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Nach diesem fröhlichen Abende waren einige Jahre vergangen. Der Mai des Jahres 1886 hatte Berge und Thäler, Wälder und Felder mit frischem, jungem Grün geschmückt, und nun lag ein wunderschöner Junimorgen in jungfräulichem Glänze über dem Starnberger See und dessen Ufer ausgebreitet.

Wer einmal in Feldafing, dem Lieblingsaufenthalte der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich gewesen ist, der weiß die Schönheiten dieses Sees, welcher auch Wärmsee genannt wird, zu rühmen.

Seit Kurzem hatte sich dort eine kleine Touristengesellschaft zusammengefunden, deren Glieder von Nord und Süd, von Ost und West herbeigekommen waren, sich an der erwähnten Schönheit zu ergötzen und die delikaten Renkenfische des Sees zu verspeisen.

Unter ihnen befand sich ein junges Ehepaar. Der Mann war Maler und hieß Johannes Weise. Ein Knecht des Wirthes, welcher von Außen her stammte, behauptete, dieser Künstler sei ganz armer Leute Kind, stamme aus dem Dorfe Hohenwald und sei dort nur der Elephantenhanns geheißen worden.

Sein wunderhübsches Weibchen hatte in ihren Zügen und ihrem ganzen Wesen einen südlichen Anstrich und hatte durch die Zärtlichkeit, mit welcher sie um ihren Mann besorgt war, und die einfache Natürlichkeit, mit welcher sie sich gab, die Zuneigung einer jungen, städtischen Dame gewonnen, welche aus dem fernen Hannover herbeigekommen war, um ihre Brust in der reinen Luft der Berge zu baden.

Die beiden Damen saßen jetzt bei ihrem Morgenkaffee, den sie sich auf einem vor der Thür stehenden Tischchen hatten serviren lassen, in einem jener Gespräche, wie sie von Damen während des Kaffees geführt zu werden pflegen.

»Also Sie sind wirklich keine Bayerin,« sagte die Norddeutsche. »Das habe ich Ihnen doch gleich angesehen.

»Nein. Ich bin eine Italienerin.«

»So haben Sie Ihren lieben Gemahl wohl während einer Kunstreise kennen gelernt, welche er nach Ihrer Heimath machte?«

»So ungefähr war es. Er war in Egypten gewesen und befand sich aus der Rückreise in Triest. Ich war dorthin gekommen, um trüben Verhältnissen zu entfliehen, welche mir in meiner Heimath aufgezwungen werden sollten. Er nahm sich meiner an, und so lernten wir uns kennen und lieben.«

»Sie Glückliche!«

Es glitt bei diesen Worten ein Zug der Schwermuth über das ernste, schöne Gesicht der Hannoveranerin. Es war kein Neid, der sich in ihnen aussprach, aber ein ungestilltes, trübes Sehnen nach dem gleichen Glücke.

Anita blickte sie für einen Moment lange forschend an und fragte dann:

»Sie sind nicht glücklich?«

»Wie kommen Sie zu dieser Ansicht?«

»Weil Sie stets so ernst sind. Man sieht Sie kaum einmal lächeln. Das hat mir immer wehe gethan.«

Jetzt lächelte die Andere doch gleich; aber es war nicht das Lächeln des unbefangenen Wohlbehagens, sondern mehr dasjenige erzwungener, Entsagung. Sie richtete ihr dunkles, großes Auge in die Ferne, wo man über den See hinweg die ganze bayrische Alpenkette von der Zugseite bis zum Watzmann und Untersberg erblicken konnte und antwortete in ihrem gewöhnlichen, so milden Tone:

»Was nennen Sie glücklich, mein liebes Kind? Unglücklich bin ich nicht; aber eines Glückes habe ich mich auch nicht zu rühmen.«

»Sie tragen ein Leid mit sich herum?«

»Ja. Doch hoffe ich, daß die Zeit es mildern werde. Die Eltern sind mir während des vergangenen Herbstes fast an einem und demselben Tage gestorben. Sie waren jährlich mit hier im schönen Bayernlande und nun bin ich allein.«

»Sie haben keine Verwandte?«

»Ich habe welche, aber sie sind stolze, auf ihr Vermögen eingebildete Leute, und das widerstrebt meinem Gefühle.«

Es war fast ein Blick des Mitleides, mit welchem die Malersfrau die Andere jetzt betrachtete.

»Aber Sie haben Freundinnen?« fragte sie.

»Auch nicht, wenigstens was ich Freundinnen nennen möchte. Man verkehrt in großen Städten jawohl mit Seinesgleichen, aber meist ohne einen Herzensanschluß zu finden.«

»Aber, da sind Sie doch gar sehr zu bedauern!«

»Vielleicht nicht so sehr. Es mag die Schuld mit an mir liegen. Es kann sein, daß ich nicht sehr anschlußfähig bin.«

»O, das dürfen Sie nicht denken. Wir sind erst so kurze Zeit hier beisammen und haben uns doch wohl schon ein Wenig lieb gewonnen. Oder nicht?«

»Ja, das ist wahr,« antwortete die Gefragte, dieses Mal mit einem wirklich herzlichen Lächeln. »Hier giebt es andere Leute. Hier tritt einem der Wunsch nahe, für immer da zu bleiben bei den Leuten, die sich so natürlich zu geben wissen.«

»Nun, so bleiben Sie doch da! Oder hält Etwas Sie davon ab?«

»Nein, ich bin Herrin aller meiner Handlungen und kann thun und lassen was ich will.«

»Nun, dann würde ich kurzen Prozeß machen und die Stadt hinter mir liegen lassen.«

»Ja, Sie sind ein kleines, liebes, resolutes Wesen. Sie haben der Heimath entsagen können, weil Sie der Liebe folgten. Diese ist stark und vermag wohl alle Bande zu zerreißen.«

»Haben Sie sie noch nicht kennen gelernt?«

Die Gefragte erröthete ein Wenig, antwortete aber doch:

»Nein; ich bin nicht so glücklich gewesen wie Sie.«

»So warten Sie nur! Sie wird schon noch kommen, Sie kommt einem jeden Menschen einmal.«

»Das wissen Sie so genau!«

»Ja. Mein Mann hat es gesagt, und da muß es wahr sein.«

Das klang so naiv zuversichtlich, daß die Andere ein leises Lachen hören ließ.

»Sie scheinen Ihren Mann für sehr competent zu halten?«

»Durchaus!« nickte Anita sehr bestimmt.

»In allen Sachen?«

»Ja. Eine Frau, welche ihren Mann wirklich lieb hat, muß ihn für einen Ausbund von Klugheit halten. Was der Meinige sagt, das gilt bei mir.«

»Dann ist er zu beneiden!«

»Meinen Sie, das sei eine Schwäche von mir? O nein. Ich habe, auch meinen Willen. Ich kann auch auftreten. Wir haben Beide ganz gleiche Rechte. Aber was die Welt und das Leben betrifft, so ist der Mann doch stets klüger und erfahrener als die Frau.«

Sie hatte das mit solchem Nachdrucke, so angelegentlich versichert, daß die Norddeutsche ihr die Hand entgegenstreckte und dabei sagte:

»Sie sind wirklich ein allerliebstes, herzensgutes Wesen. Wollen wir nicht Freundinnen sein?«

»O wie gern!«

»Wirklich?«

»Ja, ich habe es Ihnen schon anbieten wollen, mich aber gefürchtet.«

»Sehe ich so furchterweckend aus?«

»Nein, aber so vornehm.«

»Ach, das ist nicht weit her. Mein Vater war Bankier. Das ist doch weiter nichts.«

»Nun, das ist schon Etwas! Der Meinige war Maler.«

»Also Künstler? Da bin ich Ihnen also nicht einmal ebenbürtig.«

»Ach, gehen Sie! Wollen keine solche Entscheidungen treffen, sondern lieber dabei bleiben, daß wir uns lieb haben müssen. Nicht?

»Sehr gern.«

»So müssen wir es betrinken,« lachte sie lustig auf.

»Wohl in Champagner?«

»O nein, sondern in Kaffee, denn dieser ist ja der Frauensect. Stoßen wir an! Auf ewige, unerschütterliche Freundschaft!«

Die Tassen klirrten zusammen, was dem Vertrage einen etwas drolligen Anklang gab. Dann sagte die Hannoveranerin:

»So müssen wir aber von jetzt ab alle Titulationen fallen lassen!«

»Natürlich.«

»Uns nur beim Vornamen nennen.«

»Das versteht sich.«

»Wie darf ich also zu Ihnen sagen?«

»Ich heiße Anita. Der Familienname meines Mannes ist Weise. Und Sie?«

»Ich heiße Margarethe und wurde von den Eltern Marga, von Andern zuweilen auch Gretchen genannt.«

»Marga klingt mir hübscher.«

»Sie haben die Wahl.«

»So sage ich Marga.«

»Ist mir lieb. Mein Familienname ist Siebers. Nun ist die große persönliche Vorstellung beendet und wir können alle Steifheit fallen lassen.«

»Ja, das wollen wir. Ich freue mich so über unsere Freundschaft, daß ich gleich auf und davon laufen möchte.«

»Aus Angst vor mir?«

»O nein, sondern vor Entzücken, daß ich eine Freundin habe. Mein Mann sagt stets, daß ich keine Freundin bekommen werde.«

»Warum nicht?«

»Weil – weil – na, ich will es aufrichtig sagen – weil Niemand vor mir Respect haben könne. Ich sei zur Freundschaft noch viel, viel, viel zu jung.«

Das kam so neckisch schmollend, so gutmüthig zürnend zwischen den frischen Lippen und blinkenden Zähnen hervor, daß Marga dieses Mal laut und herzlich auflachen mußte.

Anita stimmte fröhlich ein und rief erfreut:

»Sehen Sie, daß ich eine gute, brauchbare Freundin sein kann! Sie fangen bereits an zu lachen. Warten Sie nur, je fester unsere Freundschaft wird, desto größere Dummheiten werde ich machen, damit wir Beide recht lustig sein können. Dann soll mir Johannes nochmals sagen, daß ich zur Freundin zu – zu – zu jung sei.«

Und sich zu Marga hinüberbeugend und die Hand geheimnißvoll an den Mund haltend, flüsterte sie weiter:

»Eigentlich hat er anders gesagt.«

»Wie denn?«

»Nicht zu jung, sondern zu – zu – ich bringe das Wort fast gar nicht heraus, denn es klingt fast gar zu schlecht.«

»Nun, mir können Sie es doch sagen.«

»Freilich, weil wir eben Freundinnen sind. Er meint nämlich, daß ich viel zu – zu – zu – quecksilbern sei.«

»Ah, zu unruhig?«

»Vielleicht. Was er eigentlich damit meint, das weiß ich gar nicht einmal genau. Ich werde ihn nächstens einmal ernsthaft darüber fragen.«

»Thun Sie das, liebe Anita, und theilen Sie mir dann seine Antwort mit!«

»Ich habe es eben mit »zu jung« übersetzt.«

»Nun, meinen Sie etwa, daß ich da eher die nöthigen Anlagen zu einem Freundschaftsbunde besitze?«

»Ja, sehr,« antwortete Anita ernsthaft.

Da lachte Marga abermals herzlich auf.

»Sie Gute, Aufrichtige!« sagte sie. »Wissen Sie denn, was für ein Urtheil Sie da über mich gefällt haben?«

»Nun?«

»Daß ich schon recht, recht sehr alt bin.«

»Herrgott, das habe ich doch gar nicht gemeint!«

»Aber es klang so. Wenn die Jugend ein Hinderniß der Freundschaft ist, und Sie sagen, daß ich die Talente zu einem Freundschaftsbunde besitze, so muß ich doch bereits fast steinalt sein.«

»Das habe ich mir gar nicht so überlegt. Mein Johannes hat wohl ganz recht; ich bin doch ein Wenig zu quecksilbern. Herrgott, Sie und steinalt! Wir werden einander gar nicht viel zu schenken haben.«

»Doch. Wie alt sind Sie?«

»Einundzwanzig.«

»Und ich vierundzwanzig.«

»Das sind drei Jahre, also noch lange kein Jahrhundert. Aber, wissen Sie, Sie sind so still, so ruhig und bedächtig und wenn man das ist, so kann man sehr leicht älter erscheinen als man ist.«

»Das ist sehr richtig. Beweglichkeit gehört zur Jugend; darum verjüngt sie.«

»Grad darum passen wir Beide so sehr gut zusammen und wir wollen auch gar treu zusammenhalten, wenn – wenn wir nur die Zeit dazu haben.«

»Warum sollten wir nicht?«

»Ich weiß ja gar nicht, wie lange Sie hier bleiben werden.«

»Ich habe mich noch gar nicht entschlossen. Nur so viel steht fest, daß ich bis zum Juli in Bayern sein wollte.«

»So bleiben Sie doch hier bei uns!«

»Wie lange verweilen Sie denn hier?«

»Bis mein Mann sein Bild beendet hat. Eigentlich wohnen wir in München. Ein hoher, steinreicher Herr hat eine Landschaft bei ihm bestellt und so sind wir schleunigst heraus nach dem Wärmsee, wo Johannes die passenden Dinger findet, die er Motive nennt. Was das eigentlich ist, das weiß ich nicht. Ich habe ihn gefragt, aber je länger er es mir erklärt, desto weniger verstehe ich es. Endlich laufe ich davon und dann sagt er wieder, daß ich das reine Quecksilber sei. Sie sollten sich hier eine kleine Privatwohnung nehmen, grad so, wie wir es auch machen werden.«

»Die Eltern thaten es stets. Ich habe auch bereits daran gedacht, leider aber erfahren, daß hier alle Privaträume bereits bestellt sind.«

»Hier, ja. Aber drüben am andern Ufer giebt es wohl noch welche. Wir haben da eine ganz allerliebste Wohnung gesehen, die wir gar gern genommen hätten, wenn sie nicht leider nur für eine Person berechnet wäre.«

»Wo?«

»Beim Tobias gradüber.«

»Wer ist das?«

»Der Gärtner, welcher fast täglich herüberkommt, um dem Wirthe das Junggemüse zu bringen.«

»Den kenne ich.«

»Gefällt er Ihnen?«

»Nun, er ist wohl ein Mann wie jeder Andere auch. Er scheint wenig zu sprechen aber ein sehr, braver Mann zu sein.«

»Ja, reden thut er wenig und wenn er geht, so schreitet er langsam und bedächtig Schritt für Schritt. Denken Sie, mein Johannes hat ihn mir bereits als Beispiel aufgestellt, an welchem ich mein Quecksilber üben solle! Also der Mann ist schlecht und recht; aber die Wohnung ist sehr, sehr hübsch, romantisch am Ufer gelegen, fein sauber, und der Besitzer ist interessant.«

»Dieser Tobias?«

»O nein. Der ist nur der Pächter.«

»Ach so. Wem gehört das Haus?«

»Einem berühmten Sänger.«

Ein aufmerksamer Beobachter hätte gesehen, daß es leise um den Mund Marga's zuckte.

