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Zwölftes Capitel. Schluß.

Der Frühling war eingezogen, und das schöne, heilige Pfingstfest stand vor der Thür. Selbst in den Schluchten der bayrischen Alpen war der Schnee weggeleckt worden, und der Sonnenschein lag mild und warm auf den grünen Matten.

Die wenigen, kleinen Hütten droben über Elsbethen, jenseits der Salzburger Grenze, erfreuten sich nach der Winterskälte dieses Sonnenlichtes, und ihre Bewohner nicht minder.

Vor einer dieser Hütten saßen zwei alte Leute, ein Mann und eine Frau, auf der alten Thürbank. Sie hatten beide wohl altersschwache Augen, denn dieselben waren durch Brillen geschützt. Sie trugen sich sehr ärmlich, dabei aber sauber und reinlich. Es waren die Eltern des Krikelanton.

Der alte Mann schnitt eine harte Brodrinde in eine braune, thönerne Schüssel, und sein Weib schälte einige Kartoffeln, welche ihr das Mitleid geschenkt hatte. Sie machten keine freudigen Gesichter zu dieser Arbeit.

Der Mann hielt inne, seufzte tief auf, legte Messer und Rinde in die Schüssel und sagte:

»Mutter, was werden wir morgen essen, wann wir uns heut diese Kartoffelsuppen machen?«

Sie sah nicht zu ihm auf, gab aber ihrer Stimme einen zuversichtlichen Ton, als sie antwortete:

»Gräm Dich nicht, Vater. Dera liebe Herrgott wird für uns sorgen.«

»Ja, er hat uns noch nicht ganz verhungern lassen, aberst hungert haben wir doch.«

»Es ist zu überstehen.«

»Weiß schon! Du willst nur nicht klagen, damit ich den Sohn, den Anton, nicht schimpfir. Aber das liebe Wasser steht Dir doch schon in denen Augen. Das seh ich doch, wann auch die meinigen schwach sind.«

»Vater, ich bitt Dich, sei still.«

»Ich möcht wohl. Aber dera Hunger ist ein lauter Gast. Er knurrt und murrt und hält nicht Ruh!«

»Tröst Dich doch! Die Nachbarn sind gute Leut. Vielleichten bekommen wir morgen wiederum ein Stuckerl Brod.«

»Vielleichten, ja! Und was ists dann, wann wir es erhalten? Almosener, Bettler sind wir doch!«

Die Frau fuhr sich mit dem Finger unter die Brille, um einen schweren Tropfen von dem Auge zu nehmen, und sagte:

»Es wird nicht lange mehr währen. Der Anton muß doch mal schreiben. Und wann er es so weit bracht hat, daß er was erübrigt, wird er schon einen Gulden senden oder zwei.«

»Einen Gulden oder zwei! Herrgottle, wann ich dran denken thu!«

»An was denn?«

»Es drückt mir das Herz ab. Ich habs Dir nicht sagen wollen, aberst ich kanns doch nicht länger für mich allein behalten.«

»So sags doch!«

»Es wird Dich kränken.«

»Bin ich nicht Dein Weib, welches Freud und Leid mit Dir zu tragen hat.«

»Freud und Leid! Ja, das Leid ist immer da und will nicht von uns weichen. Freud giebts blos dann einmal, wann die Leni an uns denkt. Das gute Herzerl muß aber auch uns vergessen haben. Es sind schon viele Wochen, daß sie nix schickt hat.«

»Wer weiß, was ihr hinderlich ist.«

»Ja, und sie hats auch gar nicht nöthig, an uns zu denken. Dera Anton hats nicht an ihr verdient.«

»Sag das nicht. Sie haben einmal nicht zu nander paßt.«

»Gut, sehr gut habens zusammenpaßt! Aberst der Anton ist ein zuwiderer Kerlen gewest. Er hat dieses goldige Herz von sich stoßen. Und jetzt – nein, ich muß Dirs doch sagen; ich kanns nicht mehr bei mir behalten!«

»Sags, Vater, sags!«

»Weißt noch, wie dera Viehhändler da gewest ist vor drei Wochen?«

»Nun, den merk ich mir. Hab ihm doch unsere Gais verkaufen mußt, des lieben Brodes wegen. Was ists mit ihm?«

»Nun, der hat mirs heimlich erzählt, daß er in Wien gewest ist und den Anton troffen hat.«

»In Wien? Ist er dort?«

»Freilich ist er dort. Er ist vorher in Amerika gewest und hat sich ein heidnisch Geld zusammengesungen.«

»Das glaub ich nicht. Da hätt er uns was schickt.«

»Es ist wahr. Beinahe hunderttausend Gulden sinds gewest.«

»Du, glaubs nicht, glaubs ja nicht.«

»Ich muß es glauben, denn es ist wahr. Und nun verlebt er dieses Geld. Er lauft mit Dirndln herum; er hat eine Tänzerin habt, die jetzt im Zuchthaus sitzt und hat sich sogar einen fremden Namen macht.«

»Herrgott, das ist nicht wahr!«

»Freilich ists wahr. Herr Criquolini läßt er sich nennen, und an einem Tage verspielt er zuweilen hundert Gulden. Dera Händler hat sogar sagt, tausend.«

Da ließ sie die Kartoffel zur Erde fallen und rief:

»Vater, wannst Alles glaubst, nur das nicht, nur das nicht! Der Anton ist unser Kind, das einzige, welches wir haben. Wann er ein solches Geld hätt, thät er uns nicht verlassen.«

»Er hat es, er hat es! Es ist vorgekommen, daß man ihm tausend Gulden zahlt, wann er einmal im Theatern singt.«

»Das muß ein Anderer sein!«

»Nein, das ist der unserige. Und wir, seine Eltern, leiden Hunger. Ich hab seit gestern Abend keinen Bissen – wer kommt dort?«

Eine Gestalt kraxelte sich den Berg herauf. Die Augen der beiden Alten waren so schwach, daß sie den Nahenden nicht eher erkennen konnten, bis er beinahe vor ihnen stand.

»Der Briefbote, der Briefbote!« rief sie. »Vielleichten kommt er zu uns!«

Sie sprang von der Bank auf.

»Grüß Gott!« sagte der Bergsteiger, indem er verschnaufte. »Heut bei dera Sonn wirds Einem schwer.«

»Bringst uns was?«

»Ja,« lächelte er. »Es ist für Euch.«

»Gewiß von unserm Anton aus Wien?«

»Aus Wien ists, aberst nicht vom Anton.«

Die Züge der Frau wurden wieder traurig wie vorher. Sie hatte sich abermals geirrt.

»So ists von dera Leni,« sagte ihr Mann. »Das Geldl, welches sie uns im März schickt hat, war aus Wien.«

»Nein, von der ists nicht. Der ihre Hand thät ich kennen.«

»So ists ein fremder Brief?«

»Ja wohl.«

»Herrgott! Er wird doch nix Böses enthalten!«

Der Briefträger that noch immer so, als ob er den Brief suche; er hatte ihn aber längst in der Hand. Sein Gesicht war ein sehr verheißungsvolles, was aber die alten Leute nicht sahen.

»Habt keine Angst. Ein schlimmer ists nicht. Er wird Euch Freude machen.«

»So, so? Warum?«

»Weil er fünf Siegeln hat. Hier ist er.«

»Fünf Siegeln! So ist wohl gar ein Geldl darinnen?«

Der Alte drehte den Brief in seinen zitternden Händen hin und her und gab ihn dann auch seiner Frau, die ihn neu- und begierig betrachtete.

»Ja, ein Geldl ist drinnen, und zwar was für eins!«

»Wirklich? Wirklich? Gott sei Dank! Da werden wir uns ein Brod kaufen können.«

»Nur eins?«

»Meinst etwan mehr?«

»O, von diesem Gelde könnt Ihr Euch hundert Brode kaufen, ja sogar tausend.«

»Tau – – was sagst?«

»Tausend Brode.«

»Das ist die Unmöglichkeit!«

»Kannst Dirs ja selberst ausrechnen, wannst nicht glaubst. Brauchst ja nur die Adreß zu lesen.«

»Wie lautet sie denn?«

»An Herrn Heinrich Warschauer, Elsbethen bei Salzburg. Stimmt das?«

»Ja, derjenige bin ich freilich.«

»Unten drunter steht »frei«, und oben drüber ist zu lesen: »Inliegend dreihundert Gulden in Scheinen.« Nun, wie gefallt Euch das?«

»Hast richtig gelesen?«

»Ja, natürlich.«

»Was soll drinnen sein? Wieviel?«

»Dreihundert Gulden.«

»Das ist nicht wahr!«

»Es steht ja da!«

»So hat sich Wer einen Spaß macht.«

»Kannst Dich ja überzeugen?«

»Wodurch denn?«

»Mach den Briefen auf!«

»Darf ich denn?«

»Jawohl. Er ist der Deinige; er ist ja an Dich adressirt. Die Adressen stimmt.«

»Herrgott, wie ist mir nur. Ich zittere gar so sehr. Mach Du ihn auf, Briefbote! Ich zittere gar so sehr. Hier ist das Messer.«

Er gab ihm Brief und Messer hin. Er zitterte vor Aufregung fast am ganzen Körper.

Der Postbote schnitt das Couvert auf und nahm den Inhalt heraus. Dieser bestand aus einem Briefe und drei Hundertguldennoten.

»Da, seht Ihr!« rief er aus. »Dreihundert Gulden. Hab ichs nicht sagt?«

»Drei – hun – dert – Gul – den!« rief er.

»Drei – hun – hun – hun – – Jesses, Maria und Josepp! Ist das die Möglichkeit?« rief sie.

»Ja, da liegt ja das Geldl. Nehmts doch nur in die Hand.«

Er drückte ihnen die Scheine in die Hände.

»Das ist ja der wirkliche Himmel!« sagte der alte Mann. »Von wem ists denn?«

»Das wird wohl im Brief stehen.«

»Da müssen wir ihn lesen.«

»Jawohl.«

»So lies Du ihn! Mir gehen die Augen über.«

Das war wohl wahr; doch war es überhaupt in Beziehung auf das Lesen schlecht mit ihm bestellt.

Der Postbote faltete den Brief aus einander und las:

»Meine herzlichen Leutln. Wie geht es Euch. Ist es mit Euren alten Augen noch nicht besser? Ich möcht gern haben, daß Ihr nächste Mittwoch nach Scheibenbad kommt, wo ich Euch sehen möcht. Ihr müßt mit dem ersten Zuge fahren, und ich werd zu Euch in die Thalmühle kommen, wo ich Logis für Euch bestellt hab. Damit Ihr das Geld zum Fahren habt und Euch auch ein gut Gewandl zu dieser Reise kaufen könnt, leg ich Euch hier das Geld bei. Kommt aber ja, denn ich verlaß mich darauf. Es grüßt Euch

Eure Leni.«

Die beiden Leute starrten einander an.

»Die Leni!« rief sie.

»Die Leni!« rief er. »Habs mir denken konnt! Dreihundert Gulden! Herrgott, muß die ein Geldl übrig haben.«

»Ja,« meinte der Briefträger mit wichtiger Miene. »Die Sängerinnen bekommen ein grausam Stuckerl Geld.«

»Die Sänger wohl auch?«

»Auch!«

»Unser Anton leider nicht!«

»Nicht?« fragte er mit Betonung.

»Nein.«

»Hm!«

»Was hast? Warum brummst so?«

»Weil ich hab munkeln hört.«

»Sags, was hast hört?«

»Daß er viel Geld verdient, sehr viel Geld, aberst Euch giebt er nix.«

»Das sagen die Leut?«

»Ja, das sagen sie.«

»Da thun sie ihm Unrecht.«

»Das weiß ich nicht. Ich habs sagen hört; wer aber Recht hat, das weiß ich nicht. Aber die Leni, die ist brav!«

»Ja, das ist freilich eine sehr brave.«

»Ihr geht ihr gar nix an, und dennoch sendet sie Euch ein solches Geldl!«

»Ja, das thut sie. Dera Herrgott wirds ihr lohnen. Wann sie nicht wär, so hätten wir schon oft mehr Hunger leiden mußt, als es so schon der Fall ist. Jetzund sendet sie gar dreihundert Gulden. Und dafür sollen wir nach Scheibenbad kommen. Sie ist dort? Was aber sollen wir eigentlich dort thun?«

»Wer weiß es! Vielleichten will sie Euch gern mal sehen. Sie hat eine Sehnsuchten nach Euch.«

»Das liebe, gute Geschöpfle!«

»Und weil sie nicht zu Euch kommen kann, sollt Ihr zu ihr. Das wirds sein.«

»Denkst? Das ist eine große Ehr für uns.«

»Ja, denn weißt, solche Sängerinnen sind gar vornehm und geehrt. Sie verkehren mit Fürsten und Grafen.«

»O, die Leni sogar mit dem König!«

»Desto größer ist die Ehr für Euch.«

»So eine Reise! Wir sind noch gar nie aus dem Oertle hier herauskommen. Wir wissen halt gar nicht, wie man so eine Reis' zu machen hat und wie man sich dabei benehmen muß.«

Der Briefträger nahm eine wichtige Miene an und erklärte den beiden Alten:

