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Fortsetzung 53

Was die Musiker spielten und bliesen, was die Künstler und Künstlerinnen sangen, er hörte es nicht, er wußte es nicht. Wäre er später darnach gefragt worden, so hätte er nicht zu antworten vermocht. Er vernahm Musik; ja, er hörte die Töne von Instrumenten und menschlichen Stimmen; aber es war ihm, als ob er über den Wolken fliege, und hoch, hoch über ihm klinge wie ein himmlisches Märchen jene Harmonie dahin, welche man die Musik der Sphären nennt, welche das menschliche Ohr nie wahrnehmen, sondern die der menschliche Geist nur ahnen kann.

Und neben ihm – – –! Er wagte es nicht, hinüber zu blicken, zu ihr, aber er fühlte und bemerkte jede, auch die leiseste ihrer Bewegungen, gerade als ob seine Nerven und Fibern mit denen ihres Körpers in einem magnetischen Rapporte ständen.

Erst als ein stürmischer Applaus ihm sagte, daß die Vorstellung ihr Ende erreicht habe, gab er sich Mühe, den Seelenzustand von sich abzuwehren, für welchen er selbst gar keine Bezeichnung zu finden vermochte. Er erhob sich.

Drüben in der Nachbarloge war ein galonnirter Diener eingetreten, welcher seiner jungen Herrin einen Umhang über die Schultern legte. Dann ging sie.

Hatte sie vorher einen Blick herüber geworfen, einen kleinen, wenn auch ganz und gar kleinen und kurzen Blick? Er vermochte nicht, sich auf diese Frage eine bestimmte und sichere Antwort zu geben, und die Röthe, welche er sich in die Wangen steigen fühlte, konnte ja nicht als eine deutliche Erwiderung gelten.

Als er hinaustrat, war sie bereits fort. Er ließ sich widerstandslos vom Gedränge des Publikums erfassen und die breiten Treppen hinunter auf die Straße treiben. Dort nahm er einen der bereit stehenden Fiaker, um sich nach seiner eigentlichen Wohnung, welche in der Rue Richelieu lag, bringen zu lassen.

Diejenige, welche einen solchen Eindruck auf ihn gemacht hatte, war unten in die auf sie harrende Equipage gestiegen, und der Diener hatte sich hinten aufgestellt. Im Galopp fuhr der Kutscher von dannen. Er bemerkte gar nicht, daß ein Fiaker ihm fast auf dem Fuße folgte. Das Pferd desselben konnte kein gewöhnlicher Droschkengaul sein, sonst hätte es nicht eine solche Schnelligkeit entwickeln können.

Zwei Straßen weiter, da wo es jetzt nur noch vereinzelte Passanten gab, standen vier Männer, zwei hüben und zwei drüben auf dem Trottoir. Sie hielten die beiden Enden eines dünnen aber festen Seiles, welches quer über die Straße reichte, in den Händen. Da hörten sie das laute Rasseln von zwei Wagen um die Ecke kommen, welche sich mit großer Geschwindigkeit näherten.

»Aufgepaßt!« rief der Eine hinüber zu den beiden Anderen.

»Werden sie es auch wirklich sein?« antwortete es herüber.

»Ja. Horch, das Zeichen!«

Der Lenker des Fiakers klatschte vier mal laut mit der Peitsche. Die vier Männer zogen das Seil fest. Die Pferde der Equipage kamen im schnellsten Tempo heran, rannten an das Seil, verfingen sich in demselben und stürzten zu Boden. Die Deichsel brach ab; der Wagen erlitt einen gewaltigen Stoß und blieb dann stehen. Der Kutscher war vom Bocke gerissen und der Diener hinten von seinem Tritte geschleudert worden. In den Doppelschrei, welchen sie ausstießen, mischte sich der laute Schreckensruf der Dame.

In demselben Augenblicke hielt der Fiaker neben dem Gewirr von Equipage, Pferden, Kutscher und Diener, welche beide Letzteren noch gar nicht Zeit gefunden hatten, sich wieder aufzuraffen.

»Herein!« rief der Lenker des Fiakers.

Die Dame stieß einen zweiten Schrei aus; es war ein Hilferuf. Vier starke Arme hatten sie erfaßt. Sie wurde im Nu aus den Kissen ihres Wagens gerissen und hinüber in den Fiaker gezogen, in welchen die beiden Männer mit sprangen.

»Fort!« gebot der Eine derselben.

Der Wagen setzte sich in Bewegung und jagte rasenden Laufes davon. Die unglückliche Dame wollte abermals rufen; aber zwei harte, knochige Hände verschlossen ihr den Mund, in welchen ihr dann mit bewundernswerther Geschicklichkeit ein Knebel geschoben wurde. Sie wollte sich wehren, doch Arme und Beine wurden ihr zusammen gepreßt und dann mit Stricken gefesselt. Man hörte nur noch ein kurzes, durch den Knebel unterdrücktes Stöhnen; dann war es still.

»Wie steht es?« fragte der Kutscher, sich rückwärts wendend, während er die Pferde unaufhaltsam ausgreifen ließ.

»Gut!« wurde geantwortet. »Sie ist ohnmächtig.«

»Das können wir uns nicht besser wünschen.«

»Es hat überhaupt Alles prachtvoll geklappt. Die hunderttausend Franken sind so gut, wie verdient!« –

Als die Ohnmächtige wieder zum Bewußtsein kam, vermochte sie noch immer nicht, ihre Arme und Füße zu bewegen. Sie waren ihr noch immer fest angebunden; aber sie befand sich nicht mehr in dem Wagen, sondern in einem kleinen Stübchen, in welchem außer den nackten, kahlen und schmutzigen Wänden nichts zu sehen war als ein elender Tisch und ein noch viel elenderer Stuhl. Auf dem Tische steckte in dem Halse einer Flasche ein stinkend brennendes Talglicht. Die Thür schien verschlossen zu sein. Gefesselt war die Gefangene an zwei eiserne Haken, welche unterhalb Knie- und Schulterhöhe in die Mauer eingetrieben waren.