»Ein berühmter Sänger hat hier ein Häuschen am See?« fragte sie. »Es ist wohl eine Villa?«

»O nein, sondern ein gewöhnliches Häuschen mit Garten und Feld dabei, aber Alles blitzsauber und nett.«

»Wie heißt der Sänger?«

»Eigentlich heißt er Anton Warschauer, aber er wird gewöhnlich Krickelanton genannt.«

»Sonderbarer Name. Steht das vielleicht im Zusammenhange mit den Gemskrickeln?«

»Ja. Er soll nämlich früher ein berühmter Wildschütz gewesen sein.«

»Das ist ja höchst romantisch!«

»Dann ist er mit der berühmten Mureni verlobt gewesen, sie aber hat die Verlobung wieder aufgehoben und lieber einen Grafen geheirathet, weil der Anton so lüderlich gewesen ist. Er hat ein Heidengeld verdient und doch seine Eltern fast verhungern lassen. Dann aber hat ihn das Gewissen geschlagen, und er ist ganz plötzlich ein anderer Mensch geworden. Er hat da drüben das Grundstück gekauft und das Haus darauf bauen lassen. Dann hat er es einem früheren Knecht aus seinem Heimathsdorfe, einem blutarmen Teufel, eben dem Tobias, zu einem Spottpreise verpachtet und seine Eltern kommen lassen, die nun darin wohnen, wie der Fink im Hanfsaamen. So oft er Zeit gewinnt, kommt er herbei, um die Eltern zu besuchen. Er soll jetzt ein wahres Muster geworden sein.«

»Das ist wirklich sehr interessant. Haben Sie das Logis gesehen?«

»Ja. Es ist ein Stübchen mit Kammer im Sonnengiebel, hübsch möblirt. Vom Pächter kann man Alles haben, Aufwartung und sogar auch Mittagstisch.«

»Sie machen mir wirklich Lust, es mir einmal anzusehen.«

»Das ist prächtig! O, wenn es Ihnen gefiele und Sie nähmen es, so könnten wir täglich zu einander über den See rudern und von früh bis Abend bei einander sein, abwechselnd Sie bei mir oder ich bei Ihnen.«

»Ja, das wäre freilich hübsch! Aber würde diese Zigeunerin Ihrem Herrn Gemahl gefallen?«

»O, der wird kaum gefragt. Was mir gefällt, das hat auch er gern.«

»Sie sind wirklich zu beneiden!«

»O, es ist nicht so schlimm. Man hat auch seinen heimlichen Aerger, besonders wegen des Quecksilbers. Also wollen wir einmal hinüber zum Tobias?«

»Ja, versuchen wir es.«

»Wann?«

»Vielleicht morgen?«

»O nein, sondern bereits heut!«

»So rasch?«

»Ja. Vielleicht bereits am Vormittage. Gleich jetzt. Da paßt es am besten. Sehen Sie, dort auf dem Wasser rudert Einer herbei. Das ist der Tobias. Der könnte uns gleich mitnehmen.«

»Sie haben es freilich sehr eilig,« lächelte Marga.

»Das ist eben das Quecksilber. Also, wollen Sie? Ja.«

»Gut, ich stimme bei.«

»So will ich nur gleich schnell laufen, um es meinem Johannes zu melden. Er ist droben auf der Höhe und zeichnet.«

Sie eilte fort, kehrte aber noch einmal um und sagte:

»Sie brauchen es dem Tobias nicht gleich von vorn herein zu sagen, daß wir wegen der Wohnung mit ihm wollen.«

Dann sprang sie von dannen.

Marga stand auf und trat in das Haus, um sich aus dem Gaststübchen, welches sie inne hatte, ein Tuch zu holen. Als sie dann wieder herabkam und am Tische Platz genommen hatte, legte Tobias am Ufer an, hob den Gemüsekorb aus dem Kahne auf die Achsel und trug ihn in das Haus.

Marga's Gesicht hatte jetzt einen ganz eigenen Ausdruck angenommen. Es war, als ob der Wiederschein eines hellen Tages, dem eine dunkle, stürmische Nacht folgte, über dasselbe gehe.

So saß sie in tiefem Sinnen versunken, bis Anita wiederkehrte und ihr bereits von Weitem zurief, daß sie die Erlaubniß erhalten habe, mitzufahren.

Eben jetzt kam der Pächter wieder aus dem Hause, um sich, den geleerten Korb in der Hand, nach seinem Boote zu begeben.

»Tobias, dürfen wir mit hinüber?« fragte Anita.

Er nickte ihr freundlich ernsthaft zu und antwortete:

»Wanns gleich mitkommen wollen, so mags halt gehen. Ich hab nit lange Zeit.«

»Wir sind schon fertig.«

»So kommens!«

Sie folgten ihm und nahmen neben einander auf dem vorderen Quersitze Platz. Tobias setzte sich hinten nieder und griff zu den Rudern. Das Boot stieß vom Lande.

Die erste Zeit verging im Schweigen. Dann aber fragte Anita:

»Tobias, wissen Sie nicht, ob es da drüben irgendwo eine kleine, hübsche Wohnung für eine anständige Dame giebt.«

»Giebts wohl,« antwortete er.

»Aber wo?«

»Hier und da.«

»Können Sie uns eine nennen?«

»Fragens nachhero meine Frauen!«

»Aber Sie können uns doch ebenso gut Auskunft ertheilen!«

»Das thu ich nit.«

»Warum nicht.«

»Ich thu es halt nit.«

»Sie müssen doch einen Grund dazu haben!«

»Hab ich schon auch.«

»Welchen denn?«

»Mag nix zu verantworten haben.«

»Wenn eine Wohnung nicht gefällt, die Sie vorher empfohlen haben, nicht wahr?«

»So ists!«

Er ruderte langsam und taktmäßig weiter. Während seiner Antworten hatte er keinen Blick auf Anita geworfen, mit welcher er doch sprach.

»Der, ist allerdings nicht quecksilbern,« flüsterte sie der Freundin zu.

»Nein, gar nicht,« lächelte diese.

»Soll ich ihn mir wirklich zum Muster nehmen?«

»Das möchte ich denn doch nicht rathen. Ein wenig Quecksilber ist auch angenehm.«

»Das tröstet mich.«

Da der See hier nicht breit war, legten sie nach Verlauf einer Viertelstunde drüben an. Als sie ausgestiegen waren, fragte Anita den Pächter: »Ist denn vielleicht die Wohnung in Ihrem Hause noch frei?«

»Mag sein.«

»Und sind Sie noch gewillt, sie zu vermiethen?«

»Geht mich nix an.«

»Wen denn?«

»Die Warschauersleut. Denen gehört das Haus.«

Er hing den Kahn an, nahm den leeren Korb auf und schritt davon, als ob gar Niemand zugegen sei.

»Warten Sie doch!« rief Anita ihm nach. »Wir müssen doch die Ueberfahrt bezahlen.«

»Kostet nix!« antwortete er, ohne sich umzudrehen.

»Ein Original!« lachte die junge Frau halb ärgerlich. »Der sollte mein Mann sein! Thut nix, macht nix, kostet nix, sonst nix, weiter nix! Dem wollte ich schon die Zunge lösen!«

Ein schmaler Pfad führte vom Ufer empor, wo auf halber Höhe ein schmuckes Häuschen stand, hinter welchem die Wirtschaftsgebäude versteckt lagen. Das Parterre war, wie man leicht bemerkte, für zwei Familien eingerichtet, rechts eine größere, links eine kleinere Wohnung. Im Stockwerke schienen die Kammern zu liegen.

Das Vorgärtchen war sehr gut gepflegt. Ueberhaupt machte Alles den Eindruck behaglicher Sorgfalt.

»Die alten Warschauers wohnen links, in der kleinen Hälfte des Parterres,« erklärte Anita. »Zu ihnen müssen wir.«

Sie traten in den Flur, wo blitzblank gescheuertes Milch- und anderes Geschirr stand, und klopften links an.

»Ja, herein!« erklang es von innen.

Als sie nun eintraten, sahen sie sich in einem behaglichen Räume, welcher vor Reinlichkeit erglänzte. Am Tische saß das alte Ehepaar. Sie stopfte an einem Strumpfe und er schnitzte an einem neuen Pfeifenkopfe herum. Jetzt sah es allerdings ganz anders bei ihnen aus, und sie selbst machten einen weit anderen Eindruck als damals, wo der Anton in Wien sein Geld vergeudete, ohne seiner armen Eltern zu gedenken.

»Guten morgen,« grüßte Anita munter. »Kennen Sie mich noch?«

»Grüß Gott!« nickte der Alte. »Werds schon noch kennen, Wissens, von dem Theaterabend her, wo dera Elephantenhanns, Ihr Mann, die Kulissen dazu malt hat. Nachhero sinds doch auch mal jetzt wiederum da gewest.«

»Wegen des Logis.«

»Es war für Sie zu klein.«

»Ist es noch frei?«

»Ja. Es sind Leut dagewest, die es haben wollten, aberst wir sehen uns die Personen an. Wir wollen nur Jemand haben, der uns halt gefallen thut.«

»Das ist begreiflich. Hier ist eine gute Freundin von mir, welche grad ein solches Logis sucht, wie Sie haben.«

Der Alte rückte sich seine Brille zurecht, betrachtete Marga, sah dann seine Frau an und fragte:

»Was meinst dazu. Alte?«

Die Frau knixte vor Marga und antwortete ihm dann:

»Wannst willst, mir ists ganz recht.«

»Ja, eine Saubere ists, und ein gutes Aug hats auch. Wann ihr die Stuben gefallt, so solls sie haben. Kannst sie mal emporführen.«

Mutter Warschauer führte die beiden Damen nach der Etage empor. Der Alte setzte sich wieder nieder und schnitzte weiter. Nach einiger Zeit kehrten die Drei zurück.

»Nun, wie ist's?« fragte er.

»Das Fräulein hat gemiethet.«

»Auch was dazu?«

»Alles, die ganze Pflege.«

»Und wann ziehts an?«

»Heut noch. Kannst mit nüber rudern nach Feldafing und ihre Sachen holen.«

»Wird gern geschehen.«

Er erhob sich, streckte Marga die Hand entgegen und fuhr fort:

»Hier habens meine Hand, und seins willkommen. Habens die Eltern noch?«

»Nein, ich bin eine Waise.«

»So könnens mir brav leid thun. Denkens halt, daß Sie hier bei denen Eltern sind. Und sagens, wie wir Sie nennen sollen.«

»Ich heiße Margarethe Siebers und bin aus Hannover, werde aber von Bekannten am liebsten Marga genannt.«

»Dürfen auch wir so sagen?«

»Ja, ich bitte darum.«

»So setzens sich halt ein Bisle nieder. Ich muß Ihnen einen Enzianschnaps eingießen.

Die Beiden kannten die Gepflogenheit dieser Naturmenschen. Sie weigerten sich nicht, von dem starken Branntwein zu nippen, und setzten sich nieder.

»Also aus dem Hannover sinds?« meinte der Alte. »Da hat der Anton auch paar Male sungen. Es hat ihm gar gut dort gefallen; aberst er mag, nicht wieder hin.«

»Warum nicht?« fragte Marga.

»Ja, das weiß ich nicht. Es muß ihm dort was nicht gefallen haben;, aber er redet nicht davon.«

»Ich habe vorhin gehört, daß er ein Sänger sei.«

»Ja, und ein berühmter!« nickte der Alte in väterlichem Stolze. »Habens ihn denn nicht dort singen hört?«

»Nein.«

»Das könnt mich fast wundern. Das Theatern ist stets zum Verdrücken voll gewest.«

»Ich besinne mich wirklich nicht auf einen Sänger Namens Warschauer.«

»Ja, wanns nach diesem Namen fragen, so werdens freilich schlecht berichtet. Er singt unter seinem Vornamen und nennt sich Antoni.«

Da färbte ein tiefes Purpurroth die Wangen Marga's.