»Das verstehe ich schon besser, als Ihr. Man hat sich einen Bahnhofsbillettenzettel zu lösen und setzt sich auf die Bahn. Da muß man die Röcke und Kleider rechts und links hübsch zusammen schieben, damit man die anderen Passagieren nicht generirt, und wann man die Tabakspfeif ausklopft, muß man das zum Fenster hinaus thun, damit die Aschen und der Tabaksschmirgel denen Damen nicht auf die seidenen Kleiden kommt. Den Hut muß man höflich abnehmen; besoffen darf man nicht sein, und kein Fenster soll man mit dem Kopf einschlagen. Zum Schaffner muß man sagen: »Ich bitt schön, gnädiger Herr,« und überhaupt muß man nobel sein vom Kopf bis zum Fuß herab. Besonders soll man die Schuhe mit denen Füßen nicht den Anderen auf die Kniee legen, und wann man nießt oder ausspuckt, soll man das Schnupftuch hübsch vor den Mund nehmen.«

»O Jegerl! Was man sich da Alles zu merken hat! Das ist so grausam viel!«

»Es ist noch mehr, weit mehr! Wer es nicht weiß, der muß sich beim Locomotivenführer nach Allem derkundigen; der sagt es ihm, denn dazu ist er da.«

»Und gar nach Scheibenbad! Das kenn ich nicht.«

»Aberst ich kenn es. Weißt, wir obersten Beamten von dera Post müssen eine ganz besonders genaue Geographie studirt haben. Scheibenbad ist nur ein kleines Städle; aberst es ist ein Bad, wo im Sommer viele vornehmen Leutln beisammen sind. Letzthin hab ich davon im Blatt gelesen. Dera König hat dort ein neues Theatern bauen lassen, von einem ganz jungen Archivdirectoren, und das Gebäud soll ganz besonderbar prächtig sein. Es wird nächstens eingeweiht, sehr bald sogar, nämlich am – Himmelsakra! Da seid Ihr dort!«

»Wann?«

»Grad auf dera Mittwochen ist die Einverweihungen. Ich besinne mich ganz genau daraufi. Ein absonderlich schönes Stuckerl wird geben, worinnen lauter Göttern auftreten, die man sonst im Land niemals zu sehen bekommt. Lauter berühmte Sänger und Sängerinnen lassen sich da hören, und dera König kommt auch.«

»Singt er wohl auch mit?«

»Das weiß ich nicht. Aberst vielleicht hat auch die Leni einen Jodler mit zu singen.«

»Meinst, daß auch die Götter jodeln?«

»Warum nicht? Sie können doch auch mal lustig sein, wanns ein gutes Bierl trunken haben.«

»O, vielleicht sehn wir auch das Theatern oder gar das ganze Stuck!«

»Das kannst Dir derlauben. Hast ja volle dreihundert Gulden. Da mußt Dich aber zurecht machen. Dera Zug geht um fünf Uhr ab in dera Früh!«

»Schon! Und Mittwoch ists? Das ist so bald. Da giebts ja fast gar keine Zeit mehr, ein neu Gewandl anzuschaffen und Schuhen brauch ich auch.«

»So sputet Euch und kauft ja ein recht nobles, denn Ihr werdet dort von gar feinen Leutln angeschaut. Jetzund muß ich fort.«

»Bekommst auch was für das Geld?«

»Drei Kreuzern und ein Trinkgeldl für ein Bier. Für die Belehrung und Auskünften wegen der Reis', die ich Euch postamtlich geben hab, will ich nix rechnen, weil Ihr gar so arme Leutln seid. Unsereiner hat ein Herz im Leib, denn bei dera Post können nur gefühlvolle Personen ein höheres Amt erhalten.«

»Und wie hoch ist das Trinkgeldl?«

»Ganz nach Belieben. Kannst ein Sechskreuzerl geben; das macht grad ein Bier.«

»Ich hab aber keins. Ich hab seit langen Wochen kein Kreuzerl gehabt.«

»Das schadet nix. Wer dreihundert Gulden hat, dem geb ich gern Credit. Es ist ein gar schön und stolz Gefühl, wann man sich heimlich sagen kann, das man sein Geld bei denen Leutln stehen hat. Zinsen und Prozenten berechne ich nicht. Da brauchst keine Angst zu haben.«

»So hab einstweilen Dank! Das Geld bekommst gewiß.«

»Das weiß ich, das weiß ich, und darum will ich das Geldl auch nicht protestiren lassen beim Wechseladvocaten, denn so einen braven Mann wie Dich werd ich doch nicht auspfänden lassen. Also macht Eure Sach richtig, und behüts Gott, bis Ihr einzelnes Geldl habt!«

Er gab ihnen die Hand und ging.

Die beiden alten Leute blickten sich an und brachen dann in Freudenthränen aus. Dreihundert Gulden, und so unerwartet! Das war ja ein Vermögen für sie. Nun hatte ja alle, alle Noth ein Ende!

Sie gingen in ihr Häuschen und machten sich unter Lobeserhebungen für die Spenderin zum Ausgehen zurecht.

Als sie dann mit einander den Weg nach der nahen Grenze einschlugen, ergingen sie sich in beglückenden und doch so bescheidenen Plänen über die Anwendung dieses vielen Geldes.

Da drüben, im Dorfe, in welchem die Leni früher beim Cadellenbauer als Sennerin in Dienst gestanden hatte, gab es eine Nähterin und auch einen Schneider, welcher die schönsten Jacken machte weit und breit. Zu Beiden wollten sie.

»Weißt, das ist das Allernöthigste,« sagte er. »Und nachhero, weißt, wohin wir dann gehen?«

»Nun, wohin?«

»In den Gasthofen.«

Sie blieb erstaunt stehen.

»In den Gasthofen? Bist gescheidt, Mann?«

»Ja,« nickte er bestimmt. »Heut wird in den Gasthofen gangen und mal fein gespeist.«

»Du, da willst mal oben hinaus!«

»Das will ich auch. Heut ist ein Feiertag.«

»Aber das Geldl, was es kosten wird!«

»Das haben wir! Die Leut da drüben sollen auch mal schauen, was dera alte Warschauer vermag, wann er mit seinem Weiberl spazieren geht.«

»Ja, heut bist ein Großer!«

»Heut bin ich dick! Da hast Recht. Wir haben seit gestern nix gessen, nicht einen Bissen. Da wollen wir uns mal ausheilen. Ein Bier wird trunken oder gar zwei. Du eins und ich eins. Dann essen wir ein Wurst und Brod und ich rauch eine Cigarren darnach.«

»Alter! Du artest aus!«

»Nein. Aberst sehen will ich mich doch auch mal lassen. Ich kneif die Cigarren verächtlich in den rechten Mundwinkel und schau nach dera linken Seit so stolz hinüber, als ob ich der Rothschild sei. Weißt, ich brauch sie doch nicht grad anzubrennen, damit sie länger ausreicht.«

»Das will ich mir eher gefallen lassen. Da hast auf die andern Tag auch noch was.«

»So ists. Und wannsts berechnen thust, ists gar nicht so schlimm. Zweimal Bier macht sechzehn Pfennigen, die Cigarren kostet drei und zweimal Brod mit Wurst gilt vierzig. Das giebt zusammen neunundfünfzig. Wenn ich dann dera Magd, die es bringt, den Pfennig als Geschenkpräsent geb, so bin ich ein großer Mann, und wir haben uns für sechzig Pfennige ein Gaudium erwiesen.«

In dieser Art und Weise unterhielten sie sich, bis sie drüben ankamen.

Da ging sie zur Nähterin und er zum Schneider, wo sie ihre Bestellungen machten und sich das Maß nehmen ließen. In der Schänke trafen sie sich.

Da gab es einige Gäste, welche vor dem Hause saßen und sich verwunderten, daß diese blutarmen Leute sich auch einmal herbei wagten.

Diese bestellten das Erwähnte und ließen es sich dann wohl sein.

Während sie speisten, kam noch ein Gast, ein fremder, städtisch gekleideter und sehr vornehm aussehender Herr, welcher sich an einen einzeln stehenden Tisch setzte und auch ein Bier verlangte. Als die Magd ihm dasselbe brachte, erkundigte er sich:

»Sind Sie vielleicht aus diesem Orte?«

»Ja,« nickte sie.

»So kennen Sie die Leute hier alle?«

»Alle.«

»Auch die Muhrenleni?«

»O, die erst recht. Wir sind ja in einem Jahre geboren und haben in dera Schul gar nicht weit aus nander sessen.«

»Wissen Sie nicht, wo sie jetzt ist?«

»Nein. Sie hat seit so gar langer Zeit nix mehr von sich hören lassen.«

»Man sagte mir, daß sie jetzt hier auf Besuch sei.«

»Davon weiß ich nix.«

»Es soll ganz gewiß sein.«

»Da müßt ichs doch auch hört haben. Vielleichten ists doch so. Da kommt gleich Einer, der es sicher wissen thät.«

Sie zeigte auf einen Bauersmann, der soeben langsam und gemessenen Schrittes herbeigestiegen kam. Er war eine behäbige Gestalt und auf seinem Gesichte war ein gutmüthiges Selbstbewußtsein zu lesen.

»Wer ist er?« fragte der Fremde.

»Es ist dera Capellenbauer, bei dem die Leni als Sennerin gewest ist.«

»Hat er sich gut mit ihr verstanden?«

»Das will ich meinen. Er hat gar große Stücken auf sie gehalten und hält auch jetzt noch viel auf sie.«

»Aber sie ist doch nicht bei ihm geblieben.«

»Nicht aus Uneinigkeit, sondern weils dera König so wollt hat. Der Herr Pfarrer hat ihr auch zugeredet, und dem Bauer ists gar nahe gangen, als er sie fortlassen mußt. Jetzund hat er dem Sohn die Wirtschaft übergeben und kommt alle Tag um die jetzige Zeit. Da sitzt er hier am Tisch bis zum Abend und schaut gern hinauf nach seiner Alm.«

»Da oben, wo die Hütten steht, rechts dera Abgrund und links der Felsengrad, auf dem damals dera Krikelanton des Nachts hinüber ist.«

»So kennen Sie auch den?«

»Jawohl. Er war ein Unguter und gar nicht werth, daß die Leni an ihn denkt hat. Dera Bauer hats auch nicht gern sehen. Ich glaub, er hätt ihr am Liebsten seinen Sohn geben. Da hätt sie ein Glück gemacht.«

Ein leises Lächeln spielte um die Lippen des Fremden, als er darauf antwortete:

»Vielleicht macht sie nun ein anderes und viel besseres Glück!«

»Ich thät ihrs von Herzen gönnen, denn sie war gar brav. Aberst besser kann sie es gar nicht finden, als sie es beim Capellenbauer troffen hat. Er ist als ein tüchtiger Sänger und Jodler bekannt und hat oft, wann dera Abend kam und er hier vor dem Hause saß, ein Gesangl macht, was die Leni dann von oben herab beantworten that. Jetzund singt er gar nicht mehr, weil es keine Antwort giebt. Da ist er. Soll ich ihn fragen?«

»Ja, fragen Sie ihn!«

Der Bauer war inzwischen näher gekommen und blickte nach einem Platze, der ihm behagen möchte. Die Magd trat ihm einige Schritte entgegen und meldete:

»Capellenbauer, ist die Leni jetzund bei Dir gewest?«

»Die Leni? Nein,« antwortete er.

»Sie soll aberst hier sein.«

»Das ist nicht wahr, denn da wär ich halt gewiß der Allererst, dens besuchen thät.«

»Der Herr hier hats sagt.«

Sie zeigte auf den Fremden. Der Bauer betrachtete denselben mit einem forschenden Blicke; die Beobachtung schien befriedigend auszufallen, denn er trat zu ihm heran, lüpfte den Hut ein Wenig und sagte:

»Von dera Leni habens sprochen? Kennen Sie dieselbige denn?«

»Ja, ich kenne sie.«

»Habens dieselbige vor Kurzem sehen?«

»Ja.«

»Wo denn?«

»In Wien, vor vierzehn Tagen noch.«

»In Wien! Ja, da soll sie gewest sein. Sie sind wohl gar ein Bekannter von ihr?«

»Sogar ein sehr guter.«

»Wie habens dieselbige denn kennen lernt? Ich hoff, daß es eine Bekanntschaft in Ehren ist!«

Sein Blick war schnell mißtrauisch geworden.

»Das versteht sich ganz von selbst. Die Leni ist keine Person, mit welcher sich eine andere Freundschaft anknüpfen läßt.«

»Das freut mich sehr. Es liegt mir noch heut auf dera Seel, daß sie von mir fort ist.«

»Ich wurde durch den Wurzelsepp mit ihr bekannt. Er ist ihr Pathe und Vormund.«

»Durch den! O, da bin ich beruhigt. Da sind Sie ein wirklicher Freund von ihr. Und weil, mich das so freut, so möcht ich mich ein Bisle zu Ihnen setzen, wanns verlaubt ist.«

»Sehr gern! Kommen Sie!«

Indem sich der Bauer setzte, betrachtete er sich den Fremden nochmals genau. Er mochte zu der Ansicht kommen, daß er keinen gewöhnlichen Mann vor sich habe, denn er bemerkte mit besonderem Nachdrucke:

»Sie brauchen sich nicht zu geniren. Dera Capellenbauer ist ein braver Mann.«

»O, das weiß ich ja.«

»So? Von wem denn?«

»Von der Leni selbst.«

»Hat sie von mir sprochen?«

»Sie spricht sehr gern von der Heimath und hat mir viel auch von Ihnen erzählt.«

»Das gute, liebe Dirndl! Ja, die ist keine Zuwidere. Wanns ihr nur gut geht!«

»Da brauchen Sie keine Sorge zu haben!«

»So! Schön! Wann es ihr beim Gesang nicht mehr gefallt, ich thät sie gleich wieder zu mir nehmen. Um den Lohn braucht sie nicht zu sorgen.«

»Das freut mich. Sie hat überall Freunde.«

»Das ist auch leicht zu begreifen, weil sie ein gar so liebs Dirndl ist. Schauns, da oben ist meine Alm. Wanns Abend gewest ist, da hats oben anfangt zu jodeln und ich hab hier herunten antwortet. Alle haben lauscht auf ihre schöne Stimm. Das war eine Herrlichkeiten. Jetzund ists anderst. Ich sing halt gar nimmer.«

Er sagte das in fast traurigem Tone und wandte sich ab. Dabei fiel sein Auge auf die beiden alten Leute, welche er bisher wohl noch gar nicht bemerkt hatte.

