Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Zu jener Zeit lag an der damaligen, jetzt vollständig vertrockneten Mündung des Flusses die alte Stadt Teredon oder Diridotis, welche wegen der Fruchtbarkeit ihrer Gegend Jahrhunderte lang von den Arabern zu den vier Paradiesen der Moslemin gerechnet wurde. Sie stand seit Nebukadnezar bis zur Zeit der macedonischen Diadochen in Blüte und ist auch uns besonders dadurch bekannt, daß Nearchos, der Jugendfreund Alexanders des Großen, im Herbste des Jahres 325 mit seiner Flotte vom Indusdelta herüberkam und hier in Teredon landete. Zwischen diesem Handelsplatze und Basra entstand ein Wettbewerb, aus welchem die damals noch junge Khalifenstadt als Siegerin hervorging; Teredon verödete, meist wohl auch infolge der allmählichen, aber unaufhaltsamen Versandung des Flusses, während Basra als Stapelplatz der nach Bagdad bestimmten Waren zu solcher Bedeutung gelangte, daß der persische Golf das »Meer von Basra« genannt wurde.
In einer wohlangebauten Gegend liegend und unter dem besondern Schutze des Khalifen stehend, kam diese Stadt nicht nur zu großem materiellen Reichtum, sondern auch zu hohem litterarischen Ruhme, weil die hervorragendsten Dichter und Gelehrten der moslemitischen Welt sich hier zusammenfanden, besonders nachdem Ibn Risaa, der Gefeierte, da eine der ersten Gelehrtenschulen gegründet hatte. Die geistige und geistliche Bedeutung dieser Akademie war eine so hohe, daß Basra durch sie den Ehrennamen Kubbet el Islam, Kuppel des Islam, erhielt. Diese Herrlichkeit war aber nicht von langer Dauer; die Stadt ging an demselben Schicksale zu Grunde, welchem ihre einstige Rivalin Teredon erlegen war, der mit der Zeit unerbittlich fortschreitenden Austrocknung des Flusses, wozu sich auch höchst ungünstige politische Verhältnisse gesellten. Jetzt besteht die »Kuppel des Islam« nur aus zwischen Ruinen liegenden armen Hütten und ist, obgleich Ausgangspunkt der nach Arabien bestimmten Karawanen, fast bedeutungslos. Sogar den Namen hat es eingebüßt; es wird jetzt Zobe ïr genannt, nach einer kleinen Grabmoschee, welche auf der Stelle steht, wo der gleichnamige Parteigänger von Muhammeds Witwe A ïscha den Tod gefunden hat. Übrigens ist das alte Basra auch dadurch interessant, daß Muhammed als Knabe seinen Oheim Abu Taleb auf einer Reise hierher begleitete und da mit einem christlichen Mönche Namens Dscherdschis (Georgius) zusammentraf, der sich viel mit ihm beschäftigte und dann den Onkel auf die geistigen Anlagen des Neffen aufmerksam machte. Wahrscheinlich ist hier die Wurzel zu den christlichen Anschauungen zu suchen, deren Blüten so oft im Kuran zu entdecken sind.
Basra liegt jetzt ungefähr zwei Meilen nordöstlich von der alten Stadt. Wer etwa infolge von »Tausend und eine Nacht« in poetisch gehobener Stimmung ankommt, der sieht sich von einer so unpoetischen Mis ère umgeben, daß er schon in der ersten Stunde wünscht, den Schauplatz süßer Märchen so bald wie möglich wieder verlassen zu können. Zunächst liegt die Stadt leider nicht direkt am Flusse, sondern eine halbe Stunde davon an einem stagnierenden und darum übelriechenden Wasser. Der Ort bietet dem Auge des Besuchers nur die Zeichen des Verfalles; er steht auf versumpftem Grunde, welcher gefährliche Miasmen erzeugt. Die jahraus, jahrein hier brütenden Fieber sind so berüchtigt, daß z.B. die Versetzung eines Beamten von Bagdad nach Basra für eine Verurteilung zum sichern Tode gehalten wird. Kein einheimischer Arzt kennt ein wirksames Mittel gegen diese Fieber, und da auch unsere Medizinen sich als machtlos erweisen, so kommt auch der Europäer nur, um schnell wieder zu gehen. Die Bevölkerung, noch in den zwanziger Jahren auf wenigstens sechzigtausend geschätzt, kann jetzt kaum den zehnten Teil davon betragen, und wenn es hier nicht den Kut-i-Frengi für die großen Seedampfer gäbe, welche den Handelsverkehr zwischen Mesopotamien und Indien vermitteln, so würde Basra an seiner jetzigen Stelle bald vergeblich zu suchen sein.
Obgleich ich das alles sehr wohl wußte, war ich doch mit meinem Hadschi Halef hierhergekommen, um Alt-Basra zu besuchen und dann aber ja nicht zu verweilen, sondern über den Schatt el Arab und Qarun zu setzen und dann am Ufer des Dscherrahi oder auch Ab Ergun in die Berge zu reiten, durch deren Pässe dann ein Weg nach Schiras zu suchen war. Meine Leser wissen, daß ich früher schon einmal mit Halef in Basra gewesen bin.Siehe: Karl May »Auf fremden Pfaden« pag. 261 Wir hatten schon damals die Absicht, nach Persien zu gehen, waren aber auf die Pilgerstraße nach Mekka abgelenkt und dann ganz verhindert worden, diesen Vorsatz auszuführen. Was wir dabei in Alt-Basra erlebt hatten, war so interessant, daß wir jetzt diese Gegend nicht berühren wollten, ohne die Stätte wieder aufzusuchen. Heute waren wir von diesem Ritte zurückgekehrt und saßen nun unweit der Zollgebäude in dem Kahwe, welches neben dem Thore in der Mauer liegt. Wir hatten die Pferde in dem engen, schmutzigen Hofe stehen und warteten auf den Fährmann, der uns an das linke Ufer des Schatt el Arab bringen sollte. Der liebe Mann hatte uns abgewiesen und auf später vertröstet, weil er vorhin jemand hinübergerudert habe und sich nun erst einmal tüchtig ausruhen müsse. Dieser Zeitverlust um einer so albernen Ursache willen war ärgerlich, mußte aber ruhig hingenommen werden, da der Starrkopf unsern Einwand, daß wir selbst rudern wollten und er dabei ruhen könne, mit der Widerrede beantwortete, daß er seine Ruder nur für sich und nicht für andere Leute habe. Aber wie jede Verdrießlichkeit auch eine gute Seite hat, so sollte es sich auch in diesem Falle zeigen, daß die Verzögerung nicht ohne freundliche Folgen für uns sei. Ja, sie brachte uns eine Ueberraschung, wie wir sie uns größer und besser gar nicht hätten wünschen können.
Ich muß bemerken, daß die Wände des Kaffeehauses grad so wie diejenigen der Zollgebäude aus geflochtenem Rohre bestanden. Es gab zwei Räume, einen größern und einen kleinern; wir saßen ganz allein in dem letzteren und konnten durch die dünne, lückenreiche Scheidewand alles, was in dem ersteren vorging, sehen und auch alles deutlich hören, was gesprochen wurde. Bis jetzt waren einige Leute dagewesen, nun aber wieder gegangen. Der Wirt saß faul auf seinem Kissen, hatte die ausgegangene Tabakspfeife auf den Knieen liegen und sah schläfrig vor sich hin. Der junge Somali, welcher der Bedienung der Gäste obzuliegen hatte, war beschäftigt, die Tschibuks, die an der Wand hingen, einen nach dem andern herabzunehmen, um sie zu stopfen; sie waren für die rauchlustigen Gäste bestimmt. Es war sehr still hier in den Räumen, auch draußen: nur zuweilen hörten wir einen lauten Kommandoruf, welcher auf dem Verdecke des englischen Dampfers erscholl, der gegen Abend die Anker lichten wollte, um nach Karatschi und Bombay zu gehen. Dann ertönte die begrüßende Stimme einer kräftigen Schiffspfeife. Es kam ein neuer Dampfer an, ob von oben herab oder von der See herauf, das wußten wir nicht, weil wir ihn nicht sehen konnten. Dieses Schiff brachte uns die Ueberraschung, welche ich vorhin erwähnte. Es waren seit dem Pfeifensignale kaum zehn Minuten vergangen, so hörten wir, daß ein neuer Gast in das Caf é trat.
»Sallam!« grüßte er kurz.
»Sallam aale ïkum!« antwortete der Wirt in müdem, gleichgültigem Tone.
Wir hatten gar keinen Grund, uns um die Besucher dieses Hauses zu bekümmern, aber die Langeweile des Wartens veranlaßte uns, durch die Lücken der Scheidewand einen Blick auf den Eingetretenen zu werfen. Kaum hatten wir das gethan, so wollte Halef aufspringen; er öffnete den Mund zu einem Ausrufe der Verwunderung; ich aber bedeckte ihm die Lippen schnell mit der Hand, drückte ihn auf sein Sitzkissen nieder und raunte ihm zu:
»Still, ganz still, Halef! Das ist eine außerordentliche Begegnung; auch ich freue mich so darüber, daß ich laut werden möchte, aber wir wollen warten; er ist allein und ich möchte gern beobachten, wie er, der weder arabisch noch türkisch versteht, sich benehmen wird.«
Der Mann, auf den sich diese meine Worte bezogen, war eine Person, die schon an jedem Orte des Abendlandes und wie viel mehr hier in diesem Winkel des Orientes die Aufmerksamkeit auf sich ziehen mußte. Seine Gestalt war überaus lang und knochig. Ein hoher, grauer Cylinderhut saß auf seinem schmal ausgezogenen Kopfe. Ein unendlich breiter, dünnlippiger Mund legte sich einer Nase quer in den Weg, die zwar scharf und lang genug war, aber dennoch die Absicht verriet, sich noch weiter, bis zum Kinn hinab, zu verlängern. Wenn ich dazu bemerke, daß diese Nase von den Spuren einer einst auf ihr gesessenen Aleppobeule verschönert wurde, so wird man wohl schon jetzt erraten, wer dieser Gast des Kaffeehauses war. Der bloße, dürre Hals ragte lang aus einem sehr breiten, umgelegten und tadellos geplätteten Hemdkragen hervor; dann folgte ein graukarrierter Schlips, eine graukarrierte Weste, ein graukarrierter Rock, graukarrierte Beinkleider, graukarrierte Gamaschen und staubgraue Zugstiefeletten. Um seine Taille ging ein graukarrierter Gürtel, in welchem mehrere Revolver und Messer steckten. Von der einen Schulter bis zur andern Hüfte zog sich hinten und vorn eine schmale, graukarrierte Patronenkatze herab. Auf dem Rücken hing in einem graukarrierten Ueberzuge ein ungewöhnlich großes Gewehr, und in der Hand trug er ein kleineres, welches auch in einer graukarrierten Umhüllung steckte.
Dieser graukarrierte Mann ging steif und würdevoll auf eines der an den Wänden liegenden Sitzkissen zu und bog die Kniee ein, um sich in orientalischer Weise mit untergeschlagenen Beinen auf dasselbe niederzulassen, verlor dabei aber aus Mangel an Uebung und Ueberfluß an Ungelenkigkeit das Gleichgewicht und kam mit weit ausgespreizten Beinen und einem kräftigen Plumpse derart auf das Kissen nieder, wie ein regelrechter Europäer regelrecht zu sitzen hat.
»Thunder-storm?« rief er, darob zornig, aus, besann sich aber sogleich eines Bessern und rief dem Somali in befehlendem Tone das eine Wort zu:
»Tschibuk!«
Der ostafrikanische Jüngling nahm eine der Pfeifen, die er gestopft hatte, schob die Spitze in den Mund, legte ein Stück glühende Holzkohle auf den Tabak, sog den letzteren in Brand und reichte dann dem Fremden den Tschibuk mit einer graziösen Bewegung hin.
»Chanzier!« fuhr ihn dieser an und schlug ihm die Pfeife aus der Hand, daß sie dem Wirte vor die Füße flog.
Dieser begriff den Grund dieses hier seltsamen Verhaltens und erklärte dem Nikotin-Ganymed:
»Der Fremde ist ein Inglis, der den Tschibuk nicht aus deinem Maul haben will; er brennt sich den Tabak selber an.«
Infolge dieser Belehrung holte der Somali eine andere Pfeife und andere Kohle. Der Engländer griff zu und that einige Züge; da machte seine Nase eine energische, sich sträubende Bewegung, worauf diese zweite Pfeife hin zur ersten flog.
»Was ist's?« fragte der Wirt. »Warum wirfst du auch diesen Tschibuk weg?«
»Duchan miserabel!« antwortete der Gefragte.
»Du sprichst vom Tabak, aber ich verstehe dich nicht. Was bedeutet das andere Wort?«
»Duchan batall!« lautete nun der ganz arabische Bescheid.
»Ich habe keinen bessern. Wenn es dir bei mir nicht schmeckt, so kannst du gehen!«
»Kahwe!« befahl hierauf der Gast, der ruhig sitzen blieb.
Der Somali ging zum stets brennenden Mangal, bereitete eine Tasse Kaffee und brachte sie ihm. Der Inglis roch daran, that versuchsweise einen kleinen Schluck, goß dann die Tasse aus und rief mit einer Gebärde des Abscheues:
»Kahwe battal dschiddan!«
»Wenn er dir nicht schmeckt, so kannst du gehen!« meinte der Wirt im orientalischen Gleichmute, fügte aber vorsichtig hinzu, »nachdem du vorher bezahlt hast!«
»Kaddaisch tamano?« erkundigte sich der Engländer.
»Ischrin kurusch – zwanzig Piaster.«
Das war eigentlich eine Prellerei und sollte eine Strafe für das beleidigende Verhalten des Gastes sein. Dieser zog gleichmütig ein Geldstück aus der Tasche und warf es hin; der Somali hob es auf und brachte es dem Wirte. Als dieser Miene machte, herauszugeben, deutete der Engländer durch eine wegwerfende Handbewegung an, daß er nichts wiederhaben wolle. Den erstaunten Gesichtern der beiden andern war deutlich anzusehen, daß der zurückgewiesene Ueberschuß ein bedeutender war.
Ich wunderte mich gar nicht über diese Generosität, die meinem alten, braven David Lindsay zur zweiten Natur geworden war. Lindsay – da habe ich nun doch verraten, wer dieser graukarrierte Fremde war! Ja, man denke sich mein und Halefs Erstaunen und unsere Freude, Lord Lindsay so unerwartet hier zu sehen! Ich wußte, daß er jetzt jahrelang nicht in seinem Altengland gewesen war; er hatte sich immerwährend auf Reisen befunden und mir vor vierzehn Monaten aus der Kapstadt den letzten Brief geschrieben. Wohin er sich von dort aus wenden wolle, hatte er nicht erwähnt. Nun kam er heut plötzlich hier hereingestiegen, ganz genau in demselben eigentümlichen Habitus, in welchem ich ihn damals in Maskat, und zwar auch in einem KaffeehauseSiehe Karl May »Durch die Wüste« pag. 318, zum erstenmal gesehen hatte!
