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Der Dieb, welcher als der Diener Henry erkannt worden, ließ sich keineswegs irre machen. War er im Augenblicke des Ertapptwerdens erschrocken gewesen, so schien er sich jetzt vollständig beruhigt zu fühlen. Er zeigte ein cynisch sicheres Lächeln und antwortete achselzuckend:
»Wollen Sie mich wirklich zum Fürchten machen, Herr Capitän?«
»Glaubst Du etwa, daß ich scherze?«
»Ja, gerade das glaube ich!«
»Das wäre toll! Ich sage Dir, daß ich ganz und gar nicht mehr geneigt bin, auf den Gedanken zurückzukommen, Nachsicht walten zu lassen.«
Der Mann verneigte sich tief und fast ironisch und antwortete:
»Herr Capitän, Sie werden diesen Gedanken dennoch festhalten. Ich kenne ein Mittel, Sie dazu zu bewegen.«
»Wirklich? So bin ich neugierig, ob Du es wagen wirst, es in Anwendung zu bringen.«
Der Dieb warf den Kopf leicht und sorglos zur Seite und meinte:
»Es ist ganz und gar kein Wagniß dabei. Ich schlage vor, Herr Capitän, unsere gegenwärtige Lage in Ruhe zu besprechen.
Die Augen des Alten wurden vor Erstaunen größer und weiter. Er schüttelte langsam den Kopf und sagte:
»Fast scheint es, als ob Du glaubest, mir hier mein Verhalten vorschreiben zu können.«
»So ist es auch.«
»Schurke!«
»Pah! Vielleicht können Sie mich gerade darum am Besten gebrauchen, weil ich ein Schurke bin. Sie entsinnen sich doch, daß ich zuerst bei dem Grafen Rallion conditionirte?«
»Wozu diese Frage? Die Empfehlung des Grafen war es ja, welche mich bewog, Dich in meine Dienste zu nehmen.«
Der Diener zuckte lächelnd die Achseln und sagte dann:
»Glauben Sie nicht etwa, daß Sie dem Grafen für diese Empfehlung Dank schuldig sind. Er war im Gegentheile sehr froh, mich los zu werden.«
Dem Alten wäre vor Erstaunen über eine solche Frechheit beinahe das Terzerol entfallen. Er machte ein Gesicht wie ein Mensch, welcher absolut nicht weiß, was er denken soll, und rief:
»Kerl! Ich werde an Deinem Verstande irre.«
»Ich nicht, Herr Capitän! Der Graf benutzte mich zu allerlei Dingen, zu welchen sich nicht jeder Andere eignet. Ich gewann dadurch Einsicht in Verhältnisse, in welche man nicht gern fremde Augen blicken läßt, und der Graf mochte bemerken, daß meine Hochachtung vor ihm je tiefer sank, desto mehr er mich in jene Verhältnisse eindringen ließ. Er sah sich genöthigt, mich mit guter Miene zu entlassen, und da Sie um dieselbe Zeit ihm sagten, daß Sie in der Lage seien, sich einen zuverlässigen und verschwiegenen Diener zu suchen, so wurde ich Ihnen von ihm sehr warm empfohlen. Dadurch wurde er mich auf gute Art los, ohne gewisse Rachegedanken in mir zu erregen.«
»Wenn das wirklich die Wahrheit ist, so schulde ich ihm allerdings sehr wenig Dankbarkeit!«
»Es ist wahr. Ich trat bei Ihnen ein und machte ganz dieselbe Erfahrung wie bei dem Grafen, und zwar eine, die mir nicht angenehm sein konnte.«
»Welche Erfahrung meinst Du, Spitzbube?«
»Ich wurde zu außerordentlichen Diensten verwendet, ohne aber auch ebenso außerordentlich honorirt zu werden.«
»Mensch, ich erwürge Dich!« rief der Alte vor Zorn.
»O, was das betrifft, so soll das Erwürgen eine der angenehmsten Todesarten sein! Ich hatte da zum Beispiel bei Ihnen den Wächter der Baronin und der kleinen Marion zu machen. Das erforderte einen Tag und eine Nacht angestrengte Aufmerksamkeit; aber eine Gratification wollte sich, ärgerlicher Weise für mich, nicht einstellen – – –«
»Mensch, Du hast die beste Anlage zum Galgenfutter!«
»Mag sein! Ich habe immer Unglück gehabt. Mein Ziel war, so viel zu verdienen, daß ich einmal sorgenfrei von meinem Einkommen leben könne; aber es rückte in immer weitere Ferne, bis ich auf den Gedanken kam, dem Glücke ein Wenig nachzuhelfen. Ich sah heute, welche Summe Sie empfingen. Einen Schlüssel zu Ihrem Schreibtische hatte ich schon längst bereit – – –«
»Ah! So ist es!« dehnte der Capitän. »Wer hat den Schlüssel gefertigt?«
»Ich selbst. Sie müssen nämlich wissen, daß ich ursprünglich Kunstschlosser bin. Ich wußte, daß Sie stets den Nachtriegel vorzuschieben pflegen; daher machte ich mich während Ihrer Abwesenheit an Ihr Thürschloß, um demselben eine solche Einrichtung zu geben, daß beim Aufschließen von draußen auch der Riegel mit zurückgeschoben werde.«
»So hattest Du auch einen Schlüssel zur Thür?«
»Natürlich! Heute nun wollte ich mir die erwartete Gratification von Ihnen holen. Es war Alles so schön vorbereitet; daß es mißlingen konnte, vermag ich nicht zu begreifen, und ich möchte Sie ersuchen, mir zu sagen, in welcher Weise Ihr Verdacht, daß Ihr Geld in Gefahr stehe, abgeholt zu werden, entstanden ist.«
Das war eine mehr als ungewöhnliche Unterredung zwischen Herrn und Diener. Der Capitän, welcher doch selbst ein Bösewicht war, konnte dennoch nicht begreifen, wie der Diener es wagen könne, mit solcher Frechheit und Unverschämtheit zu sprechen. Er glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen und fragte daher:
»Schuft! Habe ich recht gehört? Du verlangst von mir noch gar die Mittheilung, was meinen Verdacht erregt habe?«
»Ich habe sie nicht verlangt, sondern nur darum gebeten.«
»Der Teufel wird Dir antworten, aber nicht ich! Ich hatte es erst mit Dir anders vor. Nun ich aber sehe, welch ein galgenreifer Patron Du bist, werde ich mich hüten, Milde walten zu lassen.«
»O, Sie werden sicherlich nichts unternehmen, was Ihnen Schaden bringen könnte. Dazu sind Sie zu klug.«
»Welchen Schaden könnte es mir bringen, wenn man Dich einige Jahre lang hinter Schloß und Riegel steckt?«
»Den Schaden, daß ich Schloß und Riegel von meinem Munde nehmen würde.«
Die Augen des Alten flammten grimmig auf. Es war, als ob er den Diener mit seinem Blicke versengen und verbrennen wolle.