»Was!« sagte er. »Wer ist denn das? Dera Warschauer mit seiner Ehelichsten! Das gefreut mich. Was treibt Ihr denn hier?«

Er hatte sein Gespräch nach hiesigem Gebrauch mit lauter Stimme geführt, so daß alle Anwesenden es hören konnten. Darum hatten auch die Beiden jedes Wort verstanden.

»In Geschäften sind wir da,« antwortete er, an seiner Wurst mit Behagen kauend.

»In Geschäften? Willst wohl einen Bauerhof kaufen?«

»Beinahe!«

»Schön! Und auch fein speisen thust! Hat die Leni Dir wieder mal was schickt?«

»Ja, heut!«

»Schau, das kann mir gefallen. Wann willst wiederum nach Haus hinüber?«

»Wann wir unser Bier austrunken haben.«

»Kannst länger bleiben, denn ich zahl Dir noch eins oder auch mehrere sehr gern. Auf wen die Leni so gut gesinnt ist, der ist auch mir lieb. Darum macht Euch dort weg und kommt ein Wengerl zu uns herüber! Da können wir von ihr reden.«

Eine solche Ehre wußten die alten, armen Leute sehr zu schätzen. Der Capellenbauer war ein sehr angesehener Mann. Und jetzt saß gar so ein vornehmer Fremder dabei!«

»Ists Dein Ernst?« fragte Warschauer vorsichtig.

»Natürlich! Du bist mir willkommen,« antwortete der Gefragte mit Gönnermiene.

»So werden wir es uns derlauben, wann der Herr nix dagegen haben thut.«

Als Antwort nickte der Fremde ihnen freundlich aufmunternd zu und rückte zwei Stühle zurecht.

Sie kamen mit ihren Gläsern und Tellern herbei. Die Alte machte einen Knix und meinte:

»Eigentlich thäten wirs nicht wagen, aber weils gar so schön von dera Leni reden, so thun wir es doch. Prosit Mahlzeit!«

Sie hielt diese Worte für einen feinen Gruß und warf, indem sie sich niedersetzte, einen Blick auf ihren Mann, als ob sie demselben sagen wolle:

»Hasts gehört, wie nobel ich mich benehmen kann? Mach es nur auch so!«

Nun begann ein sehr animirtes Gespräch, natürlich über die Leni. Der Bauer erkundigte sich, ob die Leni den beiden Leuten wirklich Geld geschickt habe. Warschauer nickte gewichtig und antwortete:

»Ja, das will ich meinen.«

»Was machst denn für ein Gesicht dazu? Du thust ja, als obs eine Million wär!«

»Es ist auch fast so. Viel fehlt nicht daran.«

»Dann möcht ich das Geldl sehen.«

»Kannsts wohl schauen.«

»So zeigs doch mal her!«

Der Alte zog das Couvert aus der Tasche, gab es ihm und sagte:

»Hier, nimm es heraus!«

Der Bauer betrachtete zunächst die Rück- und dann die Vorderseite. Er schüttelte den Kopf.

»Weißt gewiß, daß es von dera Leni ist?«

»Natürlich!«

»Dreihundert Gulden! Ein Heidengeld für Dich!«

»Ja, nun bin ich reich.«

»Aberst ich glaubs halt doch nicht, daß es von ihr ist.«

»Von wem sonsten sollt es sein?«

»Hm! Das ist ihre Handschriften gar nicht.«

»Kennst sie denn?«

»Sehr genau. Und die fünf Siegeln! Darauf ist gar ein Wappenschild, als wann sie vom Adel war.«

»Greif nur hinein!«

Der Bauer zog die Scheine und den Brief heraus. Er betrachtete zuerst die Ersteren genau; das ist bei einem Bauer die Hauptsache. Als er sie für echt befunden hatte, sah er sich auch den Brief an und erklärte:

»Auch diesen hat sie nicht schrieben.«

»So hat sie ihn sich schreiben lassen.«

»Vielleichten. Darf ichs lesen?«

»Ja, lies!«

Als er damit fertig war, warf er den Brief mit einer Bewegung des Erstaunens auf den Tisch vor sich hin und rief:

»Sappermenten! Also nach Scheibenbad sollt Ihr? Ich doch auch!«

»Du? Hat sie auch an Dich schrieben?«

»Ja, freilich Aberst ich glaubs halt nicht, daß sie es ist.«

»Warum nicht?«

»Weil es nicht ihre Handschrift ist. Es ist nämlich ganz dieselbige wie hier. Ich hab den Briefen einstecken und werde ihn vorlesen.«

Er zog den Brief hervor und las:

»Lieber Capellenbauer!

»Ich hab oft und gern an Dich gedacht, seit ich nicht mehr bei Dir bin. Vielleicht möchtest Du gern wissen, wie es mir geht. Da komm doch nächsten Mittwoch mit dem ersten Zug nach Scheibenbad. Ich werde Dich in der Thalmühle erwarten. Es kommen lauter gute Bekannte. Wenn Du noch Etwas auf mich hältst, so laß mich nicht vergeblich auf Dich warten. Es grüßt Dich dankbar

Deine Leni.«

»Richtig!« rief der alte Warschauer. »Auch Du sollst hin. Wirst gehen?«

»Ich möcht wohl. Aberst ich denk, es kann auch so eine Art von Finte sein.«

»Wieso?«

»Daß mich Einer foppen will.«

»Das glaub ich nicht.«

»Es wär doch eine ärgerliche Geschicht, wann ich hin kam und sie wär gar nicht da.«

»Das ist freilich wahr, aberst das hast nicht zu befürchten. Ich glaub nicht dran.«

»Ich denks aberst doch!«

»Dann wäre ja auch ich gefoppt!«

»Freilich!«

»Da mußt halt bedenken, daß mir nicht Einer, der mich zum, Narren halten will, dreihundert Gulden dazu sendet.«

»Da hast freilich Recht. Zumal ich doch nicht annehmen möcht, daß man auch unseren geistlichen Herrn ärgern will.«

»Wieso denn?«

»Weil auch er so einen Brief erhalten hat.«

»Auch dera Herr Pfarrer? Soll auch etwa er hinkommen?«

»Ja, auch er ist eingeladen.«

»Durch dieselbige Handschrift?«

»Ganz durch dieselbige.«

»Das ist doch sonderbar! Steht denn auch bei ihm ihr Name darunter?«

»Sogar der ganze, Magdalene Berghuber.«

»Hm! Und wird er gehen?«

»Ja. Er sagt, daß sie ihn nicht einladen thät, wann sie nicht einen Grund dazu hätt.«

»Da wird er wohl ganz richtig denken.«

»So gehst Du wirklich?«

»Natürlich! Ich nehm auch meine Frau mit.«

»Nun, so fahr auch ich. Ich hab dem geistlichen Herrn versprochen, ihn mit in meinen Wagen zu nehmen. Da könnt auch Ihr kommen und mit uns nach dera Bahn fahren. Da sind wir gleich beisammen. Vorher trinken wir den Kaffee bei mir, und jetzund laßt Euch die Krüge wieder füllen!«

Sie waren so in den Gegenstand ihres Gespräches vertieft gewesen, daß sie gar keine Zeit gehabt hatten, viel auf den Fremden zu achten. Wenn sie das nicht unterlassen hätten, wäre ihnen wohl das eigenartige Lächeln aufgefallen, welches um seine Lippen spielte.

Erst jetzt blickte der Bauer zu ihm hinüber. Es schien ihm ein Gedanke zu kommen. Er sagte:

»Da fallt mir ein, daß ja dieser Herr die Leni kennt. Vielleichten kann er uns einen Aufschluß geben.«

»Wenn ich kann, sehr gern.«

»Sie haben die Leni zum letzten Male in Wien gesehen. Wissen Sie, wo sie jetzt ist?«

»Ja, in Scheibenbad.«

»Also doch? Und was meinen Sie? Sollen wir hinfahren zu ihr oder nicht?«

»Auf jeden Fall. Die Briefe sind wirklich ganz ehrlich gemeint.«

»So denken Sie, daß sie von ihr kommen?«

Der Bauer hatte den Poststempel nicht angesehen, sonst hätte er merken müssen, daß die Briefe aus Wien gekommen waren. Der Fremde antwortete ausweichend:

»Wenn sie nicht selbst geschrieben hat, so ist dazu jedenfalls ein Grund vorhanden.«

»Ja, sie kann einen bösen Finger haben. Das ist freilich wahr. Also wir fahren. Und nun freu ich mich darauf!«

Es entstand eine kurze Pause, während welcher der alte Warschauer den Fremden in verlegener Weise musterte. Er schien Etwas auf dem Herzen zu haben. Endlich nahm er sich den Muth:

»Wann dera Herr in Wien ist, so hat er vielleicht auch von meinem Sohne hört?«

»Wer ist das?«

»Dera Krikelanton.«

»Den kenne ich nicht.«

»Hm! Er soll – soll – soll sich dort Herr Criquolini nennen lassen und ist Sänger.«

Es glitt schnell wie ein herzliches Mitleiden über das männlich schöne Gesicht des Gefragten. Er antwortete:

»Ja, den kenne ich.«

»Wirklich, wirklich?«

»Ja, ich habe sogar mit ihm gesprochen.«

»Ist das wahr? Herrgott! Mit ihm gesprochen! Wie sehr mich dagefreut!«

Und die alte Frau faltete die Hände, nickte dem Herrn zu und fragte:

»Nicht wahr, dera Anton ist brav?«

»Ich denke es wohl,« antwortete er.

»Er sendet uns nix, weil er selberst nix hat. Meinen Sie nicht auch?«

»Wenn er Ihnen nichts sendet, so scheint er allerdings nichts übrig zu haben. Das Leben in so einer Stadt ist sehr kostspielig.«

»Hörsts, Alter! Ja, er ist doch brav. Er hat nix und braucht doch viel. Meinst nicht, daß wir ihm von den dreihundert Gulden ein- oder zwei Hundert senden?«

»Bei Leibe nicht!« fiel der Fremde schnell ein. »Es scheint zwar, daß er für Sie nichts erübrigen kann, aber was er für sich braucht, das verdient er.«

»Ist das wahr, oder wollens uns nur trösten?«

»Es ist wahr. Ich kann Ihnen mein Wort geben. Uebrigens würde ihn Ihr Geld gar nicht treffen.«

»Warum?«

»Weil er nicht mehr in Wien ist.«

»Wo denn?«

»In Scheibenbad.«

»Herrgottle! Da, wohin wir wollen.«

»Ja. Vielleicht werden Sie ihn treffen.«

»Natürlich, natürlich werden wir ihn treffen, und wenn wir ihn von Haus zu Haus suchen sollten!«

»Ich werde mich erkundigen und Ihnen sagen, wo er wohnt.«

»Sind denn auch Sie dort?«

»Ja. Ich will der Einweihung des neuen Theaters beiwohnen. Deshalb bin ich dort.«

»Und weshalb ist denn unser Anton dort?«

»Ganz aus demselben Grunde, nur daß er dabei activ auftritt, während ich nur den Zuschauer mache.«

»Activ? Was heißt das?«

»Er hilft als Sänger bei der Einweihung. Er singt in dem Theaterstück.«

»Sapperloten!« rief der alte Warschauer. »Da macht er wohl einen Abgott?«

»Abgott? Wie kommen Sie zu dieser Frage?«

»Der Briefbote hat sagt, daß da lauter Göttern auftreten werden.«

»Ach so! Ja, einen solchen Gott hat er allerdings vorzustellen.«

»O, wenn wir das sehen könnten!«

»Sie sollen es sehen. Ich werde Ihnen ein Theaterbillet besorgen.«

»Zwei, zwei! Auch für meine Frauen eins. Sinds doch so gut! Nicht wahr?«

»Ja. Wir werden uns treffen, und dann geb ich sie Ihnen.«

»O, könntens mir nicht auch eins besorgen?« fragte der Bauer. »Ich zahls natürlich gern.«

»Auch Sie sollen eins haben.«

»Schön! Wie gut, daß wir uns hier troffen haben. Also Sie denken, daß wir die Leni sehen werden?«

»Ganz gewiß.«

»Wissens nicht, ob sie noch an den Anton denkt? Seine Eltern sitzen zwar da, aberst wir können dennoch davon reden.«

»So viel ich weiß, ist zwischen ihnen Alles aus. Sie passen nicht zu einander.«

»Das hab ich gleich erst sagt. Wollen uns gleich noch ein Bier geben lassen.«

»Ich nicht mehr,« sagte Warschauer.

