Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fortsetzung 90

Bertha hatte die Sträflingstracht abgelegt und trug jetzt ihre eigenen Kleider. Da machte sie noch einen ganz anderen Eindruck als in der ersteren. Sie war ein schönes, sogar ein sehr schönes Mädchen. Zwar waren die inneren Leiden und äußeren Entbehrungen der Gefangenschaft nicht spurlos an ihr vorüber gegangen, aber sie hatten ihrem Wesen einen Ausdruck der Ergebung mitgetheilt, welcher unsagbar rührend war.

»Begnadigt?« sagte der Lakai. »Da haben Sie weiß Gott mehr Glück als Verstand. An mir haben Sie das nicht verdient. Ja, ja, die kleine Bertha war stolz und eingebildet. Sie wollte Frau von Wilden werden. Aber es ist schon dafür gesorgt, daß die Kirchthürme nicht in den Himmel wachsen! Aus der zukünftigen Frau Baronin wurde eine Kindesmörderin, welche in das Zuchthaus wandern mußte. Hatten Sie nicht zwölf Jahre? Sechs sind vorüber, also hat man Ihnen die Hälfte geschenkt! Aber ich begreife nicht, was Sie wollen und wie Sie es wagen können, nach dem Herrn Premierlieutenant zu fragen.«

»Ich habe mit ihm zu sprechen.«

»Worüber?«

»Ueber einen Gegenstand, der Sie jedenfalls nicht interessirt!«

Ihr Auftreten war nicht hochmüthig, aber bestimmt. Ihre Antwort verdroß den Lakaien; daher entgegnete er:

»Ich interessire mich für Alles, was Sie betrifft. Wie lange Zeit gedenken Sie frei zu bleiben, Fräulein Bertha? Ich denke, ein so langer Aufenthalt muß eine lebenslängliche Anhänglichkeit an so ein Haus entwickeln.«

Das war geradezu eine Rohheit von diesem Menschen. Sie that, als ob sie von derselben gar nicht berührt werde, und sagte ruhig:

»Ich bitte Sie, mich zu melden!«

»Nicht eher, als bis ich weiß, was Sie bei meinem Herrn wollen.«

»Ich habe kein Recht, davon zu sprechen. Vielleicht erzählt er es Ihnen selbst.«

»Oho! Sie sind ja ungeheuer kurz angebunden. Wenn Sie sich nicht nachgiebiger und bescheidener zeigen, werde ich Sie gar nicht vorlassen.«

»So werde ich unangemeldet eintreten.«

Bei diesen Worten hatte sie auch schon die Thür zum nächsten Zimmer geöffnet. Er ergriff ihren Arm, um sie zurückzuhalten. Dabei fielen einige laute Worte, welche Wilden hörte. Er stand von seinem Stuhle auf und öffnete seine Thür, um nach der Ursache des lauten Wortwechsels zu forschen. Er traute seinen Augen kaum, als er erkannte, wen er vor sich hatte.

»Wie! Was!« rief er. »Freches Geschöpf, Du wagst es, hier einzutreten? Hinaus mit Dir!«

»Ich habe nur zwei Worte mit Ihnen zu sprechen; dann werde ich gehen.«

Sie sprach so fest und bestimmt, daß der Lakai den Arm wieder sinken ließ, welchen er erhoben hatte, um sie hinaus zu schaffen. Der Lieutenant wollte erst in erhöhtem Zorne antworten; aber da schien ihm ein plötzlicher Gedanke zu kommen. Er nickte mit dem Kopfe und sagte kalt:

»Tretet Beide näher!«

Der Lakai trat mit dem Mädchen ein. Wilden ging an den Tisch, schrieb auf ein Blättchen die Worte: »Hole schnell die Polizei!« und gab dies dem Diener mit dem Befehle:

»Also, das ist zu besorgen.«

Als Kuno sich entfernt hatte, wendete der Lieutenant sich an Bertha:

»Also zwei Worte nur? Gut! Aber kein drittes dazu!«

Er hatte dies im höhnischen Tone gesprochen. Er war überzeugt, daß sie zu ihm betteln komme; das konnte nicht in zwei Worten geschehen. Sie sah ihm voll und furchtlos in die Augen und antwortete:

»Meinen Ring!«

Er erschrak. Das hatte er nicht erwartet. Diesen Ring hatte er ja gestern dem Juden Baruch Silberglanz gegeben! Er faßte sich schnell, zuckte wie verwundert die Achsel und meinte:

»Ich verstehe Sie nicht. Erklären Sie sich deutlicher!«

»Ich denke, ich darf nur zwei Worte sagen.«

»Keine Kindereien! Reden Sie!«

»Ich trug einen dünnen Goldreif mit einem Diamanten; der Ring war von sehr großer Bedeutung für mich. In einer Stunde, der Sie sich wohl noch besinnen werden, zogen Sie ihn mir vom Finger und steckten ihn spielend an den Ihrigen. Ich habe ihn nicht zurück erhalten.«

»Sie träumen wohl? Oder reden Sie irre?«

Sie blickte ihm zornig in die Augen und antwortete:

»Verstellen Sie sich nicht! Ich bin ebenso arm und hilfsbedürftig wie damals, als Sie mich verließen, obgleich Sie mich retten konnten. Außer daß der Ring für mich eine besondere Bedeutung besitzt, hat er auch einen realen Werth, in Folge dessen ich mir meine Lage erleichtern kann. Mein Vater ist arm und so alt, daß er vielleicht erwerbsunfähig ist; ich bin gezwungen, mich an ihn zu wenden, da ich als entlassene Gefangene nach meiner Heimath muß und mag dem lieben, guten Mann nicht zur Last fallen.«

Er schüttelte den Kopf, als ob er im höchsten Grade betroffen sei. Dann sagte er:

»Ich könnte Ihr Verhalten gar nicht begreifen, wenn Sie nicht direct aus dem Zuchthause kämen! Wollen Sie mich etwa zum Spitzbuben machen! Wie kommt ein Dienstmädchen, die Tochter eines Forstläufers, zu einem Diamantringe? Wenn Sie sich das Märchen ersonnen haben, um mich zu einer Gabe zu bewegen, so haben Sie sich verrechnet!«

Da bedeckte eine glühende Röthe ihr Gesicht.

»Herr von Wilden,« sagte sie erregt, »ich bitte Sie um Gotteswillen, nur dieses eine Mal ehrlich mit mir zu sein! Sie wissen am Allerbesten, daß ich Ihnen kein Märchen erzähle und ehe ich zu Ihnen betteln käme, würde ich lieber sterben. Sie haben mich unglücklich gemacht; ich bin durch Sie zur Mörderin, zur Zuchthäuslerin geworden; aber dennoch will ich Ihnen Alles verzeihen, nur geben Sie mir den Ring zurück!«

Er stieß ein hartes, höhnisches Lachen aus.

»Sie sollten Schauspielerin werden!« meinte er. »Sie scheinen kein geringes Talent dazu zu haben. Sie sind entweder wahnsinnig oder eine Schwindlerin, welche verdient, sofort in das Zuchthaus zurückgebracht zu werden. Wissen Sie übrigens noch, welchen Befehl Ihnen gestern der Director gab? Sie haben sich direct von hier nach Ihrer Heimath zu verfügen; darum sind Sie durch einen Anstaltsaufseher über die Stadtgrenze gebracht worden. Und dennoch haben Sie es gewagt, umzukehren!«

»Ich muß meinen Ring haben!« antwortete sie. »Herr Premierlieutenant, Sie haben mir einst hundertmal gesagt, daß Sie mich lieb hätten; es ist nicht wahr gewesen, aber so sehr hassen und verfolgen können Sie mich doch unmöglich, daß Sie mir mein Eigenthum rauben und mich abermals in Noth und Sorge stürzen! Geben Sie mir den Ring, dann gehe ich, und Sie sollen mich niemals wieder sehen.«

»Mädchen! Lügnerin! Nun reißt mir die Geduld!« rief er. »Weißt Du, daß ich blos zur Polizei zu schicken brauche, so wirst Du arretirt und verfällst in Strafe?«

»Das werden Sie nicht thun! Das wäre geradezu teuflisch und Sie sind doch ein Mensch.«

Da wurde die Thür geöffnet; der Lakai steckte den Kopf herein und meldete:

»Sie sind da. Soll ich sie eintreten lassen, Herr Premierlieutenant?«

»Ich spreche selbst mit ihnen. Gehe Du einstweilen zum Schneider!«

Wilden begab sich nach dem Vorzimmer, in welchem zwei Polizisten standen.