»Ja, den, den kenne ich,« rief sie aus.

»Nicht wahr!«

»Ja. Ich war bei jeder Vorstellung im Theater und bin Zeugin seiner Erfolge gewesen.«

»So! Das gefreut mich sehr. Nun sinds mir noch vielmehr willkommen als vorher. Also gesehen habens den Anton?«

»Sogar mit ihm gesprochen.«

»Wo denn?«

»Auf einer Soiree, zu welcher auch er mit geladen war.«

»So, so! hat er nix von uns sagt?«

»Ja. Er hat mir von seinen guten Eltern erzählt, und ich freue mich außerordentlich, daß ich Sie kennen lerne und sogar bei Ihnen wohnen kann.«

»Na, wanns so ist, so werden wir halt nur Freud an einander derleben. Und da denk ich halt, mir wollen machen, daß wir Ihre Sachen herüber bekommen. Wir nehmen den Kahn. Ich bin ein alter Mann, aber Sie können sich mir ruhig anvertrauen. Ein Boot bring ich schon noch ganz gut über den See.«

Früher hätte er das nicht wagen dürfen. Jetzt aber hatte ihn das bessere, sorgenfreie Leben und die gute Kost gestärkt. Er war kräftiger geworden.

Marga war ganz einverstanden, daß er sofort aufbrechen wollte, sagte aber:

»Es ist wohl gar nicht nöthig, daß wir mitfahren?«

»Ja, werd ich denn Ihre Sachen bekommen?«

»Gewiß, denn ich gebe Ihnen einige Zeilen an den Wirth mit.«

»So mags halt sein.«

»Und meine Freundin bleibt auch da, um mir bei der Einrichtung zu helfen.«

»So fahr ich allein. Wanns indessen hier was brauchen, so sagens das nur getrost meiner Frauen. Was geschafft werden kann, das werdens halt bekommen.«

Er ging, und nun ließ es sich die alte, gute Frau nicht nehmen, den beiden Damen ihr Haus und besonders auch den Gras- und Baumgarten zu zeigen.

Dabei kamen sie auch in die drei Räume des Stockwerkes, welche der Krikelanton bewohnte, wenn er sich bei den Eltern befand. Das war das Heiligthum seiner Eltern.

»Das ist dem Anton,« sagte die Alte, auf sein Bild deutend, welches an der Wand hing.

Marga griff unwillkürlich mit der Hand nach dem Herzen.

Zwei Rosen, eine rothe und eine weiße, aber in ganz und gar vertrocknetem Zustande, waren unter dem Bilde angebracht. Sie waren durch eine kleine, jetzt unscheinbar gewordene, rothseidene Schleife verbunden gewesen.

»Woher stammen diese Rosen?« fragte Marga stockend.

»Er hat sie aus dem Hannover schickt. Sie lagen in einem Kästchen und dabei dera Zettel, daß wir sie hier unter sein Bild thun sollen.«

Marga wandte sich ab, um die Gluth nicht merken zu lassen, welche ihre Wangen röthete. Sie fand ihr ruhiges Wesen erst wieder, als sie dann in den Garten kamen.

Als sie die Besichtigung desselben beendet hatten und sich dem Hause wieder näherten, sahen sie einen alten Mann des Weges daherkommen. Er ging langsam, Schritt um Schritt, und stützte sich dabei auf einen langer Bergstock.

Sein Haar war grau, ebenso der mächtige Schnurrbart. Auf dem Kopfe trug er einen alten Hut, der mit verwelkten Frühlingsblumen besteckt war, und über dem Rücken hing ihm der Rucksack.

»Sollte ich diesen Mann nicht kennen?« fragte Anita.

Mutter Warschauer rückte ihre Brille zurecht und sah auch nach ihm.

»Ich kann sein Gesicht nicht derkennen,« sagte sie. »Dazu reichen meine Augen nicht mehr aus, aberst wann er aufrechter und schneller gehen thät, so dächt ich, es wär dera Wurzelsepp.«

»Ach ja, das ist der richtige Name,« stimmte Anita bei. »Es ist der Wurzelsepp.«

»Ich glaubs halt nit.«

»Er ists aber doch.«

»O, der geht ganz anderst!«

»Er ist verändert. Ich werde ihn rufen.«

Der Wanderer war stehen geblieben, um auszuruhen. Er blickte nach dem Häuschen.

»Sepp, Wurzelsepp!« rief Anita.

Er nickte und winkte müd mit der Hand.

»Kommst heraufi?« fragte sie in dem Dialecte der Gegend, den sie sich auch ein Wenig angeeignet hatte.

»Komm schon. Wart nur ein Wengerl!«

Und er kam, aber so, als ob ihm jeder Schritt die größten Anstrengungen bereite. Je näher er kam, und je deutlicher sie sein Gesicht erkennen konnten, desto mehr bemerkten sie, welche Veränderung in demselben vorgegangen war. Seine Augen lagen tief in den Höhlen; auf den faltigen Wangen glänzte es fiberhaft. Seine Brust athmete schwer und fliegend, und mit einem lauten, ächzenden Seufzer sank er auf die Holzbank, welche vor der Hausthür stand.

Er hatte gar nicht gegrüßt. Der Stock entfiel seiner Hand. Er nahm den Hut vom Kopfe; auch dieser fiel aus seinen Fingern.

»Herrgottle, Sepp, wie schaust aus!« rief die Warschauerin erschrocken. »Ich werd gleich einen Enzianen holen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Warum nicht? Bist doch krank!«

»Wohl, wohl!« antwortete er mit heiserer Stimme.

»Wo fehlts Dir denn?«

»Hier und hier.«

Er deutete nach der Brust und dem Kopfe.

»Wo kommst denn her?«

»Von Schwanstein.«

»Wo dera König ist?«

»Ja.«

»Und wo willst hin?«

»Nach Berg.«

»Dem Schloß da unten?«

Er nickte.

»Was willst dort?«

»Sterben.«

»Bist nicht klug! Ich muß Dir wirklich gleich einen Schnaps holen.«

»Ich brauch keinen.«

»Aber Du mußt ihn nehmen!«

»Ich trink keinen mehr. Laß mich aus damit, Warschauerin!«

»Herrgottle, was soll man da machen!«

Der sonst so rüstige Sepp bot ein Bild inneren und äußeren Verfalles. Anita konnte nicht anders, sie kniete bei ihm nieder, nahm seine beiden fieberheißen Hände in die ihrige und fragte ihn:

»Sepp, lieber Sepp, kennst mich noch?«

Er nickte. Aber sein Auge brannte so fieberhaft, daß sie glaubte, er kenne sie doch nicht.«

»Sag, wer ich bin!« bat sie.

»Die Anita.«

»Ja, die bin ich. Bist sehr krank?«

»Zum Tode,« hauchte er.

»In der Brust wohl?«

»Ja, und auch im Herzen.«

»Warum denn? Was ist geschehen? Hast Dich etwan erkältet?«

»Vielleicht. Ich hab nicht drauf achtet.«

»Aber so sag doch, was passirt ist!«

»Was passirt ist? Die Welt geht unter! O Gott, o Gott!«

Er hatte an sich gehalten, jetzt brach er plötzlich in ein lautes, fast brüllendes Schluchzen aus, in welches sich die Stimme eines trockenen Hustens mischte.

»O Himmel, dera Sepp weint!« rief die Warschauerin erschrocken. »Was ist da zu thun? Was machen wir? Wann nur mein Mann daheim wär!«

»Dort kommt er schon,« sagte Marga, nach dem Wasser deutend. »Er wird gleich anlegen.«

»So muß ich ihn rufen!«

Und beide Hände au den Mund legend, schrie sie ihm zu:

»Warschauer, mach schnell, mach schnell! Es ist ein Unglück schehen!«

Der Alte verstand die Worte, verdoppelte die Schnelligkeit des Kahnes, legte an, band ihn fest und kam dann eiligen Laufes herbei.

»Ein Unglück?« fragte er bereits unterwegs. »Was denn?«

»Da schau den an!«

Jetzt fiel sein Blick auf den Sepp.

»Dera Wurzelsepp!« rief er erschrocken. »Mein Himmel, was ist mit dem? Sepp, Sepp, warum weinst? Was hast?«

Er schüttelte ihn an der Achsel. Da trocknete sich der Weinende die Augen mit dem Aermel der alten Jacke und zwang sich zur Antwort:

»Weißt denn noch nicht, was geschehen ist?«

»Nein. Mit wem denn?«

»Mit dem König.«

»Da weiß ich kein Wort. Was ists denn?«

»Nach Schloß Berg wird er schafft.«

»Warum?«

»Weil sie sagen, daß – daß – daß er den Verstand verloren hat. O mein Herrgott, o mein Herrgott!«

Wieder weinte er grad hinaus.

Die Andern standen dabei, ganz starr vor Schreck. Warschauer hielt den Sepp, sonst wäre derselbe von der Bank gefallen.

»Dera König wahnsinnig!« sagte er. »Das ist doch gar nicht möglich.«

»Vielleicht doch,« bemerkte Marga bescheiden. »Ich habe bereits davon sprechen hören.«

»Wirklich, wirklich?«

»Ja. Er soll bereits seit längerer Zeit krank sein.«

»Ich glaubs nicht. Sepp, glaubst Du es?«

Der Gefragte schüttelte verzweifelt den Kopf und antwortete,:

»Was weiß ich! Ich weiß nur das Eine, daß Alles, Alles aus ist. Dero König Ludwig stirbt und dera Sepp auch.«

»Das darfst nicht sagen,« gegenredete Warschauer. »Dera Herrgott lebt ja noch.«

»Das weiß ich. Aberst mein König ist krank. Es darf Niemand mehr zu ihm. Die Irrenärzte sind bei ihm. Ich mag nicht mehr leben, denn auch er überlebt das nicht. Laßt mich fort, laßt mich fort! Ich muß weiter mich Berg, wohins ihn schaffen wollen!«

Er wollte aufstehen, fiel aber wieder auf die Bank zurück.

»Wo denkst hin?« antwortete Warschauer. »Du kannst nicht weiter!«

»Ich muß, ich muß!«

»Du darfst aber nicht!«

»Ich muß. Ich geh fort!«

Er raffte sich mit Gewalt auf, gerieth aber sogleich ins Wanken und mußte gehalten werden.

»Sei verständig, lieber Sepp,« bat der Wirth. »Jetzt kannst unmöglich weiter. Du mußt Dich ausruhen. Komm herein in die Stuben. Ich werd Dich führen.«

Er nahm ihn unter dem Arme. Er ging nur sehr langsam. Sepps Beine zitterten sichtlich. Drin in der Stube angekommen, sank er sofort auf das Kanapee.

Vorher, unterwegs, hatte er sich noch aufrecht halten können; jetzt aber, wo die Schwäche sich nun einmal seiner bemächtigt hatte, kam er nicht wieder auf.

»Was hast denn aber macht?« fragte Warschauer. »Dera Schreck kann doch nicht allein gewest sein!«

»Nein, der nicht allein,« keuchte Sepp.

»Was denn?«

»Ich hab hört, daß mein König krank ist, und zu ihm wollt ich. Aberst man hat mich nicht zu ihm lassen. Da hab ich keine Ruhe habt bei Tag und Nacht und bin heraußen legen in Wind und Wetter, um zu erlauschen, wie es mit ihm steht. Dabei muß ich mich verkältet haben, und nun gehts mit mir zu End.«

»Mach mir keinen solchen Witz!«

»Glaubst, daß ich mit dem Tode Scherz treiben thu?«

»Nein, aberst man stirbt nicht so leicht.«

»Wanns aber einmal beginnt, dann gehts auch sehr schnell.«

Er konnte nicht zusammenhängend sprechen. Sein Athem ging keuchend. Seine Augen und Wangen glühten. Er hatte das Fieber.

»Wollen Sie nicht nach einem Arzt senden?« fragte Marga.

»Arzt? Ein Doctor?« rief Sepp. »Ich mag keinen. Ich brauch keinen!«

Er richtete sich aus seiner liegenden Stellung auf dem einen Ellbogen auf und blickte wild, stier und zornig um sich.

»Aber Sepp, Sepp, sei doch geduldig!« bat Warschauer. »Du bist krank. Du mußt doch einen Doctoren haben!«

»Ich will ihn nicht sehen. Er soll mir weit davon bleiben. Wer mir einen Doktoren bringt, den schlag ich todt!« schrie der Kranke.

Das Fieber hatte sich seiner bemächtigt.

Da knieete Marga vor dem Kanapee nieder, zog den Sepp auf dasselbe zurück, ergriff mit ihrer Rechten seine Hand, legte ihm die linke auf die Stirn und sagte in mildem Tone, welcher einen ganz eigenthümlichen, bezwingenden Wohlklang hatte:

»Sepp, lieber Sepp, höre mich an! Kennst Du mich noch?«

Sein Blick verlor die Starrheit. Sein Gesicht nahm den Ausdruck größerer Ruhe an. Er sah nicht nach der Sprecherin. Er schien zu horchen.

»Hast Du mich gehört?« fragte sie abermals.