»Warum nicht? Ich zahls ja!«

»Wir müssen heim. Die Sonn geht bereits unter, und unser Heimweg ist beschwerlich.

»Ach was heim! Heut ist ein guter Tag. Heut hat mich die Leni eingeladen. Das müssen wir feiern. Das thu ich nicht anderst.«

»Wann wir nicht so alt wären, brauchten wir uns nicht vor dem Weg zu fürchten.«

»Ihr dürft halt nicht vergessen, daß die Leni Euch so ein Geldl geschickt hat. Das ist eine Freud, die auch gefeiert werden muß.«

Er befand sich eben in einer Stimmung, in welcher ihm Alles einen Grund zur Freudenfeier geben mußte.

»Ja, da freuen, wir uns und stürzen dann unterwegs, wanns finster ist, in den Abgrund.«

»Wer sagt Euch denn, daß Ihr heimkehren sollt, wann es finster ist?«

»Nun, wann wir da bleiben, so wirds doch sehr bald dunkle Nacht sein.«

»Und darauf kommt der helle Morgen!«

»Ja, so lang kann man doch nicht bleiben!«

»Warum nicht? Ich freu mich heut, und Ihr sollt Euch auch freuen. Ihr seid meine Gäst und bleibt bei mir.«

»Auf dem Kapellenhof?«

»Ja. Ihr schlaft bei mir, und nicht etwa auf dem Heu und Stroh, sondern ihr sollt die Gaststub haben, die für vornehme Leut da ist.«

Die beiden Alten sahen sich erstaunt an. Eine solche Ehre war ihnen noch nie widerfahren.

»Ja, schaut Euch nur an!« lachte der Bauer.

»Meinsts denn ernstlich?« fragte der Alte.

»Freilich wohl!«

»Wir sollen bei Dir bleiben, wir Beiden?«

»Alle Beid. Oder habt Ihr was Anderes zu thun?«

»Das nicht.«

»Oder glaubt Ihr, daß die Diebe Eure Hütt in der Nacht forttragen, weil Ihr nicht da seid?«

»Das fallt Keinem ein. Die Hütt taugt nix, und es ist auch gar nix drin.«

»Nun, also könnt Ihr getrost da bleiben. Ihr macht mir eine Freud damit.«

Die Beiden blickten sich nochmals an.

»Was meinst, Frau?« fragte er.

»Was meinst Du, Mann?« fragte sie.

»Machs, wie Du willst!«

»Nein, sondern wie Du!«

»Red nicht! In solchen Sachen hat die Frau das Wort. Also sag Du, was geschehen soll!«

»Nun, wannst so meinst, so werd ich freilich wohl gehorchen müssen.«

Sie erhob sich vom Stuhle, machte dem Bauer einen tiefen Knix und sagte:

»Wanns dem Herrn Kapellenbauer so eine Freuden macht, so wollen wir da bleiben.«

»Schön! Sehr gut! Das kann mich gefreuen!« rief der Bauer. »Jetzund muß gleich noch ein Bier kommen. Wir trinken, bis nix mehr da ist.«

Der Fremde hatte dem Zwiegespräch mit sichtbarem Vergnügen zugehört. Jetzt sagte er, indem er fröhlich lachte!

»Das ist doch ein sehr gastfreundlicher Herr, der Kapellenbauer. Das sieht man gern.«

»Nicht wahr? Ja, wir im lieben Bayernland sind ganz andere Leuteln als Ihr da drüben in Oesterreich.«

»O bitte! Auch dort giebt es so gute Menschen. Wie es scheint, halten Sie mich für einen Oesterreicher?«

»Ja. Sie sind doch aus Wien?«

»Ich wohne zuweilen dort. Eigentlich aber stammt meine Familie aus Bayern. Ich hätte fast Lust, auch für mich Ihre Gastfreundschaft zu erbitten.«

»Sie wollen auch bei mir bleiben?«

»Ja.«

»Schön: Das gefreut mich! Das ist mir recht! So Etwas hab ich gern, wenn mir Jemand – –«

Er hielt inne, schob den Hut nach hinten und kratzte sich. Dann fuhr er fort:

»Hm! Da fallt mir ein – – Sappermenten! So was kann mich freilich ärgern.«

»Was denn?«

»Sie sind so ein feiner, vornehmer Herr – –«

»O, nicht allzu sehr!«

»Wanns bei mir bleiben wollen, müssen Sie es doch ein Wengerl hübsch und fein haben. Und nun hab ich da denen Beiden die Gaststub versprochen!«

»Das thut nix.«

»O doch! Wohin soll ich Sie weisen.«

»Wanns so ist,« sagte die Alte, »so verzichten wir auf die Gaststub. Das Heu ist auch weich.«

»Ja, dann könnts gehen,« meinte der Bauer.

»Und ich kann das nicht annehmen,« erklärte der Fremde.

»Warum nicht?«

»Weil es gegen meine Gewohnheiten verstößt.«

»Ach was! Die Warschauersleute sind gern mit einem anderen Lager zufrieden!«

»Geht mich nichts an! Es ist eine alte, ehrwürdige Frau dabei, und gegen Damen soll man stets höflich sein.«

Er sagte das, indem ein wirklich liebenswürdiges Lächeln über seine Züge glitt.

Die gute Alte gab ihrem Manne unter dem Tische einen Stoß und fragte aber laut:

»Hasts hört, Mann?«

»Was?«

»Dame hat er sagt, Dame.«

»Bild Dir nix drauf eini! Du bist die alte Warschauerin und wirsts auch bleiben.«

Der Bauer machte ein sehr eigenthümliches Gesicht. Er maß den Fremden mit erstauntem Blicke und sagte:

»Aber so ein Herr darf doch nicht zurücktreten!«

»Ich trete ja gar nicht zurück.«

»Freilich! Sie wollen ja nicht in die Stuben.«

»Daran habe ich gleich anfangs nicht gedacht.«

»So? An was denn?«

»Meinen Sie, daß ich mich selbst bei Ihnen einladen würde, in Ihr Haus, ich, als Fremder, den Sie gar nicht kennen?«

»Warum nicht?«

»Nein. Das wäre ja gegen alles Herkommen.«

»Was geht mich das Herkommen an!«

»Ich hatte gleich anfangs an eine ganz andere Schlafstelle gedacht.«

»So, an welche denn?«

»Ich wollte allerdings auf ihrer Besitzung schlafen, und darum mußte ich Sie fragen und mich zu Gaste bitten. Aber in Ihrem eigenen Heim kann ich Sie nicht belästigen.«

»Sappermenten, sind das Höflichkeiten! So sagens doch mal, wo Sie schlafen wollen?«

»Droben auf der Alm.«

»Ach, in dera Sennhütten?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Da giebts nur Heu!«

»Das ist ja schön.«

»Aberst das paßt nicht für Sie!«

»Wer sagt das?«

»Ich, dera Kapellenbauer, der so was versteht.«

»Sie beurtheilen mich falsch. Ich kann ganz gut und mit Vergnügen im Heu schlafen.«

»Da machens sich Ihr ganzes Gewandl zu schanden. Das kann ich nicht zugeben!«

»O bitte! Ich habe noch einen ganz andern Grund dazu. Den kennen Sie nicht.«

»Darf ich ihn derfahren?«

»Gern will ich Ihnen denselben sagen. Die Leni hat mir nämlich so viel von Ihrer Alm und von der traulichen Hütte erzählt, so daß ich neugierig war, beide einmal zu sehen – –«

»Nun, so schauen Sie sich dieselben an. Da oben liegen sie. Man sieht sie beide.«

»O, mit dem Anschauen bin ich nicht zufrieden. Ich will hinauf. Ich will einmal einen Abend, eine Nacht da zubringen.«

»Ach, Sappermenten! In dera Hütten wollens also schlafen.«

»Ja, wenn Sie es erlauben.«

»Da giebts gar nix zu derlauben. Da kann ein Jeder einkehren, den die Sennerin duldet.«

»So ists ja schön. Ist denn eine Sennerin oben?«

»Ja, sogar zwei, wie es scheint. Da schauens doch mal hinaufi! Die meinige streut eben Salz für die Rinder, da oberhalb der Hütt. Und auf der Bank vor der Hütten sitzt noch eine. Das ist eine fremde. Ob vielleicht die Nachbar-Sennerin herüberkommen ist? Das kann sein. Sie gehen manchmal zu einander. Aberst es wär doch besser, wanns unten bei mir bleiben.«

»Nein, ich will hinauf!«

»Na, wanns nicht anderst wollen, so kann ich Sie nicht festhalten, zumal es zum Andenken meiner Leni ist. Den Stadtherren ist es ja ein Vergnügen, mal so zu schlafen. Das haben sie nicht immer.«

»O,« lächelte der Fremde. »Ich könnte es stets haben. Ich bin nicht eigentlich das, was man einen Stadtherrn nennt.«

»Was denn? Wohnens auch auf dem Lande?«

»Im Sommer fast stets. Ich besitze selbst mehrere Almen.«

»Was? Sie? Wo denn?«

»In Tyrol und auch in Siebenbürgen.«

»Sappermenten! So sind Sie freilich ein reicher Herr.«

»O, es ist nicht so schlimm.«

»Was sinds denn eigentlich?«

»Landwirth.«

»So schauens aber gar nicht aus.«

»Wie denn?«

»Wie ein Officier.«

»Das bin ich so nebenbei.«

»Und wo wohnens denn?«

»Bald in Oesterreich, bald in Bayern, bald in Rußland auf meinen Besitzungen.«

Jetzt machte der Bauer große Augen.

»Besitzungen habens? Was für welche?« fragte er.

»Almen, große Weiden, Rittergütter, Schlösser, einige Paläste in verschiedenen Residenzen und so weiter.«

Bei seinem bescheidenen Wesen hätte er das wohl nicht erwähnt, aber das Erstaunen des reichen Bauers schien ihm Spaß zu machen.

»Herrgottsakra! Da sinds aber doch ein ganz und gar steinreicher Herr!« rief dieser.

»O, es giebt reichere!«

»Darf man Ihren Namen derfahren?«

»Gern. Es ist bei uns Sitte, die Karte zu geben. Hier ist die meinige.«

Er gab sie ihm und der Bauer las:

»Horst Arnim Graf von Senftenberg.«

»Wie heißt das?« fragte er. »Aus Senftenberg sinds?«

»Nein.«

»Da steht es doch!«

»Nicht aus, sondern von Senftenberg.«

»Ach so! Und heißens Graf oder sinds einer?«

»Ich bin einer.«

»Donnerwetter!«

»Horst Arnim sind meine Vornamen. Von Senftenberg aber ist der Name meines Geschlechtes.«

Da schlug der Bauer mit der Faust auf den Tisch und rief mit lauter Stimme:

»Das laß ich mir gefallen! Ein Graf sinds also, eine Erlauchten gar?«

»Ja.«

»Und die Leni kennens?«

»Ich bin ihr Freund.«

»Hört Ihrs, Ihr Leuteln! Paßt auf! Die Muhrenleni hat einen Grafen zum Freunden und Erlauchten. Und in meiner Sennhütt wollens schlafen?«

»Gewiß.«

»Welch eine Ehr! Und dera Leni zu Lieb! Nein, das muß man sagen, das passirt nicht alle Tag! Trink aus, Warschauer! Es muß ein neuer Krug kommen. Und heut sollst drei Kopfkissen haben anstatt nur eins. Ein Graf in einer Sennhütt schlafen! Da muß ich wenigstens dera Sennerin einen Wink geben.«

Er stand auf, trat einige Schritte vor, so daß er von oben gesehen werden konnte, hielt die Hand seitlich an den Mund und jodelte:

»Holderoiho!«

Die Sennerin, welche an der Salzlecke stand, hörte es. Sie kannte das Zeichen ihres Brodherrn, blickte herab, sah ihn stehen und antwortete mit denselben Tönen.

Auf diese Antwort sang er:

»Machs in der Hütten fein und schön;
Du wirst bald einen Fremden sehn!
      Juch juch!«

Sie hatte ihn verstanden, den sie sang zurück:

»Laß ihn nur immer aufi steigen;
Bald werd ich ihm das Stadel zeigen.
      Juch, juch!«

»Die Sakradira!« lachte er. »In den Heustadel will sie ihn thun. Ja es giebt halt keinen andern Platz da oben. Aberst die Jetzige hat keine Schneid. Die Leni hätt da ganz anderst antwortet. Es war eine Lust, mit ihr zu stanzeln.«

Und sich wieder niedersetzend, fuhr er fort:

»Da hatt' ich mein Leiblied. Wann ich das unten begann, hat sie sofort oben eingesetzt. Seitdem hat mirs keine Andere so zu Dank sungen.«

»Welches Lied war es?« fragte der Graf.

»Es beginnt mit den Worten ›Allweil lustig, frisch und munter‹. Das war was für die Leni. Dera Triller kam dann grad wie eine lange, lange, prächtige Perlenschnur vom Himmel herab. Jetzund aber bei der Jetzigen, das klingt grad, als wann man – na, es ist nicht zu beschreiben!«

»Mußt sie nur in Uebung halten,« sagte Einer, der an einem andern Tische saß.