Sie mußte sich besinnen, was mit ihr geschehen war. Das Gedächtniß kehrte ihr erst langsam zurück. Sie dachte an die große Oper und an Den, welchen sie dort bereits einige Male in der Nachbarloge gesehen hatte. Sie kannte ihn nicht. Wer war er? Dann war sie nach Hause gefahren und unterwegs bei dem Unfalle, welcher ihr begegnet war, aus dem Wagen gerissen, in einen andern gebracht und dort gefesselt und geknebelt worden.

Damit war sie beim vollen Bewußtsein angelangt. Was wollte man mit ihr? Wo befand sie sich? Wer waren die fürchterlichen Männer, welche sich ihrer bemächtigt hatten?

Indem sie sich diese Fragen stellte, kam eine entsetzliche Angst über sie. Man hatte sie auf eine ebenso raffinirte wie gewaltsame Weise ergriffen und hierher gebracht. Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, um einzusehen, daß der Sturz ihrer Pferde mit der Entführung im innigsten Zusammenhange stehe. Sie sann und sann, um sich einer Person ihrer Bekanntschaft zu erinnern, welche sie eines solchen Vergehens für fähig halten und welcher sie Veranlassung dazu gegeben haben könne. Vergebens; es fiel ihr Niemand ein.

Sie hatte Anbeter gehabt; aber dieselben waren ja nicht beleidigt, sondern nur mit stillabweisender Gleichgiltigkeit von ihr behandelt worden. Einen wirklichen Feind, welcher Grund zu einem solchen Acte der Rachgier zu haben vermeinen könne, kannte sie nicht. Eine entsetzliche Angst erfaßte sie und diese Angst wuchs, je weniger sie eine Erklärung finden konnte, daß man sich in einer rohen Weise ihrer Person versichert hatte.

Warum schloß man sie nicht einfach ein? Warum fesselte man sie an die Mauer? Sie hätte ja nicht zu entfliehen vermocht, denn die Thür war verschlossen, und das Zimmer hatte nicht ein einziges Fenster. Es glich einer alten Rumpelkammer, welche nur zu dem Zwecke angelegt war, allerlei altes, unbrauchbar gewordenes Geräth dort aufzubewahren.

Sie war keineswegs ein von der Natur furchtsam angelegtes Menschenkind, aber ihre jetzige Lage flößte ihr doch ein Gefühl ein, für welches der Ausdruck Besorgniß zu schwach war.

Daß sie in außerordentlich rohe, gewaltthätige und rücksichtslose Hände gerathen sei, hatte sie bereits erfahren. Beim Scheine des qualmenden Lichtes sah sie, daß man ihre kostbare Toilette in Fetzen gerissen habe. Was stand also zu erwarten? Mochte Das, was man mit ihr beabsichtigte, sein was es wolle, auf Schonung und Achtung durfte sie keineswegs rechnen.

Sie mußte trotz der Angst, welche sie empfand, tief erröthen, wenn sie an sich herniederblickte und den Zustand sah, in welchem sich ihre Kleidung befand. Der Ueberwurf, welchen ihr der Diener in die Loge gebracht hatte, war gar nicht mehr vorhanden. Die feinen Brüsseler Spitzen, welche Brust und Nacken so entzückend transparent umhüllt hatten, waren zerrissen, so daß die Schönheit ihrer Büste den Blicken Derer, welche sie erwarten mußte, preisgegeben war, und der übrige Theil der seidenen Robe hing ihr ebenso in Stücken um den Leib.

Es wurde ihr heiß und kalt zu gleicher Zeit. Sie hätte um Hilfe rufen mögen, aber sie sah ein, daß man sie jedenfalls an einen Ort gebracht habe, von welchem aus ein solcher Ruf nicht gehört werden könne.

Da hörte sie draußen ein Geräusch. Es war an der Thür. Man nahm ein Vorlegeschloß ab; eine Eisenstange klirrte, und dann wurde die Thür geöffnet. Ein Mann trat ein. Man konnte seine Gestalt ebenso wenig wie sein Gesicht erkennen, denn die Erstere war in einen alten, abgetragenen Domino gehüllt, und vor dem Letzteren war eine ebenso ziemlich defecte Larve von Papiermaché befestigt. Es ließ sich annehmen, daß der Kerl auch den Ton seiner Stimme, welcher übrigens bereits durch die Larve ein anderer werden mußte, verbergen werde.

Bei seinem Eintritte wollte sie unwillkürlich mit den Händen nach dem Busen fahren, um diesen den Blicken dieses Menschen schamvoll zu entziehen; aber es ging ja nicht. Ihre Arme waren in der Weise an die Mauer befestigt, daß die Ausführung einer solchen Bewegung eine Unmöglichkeit wurde.

Er machte die Thüre hinter sich zu, betrachtete sie eine Weile wortlos und nahm dann auf dem Stuhle Platz.

Sie wollte sprechen; sie wollte ihn mit einer ganzen Fluth von Fragen und Vorwürfen überschütten, aber sie brachte es nicht fertig. Die Luftröhre war ihr wie zugeschnürt; ihr Herz klopfte ungestüm; sie rang nach Athem, ihr Angesicht war so blaß wie dasjenige einer Leiche geworden.

Da endlich begann er zu sprechen. Seine Stimme klang dumpf und drohend unter der Maske hervor. Die natürliche Klangfarbe derselben war unmöglich zu erkennen.

