Karl May
Im Reiche des silbernen Löwen II
Karl May

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Wieder im Turm

Wir brachen auf und fanden die kleine Reiterschar schon draußen vor dem Thore auf uns wartend. Ich setzte mich mit dem Kol Agasi und dem Kammerherrn an ihre Spitze. Kaum waren wir zur Stadt hinaus, so erkundigte sich der erstere nach den Befehlen, welche ich ihm zu erteilen hätte.

»Du, Effendi, bist der Muschir, der Seraskier Pascha unsrer Armee,« sagte er, »und ich bin der Ferik Pascha. Dir haben alle zu gehorchen, mir aber auch meine sechzig Mann, Wir werden gern kämpfen und sind bereit, für dich in jedes brennende Feuer zu springen. Sag mir nur, was ich thun und wie ich mich verhalten soll!«

»Zunächst haben wir so schnell und so unbemerkt wie möglich nach dem Birs Nimrud zu kommen,« antwortete ich ihm.

»Unbemerkt? Da ist es geraten, von diesem Wege abzuweichen.«

»Wohl; aber dann kommen wir auf schlechtes Terrain und bringen die Beine der Pferde in Gefahr.«

»O nein! Du mußt bedenken, daß hier unser Exerzierfeld ist und wir also jeden Schrittbreit kennen. Wenn die Feinde an einen Angriff denken, so erwarten sie ihn von der Stadt her. Nicht?«

»Allerdings.«

»Sie werden also ihre Wachsamkeit nach dieser Richtung lenken, und so müssen wir von einer andern Seite kommen. Wir setzen dadurch eine Zeit von höchstens fünf Minuten zu. Ist es dir recht, daß wir einen kleinen Bogen schlagen?«

»Ja.«

»So komm, und verlaß dich auf mich! Deine Hengste werden auch nicht ein allereinzigesmal ins Stolpern kommen. Wir reiten wie auf einer ebenen Sufra

Er lenkte nach rechts vom Wege ab, und ich muß sagen, daß er in Beziehung auf die Glattheit des Rittes nicht zuviel gesagt hatte. Dabei ließ er das Gespräch nicht ausgehen; er fuhr fort:

»Ich denke an das alte Sprichwort, welches sagt: Das Schicksal wendet die Ssuderah des Menschen täglich dreimal um, früh einmal, mittags noch einmal und des Abends wieder einmal. Die deinige aber scheint es noch öfter umzuwenden, nämlich des Nachts auch zweimal.«

»Wieso?«

»Weil du in dieser Nacht gefangen warst und nun selbst Gefangene machen willst. So warst du auch mein Gefangener und doch nach kurzer Zeit schon wieder frei, und zwar ohne einen Menschen um die Erlaubnis dazu zu fragen!«

»Ein Sprichwort in meinem Vaterlande sagt: Wer viel fragt, der geht viel irre; hier in diesem Falle würde es heißen müssen: Wer viel fragt, der kommt nicht über die Mauer.«

»Ja, dieser Sprung über die Mauer! Du hättest die Augen sehen sollen, welche euch mit den Blicken folgten, als ihr, wie auf Gomelastik sitzend, darüber hinwegflogt! Wir haben keine schlechten Pferde beim Regimente, aber keine guten Reiter. Der freie Bedawi reitet viel, viel besser als wir. Wenn ich nur ein Bataillon hätte; ein Regiment brauchte es gar nicht zu sein; wie sollten meine Leute reiten lernen! Die müßten fliegen wie die Falken! Aber soweit bringe ich es in meinem ganzen Leben nicht. Das Kismet ist mir nie wohlgesinnt gewesen!«

»Fühlst du dich nicht glücklich!«

»Wie kann man glücklich sein, wenn man fünf Monate lang keine Löhnung bekommt! Der Padischah ist der größte und berühmteste, der reichste und weiseste Herrscher aller Reiche; aber – – du wirst mir nicht das Leid anthun, diese meine Worte zu verraten! – –sein Reichtum bleibt bei ihm; er kommt nicht zu uns, und seine Weisheit reicht über den ganzen Erdkreis, aber nicht bis in unsere Taschen.«

»Wovon lebst du da, wenn die Löhnung so lange Zeit ausbleibt?«

»Ich lebe eigentlich gar nicht, sondern ich hungere, denn ich habe mein Harem und meine Kinder lieb und gebe ihnen die Brotkrumen, welche ich von den Teppichen meiner hohen Vorgesetzten auflese. Ich will gern hungern; sie aber sollen es nicht!«

»Deine Vorgesetzten haben also Brot?«

»O, nicht bloß Brot, sondern auch Fleisch und überhaupt alles, was ihr Herz begehrt! Du mußt nämlich wissen, daß der Fluß der Löhnung von oben herunter kommt, aber nur bis zum Bimbaschi geht; da hört er gewöhnlich auf, und nur dann, wenn das Regiment revoltiert, wird eine kleine Schleuse geöffnet, die sich aber sehr bald wieder verstopft. ja, wenn ich es einmal bis zum Bimbaschi brächte, so wäre mir und meinem Hause, dem mein ganzes Herz gehört, für immer geholfen!«

»Ist dieses dein Haus groß?«

»Ich habe vier Söhne und drei Töchter; ich habe meine eigene Mutter und auch die Mutter meines Harems; das sind elf Personen, die von der kargen Löhnung, die ich nicht bekomme, leben sollen. Allah gebe baldige Besserung!.«

»Er wird dir helfen, Amuhd Mahuli. Wenn ich heut mit dir zufrieden bin, werde ich mit dem Dscheneral sprechen und ihn bitten, dafür zu sorgen, daß dir die rückständige Löhnung ausgezahlt wird.«

»Wenn du das wolltest, Effendi! Meine Dankbarkeit und auch die Dankbarkeit meines ganzen Hauses würde dich segnen bis an unser Ende! Wir haben gesehen, wie hoch der Dscheneral dich ehrt und achtet; er hat heut in viel, viel wichtigeren Dingen nur auf dein Wort gehört und würde dir also auch diesen kleinen Wunsch gewiß von Herzen gern erfüllen. Du sollst mit mir zufrieden sein; ich werde alles, alles thun, um mir deine Fürbitte zu verdienen. Vielleicht denkst du dann auch an dein anderes Versprechen.«

»An welches?« fragte ich, mich vergeßlich stellend.