Und mehr noch als über diese Begegnung an sich, war ich über seine Sprache erstaunt. Wir waren damals so lange, lange Zeit durch die verschiedensten Gegenden des Orientes geritten und hatten hier und da so langen Halt gemacht, daß eine Anbequemung an die betreffenden Sprachen und Sitten doch eigentlich selbstverständlich gewesen wäre; aber es war dem »veritablen Englishman« nicht einmal im Traume eingefallen, sich auch nur etwas von den Gewohnheiten und der Ausdrucksweise der Leute, mit denen wir zu verkehren hatten, anzueignen. Weil er Engländer war, glaubte er, in jeder Beziehung durchaus nur englisch sein zu müssen, und gab sich nicht die geringste Mühe, ein türkisches, arabisches, kurdisches oder persisches Wort im Gedächtnisse zu behalten. Daß er Deutsch verstand und sprach, wäre ein Wunder zu nennen gewesen, wenn ihm diese Kenntnis nicht schon während seiner Knabenzeit von einer deutschen Verwandten mütterlicherseits beigebracht worden wäre. Er hegte die unerschütterliche Ueberzeugung, sich selbst auf dem fernsten und unbekanntesten Erdenpunkte mit englischem Wesen und ausschließlich englischer Sprache leicht und mühelos bewegen zu können, und war der Ansicht, daß auch das geringste Abweichen von dieser Gepflogenheit eine Beleidigung seiner Nation bedeute. Diese Einseitigkeit war uns oft in hohem Grade unbequem geworden. Wenn man sich mit einem Begleiter, der die Sprache und die Sitten des Landes nicht kennt und versteht, unter fremden, vielleicht gar nur halb civilisierten Völkerschaften bewegt und dabei oft das Unglück hat, in gefährliche Lagen zu geraten, so versteht es sich ganz von selbst, daß die Anwesenheit eines solchen Gefährten, und wenn er sonst der beste Mensch der Erde wäre, nicht nur hinderlich und störend, sondern unter Umständen sogar verhängnisvoll werden kann. Das aber hatte Lindsay niemals einsehen wollen, und so kann man sich mein Erstaunen denken, als ich hier in Basra auf einmal hörte, daß er plötzlich das Arabische nicht nur verstand, sondern es, freilich noch sehr fehlerhaft, auch sprach!
Er hatte sich jedenfalls jahrelang und zwar mit großem Fleiße mit dieser Sprache beschäftigt, und daß er das gethan und die darauf verwendete Mühe nicht für weggeworfen gehalten hatte, das war es, was mir an ihm vollständig fremd vorkam und mich mit Verwunderung erfüllte. Hierzu kam ein Umstand, welcher mich bewog, mich über diese seine mir so überraschende Sprachfertigkeit herzlich zu freuen: Wenn er mit uns nach Persien ritt, wo man sich ebensosehr der arabischen wie der Landessprache bedient, war es für uns, und besonders für mich, eine große Erleichterung, nicht jemanden bei uns zu haben, der aus Mangel an Sprachkenntnis keinen Eingeborenen verstehen konnte und dem ich also, wie das mit Lindsay früher ja der Fall gewesen war, jedes Gespräch zu übersetzen und alle nur einigermaßen wichtigen Vorkommnisse extra zu erklären hatte. Denn daß er mit uns reiten würde, das unterlag gar keinem Zweifel. Die Absichten, welche ihn hierher geführt hatten, und die von ihm getroffenen Dispositionen mochten sein, welche sie wollten, sobald er uns sah, ließ er alles andere liegen, um sich uns anzuschließen, davon war ich überzeugt. Er liebte das Ungewöhnliche, sogar die Gefahr und hing mit einer so herzlichen, aufrichtigen Zuneigung an mir, daß er ganz gewiß alle seine jetzigen Reiselaunen fallen ließ, um bei uns sein zu können.
Wenn ich aufrichtig sein will, muß ich sagen, daß von seiner Begleitung voraussichtlich gar manche Schwierigkeit für mich zu erwarten war, aber er besaß andererseits auch wieder sehr günstige Eigenschaften, durch welche diese – Fatalitäten will ich es nennen, mehr als ausgeglichen wurden. Er war ein sehr mutiger und außerordentlich kaltblütiger Mann und besaß Verbindungen, welche uns nur Vorteil bringen konnten. Dazu kam sein außerordentlicher Reichtum. Ich gehöre nicht, aber auch mit keinem einzigen Aederchen, zu jener Art von Menschen, welche gern jede Gelegenheit benützen, aus der Wohlhabenheit anderer Leute Vorteile zu ziehen, aber es ist doch auf alle Fälle angenehmer, einen Begleiter zu haben, dem jeder materielle Vorteil zur Verfügung steht, als einen, welcher den Pfennig dreimal umwenden muß, wenn er ihn auszugeben hat und ihn vielleicht auch dann noch wieder in die Tasche steckt. In dieser Beziehung hatten wir an Lindsay einen höchst schätzbaren Kameraden gehabt, dessen Noblesse für einen andern an meiner Stelle sehr wahrscheinlich eine gute Einnahmequelle gewesen wäre. Und schließlich war, um auch das nicht zu vergessen, seine Originalität für uns eine nie versiegende Quelle stiller Heiterkeit gewesen, und es durfte angenommen werden, daß wir nun wieder aus ihr schöpfen dürften.
Wir sahen, daß er, obgleich der Wirt ihn schon zweimal zum Gehen aufgefordert hatte, in aller Behaglichkeit seinen Sitz behielt. Er schien über etwas nachzudenken, wahrscheinlich darüber, was er noch verlangen und aber auch verzehren könne, denn ihm, dem personifizierten Gentleman, war es fatal, in einem öffentlichen Lokale zu sitzen, ohne eine anständige Zeche machen zu können. Endlich war ihm ein Einfall gekommen:
»Frank Kahwe!« verlangte er.
Unter Frank Kahwe oder Frank Kahwesi, fränkischem Kaffee, versteht man Schokolade.
»Habe ich nicht,« antwortete der Wirt.
»Kakao!«
»Ich weiß nicht, was das ist.«
»Sherry!«
»Das verstehe ich nicht.«
Da öffnete Lindsay den Mund zu einem sperrangelweiten Gähnen. Er fühlte sich dadurch, daß er nicht bekam, was er verlangte, gelangweilt, und seine Nase blickte tief in das jetzt unter ihr gähnende, mit kräftigen Zähnen umsäumte Loch, ob nicht doch vielleicht daraus ein Wunsch erscheinen werde, der zu erfüllen sei. Und da kam er auch:
»Scherbet!« erklang das erlösende Wort.
Der Somali beeilte sich, das verlangte Zuckerwasser mit Fruchtsaft zu bringen, und bekam dafür ein so reichliches Bakschisch zugeworfen, daß sein Gesicht vor Freude glänzte und er sich durch eine dreimalige tiefe Verneigung bedankte.
Lindsay hob das Getränk zum Munde und versuchte es; es schien ihm zu schmecken, denn er that dann noch einen tiefen Zug. Indem er das Gefäß wieder absetzte, fiel sein Blick hinein. Da wurden seine Augen noch einmal so groß; sein Gesicht nahm den Ausdruck des Entsetzens an, und seine Nase sträubte sich vor Schreck empor.
»All devils!« rief er aus, den Scherbet weit von sich streckend. »Da ist ja ein – ein – ein – wie heißt snail auf arabisch?«
»Ich weiß wieder nicht, was du meinst,« antwortete der Wirt. »Ist etwas in dem Scherbet? Zeig her! Ich will sehen, was es ist.«
Durch die Freigebigkeit Lindsays dienstwillig gemacht, sprang er auf, nahm ihm das Getränk aus der Hand und sah nun dasselbe, was der Englishman gesehen hatte. Ohne aber ebenso zu erschrecken, sagte er vielmehr im ruhigsten Tone:
»Eine Bazzaka, eine ganz kleine Bazzaka, gar nicht viel länger als mein Mittelfinger nur! Allah hat sie ebenso geschaffen, wie er uns geschaffen hat; wer könnte sich da grauen! Es wäre schade, jammerschade um die Süßigkeit. Ich werde dir einen andern Scherbet bringen lassen.«
Er nahm die Schnecke heraus, warf sie fort, trank die Limonade bis auf den letzten Tropfen aus und setzte sich dann wieder auf seinen Platz. Als dann der Somali Ersatz brachte, deutete ihm Lindsay durch eine sehr entschiedene Handbewegung an, daß er das Zeug gar nicht sehen, am allerwenigsten aber trinken möge, worauf der braune Jüngling es für weltgeschichtlich notwendig hielt, das verschmähte Getränk sich in das eigene Gemüt zu dirigieren. Als er dies vollbracht hatte, trat er mit seinem nackten Fuße die Schnecke breit und zog sich dann triumphierend zu seinem Kaffeefeuer zurück. Lindsay aber machte ein Gesicht, als ob die Qualen aller an unheilbarem Weltschmerz leidenden Menschenkinder in sein Inneres eingezogen seien, und seine Nase, die bekanntlich mit ihren Regungen sich zu den Gefühlen ihres Herrn in steter Kongruenz befand, hing trauernd ihre aus Abscheu vor der Bazzaka ganz weiß gewordene Spitze nieder. Diese doppelte Betrübnis machte einen so tiefen Eindruck auf den Wirt, daß er den in seinem Innern vollständig aus dem Gleichgewichte gebrachten Gentleman fragte:
»Ist dir übel geworden? Dann rate ich dir, einen Araki zu trinken.«
»Araki?« fuhr Lindsay auf. »Ja, einen Arak will ich haben, aber klein darf er nicht sein!«
»Er wird so groß sein, daß auch ich mit trinken kann.«
»Ich danke! Wenn du auch trinken willst, so laß einen für dich besonders kommen!«
»Auch so groß wie der deinige?«
»Ja.«
Da ertönte die Stimme des somalischen Mundschenken:
»Für mich auch einen?«
»Meinetwegen!«
»Ja!«
Da holte der Gar çon die Branntweinkulle herein, goß drei ziemlich große irdene Näpfe voll und verteilte diese nach der ihm sehr geläufig scheinenden Regel, »mir einen, dir einen und ihm auch einen«. Lindsay war diesesmal so vorsichtig, dem Napfe bis auf den Grund zu sehen. Als er nichts Bazzakaähnliches entdeckte, nahm er einen Schluck, eine zweiten und sogar noch einen dritten. Seine Wangen glätteten sich; das Herzeleid verschwand aus seinen vorher so tiefbetrübten Zügen, und seine Stimme hatte einen neubelebten Klang, als er lobend sagte:
»Der Araki ist gut, sehr gut!«
Das war das Zeichen für die Nase, sich auch wieder aufzurichten und ihre Spitze in holder Farbe frisch erröten zu lassen. Als der Wirt dies sah, trank er seinen Napf verständnisinnig aus und befahl seinem Untergebenen, ihn wieder voll zu machen. Dieser kam dem Befehle augenblicklich und über Erwarten nach, indem er nach seinem Herrn auch sich zum zweitenmal bedachte. Lindsay bemerkte das mit zufriedenem Lächeln, obgleich er wohl wußte, daß er der Bezahlende sein werde. Er forderte die beiden auf, soviel zu trinken, wie in ihrem Belieben stehe. Vielleicht hegte er die rachsüchtige Absicht, sie für die Schnecke in einen ganz unmuselmännischen Rausch zu versetzen. Der Wirt, welcher die Wirkungen des Raki eingehend studiert zu haben schien, fühlte sich durch die Güte seines Gastes zu der vertraulichen Mitteilung veranlaßt:
»Du bist ein Inglis und kennst also die Gesetze des Islam nicht. Vielleicht weißt du aber, daß uns der Genuß des Weines verboten ist. Doch Raki ist kein Wein. Raki ist ein Mah es Ssahha, und daher pflegt man ihn zum steten Wohle des Gebers auszutrinken. Erlaube also, daß ich sage: ›Sirreh mahabbehtak – auf deine Gesundheit!‹«
»Sirreh mahabbehtak!« beeilte sich der Somali auch zu sagen und dabei seinen Napf ebenso zu leeren, wie der Kaffeewirt den seinigen. Dann wurden beide wieder gefüllt.
Diese zwei Moslemin hatten Gurgeln wie irländische Vollmatrosen! Ich mag den Branntwein nicht leiden, und diese hastige Art des Trinkens erst recht nicht, doch wurde, wie sich später herausstellte, dieser Raki nicht nur zu Lindsays, sondern auch zu unserm wirklichen Wohle getrunken. Dabei unterhielt sich der Englishman, welcher jetzt nur zuweilen nippte, ganz ausgezeichnet mit den beiden Trinkern. Er blieb auch im Arabischen, wie er es in seiner Muttersprache gewohnt war, bei seiner eigenartigen, kurz abgerissenen Sprachweise; sie aber wurden je länger, desto redseliger und erzählten ihm eine Menge Dinge, die ihn gar nicht interessieren konnten; er hörte ihnen aber, wohl des Sprachstudiums wegen, ganz bereitwillig zu. Im Laufe des Gespräches wurden auch die in der Nähe stehenden Zollgebäude und die in ihnen beschäftigten Beamten erwähnt; dies führte die Rede auf die Steuern, den Zoll und schließlich auch auf den Schmuggel. Die Pascherei ist wohl für jedermann ein interessanter Gesprächsgegenstand; darum wurde Lindsay jetzt noch aufmerksamer, als er vorher gewesen war. Der Wirt bemerkte das und erzählte ihm, durch den Raki unvorsichtig gemacht, verschiedene Heimlichkeiten, aus denen hervorging, daß er über dieses verbotene Gewerbe mehr wußte, als er eigentlich sagen durfte. Auf den Somali hatte der Branntwein einschläfernd gewirkt; der Wirt aber war lebhaft geworden; er rühmte sich, sehr viel sagen und offenbaren zu können, wenn er nur wolle, und fügte sogar, die Hand ausstreckend, hinzu:
»Sieh diesen Ring an meinem Finger! Er ist stumm; aber wenn er einen Mund hätte, könnte er dir Geheimnisse mitteilen, von denen du gar keine Ahnung hast.«
Es versteht sich von selbst, daß ich bei der Erwähnung des Ringes Ohr war. Sollte es ein Ring der Sillan sein? Ich hatte nicht auf die Hände dieses Mannes geachtet. Auch Halef hörte mit großer Spannung zu. Er schob sich, damit ihm ja kein Wort entgehen möge, so nahe an die Flechtwand, daß sie sich laut knisternd bewegte. Lindsay bemerkte das und fragte den Wirt:
»Ist jemand da draußen? Ich höre ein Geräusch.«
»Allah 'l Allah!« antwortete der Kawehdschi. »Es sind zwei fremde Männer draußen, welche Kaffee trinken; das hatte ich ganz vergessen. Ihre Pferde stehen im Hofe, so kostbare Pferde, wie ich noch keine gesehen habe.«
»Aber doch nicht Radschi Pack?«
»Echtes Radschi Pack! Willst du sie vielleicht sehen?«
»Sehr gern.«
»So will ich sie dir zeigen. Komm!«
Sie standen auf und gingen hinaus. Ein solcher Pferdeliebhaber, wie David Lindsay war, ließ sich den Anblick echter Araber sicher nicht entgehen!