»Ich warne Sie, ein Wort so laut auszustoßen, daß es weiter gehört werden kann als bis zu diesem Stuhle,« sagte er. »Auch warne ich Sie, irgend einen Vorwurf oder eine Schmähung auszustoßen. Es würde Ihnen nicht nur nichts helfen, sondern Ihre Lage nur verschlimmern.«

Er griff unter den Domino und zog ein langes, spitzes Messer hervor. Er hielt ihr die blanke, glänzende Klinge entgegen und fuhr fort:

»Sie sehen dieses Messer. Die Klinge desselben fährt Ihnen augenblicklich in das Herz, sobald Sie das Kleinste sagen oder thun, was mir nicht gefällt!«

Jetzt endlich fand sie Athem und mit demselben die Fähigkeit zum Sprechen. Aber ihr erstes Wort hatte nicht den Inhalt, den er vermuthet haben mochte.

»Giebt es ein Tuch in der Nähe?« fragte sie.

»Nein. Aber ein Taschentuch habe ich bei mir.«

»Binden Sie es mir vor! Ich friere!«

Er sah ihre Blöße. Er hätte eigentlich Mitleid haben sollen; aber dieses Gefühl war ihm fremd. Er stieß ein höhnisches, widerliches Lachen aus und antwortete:

»Frieren? Die Jahreszeit des Eises und der Schneeflocken ist vorüber. Lassen Sie immerhin sehen, daß Sie schön sind. Von mir haben Sie da nichts zu befürchten. Ich bin kein achtzehnjähriger Knabe, und wenn Sie mir gehorchen, so versichere ich Ihnen, daß Niemand als nur ich allein bei Ihnen eintreten wird und daß Ihr Aufenthalt hier nicht länger als nur zwei Tage in Anspruch nehmen soll.«

Sie senkte das schöne Köpfchen.

»Sie sind wohl kein Cavalier!« sagte sie.

»Cavalier?« lachte er. »Nein, das fällt mir gar nicht ein. Zartheit und Aehnliches haben Sie von mir nicht zu erwarten. Wenn ich darauf verzichte, Sie auch nur mit einem Finger zu berühren, so macht es mir doch einen unendlichen Genuß, einmal eine vornehme Dame in dieser Weise zu sehen. Ich betrachte Sie, wie man ein Gemälde schöner Mädchen betrachtet. Man bewundert dessen Reize, aber man kann dieselben nur mit dem Auge genießen.«

Sie hätte vor Scham in Ohnmacht sinken mögen; aber diese Wohlthat wurde ihr nicht zu theil.

»Sie sind mehr als grausam!« murmelte sie erregt. »Hätten Sie mir nicht mit dem Messer gedroht, so würde ich Ihnen sagen, wie ein solcher Mann zu nennen ist. Nach dem aber, was man mit mir vorgenommen hat, kann ich gar nicht zweifeln, daß Sie auch im Stande sind, mich zu tödten. Ich bin in Ihrer Gewalt und muß mich fügen: aber die Strafe wird Sie ganz sicher ereilen!«

»Das lassen Sie meine Sorge sein!« meinte er rauh. »Ihre Rache fürchte ich nicht. Sie werden niemals erfahren, wo und bei wem Sie sich gegenwärtig befinden.«

»Nun, so sagen Sie wenigstens, was Sie von mir wollen und weshalb Sie sich meiner bemächtigt haben?«

»Ja, das sollen Sie hören. Vorher aber muß ich wissen, ob man in Ihnen auch wirklich die Richtige ergriffen hat. Wer sind Sie?«

»Mein Name ist Latreau.«

»Sie sind die Comtesse Ella de Latreau? Nicht?«

»Ja.«

»Sie haben keine Eltern mehr?«

»Nein.«

»Nur einen Großvater?«

»Ja.«

»Dieser Großvater ist der pensionirte General de Latreau?«

»Ja.«

»Ist Ihr Großvater reich?«

»Ja,« antwortete sie.

Bei dieser Frage begann sie zu ahnen, daß die Ursache ihrer Gefangenschaft nur eine gewinnsüchtige sei.

»Hat er stets Geld in seiner Wohnung liegen?« fragte er weiter.

»Ich weiß es nicht. Großpapa hat mit mir noch niemals von Geschäften gesprochen.«

»Aber er hat einen Banquier, bei dem seine Anweisung respectirt wird?«

»Ich bin davon überzeugt.«

»Nun wohl, so will ich Ihnen sagen, daß ich Sie nur um eines Geldgeschäftes willen zu mir habe bringen lassen. Warum ich dabei gerade auf Sie gekommen bin, das brauchen wir dabei ja gar nicht zu erörtern. Ich habe eine nicht ganz unbedeutende Summe Geldes nöthig; aber ich bin arm, und darum kann oder will mir Niemand so viel beschaffen, wie ich brauche. Es giebt reiche Leute, welche die Summe recht gut entbehren können, ohne den Verlust zu empfinden. Aber welcher Reiche verschenkt sein Geld freiwillig? Man muß ihn dazu zwingen.«

Er hielt einen Augenblick inne. Nun sie wußte, um was es sich handelte, fühlte sie sich ziemlich beruhigt. Er fuhr wieder fort:

»Ein Dieb und Einbrecher bin ich nicht. Man weiß da ja auch niemals, ob man auch so viel findet, als man braucht, und so habe ich mich entschlossen, irgend einen Reichen auf irgend eine möglichst für mich ungefährliche Weise zu zwingen, mir das zu geben, was ich nöthig habe.«

»Wie viel bedürfen Sie?« fragte sie.

»Warten Sie!« antwortete er. »Es muß Alles hübsch nach der Ordnung gesagt werden! Ganz zufällig erfuhr ich, daß Ihr Großvater steinreich ist, daß Sie nicht nur seine einzige Erbin, sondern auch sein Liebling sind. Ich bin stets kurz entschlossen; der Plan war fertig. Ich ließ Sie beobachten; ich erfuhr, daß Sie heute zur Oper gehen würden; meine Leute lauerten Ihren Wagen ab, überfielen Sie und brachten Sie hierher. Sie wissen nun, weshalb Sie hier sind, und was ich will.«

»Gut! Also wie viel brauchen Sie?« wiederholte sie.