»Tod und Teufel!« rief er. »Willst Du mir etwa drohen?«
»Ja!« antwortete Henry, indem er seine Gestalt hoch und zuversichtlich aufrichtete. »Halten Sie das für unmöglich? Ich gebe zu, daß der Einbruch, welchen ich unternahm, etwas unvorsichtig ausgeführt wurde; ich bin in solchen Sachen sonst niemals leichtsinnig gewesen; hier aber sagte ich mir, daß ich selbst im Falle, daß ich von Ihnen erwischt werde, nichts zu fürchten habe. Und daß ich einen Augenblick erstarrt schien, war nicht eine Folge der Angst oder Furcht, sondern nur der momentanen Ueberraschung.«
Dem Capitän war es, als ob er diesen Menschen sofort zermalmen müsse. Er setzte die Hähne seines Terzerols in Ruhe, warf die Waffe auf den Tisch und ballte die Fäuste, als ob er bereit sei, zum Angriffe vorzugehen. Henry aber zeigte nicht die mindeste Besorgniß; er trat vielmehr einen Schritt näher und sagte im Tone größter Kaltblütigkeit und Seelenruhe:
»Ich will nicht hoffen, daß Sie sich mit mir messen wollen. Ich bin nicht unerfahren im Handgemenge, da ich Soldat gewesen bin.«
»Was? Soldat warst Du?« knirrschte der Alte. »Macht man auch Diebe zu Soldaten?«
»Jawohl. Diebe, Räuber und Mörder. Man macht sie nicht blos zu Soldaten, sondern sogar zu Officieren. Es ist möglich, daß es der größte Spitzbube bis zum Capitän und Ehrenlegionär, vielleicht noch höher bringen kann.«
Jetzt endlich zeigte sich jenes gefährliche Zähnefletschen, welches dem Alten in Augenblicken des höchsten Zornes eigen war.
»Wie meinst Du das, oder wen meinst Du?« fragte er.
»Wen? Hm. Das ist vielleicht nicht ganz gleichgiltig. Ich will nur erwähnen, daß ich die angedeutete Erfahrung in Afrika, in Algerien gemacht habe.«
Der Schnurrbart des Alten sank augenblicklich herab, und das Fletschen der Zähne war verschwunden.
»Wie? Was?« fragte er. »In Afrika, in Algerien warst Du? Dort hast Du gestanden?«
»Ja.«
»Als was?«
»Nur als Chasseur d'Afrique,« lachte der Diener.
Da entfärbte sich der Capitän. Sein Gesicht war leichenblaß geworden. Er begann zu ahnen, daß Henry ihn selbst gemeint habe, als er sagte, daß der größte Spitzbube es bis zum Capitän und Ehrenlegionär bringen könne.
»Mensch, warum hast Du mir das nicht früher gesagt!« rief er.
Der Diener zuckte die Achseln und antwortete:
»Weil ich nicht glaubte, daß es Sie interessiren würde.«
»Wie lange warst Du dort?«
»Lange genug, um ein Wenig Arabisch verstehen zu lernen.«
Der Alte fuhr zurück. Erst bei diesen Worten Henry's begann er das Richtige zu ahnen.
»Ah!« fragte er in tief grollendem Tone. »Du verstehst Arabisch?«
»So ziemlich!«
»Du hast die Baronin bewachen sollen, und sie hat Arabisch gesprochen?«
»Ja,« lachte der Diener.
»Mit Dir?«
»Nein, kein Wort.«
»Mit wem sonst?«
»Mit der kleinen Comtesse Marion.«
»Lüge nicht.«
»Warum sollte ich lügen? Ich ersehe keinen Grund dazu!«
»Wie könnte sie mit dem Kinde sprechen, welches ja kaum zu lallen versteht!«
»Hm! Haben Sie noch keine Mutter beobachtet? Haben Sie noch nie gesehen oder gehört, daß eine Mutter bereits mit ihrem Neugeborenen spricht, um ihm süße Namen zu geben und ihm Allerlei mitzutheilen, was eben ein Mutterherz sagt und versteht?«
»Unsinn. Kinderei!«
»Nein, kein Unsinn. Das Mutterherz quillt über von Glück und Liebe; es will sich mittheilen, und daher spricht die Mutter mit dem Kinde, obgleich sie weiß, daß dasselbe kein Wort versteht. Aber wenn die Augen des Kindes offen und lächelnd auf die Mutter gerichtet sind, so versteht sich die Letztere in die süße Täuschung, von dem kleinen Lieblinge verstanden worden zu sein.«
»Nichts als Schwätzerei!«
»Wohl nicht. Was da gesprochen wird, ist nicht immer unsinniges Zeug. Und wenn eine Frau, welcher es an Umgang und Gesellschaft keineswegs mangelt, mit ihrem Kinde redet, was wird dann eine Andere, welche arm, einsam und gefangen, wie die Frau Baronin gehalten wird, erst recht thun? Mit ihrem Kinde reden. Und was wird sie mit ihm sprechen? Was wird sie ihm erzählen?«
Das Auge des einstigen Chasseurs d'Afrique und jetzigen Einbrechers war scharf und triumphirend auf den Alten gerichtet.