»Die Uebung thuts nicht.«

»O doch! Mußt sie öfters ansingen!«

»Wann ich nicht muß, fallts mir nicht ein.«

»Soll ichs mal probiren?«

»Kannsts machen. Hab nix dagegen.«

Der Andere trat vor wie vorhin der Bauer und sang hinauf:

»Du herzig schönes Dirndl
Du liegst mir im Sinn,
Du liegst mir im Herzen
Zehn Klaftern tief drin!«

Die Sennerin blickte zwar herab, schwenkte aber verneinend den Arm und antwortete nicht.

»Schaust!« lachte der Bauer. »Sie mag nicht.«

»Muß sie noch mal anreden.«

Er sang:

»Wann der Auerhahn pfalzt
Und der Kukuk laut schreit,
So ist halt gewiß
Mein Dirndl nit weit.«

Aber er erreichte seinen Zweck nicht. Die Sennerin blickte gar nicht einmal herab. Da aber stand die Andere von der Bank auf, hielt die Hand an den Mund und sang:

»Jetzt geh nur gleich eini
Du sakrischer Bu!
Deine Großmutter giebt Dir Zucker
Und ein Schmatzrl dazu.«

Das klang so mächtig und doch so zart, hell und klar. Der Bauer sprang auf, als sei er elektrisirt worden.

»Sapperment! Was ist das für eine Stimme!« rief er aus. »Auch in den Worten liegt gleich eine Schneid. Er soll seine Großmutter küssen, anstatt die Sennerin. So was konnt nur Leni früher machen. Wer mag das Dirndl sein!«

Er legte die Hände über die Augen und sah scharf hinauf. Den Kopf schüttelnd, meinte er:

»Ich brings halt nicht weg. Ob die Nachbarin so eine Stimm hat! Da hätt ichs aberst doch früher hört. Ich muß sie nur gleich mal ansingen!«

Er trat wieder vor und sang hinauf:

»Dein Lied ist nicht übel,
Dein Mäulchen, das beißt;
Drum sing halt nur weiter,
Und sag, wie Du heißt!«

»Nun, wanns eine richtige Dirn ist, muß sie antworten!« sagte er. »Und wir werden gleich hören, obs eine fesche ist oder nicht.«

Der Graf hatte den Vorgang mit großem Interesse beobachtet. Jetzt nahm er den Feldstecher her, den er als Tourist an einem Riemen über die Achsel hängen hatte. Er richtete ihn nach der Alm empor und blickte hindurch. Mit einem glücklichen, befriedigenden Lächeln ließ er das Glas wieder sinken.

Die Sennerin aber antwortete jetzt:

»Schau aufi, schau obi,
Und blick mir ins Gesicht,
Und bist Du ein Tolpatsch,
So erkennst Du mich nicht!«

Und darauf erfolgte ein Jodler, wie er hier in diesem Theile Welt noch niemals gehört worden war.

Früher hatte man die Muhrenleni für die beste Jodlerin, ja für eine Meisterin gehalten. Aber was war das gegen jetzt. Alle die unten Sitzenden sprangen auf und lauschten dem Gesange mit angehaltenem Athem, bis der letzte Triller verklungen war.

»Die Leni, die Leni!« rief der Kapellenbauer ganz entzückt.

»Ists wahr? Ists wahr?« fragte die alte Warschauerin.

»Gewiß! Es ist keine Andere. Nur die Muhrenleni kann so Etwas fertig bringen.«

»Wie kommt die denn da hinaufi?«

»Hinaufstiegen ists halt!«

»Das weiß ich auch!«

»Aberst daß sie mich nicht aufsucht hat!«

Da erklärte der Graf:

»Vielleicht hat sie ihre alte Alm vorher ganz ungestört aufsuchen wollen.«

»Ja, ja, so wirds halt sein, denn ein gutes und tiefes Gemüth hat das Dirndl. Ich muß sie nur wieder ansingen.«

Er sang und sie antwortete. Das war ein Brillantfeuerwerk, aus Tönen zusammengesetzt. Es verscholl durch das Thal, daß die Leute aus den Häusern traten und entzückt emporblickten.

Da trat die Sängerin ganz vor an den Felsenrand und winkte ihm Schweigen zu.

»Ich weiß, was sie will,« rief er. »Paßt aufi! Jetzt kommt mein Lieblingslied!«

Er hatte recht, denn wie der Klang einer gewaltigen Vex-Humana-Stimme der Orgel ertönte es von oben herab:

»Allweil lustig, frisch und munter.
Denn der Bayer laßt nit aus!
Geht die Welt gleich morgen unter,
Machen wir uns gar nix draus.
Jeder, der uns zuhört singen,
Sagt, das sind gar nette Leut,
Bei jedem Jodler möcht man springen;
Ja, im Bayern giebts halt Schneid.
Allweil lustig, frisch und munter,
Denn die Bayern gehn nit unter!«

Sie hielt auf, denn sie wußte von früher her, daß der Bauer nun seine Stimme hören lassen werde. Er sang:

»Auf den Bergen und den Almen
Geht es allweil lustig zu.
Bei den Kühen, bei den Kalben
Jauchzt so gern der Hirtenbu.
Wann der Jäger voller Schneid
Auf die Alma aufi steigt
Und die Senndrin voller Freud
Ihm die rothen Wangerln zeigt.
Allweil lustig, frisch und munter,
Denn die Bayern gehn nit unter!«

Und nun erschallte die letzte Strophe von oben herab:

»Auf die Nacht dann uma Neune
Läutets bei uns zum Gebet,
Wenn man dann so ganz alleine
Droben auf dem Berge steht.
O, wie hebt sich fromm das Herz,
Wenn das Klosterglöcklein klingt
Und die Nachtigall voll Schmerz
Ihre Klagelieder singt.
Allweil lustig, frisch und munter,
Denn wir Bayern gehn nit unter!«

Der Text dieses Liedes war ganz werthlos. Ein Dichter oder Kenner der edlen Dichtkunst hätte mitleidig die Achseln gezuckt. Aber die Melodie war für diese Leute die Hauptsache, und die war freilich herrlich, besonders da man sie aus einem solchen Munde hörte.

Als die Leni geendet hatte, trat sie zurück und ging in die Sennerhütte hinein.

»Sie will nicht mehr singen,« meinte der Bauer. »Das ist schad, jammerschad!«

»Ich verdenke es ihr nicht,« sagte der Graf. »Wissen Sie, wieviel sie in Wien ausgezahlt erhalten würde, wenn sie auf einem Concerte das sänge, was sie jetzt gesungen hat?«

»Nein. Wieviel?«

»Tausend Gulden.«

»Herrgott! Das ist nicht wahr!«

»Es ist wahr. Ich weiß es.«

»So wollt ich, ich hätt auch so eine Gurgel!«

»Das würde Ihnen nichts nützen,« lachte der Herr. »Man singt nicht mit der Gurgel.«

»Womit denn?«

»Mit der Kehle, dem Kehlkopfe.«

»Ich hab denkt, mit dera Gurgel!«

»Da schlingt man.«

»So hab ich halt Schlingen und Singen verwechselt. Aberst jetzt bin ich neugierig, was die Leni machen thut. Ob sie herabkommt.«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum?«

»Sie wird die alte Erinnerung auffrischen und oben bleiben wollen.«

»Das geb ich nicht zu!«

»Wollen Sie es ihr verbieten, oben zu bleiben?«

»Nein; aberst ich werd sie bitten, herabzukommen. Ich steig sogleich aufi.«

»Sie werden umsonst steigen.«

»Meinen Sie?«

»Ja. Ich kenne sie. Es ist ihr jedenfalls ein Herzensbedürfniß, wieder einmal da droben allein zu sein. Da läßt sie sich nicht gern stören.«

»Ach was stören! Ich bin nicht gern allein, und Niemand ist gern allein. Sie muß herab!«

»Lassen Sie sie oben.«

»Nein, nein! Ich steig aufi!«

»So lassen Sie wenigstens mich an Ihrer Stelle gehen!«

»Meinens denn, daß sie auf Sie mehr hört, als auf mich?«

Das klang fast, als ob er sich in diesem Falle beleidigt fühlen würde.

»Das will ich nicht sagen; aber ich glaube, daß ich die Worte eher finden würde als Sie.«

»Ach so! Ja, jodeln kann ich schon, aberst schöne Worten machen, das bring ich halt nicht fertig. Die Leni muß herab. Die guten Warschauers sind auch da; mir und denen würd's eine gar große Freud bereiten.«

»So will ich hinauf, um es zu versuchen.«

»Ja. Oder halt! Nicht Sie allen, sondern ich steig mit. Ich will mir die Ehre nicht nehmen lassen, meine frühere Sennerin selbst willkommen zu heißen.«

»So kommen Sie!«

»Ja gleich! Aberst Ihr müßt hier sitzen bleiben! Daß Ihr ja nicht fort geht!«

Diese Worte waren an das alte Ehepaar gerichtet. Der Mann antwortete:

»Hab keine Angst, Bauer. Wann die Leni da ist, so reißen wir nicht aus.«

»Und wann ich noch so lang oben bleib, so bleibt Ihr hier sitzen. Trinkt nur weiter fort! Ich werd Alles zahlen.«

Er eilte dem Grafen nach, welcher rasch voraus ging. Diesem war jedenfalls der Gedanke, die Sennerin zu stören, nicht lieb. Noch unlieber aber war es ihm, daß er, da sie nun doch einmal geholt werden solle, nicht allein zu ihr gehen durfte.

Natürlich ließ er sich davon nichts merken. Er war mit dem Bauer so freundlich wie vorher, und bald zeigte es sich, daß ihm die Begleitung desselben nicht ganz nutzlos sei. Und zwar erstens in Beziehung des Weges, den er nicht kannte, und zweitens in Beziehung auf die einstige Sennerin, von welcher der einfache Mann dem Aristokraten ein Bild entwarf, welches gar nicht anmuthender und sympathischer sein konnte.

Das geschah während des Aufsteigens.

»Und nun möcht auch ich noch etwas wissen,« fuhr der Bauer im Gespräch fort. »Wann Sie die Leni kennen, so werden Sie es wissen – was ich meine, und das müssen Sie mir sagen: Hat die Leni einen Schatz?«

Diese Frage war so gradaus und kräftig, daß der Graf fast über dieselbe erschrak. Er wußte nicht sogleich zu antworten und gegenfragte also:

»Was verstehen Sie unter einem Schatz?«

»Das wissens nicht?«

»So genau nicht. Wir haben da wohl andere Ausdrücke, deren wir uns bedienen.«

»Ja, bei denen seinen Leutln heißt eben Alles anderst. Da heißt ein Wagen eine Chaise, ein Schreiber ein Actuar, und ein Spitzbub ist ein Politikus. Wir aber sagens, wie es ist. Einen Schatz nennen wir denjenigen Buben, der zu seinem Dirndl ans Fenster darf.«

»Wohl auch hinein?«

»Ja, wenn sie denken, daß sie von den Alten nicht derwischt werden, steigt er auch eini.«

»In diesem Sinne hat sie freilich keinen.«

»So! In welchem Sinne denn?«

»In gar keinem Sinne. Sie ist noch frei.«

»Das wundert mich. So ein bildsauberes Dirndl. Mag sie denn Keiner?«

»Sie scheinen anzunehmen, daß ein Mädchen unbedingt einen Anbeter haben muß, und daß es für sie eine Schande ist, wenn sie keinen hat?«

»Fast ists so. Bei uns hat fast Jede den ihrigen. Jetzunder sehens sich leider bereits als Schulbuben nach einem Dirndl um. Aberst einen Anbeter giebts bei uns freilich nicht. Anbetet wird Keine.«

»Das Wort ist hier auch nicht so im eigentlichen Sinne zu nehmen.«

»Ja, bei uns küßt man das Dirndl; man schwenkt sie im Saal herum, aberst anbeten thut man sie nicht. Also die Leni hat wirklich gar Keinen?«

»Nein.«

»Auch nicht Einen, der ihr zuweilen ein Busserl geben darf?«

»Auch einen solchen nicht. Aber wenn es zur Beruhigung Ihrer Seele dienen kann, so will ich Ihnen sagen, daß es Viele, Viele giebt, welche sehr, sehr glücklich sein würden, wenn die Leni ihnen ihre Hand reichen wollte.«

»Was meinens mit dem Hand reichen?«

»Hm! Heirathen natürlich.«

»Sappermenten! Also giebts doch Welche, die ein Aug auf sie werfen?«

»Viele!«

»Was sind es denn für Kerlen?«

»Leute der verschiedensten Stände.«

»So mag sie sich nur in Acht nehmen. Das werd ich ihr sagen. Diese Kerls taugen alle nix.«

»Wie? Was?«

»Alle, Alle nix! Ich kenne das.«

»Ich setze aber den Fall, daß – –«

»Sein Sie nur still! Hier wird gar kein Fall gesetzt als nur der eine, daß sie Alle nix taugen. Sie mag sich einen tüchtigen Bauer nehmen. Sie versteht die Milch- und Käsewirthschaft aus dem Fundament, und das ist das beste Brod, was es auf Erden giebt.«

»Ich habe bisher geglaubt, daß es auch andere Berufszweige gebe –«

»Still! Diese andern Berufszweige sind keine grünen Zweige. Geld bleibt Geld, und Bauer bleibt Bauer. Das ist dera beste Stand. Schauns mal mich an! Bin ich nicht ein bildsauberer Kerlen?«

Er blieb stehen und stellte sich vor den Grafen hin. Dieser antwortete lächelnd:

»Uebel sind Sie nicht. So ein echtes Bild urwüchsigen Volksthums.«

»Von diesem Urwuchs versteh ich nix. Bei Ihnen heißt und ist eben Alles anders, und darum muß die Leni einen Bauer heirathen, weil sie bei denen Kühen aufiwachsen ist. Doch wir sind nun oben. Noch um diese Ecke, dann steht die Sennhütten vor uns.«

»Gehen wir alle Beide zu ihr?«

»Wie denn sonst?«

»Ich dächte, daß Einer genügt?«

»So wollen wohl Sie hin?«

»Nein. Gehen Sie. Ich werde eine kleine Strecke emporsteigen, so hinter die Hütte. Sagen Sie aber nicht, daß ich mit hier bin.«

»So? Warum denn nicht?«

»Ich möcht sie überraschen.«

»Sapperment! Wollens ihr einen Schrecken in den Leib jagen? Das duld ich nicht.«

»Sie wird nicht über mich erschrecken. Ich möchte nämlich gern wissen, wie sie mich empfängt, wenn sie mich so unerwartet erblickt.«

Er wollte aus ihrem Verhalten erkennen, ob seine Anwesenheit ihr lieber sei als die Störung, welche sein Kommen ihr bereitete.