»Sihdi, was sagst du zu diesem großen Wunder?« fragte jetzt Halef. »Unser Inglis ist da! Was für Augen wird der machen, wenn er uns erblickt!«
Noch ehe ich antworten konnte, ertönte von der Thür her Lindsays erregte Stimme:
»Ich muß die Männer sehen, unbedingt sehen! Den einen Sattel kenne ich, kenne ich ganz genau. In dem Pferde kann ich mich irren; aber es gleicht dem herrlichen Rih, einem Hengste, denn ich –«
Er stockte mitten im Satze. Er war während dieser seiner Worte mit langen, eiligen Schritten, den Wirt hinter sich, durch den vorderen Raum gekommen und sah nun, an der Thüröffnung stehend, uns nebeneinander sitzen. Es ist mir unmöglich, sein Gesicht zu beschreiben, vollständig unmöglich! Er stand vor Ueberraschung starr vor uns, ohne Bewegung, wie eine Bildsäule. Sein Mund stand geöffnet; seine Augen waren weit aufgerissen, doch keine Lippe, keine Wimper zuckte.
»Sir David,« begrüßte ich ihn, indem ich aufstand; »welcome wieder hier in der alten, lieben Dschesireh! Wer hätte das geahnt!«
»Ja, willkommen, Mister Englishman!« ließ sich auch Halef hören, der diese beiden Ausdrücke glücklich aus seinem Gedächtnisse zusammenbrachte. Und noch einige hinzufindend, fügte er hinzu: »We are vor Freude, als wir dich kommen sahen, fast ebenso starr gewesen, wie du jetzt vor uns stehst. Kommst du direkt aus deinem native country? Oder hat Allah dich aus einem andern Lande zu uns geführt?«
Man sah es dem kleinen Hadschi an, daß er unendlich stolz auf diese früher aufgeschnappten paar englischen Worte war. Jetzt begann Lindsay sich zu bewegen. Er trat Schritt um Schritt auf mich zu, hob die Arme empor, breitete sie auseinander und schlang sie dann um mich, ohne dabei aber ein einziges Wort zu sagen. Ich war von diesem Beweise stummer, weil größter Freude tief, sehr tief gerührt und drückte den lieben Menschen fest an mein Herz. Da löste sich der Bann; er konnte wieder sprechen. Er sagte mit dem weichsten Tone seiner Stimme:
»Mr. Kara, Ihr seid hier, Ihr?! Ich sage Euch, dieses Wiedersehen ist mir in alle Glieder geschlagen. Ich möchte am liebsten weinen und bin doch froh, so froh! Das ist wirklich ein Schulknabenstreich, den mir mein altes Herz macht!«
»Laßt ihm seinen Willen! Das meinige hat auch nicht übel Lust zu solchen Streichen. Ich glaube, es möchte am liebsten Rad schlagen.«
»Das steht ihm aber auch besser an, denn es ist viel jünger als meins, dem ich eine solche Rührseligkeit gar nicht zugetraut habe. Und da ist auch Halef, der gewaltige Scheik und Tyrann der Haddedihn! Aber mit dem muß ich arabisch reden!«
Jetzt war es eine Lust, das Gesicht des Engländers zu beobachten. Vorhin hatte seine Nase über dem weit geöffneten Munde vor Erstaunen starr emporgestanden; nun war auch in sie wieder Leben gekommen. Wie seine Augen leuchteten, seine Wangen sich belebten und das Spiel seiner Mienen in reichem Wechsel arbeitete, so bekam auch sie wieder Farbe, und so zeigte auch sie jetzt eine Munterkeit der Bewegung, welche jeden, der so etwas noch nicht gesehen hatte, in lachendes Erstaunen setzen mußte. Sprach er mit Halef, so neigte auch sie sich der Seite zu, auf welcher der Hadschi stand; wendete er sich zu mir, so schwenkte sie auch nach mir herüber. Lachte er, so geriet sie in heitere Zuckungen, und gab er seiner Freude einen sinnig ernsten Ausdruck, so stand sie andächtig lauschend still. Der Wirt, welcher dieser Scene beiwohnte, hatte keinen Blick für uns, sondern seine Augen nur für diese wunderbare Nase, welche mit den Gedanken und Gefühlen ihres Besitzers stets vollständig übereinstimmte und nicht, wie andere Nasen, sich erlaubte, zuweilen eigenmächtige Stimmungen oder gar katarrhalische Besonderheiten zu haben. Nur damals, als sie an der Aleppobeule laborierte, hatte sie sich gegen seinen Willen eine Extravaganz erlaubt, die ihr aber auch nicht gut bekommen war und zur Strafe ein für das ganze Leben bleibendes Andenken zurückgelassen hatte.
Während der ersten Aufregung des Wiedersehens waren die Eigenheiten des Lords nicht hervorgetreten, doch sobald er sein inneres Gleichgewicht nur einigermaßen wiedergefunden hatte, machte sich zunächst seine abrupte Ausdrucksweise geltend. Wir hatten uns noch nicht wieder niedergesetzt, als er in derselben zu mir sagte:
»Ist eigentlich ein Festtag, ein großer Festtag heut. Möchte einen Vorschlag machen.«
»Welchen?« fragte ich, nun auch kurz.
»Müssen ihn feiern, unbedingt feiern.«
»Wodurch?«
»Durch einen Willkommentrunk.«
»Hier? Wo man nichts bekommen kann!«
»Nichts? Ist großer Irrtum. Habe einen Gedanken, einen famosen Gedanken!«
»Den möchte ich hören!«
»Entweder Grog oder Punsch. Arak ist da, Wasser, Zucker und Feuer auch. Citronen wird der Wirt dazu schaffen können. Einverstanden?«
»Ja, doch nur unter der Bedingung, daß wir ihn selber brauen!«
»Natürlich! Werde den Koch machen. Habe an der einen Bazzaka genug gehabt; mag keine wieder. Habt es wohl gesehen?«
»Ja.«
»Und mich ausgelacht?«
»Ein wenig.«
»Pfui! War schauderhaft! Werde lebenslang daran denken. Nun aber der Punsch!«
Er wendete sich zu dem Wirte und erfuhr, daß er alle zu dem gewünschten Getränke nötigen Bestandteile haben könne und auch selbst kochen dürfe. Es war eigentlich eine kühne Idee, hier im Süden einen Grog brauen zu wollen, aber sie wurde ausgeführt. Während Lindsay sich als Küchenchef in seiner vollen Glorie zeigte und der Somali ihm die dabei nötigen Handreichungen leistete, sah der Wirt, auf seinem Kissen sitzend, ihm mit fachmännischer Neugierde zu. Ich betrachtete seine Hände und bemerkte da freilich einen Ring. Er war von Silber und die Platte schien auch wirklich achteckig zu sein; genau konnte ich es aus der Entfernung nicht erkennen; ich mußte auf eine Gelegenheit warten, der Hand näher zu kommen.
Als der Grog fertig war, gab es keine Gläser. Da stand Kahwedschi auf, um andere passende Gefäße herauszugeben. Er brachte thönerne Becher aus einem Kasten, und ich trat schnell hin, sie ihm abzunehmen. Ich konnte dabei den Ring unauffällig betrachten. Ja, die Platte hatte acht Ecken und trug die bekannten Zeichen, ein Sa mit einem Lam verbunden, worüber das Verdoppelungszeichen stand. Der Mann gehörte also der geheimen Gesellschaft an; er war ein Sill.
Das Getränk war dem Lord vortrefflich gelungen; er bot in seiner freigebigen Weise dem Wirte und dem Somali auch ihr Teil, und als er sah, wie entzückt sie von dem ihnen bisher unbekannten Labsal waren, erlaubte er ihnen, sich auf seine Rechnung eine neue Auflage zu bereiten; wie es gemacht wurde, hatten sie ja gesehen. Wir aber begaben uns, um von etwa jetzt kommenden Gästen nicht gestört zu werden, wieder in die kleine, abgesonderte Stube. Sobald wir dort beisammen saßen, that Lindsay einen tiefen Zug aus seinem Becher und sagte, zu meiner Genugthuung in arabischer Sprache, doch auch in seiner kurzen Weise, die ich deutsch wiederzugeben suche:
»Muß Euch zunächst ein Rätsel aufgeben. Wollt ihr raten?«
»Ich nicht,« antwortete Halef schnell.
»Warum nicht?«
»Weil Allah mir die Vorzüge meines Geistes und die Vortrefflichkeiten meiner Seele nicht dazu verliehen hat, erst lange und ganz unnötigerweise nach etwas zu suchen, was ein anderer schon weiß und mir also doch lieber gleich sagen kann.«
»Schön! Aber du?«
Diese Frage war an mich gerichtet. Der Lord nannte mich, da er arabisch sprach, natürlich du. Ich antwortete:
»Muß es denn geraten sein? Und warum Rätsel jetzt, wo wir doch wohl Besseres und Nötigeres zu reden haben?«
»Rätsel ist auch nötig, wirst es aber wohl nicht lösen können; ist zu schwer.«
»Na, da will ich es doch einmal hören!«
»Gut! Es heißt: Wo komme ich her?«
»Das ist kein Rätsel, sondern nur eine Frage.«
»Mir auch recht. Aber kannst du sie beantworten?«
»Nein, denn ich bin nicht allwissend.«
»Well! So will ich es sagen: Ich war bei dir.«
»Bei – mir –?« sagte ich erstaunt.
»Bei dir; das heißt, in deiner Wohnung.«
»Wann?«
»Vor kurzem.«
»So kommst du aus Deutschland?«
»Yes.«
»Das ist interessant! Suchtest Du mich dort?«
»Yes.«
»In bestimmter Absicht?«
»Natürlich! Wollte mit dir reisen. Letzter Brief von dir wurde mir aus Capstadt nachgeschickt. Stand drin zu lesen, daß du zu Halef und nach Persien wolltest. Wünschte auch, Halef wiederzusehen, nach Teheran, Isfahan, Schiras zu gehen. Kam, als damalige Reise beendet war, nach Deutschland. Wollte dich abholen; warst aber schon fort.«
»Ach, nun errate ich! Du bist mir schleunigst nach?«
»Nicht eigentlich nach. Kannte deinen Weg ja nicht. Dummer Kerl, dein Wirt; konnte mir nicht sagen, welche Route!«
»Er ist nicht mein Vertrauter!«
»Well! Mußte also eigenen Weg nehmen: Wien, Triest mit Bahn; Triest, Suez, Bombay mit Schiff; Bombay, Buschehr, Bagdad wieder mit Schiff; dann Haddedihn suchen und nach dir fragen.«
»Das ist ja außerordentlich kühner Plan!«
»Kühn! Pshaw!« sagte er wegwerfend.
»Ja, doch kühn! Von Bagdad zu den Haddedihn, deren Weideplätze man erst suchen muß, ist's ein gefährlicher Weg.«
»Bin kein Kind!«
»Das weiß ich; aber ob Mann oder Kind, die Gefahr ist doch da. Es ist auf alle Fälle ein Glück, daß wir uns hier auf eine so fast wunderbare Weise getroffen haben!«
»Well! Dampfer legte für fünf Stunden hier an. Habe Bord verlassen, weil es dort zu langweilig ist.«
»Ja, hier im Kahwe ist es bei Raki und Bazzaka kurzweiliger gewesen!«
»Bitte, still! Mag von Schnecke kein Wort hören. Ihr seid unterwegs?«
»Ja.«
»Nach Persien?«
»Ja.«
»Well! Ich gehe mit!«
»Ich denke, du willst nach Bagdad und dann zu den Haddedihn!«
»Mach keine schlechten Witze! Doch, ah, ich verstehe; habe nicht gefragt, ob Ihr mich wollt! Werde es also nachholen. Darf ich mit?«
»Ja,« antwortete ich in der von ihm gewünschten Kürze.
»Welches die erste persische Stadt?«
»Schiras.«
»Wann von hier fort?«
»Jetzt, nachher, sobald der Fährmann kommt.«
»Fährmann? Hm! Wartet! Bin gleich wieder da!«
Er sprang auf und ging so eilig fort, daß ich gar keine Zeit fand, ihn zu fragen, wohin er wolle. Jedenfalls nach seinem Dampfer, um die Fahrt abzubrechen und sein Gepäck zu holen.
»Sihdi, der macht es kurz,« lachte Halef. »Fast hätte er gar nicht erst gefragt, ob wir ihn gern mitnehmen oder nicht. Wer weiß, ob er, wenn er uns nicht getroffen hätte, bis zu den Haddedihn gekommen wäre! Er glaubt nicht an die Gefahren, welche zu beiden Seiten dieses Weges lauern. Sag mir aufrichtig, ob es dir lieb ist, daß wir ihn mitnehmen sollen.«
»Wenn ich ehrlich sein will, muß ich gestehen, daß ich mich in den Gedanken eingelebt habe, nur dich allein bei mir zu haben.«
»Ich danke dir, Effendi! Ich wollte, er wäre in seinem native country geblieben.«
»In dieser Weise will ich es doch nicht meinen. Du mußt bedenken, er ist ein sehr vornehmer Herr und seine Freundschaft eine sehr ehrenvolle Auszeichnung. Auch sind die Vorzüge seines Geistes und seines Herzens hoch anzuschlagen, und was die Hauptsache ist, ich habe ihn lieb. Ich gebe zu, daß infolge seiner Begleitung wohl manches anders werden wird, als es sich ohne ihn gestalten würde. Wir werden oft Rücksicht auf ihn und seine Eigenheiten zu nehmen haben; aber das wird alles ausgeglichen durch die vortrefflichen Eigenschaften, welche ihm unsere Achtung und Zuneigung erworben haben. Ich will also, Für und Wider gegeneinander abgewogen, sagen, daß es sich gleich bleibt, ob wir zu Zweien oder zu Dreien sind.«
»Wenn du so sprichst, will ich mich darein finden, nicht dein einziger Gefährte sein zu dürfen. Horch, Effendi, was Euer Raki mit heißem Zuckerwasser für eine fromme Wirkung hat!«
Der Wirt sang draußen in einem fort »Allahhu, Allahhu, Allahhu!« Er ahmte die heulenden Derwische nach, und der traute Ostafrikaner schrillte in den höchsten Fisteltönen allerlei dummes Zeug dazu. Es war ohrenzerreißend und nervenzersägend, aber hier an den vereinigten Wassern des Euphrat und Tigris schatt-el-arabisch schön!
