und das darf dera Vatern wissen?«
»Natürlich muß er es wissen!«
»Herrgott, Herrgott! Was für ein Glück ist das, was für ein Glück!«
»Wo ist er denn?«
»Draußen wird er noch stehen, im Himmel, wo die Göttern wohnten.«
»So werd ich ihn gleich holen.«
»Nein, ich hol ihn, ich selbst!«
Sie eilte hinaus und kehrte nach wenigen Minuten mit ihrem Manne zurück.
Die nun folgende Scene läßt sich gar nicht beschreiben. Die beiden Elternherzen konnten die Wonne kaum fassen, und Anton lag entzückt bald an der Brust der Mutter und bald am Herzen des Vaters. Er war ja niemals ein wirklich böser, schlechter Mensch gewesen, und wenn seine Eltern seinen Leichtsinn verziehen, so durften Andere sich nicht unterfangen, ihn zu verdammen.
Er war ein armer Teufel gewesen, ungewohnt, mit dem Gelde umzugehen. Als ihm dann das Glück und seine Stimme so große Summen in den Schooß warfen, war es da zu verwundern, wenn er sich selbst für eine Zeit verlor?
Es ist ja ein ewig wahres Bibelwort: »Ich aber sage Euch, im Himmel wird mehr Freude sein über einen Sünder, der Buße thut als über neunundneunzig Gerechte!«
Als sie sich dann endlich ausgesprochen hatten, kehrten sie auf die Bühne zurück, wo die glücklichen Paare sich fleißig im Tanze drehten.
Leni sah sie kommen. Sie machte den Grafen auf die frohen Gesichter aufmerksam:
»Schau den Anton an, lieber Arnim! Was sagst Du zu seinem Gesichte?«
»Hm! Seine Augen strahlen vor innerer Fröhlichkeit. Ich glaube, meine Leni hat da wirklich etwas Gutes angestiftet.«
»Ich hab auch still zum Herrgott gebeten, daß er es gelingen lassen möge.«
Da kam Anton herbei. Er streckte dem Grafen die Hand entgegen und sagte:
»Ich komme, um mir Ihre Verzeihung zu erbitten. Werde ich sie erhalten?«
»Gern, Herr Warschauer.«
»Und bin ich so ein schlechter Kerl, daß Sie mir Ihre Hand nicht geben?«
»Nein. Sie sind ein Anderer, wie ich zu meiner großen Freude sehe. Hier ist die Hand. Hoffentlich darf ich Sie nun wieder zu den Ehrenmännern rechnen.«
»Fragen Sie meine armen, alten, guten Eltern! Die werden Ihnen sagen, unter welche Abtheilung von Menschen ich jetzt nun zu rechnen bin. Und nun erlauben Sie mir auch, ein Wort zu Ihrer Braut zu sagen!«
Als er jetzt das herrliche Mädchen mit ruhigem, leidenschaftslosem Blicke betrachtete, sah er erst voll und ganz, was er verloren hatte. Es überkam ihn unendlicher Schmerz. Seine Augen füllten sich mit Thränen, und seine Stimme klang zitternd, als er sagte:
»Ich bin nicht gut gegen Sie gewesen, Leni, aber ich erleide meine Strafe, und so möchte ich Sie bitten, mir nicht mehr so gram zu sein wie bisher. Wollen Sie?«
»Anton, ich war stets Ihre Freundin und bin es auch noch jetzt,« antwortete sie tief gerührt.
»Und wollen Sie es auch ferner bleiben, wenn natürlich auch nur aus der Ferne?«
»Gewiß. Sie sind brav. Sie sind für eine kurze Zeit am Herzen krank gewesen; aber jetzt sind Sie wieder gesund und werden es hoffentlich auch ferner bleiben.