Der Bauer sah ihm scharf in das Auge, betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, legte ihm die Hand auf die Achsel und fragte:

»Wollen Sie sie heirathen?«

Der Graf wurde natürlich durch diese Gradheit nicht blos unangenehm berührt, sondern geradezu verletzt.

»Mein Gott, welch eine Frage!« rief er aus.

»Diese Frage ist ganz am richtigen Platz. Die Leni ist fast so gut wie ein Kind. Ich will sie glücklich sehen und schlag einen Jeden nieder, ders nicht aufrichtig mit ihr meint. Verstehens mich?«

Diese Zuneigung zu der einstigen Magd rührte den Grafen doch. Er sah ein, daß er diesen Mann ganz anders beurtheilen müsse. Darum antwortete er lächelnd:

»Sie sprechen ja deutlich genug!«

»Ja, es giebt halt Leut, mit denen man nicht deutlich genug reden kann! Ich denk mir halt, daß Sie auch ein Aug auf sie geworfen haben?«

»Eigentlich ist die Leni vollständig selbstständig, und es hat Niemand mir eine solche Frage vorzulegen. Da Sie aber ein solcher Freund von ihr sind, will ich ohne Weigerung antworten, daß ich sie liebe.«

»Liebe? Was ist das? Ich frag abermals: Wollen Sie sie heirathen?«

»Ja.«

Das hatte der Bauer nicht erwartet. Er hatte geglaubt, den Grafen abwehren zu müssen, wie ein bissiger Kettenhund den Dieb verjagt.

»Sapperment!« rief er aus. »Wissens, was das heißt, heirathen? Wissens das?«

»Ich traue mir zu, daß ich es weiß.«

»Das heißt, zum Pfarrer gehen und auf das Standesamt! Das heißt, sich niemals wieder von ihr trennen können!«

»Gewiß!«

»Sie zur Herrin machen in Haus und Hof, in Wald und Feld, Alles mit ihr theilen, das Eigenthum, die Freud und das Leid!«

»Wollte Gott, ich dürfte das!«

»Wie? So haben Sie es im Sinn, wirklich so? Trauen wollen Sie sich lassen?«

»Was denn anders?«

»Oder machens ihr das nur weiß?«

»Herr, denken Sie nicht so schlecht von mir!«

»Schon gut, schon gut! Ich weiß nun fast, woran ich mit Ihnen bin. Wissens, grad die vornehmen Herren haben das gelernt, daß sie von ewiger Liebe und unendlicher Treue sprechen; aber die Treue ist gar nicht vorhanden, und die Liebe währt nur eine kurze Stunde. So einen Kerl, wann er mir die Leni anrühren wollt, schlüg ich alle seine Knochen entzwei!«

»Nun,« lachte der Graf, »so werden die meinigen ganz bleiben!«

»Das ist Ihr Glück. Aberst habens sich auch überlegt, was für eine Frau Sie bekommen?«

»Die beste, die es geben kann!«

»Das ist so sicher und gewiß wie das Amen im Vaterunser. Aber sie ist blutarm!«

»Es wird mich beglücken, sie reich machen zu dürfen!«

»Eine arme, bürgerliche Waise!«

»Desto größer wird meine Liebe sein!«

»Und sie hat nicht das Dings, was Sie Bildung nennen. Verstehen Sie?«

»O, was das betrifft, so besitzt sie einen Schatz von Herzensbildung, wie ich ihn noch bei keiner Anderen gefunden habe.«

»Sappermenten, das gefallt mir! Wanns nach Ihnen geht, so ist die Leni ein wahrer Engel.«

»Ich halte sie für kein überirdisches Wesen; aber unter den Irdischen, die ich kennen gelernt habe, ist sie die Würdigste, glücklich zu werden.«

»Schön! Also Sie sind ihr gut. Wissens denn, ob sie auch Ihnen gut ist?«

»Ich hoffe es.«

»Hörens, mit dera Hoffnung, da muß man vorsichtig sein! Da es Ihr heiliger Ernst ist, so seh ich ein, daß es ein unendliches Glück für die Leni ist, Sie kennen lernt zu haben, und ich bin nun Ihr Freund. Schauens, daß Sie Sicherheit erlangen! Lassens nicht hinhängen, bis ein Anderer kommt! Redens bald und schnell mit ihr!«

»Bitte, bitte, das läßt sich nicht überstürzen. Sie hat keine Ahnung, daß ich nach hier gekommen bin. Aus dem Empfang, den sie mir bietet, werde ich ersehen können, was ich zu erwarten habe.«

»Ja,« lachte der Bauer. »Wanns Ihnen entgegenspringt und an Ihren Hals fällt, dann ist's gut. Wanns Ihnen aberst eine tüchtige Ohrfeigen in das Gesichten haut, so ists ab. Nicht?«

»Nun, dieses Beides habe ich weder zu hoffen, noch zu befürchten, denke ich.«

»Weiß schon! Die Leni ist eine gar Bedächtige. Sie thut nix mit Eile; aberst was sie thut, das ist gut und überlegt.«

»Verstehen Sie nun, warum ich sie überraschen will?«

»Ja. Ich kanns mir schon denken. Ich bin zwar kein Graf, sondern nur ein Bauer, aberst in ein Menschengesicht hab ich auch schon schaut. Da kommts auf einen einzigen Blick, auf einen Mienenzug, auf einen kleinen Schritt oder eine Bewegung an. Und da hab ich gar nix dawider, daß Sie die Leni überraschen wollen.«

»Also gehen Sie allein?«

»Ja.«

»So steige ich einstweilen da hinauf.«

Der Bauer blickte sich um.

»Nein,« sagte er. »Da würde sie Sie sehen, wann ich noch dabei bin. Das darf nicht sein.«

»Wie? Sie wollten –?«

»Ja, ich will!« nickte er lächelnd. »O, wir haben halt auch unsere Bildung. Vielleichten geh ich gleich wieder und möcht Ihnen noch was sagen, wobei sie nicht ist. Bleibens also hier zurück. Setzens sich da auf den Stein, und wartens, bis ich wiederkomm.«

Er ging.

Der Graf erkannte, daß dieser scheinbar ungeleckte Bär doch ein Zartgefühl besaß, welches Einer, der ihn nur nach seinem Aeußeren beurtheilte, ihm sicher nicht zutraute.

Er setzte sich nieder und wartete.

Unter ihm lag das Thal mit dem Orte, aus welchem er emporgestiegen war. Dort stand die Kirche, in welcher sie während des Gottesdienstgesanges ihre Stimme hatte erklingen lassen, ohne zu ahnen, welch einen Schatz sie in derselben besaß.

Daneben stand ein weiß getünchtes Gebäude, kein Bauernhof und auch keine Häuslerswohnung. Das war jedenfalls die Schule, in welcher sie als Kind gesessen und gelernt hatte. Das A-b-c, für ihn ein unfaßbarer Gedanke. Dieses herrliche Wesen das A-b-c!

Und hier oben hatte sie dann geweilt, vom Frühjahr bis zum Herbste. Hier hatte sie Alles, was sie ihm so aufrichtig erzählt hatte, innerlich und äußerlich erlebt.

Er holte tief, tief Athem. Es wurde ihm so fromm, so heilig zu Muthe. Es war ihm, als ob er sich in einem Gotteshause befände.

Sein geistiges Auge richtete sich nach innen. Er sah nicht die Welt um sich her, in welcher die Dämmerung leise einzutreten begann. Er merkte auch nicht, wie die Minuten verrannen, und fuhr fast erschrocken auf, als er die Stimme des Kapellenbauers hörte:

»Nun, da sitzens ja noch. Ist Ihnen nicht lang worden bis jetzt?«

»Nein.«

»Da Habens gewiß an Diejenige dacht, welche nix von Ihnen wissen will.«

Der Graf erbleichte.

»Nichts?« fragte er stockend. »Haben Sie Etwas gesagt? Haben Sie gefragt?«

»Nein. Haben's keine Angst! Ich wollt auch mal so eine Probe machen auf dem Angesicht.«

»Mit mir?«

»Ja. Sie sind so erschrocken, daß ichs sehen hab, wie lieb sie ihnen ist. Gehens zu ihr!«

»Wo ist sie?«

»Drinnen in dera Hütten. Sie wollt mich ein Stuckerl begleiten; ich aberst habs nicht gelitten.«

»Da hätte sie mich hier gesehen.«

»Eben darum.«

»Geht sie hinunter?«

»Ja, sie kommt. Sie wär morgen früh kommen. Aberst weil die alten Warschauers hier sind und wegen ihr hier bleiben, will sie hinabkommen.«

»Warum ging sie nicht mit Ihnen gleich?«

»Sie hat sagt, sie wolle noch einmal da sitzen, wann der Abend auf die Alm herniedergeht. Sie will an die Vergangenheit denken.«

»Und da bin ich gekommen, sie zu stören!«

»Schadet nix. Bringen Sie sie dann hinab.«

»Schön! Aber ich wollte ja hier oben bleiben!«

»Daraus wird nun nix. Sie bleiben bei mir. Ich werd schon für einen guten Platz sorgen.«

Er ging fort, den Berg hinab.

Der Graf erhob sich langsam und trat an die Felsenecke. Das Häuschen lag vor ihm. Es hatte auf dieser Seite kein Fenster. Leni konnte ihn nicht kommen sehen. Die Sennerin war auf die Höhe gestiegen und trieb die Rinder und Ziegen herab. Von ihr war keine Störung zu befürchten.

Er schritt rasch auf die Sennhütte zu. Wollte er von vorn nach der Thüre gelangen, so mußte er an dem kleinen Fenster vorüber, welches sich neben der Thür befand. Darum ging er um das Gebäude hinten herum und kam nun von der entgegengesetzten Seite an die Thür.

Diese stand offen. Er war leise, sehr leise aufgetreten. Sie konnte ihn nicht kommen hören. Er streckte den Kopf vor. Der Raum schien leer zu sein.

Als er aber zwischen der offenen Thür und der Mauer hindurchblickte, sah er sie auf einem Holzschemel sitzen. Sie sah durch das Fenster.

Sie trug ihr altes Sennengewand mit dem kleinen Hütchen auf dem Kopfe. Ihr Gesicht war bleich, ihr Auge groß und ernst auf die Spitzen der Berge gerichtet. Ihre Lippen bewegten sich, und die Kugeln des Rosenkranzes glitten durch ihre jetzt so weißen Finger – sie betete.

So konnte er sie nicht stören. Er trat zurück. Er hatte das leise thun wollen, aber ein Steinchen knirschte unter seiner Sohle.

»Hast die Rinder da, Marie?« fragte sie. »Jetzt werd ich Dir helfen.«

Sie glaubte, die Sennerin habe das Geräusch verursacht, und stand auf. Als sie an die Thür trat, sah sie ihn stehen.

Ihre beiden Hände fuhren nach der Brust. Dann breitete sie die Arme aus.

»Armin – –!«

Es war, als ob sie sich auf ihn werfen wolle. Da aber sanken die Arme wieder herab, und eine glühende Röthe überzog ihr Gesicht.

»Graf, Sie!« hauchte sie.

»Ja, ich, Leni! Sie erschraken. Bin ich Ihnen unwillkommen?«

»Nein, nein. Ich dachte soeben an Sie.«

»An mich? Wirklich? Wie glücklich mich das macht.«

»Ja, ich dachte, daß Sie nun wohl in Scheibenbad angekommen sein würden.«

»Ich fuhr die Nacht und kam heut früh dort an. Da hörte ich, daß Sie mit dem ersten Zuge nach hier seien.«

»Wer sagte es Ihnen?«

»Frau Salzmann.«

»Ja, die allein wußte es.«

»Ich bin mit dem nächsten Zuge gefolgt. Es drängte mich, Sie zu begrüßen. Ich hatte sie so lange nicht gesehen.«

»Zwei Wochen lang. Welche Ewigkeit!« lächelte sie.