Als ich dem Hadschi jetzt mitteilte, daß der Wirt den Ring der Sillan am Finger trage und also wohl zur geheimen Bruderschaft der »Schatten« gehöre, sagte er schnell:
»So erlaube, daß ich meinen Ring auch anstecke und ihn diesem Manne wie zufällig sehen lasse! Ich möchte sehr gern wissen, was er dann thun oder sagen wird.«
»Hm, wir dürfen mit diesen Ringen nicht spielen, lieber Halef!«
»Das weiß ich gar wohl; aber du hörst ja, daß er betrunken ist; es ist also gar keine Gefahr dabei, denn wenn er wieder nüchtern geworden ist, wird er nichts mehr wissen. Vielleicht erfahren wir etwas.«
»Das ist freilich möglich. Nur darf ich mich nicht für einen Sill ausgeben, weil er uns vorhin zugehört hat und also wahrscheinlich weiß, daß ich ein Europäer bin.«
»Genügt es denn nicht, daß ich mit ihm spreche? Mich kann er für keinen Franken halten.«
»Wenn du vorsichtig wärst, ja, dann!«
»Das werde ich sein, Sihdi. Darf ich?«
»Gut, ich denke auch, daß die Sache für uns ganz unbedenklich ist, und will dir den Spaß nicht verderben. Er hat einen Rausch und könnte uns auch ohnedies nichts schaden, weil wir diese Gegend ja heut verlassen und dann über die Grenze gehen. Aber wenn du sagst, du seiest ein Sill, so darf er ja nicht denken, daß ich oder Lindsay als deine Gefährten etwas davon wissen. Verstanden?«
»Ja. Ich werde so geheimnisvoll thun, als ob ich in Wirklichkeit ein Mitglied dieser Verbindung sei. Wann soll ich zu ihm gehen? Jetzt?«
»Nein, sondern erst dann, wenn Lindsay zurückgekehrt ist. Jetzt würde es auffallen, daß du mich allein lässest und hinter meinem Rücken mit ihm von Dingen plauderst, die ich nicht wissen darf.«
»Hoffentlich kommt der Inglis bald wieder, denn wenn der Fährmann erscheint, müssen wir bereit sein, sonst bekommt er das Bedürfnis, noch einmal auszuruhen. Hattest du eine Ahnung, daß Lindsay dich in deiner Heimat aufsuchen werde?«
»Nein. Er hat mich nicht davon benachrichtigt. Ich schrieb ihm, daß ich die Absicht hätte, nach Persien zu gehen und dich mitzunehmen. Da ist in ihm der Wunsch erwacht, sich uns anzuschließen. Daß wir damit einverstanden sein würden, hat er für ganz selbstverständlich gehalten. Solche Herren leben ja immer in dem Glauben, daß alles, was sie sprechen, thun und wollen, von anderen Leuten als Gesetz betrachtet wird. Er kennt meine Wohnung, die ich behalte, selbst wenn ich jahrelang auswärts auf Reisen bin, und ist gekommen, um mir ganz einfach zu sagen, daß er mich begleiten werde. Da ich schon fortgewesen bin, ist er auf dem kürzesten Wege oder vielmehr mit der schnellsten Gelegenheit hierher gefahren, um mich aufzusuchen. Sich vorher zu fragen, ob mir das lieb sein werde oder nicht, das ist ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Das gesellschaftliche Leben aller Länder und Völker wird von einem Paragraphen beherrscht, welcher lautet: Vornehme Leute stören nie! Wenn du das noch nicht weißt, so merke es dir!«
»Das habe ich nicht nötig, denn als oberster Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar gehöre ich selbst ja auch zu den vornehmsten Personen vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne, so daß kein englischer Lord sich einbilden darf, höher zu stehen als ich, der ich ein freier und unumschränkter Beherrscher freier Männer bin. Ich gehöre also selbst zu denjenigen Personen, welche niemals stören. Wem Allah die hohe und unschätzbare Gabe verliehen hat, eine so große Menge tapferer Beduinen zu beherrschen, der kann sich getrost an die Seite der Kaiser, Könige und sonstigen allerhöchsten Regenten stellen, und ich bin der Ueberzeugung –«
Hier unterbrach ich ihn mit irgend einer Bemerkung, denn wenn er auf dieses Thema geriet, so mußte man ihm den Faden der Rede schnell zerschneiden, sonst spann er ihn bis in die Unendlichkeit hinein. Er ging zwar über meinen Einwurf rasch hinweg und griff den Faden wieder auf, aber glücklicherweise kehrte Lindsay jetzt zurück, wodurch Halef zu seinem Leidwesen gezwungen wurde, vom Thema seiner unzählbaren Vorzüglichkeiten abzulassen. Da der Lord, einen Mantel abgerechnet, den er am Arme hängen hatte, gerade so wieder kam, wie er gegangen war, so fragte ich ihn nach seinem Gepäck.
»Gepäck?« antwortete er. »Habe keins.«
»Wirklich keins?«
»Yes. Bin früher so dumm gewesen, mich mit einer Menge von Sachen zu schleppen, und habe mich trotzdem für einen tüchtigen Globetrotter gehalten. Habe aber von dir gesehen, wie man es machen muß. Mache es nun ebenso: Anzug auf dem Leibe, Mantel, Waffen, Geld, weiter nichts.«
»Aber wie steht es mit dem Pferde?«
»Habe keins.«
»So müssen wir hier eins kaufen.«
»No!«
»Nicht? Warum? Basra hat Pferdeausfuhr nach Indien. Es giebt also hier eine ganz gute Gelegenheit, dem Mangel abzuhelfen.«
»Mag keins von hier; will persische Rasse; diese einmal versuchen. Werde also erst kaufen, wenn wir drüben sind.«
»Das geht aber nicht. Du kannst doch nicht neben uns herlaufen. Und selbst wenn du dir diese Absonderlichkeit leisten wolltest, würdest du es nicht aushalten. Der Weg über das Gebirge hinüber ist weit und sehr beschwerlich.«
»Welches Gebirge?«
»Ich meine da hier hinüber die Berge von Chusistan.«
»Chusistan? Haben nichts mit Chusistan zu thun!«
»Wiefern?«
»Werden überhaupt nicht reiten!«
»Wer sagt das?«
»Ich. Werden fahren.«
»Fahren? Womit? Hier giebt es keine Postchaisen.«
»Schlechter Witz! Werden per Schiff fahren.«
»Ah – so?!«
»Yes. Liegt ja ein Dampfer draußen. Geht gegen Abend ab, nach Bombay. Wird uns in Buschehr absetzen.«
»Wer sagt das?« fragte ich wieder.
»Ich –« antwortete er. »Habe bereits drei Plätze bezahlt. Mit Kapitän gesprochen. Alles abgemacht!«
»Wer hat dich dazu beauftragt?«
»Beauftragt?« fragte er, mit dem Kopfe hoch emporfahrend, die Stirn in Falten ziehend und mich aus zusammengezogenen Augen erstaunt ansehend. »Denke nicht, daß es einer besonderen Beauftragung bedurfte, sondern glaubte, es so ganz richtig zu machen! Wolltet ihr denn nicht per Schiff nach Buschehr hinunter?«
»Nein.«
»Well, hätte das wissen sollen!«
»Du konntest es erfahren, indem du uns fragtest!«
»Yes, ist richtig; aber unter Reisegefährten rechnet man nicht so genau. Da die Plätze bezahlt sind, werden wir fahren.«
»Ist das wirklich so bestimmt, wie du meinst?«
»Yes.«
»Wenn ich nun nicht darauf eingehe?«
»Ist gar nicht möglich. Würde eine Beleidigung für mich sein. Was sagt Halef dazu?«
»Ich thue das, was mein Effendi thut,« antwortete der kleine Hadschi.
»Well, so fahren wir. Werde doch nicht unnötig bezahlt haben sollen!«
Da er mich bei diesen Worten fragend ansah, gab ich den Bescheid:
»Gut, gehen wir also per Dampfer nach Buschehr. Der Weg von dort nach Schiras ist ja auch ganz interessant. Wenn du mit dem Wirte sprechen willst, Halef, jetzt ist es Zeit.«
»Ja, ich gehe jetzt hin,« nickte er, »und werde mich so verhalten, daß ich deine Zufriedenheit erlange, Sihdi. Du weißt, eine Dummheit sage ich nicht!«
Ja, das wußte ich freilich. Unüberlegt zu handeln, das fiel ihm gar nicht schwer, aber im Gebrauche der Zunge besaß er eine desto größere Meisterschaft. Als er sich entfernt hatte und ich längere Zeit schweigend vor mich hingeblickt hatte, fragte Lindsay, und zwar in englischer Sprache:
»Warum redet Ihr nicht? Habt wohl schlechte Laune? Was?«
»Bitte, Launen habe ich nie!«
»Woher dann aber dieses Gesicht und diese Augen? Möchte wetten, daß Ihr etwas gegen mich habt.«
»Diese Wette würdet Ihr freilich gewinnen. Aber eine ›Laune‹ ist es nicht. Ich kann überhaupt launenhafte Menschen nicht leiden. Wenn mich etwas verdrießt, sage ich es frei und ehrlich vom Herzen herunter, und dann ist es wieder gut.«
»Well! Also herunter damit! Was ist's?«
»Diese Frage sollte eigentlich gar nicht notwendig sein. Ihr müßtet auch ohne jedes Wort von mir wissen, was ich gegen Euch habe.«
»Kann es mir aber doch nicht denken. Sollte es sein, weil ich die Schiffsplätze genommen habe?«
»Natürlich ist es das!«
»Aber Ihr seid doch darauf eingegangen, ohne darüber zu räsonieren!«
»Dazu hatte ich zwei Gründe. Erstens waren die Plätze bezahlt; man bekommt das Geld nicht wieder; es gab also an der Sache nichts zu ändern. Und zweitens wollte ich Euch nicht vor Halef blamieren.«
»Blamieren? Oho! Das ist ein sehr kräftiges Wort, Mr. Kara!«
»Aber das richtige. Ich halte es für notwendig, Klarheit zwischen uns zu schaffen. Ich liebe es nicht, wenn ohne mein Wissen über mich disponiert wird. Ich bin weder ein Bedienter, über dessen Person man nach Belieben verfügen kann, weil man ihn bezahlt, noch eine Puppe, die sich an Fäden ziehen läßt. Ich will gefragt sein. Das müßt Ihr Euch ein für allemal merken!«
Da zog er die Brauen hoch empor, welcher Bewegung seine erstaunte Nase sofort folgte, und sagte:
»Sollte ich erst hierher laufen, um wie ein Knabe um Erlaubnis zu bitten?«
»Das sind sehr unpassende Worte, Sir. Ihr kennt meine Art, zu reisen. Ich bewege mich nicht auf den breitgetretenen, ungefährlichen Wegen anderer, denn ich will die Bücher, welche ich schreibe, nicht mit den Resultaten wohlfeiler Erkundigungen füllen, sondern nur das erzählen, was ich selbst erlebt, geprüft und gesehen habe. Ich bin keiner der subventionierten Herren, welche unter hohem Schutze mit großem, Aufsehen erregendem Trosse bequeme Pfade ziehen und dann, wieder heimgekehrt, einen Vortrag auswendig lernen, um mit ihm, Stadt für Stadt abklopfend, Geld zu machen. Ich reise, um allüberall, im Urwalde, in der Steppe, der Wüste, im Leben der Verachteten und Bedrängten, im Herzen des sogenannten Wilden die Spuren Gottes, die Wahrzeichen und Beweise der ewigen Liebe und Gerechtigkeit zu suchen, denn meine Bücher sollen zwar Reisebeschreibungen, aber in dieser Form Predigten der Gottes- und Nächstenliebe sein. Darum gehe ich meine eigenen Wege und bewege mich in meiner eigenen Weise; ich lebe und reise von meinen eigenen Mitteln, verlasse mich nächst Gottes Schutz auf meine eigene Kraft und lasse mich von keinem andern Willen als meinem eigenen dirigieren. Wer sich mir anschließt, hat sich in diese meine Eigenheit zu finden, sonst kann ich ihn nicht brauchen. Ich mag nicht das am Zügel gelenkte Pferd, sondern ich will der Reiter sein, und wer da glaubt, wie vorhin Ihr, mich durch ein Fait accompli willenlos und ihm gefügig zu machen, der mag diese Probe nicht zum zweitenmal versuchen; er würde sich in mir täuschen! Ich bin gewohnt, selbständig zu handeln und werde selbst dem besten Freunde nie gestatten, ohne meine Erlaubnis über mich zu verfügen.«
Lindsay machte ein sehr verlegenes Gesicht. Die Falten seiner Stirn bildeten längst schon keine hohen Bogen mehr; er hatte den Kopf gesenkt und die vorher so stolz erhobene Nase war tief zerknirscht zusammengesunken.
»Es war aber ja ganz gut gemeint!« entschuldigte er sich.