»Ja, ich bleibe es. Ich war sehr, sehr krank. Mein Arzt aber sind Sie gewesen. Das werde ich Ihnen nicht vergessen. Es hat bitter wehe gethan, sehr, sehr wehe. Nun aber bin ich kurirt und gebe Ihnen eine Hand des Dankes. Werden Sie mir nicht mehr zürnen?«
Sie schüttelte ihm nach kräftiger Gebirglerweise die dargebotene Hand und antwortete:
»Ich zürne nicht mehr. Haben Sie schon eine Dame, mit der Sie zu Tische gehen?«
»Ja.«
»Wer ist es?«
»Natürlich meine Mutter. Ich bin stolz auf sie.«
»Das ist sehr schön! Anton, dafür muß ich Ihnen gut sein. Richten Sie es so ein, daß Sie neben mich zu sitzen kommen!«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Ja. Und noch Eins!«
Sie sah auf ihre Tanzkarte und fuhr dann unter einem neckischen Lächeln fort:
»Ich habe da noch einen Walzer frei, den ich für Sie aufgehoben habe. Darf ich Ihren Namen dazu notiren?«
Sein Gesicht röthete sich.
»Leni,« fragte er, »haben Sie ihn mir wirklich aufgehoben, oder denken Sie erst jetzt daran, ihn mir zu geben?«
»Ich sage die Wahrheit, wenn ich gestehe, daß ich Ihnen denselben absichtlich reservirt habe.«
»So haben Sie es vorhin also doch nicht gar so schlimm gemeint, als wie es schien?«
»O doch! Aber ich hegte das feste Vertrauen zu Ihnen, daß Sie sich finden würden.«
»Nun gut, ich hatte mich verloren, besitze mich aber vollständig wieder und freue mich, nun auch den Walzer zu finden, den ich vorhin verloren geben mußte.«
So war Alles glatt und geebnet, vergeben und vergessen, und der Mißton, welcher sich in das heutige Vergnügen hatte einschleichen wollen, war verstummt.
Da, wo sich die königliche Loge befand, waren die Gasflammen verlöscht worden, doch war dieselbe so hell erleuchtet, daß man die Gestalt des Monarchen bemerkte, welcher sich in dem Hintergrunde niedergelassen hatte. Er betrachtete mit stillem Vergnügen die so verschiedenartigen Gestalten der Leute, die ihm mehr oder weniger ihr Glück zu verdanken hatten.
Nach einiger Zeit wurden die Tafeln plazirt. Der Pächter der Theaterrestauration begann, die Erzeugnisse seiner Kochkunst auftragen zu lassen.
Nun gab es bunte Reihe. Der Sepp hatte den Vorsitz, aber er war besorgt gewesen, neben sich zwei Damen zu haben, nämlich rechts die alte Barbara aus der Hohenwalder Mühle und links die alte Feuerbalzern.
Dann kamen sie Alle, wie sie sich zufällig zusammen fanden oder nach vorhergegangener Vereinbarung setzten:
Der Graf mit der Leni, neben dieser Letzteren der Anton mit seiner Mutter. Darauf folgte der früher blinde, jetzt aber sehr gut sehende Kronenbauer aus Kapellendorf mit der Mutter Ludwig Helds aus Oberdorf.
Da saßen Manche neben einander, welche sich vorher noch nie getroffen oder gesprochen hatten.
Einer der Stolzesten war der alte, brave Finkenheimer, welcher natürlich bei seiner Frau saß. Sein leuchtender Blick hing an seinen glücklichen Kindern, welche zu beiden Seiten der Eltern saßen, die Liesbetherl beim Müllerhelm und Anita, die Italienerin, bei dem Elephantenhanns, den sie mit Lorbeeren geschmückt hatte.
War das eine Freude und Herrlichkeit! Der alte Sepp betrachtete sich im Stillen als Mitschöpfer des Glückes aller Anwesenden. Er brachte den ersten Toast aus, natürlich auf den König. Alle erhoben sich und die Hochs wollten gar kein Ende nehmen.
Die braven, einfachen Leute waren wohl nicht für große Reden prädestinirt; aber bald riß ein wirkliches Toastfieber ein. Ein Jeder hielt eine Rede, natürlich auf irgend eine der anwesenden Damen.
