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Die Bewohner des schönen Landsitzes Rodriganda waren bereits von allem unterrichtet, was in Mexiko geschehen war, und vor einigen Tagen war aus Spanien durch Sternaus Hand die Nachricht gekommen, daß alles gut gehe und der falsche Alfonzo nebst der Schwester Clarissa sich bereits in Haft befinde. Zarba, die Zigeunerin, hatte man nebst ihrer Bande nicht aufzufinden vermocht, was um so auffälliger war, da auch Tombi, der Waldhüter, aus Rheinswalden verschwunden war. Dafür aber hatte man den alten Dominikaner aufgefunden, der Marianos Jugendlehrer gewesen war, seine Abstammung aus der Beichte des Bettlers Pedro kannte und Sternau aus dem Gefängnis zu Barcelona befreit hatte. Daran hatte letzterer die Bemerkung geschlossen, daß es ihm und seinen Gefährten vielleicht möglich sei, nach Verlauf von vierzehn Tagen nach Rheinswalden aufzubrechen.
Diese Nachricht hatte alle mit großer Freude und Wonne erfüllt. Endlich, endlich stand das so heißersehnte Wiedersehen bevor. Der Seelenzustand der Bewohner von Rheinswalden und Rodriganda läßt sich gar nicht beschreiben, er war ein fast fieberhafter zu nennen.
Zu dieser gehobenen, freudigen Stimmung paßte ganz der Vorschlag, den der Großherzog in seinem Schreiben machte. Er war von dem Herzog von Olsunna in einer Audienz von dem Stand der Dinge unterrichtet worden, und es lag auf der Hand, daß er mit der Maskerade bezweckte, ein Bild des Volkes zu geben, in dessen Mitte die Zurückerwarteten so viele Freunde, aber auch ebenso viele Feinde gefunden hatten.
Selbstverständlich wußte niemand, daß auch die Zurückkehrenden als Maskierte erscheinen würden.
Die Anweisung des Zeremonienmeisters war eine sehr ausführliche. Der Hauptmann hatte sie seinem Ludwig nicht vollständig vorgelesen. Sie enthielt genau Angaben über die Kleidung der einzelnen Personen. Daß jeder das Gesicht mit einer Larve zu verhüllen hatte, war selbstverständlich.
Die Vorbereitungen zu dem Fest begannen auf der Stelle, und am Tag vor dem Fest waren alle Gaderobenstücke fertiggestellt.
Waldröschen befand sich wie in einem glücklichen, wonnigen Traum. Sie sollte den Vater sehen, den ihre Augen noch nie erblickt hatten, und den – Geliebten. Die Erwartung trieb sie bin und her und auf und ab. Gegen Abend des erwähnten Tages konnte sie es im Schloß nicht aushalten, sie mußte hinaus in ihren lieben Wald, um sich die Szene des frohen Wiedersehens zum tausendsten Male in einsamer Stille auszumalen.
Zu derselben Stunde saßen in einem Dickicht zwei Männer beisammen, die leise miteinander sprachen.
»Ob Sie sich nicht irren werden, lieber Geierschnabel«, flüsterte der eine. – »Sicher nicht, Master Sternau«, antwortete der andere. »An jedem der vier Tage, die ich hier auf der Lauer lag, ist der alte Graf im Wald herumspaziert. Er spricht leise vor sich hin und findet sich vor der Dämmerung nach dem Schloß zurück. Er scheint die Wege zu kennen.« – »Gott gebe, daß es mir gelingt! Wie gern hätte ich meinem Herzen gefolgt, aber es galt, den Willen des Großherzogs zu berücksichtigen. Ah, da höre ich Schritte!«
Sie lauschten. Es nahte jemand leise, langsam, fast schleichend. Graf Emanuel war es, der wie ein Nachtwandler geistesabwesend vorüberging. Sternau huschte hervor, ging ihm nach und holte ihn ein.