Er schwieg ein kleines Weilchen und wiegte den maskirten Kopf hin und her. Dann antwortete er:

»Apropos, Mademoiselle, wie viel denken Sie, daß Sie werth sind?«

»Das ist hier Nebensache! Welche Summe wollen Sie haben?«

»Nun gut! Ich sage Ihnen im Voraus, daß ich Ihnen die Summe nennen und mir nicht eine Centime davon abhandeln lassen werde. Ich muß rund hunderttausend Franken haben.«

Sie erschrak doch ein Wenig. Eine solche Summe ist selbst für einen reichen Mann nicht eine Kleinigkeit zu nennen, zumal wenn er sie geben muß, um das Verbrechen anderer Leute zu honoriren. Sie zögerte also, zu antworten. Darum fragte er:

»Nun, wie steht es? Was sagen Sie dazu?«

»Sie fordern viel, sehr viel!«

»Ich fordere es von einem Manne, der es bezahlen kann!«

»Und wenn er es nicht geben will?«

»So Sind Sie am dritten Tage eine Leiche!«

Es lief ihr bei dieser Drohung eiskalt über den Rücken.

»Unmensch!« seufzte sie.

Da stieß er abermals ein höhnisches Lachen aus, welches unter der Maske hervor wie das Gelächter eines Teufels erklang und antwortete:

»O, Mademoiselle, das ist noch nicht Alles! Ehe Sie sterben, werde ich erst meinen Leuten erlauben, sich ein Wenig mit Ihnen zu beschäftigen. Sie sind alle jung und Liebhaber des anderen Geschlechtes. Keiner von ihnen hat jemals das Glück gehabt, die Tochter eines Grafen und Generales umarmen zu können. Dieses Glück will ich ihnen gewähren, um sie dafür zu entschädigen, daß sie den Lohn nicht erhalten, den ich ihnen für Ihre Entführung versprochen habe.«

»Sie sind ein Ungeheuer!«

»O nein! Ich bin sogar ein sehr rücksichtsvoller Mann; das sehen Sie ja deutlich aus der Weise, in welcher ich für mein Personal besorgt bin. Also, geben Sie mir eine Antwort.«

»Gut! Papa wird zahlen!«

»Schön! Ich sehe, daß Sie nicht nur eine vornehme und schöne, sondern auch eine verständige Dame sind.«

»Aber ich mache eine Bedingung,« fiel sie ein.

»Welche?«

»Sie binden mich los und gewähren mir, so lange ich noch gezwungen bin, bei Ihnen zu bleiben, eine menschenwürdige Gefangenschaft und Behandlung.«

Er wiegte den Kopf nachdenklich hin und her und antwortete:

»Das geht nicht! Ich kann Sie nicht losbinden, denn ich würde mich da in Gefahr setzen. Es kann einer Gräfin gar nichts schaden, einmal einen Tag oder zwei in einer unbequemen Stellung zuzubringen. Und sodann bin ich der Ueberzeugung, daß ich das Geld um so eher und leichter erhalten werde, je weniger es Ihnen bei mir gefällt.«

»Das ist mehr, viel mehr als grausam! Geben Sie mir wenigstens ein Kleidungsstück!«

»Ihre Toilette gefällt mir gerade so, wie sie ist, am Allerbesten. Lassen wir sie also, wie sie ist!«

Sie war ein schwaches Weib, aber wenn sie sich jetzt hätte frei bewegen können, wahrlich, sie hätte den Versuch gemacht, diesen Unmenschen zu erwürgen. So aber konnte sie nur, bebend vor Zorn, rufen:

»Ich bin hilflos in Ihrer Gewalt; aber Gott wird Sie strafen!«

Da hielt er ihr das Messer vor und sagte:

»Sprechen Sie leiser, und enthalten Sie sich solcher Reden, sonst mache ich die Drohung wahr, welche ich vorhin ausgesprochen habe! Regen wir uns überhaupt nicht auf! Wir stehen im Begriff, ein Geschäft abzuschließen, und da ist es gerathen, seine Kaltblütigkeit und Ueberlegung zu bewahren. Ihr Großvater muß benachrichtigt werden. Das muß auf eine Art geschehen, welche mich keiner Gefahr aussetzt; ebenso die Auszahlung des Geldes. Ist ihm Ihre Handschrift bekannt?«

»Das versteht sich wohl ganz von selbst.«

»Haben Sie einen Siegelring anstecken?«

»Nein.«

»Gut! Sie werden schreiben. Vorher aber muß ich Ihnen Einiges sagen. Sobald ich nämlich merke, daß Ihr Großvater die Polizei beauftragt, mir entgegen zu arbeiten, sind Sie verloren. Ich würde Sie dann selbst gegen Geld nicht frei geben.«

»Aber die Polizei wird vielleicht bereits nach mir suchen!«

»Dagegen habe ich nichts. Nur Ihr Verwandter soll sich davon fern halten. Meine Adresse wird natürlich nicht in Ihrem Briefe stehen. Ich werde das Geld da und so in Empfang nehmen, wo und wie ich keine Gefahr für mich zu befürchten habe. Sie schreiben also, daß der General keine Nachforschungen anstellen und sodann, daß er übermorgen Vormittags Punkt zehn Uhr sich zu Fuß und ohne Waffen auf der Straße von Passy nach Saint Germain einfinden soll. Er hat das Taschentuch in der linken Hand zu halten und wird einem Reiter begegnen, welcher ihm eine von Ihnen geschriebene Quittung giebt, und dafür dort auf offener Straße das Geld in Empfang zu nehmen. Dieses Letztere hat nur in Gold zu bestehen, und darf er dasselbe in einem Köfferchen mitbringen. Wird bemerkt, daß geheime Vorbereitungen getroffen sind, den Reiter zu fangen, so schießt derselbe Ihren Großvater nieder. Ist der Letztere aber ehrlich, so werden Sie des Abends freigelassen.«

»Sie treffen da Vorsichtsmaßregeln, denen ich auch die meinigen entgegensetzen möchte,« bemerkte Ella von Latreau.