»Nun, was?« fragte dieser stockend.
»Sie wird ihm erzählen, warum sie so arm, so elend ist. Sie wird ihm erzählen von der Wüste, von den hingemordeten Stämmen der Beni Hassan, von Saadi, dem richtigen Vater des Kindes – – –«
»Tausend Donner.«
»Von dem Fakihadschi Malek Omar,« fuhr der Diener unbeirrt fort, »und von dessen Sohne oder Gefährten Ben Ali, der aber gar nicht sein Sohn sein kann.«
»Mensch, Du faselst.«
»Ich wiederhole nur Das, was ich gehört habe.«
»Du träumst oder hast geträumt!«
»O, ich war im Gegentheile sehr wach und munter. Aber in diesem Augenblicke ist Alles ja gleichgiltig; es würde seine Bedeutung erst vor dem Richter erhalten. Für jetzt frage ich Sie blos, ob Sie geneigt sind, mich als Einbrecher anzuzeigen.«
Der Alte steckte die Hände in die Tasche, als ob, wenn er ihnen die Bewegung raube, auch sein Inneres zur Ruhe kommen müsse.
»Setze Dich!« gebot er.
Er schritt, als Henry gehorcht hatte, mehrere Male im Zimmer auf und ab, trat dann zur Thür, schob den Riegel vor und wendete sich dann mit weit gedämpfterer Stimme als vorher an den Anderen:
»Es ist also wahr, daß Du die Baronin in ihrem Arabisch belauscht hast?«
»Ja, Herr Capitän.«
»Und sie hat wirklich Das gesagt, was Du vorhin erwähntest?«
»Wüßte ich sonst davon?«
»Wovon hat sie sonst gesprochen?«
Das Gesicht des Dieners nahm einen unbeschreiblich schlauen, aber ebenso zurückhaltenden und berechnenden Ausdruck an. Wäre ein Zeichner zugegen gewesen, so hätte er diesen Menschen als die Personification der größten Verschlagenheit in die Mappe bringen können.
»Von sehr Vielem noch,« antwortete er.
»Ich will das hören! Verstehst Du? Ich muß es wissen!«
»Hm! Ich kann es nicht sagen.«
»Warum nicht?«
»Weil es mir nicht augenblicklich einfällt.«
»So besinne Dich. Denke nach.«
»Das geht nicht so schnell und auf Commando, wie Sie es wünschen und verlangen. Es können Tage, ja Wochen vergehen, ehe ich mich klar und deutlich erinnern kann.«
»Ich verstehe Dich, Hallunke. Aber glaube ja nicht, daß die dunklen Andeutungen, welche Du doch nur gehört haben kannst, im Stande sein werden, mich in Verlegenheit zu bringen.«
»O, es waren mehr als dunkele Andeutungen! Warum erhält übrigens die Frau Baronin keine Gelegenheit, Französisch zu lernen? Warum darf Niemand mit ihr sprechen?«
»Das geht Dich den Teufel an! Du hast mir zu antworten, nicht aber mich zu fragen! Also gestehe, ob Du mit der Baronin gesprochen hast!«
»Kein Wort!«
»Das lügst Du! Ich glaube Dir nicht!«
»Dann halten Sie mich leider für dümmer, als ich bin. Es lag mir natürlich daran, so viel wie möglich zu hören und zu erlauschen; darum mußte ich so thun, als ob ich kein einziges Wort verstehe. Hätte die Baronin das Gegentheil gemerkt, so hätte ich wohl vergebens gewartet, meine Neugierde befriedigt zu sehen.«
»Du hattest nicht zu lauschen und nicht hinzuhören!«
»Sollte ich mir die Ohren verbinden?«
Der Capitän war für den Gegenstand ihres Gespräches so außerordentlich interessirt, daß er es gar nicht beachtete, welch ein Spiel sein Diener mit ihm trieb und in welchen Ausdrücken dieser sich bewegte. Er drohte nur:
»Ich werde mich bei meiner Schwiegertochter erkundigen, und ich befinde mich im Besitze der nöthigen Mittel, sie zum Geständnisse zu bringen, ob Du mit ihr gesprochen hast.«
»Thun Sie das! Ich kann ruhig sein.«
»Ich hoffe es. Aber nun sage mir, was Du gethan hättest, wenn Dir der jetzige Raub geglückt wäre?«
»Was hätte ich thun sollen? Ich hätte das Geld einstweilen vergraben.«
»Aber der Verdacht hätte auf Dich kommen können!«
»Das glaube ich nicht!«
»Der Dieb konnte nur im Hause sein!«
»Pah! Man hätte keine Spur entdeckt. Es war kein Schloß verletzt. Sie hatten Ihr Geld gezählt und sich dann eingeriegelt. Der Diebstahl wäre vollständig unerklärlich geblieben und auch niemals aufgeklärt worden. Das Geld hätte ich wie gesagt, an einem sicheren Orte einstweilen vergraben.«
»Aber man hätte die Nachschlüssel bei Dir finden können. Ich hätte natürlich Haussuchung halten lassen.«
»Man hätte nichts gefunden. Auch sie wären vergraben worden.«
»Aber der Zufall und der Teufel treiben oft ihr Spiel. Am sichersten für Dich wäre doch die Flucht gewesen!«
Bei diesen Worten hielt er sein Auge forschend auf Henry gerichtet. Dieser bemerkte diesen lauernden Blick und antwortete:
»Halten Sie mich für unzurechnungsfähig! Ich hätte ja grade durch diese Flucht den Verdacht auf mich gelenkt!«
»Hm! Ich sehe, daß ich mich vielleicht in Dir getäuscht habe. Da Du Dich erwischen ließest, so hatte ich keine große Meinung von Deiner Umsicht und Geschicklichkeit.«
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich überzeugt war, im Falle des Mißlingens straffrei auszugehen. Bei anderer Gelegenheit würde ich sicherlich nicht ergriffen werden.«
»Bist Du so überzeugt davon?«
»Vollständig! Ein tüchtiger Einbrecher schlägt lieber zehn Angreifer todt, als daß er sich ergreifen läßt.«
»Mensch, ich beginne zu glauben, daß Du ein höchst gefährliches Subjekt bist!«
»Möglich!« nickte Henry kaltblütig.