»Sie wissen, um was es sich handelt?« fragte er.

»Oberflächlich, Herr Oberlieutenant,« antwortete der Eine.

»Nun, eine Zuchthäuslerin, welche Kindesmörderin war, ist begnadigt und heute entlassen worden. Man hat sie, wie es Usus ist, über das Weichbild der Stadt gebracht; sie aber ist zurückgekehrt, um zu betteln und allerlei Schwindeleien zu treiben. Auch bei mir hat sie es versucht. Sie befindet sich im hinteren Zimmer; arretiren Sie das Subject. Um allen Unfug zu vermeiden, werde ich einstweilen zur Seite gehen, bis Sie fort sind, aber dann sogleich nachkommen, um meine Aussage zu Protokoll zu geben.«

Natürlich gehorchten die Polizisten.

Bertha war allein im Zimmer zurückgeblieben, um die Rückkehr Wildens zu erwarten. Sie erschrak bis aufs Blut, als statt seiner die beiden Sicherheitsbeamten eintraten. Es wurde ihr mit einem Male klar, was auf dem Zettel gestanden hatte. Sie hätte vor Zorn, Scham und Schreck in die Erde sinken mögen.

»Sie sind heute früh aus der Strafanstalt entlassen worden?« fragte Einer.

»Ja,« antwortete sie, todesbleich vor Aufregung.

»Warum sind Sie nach der Stadt zurückgekehrt? Was wollen Sie hier?«

»Ich hatte mit Herrn von Wilden eine Privatangelegenheit zu erledigen.«

»Ah, so! Derartige Privatangelegenheiten kennen wir! Sie sind arretirt! Ich hoffe, daß Sie uns gutwillig folgen!«

Sie schlug die Hände vor das Gesicht, sank auf einen Stuhl und schluchzte, daß ihr ganzer Körper bebte. Die Beamten standen ein Weilchen schweigend neben ihr. Dieses Mädchen kam ihnen gar nicht vor wie eine so raffinirte Schwindlerin.

»Ja, wir können Ihnen nicht helfen,« meinte der Eine in einem Anfluge von Mitleid. »Sie haben nun einmal den Fehler gemacht, wieder in die Stadt zurückzukehren.«

Da erhob sie sich und versuchte, ihre Thränen zu trocknen.

»Ja, Sie können mir nicht helfen; das weiß ich wohl,« sagte sie; »so möge denn Gott mir helfen. Kommen Sie! Ich gehe mit!«

Sie wurde durch die Stadt, welche sie vorher mit so frohen Gefühlen verlassen hatte, nach dem Polizeihause geführt und in eine Zelle geschlossen.

Der Oberlieutenant war da, noch bevor sie in das Verhör genommen wurde. Als sie später geholt und vorgeführt wurde, erzählte sie dem Beamten Alles aufrichtig. Er blickte ihr forschend in das bleiche Gesicht und sagte dann:

»Das ist ein ganz eigenthümlicher Fall. Ist es so, wie Sie erzählen, so verdienen Sie meine Theilnahme. Sie haben nicht das Aussehen einer Betrügerin, und Ihre Thränen scheinen aufrichtig zu sein. Aber wie wollen Sie die Wahrheit Dessen, was Sie erzählen, beweisen? Sie haben früher aus einem vielleicht in ihren Gefühlen begründeten Zartsinn geschwiegen und daher kommt es, daß man jetzt an ihren Worten zweifelt. Von wem haben Sie den Ring erhalten?«

»Das kann ich nicht sagen. Ich habe versprochen, zu schweigen.«

»Ich bedaure das um Ihretwillen. Sie können oder wollen nicht beweisen, daß Sie im Besitze eines solchen Ringes gewesen sind; in Folge dessen können Sie auch nicht beweisen, daß er in die Hände des Herrn von Wilden übergegangen ist. Ihr Besuch bei ihm könnte sehr leicht als Erpressung gedeutet werden, und das brächte Sie abermals in das Zuchthaus zurück. Der genannte Herr hat glücklicher Weise die Güte gehabt, dem Vorgange nicht diese Deutung zu geben, sonst müßte ich Sie criminaliter behandeln; aber eine Polizeistrafe für Ihre unbefugte Rückkehr in die Stadt können wir ganz unmöglich umgehen.«