Seine Brust athmete noch schwer, aber es ging ein Lächeln über seine alten, lieben Züge. Er richtete den Blick nach der Decke empor und antwortete:

»Ja, diese Stimme, die kenn' ich gar wohl, die muß ich hört haben.«

»Besinne Dich: wo!«

»Es fallt mir nicht ein. Sags selbst!«

»Es war auf dem Wege von Pöking nach Possenhofen im Sommer vorigen Jahres.«

»Ja, ja, jetzund besinn ich mich. Du trafst mich um Weg, und weil ich nicht vornehm aussah, hast mich für einen Bettler halten.«

»So war es.«

»Und mir einen Thalern schenkt.«

»Ich wollte Dich nicht beleidigen.«

»Nachhero sind wir mitnander gangen und haben nander Alles sagt und verzählt, was wir auf dem Herzen hatten.«

»Ja, Du weißt noch Alles.«

»Wir haben vom lieben Herrgott sprachen und vom König, von Allem, was uns im Leben druckt und quält hat, und zuletzt haben wir gar mitsammen geweint. Hasts vergessen?«

»Nein, lieber Sepp.«

»Und nachhero, als wir Abschied nahmen, da hast mir gar – weißts auch noch, wast da than hast?«

»Ja.«

»Sags!«

»Ich habe Dir die Hand geküßt.«

»Ja, das reiche, vornehme Fräulein hat dem armen Wurzelseppen die Hand küßt und dabei sagt: daß sie einen Respecten vor ihm hat wie vor einem König. Ist das wahr?«

»Ja, so war es.«

»Aus Hannover bist gewest und wiederkommen hast wollt. Nun bist wiederum da; aber der Sepp wird gehen weit fort, von woher er nimmer wiederkommen kann.«

»Nein, Du wirst noch nicht dorthin gehen. Du wirst wieder gesund werden.«

»Das ist nicht wahr. Ich weiß, daß dera Tod in mir steckt.«

»Glaube das nicht. Verliere die Hoffnung nicht. Du bist dem lieben Gott, Dir selbst und allen Denen, die Dich lieben, es schuldig, daß Du alles Mögliche thust. Dein Leben zu retten. Willst Du mir eine recht innige Bitte erfüllen?«

»Kann ich denn?«

»Ja.«

»So thue ich es gern. Sags!«

»Es ist zweierlei: Lass' Dich in ein Bett legen und erlaube mir, nach einen Arzt zu senden!«

Er antwortete nicht gleich. Sie streichelte ihm leise die Wangen. Unter dem Eindrucke dieser Berührung sagte er:

»Weilst gar so eine gute Stimme hast, sollst Deinen Willen haben. Holt einen Arzt und legt mich in das Bett! Ich bin gar müd, und will schlafen. Mein Kopf thut mir weh und nachhero wird mir wohl besser werden.«

Diese Wirkung des liebevollen Bemühens des schönen Mädchens war so rührend, daß Allen die Thränen in den Augen standen.

Tobias mußte herbei, nm mit Hilfe des Wirthes den Kranken hinauf zu tragen. Er sollte im Bette Anton's liegen. Als sie ihn anfaßten, streckte er die Hand nach Marga aus und sagte:

»Weißts, daß ich's nur Deinetwegen ihn, nur Dir zu gefallen?«

»Ja. Sepp.«

»So mußt auch mir wiederum einen thun.«

»Gern.«

»Bleib bei mir, daßt da bist, wenn ich ausschlafen hab.«

»Gut, ich werde bei Dir bleiben.« Sie ging mit hinauf und die alte Frau Warschauer auch. Der Sepp wurde ausgezogen und in das Bett gelegt. Er schlief auch sogleich ein. Marga setzte sich zu ihm.

Dann mußte Tobias fort, um den Arzt zu holen. Anita aber nahm sich Marga's Gepäck an und richtete deren neue Wohnung vor.

Wohl erst nach Verlauf einer Stunde kam der Arzt. Sepp war wieder aufgewacht und wollte sich nicht ausfragen lassen. Auf Marga's Bitten aber gab er ruhige Antworten. Dann schlief er wieder ein.

Natürlich wurde der Doctor gefragt, was er hoffe oder befürchte. Er zuckte die Achseln und antwortete:

»Außerordentliche Gemüthsaufregung und körperliche Anstrengung, dazu eine vernachlässigte Lungenentzündung, welche hochgradig auftritt. Ich hoffe sehr wenig. Es ist zwar möglich, daß seine ursprüngliche, kräftige Natur die Krisis übersteht, wahrscheinlich aber ist, daß er stirbt. Wenn der Patient Verwandte hat, so benachrichtigen Sie dieselben davon. Ich werde am Abende wiederkommen und auch in der Nacht einmal.«

Er ging, nachdem er seine Anordnungen getroffen hatte.

Nach einer kurzen Berathung wurde beschlossen, denen, die ihm nahe gestanden hatten, zu telegraphiren. Welche Personen das seien, das sollte dem Maler überlassen bleiben, der dies wohl am Besten kennen mußte.

Darum ließ Anita sich sofort überfahren und erzählte Johannes, was geschehen war. Er erschrak auf das Heftigste, denn auch er hatte dem Alten sehr viel zu verdanken.

»Glücklicher Weise habe ich alle Adressen,« sagte er. »Ich werde sofort telegraphiren.«

Er begab sich nach dem nächsten Telegraphenamte und gab dort einen und denselben Wortlaut:

›Sofort kommen. Der Sepp stirbt‹

an die Adressen von Leni, dem Fex, Max, Walther und Rudolph von Sandau auf. Sodann ließ er sich selbst überfahren, um nach dem Kranken zu sehen.

In den letzten Jahren waren der Sepp und der Krickelanton keine guten Freunde gewesen, aber als die Eltern des Letzteren hörten, daß telegraphirt worden sei, sandten auch sie eine Depesche an ihren Sohn ab.

Der Kranke verbrachte die Nacht in sehr großer Unruhe. Nur Marga's Hand war im Stande, ihn zu beruhigen und zum Nehmen der Medizin zu veranlassen. Gegen Morgen schlief er endlich ein und zwar dauerte der Schlaf mehrere Stunden lang.

Aber wer den Schläfer sah, der mußte alle Hoffnung verlieren, daß er sich wieder erholen werde. Seine Wangen fielen mehr und mehr ein; die Nase trat scharf, und spitz hervor – – das Leben zog sich mehr und mehr nach innen zurück.

Noch während er schlief, trafen die beiden Ersten ein: nämlich Leni mit ihrem Manne, dem Grafen von Senftenberg.

Sie weinte laut auf, als sie hörte, wie es mit ihrem alten, treuen Wohlthäter stand, der ihr mit der Ergebenheit eines Freundes zugethan gewesen war. Nur mit Mühe konnte sie sich so weit beherrschen, ruhig bei ihm eintreten zu können.

Aber als sie ihn liegen sah, mußte sie sich das Taschentuch vor den Mund halten, um still zu bleiben.

Marga hatte am Bette gesessen und war höflich aufgestanden. Sie kannte Leni nicht, aber bei dem tiefen Schmerze derselben sah sie, wie theuer ihr der Kranke sei. Darum legte sie den Arm um sie und flüsterte ihr leise tröstende Worte zu.

Da begann Sepp sich zu regen. Sofort trat Leni zurück, so daß er sie nicht zu sehen vermochte.

»Bitte, weinen Sie nicht laut; erschrecken Sie ihn nicht; suchen Sie sich zu fassen!« bat Marga.

Dann nahm sie wieder bei ihm Platz. Er schlug die Augen auf. Sein Blick siel auf sie. Er lächelte leise und streckte seine Hand nach ihr aus. Sie reichte ihm die Ihrige.

»Ists Tag nun gworden?« fragte er.

»Bist die ganze Nacht bei mir gewest?«

»Sehr gern, lieber Sepp.«

»Nun mußt aber auch schlafen gehen!«

»Ich bin nicht müd.«

»Wannst auch nicht müd bist. Die Jugend muß schlafen. Ist dera Doctor hier gewest wieder?«

»Ja.«

»Nicht wahr, er hat sagt, daß ich sterben muß?«

»O nein. Er giebt die beste Hoffnung.«

»Schau! Daßt auch so eine Unwahrheiten sagen kannst!«

»Es ist wahr!«

»O, ich weiß es schon: Du willst mich nur trösten. Aberst das brauchst nicht. Ich sterb gar gern. Was sie mit ihm machen wollen und was sie von ihm sagen, das kann mein König nicht überleben. Er wird ganz gewiß sterben, er muß sterben und darum mag ich auch nicht leben bleiben. Wann dera Tod kommt, so geh' ich gern mit ihm. Also sag' mir halt die Wahrheit! Was hat der Doctor sagt?«

»Daß Du an der Lungenentzündung leidest, daß er aber alle Hoffnung hat. Dich zu retten.«

»Und jetzt sagst mir die Wahrheit noch nicht. Wanns nicht zum Tod gefährlich wär, würde dera Arzt nicht auch die Nacht noch kommen sein. Aberst ich kann Dir halt nicht zürnen, wannst mir seine Red' verschweigst. Ich weiß, daßt es gar gut meinst. Doch will ich denken, daß es zu End geht mit mir und meine Vorkehrung darnach treffen. Dabei sollst mir helfen.«

»Verlange Alles von mir, Sepp!«

»Es ist gar nicht viel, wast machen sollst. Nur eine Depeschen sollst abgeben.«

»An wen?«

»An meinen einzigen Herzensliebling, der mir die Sonne gewest ist in meinem alten einsamen Leben. Weißt, wen ich meine?«

»Nein.«

»Kennst meine Leni nicht?«

»Die Sängerin? Die Gräfin von Senftenberg?«

»Ja. Gelesen und gehört habe ich viel von ihr.«

»Schade, daßt sie nicht kennst! Aber Du wirst sie kennen lernen, sie wird kommen und Ihr werdet gute Freundinnen werden. Weißt, sie ist ein gar herzig liebs Weiberl, ganz ohne Falsch. Ich kann ihr nicht vergelten, wie glücklich sie mich gemacht hat, aber droben beim lieben Herrgott werd ich eine Fürbitt einlegen, daß ich als ihr Schutzengel niedersteigen darf, um bei ihr zu bleiben, bis sie auch da hinaufikommt zum alten Sepp.«

Es läßt sich nicht sagen, welcher Beherrschung es bedurfte, daß Leni nicht gerade aufschrie vor Schmerz. Der Alte fuhr fort:

»Wannst nur ein Papier da hättest!«

»Ich habe eine Brieftafel.«

»Kannst da eine Depeschen aufschreiben?«

»Ja.«

»So will ich dictiren. Bist fertig?«

»Du kannst beginnen.«

»Also schreib: An die Gräfin Leni von Senftenberg. Mein herziges Lenerl. Wannst Deinen alten Sepp noch mal sehen willst, so komm aberst schnell herbei. Es geht mit ihm gar schnell auf die Neige und er möcht doch gern haben, dast ihm die müden Augen zumachst. Er denkt, daß er eher Gnade beim Herrgott findet, wann Du an seinem Sterbebette mit ihm betest. Also komm, ich bitt' gar schön! Dein sterbender, alter Pflegevater.«

Marga rannen beim Schreiben die Thränen auf das Papier. Selbst der Sepp weinte.

»Lieber Sepp,« sagte sie, »weißt Du auch, was Du thust? Die Gräfin wird kommen; aber Du wirst wohl zu schwach sein für die Aufregung, welche Dir dadurch bereitet wird.«

»Zu schwach?« lächelte er. »Aufregung? Nein, es wird keine Aufregung geben. Wann ich aufgeregt wäre, würde ihr Kommen mich beruhigen. So ist es. Weißt, die Leni hat ein Aug' und eine Hand grad so wie Du. Wann man ihr in's Aug' schaut, so wird Einem wohl. Darum send die Depesch nur fort und laß sie kommen.«

Da konnte Leni sich nicht länger halten. Unter strömenden Thränen, aber ohne einen Laut von sich zu geben, trat sie an das Kopfende des Bettes und legte ihm von oben her ihre beiden Hände an die Wangen.

»Ist noch Jemand da?« fragte er erstaunt. »Wer ist's? Wart, ich werds gleich wissen.«

Er schloß die Augen. Ein glückseliges Lächeln verklärte seine Züge mehr und mehr. Er ergriff die beiden Hände und sagte, ohne die Besitzerin derselben gesehen zu haben:

»So braucht also die Depeschen gar nicht fortgeschickt zu werden. Wie machst mich doch so glücklich, daßt kommen bist, meine Herzensleni. Komm' herbei und lass' mich in Deine Augen schauen!«

Jetzt trat sie an die Seite des Bettes. Sie wischte sich die Thränen aus den Augen und that sich den größten Zwang an, ruhig zu erscheinen.

Er schlang beide Arme um ihren Hals und zog sie zu sich herab. Er wollte sie auf die Stirne küssen; sie aber griff um seine Schultern, drückte ihn an sich und bedeckte Mund, Stirn, Wangen, kurz sein ganzes Gesicht mit ihren Küssen.

Er ließ es sich ruhig gefallen. Er zuckte und bewegte sich nicht, als ob er eine ganze Seligkeit über sich hereinbrechen fühle. Dann, als sie ihre Arme wieder von ihm genommen hatte, sagte er:

»Jetzund kann ich ruhig sterben; setzt bist Du bei mir. Ich weiß nicht, was über mich kommen kann. Ich muß Dir was zeigen und sagen, bevor ich die Besinnung verlier. Weißt, wo mein Rucksack liegt?«

»Da unter dem Bette,« antwortete Marga.