»Du sprichst vom Einbrechen ganz in der Weise, als ob Du Aehnliches bereits begangen hättest.«
»Ich leugne es auch gar nicht.«
»Und als ob Du bereit seist, ganz dasselbe wieder zu thun?«
»Hier wenigstens nicht, Sie werden schon dafür sorgen, daß Ihre Kasse von jetzt an sicher ist.«
»Aber anderwärts?«
Henry blickte seinen Herrn ziemlich lange von der Seite an; dann meinte er langsam und mit Betonung:
»Das wird ganz allein von der Lage abhängen, in welche Sie mich versetzen. Jagen Sie mich ohne Zeugniß fort, so erhalte ich keine Stelle wieder und muß sehen, was ich thue.«
»Wie nun, wenn ich Dich nicht fortjage?«
»Wollen Sie den Fuchs im Stalle behalten?«
»Nein. Aber ich will ein anderes Thier zum Vergleiche heranziehen. Der Leopard raubt und mordet, aber sobald man klug ist, kann man sich seiner zur Jagd bedienen.«
Der Diener nickte leise vor sich hin.
»Das oder so etwas Aehnliches habe ich mir gedacht,« sagte er. »Das lag auch mit in meiner Calculation, ehe ich mich daran machte, den Schlüssel in Ihr Schloß zu stecken.«
Der Alte, welcher noch immer auf und ab schritt, blieb jetzt vor ihm halten und sagte:
»Henry, wenn das wahr ist, so bist Du allerdings ein Kopf der zu gebrauchen ist. Ich habe wirklich Lust, Dich zu begnadigen!«
»Damit Sie mich als Jagdleopard gebrauchen können?« lachte der Diener.
»Ja.«
»Versuchen Sie es einmal, Herr Capitän!«
»Wärst Du bereit dazu?«
»Warum nicht? Aber man muß seine gute Rechnung dabei finden.«
»Ich würde dafür sorgen, daß dies der Fall ist. Aber hier gilt es Verwegenheit, Verschlagenheit und Verschwiegenheit.«
»Mit diesen drei Gerichten kann ich Ihnen aufwarten! Sagen Sie mir nur, was ich zu thun habe!«
»Geduld! Geduld! Ich muß vor allen Dingen Deiner sicher sein.«
»Sind Sie das etwa nicht?«
»Du verlangst doch nicht etwa, daß ich Dir ganz plötzlich vertraue, nachdem ich Dich wenige Minuten vorher beim Einbruche ertappt habe.«
»Habe ich Ihnen nicht gerade durch diesen Einbruch bewiesen, daß Sie mir Aehnliches sorgenlos anvertrauen können?«
»Vielleicht. Aber – hm, es geht doch nicht! Es fehlt Dir Etwas, was jedenfalls unumgänglich nothwendig vorhanden sein muß.«
»Was?«
»Hm! Du verstehst nicht Deutsch!«
Da stand Henry vom Stuhle auf und antwortete lächelnd:
»Wer hat Ihnen diese Lüge aufgebunden?«
»Alle Wetter! Verständest Du es?«
»Leidlich, vielleicht sogar besser als leidlich.«
»Wo hast Du es gelernt?«
»Von meiner Gouvernante.«
Richemonte nahm an, daß diese Antwort ein Scherz sein solle, aber als er sah, welch ernstes Gesicht der Diener dabei zeigte, fragte er:
»Eine Gouvernante hast Du gehabt, Kerl?«
»Eine ganze Reihe vielmehr. Es konnte es keine bei mir aushalten, denn ich war ein verdammt wilder Bube. Meine Eltern ließen mir Alles zu. Ich weiß ihnen das jetzt keinen Dank, denn sie allein sind schuld, daß ich das geworden bin, was ich bin.«
»Wer war Dein Vater?«
Der Einbrecher starrte fast eine ganze Minute lang in das Licht der Laterne, ohne zu antworten. Was zuckte nur jetzt über sein nicht unschönes Gesicht? Waren es Schatten, von der Laterne darüber hingeworfen, oder waren es die Zeichen einer plötzlich über ihn gekommenen Rührung, einer milden, reuigen Regung, wie sie ja auch der ärgste Verbrecher nicht immer von sich zu weisen vermag? Dann aber fuhr er mit der Hand durch die Luft und antwortete, indem seine Stimme einen halb heiseren Klang hatte:
»Pah! Man soll nicht an Vergangenes denken, sondern es lieber ruhen lassen! Ich sitze auf der Lawine, und sie rollt bergab. Vielleicht begräbt sie mich unter sich, vielleicht auch rettet mich ein kühner Sprung im rechten Augenblicke.«
»Nun also, was war Dein Vater?«
»Erlassen Sie mir die Antwort. Sie kann nichts nützen und es hätte ja auch keinen Zweck, wenn ich Ihnen eine Unwahrheit aufladen wollte. Es mag genug sein, daß mir mein jetziges Schicksal nicht an der Wiege gesungen und prophezeit wurde. Was ich war, das geht mich nichts mehr an; ich will es vergessen; ich will nichts mehr davon sagen und hören. Und was ich jetzt bin, das will ich aber auch ganz sein!«
Da streckte ihm der Capitän die Hand entgegen und sagte:
»So ist es recht! Ich sehe ein, daß ich mich auf Dich werde verlassen können. Hat Dir das Geschwätz dieser dummen Baronin wirklich erlaubt, einen kleinen, kurzen Blick in verborgene Sachen zu werfen, so wirst Du erkannt haben, daß auch mein Schicksal kein erfreuliches gewesen ist. Aber ich habe gerade wie Du gesagt: Die Vergangenheit vergessen, die Gegenwart ergreifen und für die Zukunft sorgen. So ist es mir gelungen, und ich bin überzeugt, daß es auch Dir gelingen wird, Herr Deines Geschickes zu werden. Der Mensch ringt dem Schicksal kein Jota mehr ab, als was sein eigener Werth beträgt. Kann ich mich auf Dich verlassen?«
Henry schlug in die dargebotene Hand ein und antwortete:
»Ich denke es und werde es Ihnen beweisen.«
»So laß uns aufrichtig sprechen! Schreckst Du vor einem Diebstahle zurück, wenn er Dir reichlich belohnt wird?«
»Nein.«