Der Graf erschrak nicht, als er ihn bemerkte, sondern setzte teilnahmslos seinen Weg fort, als ob niemand vorhanden sei. Sternau grüßte ihn und versuchte, mit ihm zu sprechen, erhielt aber keine Antwort als ein monotones: »Ich bin der gute, treue Alimpo.«
Sternau ergriff daraufhin die Hand des Grafen, sie wurde ihm auch ohne Widerstand gelassen. Er blieb stehen, um die halbgeschlossenen Lider des Geisteskranken emporzuziehen. Dieser ließ es ruhig geschehen und leistete auch nicht den leisesten Widerstand, als Sternau eine eingehende Untersuchung des Körpers vornahm.
Schließlich zog der Arzt ein Fläschchen und ein Löffelchen aus der Tasche, ließ aus dem ersteren in dieses einige Tropfen fließen und reichte sie dem Grafen, der sie wie ein Kind nahm und hinunterschluckte.
»Pst! Man kommt!« warnte Geierschnabel, der den Wächter machte und nach dieser Mahnung sofort verschwand.
Auch Sternau wollte sich zurückziehen, doch zu spät. Er konnte nur noch Flasche und Löffel verbergen, dann stand – Waldröschen vor ihm.
Sie blickte den großen Mann mit dem langen, prachtvollen Bart ein wenig befremdet an, aber nach diesem ersten Blick wurde ihr Auge mild und freundlich. Es war ihr, als ob sie diese Gestalt und dieses ernste, bedeutende Gesicht bereits längst gekannt habe, eine Regung, die sie an sich noch niemals beobachtet hatte.
»Wer sind Sie mein Herr?« fragte sie in freundlichem Ton, der keine Spur von Zudringlichkeit hatte.
Sternau hatte sie sofort erkannt. Das war nicht nur das Original jener Fotografie, die er in der Kajüte auf Lindsays Dampfer gesehen hatte, sondern das Ebenbild seiner Rosa, aber verjüngt und verschönt durch ein seelisches Etwas, das sich nicht in Worten beschreiben läßt.
Er hätte die Arme fest um sein Kind schlingen mögen, aber er beherrschte sich und antwortete im Ton eines höflichen Unbekannten:
»Ich bin Landschaftsmaler, mein Fräulein, und durchstrich den Wald, in der Hoffnung, ein Sujet zu einer kleinen Skizze zu finden. Dabei traf ich diesen Herrn, der mir des Schutzes bedürftig zu sein schien; daher begleitete ich ihn.« – »Ich danke Ihnen. Er ist mein Großpapa. Er ist sehr krank, doch kennt er den Weg so genau, daß er sich nie verirrt. Wollen Sie nicht weiter mitkommen? Vielleicht finden sich in der Nähe des Schlosses Punkte, die Ihrem Künstlerauge genügen.« – »Sie sind gütig, mein Fräulein, aber leider ist meine Zeit so kurz bemessen, daß ich heimkehren muß.« – »Wo wohnen Sie?« – »In Mainz. Darf ich fragen, wem dieses Schloß gehört?« – »Meinem Großpapa, dem Herzog von Olsunna.« – »Ah, Verzeihung, gnädiges Fräulein, daß ich das nicht ahnte!«
Sternau zog den Hut abermals, aber viel tiefer als vorher und machte dazu eine höchst respektvolle Verbeugung.
»O bitte«, meinte Waldröschen, indem sie ein reizendes, goldenes Lachen hören ließ. »Man beansprucht hier auf dem Lande keine solche Verehrung. Ich habe Sie noch nie gesehen. Durchstreifen Sie öfters unseren Wald?« – »Ich war noch niemals hier, fürchte auch, Ihr Mißfallen ...« – »O nein«, unterbrach sie ihn schnell. »Die Natur ist ja jedes Eigentum, und jeder hat das Recht, ihre Schönheit zu bewundern. Vielleicht treffen wir uns noch einmal hier.« – »Ich würde glücklich darüber sein.« – »Oh, ich liebe die Kunst, die es sich zur Aufgabe stellt, uns Gott in seinen Werken erkennen zu lassen. Sehen wir uns wieder, so können wir dieses Themas festhalten! Adieu, mein Herr. Komm, lieber Großpapa.«
Waldröschen verbeugte sich mit entzückender Anmut, ergriff die Hand des Grafen und schritt mit diesem davon.