»Mach ihn mal aufi! Es ist eine Blechbüchsen drin, welche verlöthet ist. Die muß ich Dir zeigen.«

Leni folgte seiner Anweisung und gab ihm die Blechbüchse in die Hand.

»Schau, Leni, das ist mein Testament,« sagte er. »Es ist in aller Form Rechtens gemacht und kann nicht angefochten werden. Wer wollt es auch anfechten? Ich hab' ja keinen Verwandten auf dera Welt.«

Er holte tief Athem und fuhr dann fort:

»Ich bin nicht so arm, wie man denkt. Ich Hab' nicht nur Wurzeln graben, sondern ich hab' auch Dinge verrichtet, zu denen sonst ganz andere Kerlen genommen werden als der Wurzelsepp scheinbar ist. Das mag sein, wie es wolle, man mag sich den Kopf zerbrechen, wer und was ich eigentlich gewest bin. Ich könnt's sagen, doch das hätte keinen Zweck. Ich bin als dera Wurzelsepp bekannt und will auch als derselbige begraben sein. Du bist meine einzige Erbin. Ich hatte denkt. Du thätst ein armes Dirndl bleiben. Darum hatt' ich für Dich sorgt. Nun aberst bist Gräfin und sehr reich. Da hab ich Dir zwar all' mein Geld geben, aber ich hab dazu schrieben, zu welchen Wohlthaten Du es verwenden sollst. Dera Sepp hat in seinem Leben vielen Menschen holfen, ohne daß sie es ahnen; er will dies auch noch nach seinem Tode thun. Also mach, was darinnen steht, aber sage nicht, daß es von mir ist! Nun bin ich fertig. Willst also meine Erbin sein?«

»Ja, ja,« schluchzte sie. »Aber kein Pfennig davon soll für mich verwendet werden; das schwöre ich Dir!«

»Brauchst keinen Schwur. Ich kenn schon meine Leni gar zu gut. Hast Deinen Mann auch mitbracht?«

»Ja.«

»Das ist schön von ihm; das gefreut mich sehr, daß er den alten Sepp auch noch ein Wengerl achtet. Jetzt nun ruh' Dich aus von dera Reisen, und nachhero kannst den Grafen zu mir bringen.«

»Ich mag nicht ruhen. Ich will bei Dir sein.«

»So kann die Marga dafür ausruhen. Also bleib' da. Aberst jetzund kann ich weiter Niemand brauchen, denn dera Frost kommt wieder und das Fieber beginnt mich zu schütteln. Ich hab' mich mit dem Sprechen zu viel anstrengt. Nun will ich still und ruhig sein.«

Er schloß die Augen. Bald aber begannen seine Züge, seine Glieder, sein ganzer Körper zu zucken, und sein Mund murmelte halblaute, unverständliche Worte. Da kam der Arzt. Er stand lange am Bette und schüttelte den Kopf. Er mußte seinen gestrigen Ausspruch festhalten; der Zustand des Kranken hatte sich keineswegs gebessert.

Im Laufe des Vormittages kamen die Anderen, welche durch die Depesche des Malers herbeigerufen worden waren.

Nun waren wieder einmal die Freunde und Freundinnen beisammen, leider aber in Folge einer für sie Alle so hoch betrübenden Ursache. Der Schöpfer ihres Glückes lag im Sterben, denn daß sie es ihm zu verdanken hatten, mittelbar oder unmittelbar, darüber waren sie alle einig.

Der Krickelanton kam erst gegen Abend.

Er war am Weitesten entfernt gewesen und hatte die Depesche auch später empfangen. Er hatte unmöglich eher kommen können.

Marga wußte nichts, daß ihm telegraphirt worden sei und daß er also kommen werde.

Alle die Angekommenen hatten sich in der Nähe einquartirt. Im Krankenhause selbst durfte man keine Aufnahme suchen, weil der Kranke durch das dadurch unvermeidliche Geräusch beunruhigt worden wäre.

Als Anton ankam, war von den Gästen zufälliger Weise Niemand anwesend. Er fand die Eltern allein in ihrem Stübchen. Als er bei ihnen eintrat, eilten sie auf ihn zu, um ihn zu umarmen. Es herrschte jetzt ein wahrhaft rührendes Verhältniß zwischen ihnen und dem einst so rücksichtslosen Sohne. Er war wirklich ganz anders geworden, und seine Umkehr konnte eine gründliche genannt werden.

Er legte den Mantel ab und fragte:

»Ihr telegraphirt mir, daß der Sepp im Sterben liege, und ich solle kommen. Wo ist er denn eigentlich? Hier in der Nähe?«

»Bei uns.«

»Bei Euch?«

»Ja. Droben in der Stub liegt er.«

»Wie ist denn das gekommen?«

Sie erzählten es ihm. Da er ein sehr ernstes Gesicht dabei zeigte, fragte ihn der Vater:

»Bist wohl bös darüber, daß wir ihn aufgenommen haben?«

»Wie kommst Du auf diesen Gedanken?«

»Weilst mit ihm nicht zu aller Zeit gut Freund gewest bist.«

»Das ist jetzt anders. Seit jenem Abende im Theater bin ich ihm nicht mehr feindlich gesinnt. Ob er sich aber viel daraus machen wird, mich vor seinem Tode noch einmal zu sehen, das bezweifle ich.«

»So ists recht, daß wir ihm Dein Bett geben haben?«

»Natürlich. Unter solchen Umständen muß man den fremdesten Menschen aufnehmen, wie viel mehr nicht diesen braven Mann, dem wir Alle so viel zu verdanken haben. Ist er allein?«

»Nein. Die Leni ist bei ihm.«

»Wie? Die Leni ist auch schon da?«

»O, noch Mehrere.«

Sie nannten ihm die Namen.

»So finden wir uns ziemlich Alle wieder einmal beisammen, leider aus einer sehr traurigen Veranlassung. Ich werde jetzt einmal hinaufgehen.«

»Auch wann die Leni oben ist?«

»Ich brauche sie nicht mehr zu scheuen.«

Er stieg leise die Treppe empor und öffnete ebenso leise die Thür ein Wenig, um hinein zu blicken. Klopfen durfte er nicht, weil er sonst den Kranken hätte aus dem Schlafe wecken können.

Die Wohnstube war leer. Er schritt leise durch dieselbe und klinkte die Thür zur Schlafstube auf. Dort lag der Kranke, und bei ihm saß Leni, seine Hand in der ihrigen haltend. Er schien zu schlafen.

Da sie mit dem Gesichte nach der Thür gewendet saß, sah sie Anton. Ein freundliches Lächeln bewillkommete ihn. Sie winkte ihm, näher zu kommen und bot ihm, als er sich ihr auf den Zehen näherte, die andere Hand.

»Grüß Gott, Anton,« flüsterte sie ihm leise zu. »Woher weißt, daß unser alter Freund krank worden ist?«

»Die Eltern haben mir depeschirt.«

»Davon hab ich nix wußt. Es ist sehr schön und lieb von ihnen, und von Dir auch, daßt kommst.«

Welch ein Gefühl durchzog ihn, als dieses herrliche, von ihm einst verschmähte Wesen, jetzt eine Gräfin, ihn mit dem traulichen Du und im Dialecte anredete. Bis vor einiger Zeit hätte er sich gehütet, wieder unter vier Augen mit ihr zu sein. Nun aber war ihr Bild so ziemlich vor dem Glanze eines anderen erblichen. Sie war ihm nicht mehr so gefährlich.

»Es ist doch meine Herzenspflicht, zu kommen,« antwortete er. »Wie steht es? Ists gefährlich?«

»Er wird wohl sterben müssen. Schau ihn nur mal an!«

Ihre Augen hatten sich augenblicklich wieder mit Thränen gefüllt. Er sah es den Zügen des Kranken an, daß sie Recht hatte. Hier war keine Rettung mehr zu hoffen.

Trotzdem es schien, als ob er schlafe, bewegte der Sepp unaufhörlich den Mund. Er sprach immerfort leise mit den Lippen, und nur selten war ein Wort einmal zu verstehen.

»Was phantasirt er denn?« fragte Anton.

»Immer nur vom Könige und von dessen Wahnsinn und Tod.«

»So hat er es sich so zu Herzen genommen, daß er es nicht verwinden kann.«

»Leider. Horch nur!«

Grad setzt sprach der Kranke deutlicher:

»Sterben, sterben, nur nicht wahnsinnig sein, nur nicht für verrückt gelten. Todt, todt ist besser, ist viel besser!«

Und als er dies gesagt hatte, öffnete er plötzlich weit die Augen. Sein Blick fiel grad auf Anton, erst starr, dann immer mehr bewußter werdend.

»Anton, Du hier?« fragte er.

»Soeben bin ich gekommen,« antwortete der Sänger.

»Wegen meiner?«

»Ja, ich mußte Dich doch sehen.«

»Ich dank Dir auch! Es thut mir so wohl im Herzen, daßt auch gut auf mich gesinnt bist. Aberst sag doch, wo ist dera König?«

»In Schloß Berg.«

»Also schon hier?«

»Ja.«

»Seit wann?«

»Seit heut.«

»Ist er frei?«

»Scheinbar. Doctor von Gudden ist bei ihm.«

»Ein Irrenarzt?«

»Ja. Und heimlich wird er natürlich bewacht.«

»Was ist heut für ein Tag?«

»Der zwölfte Juni.«

»Ich weiß gar nicht, wie lang ich bereits hier bin. Mein Kopf ist ganz wüst, und das Denken fallt mir schwer. Ist denn Pfingsten schon vorüber?«

»Nein. Morgen ist der erste Feiertag. Heut haben wir also den heiligen Abend.«

»Das ist traurig. Grad am Vorabend des heiligen Festes, an welchem dera Geist herniederkommt, wird mein König als geisteskrank nach Berg schafft. Wer soll das aushalten! Wer soll das überleben! Mir wird ganz schwach. Die Stub dreht sich mit mir herum. Ich will wieder schlafen.«

Er drehte das Gesicht zur Seite und phantasirte weiter.

»So geht es immerfort,« sagte Leni leise. »Immerfort Phantasie und nur selten einmal ein freier Augenblick.«

»Und Du strengst Dich hier an und opferst Dich auf! Ich werde Dich ablösen.«

»Das ist nicht nöthig,« lächelte sie trübe. »Wir sind hier so viele Freundinnen beisammen, daß wir keiner männlichen Hilfe bedürfen. Am liebsten aber außer mir hat Sepp das Fräulein bei sich.«

»Welches Fräulein?«

»Die Sommerfrischlerin, welche bei Deinen Eltern wohnt.«

»Ich weiß nichts von ihr. Woher ist sie?«

»Ich habe sie nicht gefragt.«

»Und wie heißt sie?«

»Auch das weiß ich nicht. Erst jetzt besinne ich mich darauf, daß wir uns noch nicht einmal einander vorgestellt haben. Wir haben uns nur immer mit dem allgemeinen »Sie« begnügt.«

»Ist sie eine gute Pflegerin?«

»Eine ausgezeichnete sogar. Sie braucht ihm selbst in der wildesten Phantasie nur die Hand auf die Stirn zu legen, so ist er ruhig. Sie hat überhaupt so etwas Besänftigendes an sich. Ich glaube, sie könnte den wildesten Character zügeln.«

»So bin ich neugierig, sie zu sehen.«

»Das ist ein gefährlicher Wunsch,« lächelte sie trotz ihrer Traurigkeit.

»Warum?«

»Sie ist sehr schön.«

»Das thut bei mir nichts.«

»Bist Du jetzt so gefeit?«

»Ja.«

Da öffnete der Sepp die Augen und blickte abermals die Beiden an.

»Leni,« sagte er, »ich hab eben jetzt meine Gedenktafel sehen, wann sie in dera Kirchen hängt. Da hing auch meine alte Zithern dabei. Ich hab sie wollen lassen mit mir begraben, weils mir eine gar so treue Freundinnen gewest ist. Aber es wär doch jammerschad um sie, wann sie mit mir verfaulen sollt. Wirst mir eine Gedenktafeln machen lassen?«

»Ja, und ein Denkmal lasse ich Dir setzen. Aber das hat noch eine gar lange Weile.«

»Nein, ein Denkmal mag ich nicht haben. Dera Herrgott weiß schon, wo er mich bei dera Auferstehung zu suchen hat. So ein Denkmal ist immer eine Großthuerei, die ich nicht dulden mag. Aberst meine Zithern läßt mich hinhängen?«

»Ja.«

»Und einen Kranz von Veilchen um dieselbe? Es ist ja jetzt die Frühjahrszeit, wo dieselbigen wachsen.«

»Ich verspreche es Dir.«

»Ich danke Dir, Leni! Und weißt, ich möcht sie doch gar zu gern noch mal hören, meine Zithern. Aberst ich kann sie nicht selbst spielen, denn meine Fingern reichen heut nicht dazu aus. Giebts nicht Einen, ders hier kann?«

»Max Walther ist ja da; der ist Virtuos auf dera Zithern!«

»Laß ihn holen! Und noch was möcht ich zum letzten Male hören, bevor ich sterben thu, nämlich Deine liebe Stimm, meine Leni. Willst mir zur Zithern noch mal das Lied singen »Schlaf in Ruh«? Thu Deinem alten Sepp noch den Gefallen!«

»O, gern!« sagte sie, laut schluchzend.