»Auch wenn es ein schwerer, ein Einbruch sein würde?«
»Nein.«
»Aber wenn man Dich dabei überraschte und Dich ergreifen wollte?«
»Pah! Ich würde gut bewaffnet sein!«
»Das heißt, Du würdest von den Waffen entschlossenen Gebrauch machen und Dich vertheidigen?«
»Ja. Wer mich angreifen wollte, müßte daran glauben!«
»Welche Belohnung würdest Du fordern?«
»Das käme auf die Schwierigkeit des Unternehmens und auf den Werth des Objectes an, Monsieur Capitän.«
»Beides ist bis jetzt noch nicht zu bestimmen. Aber erkläre mir noch einen Widerspruch. Erst sagtest Du, daß Du eigentlich Kunstschlosser seist, und dann ließest Du ahnen, daß Deine Wiege nicht an einer gewöhnlichen Stelle gestanden habe.«
»Beides ist richtig. Ich stürzte von der Stelle hinab, auf welcher ich geboren wurde. Ich wurde zunächst ein Glücksritter und später etwas noch weniger Gutes, und dabei war es nothwendig, sich zuweilen mit gewissen Schlosserarbeiten zu beschäftigen. Einer meiner Collegen hatte dieses Handwerk, oder, wie es hier genannt werden muß, diese Kunst gelernt, und zu ihm ging ich in die Lehre.«
»Das befriedigt mich. Für heute mag es genug sein. Vielleicht ist es zu Deinem Glücke, daß Du heute Deine Kunst an meiner Kasse versuchtest. Ich hoffe, Du bist überzeugt, daß Du von mir nichts zu befürchten hast?«
»Ich befürchte nicht das Mindeste!«
»Nun, solltest Du dennoch einen kleinen Zweifel hegen, so will ich denselben hiermit zerstreuen. Da, nimm!«
Er öffnete den einen der noch auf dem Tische liegenden Beutel, welcher lauter Gold enthielt, nahm eine Hand voll heraus und gab es ihm.
»Danke, Monsieur!« meinte Henry, indem er das reiche Geschenk in seine Tasche verschwinden ließ. »Wenn ich von der Höhe dieses unerwarteten Geschenkes auf das schließen soll, wobei es sich um den erwähnten weiteren Einbruch handelt, so darf ich es mir nicht als einen Pappenstiel denken.«
»Es wird sich allerdings nicht um eine Kleinigkeit handeln.«
»Sie sollen mit mir zufrieden sein!«
»Ich hoffe es! Das Nähere vielleicht bald. Alles Uebrige, das heißt, Deine jetzige Arbeit und so weiter, bleibt beim Alten. Gute Nacht!«
»Gute Nacht!«
Er ging und begab sich leise nach demjenigen Theile des Schlosses, in welchem die Dienerschaft schlief. In seinem kleinen Zimmerchen angekommen, öffnete er die Laterne und warf sich in einen Stuhl. Er stemmte den Kopf in die Hand und begann zu grübeln. Das Licht beleuchtete sein Gesicht, und wenn es einmal aufflackerte, so huschten gespenstige Schatten durch den Raum. Er bemerkte es nicht.
Woran mochte er denken? An die Eltern, denen er vorhin die Schuld aufgebürdet hatte, ihn zu Dem gemacht zu haben, der er war – zum kühnen und verschlagenen Verbrecher? Wer kann das wissen! Wußte doch er selbst es kaum. Er gab sich seinen Gedanken widerstandslos hin, ohne Rechenschaft von sich zu fordern. Das Licht brannte herab: es flackerte einige Male kurz auf und verlöschte dann. Erst jetzt erwachte er aus seinem Grübeln.
»Finster,« murmelte er. »So geht es auch mit dem Lichte der Jugend, des Glückes und des Lebens. Aber sorgen wir dafür, daß ein neues vorhanden sei, um angezündet zu werden, wenn das alte verlöschen will! Was nutzt das Grübeln und Sorgen! Ich sehe, daß ich richtig gerechnet und mich in dem Kapitän nicht getäuscht habe. Er meint mir überlegen zu sein; er denkt, in mir ein gutwilliges, dankbares und einträgliches Werkzeug gefunden zu haben; er wird entschlossen sein, mich auszunutzen, bis er mich nicht mehr braucht. Aber er irrt sich. Ich werde ihm dienen um meines eigenen Vortheiles willen, aber mich zu betrügen, das soll ihm nicht gelingen!«
Als am anderen Morgen der Capitän erschien, um sich mit dem Grafen zum Frühstücke, welches sie allein einnahmen, niederzusetzen, zeigte sein sonst so strenges Gesicht einen Ausdruck von Heiterkeit, welcher Rallion sofort auffallen mußte. Dieser fragte daher:
»Ueber welches Glück sind Sie denn bereits heute am frühen Tage hinweggestürzt, daß ich Sie bei so vortheilhafter Laune sehe?«
»Heute nicht, sondern bereits am gestrigen Abende, gleich nachdem wir uns getrennt hatten,« antwortete der Gefragte. »Und zwar ist es ein Glück, welches Sie ebenso nahe angeht, wie mich selbst.«
»Sie machen mich um so neugieriger. Darf man dieses Glück, von welchem ich mir also auch einen Theil erhoffe, kennen lernen?«
»Ja. Erinnern Sie sich des Gegenstandes, über welchen wir vor unserer Trennung sprachen?«
»Natürlich! Wir sprachen über Königsau.«
»Und fanden keine Handhabe, sehr fataler Weise. Aber ich bin sehr erfreut, Ihnen sagen zu können, daß mir ein außerordentlich glücklicher Gedanke gekommen ist.«
»Ist er wirklich glücklich und auch ausführbar, so ist er mehr als Goldes werth. Ich hoffe, daß ich ihn erfahren werde.«
»Das versteht sich. Vorher will ich Ihnen aber von einem anderen Glücke berichten, welches ich gestern Abend noch gehabt habe. Es wurde nämlich bei mir eingebrochen.«
Der Graf öffnete erstaunt den Mund und sah den Alten erwartungsvoll an.