Sternau blickte ihr nach, so lange er konnte, dann lehnte er sich an den Stamm des nächsten Baumes, faltete die Hände, hob die Augen zum Himmel empor und betete halblaut:
»Mein Gott, wie reich hast Du mich mit Deiner Güte begnadigt! Jeder Augenblick meines Lebens soll ein Dankgebet für Dich sein!«
Der nächste Tag brach hell und goldig an, und reges, frohes Leben herrschte in dem Schloß. In Küche und Keller legte man die letzte Hand an. Alles sah dem Abend mit Spannung entgegen. Niemand ahnte, was er in Wirklichkeit bringen werde. Aller Stirnen zeigten Heiterkeit, doch wurde diese gestört, als man gegen Mittag die Entdeckung machte, daß Graf Emanuel noch nicht von seinem Schlaf erwacht sei. Man versuchte, ihn zu wecken, doch vergebens. Nun wurde ein Bote nach dem Arzt geschickt. Dieser kam, untersuchte den Kranken und beruhigte dessen Verwandte durch die Versicherung, daß es sich hier nicht um einen besorgniserregenden Zustand, sondern um einen ungewöhnlich festen Schlaf handle, wie er bei solchen Patienten nicht sehr selten zu beobachten sei. Da er sich bereit erklärte, bei dem Schläfer bis zu dessen Erwachen zu bleiben, so kehrte nach dieser Unterbrechung die gute Stimmung bald zurück.
Um die vom Herzog angegebene Zeit erstrahlten alle Gesellschaftsräume im Lichterglanz. Alle fanden sich ein, alle trugen Masken, nur die Herzogin, Sternaus Mutter, nicht, da sie die Gäste empfangen wollte.
Die mexikanische Nationaltracht kleidete die Herren und besonders die Damen außerordentlich gut. Gräfin Rosa glich einer Königin des Sonnenreiches von Anahuac, wurde aber doch noch überstrahlt von dem Liebreiz Röschens, die sich in dieser Verkleidung geradezu bezaubernd ausnahm.
Der kleine Alimpo stolzierte an der Seite seiner Elvira her. Er als Indianerhäuptling und sie als Indianerin waren trotz dieser Umwandlung zu erkennen. Auch der alte Hauptmann war eingetroffen mit seiner riesigen Nase, in deren Schatten Ludwig als Präriejäger sich bewegte.
Da hörte man Karossen rollen, und einige Augenblicke später drangen zahlreiche Gestalten in den Saal, männliche und weibliche, große und kleine, glänzende und bescheidene. Es erfolgte zunächst ein wirres Durcheinander, ein Suchen, Prüfen, Finden, Zweifeln und wieder Verlieren, bis endlich einige Ordnung in die Bewegung zu kommen schien. Von den Schloßbewohnern vermutete natürlich niemand, daß Sternau und die anderen Erwarteten darunter waren, denn dieselben sollten ja direkt von der Reise eintreffen.
Kein einziges Gesicht war zu erkennen, alle waren durch Larven unkenntlich gemacht; sogar Sternaus Mutter hatte gleichfalls eine vorgenommen, als sie erkannte, daß es bei dem schnellen Eintritt der Gäste unmöglich sei, dieselben nach den gegebenen Regeln zu empfangen.
Von den Masken, die Paare bildeten, hatten zwei sich sofort und zu allererst zusammengefunden; der Oberförster hatte unweit des Einganges gestanden, als die Gäste kamen; da war einer derselben auf ihn zugesprungen und hatte ihm unter einem Schlag auf die Schulter zugerufen:
»Spitzbube! Wilddieb! Wollen wir Kompanie machen?«
Der Sprecher trug dieselbe Kleidung wie der Alte und hatte eine ebenso lange Nase.