»Sie? Vorsichtsmaßregeln?« fragte er verwundert. »Welche könnten das sein?«

»Sie erhalten des Vormittags das Geld. Wer aber garantirt mir, daß ich dann des Abends auch wirklich auf freien Fuß gesetzt werde?«

»Mein Wort.«

»Ah! Das Wort eines Räubers!«

»Mademoiselle,« sagte er drohend, »ich wiederhole, daß Sie sich solcher Ausdrücke zu enthalten haben! Sogar der raffinirteste Spitzbube hat ein Ehrenwort, welches er zu halten pflegt!«

»Aber wer um Geldes willen eine Dame raubt, kann leicht auf den Gedanken kommen, noch mehr zu verlangen. Wie leicht ist es Ihnen gemacht, noch einmal die gleiche Summe zu fordern, wenn Sie die Hunderttausend empfangen und mich noch in Ihrer Gewalt haben!«

»Ich habe eine bestimmte Summe gefordert und werde nicht weniger nehmen, aber auch nicht mehr verlangen!«

»Ich habe bereits gesagt, daß ich mich in Ihrer Gewalt befinde; ich kann leider nichts Anderes thun als Das, was Sie bestimmen. Wann soll ich schreiben?«

»Sogleich!«

»In Fesseln?«

»Ich werde Sie losbinden. Natürlich nur so lange, bis Sie mit dem Briefe fertig sind.«

Er zog ein Fläschchen mit Tinte, eine Feder, Briefpapier und ein Couvert hervor, legte das Alles auf den Tisch und machte dann die Stricke los, mit denen Ella festgebunden war. Dabei sagte er:

»Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, daß ich mit dem Messer in der Hand bei Ihnen stehen werde. Der geringste Versuch zur Flucht oder die kleinste drohende Bewegung gegen mich kostet Ihnen das Leben!« –

Gleich nach Schluß der Oper hatte der Changeur sich nach seiner in der Rue Richelieu liegenden Wohnung verfügt. Das Haus, in welchem er sich eingemiethet hatte, war ein ziemlich neues und glich mehr einem Palaste als einem Privatgebäude.

Als er eintrat, grüßte der Portier ehrerbietig. Eine Treppe hoch stand auf einem an der Vorsaalthür angebrachten Porzellanschilde der Name »Arthur Belmonte«. Eine Bezeichnung des Standes war nicht zu lesen. Er zog die Glocke, und ein junger Mann von vielleicht dreiundzwanzig Jahren, in welchem man einen Diener vermuthen konnte, öffnete. Als der Changeur sein Zimmer erreicht hatte und die Thüren hinter ihm verschlossen waren, fragte er Den, der ihm geöffnet hatte:

»Guten Abend, lieber Martin! War Jemand da?«

»Nein, Herr Belmonte,« lautete die Antwort.

»Keine Anfrage gehalten?«

»Gar keine.«

»Briefe?«

»Ein einziger. Der Poststempel deutet auf Meudon.«

»Meudon?« fragte Belmonte mit freudiger Miene. »Ah, vielleicht doch von dem Director der Geschützfabrik! Zeige her!«

Martin brachte den Brief. Belmonte öffnete ihn und las. Während des Lesens erheiterte sich sein Gesicht zusehends.

»Ja, er ist von ihm,« sagte er dann. »Unser Wein aus Roussillon thut Wunder.«

»Wird er welchen kaufen?«

»Wahrscheinlich. Zunächst soll ich ihn besuchen, um eine Probe durchzukosten. Morgen am Vormittage oder bereits früh reise ich nach Meudon.«

»Donnerwetter! Vielleicht läßt er Ihnen die Fabrik sehen, Herr Belmonte!«

»Ich hoffe es.«

»Dann bekommen Sie auch die famosen Mitrailleusen zu Gesicht. Ich wollte, daß ich dabei sein könnte!«

»Das laß mir allein über! Uebrigens muß Einer von uns Beiden zu Hause sein.«

Belmonte hatte seinen südfranzösischen Dialect gesprochen, der Diener aber ein so reines Französisch, daß man hätte meinen sollen, er müsse unbedingt ein geborener Franzose sein. Sein Herr zog den Rock aus, legte dafür ein leichteres Hausjaquet an und sagte dann:

»Du mußt heute Abend noch auf das Telegraphenbureau.«

»So spät!« meinte Martin, indem sein hübsches Gesicht den Ausdruck der Enttäuschung annahm. Doch war dieser Ausdruck von dem des Mißmuthes weit entfernt.

»Ja, ich habe nämlich Wichtiges erfahren, was ich sogleich benachrichten muß.«

»Wohl in Beziehung des Krieges?« fragte Martin rasch.

»Ja. Es handelt sich um die Bildung von Franctireurs-Corps und großen Waffenniederlagen.«

Martin nahm schleunigst an dem Schreibtische Platz, zog einen Papierbogen hervor, griff zur Feder und fragte:

»Sie werden mir die Depesche, wie gewöhnlich, dictiren?«

»Allerdings. Brennen wir uns aber zuvor eine Cigarre an?«

Es schien ein eigenthümlich freundliches Verhältniß zwischen diesen Beiden zu herrschen, ein Verhältniß, welches man nur aus ganz ungewöhnlichen Umständen herzuleiten vermochte. Die Vertraulichkeit zwischen ihnen hatte dabei ganz und gar nicht den Anstrich jener Familiarität, welche man zwischen langjährigen Dienern und deren Herren zu beobachten pflegt.

Beide steckten sich eine Cigarre aus einem und demselben Kistchen an; Martin wartete schreibfertig, und Belmonte ging nachdenklich im Zimmer auf und ab. Dann begann das Dictat.