»Weine nicht! Bald werd ich im Himmel die Psalmen der lieben Engel hören. Und nachhero thät ich mich freuen, wannst mit dem Anton hier ganz versöhnt wärst, so daß er das Lied mit Dir singen thät, zweistimmig, von zwei solchen Leuten. Das soll mein Abschied von der Musiken sein. Wollt Ihr?«

Leni konnte nur schluchzen, und auch Anton sprach nicht. Er nickte nur weinend.

»So ists recht,« fuhr der Kranke fort. »Und weil die Freunde hier sind, so sollen sie es auch mit hören. Ich will hier sein, ganz allein, und nur die Fremde soll sich bei mir befinden. Ihr Andern seid draußen in dera Stuben. Anton, geh hinab und laß sie holen. Meine Zithern steckt im Rucksack drin.«

Anton ging still fort.

Als er die Thür öffnete, um in die Wohnstube zu treten, blieb er erschrocken stehen. Da stand Marga Siebers vor seinem Bilde, unter welchem die beiden Rosen befestigt waren.

»Marga!« entfuhr es ihm.

»Anton!« antwortete sie erglühend. »Ich wußte nicht, daß Sie hier sind.«

»Und ich ahnte nicht, daß Sie die Pflegerin sind, die man mir so rühmt. Sie wohnen bei meinen Eltern?«

»Zufällig. Als ich heut miethete, hatte ich keine Ahnung davon, daß dieses Haus das Ihrige sei.«

»Der Kranke verlangt nach Ihnen.«

Er ging, und Marga trat in die Krankenstube. Leni hatte, da die Thür offen gestanden hatte, Alles sehen und hören können. Als Marga sich jetzt zu ihr setzte, fragte sie leise:.

»Sie kennen einander?«

»Ja.«

»Von woher?«

»Er trat in meiner Vaterstadt Hannover auf und wurde mir vorgestellt.«

»Er – – liebt Sie?«

»Ja,« antwortete Marga, ohne sich zu schämen.

»Aber unglücklich?«

»Nein. Unsere Neigung ist gegenseitig.«

»Das freut mich außerordentlich. Ich gönne ihm dieses Glück von Herzen.«

Marga schüttelte den Kopf.

»Er stößt es von sich?«

»Wieso?«

»Er sagt, daß er es nicht verdiene.«

»Warum nicht?«

»Wegen seiner Vergangenheit.«

»Ist er so ernst und streng gegen sich geworden?«

»Außerordentlich. Er hat mir Alles erzählt und mir freiwillig gebeichtet.«

»Auch von mir?«

»Ja. Sie sind ja die Hauptperson seiner Vergangenheit, und grad daß er Sie so mißachtet hat, das will er dadurch sühnen, daß er das Glück von sich weist.«

»Das ist zu streng. Ich werde mit ihm sprechen. Er malt sich schwärzer, als er war. Glauben Sie mir das. Er ist stets ein braver Mensch gewesen, und ich achte ihn von Herzen. Ich wünsche, daß er glücklich sei. Sehen wir, was ich thun kann!«

Sie bot Marga die Hand, welche diese warm und freundschaftlich drückte.

Sepp lag lange in Phantasien. Draußen füllte sich die Stube mit den herbeigerufenen Leuten, welche leise eintraten und ein tiefes Schweigen beobachteten.

Da kam Anton in das Krankenzimmer, um die Zither aus dem Rucksacke zu holen. Dabei erklangen die Saiten leise, ganz leise, aber sofort fuhr der Sepp, mit dem Kopfe herum.

»Was ist?« fragte er. »Das war meine Zithern?«

»Ja,« antwortete Leni.

»Sind die Leut alle da?«

»Ja.«

»So geh mit hinausi und sing. Die Freundin da mag mir ihre Hand reichen, während ich zuhören thu.«

Leni verfügte sich zu den Andern in die Wohnstube. Die Thür zu derselben wurde nur angelehnt. Es herrschte eine Stimmung, als ob man bereits vor dem offenen Grabe stehe.

Leni nahm sich vor, sich möglichst zu beherrschen. Weinen durfte sie während des Gesanges nicht. Es war das letzte Mal, daß der Sepp ihre Stimme hören sollte.

Marga hatte die Hand des Kranken ergriffen. Er schien es nicht erwarten zu können, denn er flüsterte:

»Warums nur nicht beginnen! Ah, jetzt stimmt dera Max Walther die Zithern. Nun wirds gleich losgehen.«

Walther war wirklich ein Virtuos. Die gegenwärtige Stimmung hatte sich seiner tief bemächtigt, und er gab ihr durch ein Vorspiel Ausdruck, welches ergreifend war. Dann fielen Leni und Anton ein, erst leise, dann ihre Stimmen anschwellen lassend, ohne ihnen aber zu erlauben, sich zur vollem Flüchtigkeit zu entfalten:

»Schon fängt es an zu dämmern,
Der Mond als Hirt erwacht
Und singt den Wolkenlämmern
Ein Lied zur guten Nacht.
Und wie er singt so leise,
Da dringt vom Sternenkreise
Der Schall ins Ohr mir sacht:
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh,
Vorüber der Tag und sein Schall.
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh,
Die Liebe Gottes deckt Euch zu!«

Hätten die Beiden diese Strophe in einem Concerte gesungen, sicherlich wäre sie ihnen nicht so meisterlich gelungen wie hier. Der Schmerz war der Dirigent, dem sie gehorchten, und darum waren Worte wie Töne von einem geradezu unbeschreiblichen Eindrucke. Dann begann der zweite Vers.

»Und wie nun alle Kerzen
Erloschen durch die Nacht,
Da schweigen auch die Schmerzen,
Die uns der Tag gebracht.
Lind säuseln die Cypressen;
Ein seliges Vergessen
Durchschwellt der Lüfte Pracht.
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh,
Vorüber der Tag und sein Schall.
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh,
Die Liebe Gottes deckt Euch zu!«

Jetzt war es zu Ende. Die Anwesenden verhielten sich schweigend. Sie bewegten sich nicht. Da trat Marga herein und meldete:

»Er schläft. Er ist über dem Gesange eingeschlafen.«

»So können wir gehen,« sagte Anton. »Er hat sein letztes Lied gehört. Wann werden wir das unsere hören?«

Die Augen Aller standen voller Thränen. Es war, als ob einem Jeden sein eigenes Sterbelied gesungen worden sei.

Leni trat zu Marga und flüsterte ihr zu:

»Bitte, bleiben Sie für kurze Zeit bei dem Kranken! Ich komme bald wieder.«

»Was wollen Sie? Wohin wollen Sie? Ich ahne – – –«

»Lassen Sie mich nur!«

»Nein, nein. Er könnte Sie mißverstehen.«

»O, ich pflege sehr deutlich zu sprechen.«

»Aber dennoch bitte ich Sie, doch lieber zu schweigen. Ich will lieber auf Alles verzichten, als den Glauben erwecken, daß ich in unweiblicher Weise – – –«

»Ich verstehe Sie sehr gut. Haben Sie ja keine Sorge. Nicht Sie sprechen zu ihm, sondern ich rede mit ihm. Sie werden jedenfalls gar nicht genannt.«

»Das beruhigt mich allerdings.«

Sie zog sich zu dem Kranken zurück, und Leni ging nach unten. Vor dem Hause standen die Freunde und Freundinnen in kleinen Gruppen beisammen. Anton hatte sich zu Niemandem gesellt. Er schritt langsam dem Ufer des Sees zu. Leni ging ihm nach.

Als sie ihn erreicht hatte, schob sie zutraulich ihren Arm in den seinigen.

»Du, Leni,« sagte er erstaunt. »Was sagt Dein Mann dazu?«

»Nichts. Mein Mann hat Vertrauen zu mir, denn er liebt mich wahrhaft.«

»Das ist ein Stich, der mir gilt.«

»Ja, das will ich Dir offen gestehen.«

»Du willst sagen, daß nur Einer, welcher nicht wahrhaft liebt, Mißtrauen hegen könne?«

»Ja.«

»Ich hegte einst welches gegen Dich – – –«

»Allerdings.«

»Folglich liebte ich Dich nicht wirklich?«

»Das ist der richtige, logische Schluß. Leuchtet Dir das nicht ein?«

»Früher nicht.«

»Aber jetzt?«

»Ja.«

»So scheinen Deine Ansichten sich geändert zu haben.«

»Die Ansichten mit dem Charakter. Ich hatte einen schlechten Charakter.«

»Wirklich?«

»Ja, ich war Egoist durch und durch. Ich, ich, ich und wieder ich, das war das einzige Wort, was es für mich gab. Was sich nicht damit in Einklang bringen ließ, das hielt ich für schlecht, oder wenigstens unnütz. Darum konnte ich Dich so peinigen.«

»Es ist vergeben.«

»Auch vergessen?«

»Ja, Anton. Ich trage Dir nichts nach.«

»So hast auch Du mich nicht wirklich geliebt.«

»Meinst Du?«

»Ja. Wer so leicht vergessen kann, der hat nicht wirklich geliebt.«

»Woher weißt Du, daß ich leicht vergessen habe?«

»Du sagst es ja.«

»Nein.«

»Du lassest es mich wenigstens errathen.«

»Auch das nicht. Ich gestehe Dir in aller Aufrichtigkeit, daß ich mich nur sehr schwer in den Gedanken der Entsagung finden konnte; als ich aber dann einmal entsagt hatte, war ein Wiederanknüpfen ganz unmöglich.«

»Ja, Du bist von jeher charakterfest gewesen. Ich aber hielt Starrheit für festen Willen. Nun, ich habe gebüßt und büße noch.«

»Ist das nothwendig?«

»Ja.«

»Schwerlich!«

»Jedenfalls. Jede Schuld erfordert eine Sühne.«

»Auch wenn sie vergeben worden ist?«

»Dann nicht. Aber ich selbst habe es mir noch nicht vergeben.«

»Du hast Dich weder anzuklagen noch Dir Etwas zu vergeben. Du bist nicht das Object Deines Irrthumes gewesen, sondern ich war es, und so können Anklage oder Verzeihung nur von mir kommen.«

»Du sprichst wie ein Prediger!«

»Spotte nicht. Ich fahre fort: Ich habe Dir vergeben, folglich ist Dir verziehen, und Du hast kein Recht, Dich selbst noch weiter zu quälen und zu kasteien.«

»Von Deinem Standpunkte aus; der meinige ist aber ein anderer. Ich habe nicht nur gegen Dich, sondern auch gegen mich gesündigt. Das Letztere ists, worüber ich mein eigener Richter sein darf, und da verzeihe ich mir nicht.«

»Anton, bedenke den Unsinn!«

»Das ist kein Unsinn!«

»O doch! Du hast Dich unglücklich gemacht, und dafür willst Du Dich dadurch bestrafen, daß Du Dich noch unglücklicher machst. Ist das richtig?«

»Ja.«

»Wie falsch. Du bist betrunken und bestrafst Dich dadurch, daß Du noch immer mehr trinkst. Das ist doch wirklich lächerlich! Die Strafe muß im Gegensatze zu dem Objecte der Sünde stehen. Fehler darf nicht mit Fehler bestraft werden. Uebrigens bin ich kein Jurist, kein Psycholog und Philosoph, sondern eine einfache Frau, welche mit ihrem Herzen urtheilt und richtet. Gott straft nicht ewig; warum soll der Mensch unversöhnlich sein, zumal mit sich selbst? Willst Du denn für immer dem Glücke entsagen, eine liebe Frau au Deiner Seite zu haben?«

»Ja.«

»So sage mir nur einen einzigen triftigen Grund dazu!«

»Ich bin eines solchen Glückes nicht werth.«

»Höre, Du hast Dich in eine krankhafte Selbsttyrannei verfitzt, aus der Du nicht wieder heraus zu kommen vermagst.«

»Das ist nichts Krankhaftes.«

»O doch! Oder ja. Du magst Recht haben, es ist nichts Krankhaftes, sondern etwas noch viel Schlimmeres, sogar etwas sehr Verwerfliches.«

»So?«

»Ja, gewiß, mein Lieber.«

»Nun, was ist es denn?«

»Der Hochmuth, die Selbstsucht, die Du soeben erst eingestanden hast. Du denkst, mit ihr gebrochen zu haben, aber das ist nicht wahr. Sie steckt noch heut in Dir und zeigt sich nur in einem anderem Gewande.«

»Das begreife ich nicht.«

»Ja, Dein Hochmuth gleicht jetzt dem Wolfe, der sich in das Schaffell versteckt, oder dem Heuchler, der eine Frömmigkeit und Demuth zur Schau trägt, welche er gar nicht besitzt. Du willst groß thun mit Deiner Buße, mit der Strenge gegen Dich selbst.«

»Fällt mir nicht ein! Ich spreche ja zu Niemandem davon.«

»Ist gar nicht nöthig. Du willst groß thun vor Dir selber. Du betrachtest Dich im Spiegel und hast Freude über Dich, Du hältst Dich für einen charaktervollen, tüchtigen Menschen. Du sagst zu Dir: Anton, Du hast gefehlt, darum bestrafst Du Dich mit unnachsichtlicher Strenge, und darum bist Du ein tüchtiger Kerl, vor dem Du selbst Respect haben mußt. Ist es so, oder ist es anders?«

Er schwieg. Er fühlte sich getroffen.