»Halte den Mund, Kerl!« schimpfte der Hauptmann. »Es ist ja nur Verkleidung!« – »Das wollen wir untersuchen. Komm, Bursche!«
Der Langnasige faßte den Alten an und riß ihn mit sich fort. Als dieses Paar ein entferntes Zimmer erreicht hatte, wo sie unbelauscht waren, meinte die andere Maske:
»Sie sind der Herr Hauptmann Rodenstein?« – »Ja, aber ich darf es nicht verraten, so lange ich diese verteufelte Maske trage. Wer sind denn Sie?« – »Raten Sie!« – »Unsinn, raten! Nehmen Sie diese Nase herunter, damit ich Ihre Visage betrachten kann.« – »Das geht nicht, mein Lieber. Diese Nase ist leider angewachsen.« – »Donnerwetter! Das macht mir niemand weis. Eine solche Gesichtsturbine kann es in Wirklichkeit gar nicht geben.« – »Überzeugen Sie sich.«
Der Sprecher zog ein Tuch aus der Tasche und wischte sich mit demselben die roten und schwarzen Farben aus dem Gesicht Der Alte starrte ihn mit immer größer werdenden Augen wie abwesend an und rief:
»Alle guten Geister loben ... Das ist ja ...« – »Nun, wer denn?« – »Storch – ja Storchschnabel!« – »Falsch.« – »Kreuzschnabel.« – »Falsch.« – »Grünschnabel.« – »Noch falscher.« – »Löffelgans.« – »Hurrje! Sind Sie denn verrückt? Ist das Wort Geierschnabel denn so schwer zu merken?« – »Geierschnabel! Ah, ja, Geierschnabel! Aber, Kerl, auf welche Weise bringt denn der Geier seinen Schnabel wieder hierher?« – »Das werden Sie sehr bald erfahren. Aber, sagen Sie einmal, ob Sie wissen, in welchem Zimmer sich Graf Emanuel befindet.« – »Natürlich weiß ich es.« – »Zeigen Sie mir die Tür.« – »Warum, Sie Teufelsschnabel?« – »Fragen Sie nicht, sondern halten Sie den Hauptmannsschnabel!«
Dabei faßte Geierschnabel den Hauptmann an und zog ihn aus dem Zimmer.
Alimpo und Elvira waren zwei Indianern nebst einer Indianerin in die Hände geraten, die dem Ehepaar nicht wenig zu schaffen machten. Auf Frau Helmers war ein Schiffer zugeeilt, hatte ihren Arm in den seinen genommen und sie mit sich fortgeführt. Sie traten in ein kleines Zimmer, die Tür desselben wurde verschlossen, und dann ließ sich ein Jubelschrei im Inneren vernehmen. Kurts Vater hatte sich seiner Frau zu erkennen gegeben.
Ein kleiner Kerl, als Präriejäger gekleidet, trat auf Ludwig zu und faßte diesen beim Arm.
»Glück gehabt auf der Jagd, Kamerad?« fragte er. – »Das ist Neugier!« meinte Ludwig. »Aber heute abend wird es gemütlich. Wollen wir in Gemeinschaft einen Bock schießen dahier?« – »Meinetwegen. Komm, Kumpan! Ich kenne einen Wechsel, wo du ganz sicher zum Schuß kommst.«
Auch die beiden verließen den Saal. Es gab im Schloß Zimmer genug zu allerlei Szenen unter vier Augen. Der brave Ludwig folgte dem Kameraden in eins derselben. Dort nahm der letztere seine Larve ab.
»Ludwig Straubenberger, kennst du mich?« fragte er.
Der Gefragte starrte den Sprecher an, schüttelte den Kopf und antwortete:
»Dieses Gesicht muß ich schon einmal gesehen haben, aber wo? Ich kann mich nicht besinnen.« – »So will ich es kurz machen und es dir sagen. Ich bin der Brauer Andreas Straubenberger, dein ehemaliger Nebenbuhler, jetziger Bruder und glücklicher Bräutigam einer ganz famosen Heißgeliebten.«
Da erbleichte Ludwig. Er griff in die Luft, als ob er fallen wollte.
