Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17. Kapitel.

Der Gefangene war unterdessen wieder zu sich gekommen, das sah man an seinen dunklen Augen, die er geöffnet hatte und mit dem Ausdruck der Wut von einem zum anderen gleiten ließ. Man nahm ihm das Taschentuch und den Lasso ab und hieß ihn aufstehen. Er tat es, indem er die schmerzenden Glieder streckte.

»Wie heißen Sie?« fragte ihn der General.

Der Gefragte antwortete nicht und schwieg selbst dann, als die Frage wiederholt wurde. Da meinte Hernano:

»Wenn Sie nicht antworten, so betrachte ich Sie nicht als Offizier, sondern als einen gemeinen Verräter und lasse Sie auf der Stelle erschießen. Also, wie heißen Sie?«

Jetzt nannte der Mann seinen Namen.

»Haben Sie gehört, was dieser Señor uns erzählt hat?« – »Ja.« – »Sie geben zu, daß es die Wahrheit ist?« – »Sie als General werden einsehen, daß ich diese Frage nicht beantworten darf.« – »Sie meinen, daß Ihre Pflicht Ihnen hier Schweigen auferlegt? Gut, ich will das zugeben. Aber fragen muß ich Sie doch, ob es sich wirklich um einen Angriff auf uns handelt.« – »Auch jetzt antworte ich nicht.« – »Von wem haben Sie den Befehl erhalten, heute ...« – »Halt!« rief in diesem Augenblick Kurt, den General unterbrechend.

Der Gefangene war nämlich leise und, wie er meinte, unbeobachtet mit der Hand in die Tasche gefahren und stand im Begriff, diese Hand zum Mund zu führen. Kurt aber hatte ihn im Auge behalten und den erhobenen Arm am Handgelenk ergriffen. Der Gefangene machte eine verzweifelte Kraftanstrengung, ihm den Arm zu entreißen, was ihm aber nicht gelang. Da bückte er sich schnell mit dem Kopf herab. Ehe einer der Anwesenden herzutreten konnte, wäre es dem Colonel fast gelungen, das, was er in der Hand hielt, in den Mund zu bekommen, aber Kurt, der den Arm mit der Linken gepackt hielt, stieß ihm die geballte Faust in der Weise unter das Kinn, daß der Kopf emporflog. Ein zweiter Faustschlag gegen die Schläfe des Widerstrebenden warf denselben zu Boden, wobei Kurt noch immer die Hand des jetzt Besinnungslosen festhielt.

»Donnerwetter«, rief der General. »Was für einen famosen Hieb haben Sie!« – »Beweis, daß ich einen tüchtigen Lehrmeister hatte«, lächelte Kurt. – »Sie haben den Mann erschlagen. Er ist tot.« – »Wohl nicht! Um ihn zu töten, hätte ich ihn ein wenig mehr nach hinten treffen müssen.« – »Sie scheinen den Schädelbau Ihrer Gegner genau zu studieren, ehe Sie zuschlagen.« – »Das ist allerdings notwendig.« – »Warum unterbrachen Sie mich?« – »Der Mann zog etwas aus der Tasche, was er zum Mund führen und jedenfalls verschlingen wollte.« – »Ah! Was ist es?« – »Wir werden sehen.«

Kurt brach die Hand des Bewußtlosen auf und fand ein fest zusammengeknülltes Papier, das er glättete und dem General überreichte. Dieser las es durch.

»Ein Befehl des Generals Miramon!« rief er aus.

Die Anwesenden gaben ihr Erstaunen teils durch ihre Mienen, teils durch verschiedene laute Ausrufe zu erkennen.

»Daß dies Billett in die Hände dieses Mannes kommen konnte«, meinte der General, »ist ein Beweis, daß entweder die Stadt noch nicht vollständig eingeschlossen ist oder daß unsere Posten nicht wachsam sind.«

Er las den Befehl des Generals Miramon laut vor und sagte dann:

»Er hat also doch eingesehen, daß dieser Angriff keinen direkten Nutzen haben werde. Unsere Vorposten hätten Alarm geschlagen. Aber er redet da von einem indirekten Vorteil. Was mag er meinen?«

Einer der anwesenden Offiziere antwortete:

»Das ist, meiner Ansicht nach, sehr leicht einzusehen.« – »Wieso?« – »Miramon beabsichtigt heute nach Mitternacht einen Ausfall und will unsere Aufmerksamkeit von demselben ablenken.« – »Hm. Das ist allerdings wahrscheinlich.« – »Ich bin anderer Meinung«, bemerkte Kurt – »Warum?« fragte der General. – »Miramons Ausfälle sind alle siegreich zurückgeschlagen worden. Der letzte wurde am fünften Mai unternommen, wobei ich durch eine einzige Mine das ganze Vorhaben vereitelte. Miramon muß, wenn er nur ein mittelmäßiger Soldat ist, wissen, daß seine ganzen Befestigungen von unseren Minen umgeben sind. Er mag einen Ausfall versuchen, wo er will, so sprenge ich ihn in die Luft. Nein, seine Absicht ist eine andere!« – »Aber mir ein Rätsel. Wollen Sie sich erklären?« – »Er will den Kaiser verderben. Max soll denken, daß hinter unserem Rücken seine Anhänger in hinreichender Stärke stehen, um uns anzugreifen und von der Stadt abzuziehen.« – »Eine Spiegelfechterei also?« – »Die aber doch ihren Zweck erfüllen kann. Halten Sie es für unmöglich, daß der Kaiser noch heimlich entkommen kann?« – »Ja.« – »Es ist dem Boten Miramons gelungen, unbemerkt sich durchzuschleichen. Was diesem nicht unmöglich war, kann auch dem Kaiser recht wohl möglich werden.« – »Hm. Man wird wachsamer sein müssen.« – »Um nun Max von jedem solchen Gedanken abzubringen, spiegelt Miramon ihm die erwähnte Lüge vor.« – »Was aber kann es ihm nützen, wenn der Kaiser nicht entkommt, sondern gefangen wird?« – »Vielleicht gibt er sich der Hoffnung hin, daß man sich begnügen werde, das Haupt unschädlich zu machen.« – »Ah! Er gedenkt, dadurch sein Leben zu retten?« – »Ich habe Grund, dies zu glauben. Ich weiß ganz genau, daß von einer gewissen Seite Anstrengungen gemacht werden, den Kaiser zu täuschen.« – »Woher wissen Sie das?« – »Ich habe keine Anweisung, darüber zu sprechen. Ich darf Ihnen nur sagen, daß ich den Präsidenten darüber unterrichtet habe und daß dieser seine Maßregeln danach zu ergreifen weiß. Auch mit General Miramon habe ich über diesen Punkt gesprochen.« – »Donner! Sie scheinen ja mit diesen Herren auf einem sehr vertrauten Fuß zu stehen.« – »Vielleicht! Jedenfalls aber ist es notwendig, dem Oberstkommandierenden sofort diesen Befehl Miramons zu schicken und ihn von dem beabsichtigten Überfall, sowie den dagegen ergriffenen Mitteln zu benachrichtigen.« – »Das soll geschehen. Wie stark sind diese Guerillas? Wie sagten Sie?« – »Vierhundert, wie ich erlauschte.« – »Reiter oder Fußtruppen?« – »Ich hörte die Pferde schnaufen und glaube auch bemerkt zu haben, daß die beiden Posten großrädrige Sporen trugen. Ich vernahm das Klirren derselben. Diese Banden sind ja meist beritten.« – »Meinen Sie, daß wir den Angriff erwarten?« – »Nein. Weil dann mehr oder weniger der Unserigen fallen werden.« – »Also greifen wir sie an?« – »Auch nicht. Sie sind vom Wald gedeckt, und wir geben uns ihren Kugeln preis, obgleich bei der Dunkelheit ein gutes Zielen nicht möglich ist. Wir umzingeln sie.« – »Sie werden durchzubrechen versuchen.« – »Es wird ihnen nicht gelingen, denn Sie werden die Güte haben, eine hinreichende Anzahl zu detachieren.« – »Gewiß! Aber der Versuch des Durchbruches wird uns Tote und Verwundete kosten, und das ist es gerade, was Sie vermeiden zu wollen scheinen.« – »Wir werden es auch vermeiden, indem wir sie verhindern, den Durchbruch auch nur zu versuchen.« – »In welcher Weise scheint Ihnen das möglich?« – »Wir umschließen den Wald und benachrichtigen sie einfach hiervon durch einen Parlamentär.« – »Teufel! Das ist gefährlich!« – »Wieso?« – »Diese Kerle achten keinen Parlamentär. Sie stechen ihn nieder.« – »Ich befürchte dies nicht, sobald man einen Mann sendet, der mit ihnen zu sprechen versteht.« – »Sie vergessen, daß Sie es hier mit keiner regelrechten Truppe, sondern mit einer Bande zu tun haben. Keiner meiner Offiziere wird es wagen, sich als Parlamentär zu melden.« – »Sie haben zu befehlen.« – »Ich weiß, daß ich den Betreffenden in den Tod schicken würde.« – »Gut, so bin ich es, der sich meldet.«

Der General machte ein sehr erstauntes Gesicht.

»Sie? Sie wollen mit diesen Guerillas unterhandeln?« fragte er. – »Ja, ich«, antwortete Kurt zuversichtlich. – »So sage ich Ihnen im voraus, daß Sie ein toter Mann sind.«

Kurt zuckte die Achseln und antwortete gleichmütig:

»Ich fühle nicht die Lust, mich von diesen Leuten erschießen oder aufhängen zu lassen. Ich bin überzeugt, daß es mir gelingen wird, sie zur Räson zu bringen. Allerdings sehe ich mich gezwungen, die Bedingung zu stellen, daß Sie mir den geschriebenen Befehl Miramons mitgeben.« – »Ich denke, daß ich denselben an Eskobedo schicken soll?« – »Der Obergeneral wird ihn noch früh genug erhalten. Aber ich sehe ein, daß auch eine Abschrift genügen wird.« – »Sie soll sofort ausgefertigt werden.«

Der General gab einem Offizier den Zettel des feindlichen Generals, der im Augenblick kopiert wurde, während Hernano fortfuhr:

»Was meinen Sie, Señor Helmers, werden zwei Bataillone genügen?« – »Sicher«, antwortete Kurt. »Wählen Sie gute Schützen, und verteilen Sie Fackeln und Raketen, denn jedenfalls werden wir in die Lage kommen, das Terrain erleuchten zu müssen.«

Der General gab die nötigen Befehle, und dann wurde der gefangene Colonel untersucht. Es fand sich nichts Bedeutungsvolles bei ihm; er wurde nach dem Depot transportiert.

Kurze Zeit später befand Kurt sich mit zwei Bataillonen auf dem Marsch, der ohne alles Geräusch ausgeführt wurde. Es war noch nicht zwölf, als sie in der Nähe des Wäldchens ankamen, welches in Zeit von kaum zehn Minuten vollständig umzingelt wurde.

Es war bestimmt worden, daß, wenn Kurt eine Rakete steigen lasse, auch von Seiten der Republikaner rundum mehrere abgebrannt werden sollten, um den Leuten zu beweisen, daß sie wirklich umzingelt seien.


 << zurück weiter >>