Wer aber geglaubt hätte, dasselbe verstehen oder gar belauschen zu können, der hätte sich geirrt, denn das, was Belmonte dictirte, waren keine Worte, sondern – Ziffern, und sogar sehr viele, lange, lange Reihen von Ziffern. Die Adresse bestand aus einem einfachen, bürgerlichen Vor- und Zunahmen, lautend auf die Behrenstraße in Berlin.

Als Belmonte geendet hatte, sprang der Diener auf.

»Ah, also Capitän Richemonte heißt der Mann!« sagte er. »Waffenvorräthe legt er an? Das ist von großer, von der allergrößten Wichtigkeit für uns!«

»Natürlich! Ich bin begierig, welche Instructionen ich erhalten werde. Eigentlich ist es jetzt gefährlich, von Paris in Chiffern nach Berlin zu telegraphiren. Man wird die Depesche scheinbar aufgeben, factisch sie aber erst dann befördern, wenn sie der Polizei zur Entzifferung vorgelegen hat. Doch da kann ich mich auf Dich verlassen. Du bist ja ein sehr geschickter Telegraphist, lieber Martin.«

Der Diener machte ein überaus komisch pfiffiges Gesicht und antwortete:

»Ja, es soll diesen Franzosen etwas schwer werden, mich zu meiern, denn ich weiß mich zu – – –«

Er wurde von einer warnenden Geberde seines Herrn unterbrochen. Dieser hatte selbst den Namen seines Dieners nicht deutsch, sondern französisch, also Marteng ausgesprochen: Martin aber hatte sich bei seinen letzten Worten der deutschen Sprache bedient.

»Pst! Pst! Nicht deutsch reden!« meinte Belmonte. »Du sprichst Dein gutes Französisch, und ich rede den südlichen Dialect. Ich bin Agent meines Weingrossohauses und verkaufe am liebsten den in meiner südlichen Heimath wachsenden Roussillon, und Du bist mein Diener, den ich während meiner Tour in Lyon engagirt habe. Dabei bleibt es. Französisch sprechen wir selbst dann, wenn wir unter vier Augen sind.«

»Verzeihung, Monsieur Belmonte! Ich hatte sagen wollen, daß Sie sich in Beziehung auf die Depesche ganz auf mich verlassen können. Ein guter Telegraphist liest sogar von fern die Depesche: er kennt das Ticken des Apparates sehr genau und weiß ich, ohne bei demselben zu stehen, die Zeichen und Worte zusammenzusetzen. Ich werde eine Abschrift des Telegrammes nehmen.«

»Wozu? Das ist gefährlich; wenn sie nun in falsche Hände kommt!«

»Das steht bei mir nicht zu befürchten. Es ist immerhin möglich, daß ich die Abschrift brauche, um den Telegraphisten zu überführen.«

»So nimm sie, aber vernichte sie sofort!«

Martin setzte sich abermals nieder, um die Depesche zu copiren. Als er fertig war, sagte er, sich erhebend:

»So, das ist gemacht. Vorher aber, ehe ich gehe, habe ich Ihnen Etwas mitzutheilen, Herr Belmonte.«

»Etwas Wichtiges?«

»Ja, wichtig, nämlich für einen gewissen Besucher der großen Oper in der Straße Lepelletier.«

Belmonte erröthete ein wenig und gebot:

»Nun, so sprich!«

»Ich habe nämlich ganz genau erfahren, wer eine gewisse Dame ist, welche gewöhnlich in der Loge neben derjenigen dieses gewissen Herrn zu sitzen pflegt.«

»Ah, wirklich? Ich gab Dir diesen Auftrag, weil ich Gründe habe, mich nicht selbst nach ihr zu erkundigen. Wer ist sie?«

»Eine Gräfin, oder vielmehr eine Comtesse.«

»O weh!«

»Ja. Der gewisse Weinagent ist nur Baron!« lachte Martin.

»Ihre Eltern?«

»Hat keine!«

»Geschwister?«

»Auch keine! Sie hat nur einen einzigen Anverwandten, welcher ihr Großvater ist.«

»Was ist er?«

»General, aber pensionirter.«

»O weh!«

»Ja. Der gewisse Weinagent ist aber nur Husarenrittmeister!«

»Wie ist der Name?«

»Sie heißt Ella, Comtesse de Latreau. Ihre Wohnung wissen Sie ja bereits. Reich sind diese Leute, steinreich sogar. Aber einen Fehler, einen sehr großen Fehler hat diese Dame leider.«

»Wirklich? Welcher Fehler wäre das?«

»Sie ist verlobt.«

Belmonte entfärbte sich. Man sah es ihm an, daß er bei dieser Nachricht mehr als oberflächlich erschrocken war.

»Verlobt ist sie?« sagte er fast tonlos. »Weißt Du mit wem?«

»Mit einem gewissen Bernard de Lemarch, Chef d'Escadron.«

»Also ein Offizier! Weißt Du etwas Näheres über diese Sache?«

»Nun, der alte General Graf von Latreau hat einen Schwager, den Grafen de Lemarch. Ferner hat der Erstere eine Tochter und der Letztere einen Sohn. Als Sohn und Tochter noch Kinder waren, spielten sie zusammen öfters Mann und Frau, sie waren ja Cousin und Cousine. Und das hat die Alten auf den Gedanken gebracht, sie später mit einander zu verheirathen. Man weiß es gar nicht anders, als daß sie Mann und Frau werden.«

»Sind sie denn einverstanden?«

»Hm! Von einer Verlobung im strengen Sinne des Wortes weiß man allerdings noch nichts; sie sind eben, wie es ja öfters vorzukommen pflegt, bereits in ihrer Jugend mit einander versprochen worden. In gewissem Sinne kann man das ja auch eine Verlobung nennen.«

»Eine unangenehme, sehr unangenehme Geschichte!«

»Unsinn, Monsieur Belmonte!« lachte Martin. »Verlieben und Verloben ist Zweierlei! Warten wir das Ding nur ganz ruhig ab.«