»Das weiß ich wohl; drum habe ich in Halefs Gegenwart geschwiegen und Euch nun jetzt unter vier Augen meine Meinung gesagt. Ihr habt Euch früher stets nach mir gerichtet und müßt zugeben, daß dies stets zu Eurem Vorteile war. Seit jener Zeit seid Ihr als selbständiger Mann gereist und habt Euch angewöhnt, zu handeln, ohne andere zu fragen. Das ist der leicht erklärliche Grund Eurer Eigenmächtigkeit, und darum sage ich Euch meine Meinung nicht in zornigen, sondern in ganz ruhigen Worten. Jetzt aber seid Ihr nicht mehr Euer eigener Herr; ich bin nicht Euer, sondern Ihr seid mein Begleiter; das gebe ich Euch zu bedenken.«
»Soll das heißen, daß ich gar keinen Willen haben darf?«
»Nein; aber wenn drei Personen eine weite, beschwerliche und wohl auch oft gefährliche Reise zusammen unternehmen, so versteht es sich ganz von selbst, daß keiner von ihnen ohne Wissen der andern wichtige Bestimmungen treffen darf; es muß alles einmütig geschehen; das ist es, was ich wünsche. Ihr sagtet vorhin, daß man unter Reisegefährten nicht so genau zu rechnen brauche; das ist grundfalsch; ich halte es vielmehr für sehr notwendig, daß jeder Gefährte die Rechte der andern sehr genau beachte und auf sie Rücksicht nehme. Ihr behauptet ferner, es würde eine Beleidigung für Euch sein, wenn wir uns Eurer Anordnung nicht fügten. Ich sage Euch dagegen, daß es eine Beleidigung für uns war, diese Anordnung ohne unser Wissen zu treffen!«
»Well, hm, mag wahr sein! Will es also nur sagen: Ihr solltet nicht zu zahlen brauchen!«
»Das weiß ich ja; aber ist grad der Punkt, wohin ich mein Fragezeichen setze, weil ich nicht wünsche, daß ein Ausrufezeichen daraus werde. Ihr kennt mich da von früher her. Ich will vor allem auch in dieser Beziehung mein eigener Herr sein und teile Euch darum ganz aufrichtig meine Ansicht mit, daß pekuniäre Unselbständigkeit fast sicher auch andere Arten von Abhängigkeit nach sich zieht.«
»Aber, Mr. Kara, ich bin reich, tausendmal reicher als Ihr! Soll ich da nicht das Vergnügen haben, Euch dann und wann etwas zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern, was Euch sonst schwer fallen oder gar unmöglich sein würde? Es ist das für mich ja eine Kleinigkeit, grad so, wie wenn ein Pferd beim Füttern einige Körner verliert, die von einem Sperling aufgetippt werden.«
»Danke herzlich für diesen vortrefflichen Vergleich!« lachte ich.
»War nicht so, sondern anders gemeint! Sehe ein, daß ich auch ein aufrichtiges Wort bringen muß. Hört mich ruhig an!«
»Sehr gern!«
»Wenn ich in meine volle Tasche greife, um einige armselige Piaster für Euch auszugeben, so wollt Ihr mir das nicht gestatten. Ich aber soll es mir ruhig gefallen lassen, daß Ihr in Euern Kopf, in Eure Kenntnisse, in Eure reichen Erfahrungen greift und für mich mit Eurer geistigen, intellektuellen Münze nur so um Euch werft! Münze ist Münze; ob aus den Schätzen Eures Verstandes oder aus unserer Bank von England entnommen, das bleibt sich gleich. Soll ich welche von Euch annehmen, so muß auch ich von der meinigen ausgeben dürfen, wenn ich mich nicht als armer Almosenempfänger fühlen soll; das müßt Ihr doch einsehen! Oder nicht?«
»Ich will zugeben, daß das, was Ihr da gesagt habt, nicht ohne einige Berechtigung ist, und will, so wie ich es früher nicht war, auch jetzt nicht dagegen sein, daß Ihr zuweilen einmal in Eure wohlgefüllte Tasche greift; aber Ihr dürft damit nicht die Ansicht verbinden, daß dies ohne unser Wissen geschehen kann und gar vielleicht Euch die Berechtigung verleiht, uns wie heut, mit vollendeten Thatsachen, denen wir nicht zugestimmt hätten, zu überraschen. Für diesesmal sollt Ihr unsere nachträgliche Zustimmung erhalten; bei einer Wiederholung dieses Falles aber würdet Ihr nur den Erfolg haben, ohne unsere Gesellschaft auf Eurer Thatsache sitzen zu bleiben. So, nun mag diese heikle Angelegenheit abgethan sein. Ihr habt es gut gemeint und ich meine es mit meinem Tadel auch nicht schlecht, denn ich habe ihn nur ausgesprochen, um späteren Unannehmlichkeiten zu begegnen. Wo habt Ihr denn eigentlich Eure überraschende Kenntnis der arabischen Sprache her?«
Da hellte sich sein verdüstertes Gesicht schnell auf; die Nase machte einen frohen Seitensprung, und er antwortete:
»Nicht wahr, das hat Euch überrascht?«
»Außerordentlich!«
»Habt mir's gar nicht zugetraut?«
»Aufrichtig gesagt, nein.«
»Well! Habe mich auch riesig auf Eure Verwunderung gefreut! Meine Reise damals mit Euch war die schönste und interessanteste von allen, die ich unternommen habe. Ist mir nie aus der Erinnerung gekommen. Sehnte mich förmlich, alle die Orte einmal wiederzusehen. Nahm mir also vor, den ganzen Weg noch einmal zu machen. Dazu gehörte aber die Sprache, die ich nicht verstand. Beschloß darum, sie zu erlernen. Wandte mich nach Oxford, Universität; verschrieb mir einen Lehrer. Mußte mich begleiten, auch während der Reise unterrichten. War ein tüchtiger Kerl und hat sich viel Mühe gegeben. Habe aber auch gearbeitet wie ein Stier, Tag und Nacht! Wundere mich, daß mein Kopf noch ganz ist, keine Löcher und Sprünge bekommen hat! Ist eine heidenmäßig schwere Sache, diese arabische Sprache. Bin sehr oft ganz konfus gewesen; habe Flinte tausendmal wegwerfen und ausreißen wollen. Bin in Wut geraten, ganz verzweifelt gewesen, habe nicht essen, nicht schlafen können. Riesige Kopfschmerzen, schlechte Verdauung, Augenflimmern, Ohrensausen; habe mich ganz elend gefühlt, unendlich jämmerlich. Dachte aber an Euch, an Eure Ausdauer, Energie; malte mir aus, Ihr säßet bei mir und nicktet mir aufmunternd zu. Das half. Bin mit jedem Tag arabischer geworden, bis mir sogar einmal träumte, ich sei ein Beduinenscheik und zähle meinen Schafen und Kamelen das große Einmaleins arabisch vor. Da schriebt Ihr mir, Ihr wolltet hierher. War natürlich sofort fest entschlossen, mitzumachen, und lernte nun mit doppelter Wut, wie eine Windmühle im Sturme oder eine Maus, hinter der die Katze ist. War riesenhaft stolz auf den Erfolg. Habe mir tausendmal Euer Gesicht ausgemalt, wenn Ihr hören würdet, was ich leiste. Fand Euch leider nicht daheim, bin also hierher. Habe Euch hier getroffen; aber anstatt mich an Eurem Staunen weiden zu können, habe ich Vorwürfe zu hören bekommen. Ganze Freude ist in das Wasser gefallen und total ertrunken! Sehe aber ein, daß ich selbst schuld bin. Hätte Euch erst fragen sollen, welchen Weg Ihr nehmen wolltet. Wird nicht wieder vorkommen; gebe Euch mein Wort darauf!«
Da reichte ich ihm die Hand und sagte:
»Diese Freude habe ich Euch natürlich nicht verderben wollen. Ich war außerordentlich überrascht und wollte meinen Ohren nicht trauen, als ich Euch so fließend arabisch sprechen hörte. Ich weiß am besten, wie groß die Mühe gewesen ist, die Ihr darauf verwendet haben müßt, und es kann mir nicht einfallen, Euch die wohlverdiente Anerkennung vorzuenthalten. Ihr müßt ja geradezu wie ein Pferd gearbeitet haben!«
»Pferd? Ist viel zu wenig gesagt!« verbesserte er, indem infolge meines Lobes sein ganzes Gesicht vor Wonne strahlte und seine Nase eine vergnügt horchende Lage einnahm. »Habe mit dem Kopf gearbeitet. Muß also nicht Pferd sondern Ochse heißen! Darf also annehmen, daß Ihr zufrieden mit mir seid?«
»Sehr zufrieden!«
»Gute Leistung von mir?«
»Großartige Leistung sogar!«
»Well! Damit ist alles gut, alles wieder gutgemacht! Wenn Kara Ben Nemsi meine Leistung großartig nennt, so ist das die beste Belohnung, die ich finden kann. Möchte diese Heidenarbeit aber nicht zum zweitenmal machen. Würde ganz gewiß überschnappen! Habe meinen armen Kopf sehr oft für eine alte Pauke gehalten. Was hat da alles hineingemußt! Sukuhn, Hamza, Teschdid, Madd, Singular, Dual, äußerer Plural, innerer Plural, ana, inte, huwa, ihna, intu, huma, wahid, marra, auwal, dreiradikaliges Verbum, vierradikaliges Verbum, massives Verbum, konkaves Verbum, defektes Verbum – – wer da den Verstand nicht verliert, der hat entweder sehr viel oder gar keinen Geist! Fühle mich aber auch wie neugeboren, daß ich das alles glücklich überwunden habe. Nun sagt mir doch auch einmal, ob ich gut oder fehlerhaft spreche!«
»Welcher Meinung war Euer Lehrer über diesen Punkt?«
»Dummer Kerl! Lachte mich aus!«
»Ihr habt ihn vorhin aber doch einen sehr tüchtigen Kerl genannt!«
»War er auch; nur in dieser Beziehung nicht! Sagte immer, ich spräche englisch mit schlecht gewählten arabischen Worten. Behauptete auch, ich würfe zu viel englische Partikel hinein. Was soll ich aber denn mit meinen Partikeln machen, wenn ich sie einmal habe? Das war doch unrecht von ihm. Nicht?«
»Recht wird wohl der haben, der da weiß, daß kein Meister vom Himmel gefallen ist. Man darf nicht denken, daß man fertig sei, sondern man muß sich üben, immerfort weiterüben.«
»Das thue ich auch! Habe mich sogar heut geübt, mit dem Wirte da draußen. Wollte einmal hören, wie die Sprache des Arabers klingt, wenn er betrunken ist.«
»Außerordentlich löbliches Unternehmen!«
»Mag sein! Nehmt Ihr es mir übel?«
»Nein. Vielleicht ist es sogar vorteilhaft für mich, daß Ihr ihm einen Haarbeutel aufgesetzt habt.«
»Wieso?«
»Davon werden wir später sprechen; es gehört eine lange, aber sehr interessante Erzählung dazu. Wir haben nämlich schon sehr viel erlebt, und zwar Dinge, welche wahrscheinlich noch gar nicht zu Ende sind. Halef wird Euch alles berichten, und ich glaube, daß Ihr den Faden dann mit uns weiterspinnen werdet. Für jetzt ist es notwendig, zu wissen, ob Ihr wirklich die Absicht habt, Euch erst drüben in Persien ein Pferd anzuschaffen?«
»Ja; eher nicht.«
»Wo?«
»Vielleicht Schiras.«
»Aber wir müssen doch von Buschehr bis Schiras reiten!«
»Nehme ein Mietspferd.«
»Das ist für uns unbequem; aber da Ihr es einmal wollt, müssen wir Euch Euern Willen lassen.«
»Wenn ich hier eins kaufte, müßte ich es per Schiff hinübertransportieren lassen wie Ihr die eurigen. Das kann ich umgehen.«
»Das ist freilich wahr. Hoffentlich bekommt Ihr dort etwas Preiswürdiges. Da wir echtes Blut reiten, dürft auch Ihr nicht schlecht beritten sein, sonst kommt Ihr nicht mit uns fort.«
»Habt keine Sorge! Kaufe nichts Schlechtes. Geld ist da! Wer ist der Kerl?«
Diese Frage galt dem Fährmann, welcher jetzt endlich kam, um uns zu benachrichtigen, daß er nun bereit sei. Wir hatten ihm gesagt, daß er uns im Kahwe finden werde. Nun brauchten wir ihn nicht. Es war vorauszusehen, daß er in echt orientalischer Weise eine Entschädigung dafür verlangen werde; darum antwortete ich, als er seine Aufforderung, jetzt mitzukommen, ausgesprochen hatte:
»Hast du dich denn schon ausgeruht?«
»Ja,« nickte er.
»Aber wir noch nicht. Wir waren noch viel müder als du und müssen also noch länger sitzen bleiben.«
»Aber ich habe grad jetzt Zeit!«
»Wir noch nicht!«
»Ihr könnt auf der Fähre ebenso ruhig sitzen wie hier!«
»Ganz dasselbe haben wir dir vorhin auch gesagt. Wir wollten rudern, und du solltest dich pflegen; das beliebte dir aber nicht. Jetzt sind wir es, denen es nicht paßt.«
»Später fahre ich Euch nicht!«
»So lässest du es bleiben!«
»Ihr habt mir ein Bakschisch für das Warten zu zahlen!«
»Sehr gern! Wieviel verlangst du?«
»Fünf Piaster. Ich denke, daß Ihr das sehr billig finden werdet!«
»Es ist billig; ich hätte mehr verlangt. Gieb also die fünf Piaster her!«
»Ich?« fragte er erstaunt.
»Ja.«
»Euch?«
»Natürlich!«
»Du sprichst ja ganz verkehrt! Wer ist es denn, der zu bezahlen, und wer, der zu bekommen hat?«
»Zu bezahlen hast du. Wer sonst?«
»Doch Ihr!«
»Wenn du das behauptest, bist du es, der verkehrt redet. Du bist eine einzelne Person und hast auf uns gewartet. Dafür verlangst du von uns eine Entschädigung von fünf Piastern?«
»Ja.«
»Schön! Wir sind zwei Personen, die du hinüberfahren solltest; wir haben auf dich gewartet; das macht zehn Piaster; folglich hast du uns fünf herauszuzahlen.«
»Allah w'Allah!« rief er erstaunt. »Sollte man so etwas für möglich halten? Ich höre, daß du mich um mein wohlverdientes Geld betrügen willst!«
Ich kam nicht dazu, ihm auf diese Worte eine Antwort zu geben, denn Halef that dies an meiner Stelle. Seine Unterredung mit dem Wirte war zu Ende. Er war hinter dem Fährmann hergekommen, stand nun in seinem Rücken an der Thür und hatte seine Forderung und meine Antwort gehört. Jetzt schob er ihn schnell zur Seite, trat vor und sprach ihn zornig an:
»Betrügen? Mensch, wie darfst du es wagen, diesen weltberühmten und mächtigen Emir einen Betrüger zu nennen! Er ist so gnädig gewesen, mit deinen armseligen fünf Piastern einverstanden zu sein; er hat dir deutlich und bis zur vollsten Ueberzeugung bewiesen, daß du dieses Geld für deine Faulheit herauszugeben hast, und nun du uns darum betrügen willst, bist du so frech, den Betrug ihm in das Gesicht zu werfen. Ich frage dich, ob du sie sofort bezahlen willst oder nicht?«
Er griff mit der Hand nach seiner im Gürtel steckenden Peitsche.