Am folgenden Morgen war in dem in Grollenburg erscheinenden Provinzialblatte Folgendes zu lesen:

»Obgleich wir unserer umsichtigen Behörde die Vorsichtsmaßregeln verdanken, daß jeder aus der Strafanstalt entlassene Gefangene unter Begleitung eines Beamten aus der Stadt gebracht wird, so giebt es doch Individuen, welche in dieselbe zurückkehren, um sofort nach ihrer Entlassung ihr früheres Verbrecherleben von Neuem zu beginnen. Gestern wurde eine solche Person ergriffen, welche, wie es scheint, in die Stadt zurückgekehrt war, um durch gewisse Vorspiegelungen sich in den Besitz einigen Reisegeldes zu setzen. Der Herr, auf den es abgesehen war, ist so nachsichtig gewesen, den Thatbestand so mild wie möglich hinzustellen, und so wird die betreffende Person mit einer Haftstrafe im Polizeigefängnisse davonkommen. Es steht leider zu befürchten, daß diese kurze Haft von keiner Wirkung sein werde, da durch eine lange und viel schwerere Zuchthausstrafe keine Besserung erzielt wurde.« –

Herr von Flakehpa-Ociului trug einen in der Großindustrie wohlbekannten Namen. Er hatte sich um Handel und Verkehr bedeutende Verdienste erworben und war in Folge dessen geadelt worden; nur wußte man es nicht so recht genau, von welcher Regierung das Diplom ausgefertigt worden war.

Seit längerer Zeit hatte er sich von den Geschäften zurückgezogen und nur der Börse seine Anhänglichkeit bewahrt. Ob er glücklich oder unglücklich spiele, darüber waren die Stimmen getheilt. Aber er machte ein großes, glänzendes Haus, und das genügte.

Er hatte sich vom mittelmäßig situirten Kaufmann emporgeschwungen und war in Beziehung auf seine Person anspruchslos geblieben. Anders aber war es mit seiner Tochter.

Diese war sein einziges Kind. Sie hatte früh die Mutter verloren und war vom Vater vollständig verzogen worden. Von allem Luxus umgeben, hatte sie nicht die geringste Kleinigkeit des Lebens zu entbehren gebraucht. Sie war selbstsüchtig, hart und rücksichtlos geworden; sie konnte sogar grausam sein. Ueberhaupt gab es keinen Menschen, der ihren Charakter genau kannte. Selbst ihr Vater fand Augenblicke und Situationen, in denen sie wie ein düsteres Räthsel vor ihm stand. Reich und von einer eigenartigen, unbeschreiblichen Schönheit, war sie die Königin aller Feste. Man wußte, daß ihr Herz noch frei sei, und man war begierig, zu sehen, wem es gelingen werde, diese prächtige orientalische Perle in seinen Besitz zu bringen.

Sie wurde natürlich von der männlichen Jugend umschwärmt und angebetet. Unter dieser Schaar zeichnete sich Wilden durch ganz besondere Leidenschaftlichkeit aus. Er war entweder zu schwach oder zu selbstbewußt, als daß er den gewaltigen Eindruck, welchen Elma auf ihn gemacht hatte, hätte verleugnen können oder verbergen wollen.

Heute hatte das schöne Mädchen eine geheime Unterredung mit ihrem Vater gehabt, in deren Verlaufe sie höchst ernst und nachdenklich geworden war. Am Schlusse derselben hatte er gesagt:

»Also bedenke, daß ich ruinirt und zu alt bin, um von Neuem anzufangen. Vielleicht ist es mir unmöglich, auch nur die kleinste Summe zu retten. Wilden betet Dich an. Er ist bereits nicht ohne Verdienst, besitzt Connexionen und wird sicherlich Carriere machen. Sein Adel ist alt und seine Familie sehr reich. Es ist Zeit, die Mädchenträume aufzugeben. Ich will Dich zu nichts zwingen; aber ich muß Dir aufrichtig sagen, daß Du Dir jetzt, wo man mich noch für reich hält, Deine Zukunft leichter und besser schaffen und gestalten kannst als später.«

Elma hatte die Arme über die Brust verschränkt, wie es nur Frauen machen, welche einen starken, männlichen Willen und Character besitzen, und einige Augenblicke nachgedacht. Dann hatte sie gesagt:

»Was Du mir mittheilst, habe ich längst geahnt, Vater. Ich werde also diesen Wilden heirathen.«

»Liebst Du ihn denn?« fragte Ociului, ganz erstaunt über diesen so unerwartet schnellen Entschluß.