»Ja, eine Ewigkeit war es!« nickte er ernst. »Aber Sie haben mich noch gar nicht einmal willkommen geheißen.«

»Haben Sie mich begrüßt?« fragte sie.

»Ach, nein! Ich zeihe Sie eines Fehlers und habe denselben doch selbst begangen. Gott grüße Sie, Leni!«

Er reichte ihr die Hand. Sie schlug kräftig ein und antwortete heiter:

»Dank schön, und willkommen auch. Wollen Sie ein Milchen, ein Käs und Brod? Oder soll ich Ihnen lieber einen Schmarren backen?«

»Nichts von alledem! Danke!«

»Aber das ist so Sennerbrauch!«

»Der gilt nichts, denn Sie sind Talmisennerin.«

»Schauens, wie Sie das so sagen können! Ich bin im Stand, häng den Gesang an den Nagel und steig wieder auf den Berg. Sie glauben nicht, wie glücklich ich hier gewesen bin.«

»Und jetzt sind Sie es nicht mehr?«

»Vielleicht nicht, vielleicht doch! Ich kann es ja nicht sagen.«

»Nun, wenn Sie es nicht sind, so hoffe ich zu Gott, daß Sie es noch werden.«

Sie trat zurück und deutete nach innen.

»Wollen Sie eintreten oder bleiben wir lieber im Freien?«

»Wie Sie wollen.«

»Draußen ist es mir lieber.«

»So weilen wir hier. Kommen Sie!«

Sie trat hinaus, legte den einen Arm in den seinen, deutete mit dem andern rundum und sagte:

»Schauen Sie, das war mein Reich. Das gehörte mir. Jetzt ists mir genommen worden.«

»Ein herrliches Reich, aber eng und klein.«

»Wir Frauen sind ja im Kleinen so glücklich.«

»Und es gehörte Ihnen doch nicht!«

»Habe ich jetzt etwa ein Anderes?«

»Ja, das herrliche Reich der Kunst.«

»Das gehört nicht mir. Da bin ich eine Unterthanin wie jede Andere auch. Setzen wir uns auf diese Bank. Da habe ich so oft mit meinem alten Sepp gesessen, und zuletzt gar mit dem Könige.«

Sie setzten sich neben einander.

»Was fühlten Sie damals, als der König neben Ihnen saß?« fragte er. »Waren Sie beklommen?«

»Nein, gar nicht. Es war mir, als ob ein ganz gewöhnlicher Mann bei mir sei. Und doch war ich voller Ehrfurcht und Respect. Es war zu späterer Tageszeit als jetzt, und zuletzt mußte ich ihm ein Lied singen.«

»Das war wohl jener Abend, an welchem der Krickelanton ihn vom Tode rettete?«

»Ja. Der Bär war hinter dem Hause. Der Anton lief dann im Mondscheine über jenen Felsengrad hinüber.«

Der Graf wendete den Blick nach der bezeichneten Richtung.

»Da hinüber!« rief er schaudernd. »Wie ist das möglich. Das traue ich nicht einmal einem Seilkünstler zu.«

»O, Sie wissen nicht, was ein tüchtiger Sohn der Berge leistet. Und der Anton war berühmt.«

»Er wäre es auch jetzt, wenn – – –«

Er unterbrach sich. Sie blickte ihn lächelnd an und fragte:

»Warum sprechen Sie nicht weiter? Ich kenne gar wohl den Grund.«

»Schwerlich!«

»O, gewiß.«

»Nun, welcher ist es?«

»Sie schweigen aus Zartgefühl. Sie denken, ich fühle mich genirt, wenn von dieser Person die Rede ist. Habe ich Recht?«

Er nickte still.

»Sie irren sich, lieber Freund.«

»Wirklich?«

»Ja. Nur wenn ich mir irgend Etwas vorzuwerfen hätte, würde ich mich scheuen, von ihm zu hören.«

»Leni! Was sagen Sie! Diese Bemerkung ist ja ganz und gar überflüssig!«

»Sehen Sie! Ich habe geglaubt, ihn zu lieben. Aber was ich für Liebe hielt, war romantisches Mitleid. Er war gefürchtet und gehaßt. Das that mir weh. Da haben Sie Alles.«

»Und jetzt denken Sie nicht mehr an ihn?«

»Warum nicht?«

Sie richtete ihre Augen voll und ernst auf ihn. »Er thut mir leid.«

»Daran erkenne ich Sie, Leni. Wenn Sie mit ihm Mitleid fühlen, darf ich vielleicht hoffen, daß Sie auch mir verzeihen werden.«

»Was hätte ich Ihnen zu verzeihen?«

»Daß ich Sie heut hier überfalle.«

»Dafür sollte ich Ihnen allerdings zürnen!«

»Nicht wahr?«

»Ja. Ich wollte ganz allein mit mir und meinen Gedanken sein.«

»Und nun entreiße ich Sie Ihren Erinnerungen. Kann ich auf Gnade rechnen?«

»Ich bin Ihnen vielmehr dankbar, daß Sie meine Träumerei unterbrochen haben. Ich habe mit der Vergangenheit abgeschlossen und lebe nur für die Gegenwart und Zukunft. Also sollte ich mich nicht mehr mit solchen Reminiscenzen befassen. Zürnen kann ich Ihnen folglich darüber nicht; aber es giebt ein Anderes, was mir Grund giebt, Ihnen recht, recht bös zu sein.«

»Welches Verbrechen hätte ich denn da begangen?«

»Sie sind – – ein Fälscher.«

Er lächelte ihr unbefangen zu.

»Ein Fälscher? Ich? Wieso?« fragte er.

»Ich denke, meine Anklage soll Sie gradezu niederschmettern, und sehe Sie lächeln. Ich bin ganz fassungslos!«

»Ueber meine Gottlosigkeit?«

»Ja.«

»Ich scheine also ein sehr schlimmer Sünder zu sein. Meinen Sie nicht auch?«

»Ja. Von Reue giebt es keine Spur.«

»Leni, scherzen Sie, oder haben Sie wirklich Etwas gegen mich?«

»Wirklich!« nickte sie ernst.

»So sagen Sie mir schnell: Was!?«

»Ich sagte es Ihnen bereits. Sie sind ein Fälscher. Können Sie das ohne Zittern hören?«

»Ich fühle mich factisch nicht im Stande, den Grund dieser Anklage zu erkennen.«

»So muß ich deutlicher sein: Sie fälschen Briefe und Unterschriften. Es ist entsetzlich!«

Es wurde schnell dunkel, dennoch sah sie, daß er tief erröthete.

»Wollen Sie es leugnen?« fragte sie.

»Nein. Es ist leider an den Tag gekommen.«

»Und mich haben Sie in ein ganz falsches Licht gebracht durch diese Manipulationen.«

»Darf ich mich entschuldigen?«

»Ich glaube nicht, daß Sie das vermögen.«

»Vielleicht doch, Leni. Es kam mir nämlich ein Gedanke, welchen ich für einen köstlichen hielt. Sie werden voraussichtlich bei der Einweihungsvorstellung große Triumphe feiern und – – –«

»Bitte, bitte!« unterbrach sie ihn.

»O, ich schmeichle nicht, sondern ich spreche meine Ueberzeugung aus. Man hat Sie so lieb allüberall, wo Sie geweilt haben. Ihre alten, braven Freunde würden gewiß glücklich sein, wenn sie Zeugen dieser Triumphe sein könnten. Ihre ersten und ältesten Freunde haben Sie hier. Sie sind es am meisten Werth, daß man ihrer gedenkt, und da habe ich ihnen von Wien aus die Briefe geschrieben. Ich wollte Sie überraschen. Ich glaubte, Sie würden sich freuen, wenn Sie Ihren alten, ehrwürdigen Pfarrherrn, Ihren früheren Brodherrn und die guten Warschauers sehen würden. Und nun höre ich, daß ich mich getäuscht habe.«

Sie konnte sein Gesicht nicht mehr deutlich sehen, weil es immer mehr dunkelte; aber sie hörte es seiner Stimme an, daß er wirklich schmerzlich berührt war. Sie griff hinüber, nahm seine Hand, drückte sie leise und sagte:

»Nein, mein lieber Freund, Sie haben sich nicht getäuscht. Sie haben mich erfreut. Ich scherzte nur. Wie kann ich Ihnen zürnen, wenn Sie daran denken, mich zu erfreuen!«

»Das beruhigt mich außerordentlich. Sie glauben nicht, wie ich erschrak, als ich hörte, daß Sie hierher seien. Ich ahnte doch, daß Sie von dieser, wenn auch gut gemeinten Fälschung hören und mir zürnen würden. Darum eilte ich Ihnen so schnell nach.«

»Ah, deshalb also?«

»Ja.«

»Lieber Graf, Sie desavouriren sich selbst.«

»Wieso?«

»Vorhin sagten Sie, die Sehnsucht habe Sie hierher getrieben.«

»Das ist ebenso wahr.«

»Ich soll das glauben?«

»Ich bitte Sie herzlich darum! Ich habe mich wirklich gesehnt; aber trotz meiner Sehnsucht wäre ich in Scheibenbad geblieben, um dort Ihre Rückkehr zu erwarten. Ich mußte mir ja sagen, daß Sie nur darum nach der Heimath gegangen seien, um die Erinnerung zu genießen, und da muß man ja ungestört sein. Aber die Sorge, daß Sie von meinen Briefen hören würden, ließ mich diese Pflicht der Höflichkeit und Rücksicht vergessen und trieb mich Ihnen nach.«

»Sie verstehen, sich gut zu vertheidigen.«

»Weil ich nur die strenge Wahrheit sage.«

»Und den lieben Warschauers haben Sie nicht nur geschrieben, sondern ihnen auch Geld geschickt!«

»Das wissen Sie?«

»Vom Kapellenbauer.«

»Der also, der hat es verrathen!«

»Verrathen hat er es nicht. Er glaubte, ich sei die Urheberin des Briefes, den er erhalten hat, und sprach davon. Ich hatte natürlich keine Ahnung und ließ ihn mir zeigen.«

»Da erkannten Sie meine Handschrift?«

»Ja. Er sagte mir, daß ich auch an Warschauer geschrieben und ihm das Geld geschickt habe.«

»Sie sind doch nicht etwa so grausam gewesen, mich zu verrathen?«

»Eigentlich hätte ich Sie dadurch bestrafen sollen.«

»So grausam sind Sie nicht!«

»Meinen Sie? Nun ja, Sie können Recht haben. Ich habe Ihre Ehre gerettet und mich zu Ihren Sendungen bekannt.«

»Dank, herzlichen Dank, Leni!«

»Nicht so schnell! Ich habe im Stillen natürlich eine Bedingung daran geknüpft, daß ich Ihnen die dreihundert Gulden zurückzahlen darf. Sie haben das Geld ja nur ausgelegt.«

»Aber Leni!«

»Sie wollen nicht?«

»Nein.«

»So werde ich es sagen müssen, daß Sie der Spender waren. Oder wünschen Sie, daß ich mich mit fremden Federn schmücken soll?«

»Dieses Mal, ja, denn es sind die Meinigen.«

»Nun, darüber werden wir ja noch sprechen. Ich erfahre erst durch den Kapellenbauer, daß die armen Leute jetzt gehungert haben! Ich habe ihnen bei meinem Banquier ein für alle Mal einen kleinen Beitrag angewiesen, den er ihnen monatlich zu senden hat. Er muß diese Notiz übersehen haben, und ich bin Ihnen doppelt dankbar, daß Sie die Noth gelindert haben.«

»Ich wollte, Sie gäben mir die Erlaubniß, recht viel für Ihre Bekannten zu thun!«

»Dann müßte ich Sie zu meinem Banquier machen, und das kann ich einem Grafen von Senftenberg nicht zumuthen.«

»Thun Sie es, thun Sie es,« bat er, ihre Hand ergreifend und in der seinigen behaltend.