»Ich habe nicht zu bezahlen, sondern zu bekommen,« behauptete der Mann, der die Schnellfertigkeit Halefs nicht kannte und also gar nicht ahnte, was für ein Gewitter drohend über ihm stand.
»Zu bekommen? Schön! Du sollst erhalten, was du verdienst, und zwar sogleich! Hier hast du es, hier – hier – da – da und da!«
Die Peitsche flog heraus und knallte dem Manne so kräftig auf den Rücken, daß er sich mit einem Schrei des Schmerzes zur Flucht wendete. Halef eilte hinter ihm drein und versetzte ihm Hieb auf Hieb, bis er ihn zur vorderen Thür hinausgetrieben hatte; dann kehrte er zu uns zurück und sagte, vor Vergnügen strahlend:
»Das ist die einzig richtige Sprache, in welcher man mit solchen Menschen zu reden hat! Fünf Piaster für seinen Schlaf und unser Warten verlangen und auch noch vom Betruge sprechen! Sihdi, deine Berechnung war sehr schlau; aber meine Bezahlung war noch besser!«
»Wie aber, wenn er sich bei der Behörde über dich beschwert?« warf Lindsay ein.
»Bei der Behörde? Wie würde ich mich freuen, wenn sie käme! Sie würde die Fortsetzung des Anfanges bekommen, den ich ihm zu schmecken gegeben habe. Sihdi, bist du mit mir einverstanden?«
»In diesem Falle, ja. Die Hiebe waren ganz gut angebracht.«
»Hamdulillah! Endlich giebst du dich einmal als wahren Freund meiner Nilpferdhaut zu erkennen. Das bringt dir den Glanz meiner Achtung und die Fülle meiner Ehrerbietung ein. Deine Zufriedenheit ist mir eine wahre Wonne!«
»Hoffentlich brauche ich sie dir auch in Beziehung auf dein Gespräch mit dem Wirte nicht vorzuenthalten?« fragte ich mit gedämpfter Stimme.
»Du brauchst nicht zu flüstern, sondern kannst so laut sprechen, wie es dir beliebt, Sihdi.«
»Wo ist er jetzt?«
»Er ruht in den Armen des heißen Zuckerwassers und hat den hineingegossenen Raki als Kissen unter den Kopf genommen.«
»Und sein Gehilfe, der Somali?«
»Bei dem ist's umgekehrt: Er liegt im Raki und hat das Zuckerwasser als Ruhekissen. Ihre Seelen lustwandeln in dem Lande der Träume, und aus ihren Kehlen erschallt die Musik aller Himmel Muhammeds. Horch!«
Als wir still waren, hörten wir ein kräftiges, sägeartiges Schnarchen.
»Das ist der Somali,« erklärte Halef. »Er liegt mit dem Kopfe in der Holzkohlenasche und schneidet mit dem Minschar seines Gaumens Baumstämme auseinander.«
»Und der Kahwedschi?«
»Der ruht am Ufer des Flusses und war um keinen Preis dazu zu bewegen, herunter in das Wasser zu steigen; dann schlief er ein.«
»Am Flusse? Er hat das Haus verlassen?«
»Nein. Er stieg mit mir, um mir dort etwas zu geben, die unter das Dach führende Leiter hinan. Bei der Rückkehr sank er in Frieden neben der Leiter hin und sagte, wenn ich ertrinken wolle, möge ich allein hinunterspringen, er aber werde vorsichtig auf dem Trockenen bleiben. Wenn du ihn sehen willst, will ich dir ihn zeigen.«
»Was hat er dir gegeben?«
»Einen Brief.«
»An wen?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wer hat ihn geschrieben?«
»Auch das ist mir unbekannt.«
»Ist er nicht mit einer Adresse versehen?«
»Es stehen die Zeichen des Ringes darauf. Hier ist er.«
Er zog ein viereckig zusammengefaltetes und mehrfach versiegeltes Papier aus der Tasche und gab es mir. Man hatte sich eines gewöhnlichen Geldstückes als Petschaft bedient. Auf der Adreßseite sah ich ein mit Tinte geschriebenes Sa, welches mit einem Lam verbunden war; darüber stand das Verdoppelungszeichen.
»Er muß dir aber doch gesagt haben, für wen dieser Brief bestimmt ist,« sagte ich.
»Das hat er auch gethan.«
»Nun?«
»Der Mann, der ihn bekommen soll, heißt Ghulam.«
»Was ist er?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wo wohnt er?«
»Auch das weiß ich nicht.«
»Höre, lieber Halef, du scheinst in dieser Angelegenheit nichts weniger als allwissend zu sein!«
»Dafür kann ich nicht, Sihdi, sondern das heiße Zuckerwasser mit Raki ist schuld. Der Kahwedschi wollte mir so sehr viel sagen, konnte sich aber auf nichts besinnen, weil sein ganzes Gedächtnis in dieser süßen Flüssigkeit ertrunken war und alle meine Wiederbelebungsversuche nichts mehr fruchteten.«
»So hast du dich ganz vergeblich bemüht; dieser Brief, der uns vielleicht von großem Vorteile sein könnte, wird uns keinen Nutzen bringen. Oder hast du es daran mangeln lassen, den Kahwedschi in der richtigen Weise auszufragen?«
»Nein, gewiß nicht, ganz gewiß nicht, Sihdi. Du kennst mich da nur zu wohl und weißt, daß ich den Mund auf der Stelle habe, wo er sitzen muß, wenn man jemandem ein Geheimnis abzulocken hat; aber die Geheimnisse dieses Mannes waren infolge seiner Betrunkenheit so außerordentlich geheim, daß er sie selbst nicht mehr kannte. Da war alle meine Mhe umsonst. Wenigstens glaube ich nicht, daß du, wenn du an meiner Stelle gewesen wärest, mehr als ich erfahren hättest.«
»Möglich! Erzähle mir richtig der Reihe nach, was du mit ihm gesprochen hast! Wir sind in Bagdad übereingekommen, daß du einen Ring der Sillan stets bei dir haben sollst. Ich brauchte dir ihn heut' also nicht erst zu geben. Als du hier von uns fortgingst, saß der Kahwedschi da draußen im Vorraume auf seinem Kissen. Der Somali war bei ihm, schnarchte aber schon. Wir haben uns hier absichtlich laut und angelegentlich unterhalten, als ob wir gar keine Zeit hätten, zu bemerken, daß du so lange Zeit nicht bei uns warst. Nun weiter!«
»Weiter Sihdi? Ich habe ja noch gar nicht angefangen! Ich steckte den Ring an den Finger und schlenderte hinaus zu dem Kahwedschi hin. Ich war ihm sehr willkommen, und er fing sofort selbst mit mir an, denn er war sehr neugierig, zu erfahren, wer Ihr seid.«
»Jedenfalls hast du da den Mund sehr voll genommen!«
»Warum soll ich das nicht? Wenn ich einmal etwas in den Mund nehme, so muß es etwas Ordentliches sein, damit ich auch wirklich einen Genuß davon habe. Ich gab dich für den Minister des Sultans von Sitschilia und Mr. Lindsay für den obersten Sterndeuter des Kaisers von Antakijeh aus. Von mir selbst sagte ich, daß ich ein Montefik-Beduine bin und von Euch gemietet sei, Euch nach Buschehr und Schiras zu begleiten. Sobald mir dies über die Lippen gegangen war, glaubte ich, einen Fehler gemacht zu haben, denn der Kahwedschi brauchte doch nicht zu wissen, wohin wir wollen. Aber es waren mir nicht gleich andere Namen in den Mund und andere Gegenden in den Kopf gekommen, und es stellte sich nachher heraus, daß grad diese beiden Städte mir sein Herz geöffnet hatten. Er lud mich ein, mich zu ihm zu setzen, und als ich das gethan hatte, sprachen wir zunächst von den unendlichen Vorzügen des heißen Zuckerwassers, welches die eigentliche und richtige Weihe seines Vorhandenseins erst durch einen Zuguß von Araki bekommt. Dabei hielt und bewegte ich die Hand in der Weise, daß er den Ring sehen mußte. Es dauerte das zwar ziemlich lange, denn der Araki hatte die Zahl seiner Augen so vermehrt, daß er, wie er mir gestand, mich fünfzigmal sah und meine Hände sogar über zweihundertmal erblickte. Er schien also zweitausend Finger vor sich zu haben, was ihn so in Anspruch nahm, daß er für den Ring zunächst keine Spur von Aufmerksamkeit besitzen konnte. Aber als er ihn erst einmal entdeckt hatte, war der Eindruck, den er von ihm bekam, auch um so größer. Er bat mich, ihn betrachten zu dürfen. Natürlich erlaubte ich es ihm. Er gab mir die Hand und begrüßte mich als Sill, als »Schatten«, als Verbündeten, als heimlichen Kameraden. Er hielt mir eine große Rede, die aber so wenig Sinn hatte, daß sie nicht einmal als Unsinn bezeichnet werden kann. Ich konnte von hundert Worten, welche er sprach, kaum zehn verstehen, denn sein Mund glich einer mit Riri gefüllten Tandschara, in welcher sich die Zunge wie ein Quirl bewegte. Er erkundigte sich immer wieder, ob ich wirklich nach Buschehr und Schiras gehen werde, und als ich dies oft genug bejaht hatte, fragte er mich, ob ich da wohl der Sill sei, der den Brief abholen solle, welcher an Ghulam abzugeben sei. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich vorgab, dieser Mann zu sein und die beiden Fremden, den Minister und den Sterndeuter, nur aus dem Grunde in dieses Kaffeehaus geführt zu haben, um die Gelegenheit zu finden, den Brief in Empfang zu nehmen.«
»Das war richtig, lieber Halef. Aber hast du denn nicht herausbringen können, wer und was dieser Ghulam ist?«
»Nein. Ich sage dir, ich habe meinen ganzen Scharfsinn zusammengenommen; aber erstens war der Kahwedschi so betrunken, daß er alles vergessen hatte und sich auf nichts besinnen konnte, und zweitens mußte er doch annehmen, daß ich diesen Ghulam wenigstens ebenso gut kenne wie er. Eine unvorsichtige Frage hätte mich verraten; sie wäre das Eingeständnis gewesen, daß ich der Sill nicht sei, für den ich gelten wollte. Du siehst ein, daß ich mich sehr in acht zu nehmen hatte und keine Erkundigung, die ihm auffallen mußte, aussprechen durfte. Ich setzte zwar die Worte so, daß sie ihn eigentlich hätten zwingen müssen, sich über Ghulam auszusprechen, aber der Raki hatte ihm nur den hundersten Teil seines an und für sich schon armselig kleinen Verstandes übrig gelassen, und so redete er alles herüber und hinüber, herunter und hinauf, und brachte aber grad das nicht, was ich haben wollte.«
»Das ist fatal!«
»Vielleicht erfahren wir es unterwegs!«
»Schwerlich. Die Mißlichkeit liegt in dem Umstande, daß Ghulam zwar ein Name ist, aber auch einen Stand bedeutet. Ghulam kann jeder Mensch heißen; dieses Wort kommt im Persischen ebenso oft vor wie der Name Halef im Arabischen. Ghulam ist aber auch ein Diener; besonders werden berittene Diener so genannt, und unter Ghulam Pätschä versteht man den Pagen, den jungen Leibdiener eines hohen Herrn. Du siehst also, daß wir uns in einer Ungewißheit befinden, die uns in Verlegenheit bringen kann.«
»Vielleicht könnte uns der Inhalt des Briefes Aufschluß geben?«
»Möglich!«
»So öffne ihn doch!«
»Ich gehöre nicht zu den Leuten, denen das Briefgeheimnis nicht heilig ist.«
»Briefgeheimnis? Erlaube, Sihdi, daß jeder Brief geschrieben wird, um gelesen zu werden. Dieser ist an Ghulam gerichtet, der ihn lesen soll. Weil wir aber nicht wissen, wer, was und wo dieser Ghulam ist, wird er ihn nicht bekommen, außer wir öffnen das Schreiben, um zu erfahren, wo und an wen wir es abzugeben haben. Das Öffnen des Briefes ist also keine verbotene Handlung, sondern eine Notwendigkeit, und wenn wir ihr Gehorsam leisten, muß uns Ghulam dafür dankbar sein.«
»Wie schön du das zu sagen weißt, lieber Halef! Du bist immer der Schlaue!«
»Ja, der bin ich! Wenn die Länge deines Verstandes nicht ausreicht, so muß ich dir mit der Breite des meinigen zu Hilfe kommen. Das weißt du doch schon längst.«
»Leider aber gilt hier diese ganze Breite mit allen ihren Finessen nichts. Wenn wir den Adressaten des Briefes nicht kennen, haben wir uns bei dem, der dir das Schreiben übergeben hat, nach ihm zu erkundigen, also beim Kahwedschi. So ist die Sache.«
»Das dürfen wir aber doch nicht!«
»So müssen wir den Brief zurückgeben.«
»Das fällt uns gar nicht ein! Sihdi, ich würde den Brief öffnen, ohne zu denken, daß ich dadurch einen Platz in der Hölle bekomme. Dein Gewissen aber ist nicht so kräftig wie das meinige, sondern im höchsten Grade tschapuk kydschyklanyr, was unter Umständen, wie der jetzige, tief zu beklagen ist. Gieb mir den Brief wieder! Ich werde ihn aufmachen, und dann kannst du ihn lesen, ohne dir Vorwürfe darüber machen zu müssen.«
»Ich halte das noch nicht für notwendig; wir haben ja Zeit zum Ueberlegen. Erzähle weiter!«
»Der Kahwedschi war bereit, mir den Brief anzuvertrauen, und da dies aber niemand sehen sollte, wollte er dies heimlich thun, denn auch der Somali durfte nichts davon wissen. Er bat mich darum, mit ihm hinauf unter das Dach zu steigen, wo er ihn versteckt hatte.«
»Vielleicht befindet sich da oben überhaupt ein Versteck für Dinge, welche sich auf die geheime Verbrüderung der Sillan beziehen?«
»Das ist möglich, Sihdi.«
»Hast du nichts bemerkt?«
»Nein.«
»Der Kahwedschi scheint als Postbeamter dieser Verbindung thätig zu sein; da ist es denkbar, daß man außer Briefen auch andere Dinge bei ihm niederlegt. Wo hatte er das Schreiben versteckt?«
»Das werde ich dir gleich sagen, sobald ich an die betreffende Stelle komme. Wir gingen in den Hof, wo die Leiter steht. Ich mußte ihn führen, denn er wankte unausgesetzt zwischen dem Orient und dem Occident herüber und hinüber und knickte bei jedem Schritte zusammen, als ob er zehn übermäßige Kamellasten auf dem Rücken trage. Wie ich mit ihm die vielen Sprossen hinaufgekommen bin, das kann ich dir gar nicht sagen. Endlich oben angekommen, setzte er sich gleich nieder und wollte schlafen; er hatte alles, auch den Brief, vollständig vergessen, und ich mußte sehr lange in ihn hineinsprechen, ehe er sich besann, in welcher Absicht wir so mühsam heraufgeklettert waren.«
»Wie war der Raum beschaffen?«
»Er war so lang und breit wie das an vielen Stellen offene Rohrdach, aber so niedrig, daß man nicht aufrecht stehen konnte. Es lag da überall altes, wertloses Gerümpel herum, für welches ich nicht einen einzigen Piaster geboten hätte. Der Brief war in einen Lappen eingeschlagen und steckte in einer Ritze der Wand.«
»War diese Ritze groß?«
»Nein.«
»Steckte er allein darin?«
»Ja.«
»So bildete sie kein Sammelversteck und war bestimmt, nur ihn zu verbergen. Es ist mir das ein Beweis, daß es da oben überhaupt keine heimliche Stelle giebt, welche dem Sillan als Aufbewahrungsstätte dient. Es wird also wohl so sein, daß dem Kahwedschi nur zuweilen ein Brief zur Uebergabe an den Boten anvertraut wird. Wäre ein geheimes und regelmäßig benutztes Versteck vorhanden, so hätte der Wirt den Brief dahinein und nicht in die Wandritze gethan. Was hat er gesagt, als er dir ihn gab?«
»Auch wieder allerlei unverständliches Zeug. Als ich ihn eingesteckt hatte und wir wieder an die Leiter kamen, um herabzusteigen, weigerte er sich, dies zu thun. Er glaubte plötzlich, am Flusse zu sein; er sah die Wogen fließen und hörte ihr Rauschen; darum setzte er sich nieder und war nicht zu bewegen, den Fuß auf die Leiter zu setzen. Er wollte nicht ersaufen, sagte er; dann fiel er vollends um und schlief sofort ein. Das ist alles, was ich dir sagen kann. Weiter habe ich nichts gesehen und nichts erfahren können.«
»So möchte ich einmal zu ihm gehen.«
»Versuche, ob du mehr erfährst als ich. Ich glaube aber nicht, daß es dir gelingt. Soll ich dir zeigen, wo er ist?«
»Ich finde ihn selbst; zeigen ist also nicht notwendig; aber mitgehen kannst du doch.«
Als wir durch den Vorderraum kamen, sah ich den Somali. Es war so, wie Halef gesagt hatte: Er hatte den Mangal umgerissen und lag mit dem Kopfe in der Holzkohlenasche. Sein überlautes Schnarchen klang wie das Sägewerk einer im Gang befindlichen Schneidemühle.