»Lieben? Pah! Einen Mann liebt man nicht; aber gerade deshalb heirathet man ihn! Das wirst Du nicht verstehen, aber ich verstehe es!«

Nach diesen Worten war sie stolz zur Thüre hinausgerauscht.

Heute Abend nun war sie, da ihr Geburtstag gefeiert wurde, die Hauptperson des Festes. Die Räume waren reich geschmückt, und die Damen überboten sich im Reichthume ihrer Toiletten. Wer erwartet hatte, daß Elma, wie gewöhnlich, an Geschmeidepracht und Diamantenflimmer Alle verdunkeln werde, der hatte sich getäuscht. Sie war in einem einfachen Kleide von weißem Atlas erschienen, und doch, wie herrlich stand ihr gerade diese Einfachheit! Von den Damen beglückwünscht und von den Herren umschwärmt, saß sie in ihrem Fauteuil, aus dessen rothdunklem Polster sich ihre lichte Gestalt feenhaft hervorhob.

Dieses Mädchen hatte ein Haar, wie es so lang und stark nur äußerst selten anzutreffen ist. Seine dunkle, rabenschwarze Fülle schien gar nicht bewältigt werden zu können. Wie eine Krone auf dem Kopfe befestigt, fluthete es dennoch in langen, weichen Locken über den schneeigen Nacken hinab.

Wie man es bei den Walachinnen gewohnt ist, so war auch Elma eine hohe, üppig volle Gestalt, deren Formen mehr an Juno als an Hebe erinnerten. Wer sie stolz und aufrecht unter den anderen Damen stehen sah, der mußte unwillkürlich an Katharina die Zweite denken, nur daß hier Teint und Haar von anderem Ton und anderer Farbe waren. Ihre Stirn war nicht zu hoch und nicht zu breit, echt frauenhaft gebildet, ihr Näschen klein und doch wie nach einem bestimmten Gedanken geschnitten, ihr Mund voll, doch nicht zu groß, und hinter diesen Lippen, welche zum Küssen förmlich drängten, glänzten die Zahnperlen von jenem bläulichreinen Schmelze, welcher für die größte Schönheit gilt.

Das Wunderbarste aber waren die Augen. Wer konnte sagen, von welcher Farbe sie seien? Kein Mensch! Ihr Vater nicht und auch sie selbst nicht. Zeigten diese Augensterne jetzt ein ruhiges, tiefes Schwarz, so konnte im nächsten Augenblicke die leiseste Regung sie dunkelblau färben. Man hatte diese wunderbaren Augen schon hellblau, grünlich und grau gesehen; ja, es gab Herren, welche behaupteten, bemerkt zu haben, daß im Zorne oder einer anderen ungewöhnlichen Seelenbewegung die Färbung dieser Augen vom Sammetschwarz durch alle Töne bis auf ein sogar gelblich schillerndes Grün gelaufen sei.

Und auf wen ihre Strahlen mit Absicht gerichtet waren, der vermochte es nicht, den Blick von ihnen zu wenden. Es lag ein Magnetismus in ihnen, welcher keinen Widerstand fand. Solche Augen sind gefährlich. Sie ziehen an; sie reißen hin; sie verführen und überwältigen. Ihre Macht ist bethörend und berückend; sie kann gefährlich werden.

Der Italiener hat ein Wort, mit welchem er die fascinirende Macht solcher Augen bezeichnet, das Wort Jettatura. Elma war eine Jettaturia; das sagte sich ein Jeder, welcher einen bewußten Blick von ihr empfing. Das sagte sie sich aber selbst auch. Sie hatte die Macht ihres Blickes studirt, und sie verstand, dieselbe anzuwenden.