»Wo steckt denn dieser Bernard Lemarch?«

»Sie werden sich wundern, daß ich auf einmal so ziemlich allwissend geworden bin. Aber ich habe eine wunderhübsche Kneipe entdeckt, wo meist nur Bedienstete großer Herren zu verkehren pflegen. Da thut eine Flasche Wein die beste Wirkung. Da saß zum Beispiel der Leibdiener des alten Lemarch und erzählte mir in seiner Weinlaune, daß der junge Lemarch plötzlich zum Grafen Rallion nach Metz berufen worden sei. Und da saß ferner der Oberkoch des Grafen Rallion und erzählte mir, daß sein Herr nach Schloß Ortry gereist sei, also der junge Lemarch wohl mit ihm.«

»Ortry? Das ist ja derselbe Name, welchen wir nach Berlin telegraphiren!«

»Das fiel mir eben auch auf. Ferner erzählte mir dieser dicke Oberkoch, daß der Graf Rallion auf Befehl des Kaisers, welcher der Polizei nicht zu trauen scheint, in seinem Hotel ein Bureau für die Entzifferung aller zwischen Frankreich und Deutschland hin und her fliegenden Depeschen errichtet habe. Wird die unserige beanstandet, so geht sie in dieses Bureau, aber nicht nach der Polizei. Und sodann erzählte er mir, daß in der Hand Rallions, der ja ein erklärter Günstling des Kaisers ist, Fäden zusammenlaufen, von denen selbst die Minister keine Ahnung haben.«

Belmonte machte ein ganz erstauntes, ja betretenes Gesicht.

»Welch eine Nachricht!« rief er. »Wenn das wahr wäre.«

»Es ist wahr!«

»Sei nicht zu sicher! Was kann ein Koch wissen!«

»Hm. Oft sehr viel. Vielleicht zuweilen mehr als der Herr selbst. Wenn der Herr ein Gourmand ist, so beeinflußt der Koch den Magen des Herrn, der Magen den Kopf und der Kopf die Gedanken und Handlungen. Das ist bei Graf Rallion und seinem Koche der Fall. Dieser Koch hat einen Neffen, und dieser Neffe hat wieder eine Schwester, ein großes Glück für uns.«

»Wieso? Ich verstehe Dich nicht.«

»Nun, der Neffe ist vor einigen Jahren in Folge des Einflusses seines Küchenonkels Geheimsecretär des Grafen geworden. Er kennt also Alles, was im Bureau des Grafen vorkommt.

»Ah! Wir müssen die Bekanntschaft dieses Neffen machen.«

»Wer von uns Beiden, Herr Belmonte? Sie oder ich?«

»Du natürlich.«

»Das thue ich nicht.«

»Warum nicht?« fragte Belmonte, die Brauen ein wenig zusammenziehend.

»Weil ich eine bessere Bekanntschaft vorgezogen habe.«

Dabei machte Martin wiederum eines seiner verschmitzten Gesichter, daß Belmonte lachend sagte:

»Kerl, Du hast jedenfalls wieder, wie so oft, Alles bereits in das beste Geleis gebracht, ehe ich Dir nur einen Wink gab!«

»Möglich!« nickte Martin. »Ich sagte doch bereits, daß dieser Neffe eine Schwester habe?«

»Allerdings.«

»Nun, diese Schwester ist ein nettes, sauberes Mädchen, gradezu zum Anbeißen, mein verehrtester Monsieur Belmonte!«

Dabei schnalzte er mit der Zunge, als ob er eben eine der feinsten Delicatessen verschlungen habe. Belmonte lachte, drohte ihm mit dem Finger und sagte:

»Martin, Du bist ein sauberer Patron! Fast bereue ich, den Sohn meines alten, braven Gutsinspectors eine solche Laufbahn eröffnet zu haben, weil er einst mein Lern- und Spielkamerad war. Du treibst alle möglichen Sorten und Arten von Allotria, und ich beginne sogar zu vermuthen, daß Du jetzt zu allem Andern noch angefangen hast, den Mädels nachzulaufen!«

»Hm. Einmal muß doch angefangen werden!« lachte Martin munter. »Ich habe ja leuchtende Beispiele vor mir. Meine Spielkameraden laufen ihren Schönheiten wegen in die große Oper; da ich aber nicht die Mittel besitze, mir eine theuere Loge zu miethen, so muß ich meiner Passion auf minder glänzende Weise Rechnung zu tragen suchen.«

»Der Hieb war gut parirt! Ich constatire, daß ich mich getroffen fühle. Also Du hast mit der Schwester dieses Geheimsecretärs bereits Bekanntschaft angeknüpft?«

»Ich mit ihr und sie mit mir. Es schien mir das vortheilhafter, als mich an ihn selbst zu machen. Er liebt den Wein, und da kommt es öfters vor, daß er sich einen Käfer, einen Aal, einen Spitz, oder sogar einen Affen holt.«

»In solchen Zeiten ist man mittheilsam. Du hättest also doch vielleicht besser gethan, Dich mit ihm bekannt zu machen.«

»Habe es versucht, aber mit dem vollständigsten Mißerfolge. Dieser Mensch wird nämlich, wenn die Geister des Weins über ihn kommen, nicht mittheilsam, sondern verschlossener, als er vorher schon war. Er spricht kein Wort und stiert nur so vor sich hin. Solche Menschen giebt es ja auch. Was ist da aus ihnen herauszuholen? Zudem brachte ich in Erfahrung, daß er sehr oft aus dem Bureau des Grafen Rallion Concepte, Pläne und dergleichen mit nach Hause nimmt, um sie während der Zeit außerhalb der Bureaustunden zu mundiren. Der Kaiser verlangt, daß alle Eingaben an ihn calligraphisch schön gefertigt sind, und da dachte ich, daß es wohl möglich sei, mit Hilfe der Schwester, aber natürlich ohne ihr Vorwissen, so Etwas einmal in die Hand zu bekommen.«

»Schlauer Kerl. Dazu aber mußt Du ja Eintritt in die Wohnung haben!«

»Hat ihm schon!« lachte Martin.