»Eingebrochen?« fragte er.
»Ja.«
»Hier im Schlosse?«
»Ja, sogar in meinem Schlafzimmer.«
»Himmel! Welch ein Wagniß! Eingebrochen in Ihrem Schlafzimmer! Und das nennen Sie ein Glück?«
»Sogar ein sehr großes, ein sehr bedeutendes.«
»Das begreife der Teufel! Ich halte einen Einbruch für einen sehr gewagten Streich von Seiten des Einbrechers und für ein großes Malheur für den Betroffenen.«
»Hm. Ja. Von gewagten Streichen sind Sie ja überhaupt nie ein Freund gewesen!«
Der Graf runzelte die Stirn und fragte in nicht sehr freundlichem Tone:
»Zweifeln Sie etwa an meinem Muthe?«
»O, ganz und gar nicht,« lachte der Alte. »Es giebt ja sehr verschiedene Arten von Muth.«
»Das ist mir neu. Muth ist doch Muth!«
»O nein. Es giebt Muth der Unbesonnenheit, den Muth der Liebe, den Muth der Entsagung, der Verzweiflung, ja, sogar den Muth der Feigheit.«
»Der letztere ist ein Unding!«
»Keineswegs. Aber jedenfalls war er Demjenigen fremd, welcher gestern Abend bei mir eingebrochen ist.«
»Was hat er gestohlen?«
»Nichts, gar nichts. Der Einbruch ist ihm nicht gelungen. Ist das nicht ein Glück für mich zu nennen, da ich über zwanzigtausend Franks im Kasten hatte, den er öffnete?«
»Das wäre allerdings ein Glück!«
»Und das nicht allein. Ich habe ihn sogar erwischt und festgehalten. Ist das kein Glück?«
»Ein sehr großes. Festgenommen also haben Sie ihn? Sie allein?«
»Ja.«
Der Graf machte eine Bewegung des Schreckes und rief:
»Unvorsichtiger! Wie können Sie so Etwas wagen! Einen Einbrecher festzunehmen! Ohne alle andere Hilfe! Wie nun, wenn er Sie massacrirt hätte? Das wäre ja leicht möglich.«
»Er hat es aber doch nicht gethan.«
»Er hatte also den Kasten offen?«
»Ja, und das Geld bereits in der Tasche; aber ich zwang ihn, es wieder herauszugeben.«
»Capitän, das ist wirklich entsetzlich! Das sind leichtsinnige Jugendstreiche von Ihnen. Ich rühme mich doch auch meiner gehörigen Portion von Muth und Verwegenheit, aber einem Einbrecher jage ich seinen Raub niemals wieder ab. So etwas kann höchst unglücklich ausfallen, wie sehr zahlreiche Beispiele beweisen. Aber, da fällt mir ja ein, daß man gar nichts gehört und bemerkt hat.«
»Was sollte man denn hören?«
»Hilferuf und Kampfgetümmel!«
»Nichts weniger als das. Es ist vielmehr sehr ruhig dabei hergegangen.«
»Das begreife ich nicht. Wo steckt denn der Kerl? Es war nur einer?«
»Glücklicher Weise, ja.«
»Sie haben ihn doch sofort in Eisen schmieden und forttransportiren lassen?«
»Fällt mir gar nicht ein.«
»Nicht? Was denn sonst?«
»Ich habe ihn wieder freigelassen.«
Da machte der Graf ein Gesicht, als ob er geradezu Ungeheuerliches vernommen habe. Er starrte den Capitän eine ganze, lange Weile sprachlos an und rief dann aus:
»Freigelassen? Sie scherzen doch wohl nur?«
»Nein, ich spreche im völligen Ernste.«
»Welch eine Unverzeihlichkeit! Einen Dieb, einen Mörder, einen Einbrecher frei zu lassen, der nun bei Anderen abermals einbrechen wird.«
»Das ist ja gerad der Grund, weshalb ich ihm die Freiheit schenkte!«
»Daß er auch Andere nächtlich überfallen soll?«
»Ja doch! Gerade dieses.«
»Da hört denn doch Alles auf! Sind Sie denn verrückt, Capitän?«
»Nicht die Spur. Ich handelte aus schlauer Berechnung, was bei Verrückten und Wahnsinnigen doch nicht vorzukommen pflegt.«
»Aber wo ist der Mensch nun hin?«
»Er ist hier im Schlosse.«
Da zog der Graf die Beine erschrocken an sich, als ob er Sorge trage, daß der freigelassene Einbrecher sich unter dem Tische befinde.
»Im Schlosse?« fragte er. »Ist das wirklich wahr? Höre ich recht?«
»Ihr Gehör scheint ganz ausgezeichnet zu sein. Der Mann befindet sich hier im Schlosse; er gehört zu meiner Dienerschaft.«
»Donnerwetter! Bedient er etwa auch mich mit?«
»Ja, allerdings.«
»War er bewaffnet, als er einbrach?«
»Mit einen langen, scharfen und sehr spitzigen Messer.«
Da schnellte der Graf von seinem Sessel empor, als ob er von einer Spannfeder in die Höhe getrieben worden sei, und rief entsetzt:
»Das ist genug! Nein, nein, das ist sogar zu viel, mehr als zu viel! Capitän, wollen Sie mir einen großen Gefallen erweisen?«
»Gern, wenn ich vermag.«
»Sie vermögen es. Lassen Sie sofort und unverweilt anspannen.