»Ist's wa- wahr«, stotterte er. – »Natürlich, ja. Herunter mit deiner Larve, damit ich dein gutes, liebes Gesicht zu sehen bekomme!«
Nun hätte ein Lauscher in diesem Zimmer ein zweistimmiges Schluchzen hören können, das von Freudenrufen unterbrochen wurde.
Waldröschen hatte an der Seite der Mutter gestanden. Da war ein geschmeidiger, reichgekleideter Mexikaner auf sie zugetreten, hatte sich tief verneigt und dann ihren Arm in den seinigen genommen, um langsamen Schrittes mit ihr im Saal auf und ab zu spazieren.
»Darf ich um Ihren Namen bitten, Señorita?« fragte er.
Die Larve war Schutz genug, die Stimme nicht erkennen zu lassen.
»Wozu? Sie würden meinen mexikanischen Namen doch nicht auszusprechen vermögen«, antwortete sie. – »Den Ihrigen jedenfalls. Im Falle der Not aber würde ich ihn deutsch aussprechen.« – »Da klingt er häßlich.« – »Wie? Ist ›Waldröschen‹ ein so häßliches Wort?« – »Ah, Sie erkennen und verraten mich! Das ist nicht chevaleresk von Ihnen. Es muß bestraft werden.«
Sie entzog ihm rasch ihren Arm und entfloh. Sie wollte ihre Mutter aufsuchen, fand dieselbe aber auch bereits engagiert.
Ein hoch und breit gebauter Mexikaner, unter dessen Larve ein mächtiger Bart hervorwallte, hatte von Geierschnabel einen Wink erhalten und war ihm hinaus auf den Korridor gefolgt.
»Da hinten, die vorletzte Tür, Master Sternau.« – »Schön. Ich danke.«
Sternau schritt auf diese Tür zu, klopfte an und trat ein. Der Arzt saß am Bett des Schläfers. Sternau bog sich wortlos über den letzteren, schob seine Augenlider empor, prüfte die Pupille und beobachtete den Schlag des Pulses.
»Ein krampfhafter Schlaf, nicht gefährlich«, erklärte der Arzt, der glaubte, einen Herrn des großherzoglichen Hofes vor sich zu haben.
Sternau zuckte wie mitleidig die Achsel und antwortete:
»Dieser Kranke wird in fünf Minuten erwachen und gesund sein.«
Nach diesen Worten verließ Sternau das Zimmer und kehrte nach dem Saal zurück. Dort ging er auf Rosa zu und legte ihre Hand auf seinen Arm. Es war ihr, als ob die Hand dieses kräftigen Mannes zittere. Sie mußte bei dem Anblick dieser Gestalt an ihren Gatten denken.
Er führte sie in eine Fensternische und sagte:
»Ich möchte Ihnen zu dem heutigen Tag gratulieren, gnädige Frau. Werden Sie mir das erlauben?«
Seine Stimme hatte einen vibrierenden, belegten Ton, dessen Ursache nicht allein die Maske sein konnte.
»Ich danke Ihnen, Señor«, antwortete sie. »Dieser Tag ist für mich leider mehr ein Tag der Trauer als der Freude.« – »Ich halte ihn aber dennoch nur für einen Tag der Freude.« – »So sind Ihnen die Verhältnisse meiner Familie unbekannt.« – »Nicht doch, ich kenne sie sehr genau und weiß, daß Ihrer eine große Freude wartet.« – »Wo?« – »Vertrauen Sie sich mir an, so werde ich es Ihnen zeigen.«
Sternau führte Rosa aus dem Saal hinaus und nach dem Krankenzimmer, wo er auf den ersten Blick bemerkte, daß sich die Wangen des Grafen zu röten begannen.
»Verlassen Sie uns!« gebot er dem Arzt. – »Verzeihung! Mein Platz ist hier«, antwortete dieser.
Da nahm Sternau Rosa ohne Umstände die Maske ab.