Draußen im Hofe sah es fürchterlich aus. Gut, daß wir schon getrunken hatten. Dem Europäer, der nur einen kurzen Blick auf diesen Schmutz warf, war es gewiß unmöglich, drin im Kahwe auch nur einen einzigen Schluck zu genießen! Die Leiter lag an; ich stieg, von Halef gefolgt, hinauf und mußte in ein enges Loch kriechen, an dessen Rande der Wirt lag. Er hatte den Mund weit offen; sein Atem war unhörbar. Sein Zustand schien mehr Betäubung als Schlaf zu sein. Punsch und Grog sind eben nur für kalte Länder, nicht für den heißen Orient.
Ein forschender Blick durch den niedrigen, von Unrat starrenden Raum sagte mir, daß hier kein Platz zu einem wichtigen Verstecke sei. Ich steckte den goldenen Ring der Sillan als Erkennungszeichen an den Finger und rüttelte dann den Mann. Er wollte die Augen öffnen, brachte sie aber bei diesem ersten Versuche nicht auf. Ich rüttelte ihn stärker.
»Laß mich in Ruh!« knurrte er und wälzte sich auf die andere Seite, so daß er durch das Loch hinabgefallen wäre, wenn ich ihn nicht weggeschoben hätte.
Da nahm ich ihn bei den Schultern, setzte ihn auf und schüttelte ihn so lange, bis er die Augen vollständig offen hatte. Er starrte mich an, sagte aber nichts.
»Bist du wach? Kannst du sprechen?« fragte ich ihn.
»Spre – chen,« wiederholte er mein letztes Wort mechanisch.
»Kennst du mich?«
»Du – mich –?«
»Weißt du, wer du bist?«
»Du – bist –?«
Da hielt ich ihm den Ring vor die Augen und forderte ihn im strengsten Tone auf:
»Schau diesen Ring an! Er sagt dir, wer und was ich bin.«
Er richtete sein Auge zunächst gleichgültig auf meine Hand. Sobald er aber den Ring erblickte, wurde er aufmerksamer. Er faßte die Hand und zog sie näher an sich, um Gestalt und Schrift des Ringes zu betrachten. Dann ging es wie Schreck über sein Gesicht. Er versuchte, sich aufzurichten, brachte es aber nicht fertig.
»Hazret – Hazret – Hazret –!« stammelte er. Weiter brachte er kein Wort hervor.
»Wach doch vollends auf, Mensch! Ermanne dich, und nimm dich zusammen! Du bist betrunken!«
Die Bedeutung dieses Wortes schien ihm nicht gleich gegenwärtig zu sein; er sann darüber nach.
»Ja, betrunken bist du, vollständig betrunken!« wiederholte ich.
Da kam es wie eine Spur von Erkenntnis in sein Auge. Er schüttelte den Kopf und antwortete:
»Nicht – betrunken – nicht! Ich kann – kann – ›Die Ungläubigen‹ sagen, kann – sie sagen. Soll – soll ich?«
»Ja, sprich sie mir einmal vor, aber ohne Fehler!« forderte ich ihn auf.
»Die Ungläubigen«, das ist nämlich die Ueberschrift der hundertneunten Sure des Koran. Sie lautet: »Sprich: o ihr Ungläubigen, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr verehret nicht, was ich verehre, und ich werde auch nie verehren das, was ihr verehret, und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe die meinige.« In der deutschen Uebersetzung bietet dieser Text ja gar keine Schwierigkeiten; aber um so mehr muß derjenige aufpassen, der das arabische Original recitieren will. Ein Betrunkener bringt das gar nicht fertig; darum wird dieses Kurankapitel als Sura el Imtihan bezeichnet und auch sehr oft angewendet. Man fordert den Betrunkenen, welcher leugnet, betrunken zu sein, auf, diese Sure herzusagen. Bringt er das fehlerlos fertig, so hat er bewiesen, daß er nüchtern ist; verspricht er sich aber dabei, so ist sein Zustand zweifellos die Folge übermäßigen Trinkens. Jeder Muhammedaner kennt diese Eigenschaft und diese Anwendung der hundertneunten Sure, und auch dem Kahwedschi war sie bekannt. Kaum hatte ich das Wort betrunken ausgesprochen, so bot er mir an, durch diese Sure zu beweisen, daß er es nicht sei. Nachdem ich ihm meine Zustimmung dazu erteilt hatte, nahm er sich zusammen und begann:
»Sprich, o – o ihr Un – Ungläubigen, ich verehre, verehre – nicht euch, und ihr was mich, was euch, was mir; ihr verehret mich und ich euch, und ihr – ihr habt – habt meine Religion – Religion – ich habe eure – und ich – ich verehre – verehre mich nicht!«
»Dazu hast du auch ganz und gar keine Veranlassung!« lachte ich, denn im Arabischen war die von ihm angerichtete heillose Verwirrung noch viel lächerlicher als in der deutschen Uebersetzung, welche ich hier gebe. »Du kannst die Sure nicht richtig sagen und bist also betrunken!«
»Be – be – be –« stammelte er. »O Hazret – der Raki – Raki – und hei – heißes Zucker – Zuckerwasser – wasser!«
»Und nun du betrunken bist, weißt du nicht, was ich bin!« warf ich ihm vor.
»Was – was – o, ich weiß – weiß sehr gut! Hazret bist – bist Sill – Sill – hoher Sill – sehr, sehr hoher Sill!«
»Das ist dein Glück, daß du wenigstens das noch siehst. Weißt du aber auch, daß du hier diesem Sill« – ich deutete bei diesen Worten auf Halef – »den Brief gegeben hast, welchen Ghulam bekommen soll?«
»Brief –? Nein – nein – nicht gegeben; habe noch!«
»Weißt du, von wem er ist, dieser Brief?«
»Von – von Esara el – el Awar, der ihn geschrieben und – und mir – mir gegeben hat.«
»Wo ist Esara jetzt?«
»Nach Kor – Korna, wo – wo er wohnt.«
»Und weißt du wirklich ganz gewiß, für wen der Brief bestimmt ist?«
»Für – für Ghulam el – el Multasim.«
»Und wo Ghulam sich jetzt befindet?«
»In – in – Straße nach – ah – ah!«
Da war es mit seiner Beherrschung zu Ende. Er fiel um, schloß die Augen und lag nun wieder so betäubt wie vorher.
»Es ist aus, Sihdi,« sagte Halef.
»Du wirst nun nichts mehr von ihm erfahren, denn er hat –«
»Still!« unterbrach ich ihn. »Komm wieder mit hinunter!«
Wir stiegen die Leiter hinab und kehrten zu Lindsay zurück, welcher sich erkundigte, ob wir noch etwas erfahren hätten. Halef antwortete:
»Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß aus dem Betrunkenen noch etwas herauszubringen sei; dem Effendi ist es aber doch geglückt. Freilich, ich hätte mir die Fragen nicht getraut, die er ausgesprochen hat.«
»Warum nicht?« erkundigte ich mich.
»Weil ich sie für unvorsichtig gehalten hätte. Der Kahwedschi mußte doch hören, daß du nichts wußtest, und daraus schließen, daß du dich zwar für einen Sill ausgiebst, aber keiner bist.«
»Er mußte das hören? Mußte er das wirklich?«
»Er hat es aber nicht gehört. Und noch viel weniger hat er einen Schluß gezogen; sein Zustand war ja ein solcher, daß er gar nicht folgerichtig denken konnte. Er erkannte nicht einmal seinen Gast in mir!«
»Das weißt du jetzt, wußtest es aber nicht vorher!«
»Sei gnädig gegen mich, lieber Halef! Ich gönne dir es zwar ganz gern, mir auch einmal einen Fehler, eine Unvorsichtigkeit nachweisen zu können, aber dieses Mal befindest du dich im Irrtume. Schon ehe ich den Betrunkenen zu Worte brachte, sah ich es ihm an, wie weit ich gehen könne. Sodann sprach ich im Tone eines Vorgesetzten, der hören will, wie weit der Untergebene unterrichtet und ob er bei Besinnung ist. Meine Fragen hätten den Kahwedschi, selbst wenn er weniger betrunken gewesen wäre, gewiß nicht auf den Gedanken gebracht, daß ich nicht zu den Sillan gehöre. Er hatte ja schon vollständig vergessen, dir den Brief gegeben zu haben. Grad so wird er, wenn er aus seiner Betäubung erwacht, gar nicht mehr wissen, daß ich bei ihm gewesen bin und mit ihm gesprochen habe. Ich werde meinen Ring, zufrieden mit dem Resultate, jetzt wieder in die Tasche stecken.«
»Bist du wirklich zufrieden?«
»Ja.«
»Ich aber hätte doch noch sehr gern gehört, wo Ghulam zu finden ist. Es ist schade, daß er grad dabei wieder in den bewußtlosen Mangel an Besinnung zurückkehrte, aus welchem du ihn vorher zum mangelhaften Hersagen der Sure der Ungläubigen aufgeweckt hattest!«
»Ich verlange nicht mehr, als er geben konnte. Wir haben den Namen und den Wohnort des Absenders erfahren und wissen sogar, daß er einäugig ist, was uns unter Umständen von Vorteil sein kann. Und wir wissen nun, daß Ghulam bloß ein Name und keine Standesbezeichnung ist. Der Mann heißt Ghulam el Multasim. Multasim bedeutet Pächter im allgemeinen und auch einen Staatsgutspächter im besonderen. Da in Persien die Zölle verpachtet sind, so ist dieser Ghulam wahrscheinlich ein Zollpächter.«
»Ja, Sihdi, wenn du aus seiner verworrenen Rede so bestimmte Schlüsse ziehst, so können wir, falls diese richtig sind, allerdings zufrieden sein.«
»Ich bin überzeugt, daß meine Vermutungen mich nicht irre führen. Vielleicht hat das, was wir hier erfahren haben, gar keine Folgen, keine Bedeutung für uns, aber da wir einmal schon so tief in die Geheimnisse der Sillan eingedrungen sind, so wollte ich auch die jetzige Gelegenheit benützen, etwas, und sei es noch so wenig, zu erfahren. Man weiß nicht, wozu es nützen kann.«
Da ergriff Lindsay das Wort:
»Nun redet doch endlich auch einmal eine Silbe mit mir! Sitze da, wie ein Waisenknabe, um den sich kein Mensch bekümmert, und verstehe nichts von alledem, was da gesprochen wird.«
»Sobald wir auf dem Schiffe sind, wird Halef alles erzählen,« tröstete ich ihn.
»Well! Bin schrecklich neugierig darauf. Ist übrigens nun Zeit, an Bord zu gehen. Wollen wir?«
»Ja. Aber wir müssen bezahlen, und der Wirt wird schwer aufzuwecken und dazu zu bringen sein, uns richtig zu sagen, was wir ihm schulden.«
»Ist ganz leicht abzumachen. Schreiben auf einen Zettel, was wir bekommen haben, schätzen das nach unserer Weise ab, wickeln das Geld in den Zettel und stecken es ihm in die Tasche. Nicht?«
»Ich halte das auch für das beste und kürzeste.«
»Well, werde das also machen. Ich zahle, Ihr nicht!«
Er riß ein Blatt aus seinem Merkbuche, notierte die Getränke darauf und wickelte das, was er dafür geben wollte und was jedenfalls nicht zu wenig war, hinein. Dann gingen wir in den Hof zu unsern Pferden, und er stieg die Leiter hinan, um dem Wirte den Betrag in die Tasche zu stecken.
Während er das that, führten wir beiden andern unsere Pferde vor das Haus, um uns dann nach dem Dampfer zu begeben, der ein Engländer mit vollständig englischer Bemannung war. Da traten zwei Männer durch das Mauerthor und kamen auf uns zu. Es war ihnen gleich beim ersten Blicke anzusehen, daß sie echte Söhne Old Englands seien. Beide hatten sonnverbrannte Gesichter. Den einen hielt ich sogleich für einen Seemann. Der andre war in neuwaschen glänzendes Weiß gekleidet, trug einen hellen Tropenhelm mit blauseidenem Schleier auf dem Kopfe, hellbraune Glac éhandschuhe an den Händen und an einer auffallend starken, goldenen Kette einen Klemmer auf der Nase. Diesem war die Zufriedenheit mit sich selbst sofort beim ersten Blicke anzusehen.