»Warum, lieber Graf?«
»Weil ich abreisen will, schleunigst abreisen. Oder denken Sie etwa, daß es mir einfallen kann, hier zu bleiben und zu warten, bis der Kerl kommt, mit dem Messer in der Hand, um nun auch bei mir einzubrechen? Ich bin im glücklichen Besitze einer tüchtigen Portion Muth und Verwegenheit; ich bin sogar in meinem Leben schon sehr oft geradezu tollkühn gewesen, aber ein vorsichtiger Mann ist nur dann muthig, kühn und verwegen, wenn es sich nicht um Tod und Leben handelt. Ich habe keine Lust, mich erdolchen zu lassen.«
Der Alte lachte kurz und leise auf, zog die Spitzen seines weißen Schnurrbartes breit und sagte unter einem nicht sehr bewundernden Blicke:
»Ja, ja, tollkühn sind Sie sehr oft gewesen, dagegen läßt sich ja gar nicht streiten; aber dieses Mal werden Sie ja gar keine Gelegenheit haben, Ihre Verwegenheit zu bethätigen. Ich habe den Mann völlig unschädlich gemacht.«
»Unschädlich? Völlig?« fragte der Graf, indem er tief Athem holte und sich langsam wieder auf seinen Sitz niederließ. »Ihn freigelassen und doch unschädlich gemacht? Wie haben Sie das angefangen?«
»Ich habe mich mit ihm in aller Freundlichkeit noch eine ganze Weile unterhalten und ihn sogar wegen des Einbruchs belohnt.«
»Belohnt?! Capitän, jetzt bemerke ich allerdings, daß Sie nur flunkern, ganz gewaltig flunkern. Sie wollen mir ein Märchen aufbinden, um zu sehen, ob ich wirklich Muth besitze, ob ich in Wirklichkeit kühn sein kann. Ich bitte Sie, mich heute und die nächsten Tage in dem betreffenden Zimmer schlafen zu lassen. Wenn es ihm einfallen sollte, den Einbruch abermals in Scene zu setzen, so will ich ihn empfangen. Ich werde ihm die Knochen so zusammenschütteln, wie ein Knabe die Steinchen und Gläser eines Kaleidoscopes zusammenwirft.«
»Hm! Ja, das traue ich Ihnen zu,« lachte Richemonte. »Leider aber werden Sie keine Gelegenheit finden, diesen Muth zu bethätigen. Was ich Ihnen erzählte, ist zwar wörtlich wahr; aber der Mann wird nicht wieder als Einbrecher, sondern nur als mein Verbündeter das Zimmer betreten, von welchem Sie sprechen.«
»Als Ihr Verbündeter? Alle Wetter! Das klingt ja ganz und gar, als ob Sie von jetzt an in Gemeinschaft mit ihm den Einbrecher machen wollten.«
»So ist es auch.«
»Diable. Ich vermag Sie nicht zu verstehen. Sie geben mir da Räthsel auf, welche ich nicht zu lösen vermag, obgleich ich mich rühmen kann, eine ganz gehörige Portion von Scharfsinn zu besitzen.«
»Ich beabsichtige gar nicht, diesen mir so wohl bekannten Scharfsinn auf die Probe zu stellen: er ist mir bereits bekannt. Ich will Ihnen Alles kurz erklären, indem ich Ihnen sage, daß der gestrige Einbruch mich eben auf den Plan gebracht hat, mit dessen Hilfe wir den Königsaus eine Schlappe beibringen, welche sie nie verwinden werden.«
Kaum waren diese Worte gesprochen, so rückte der Graf näher.
»Ah. Wirklich?« fragte er schnell. »Sprechen Sie! Theilen Sie es mir mit.«
»Dieser Einbrecher wird das Werkzeug sein, mit dessen Hilfe wir die Familie unserer Feinde ein für allemal ruiniren werden. So unwahrscheinlich das klingen mag, so wahr und sicher ist es doch. Hören Sie. Aber leise, damit kein zufälliger Lauscher ein Wort vernehmen kann.«
Sie führten lange und in sichtlicher Erregung ein leise geflüstertes Gespräch. Die Augen des Alten glühten in tückischer Freude, und im Gesichte des Grafen war eine Spannung zu bemerken, welche nach und nach in den Ausdruck der Genugthuung überging.
»Nun, was sagen Sie zu dem Plane?« fragte endlich der Capitän.
»Daß er herrlich ist, geradezu genial erdacht.«
»Er wird gelingen.«
»Das ist das Allerbeste an ihm. Wir wagen nichts.«
»Trotzdem wir bei Ihrer bekannten Tollkühnheit vor einem Wagnisse keineswegs zurückschrecken würden!« meinte der Alte im Tone versteckter Ironie.