»Sapperlot! Wirklich?«

»Ja, ich war bereits einmal droben bei ihr, natürlich ohne Wissen des Bruders.«

»Wie wohnen sie?«

»Sie bewohnen vier Zimmer einer zweiten Etage. Im Hause giebt es keinen Portier und auch keinen Hausmann. Ein Dienstmädchen haben sie nicht, denn die gute Alice – so heißt sie nämlich – arbeitet und besorgt Alles selbst, die alte, gute Haut! Erst kommt sein Arbeitszimmer, dann sein Schlafzimmer, dann der Miniatursalon meines Schätzchens. Die Küche hat sich in eine Ecke des Corridors verkrochen. Sonst noch Etwas, Herr Belmonte?«

»Danke, mein Lieber! In welchem Zimmer warst Du mit ihr?«

»Sehr vornehm! Im Salon!«

»Nicht in ihrer Schlafstube?«

»Fällt ihr nicht ein, mir aber auch nicht, da meine Absichten nur auf die Zimmer ihres Bruders gerichtet sind.«

»Wann sollst Du wiederkommen?«

»Das ist ja eben die verteufelte Geschichte! Ich sollte heute Punkt Neun eintreffen. Ihr Bruder, der Geheimsecretair, wollte halb Neun Uhr ausgehen, und da ließ sich erwarten, daß er erst zu später Stunde nach Hause kommen werde. Nun aber ist es zu spät.«

»Das thut mir wirklich leid! Bei Deiner Schlauheit und Gewandtheit hätte sich vermuthen lassen, daß Dein heutiger Besuch einigen Nutzen gehabt hätte.«

»Vielleicht ist es doch noch Zeit!«

»So spät?«

»Ja. Wenn der Herr Secretair einmal in der Kneipe sitzt, so sitzt er ordentlich. Und hat er gar zu tief in's Glas geguckt, so sitzt er nicht blos, sondern er klebt.«

»So versuche es! Ich werde selbst nach dem Telegraphenamte gehen.«

»Bitte um Entschuldigung! Das mit der Depesche ist meine Sache. Ich bin Telegraphist, wenn ich auch jetzo diene, und so wird es den Beamten dort nicht leicht, mir ein X für ein U zu machen. Auf dem Rückwege kann ich ja doch einmal nach Alice sehen. Sie wohnt am Wege. Haben Sie vielleicht noch eine Verordnung für mich?«

»Nein. Gehe immerhin! Ich weiß, daß ich Dich nicht zur Vorsicht zu ermahnen brauche!«

»Uebel angebracht wäre es doch vielleicht nicht!« meinte Martin, indem er ein komisch ernstes Gesicht machte.

»Also doch! Wieso?«

»Weil ich glaube, sehr unvorsichtig gewesen zu sein.«

»Ich will doch nicht hoffen, daß Du irgend einen Fehler begangen hast?« fragte Belmonte, indem er die Brauen emporzog.

»Einen sehr großen sogar!«

»Alle Teufel! Ich hoffe, daß er zu verbessern sein wird!«

»Wohl schwerlich!«

Belmonte schwieg, betreten, wie er doch ein wenig war. Martin bemerkte das und fuhr daher sogleich fort:

»Der Fehler ist nämlich glücklicher Weise nur ein privater; aber trotzdem meine ich, daß Ihre Warnung zur Vorsicht gar nicht übel angebracht gewesen wäre. Ich lernte nämlich diese Alice nur kennen, um sie nach ihrem Bruder auszuforschen; ich wollte sie und ihn fangen; nun aber – habe ich meinen eigenen Angelhaken mit sammt der ganzen Köderfliege verschluckt. Ich selbst bin gefangen.«

Da lachte Belmonte erleichtert auf.

»So also ist es! Das meintest Du! Du bist wirklich verliebt?«

»Ich denke es. Ist man verliebt, wenn man den Krampf, das Schneiden und Grimmen im Herzen hat statt im Magen? Ich habe da keine Erfahrung. Vielleicht können Sie mir bessere Auskunft geben, Monsieur Belmonte.«

»Keine Anzüglichkeit! Frage Deine Alice nach Auskunft; ich lehne es ab, Rath zu ertheilen!«

»Nun wohl, so will ich meine Krankheit sich entwickeln lassen, ob zu meinem Heile oder Unheile, das wird sich zeigen.«

»Kerl! Du wirst doch nicht gar auf den Gedanken kommen, eine Französin zu heirathen?«

»Warum nicht? Will man einmal in das Unglück hineintappeln, dann ist es ganz egal, ob es auf französische Manier oder auf deutsche Weise geschieht. Im Gegentheile! Heirathe ich eine Französin, welche nicht Deutsch versteht, so zanke ich deutsch, wenn ich wüthend werde, und verstehe französisch nicht, wenn sie in ihrer Muttersprache antwortet. Das giebt viel Sujets zu Lustspielen; ich verkaufe dieselben halb an deutsche und halb an französische Dichter, stecke die Fünfzigthaler- und Hundertfrankenscheine ein und werde dabei ein reicher Mann, ein glücklicher Gatte und ein fameuser Familienvater.«

»Du bist unverbesserlich! Mach, daß Du fortkommst!«

»Dachte es mir! Gehen Sie heut' noch aus?«

»Nein; ich schlafe.«

»So darf ich mir vielleicht Ihr kleines Laternchen einstecken; wenn Sie es nicht brauchen?«

»Wozu?«

»Das weiß ich noch nicht. Auf den Wegen, welche ich wandle, ist es oft vortheilhaft, seine Fußtapfen beim Scheine einer Leuchte in den Pefferkuchen zu drücken.«

»Nimm sie, und »gute Nacht!« wenn wir uns nicht wiedersehen sollten.«

»Gute Nacht, Monsieur Belmonte!«

*


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