Bald bekamen auch die Frauen und Mädchen Muth. Leni war die Erste, welche auf den Sepp toastete. Die Andern folgten. Es wäre ja eine wahre Schande gewesen, da zurück zu bleiben. Und als endlich gar der Champagner erschien, so öffneten die schaumig perlenden Tropfen auch der Muthlosesten den Mund.
Den letzten Toast hielt Einer, der sich mit seinen beiden Kameraden bisher schweigsam verhalten hatte.
»Du,« sagte der Frenzel leise zum Wenzel, »meinst Du nicht auch, daß wir was sagen müssen?«
»Natürlich! Wir können doch nicht so umsonst mit essen und trinken.«
»Die Wenzelei muß sich sehen lassen!«
»Freilich! Was sagst Du dazu, Menzel?«
»Ja, redet nur!« antwortete der Genannte.
»Wir? Nein Du mußt reden!«
»Warum ich?«
»Weil Du der Oberste bist.«
»Ach ja, ich bin doch dera Herr Musikdirektoren! Also muß ich die Red loslassen.«
»Thue es! Klopf ans Glas und steh auf!«
»Ja, das wird nicht leicht gehen.«
»Warum?«
»Ich fühls schon: Ich, komm nicht in die Höhe.«
»O, das thut nix. Wannst nur erst einmal aufi bist, nachher« werd ich schon dafür sorgen, daßt nicht wiederum zu schnell abi kommst.«
»Wie willst das anfangen?«
»Das ist meine Sach. Ich halte Dich.«
»So will ichs versuchen.«
Er wackelte und wankte empor und klopfte. Alles war still.
Er wollte beginnen. Aber als er alle Blicke auf sich gerichtet fühlte, wurde es ihm Angst. Er brachte kein Wort hervor. Da erbarmte sich der Violonfrenzel des Kollegen. Er rief mit lauter Stimme:
»Der Clarinettenmenzel, der unser Director ist, will eine Red halten.«
»Los, los, anfangen!« rief es rundum.
Der Herr Musikdirectoren öffnete die Lippen. Er machte einige Gestikulationen, aber der Anfang wollte nicht kommen.
Da erbarmte sich der Frenzel abermals seiner. Er wollte ihm einhelfen und sagte darum, aber so laut, daß Alle es hörten:
»Fang an! Sag, meine verehrten Herrschaften!«
Das war Rettung in der höchsten Noth. Der Herr Director begann:
»Meine verehrten Herrschaf – – – meine verkehrten Ferrkaf – – keine vermehrten – – seine verkehrten – Herr – Verr – Kerr – Scherr – – Kreuzhimmeldonnerwettern! Ich komm nit in die richtigen verehr – – vermehr – – versehr – – verheerten – – o Du Unglück und Sauerkraut! Jetzunder ist die Wenzelei blamerirt! Jetzunder ist die ganze Wenzeleien zum Teufel! Aberst ich werd schon noch unsere Ehre retten. Nehmts also die Gläsern in die Hand, und trinkt auf alle Gesundheiten, die hier versammelt sind. Stoßt an! Dreimal hoch!«
Natürlich war ein gradezu homerisches Gelächter ausgebrochen, welches nun überschallt wurde von dem dreimal wiederholten Tusche des Orchesters.
Der König hatte diesen Patenttoast nicht gehört. Er hatte sich entfernt.
Dann aber, als die Tafel wieder abgetragen worden war, begann der Ball von Neuem. Die Fröhlichkeit war eine reine und ungetrübte, und als das Fest zu Ende war, erklang es allgemein:
»So einen Tag des Glückes haben wir noch nicht erlebt. Wir haben ihn unserm König zu danken. Frömmigkeit, Fleiß, Liebe und Treue, Treue vor allen Dingen dem Heerde, der Familie, dem Vaterlande und dem Herrscher, das ist der einzige und wahre Weg zum Glück!« – –