»Ganz und gar nicht!« stimmte der Graf eifrigst bei. »Aber der Geldpunkt? Wie regeln wir diesen?«
»Wie Freunde dergleichen unter einander zu regeln pflegen.«
»Das heißt, wir theilen?«
»Ja.«
»Mir ist das recht. Aber wer hat das Geld zu beschaffen?«
»Beide, wenn auch Jeder nach seinen Kräften. Sie sind viel, viel reicher als ich; aber ich glaube doch, daß es mir möglich sein wird, baare hunderttausend Franks aufzubringen.«
»Gut. Das Uebrige zahle ich. Wieviel wird es ungefähr betragen?«
»Ich weiß das nicht. Wir werden, um uns eine Zurückweisung zu ersparen, natürlich sehr weit über den eigentlichen Werth bieten müssen; aber das bringt uns doch nicht den mindesten Schaden.«
»Es gilt dabei zu bedenken, daß sie uns Beide kennen. Ich fürchte, daß sie von uns gar nichts werden wissen wollen.«
»Wir werden doch nicht solche Thoren sein, das Geschäft in unseren Namen oder gar persönlich entriren zu wollen!«
»Ah. Vielleicht einen Strohmann?«
»Nichts Anderes. Wir schieben einen Strohmann vor, der uns für einige hundert Franks gern zu Diensten sein wird.«
»Und wie wird es diesem famosen Diener Henry, diesem verteufelten Einbrecher, gelingen, seine Aufgabe zu erfüllen?«
»Er sucht Zutritt in der Familie.«
»Etwa als Diener, gerade wie er zu Ihnen gekommen ist? Weiß man denn, ob sie einen Diener gebrauchen können und engagiren werden?«
»Von solchen Unwahrscheinlichkeiten dürfen wir das Gelingen unseres Vorhabens ganz und gar nicht abhängig machen. Ich habe während dieser ganzen Nacht mir Alles zurecht gelegt und auch einen sehr leichten Weg gefunden, Henry den Zutritt zu eröffnen.«
»Er wird nach Berlin müssen.«
»Noch weiter. Die Verhältnisse derjenigen Menschen, welche ich entweder liebe oder hasse, sind mir stets genau bekannt; nur um die Schicksale mir gleichgiltiger Leute bekümmere ich mich nicht. So lasse ich auch die Familie Königsau stets beobachten. Ich weiß, daß sie sich gegenwärtig auf Breitenheim befindet, jenem Gute, welches der alte Hugo auf Blücher's Bemühung hin geschenkt erhielt. Nur Einer fehlt dort, nämlich Gebhardt Königsau, welcher sich gegenwärtig im Oriente befindet. Dieser Umstand ist für uns von großem Werthe.«
»Wieso?«
»Weil er es uns möglich macht, Henry auf gute Weise einzuführen. Habe ich Ihnen erzählt, daß Henry als Chasseur d'Afrique in Algerien gestanden hat?«
»Ja.«
»Nun, Gebhardt Königsau ist ja auch dort gewesen.«
Da schnippte der Graf mit den Fingern und rief bewundernd:
»Ah, ich ahne. Genial, wahrhaft genial. Sie sind ein verdammt spitzer Kopf! Wenn Sie in Bezug auf Scharfsinn auch nicht gerade an Unsereinen reichen, so würden Sie doch einen ganz netten Diplomaten abgeben, Capitän!«
»Meinen Sie?« fragte Richemonte ironisch.
»Ja. Wenn ich das sage, so ist es wahr, denn ich bin ja Diplomat. Also Henry wird Gebhardt in Algerien getroffen haben. Wo liegt dieses Gut Breitenheim?«
»Im preußischen Regierungsbezirke Gumbinnen, eine kleine Strecke hinter Nordenburg.«
»Gumbinnen? Der Teufel hole diese deutschen oder preußischen Namen, bei denen man sich die Zunge verrenkt und verstaucht. Und wo liegt dieses Gumbinnen?«
»Nach der russischen Grenze zu.«
»So weit? Doch das ist egal. Also Henry hat Gebhardt von Königsau in Algerien getroffen; er befindet sich auf einer Reise nach Petersburg; kommt durch diese Gegend; da fällt ihm ein, daß sein Freund hier wohnt; er geht, ihn zu besuchen; er findet ihn nicht, bedauert das natürlich sehr, wird aber herzlich und gastfreundlich aufgenommen.«
»Ja, so ist mein Plan,« stimmte der Alte bei.
»Es ist wirklich genial; aber es giebt dabei doch einige Bedenken.«
»Ich kenne kein einziges.«
»Gebhardt wird nichts von diesem Freunde erzählt haben.«
»Was schadet oder hindert das? Königsau wird während seiner Reise mehrere Bekanntschaften angeknüpft haben, ohne ausdrücklich von ihnen zu berichten.«
»Gut! Aber Henry wird gefragt werden, wo und wie er den Deutschen in Algerien getroffen hat. Wird das, was er antwortet, mit den Erlebnissen Gebhardts stimmen?«
»Ganz genau.«
»Das bezweifle ich sehr.«
»O, ich habe auch hier bereits gesorgt. Diese Deutschen haben nämlich, trotzdem sie die größten Ignoranten der Wissenschaft und Bildung sind, die famose Monomanie, über Alles, was sie sehen, hören oder denken, ein Buch zu schreiben –«
»Mein Himmel, welch ein Blödsinn!« fiel der Graf ein. »Wer soll so ein Buch, so ein Schriftwerk, solches Makulatur kaufen?«
»Es giebt genug Dumme, welche dies thun. Gebhards von Königsau hatte natürlich nach seiner Rückkehr aus Afrika auch nichts Eiligeres zu thun, als schleunigst ein Volumen zusammenzuschmieren.«
»Welcher Unsinn! Was soll in dem Buche stehen?«
»Seine Erlebnisse.«
»Wer in Deutschland kann sich für Afrika interessiren? Kein einziger Mensch. Was weiß ein Deutscher überhaupt von Afrika. Es ist ja bekannt, daß die Deutschen die miserabelsten Geographen sind. Die Meisten werden den Namen Afrika noch gar nicht gehört haben. Sie wohnen ja viel zu weit nach Norden; Algerien aber, also Afrika, gehört uns. Wir Franzosen sind es, welche sich ausschließlich mit der Civilisation von Afrika abgeben, und so gebührt uns auch das ausschließliche Recht, Bücher über diesen Erdtheil zu schreiben. Daran mögen sich die Deutschen nur niemals wagen.«
»Ich kann Ihnen nicht ganz Unrecht geben, trotzdem aber ist jenes Buch von Königsau geschrieben worden und sogar in einer französischen Uebersetzung erschienen. Hier erkennt man wieder einmal die selbstlose Großmuth unserer glorreichen Nation. Es hat sich ein mitleidiger französischer Verleger gefunden, um diesem beklagenswerthen Deutschen in Form des Honorares eine Almosengabe zukommen zu lassen. Da ich, wenigstens negativ, mich für Königsau interessiren muß, so habe ich mir diese Uebersetzung gekauft. Sie gleicht einem Tagebuche und giebt ganz genau an, was von Datum zu Datum erlebt wurde. Ich werde dem Henry dieses Buch zu lesen geben, und so wird er leicht wissen können, was er zu antworten hat.« –
Wie dieser Punkt, so wurden auch noch andere Punkte eingehend besprochen, deren Erörterung zum Gelingen des Planes unumgänglich nothwendig war. Das Gewitter im Südwesten stand im Begriff, seinen zweiten Blitzstrahl zu versenden, von welchem anzunehmen war, daß er zerstörender wirken werde, als der erste. –
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