»Du antwortest nicht. Ich nehme also an, daß Du mir wenigstens so leidlich Recht giebst. Dein Hochmuth steckt noch in Dir, Du wirst ihn auch nie ganz los werden; Du wirst stets ein Wenig hochmüthig bleiben, denn das ist eben angeboren; aber bekämpfe diesen Hochmuth, dann bist Du lobenswerth. Kämpfe nicht mit Phantomen, die Du Dir selbst schaffst, sondern mit Deinen wirklichen Fehlern. Während Du Dich über Dich selbst zu freuen gedenkst, peinigst Du Dich nur und wirst auch ungerecht gegen Andere.«

»Wieso?«

»Nun, bleiben wir bei unserm Falle! Du willst Dich dadurch bestrafen, daß Du nicht heirathest. Aber haben Deine Eltern nicht das Recht, eine Schwiegertochter und liebe Enkel zu verlangen?«

Auch jetzt antwortete er nicht.

»Und ist Dein Beginnen nicht unmoralisch? Du entsagst der Ehe, aber wohl nicht auch der Liebe. Gott will, daß die Liebe durch die Ehe geregelt werde. Du aber fliegst von Blume zu Blume und vergeudest die Gaben des Gemüthes, mit welchen Du ein braves Mädchen glücklich machen könntest. Oder verursacht es Dir einen so hohen moralischen Stolz, von Mädchen zu Mädchen zu gehen, damit die späteren Gatten derselben sich mit dem zufrieden geben sollen, was Du verächtlich weggeworfen hast? Anton, Du warst früher ein ungerechter Mensch, jetzt bist Du gefährlich!«

Sie standen am Ufer des Sees. Er lehnte am Stamme einer Buche und sah vor sich nieder. Jetzt antwortete er:

»Leni, früher hättest Du mir so etwas nicht sagen dürfen –«

»Das weiß ich wohl!«

»Heut aber höre ich Dich ruhig an. Das ist doch wohl ein Beweis, daß es mit meinem Hochmuthe nicht gar so schlimm bestellt sein kann, und –«

»Halt! Soeben zeigst Du diesen Hochmuth wieder, indem Du Dich lobst und ihn verteidigst.«

Diese Einwendung frappirte ihn. Sie benützte das, indem sie fortfuhr:

»Ich wiederhole, daß Du Deinen Eltern die Erfüllung eines ganz natürlichen Herzenswunsches versagst. Und nun denke Dich einmal in die Möglichkeit, daß ein gutes, achtbares Mädchen Dich liebt und daß Du vielleicht gar ihre Liebe erwiderst. Hast Du das Recht, ihr das Glück zu versagen, weil Du es Dir versagst?«

»Vielleicht doch.«

»Wieso?«

»Weil sie mit mir überhaupt nicht glücklich sein würde.«

»Kannst Du das beweisen?«

»Nein.«

»So denke keine Dummheiten. Beschäftige Dich nur mit Voraussetzungen, aus denen Du einen richtigen Schluß folgern kannst. Der beste und allerlogischste Schluß ist aber der: Du liebst sie; sie liebt Dich, folglich werden wir mit einander glücklich. Wer das nicht glaubt, dem ist überhaupt niemals zu helfen und den lasse ich also hiermit stehen!«

Sie wendete sich von ihm ab und that, als ob sie fortgehen wolle. Da rief er ihr nach:

»Leni, halt!«

»Was noch?«

»Komme einmal her!«

Sie kehrte langsam zurück.

»Was soll ich?«

»Hast Du vorhin die Scene bemerkt, als ich Marga in meiner Wohnstube traf?«

»Ja.«

»Was schließest Du daraus?«

»Daß Ihr Euch vielleicht einmal flüchtig gesehen habt.«

»Flüchtig war das nicht.«

»Nun, also nicht flüchtig.«

»Wir haben uns sogar oft gesehen.«

»Ah! Also wohl eine solche – solche – solche Liaison von Dir?«

»Nein. Das wäre eine Beleidigung dieses braven Mädchens.«

»Ist sie wirklich brav?«

»Ja.«

»Das glaube ich nicht.«

»Leni!«

»Ich wiederhole es: Ich glaube es nicht.«

»Willst Du mich zornig machen?«

»Pah! Was mache ich mir aus Deinem Zorne. Hast Du sie geliebt?«

»Ja.«

»Und liebt sie Dich?«

»Ja.«

»So taugt Eins von Euch Beiden nichts. Und da Du jedenfalls die Schuld nicht auf Dich nehmen wirst, so muß ich natürlich annehmen, daß der Fehler auf der Seite dieser Marga liegt.«

»Alle Teufel, Leni! Du springst mit mir um wie mit einem Schulbuben.«

»Ja, wenn ich nur ein Lineal dabei hätte, um Dir die alten, eingerosteten Mucken auszutreiben. Was denkst Du denn eigentlich von Dir? Du meinst, Liebe einflößen und die Betreffende dann gar nicht beachten zu dürfen. Gehe doch in Dich! Du bist kein Gott und auch kein Halbgott. Du bist ein armer, sündhafter Mensch wie jeder Andere. Du strotzest vor Selbstsucht und Hochmuth. Sei doch froh und danke es dem lieben Himmel auf den Knieen, wenn Dich ein braves Mädchen lieb gewinnt! Du könntest alle Reiche der Welt besitzen und kilometertief in Gold und Diamanten stecken, ich möchte Dich doch nicht, denn der Kern, das da, ist jämmerlich!«

Sie tupfte ihm dabei mit dem Finger auf die Gegend des Herzens; dann wendete sie sich ab und schritt davon in der festen Absicht, nicht wieder umzukehren.

»Leni!« rief er.

»Laß mich aus!«

»Leni!« rief er lauter.

»Red', mit wem Du willst!«

Da sprang er ihr nach, faßte sie beim Arme und sagte:

»Ich laß Dich doch nicht fort. So ein kuraschirtes Weibsbild, wie Du bist, habe ich noch nie gefunden!«

»Wollte Gott, es wären Alle so!«

»Dann wär's freilich besser!«

»Das giebst Du zu?«

»Ja.«

»Ah!«

»Natürlich gebe ich es zu, denn Du hast ja Recht. Die characterlosen Frauenzimmer sind es ja, die uns verderben.«

»Nein. Wenn Ihr sie nicht anschaut, können sie gar keinen Einfluß auf Euch haben.«

»Hols der Teufel, Du hast Recht! Wenn mir eine Andere solche Sachen in das Gesicht sagte, ich spränge mit allen Beinen drein. Warum höre ich es denn grad von Dir so ruhig an?«

»Weil ich Dir überlegen bin; weil ich einen Character habe und Du hast keinen. Laß Dir einen wachsen!«

»Das ist schon wieder so eine Beleidigung! Was soll ich aber dagegen sagen? Weißt Du, ich habe Dich trotz alledem doch ganz entsetzlich lieb gehabt. Ich bin innerlich elend und marode gewesen, und darum hält es so schwer, mich wieder zusammenzuflicken, daß ein brauchbarer Kerl aus mir wird.«

»Wende Dich nur an den richtigen Doctor!«

»Wie heißt der?«

»Frau. Wirf Deine Albernheiten und Einbildungen von Dir. Werde einfach, wahr und ehrlich mit Dir selbst. Nimm Dir dann ein hübsches, junges Weibchen, welches Du wirklich lieb hast und dann wirst Du sehen, wie schnell aus einem Affen und Laffen ein achtbarer Mann werden kann.«

Er lachte halb lustig, halb grimmig auf.

»Leni, ich sollte Dir eigentlich in allem Ernste zürnen. Du treibst es zu toll. Aber ich kann mir nicht helfen. Du hast Recht. Ich habe mich noch niemals in einem Spiegel so deutlich gesehen wie jetzt. Gieb mir einmal Deine Hand. So!«

Er ergriff ihre beiden Hände, schüttelte dieselben herzhaft und fuhr fort:

»Für den heutigen Abend bin ich Dir einen Dank schuldig, den ich niemals abtragen kann. Heut hast Du mich klein gemacht. Ich will Dir gestehen: ich sehe es deutlich ein, daß ich ein jammervoller Wicht gewesen bin, früher und jetzt bis auf diesen Augenblick. Du hast Recht; ich bin Egoist durch und durch. Aber von jetzt an soll es anders werden. Daraus gebe ich Dir meine Hand. Das hast Du fertig gebracht und – die Liebe.«

»Also liebst Du wirklich?«

»Von ganzem Herzen!«

»Marga?«

»Ja.«

»Das ist doch nicht wieder eine Täuschung!«

»Nein. Es mag Dich beleidigen oder nicht, ich habe sie noch tausend, tausend Male lieber, als ich Dich hatte.«

»So! Das wollen wir doch gleich einmal probiren.«

»Wie denn?«

»Wen hältst Du denn für schöner und besser, sie oder mich?«

»Nimmst Du es mir übel, wenn ich Dir die Wahrheit sage?«

»Vielleicht.«

»Dennoch sage ich: Marga ist schöner als Du; das kannst Du gar nicht leugnen. Und besser? Ich traue ihr mehr Tugenden zu als Dir.«

Ein unpartheiischer Kenner weiblicher Schönheiten hätte Leni vor Marga den Preis gegeben; sie aber fühlte sich durch das Urtheil Antons gar nicht verletzt, sondern sie sagte ganz im Gegentheile:

»Da hast Du freilich die Probe gut bestanden. Wenn Du sie für schöner und besser hältst als mich, so hast Du sie auch lieber als mich. Ich will Deine Liebe also nicht für eine Selbsttäuschung halten. Wie steht es aber nun mit ihr?«

»Sie ist mir gut.«

»Das genügt nicht.«

»So will ich sagen, daß sie mich liebt.«

»Das läßt sich eher hören. Hast Du Beweise?«

»Ja. Würde sie zum Beispiel meine Eltern suchen und sich bei ihnen einmiethen, wenn sie mich nicht lieb hätte?«

»Anton, Du hast nicht recht! Ich habe kein Wort mit ihr darüber gesprochen, aber ich will mein Leben wetten, daß sie Deine Eltern gar nicht gekannt hat.«

»Das sagte sie allerdings.«

»So hast Du es ihr zu glauben. Sie ist ein wahres, offenes, ehrliches Gemüth, und wenn Du in dieser beleidigenden Weise von ihr denkst, so bist Du nicht werth, daß sie Dich nur anschaut, viel weniger aber Dich lieb hat. Grad dieser Argwohn beweist, daß Du doch ein ganz unsinniger Mensch bleibst, vor dem ich sie warnen muß. Das arme Kind kann mit Dir nur unglücklich werden.«

Jetzt entlief sie ihm so schnell, daß alles Rufen und Nachlaufen nutzlos gewesen wäre. Er blieb stehen, einen scharfen Stachel tief in der Brust. Sie aber lachte froh in sich hinein, denn sie war überzeugt, ihm in ihrer so deutlichen Weise den richtigen »Weg zum Glück« gezeigt zu haben.

Diese Genugthuung verschwand allerdings sofort, als sie, in die Krankenstube zurückkehrend, das Gesicht ihres lieben Sepp erblickte.

»Wie ist's gegangen?« fragte sie.

»Es ist ganz eigen,« antwortete Marga. »Seit gesungen worden ist, hat er ruhig geschlafen und sich nicht bewegt. Das Lied muß also einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht haben.«

»Vielleicht giebt Gott, daß es uns gelingt, ihn zu erhalten. Nun aber lassen Sie mir die Pflege für diese Nacht über. Sie bedürfen der Ruhe.«

»Ich möchte doch lieber hier bleiben.«

»Nein. Das darf ich nicht dulden.«

»Wollen denn Sie sich dieser Anstrengung unterwerfen?«

»Warum nicht?«

»Frau Gräfin –«

»Pah! Ich bin dem Sepp seine Leni, und er hat es an mir verdient, daß ich eine Nacht für ihn opfre, wenn er im Sterben liegt. Ich möchte den Vorwurf nicht auf mich nehmen, daß ich ihn fremden Händen überlassen habe.«

Marga mußte sich fügen und ging. An der Thür wendete sie sich aber noch einmal zurück:

»Darf ich fragen, ob –?«

Sie sprach ihre Erkundigung nicht aus. Leni verstand sie aber natürlich und antwortete:

»Ich habe mit ihm gesprochen, aber Ihr Name ist nicht genannt worden.«

»Ich danke Ihnen!«

Sie wollte nun fort, aber da stand Leni neben ihr und sagte:

»Lassen Sie den Menschen laufen!«

»Warum?«

»Er liebt Sie nicht.«

»Meinen Sie?«

Sie war im Gesichte todesbleich geworden. Leni aber that, als ob sie das gar nicht bemerke und fuhr unerbittlich fort:

»Er kann Sie gar nicht lieben; es ist gar nicht möglich, denn er hält Sie eines Verhaltens für fähig, welches ein höchst incorrectes sein würde.«

Da trat die Röthe wieder in Marga's Wangen zurück. Sie fragte:

»Welches Verhalten meinen Sie?«

»Er glaubt, Sie laufen ihm nach.«

»Herrgott!« rief sie aus, sich mit beiden Händen nach dem Herzen greifend.