Als im Musikzimmer der Tanz begann, zog Lieutenant von Wilden sich in eine Fensternische zurück, um ungestört die Herrliche beobachten zu können. Ihr Anblick hatte ganz dieselbe Wirkung auf ihn, als ob er Opium rauche oder einen starken, ungewohnten Wein trinke – er fühlte sich berauscht.

Er hatte sie um keinen Tanz gebeten; an einer bedeutungslosen Unterhaltung während desselben war ihm nichts gelegen. Da, als sie nach einer beendeten Tour nach ihrem Sessel zurückgekehrt war, sah er, daß ihr Blick sich nach dem Fenster richtete, an welchem er stand. Sie neigte das Köpfchen leise und – hatte er recht gesehen? Hatte sie ihm wirklich mit dem Fächer gewinkt, vorsichtig zwar aber doch verständlich?

Er begab sich, einen Umweg machend, um wie von ungefähr herbeikommend, zu ihr hin und wurde mit einem vollen Lächeln empfangen.

»Sie spielen den Einsiedler, Herr von Wilden?« fragte sie. »Haben Sie einen Grund dazu?«

»Ja, Fräulein. Der Einsiedler widmet sich ganz der Andacht und dem Gebete.«

»Ah!« lachte sie. »Waren Sie jetzt so fromm?«

»Sehr, aber als Heide. Meine Andacht galt Ihnen.«

»So haben Sie eine eigenthümliche, mir bisher unbekannte Religion.«

»Ich wollte, ich dürfte Sie in derselben unterrichten,« antwortete er leise, sich zu ihr niederbeugend.

Sie blickte zu ihm auf. Es traf ihn ein Blick, so voll, so glühend, so verheißend und gewährend, und dabei war ihr Auge azurblau, wie der Himmel, wenn er seine ganze Liebe auf die Erde niederstrahlt. Aber das währte nur einen Augenblick; dann sagte sie ruhig:

»Zu diesem Unterrichte gehört Einsamkeit, ich müßte also auch Einsiedlerin werden.«

»Und das wollen Sie nicht? Das fällt Ihnen so schwer?« sagte er.

Ein Sturm von Gefühlen hatte sich seines Innern bemächtigt. Er hätte trotz der zahlreichen Versammlung ihr augenblicklich zu Füßen fallen können. Sie sah oder errieth das. Ein neuer Tanz begann. Sie erhob sich, um ihren Tänzer zu empfangen, hatte aber vorher noch so viel Zeit, dem Lieutenant zuzuflüstern:

»Ich will es versuchen. Nach der Tafel hinter dem Gewächshause.«

Sie schwebte fort. Ihm wurde es ganz wunderbar zu Muthe. Es war ihm, als ob ein Schwindel ihn erfasse, der ihn umzustürzen drohe. Er begab sich zum Büffet und stürzte ein Glas Eiswasser hinunter.

Wilden wußte kaum, was er von jetzt an that. Er war für die Gesellschaft vollständig ungenießbar. Er dachte nur an sie; er sah nur sie; und wenn ihr Auge für einen Augenblick auf ihm ruhen blieb, dann war es ihm, als ob er von einer electrischen Strömung ergriffen und zu ihr hingerissen werde.

Endlich war die Tafel beendet. Die Jugend begann wieder zu tanzen, während die Aelteren zu ihrem Spiele zurückkehrten. Wenn Elma jetzt sich von der Gesellschaft losreißen könnte; würde es ihr möglich sein?

Herr von Wilden hielt den Blick, verstohlen und unauffällig zwar, aber erwartungsvoll auf sie gerichtet. Ein Zusammentreffen mit ihr – unter vier Augen! Er befand sich in einer Spannung, wie noch selten in seinem Leben. Seine Pulse klopften, und seine Stirn war heiß. Er fühlte sich wie im Fieber.

Da suchte ihn ihr Blick. Ihre Augen trafen die seinigen. Ein leises Neigen ihres Hauptes gab ihm das Zeichen. Und nun brach er auf. Er wußte, daß sie ihm bald folgen werde. Er begab sich möglichst unbemerkt nach dem Gewächshause, in welchem sich gegenwärtig kein Mensch befand, und erwartete mit beseligenden Empfindungen das Erscheinen des herrlichen Wesens. – – –

*


 << zurück