Sie blieben vor unsern Pferden stehen.
»Herrliche Tiere!« meinte der Seemann.
»Araber,« sagte der andere. »Unkultiviertes Geschlecht! Nur der Engländer weiß, was aus edlem Blute zu machen ist.«
»Sind diese nicht Rasse?«
»Freilich wohl, doch nicht von wohlüberlegter Zucht. Man sieht und kennt das ja! Alles Natur, aber eben bloß Natur. Kein Einfluß kennerischen Denkens. Wir Kavalleristen bemerken das sofort.«
Sie sprachen selbstverständlich englisch. Halef verstand nicht, was sie sagten, aber er sah dem weißen Gentleman an, daß seine Worte kein Lob enthielten. Sein Gesicht verfinsterte sich. Da wendete sich dieser kurz und befehlend in arabischer Sprache an uns:
»Wer seid ihr?«
Er erhielt keine Antwort.
»Wer ihr seid, habe ich gefragt!« wiederholte er, indem seine Brauen sich zusammenzogen. Und als wir auch jetzt still blieben, wendete er sich direkt an den kleinen Hadschi:
»Seid ihr stumm? Alle beide? Wie ist dein Name?«
Das geschah in so verweisendem Tone, von oben herab und geringschätzig, daß der Gefragte ihm auch jetzt nicht antwortete, aber zu mir sagte:
»Ja istiksa – welch eine Neugierde! Wer ist dieser Mensch, der nur den Stolz aber keinen Gruß auf den Lippen hat?«
Der Englishman schien das Arabische besser zu verstehen, als er es sprach. Er trat nahe an Halef heran, hob die Hand empor und rief:
»Mensch nennst du mich? Kerl, ich bin General! Soll ich dir meinen Gruß hinter die Ohren schreiben?«
»Lerne erst richtig reden, ehe du zu drohen wagst!« antwortete der Hadschi.
»Kleine, freche Kröte!«
Da riß Halef die Peitsche aus seinem Gürtel, und es hätte wohl eine unangenehme Scene gegeben, wenn unsere Aufmerksamkeit nicht grad in diesem Augenblicke abgelenkt worden wäre:
»Bill! Du, du, Bill, hier in Basra?!« erklang es hinter uns.
Wir drehten uns um. Da stand Lindsay und starrte den General mit einem Erstaunen an, welches unmöglich größer sein konnte, als es sich sowohl in seiner Haltung als auch in seinem Gesicht aussprach.
»Ich denke, du bist in Kalkutta!« fügte er hinzu.
»Davy! Alter Davy!« rief der Offizier. »Ist es möglich? Ich habe geglaubt, du seist daheim!«
Sie nannten sich du. Sie waren also bekannte Freunde, vielleicht gar Verwandte. Wer aber geglaubt hätte, daß nun eine herzliche Begrüßung erfolgen werde, der wäre außerordentlich vom Irrtum befangen gewesen. Sie gingen auf einander zu, reichten sich die Hände, und damit war dem gutgeschulten Herzen wenigstens des einen volle Genüge geschehen.
»Du, du also bist der Gentleman!« meinte hierauf der General.
»Welcher Gentleman?« fragte Lindsay.
»Der drei Plätze auf dem Steamer des Kapitäns hier genommen hat.«
»Der bin ich allerdings.«
»Mußt mir zwei abtreten!«
»Unmöglich, Bill!«
»Pshaw! Wollte eigentlich alle drei haben. Da du es aber bist, sollst du einen behalten. Die beiden andern jedoch muß ich unbedingt haben!«
»Geht nicht!«
»Muß gehen! Bin zu spät von Kut herabgekommen. Wurde vom Konsul aufgehalten. Bin in geheimer, wichtiger Mission hier. Wurde dazu gewählt wegen meiner Erfahrungen und weil ich arabisch sprechen kann. Weißt du: Maskat – russische und französische Einflüsse – Landverbindung zwischen Konstantinopel und Bagdad bis Schatt el Arab – Beherrschung des persischen Golfes – habe schwierige Instruktionen – jede andere Rücksicht muß sich unterordnen – kam den Tigris herab – war in Bagdad – muß nach Buschehr – von da nach Schiras und das Innere von Persien –«
»Das ist ja auch unsere Route!« unterbrach ihn Lindsay. »Können uns also zusammenschließen!«
»Du? Auch nach Persien? Well! Nehme grad dich unendlich gern mit. Hörte in Kut von dem englischen Steamer, welcher nach Buschihr geht. Bin sogleich herab; hörte, daß ein vornehmer Gentleman die drei Kabinen genommen habe. Er sei hier im Kaffeehause. Habe sie natürlich für mich belegt. Alles muß zurücktreten! Ging aber, da er als vornehm bezeichnet wurde, hierher, aus Höflichkeit, es ihm selbst zu sagen. Finde zu meiner Freude, daß du es bist, old Davy. Sollst einen der drei Plätze behalten dürfen. Werde mich einschränken – nur dir zu liebe!«
»Aber, das ist ja unmöglich, lieber Vetter!« behauptete Lindsay im Tone der Verlegenheit.
»Warum?«
»Weil die drei Plätze für mich und diese meine beiden Freunde sind.«
Er deutete bei diesen Worten auf Halef und mich. Der General hielt es gar nicht für nötig, uns sein Auge wieder zuzuwenden, und sagte, indem er seine Hand zum Ausdrucke unendlicher Geringschätzung hinter sich bewegte:
»Freunde? Yes! Ich kenne dich. Wieder einmal deine alte, wohlbekannte Humanitätsbetrunkenheit! Hast ganz vergessen, welche Entfernungen zwischen Mensch im niedern und Mensch in höherm Sinne liegen! Wirst dich daheim noch ganz unmöglich machen! Wer sind denn diese Leute? Besonders der Kleine, der Knirps, dem ich soeben eine Ohrfeige geben wollte!«
»Ohrfeige?« fiel da Lindsay rasch und erschrocken ein. »Daran denke ja nicht! Das wäre dein Tod!«
»Tod? Bist du bei Sinnen?!«
»Sehr! Dieser Araber würde eine solche Beleidigung augenblicklich mit der Kugel oder dem Messer beantworten!«
»Pshaw!«
»Gewiß! Versuche so etwas auf keinen Fall! Er ist Hadschi Halef, der Scheik der Haddedihn, ein weitberühmter Krieger, der nicht mit sich spaßen läßt!«
»Spaßen? Ist mir auch gar nicht in den Sinn gekommen! Wenn ich Ohrfeigen gebe, so thue ich das im Ernst. Und Scheik? Kann nicht imponieren. Orang bleibt Orang, und wenn er der Anführer anderer Orangs ist! Und der zweite Kerl, für den ich gar nicht vorhanden zu sein scheine? Impertinentes Gesicht!«
»Ist Hadschi Kara Ben Nemsi.«
»Araber?«
»Nein, Deutscher.«
»Das ist nicht viel anders! Diese Sorte treibt sich überall herum. Ist jedem wahren Gentleman im Wege!«
»Bitte! Er spricht und versteht das Englische!«
»Mir gleichgültig!«
»Aber mir nicht, lieber Bill! Wiederhole dir, daß diese Männer meine Freunde sind, mit denen ich nach Persien will. Die beiden Plätze gehören ihnen, und ich bin überzeugt, daß es ihnen nicht einfällt, sie dir abzutreten.«
»Gar keine Frage! Das ist abgemacht! Sie mögen sich bei dem Gepäck unterbringen lassen. Dahin gehören sie, nicht zu uns!«
»Bringst mich in Verlegenheit! Unendliche Verlegenheit! Wollen doch erst noch einmal an Bord. Muß gleich nachsehen, ob das nicht noch anders zu arrangieren ist!«
»So komm!« Er nahm Lindsay beim Arme und zog ihn fort. Dieser ging eine kleine Strecke mit, machte sich dann von ihm frei, kam zu uns zurück und sagte:
»Habt alles mit angehört? Fatale Lage für mich! Ist nahe verwandt mit mir. Hochbedeutender Mann! Vortrefflicher Offizier und Diplomat! Steht in Indien. Hat jedenfalls bedeutende Vollmachten. Muß mich fügen. Was sagt ihr dazu?«
Der gute David that mir unendlich leid. Der reine Mensch kam in ihm mit dem Menschen von Old England in Konflikt. Aber ich konnte ihm doch nichts anderes als nur die Wahrheit sagen:
»Mag dieser Steamer noch so groß sein, für ihn und uns zu gleicher Zeit giebt es keinen Platz an Bord. Ein Zusammenstoß wäre gar nicht zu vermeiden. Orang-Utangs verhalten sich nicht immer so zurückhaltend, wie es jetzt und hier geschehen ist!«
»Richtig! Miserabler Ausdruck von ihm! Bin euch dankbar, unendlich dankbar, daß ihr stillgeblieben seid! Gehe natürlich mit euch viel lieber als mit ihm. Muß ihm aber doch nach! Werde ihm alles genau sagen und vorstellen. Ihr tretet die Plätze also nicht ab?«
»Nein!«
»Well! Habe ihm das klar zu machen. Wartet hier, bis ich wiederkomme. Werde es so kurz wie möglich machen!«
Er eilte den beiden Gentlemen nach.
»Hast du alles verstanden, Sihdi?« fragte Halef nun.
»Ja.«
»Was wurde gesprochen?«
Ich gab ihm kurze Antwort. Die Beleidigungen verschwieg ich natürlich. Dann meinte er:
»Dieser Inglis erhob die Hand gegen mich. Er ahnte nicht, was er dabei wagte. Du sagst mir, daß er ein Verwandter unsers Freundes sei. Darum will ich nicht weiter über ihn sprechen, sondern schweigen. Komm, laß uns von hier fortgehen, durch das Thor, damit wir Lindsay schon von weitem sehen, wenn er kommt!«
Wir entfernten uns, die Pferde natürlich mitnehmend, so weit von dem Kaffeehause, daß wir den Steamer liegen sahen. Dort setzten wir uns auf die Steine nieder, um zu warten. Es war für den Dampfer noch nicht Zeit, abzugehen, doch ließ er schon nach wenigen Minuten die Pfeife dreimal hören, und wir sahen, daß er sich in Bewegung setzte.
»Geht er fort?« fragte Halef.
»Wie es scheint.«
»Mit Lindsay. Der hat ihn doch noch nicht verlassen!«
»Allerdings sonderbar! Komm, laß uns sehen!«
Wir stiegen auf die Pferde und ritten schnell die kurze Strecke hinab, bis wir uns dem Steamer gegenüber befanden. Er hatte schon das tiefe Fahrwasser gewonnen. Am Regeling stand Lindsay, der nach uns ausschaute. Als er uns sah, rief er uns zu:
»Kann nichts dafür! Bin überlistet worden! Soll ich in das Wasser springen und zu euch an das Ufer schwimmen?«
»Nein,« antwortete ich.
»Well! Lebt einstweilen wohl! Werde in Schiras auf euch warten. Darf ich?«
»Wie es Euch beliebt.«
»Will es thun. Auf Wiedersehn!«
Da trat der General zu ihm und zog ihn mit sich fort.
»Ist das Schiff abgegangen?« fragte Halef.
»Ja. Man hat Lindsay nichts davon gesagt. Nun muß er mit.«
Da schlug Halef die Hände froh wie ein Kind zusammen und rief aus:
»Alhamdulillah! Ich wollte es nicht gern eingestehen, Sihdi; aber mein Herz war tief betrübt, dich nicht mehr ganz allein zu haben! Dieser Inglis ist mir lieb; aber daß ich dich mit ihm zu teilen hatte, das raubte mir die Ruhe meines Innern. Wie freut es mich, daß du mir nun ganz zurückgegeben bist! Allah sendet zuweilen Augenblicke des Verzichtes, damit wir sehen und erkennen sollen, wie hoch der Wert dessen ist, was er uns beschieden hat. – Was aber thun wir nun? Noch eine Nacht in Basra bleiben?«
»Nein. Wir müßten am Kanale hin, nach der alten Stadt zurück, um unsere dumpfe Wohnung aufzusuchen.«
»Das war ein altes, stinkendes Loch, und doch sollte es die beste Wohnung sein, die es gab. Es hat mich vor dem Moderduft gegraut und vor dem faulen Wasser, welches wir zu trinken bekamen. Das Fieber brütet hier an jeder Stelle. Am liebsten möchte ich weit vom Flusse fort!«
»Ich bin einverstanden. Fahren wir noch über!«
»Mit demselben Fährmanne?«
»Ja. Ich vermute, daß er deine Peitsche noch nicht vergessen hat.«
»Schau, wie du plötzlich mit ihr einverstanden bist!«
»Einverstanden ist nicht das richtige Wort, lieber Halef, du wirst mich in dieser Beziehung schon noch begreifen lernen. Komm!«
»Ja, komm, Sihdi! Wollen dem Inglis eine gute Reise wünschen; uns aber auch! Wir waren zwar nur kurze Zeit hier; aber ich habe etwas in mir, was überflüssig ist. Wie ich es nennen soll, das weiß ich nicht, doch fühle ich ganz deutlich, daß es da ist. Hoffentlich werde ich diese Empfindung auf den freien, lichten Höhen des Gebirges wieder los!«
Wir ritten nach der Fähre. Der Mann saß da und schlief. Seine beiden Gehilfen lagen in seiner Nähe und – schliefen auch. Als wir die Schläfer weckten, wollte der Gebieter des Fahrzeuges grob werden; er hatte die Augen noch nicht ganz offen. Sobald sie aber geöffnet waren und er uns erkannte, sprang er auf und war zur Arbeit bereit. Es wurde der Preis ausgemacht, wobei er sich sehr gefügig zeigte. Als wir ihn dann am andern Ufer bezahlten und er ein kleines Extrageschenk erhielt, war er des Lobes unserer Güte voll. Halef lächelte über diesen Erfolg seiner Peitsche still in sich hinein.
Wir ritten so lange, als es hell blieb, über die jenseitige Ebene. Als es dunkelte, machten wir bei einem wilden Dattelgestrüpp Halt, um da zu übernachten, weil es reichlich und gutes Gras für die Pferde gab. Wir befanden uns zwar auch hier noch auf feuchtem Stromgebiete, doch war die Luft eine andere als in der dumpfen, arg verpesteten Stadt, und wir thaten einen so festen und ununterbrochenen Schlaf, daß wir erst erwachten, als die Sonne längst schon aufgegangen war. –