»Führen Sie mich nicht in Versuchung! Ich könnte ihr unterliegen.«

»Das wäre mein größtes Glück.«

»Uebrigens haben sich unsere Wünsche begegnet, der des Königs, der Ihrige und der meinige.«

»Welche Wünsche?«

»Daß meine Bekannten sich an meinen sogenannten Triumphen erfreuen sollen. Der König wünscht, daß bei der Festvorstellung alle diejenigen Personen zugegen sind, welche in der letzten Zeit mehr oder weniger seinem beglückenden Einflusse unterlegen haben.«

»Zum Beispiel?«

»Ich, um mich gleich zuerst zu nennen, der Fex, dann Max Walther, welche Beide überhaupt anwesend sein müßten, weil sie der Dichter und Komponist des Stückes sind, ferner der Elephantenhanns, welcher die prächtigen Decorationen gemalt und auch die herrlichen Wandgemälde geschaffen hat. Rudolph von Sandau ist als Baumeister natürlich eine Hauptperson. Sodann kommen Diejenigen, welche indirect betheiligt sind, wie der Sepp und Andere. Uebrigens ist dem alten Sepp das Allermeiste zu danken. Er ist so zu sagen unsere Vorsehung gewesen. Endlich kommen noch viele Andere, eine bunte Reihe von Personen, die Sie selbst dem Namen nach noch nicht kennen, die aber in irgend welcher Weise mit dem Könige und seinen Schützlingen in Berührung gekommen sind.«

»Wie Ihre liebe Frau Salzmann?«

»Ja. Auch Herr Commerzienrath Hesekiel Hamberger in Wien.«

»Warum der?«

»Weil er mich so zu sagen in Wien eingeführt hat. Ich sang ja zuerst bei ihm.«

»Ja. Bei ihm lernte ich Sie kennen!«

»Was Sie noch sehr bereuen werden.«

»Niemals, nie!«

»Wollen es abwarten.«

»Also alle diese Personen erhalten eine Einladung und von wem?«

»Hm! So unter der Hand.«

»Wird man auch einen gewissen Bewunderer von Ihnen, welcher Senftenberg heißt, mit einer Einladung bedenken?«

»Wie? Sie bewundern mich?«

»Zweifeln Sie daran?«

»Ich will das später untersuchen. Aber wenn Sie es wünschen, sollen Sie von mir eine Karte erhalten.«

»Für welche ich Ihnen im Voraus den herzlichsten Dank sage, beste Freundin.«

»Seien Sie zurückhaltender mit Ihrem Dank!«

»Warum?«

»Sie könnten die Zusendung der Karte wohl nicht als ein dankenswerthes Ereigniß empfinden.«

»Dieser Fall tritt nie ein.«

»Vielleicht doch! Nämlich die Geladenen haben eine gewisse Bedingung zu erfüllen.«

»Eine unangenehme?«

»Mir ist sie angenehm.«

»Dann mir auch.«

»Warten Sie! Nämlich nach der Vorstellung, wenn das Publikum sich entfernt hat, wird die Bühne nebst dem daran stoßenden Parquet in einen Saal umgewandelt, auf welchem tapfer getanzt werden soll.«

»Herrlich!«

»Hm! Es soll kein Rangunterschied gelten.«

»Das ist ja köstlich!«

»Meinen Sie? Wenn Sie nun bei der Damentour von der alten Barbara oder meiner dicken Frau Gualéche engagirt werden?«

»So tanze ich mit dem größten Vergnügen. Das können Sie mir glauben!«

»In diesem Falle ist eine Karte für Sie bereit. Uebrigens haben die betreffenden Personen keine Ahnung davon, was ihrer wartet. Sie dürfen nichts verrathen.«

»Ich schweige natürlich. Schauen Sie, wie unten die Lichter erwachen. Die hellen Laternen, das muß beim Gasthofe sein.«

»Ja, da sitzt der Kapellenbauer mit anderen und wartet, daß ich singen soll. Er hat mich darum gebeten.«

»Haben Sie es zugesagt?«

»Nein. Ich habe mir vorhin Genüge gethan, und nun soll man nicht denken, daß ich auch am Abende noch vom Berge herabsinge.«

Da kam ihm ein Gedanke. Würde sie auch ihm die Bitte abschlagen? Das war eine Probe ihrer Herzensgesinnung.

»Leni,« sagte er, »Sie haben hier oben auf den Wunsch des Königs gesungen. Wenn ich nun auch so eine Bitte ausspräche?«

Sie antwortete erst nach einer Weile:

»Liegt Ihnen Etwas daran?«

»Ja. Ich möchte Ihre unvergleichliche Stimme einmal durch eine stille Alpennacht dringen hören.«

»Da Sie es sind, sollen Sie sie hören.«

»Wirklich? Wirklich?« fragte er erfreut.

»Ja. Was soll ich singen?«

»Was Sie wollen. Aber ernst muß es sein, fromm und heilig, grad so, wie es mir jetzt zu Muthe ist.«

»Dann will ich Ihnen die neueste Composition unseres Fex vorsingen. Sie ist herrlich.«

Sie stand auf und entfernte sich ein Stück von der Hütte, nach dem Felsenrande zu, damit ihre Stimme besser zu Thale schallen möge. Er ging ihr nach. Sie standen eng neben einander, als sie begann:

»Schon fängt es an zu dämmern;
Der Mond als Hirt erwacht
Und singt den Wolkenlämmern
Ein Lied zur guten Nacht.
Und wie er singt so leise,
Da dringt vom Sternenkreise
Der Schall ins Ohr mir sacht:
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh!
Vorüber ist all
Der Tag und sein Schall.
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh,
Die Liebe Gottes deckt Euch zu!«

Es war unbeschreiblich, wie diese reine, posaunenartige und doch so milde Stimme durch die Nacht erschallte. Es klang, als ob sich der Himmel geöffnet habe und ein Engel des Herrn in Sphärentönen sein Nachtgebet zur Erde steigen lasse.

Unten im Dorf lauschten Alle. Der Graf war tief, tief ergriffen. Er wollte es wirklich nicht, aber eine innere, unwiderstehliche Macht zog seinen Arm empor und zu ihr hinüber. Er legte ihn um ihren Leib, und sie sträubte sich nicht dagegen.

Drüben an den Felsenwänden hatte das Echo die letzten, herrlichen Töne ergriffen und sandte sie wieder zurück. Es klang wie eine Antwort der müden Erde auf die Stimme des Himmels.

»Leni!« flüsterte der Graf. »So hörte ich noch nichts, so wunderbar!«

»Soll ich auch den nächsten Vers noch singen?« fragte sie. »Es giebt nur zwei.«

»Ja, bitte, singen Sie ihn! Ich wollte, dieses Lied hätte tausend Verse! Ich hörte eine ganze Ewigkeit lang zu.«

Er zog sie inniger an sich. Sie legte ihr Köpfchen an seine Schulter und fuhr fort:

»Und wie nun alle Kerzen
Erloschen durch die Nacht,
Da schweigen alle Schmerzen,
Die uns der Tag gebracht.
Lind säußeln die Cypressen;
Ein seliges Vergessen
Durchschwellt der Lüfte Pracht.
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh!
Vorüber ist all
Der Tag und sein Schall,
Schlaf in Ruh, schlaf in Ruh,
Die Liebe Gottes deckt Euch zu!«

Wieder antwortete das Echo. Der Graf lauschte. Er hielt die Sängerin umschlungen. Sie hatte geendet, aber sie nahm ihren Kopf nicht von seiner Achsel fort.

»Leni, meine herrliche, herrliche Leni!« flüsterte er. »Ich fühle, daß ich einen großen, großen Raub begehen will; aber ich kann, ich kann nicht anders; ich habe Dich zu lieb, o zu lieb. Ich flehe Dich aus vollster Seele an: Lebe nicht der Kunst allein, sondern gieb auch mir einen Theil Deines Herzens!«

Sie schwieg, doch nach einer Weile fragte sie mit leise bebender Stimme:

»Nur einen Theil?«

»Ja, nur einen Theil. Das ganze Herz, welches doch an der Kunst hängt, kann ich nicht von Dir fordern.«

»Weißt Du nicht, daß die größte und heiligste Kunst des Weibes ist, die Ihrigen glücklich zu machen!«

»Leni, ists möglich, ists möglich! Du wolltest dem Gesange ganz entsagen?«

»Nein. Der Herrgott hat ihn mir gegeben, und ich darf mich an seiner Gabe nicht versündigen. Aber wenn ich einem Manne angehöre, so will ich vor allen Dingen sein Eigenthum sein. Dann entsage ich dem Theater und singe nur noch in der Kirche und im Concerte.«

Es durchrieselte ihn fast wie kalt bei der Heiligkeit dieser Worte und der Größe des Opfers, zu welchem sie sich bereit zeigte.

»Darf dieser Mann das auch annehmen?« fragte er.

»Ja, er darf.«

»Mein Gott, welch ein Glück erwartet ihn! Und nun sage mir, wer dieser Mann ist!«

»Weißt Du es nicht?«

»Ich – – ahne es. O, diese Ahnung enthält schon eine ganze, ganze Seligkeit!«

»Du bist es, Arnim, Du, Du allein!«

Sie schlang beide Arme um ihn und drückte den Kopf weinend an seine Brust.

»Mein Leben, meine Seele, meine Wonne!« rief er aus. »So ein Glück hab ich stets für unmöglich gehalten.«

»Und doch habe ich Dich geliebt vom ersten Augenblicke an, an welchem ich Dich sah.«

»Und ließest doch nichts merken!«

»War ich denn nicht gut zu Dir?«

»Gut, ja, aber zurückhaltend.«

»Ich fürchtete mich.«

»Vor mir?«

»Nein. Wie könntest Du mir ein solches Gefühl einflößen. Nein! Es war Dein Stand, vor dem ich mich fürchtete.«

»Daß ich Graf bin?«

»Ja.«

»Ist denn das so fürchterlich?«

»Für mich, ja. O, wie würde ich mich freuen, wenn Du arm und gering wärst, wenn ich Das, was mir der Gesang einbringt. Dir geben und sagen dürfte: Hier, nimm, das gebe ich Dir. Ich lebe für Dich und ich – – singe auch für Dich!«

»Ja, so bist Du, so bist Du! Was habe ich Großes gethan, daß mir Gott ein solches Weib bescheert? Ich werde ohne Ende bemüht sein müssen, Deiner würdig zu sein.«

»Nicht so, Arnim, sprich nicht so! Das thut mir wehe. Aber um Eins bitte ich Dich!«

»Um was? Sei es noch so viel und noch so schwer, ich erfülle diese Deine Bitte.«

»Es ist so wenig und doch so viel. Es ist so leicht und doch so schwer!«

»Bitte, bitte, sage mirs!«

Da drückte sie sich innig, innig an ihn und bat in flehendem Tone:

»Nimm mirs im Leben niemals übel, daß ich nur so ein armes, geringes Dirndl war! Ich würde vor Schmerz eingehen, wenn ich das sehen müßte.«

»Leni, was sagst Du da! Ich schwöre – – –«

»Nein,« unterbrach sie ihn. »Keinen Schwur; das mag ich nicht erhören. Ich glaube an Dich. Ich liebe Dich, nicht weil Du reich bist und ein Graf, sondern weil Du so brav bist, so herzensbrav.«

»So mag mein Eid im Stillen gesprochen sein. Der Herrgott wird ihn hören, und er weiß es, daß ich ihn halten werde.«

Er legte seine Lippen auf ihren Mund, und sie erwiderte seinen Kuß ohne Sträuben.

»Da hab ich das Glück doch da gefunden, wo ich glaubte, es verloren zu haben, hier an der Hütte, wo damals der Anton von mir ging. Ich werde das jetzige fest halten, damit es mir nicht wieder enteile.«

»Dürfen wir schon davon sprechen, Leni?« fragte er.

»Nein, weil ich den Anton bestrafen will.«

»Ich will nicht darüber mit Dir rechten. Doch meine ich, daß er Deiner Beachtung gar nicht würdig sei.«

»Da geht er vollends zu Grunde; ich aber möchte ihn für seine armen Eltern retten.«

»So thue es! Ich weiß ja, was Du thust, das ist gut. Du wirst niemals Etwas thun, was später zu bereuen wäre.«

»Mit Absicht gewißlich nicht. Laß mir dieses Mal noch den Willen; später werde ich Dir gar gehorsam sein.«

»Gehorsam? Leni, nein! Wir haben Beide gleiche Rechte, und unser größtes Recht soll die Liebe sein. Aber darf ich es nicht wenigstens dem Kapellenbauer sagen?«

»Warum diesem?«

»Er weiß bereits davon.«

Er erzählte ihr, was er unterwegs mit dem Bauer gesprochen hatte.

»Da ist Dir das Herz davon gelaufen,« sagte sie munter. »Ein Graf vertraut einem Bauer seine Seele an! Aber grad, daß Du so bist, das macht mich eben glücklich. Dennoch bitte ich Dich, sage ihm noch nichts. Er kann es vielleicht nicht verschweigen, und dann erfahren es Antons Eltern, die es ihrem Sohne als größte Neuigkeit wieder sagen.«

»Ganz wie Du willst. Ich füge mich gern.«

»Und nun wollen wir abi steigen. Da unten warten sie auf uns.«

Und die Hand an den Mund haltend, sang sie mit schallender Stimme hinab:

»Jetzt klettr' i, jetzt steig i
In's Dörfli hinein,
Denn hier oben zu haxen,
Hier oben zu kraxen.
Das fallt mir nit ein.
Juivilla, juvalla!«

Das klang jetzt ganz anders als vorhin, so fesch, so keck, so übermüthig, als sei sie plötzlich eine ganz Andere geworden.

Und unten ertönte sofort die antwortende Stimme des Kapellenbauers:

»Steigt über, steigt unter,
Doch stolpert ja nicht!
Da oben im Dunkeln,
Da soll man nit munkeln;
Kommt runter zum Licht.
Juvilla, juvalla!«

»Schau das zielt auf das, was Du ihm anvertraut hast. Er spricht schon davon, ja er singt schon davon!« lachte Leni. »Ihm ist halt nicht zu trauen. Ich werde ihm gleich eine Lehre geben.«

Sie sang hinab:

»Du plaudrige Taschen.
Die schweigen nit will,
Denk, daß nur die Spatzen
Die ganze Woch schwatzen.
Und sei nun sein still.
Juvilla, juvalla!«

Es war als ob man das kräftige Lachen des Bauers von unten herauftönen höre. Dann stiegen die Beiden bergab, trotz der Dunkelheit mit sicheren Schritten, denn Leni kannte den Weg ganz genau und machte, innig an den Geliebten geschmiegt und den Arm um ihn haltend, die sorgsame Führerin.


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