»Sie haben seine Eltern ausgekundschaftet –«

»Ich hatte keine Ahnung von ihnen hier.«

»Und sich bei ihnen eingemiethet, um sich desto besser des Sohnes zu versichern.«

»Das wäre ja ordinär!«

»Er traut es Ihnen zu.«

»Sagte er es?«

»Sogar sehr offen und deutlich.«

»Dann – dann – dann muß ich augenblicklich dieses Haus verlassen.«

»Ganz richtig. Es bleibt Ihnen gar nichts Anderes übrig.«

»Welch' ein Verdacht, welch' ein Verdacht! Ich gehe, ja, ich gehe fort!«

Sie verließ jetzt die Stube. Leni sagte sich im Stillen:

»Jetzt ist es eingefädelt. Wenn sie sich nun nicht aussprechen, so werden sie im ganzen Leben kein Paar.«

Marga suchte ihr Zimmer auf, schrieb einige Zeilen auf ein Papier, welches sie auf den Tisch legte, nahm den Mantel um, setzte den Hut auf und ging hinab zu Tobias, um ihn zu bitten, sie überzufahren. Er war sofort bereit dazu, und sie ging mit ihm nach dem Ufer.

Anton war von Allem, was Leni ihm gesagt und vorgeworfen hatte, zu aufgeregt, als daß er hätte ruhig sein sollen. Er wanderte am See hin bis weit abwärts und kehrte dann um, in der Absicht, heut Abend Marga noch aufzusuchen. Als er an die Stelle kam, wo das Boot angekettet zu liegen pflegte, hörte er nahende Ruderschläge. Er blieb stehen. Wer kam da?

Er bemerkte, daß das zum Hause gehörige Boot fehlte und erkannte ihn dem Nahenden den Pächter Tobias.

»Du fährst am Abend noch spazieren?« fragte er ihn.

»Weit gefehlt!«

»Also Geschäft?«

»Auch nicht.«

»Was denn?«

»Ueberfahrt.«

»Wen?«

»Marga.«

»Wohin?«

»Feldafing.«

»Weshalb?«

»Weiß nicht.«

»Ist sie denn nicht mit zurückgekehrt?«

»Nein.«

»Aus welchem Grunde?«

»Brauch's nicht zu wissen.«

»Aber, zum Teufel, antwortete doch ordentlich! Was will sie denn um diese Stunde jetzt da drüben?«

»Geht mich nix an. Zettel liegt auf dem Tische.«

»Auf welchem?«

»Auf dem Ihrigen droben.«

Da sprang Anton in das Haus und eilte hinauf. Da lag der Zettel, auf welchem die Weisung geschrieben stand:

»Bitte meine Effecten nebst Rechnung mir morgen früh nach Feldafing zu senden.«

Nach zwei Minuten saß er im Boote und ruderte über dem See. Drüben angekommen, nahm er sich kaum Zeit, das Boot richtig anzubinden. Er eilte in den Gasthof und ließ fragen, ob Marga Siebers noch zu sprechen sei. Sie ließ verneinen. Er aber kehrte sich nicht daran, sondern stieg die Treppe empor und öffnete die unverschlossene Thüre ihres Gaststübchens. Sie saß am Tische, beschäftigt, einen Brief zu schreiben.

»Sie? Sie kommen zu mir trotz meiner Abweisung!« sagte sie in zornigem Tone und sich vom Stuhle erhebend.

»Es ist ein Fehler den ich begehe, ich weiß das. Aber Sie werden denselben verzeihen. Ich habe Ihren Zettel gelesen. Sie verlassen uns ohne Abschied. Sie müssen beleidigt worden sein.«

»Nein.«

»Gewiß!«

»Nein.«

»Aber einen Grund müssen Sie doch haben, so zu handeln?«

»Allerdings.«

»Darf ich denselben erfahren?«

»Ich kann ihn nicht sagen.«

»So ist Ihre Entfernung eine große Beleidigung für uns Alle. Wollen Sie das bedenken, Marga.«

»Ich will Niemand beleidigen. Ich will nur verhüten, daß –«

»Was? Was wollen Sie verhüten?«

»Daß – daß – nein, ich kann es ja doch nicht sagen.«

Sie standen einander gegenüber mit fast feindseligen Gesichtern.

»Marga, bedenken Sie, wie man Ihre plötzliche und unmotivirte Entfernung auslegen wird!« bat er.

»Es giebt nur eine einzig richtige Auslegung, welche Alles erklären wird.«

»Und wie lautet dieselbe?«

»Ich bin gewissen Mißdeutungen aus dem Wege gegangen.«

Da dämmerte eine Ahnung in ihm auf. Er fragte:

»Sie wissen, daß ich eine Unterhaltung mit Leni hatte?«

»Ja.«

»So verrathe ich Alles. Marga, ich habe die Worte, welche Sie beleidigten, nicht im Ernst gemeint. Leni hielt mir eine so empfindliche Strafpredigt, daß ich vor Aerger und Abscheu über mich selbst beinahe unzurechnungsfähig geworden bin. Ich habe mir eine Meinung aber keine Behauptung aufgestellt. Es ist eine Schlechtigkeit von Leni, Sie gegen mich aufzuhetzen und ich bitte Sie inständig, wieder mit zurückzukehren, um ihr zu zeigen, daß sie uns nicht entzweit, sondern ganz im Gegentheile mit einander vereinigt hat!«

In ihrem Gesichte kam und ging die Röthe.

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte sie.

Da legte er den Arm um sie, zog sie an sich, küßte sie auf die Stirn und fragte:

»Verstehst Du mich jetzt, Marga?«

»Ja,« antwortete sie leise.

»Ich habe ein großes Unrecht an Dir begangen. Ich kannte Deine Liebe und wollte sie doch nicht beachten. Jetzt aber erkenne ich, daß ich ohne Dich arm und elend geworden wäre. Willst Du mir helfen, ein guter, fester und treuer Mann zu werden?«

Da stürzten ihr die Thränen des Glückes aus den Augen und sie flüsterte:

»O Gott, wie gern, wie gar so gern! Wer hat meinen Zettel gelesen?«

»Nur ich.«

»Weiter Niemand?«

»Kein Mensch.«

»Meinst Du, daß ich da wieder hinüber soll, Anton?«

»Ich bin ja gekommen. Dich zu holen. Wir werden dieser Leni, Gräfin von Senftenberg, ihren Triumph genießen lassen.«

»Welchen Triumph?«

»Uns vereinigt zu haben.«

»Hat sie das gewollt? Sie warnte mich doch vor Dir!«

»Aus purer, schlauer Berechnung. Die mußt Du erst kennen lernen. Sie meint es wirklich herzlich gut mit uns und wird sich freuen, daß ihre kleine Intrigue so gut gelungen ist.«

In kurzer Zeit schwamm das Boot mit den Beiden wieder hinüber.

Dabei kam es mehrere Male bedeutend aus dem richtigen Kurs.

Leider konnte man vom Ufer aus nicht beobachten, ob Anton nicht richtig zu rudern verstand oder ob er gar die Ruder zuweilen in den Kahn zog, jedenfalls nur, um auszuruhen.

Dann war das Fahrzeug allerdings der Wellen Spiel.

Die kommende Nacht war eine nicht leichte für Leni. Der Sepp war außerordentlich unruhig. Er fand keinen Athem und wurde von einer unbestimmten aber entsetzlichen Angst gequält.

Draußen läuteten am Morgen die Pfingstfestglocken und er lag im Bette, mit jener Angst kämpfend, ohne daß er sie zu besiegen vermochte. Der Arzt kam am Vor- und auch am Nachmittage und erklärte, daß jetzt keine Hoffnung mehr vorhanden sei.

Gegen Abend fand der Patient eine kurze Ruhe, wurde aber wie durch einen großen Schreck aus derselben gerissen, dann fuhr er ganz plötzlich empor, schaute mit glasigen Augen um sich und fragte:

»Wo – wo bin ich?«

»Hier bei mir, lieber Sepp,« ertönte Lenis' beruhigende Stimme.

»Und wo ist der König?«

»Hoch in Berg.«

»Wann er nur auch dort im Schloß ist und nicht anderswo! O, wann ich laufen könnt, wann ich laufen könnt!«

»Warum?«

»Ich rannt nach Berg, um zu sagen, daß sie den König nicht herauslassen sollen, ja nicht in das Wasser.«

»Welchen Grund hast Du?«

»Weil er versaufen wird, wann er in's Wasser kommt. Ich habs sehen.«

»Es hat Dir geträumt.«

»Nein, das war kein Traum. Ich hab nicht schlafen, sondern nur die Augen zu habt und so in mich hineinschaut. Da sah ich den König ins Wasser gehen, tief, tiefer und immer tiefer hinein, bis das Wasser über ihn zusammenschlug und er todt war. Es muß sogleich ein Bote fortgeschickt werden nach Schloß Berg, um den König und seine Leut zu warnen.«

Und als Leni nicht gleich antwortete, drängte er:

»Lauf doch, lauf hinab und send den Tobiassen! Er soll aber rennen, damit er nicht zu spät ankommt!«

Was war zu thun? Leni war natürlich überzeugt, daß es sich nur um einen Traum handle.

Einen Boten fortsenden, wäre Wahnsinn gewesen, doch um den Kranken zu beruhigen, sagte sie:

»Ich werde gleich den Tobias schicken. Hast Du sonst noch einen Gehorsam gegen den König?«

»Nein. Wann er nur weiß, daß er nicht ins Wassern soll; dann ist Alles gut.«

Sie ging hinaus und kam nach längerer Zeit wieder und berichtete, daß Tobias fort sei.

Aber der Patient beschäftigte sich doch unausgesetzt mit Schreckbildern. Er sah den König unaufhörlich in Gefahr und sorgte und ängstigte sich, daß ihm der Schweiß von der Stirne tropfte.

Es war draußen so mild und duftig, daß das Fenster aufstand. Da auf einmal erklang von der See her der laute Ruf:

»Warschauer, weißt das Neueste, Schreckliche?«

»Nein,« antwortete unten der Alte dem Vorüberfahrenden.

»Der König wird sucht; er ist fort nach dem Wasser zu, und Niemand kann ihn finden.«

Da fuhr der Sepp kerzengrad im Bett empor. Ein Bild des starren Schreckens lief er aus:

»Weg, weg ist er! Herrgott, er versäuft, er versäuft. Hilfe, Hilfe. Hilfe!«

Leni umschlang ihn und zog ihn auf das Lager nieder. Aber er sträubte sich dagegen.

Der Rest seiner Lebenskräfte war den ihren überlegen.

Er riß sich los, sprang an das Fenster, streckte den Arm aus und schrie mit der letzten Kraft seiner todteskranken Lunge, indem er auf das Wasser deutete:

»Hilfe, Hilfe, Hilfe! Dera König muß ertrinken! Dort geht er in das Wassern! Zieht ihn heraus, schnell, schnell!«

Dann brach er zusammen.

Leni vermochte nicht, ihn aufrecht zu halten.

Alle, die ihn gehört hatten, kamen herbei.

Er wurde nach dem Bette getragen und schien todt zu sein.

Aber er lebte noch. Er athmete und bewegte die Lippen.

Nach einer Weile öffnete er die Augen und sah sich mit hellem, klarem Blicke im Kreise um.

»Da seid Ihr ja Alle,« sagte er. »Wollt Ihr Abschied nehmen vom alten Wurzelsepp? Das ist recht. Mein König ist todt, und so bleib ich auch nicht hier. Sendet zum geistlichen Herrn, damit ich die heilige Wegzehrung erhalte und ihm meine Sünden beichten kann. Noch zwei Stunden sind mir vergönnt, dann steig ich zu meinem Herrgott auf.«

Seine Stimme klang klar und kräftig wie früher. Das Athmen machte ihm keine Noth mehr.

Alle schluchzten.

»Weint nicht,« sagte er. »Mir ist so wohl. Gebt mir Eure Händen, damit ich Euch Lebewohl sagen kann, wann dera geistliche Herr einmal da ist, dann will ich mich nur noch mit meiner Seel beschäftigen. Hasts Dir merkt vom Todtenbret, Leni?«

»Ja,« schluchzte sie.

»Und von dera Zithern und dem Veilchenkranz herum?«

»Ja – –!«

Ihre Stimme brach vor Schmerz.

Warschauer mußte herbei, um ihn in sitzender Stellung aufrecht zu halten, und nun nahten Alle, um Abschied von ihm zu nehmen.

Es waren zehn Minuten, welche unmöglich zu beschreiben sind. Leni zerfloß in Thränen.

Dann kam das Hochwürdigste.

*

Grad nach zwei Stunden, genau so, wie er es vorausgesagt hatte, starb er, ohne vorher erfahren zu haben, daß die Leiche des von ihm so über Alles geliebten Königs gefunden worden sei.

Nach seinem Willen ist geschehen.

Kein Denkmal steht auf seinem schlichten Grabe. In der Kirche aber hängt ein einfaches Gedenkbret mit seinem Namen, Geburts- und Todestag. Daneben sieht man die alte Zither, mit Trauerschleifen und dem von ihm angeordneten Veilchenkranze geschmückt.

Sein Leben war dem Glücke seiner Mitmenschen gewidmet. Sein Wirken dauert fort.

Sein Erbe ruht in der Hand der Gräfin von Senftenberg, welche es genau in seiner Weise und seinem Geiste verwendet.

Es ist eine verborgene Quelle der Wohlthaten.

Gar Manchem, der nicht weiß, woher die Hilfe aus schwerer Noth kommt, zeigt Sepp noch nach seinem Tode durch die Hand der mild- und wohlthätigen Leni

den

»Weg zum Glück.«


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