»Sie erkennen die Tochter dieses Patienten«, sagte er. »Das wird genügen, uns allein zu lassen.«
Der Arzt zog sich zurück. Rosa blickte auf den Maskierten und fragte:
»Was bezwecken Sie, Señor?« – »Bitte setzten Sie sich so zu Ihrem Papa, daß sein Blick sofort auf Sie fällt.« – »Wird er erwachen?« – »In einer halben Minute.« – »Wie gut! Ich glaubte ihn in Gefahr. Sind Sie Arzt?« – »Ein wenig. Bitte zu schweigen.«
Sternau ergriff die Hand des Patienten und behielt sie in der seinigen, bis er plötzlich sie losließ und hinter das Kopfende des Bettes trat.
Der Graf regte sich, öffnete die Augen, ließ sie langsam durch das Zimmer gleiten, wie einer, der vom Schlaf erwacht, bis sie Rosa trafen. Er blickte sie lange und forschend an und sagte mit leiser Stimme:
»Mein Gott! Wo bin ich? Was habe ich geträumt? Das ist ihr Gesicht und doch auch nicht. Rosa, meine liebe Rosa, bist du es? Wo ist Señor Sternau, der mich gerettet hat?«
Rosa war totenbleich geworden. Sie saß starr, als hätte sie der Schlag getroffen. Dann aber fuhr sie mit einem Schrei empor und rief:
»Vater, mein Vater. Kennst du mich? Kennst du mich wirklich?«
Da zog ein seliges Lächeln über sein Gesicht, und er antwortete:
»Ja, ich kenne dich. Du bist meine Rosa, mein Kind. Du bist heute anders als sonst, aber du bist es doch. Laß Cortejo und Clarissa und Alfonzo nicht zu mir. Sternau mag wachen. Ich bin so müde, ich muß schlafen. Komm, gib mir den Abendkuß, mein Kind, und sei morgen recht bald bei mir.«
Da hob sich Rosas Brust, als ob sie gesprengt werden solle, ihre Lippen und Zähne preßten sich zusammen, aber sie vermochte nicht, das, was sich in ihr aufbäumte, zurückzudrängen. Ein fast unmenschlicher Schrei kam aus ihrem Mund, eine ganze Flut von Tränen aus ihren Augen, und dann lagen ihre Lippen auf denen des Vaters. Sie drückte das teure Haupt an ihre Brust, sie küßte und küßte es wieder und wieder, bis sie endlich merkte, daß der Vater entschlummert sei. Da erhob sie sich. Ihr Auge traf Sternau, es blieb forschend, flammend auf ihm haften. Ihr Busen wogte, ihre Pulse glühten, und ihre Lippen, ihre Glieder zitterten.
»Señor«, stieß sie in fliegender Hast hervor, »Ist mein Vater geheilt?« – »Ja, Señora«, antwortete er mühsam. – »Erwacht zu neuem, geistigen Leben?« – »Ja, Señora, der Wahnsinn ist – ist be- ist be...« – »Besiegt« wollte er sagen, aber der Sturm der Gefühle, die er nicht länger zu beherrschen vermochte, machte es ihm unmöglich, auszureden. Rosa begann zu wanken, aber sie nahm alle Kraft zusammen.
»Das vermag nur einer«, rief sie, die Arme gegen ihn ausbreitend. »Sternau! Carlos! Karl, mein Karl!« – »Rosa, Gott, Gott, meine Rosa!« antwortete er, die Maske vom Gesicht reißend.
Im nächsten Augenblick lag sie ohnmächtig an seinem Herzen.
Die folgenden Minuten gehören hinter den Vorhang des Allerheiligsten. Kein profanes Auge darf bis zum Thron der göttlichen Liebe dringen, die sich in der menschlichen offenbart.
Nachdem über eine halbe Stunde vergangen war, verließen sie Arm in Arm und wieder maskiert das Gemach, in dem der Graf seinem völligen Erwachen entgegenschlief.
»Nun zu Rosita, meinem süßen Kind!« sagte Sternau.
Sie suchten im Saal nach ihr, ohne sie zu finden. Da trafen sie auf Geierschnabel, der die vorher fortgewischten Striche und Punkte in seinem Gesicht wieder erneuert hatte.
»Suchen Sie Waldröschen?« fragte er, ihre Absicht erratend. – Ja«, antwortete Sternau. – »Kommen Sie!«