»An deinen Bericht an den Seraskier. Wirst du in demselben auch erwähnen, daß wir jetzt nach dem Birs Nimrud reiten, um die Mörder der Karawane zu ergreifen?«

»Ja.«

»Und daß ich als Oberster von sechzig Mann und dein nächster Untergebener dabei beteiligt bin?«

»Gewiß! Ich werde alles, was du thust, und wie du dich dabei auszeichnest, ganz ausführlich erwähnen.«

»Ich danke dir! Ich weiß, daß du Wort hältst, und werde mir deine Anerkennung und die Gnade des Seraskiers zu erwerben suchen. Jetzt sind wir so weit, daß der Birs Nimrud im Ostsüdost vor uns liegt. In zehn Minuten werden wir dort sein.«

»Schon? Das ist schneller gegangen, als ich dachte!«

»Ich wußte es, daß du mit meiner Führung zufrieden sein würdest. Jetzt hast du nur zu bestimmen, welchen Punkt der Ruine du zuerst berühren willst.«

»Erinnerst du dich der Stelle, wo wir unsere Pferde versteckt hatten und dann früh am Morgen holten?«

»Ja; ich kenne sie ganz genau!«

»Dorthin muß ich zunächst. Doch halten wir vorher auf Rufesweite von dort an, denn ich will mich zu Fuße hinschleichen, um zu erfahren, wo die Leute stecken, welche wir suchen.«

»Ist das nicht gefährlich?«

»Nein.«

»Man kann dich wieder ergreifen!«

»Gewiß nicht wieder. Kein Fennek geht wieder in die Falle, aus der er einmal entkommen ist.«

Wir ritten noch eine kurze Strecke, und dann hielt der Kol Agasi an.

»Hier haben wir die Entfernung, welche du meinst,« sagte er. »Wenn wir laut rufen, werden wir an der Ruine gehört. jetzt willst du uns verlassen?«

»Ja.«

»Auf wie lange?«

»Das kann ich nicht sagen. Ihr bleibt aber hier und entfernt euch auf keinen Fall, bis ich zurückkehre. Dabei habt ihr jedes Geräusch, auch das geringste, zu vermeiden.«

»Aber wenn du nicht wiederkommst?«

»Ich komme!«

»Wirst du uns in der Dunkelheit finden?«

»Ja. Hier vertraue ich dir meine Gewehre an, und laß nicht andere Pferde an unsere Rappen, wenn sie liegen; sie vertragen das nicht!«

Halefs Barkh war am Zügel nebenher geführt worden; ich gab ihm und meinem Ben Rih das Zeichen, sich zu legen, und sie gehorchten. Dann trat ich die Rekognoscierung an.

Mein Plan war auf die Voraussetzung gebaut, daß der Säfir nicht vor Ablauf der von ihm erwähnten sechs bis sieben Stunden in das Innere des Birs zurückkehren werde, wenigstens nicht in den Raum, wo wir gelegen hatten. Hatte er eher nach uns gesehen, so war unsere Flucht entdeckt und er hatte sich uns entzogen und von den Vorräten und Schätzen der Ruine soviel mitgenommen, wie ihm in der Eile möglich gewesen war.

Ich nahm mich natürlich außerordentlich in acht. Das Messer in der Hand, war ich fest entschlossen, mich nicht berühren zu lassen, sondern jeden, der dies versuchen sollte, niederzustoßen.

Ich kam glücklich bis an das Versteck der Pferde. Es war niemand da. Von hier aus schlug ich die bekannte, schon wiederholt gegangene Richtung nach dem Eingange der Schmuggelniederlage ein. Dort brannten mehrere Feuer, deren Schein es mir erleichterte, einer etwaigen Begegnung zu entgehen. Ich schlich mich, zuletzt am Boden kriechend, näher und immer näher, bis ich eine einzeln stehende Mauersäule erreichte, welche, von der einen Seite vom Feuer beleuchtet, nach der andern einen tiefen Schatten warf. In diesem duckte ich mich nieder und lauschte.

Kaum mehr als zwanzig Schritte von der illustren Versammlung entfernt, welche hier ihr nächtliches Wesen trieb, konnte ich die Männer alle sehen und auch das hören, was nicht ganz leise gesprochen wurde. Sie sprachen aber meist laut und ungeniert, und es war überhaupt zu merken, daß sie sich alle recht sicher fühlten.

Sie bildeten zwei Abteilungen, und ich sah sogleich, daß die einen die Räuber und die andern die Schmuggler waren. Die letzteren beschäftigten sich damit, einen vorher gewiß recht groß gewesenen Haufen von Waren in einzelnen Paketen und Ballen hinauf nach dem Eingange der Niederlage zu schaffen. Sie thaten das von Posten zu Posten, d. h. in der Weise, daß sie sich in gewissen Entfernungen voneinander aufgestellt hatten und einer dem andern das Stück zutrug. Auf diese Weise brauchte keiner von ihnen den ganzen Weg zu machen. Es war ja überhaupt anzunehmen, daß nicht sie alle, sondern nur die von dem Säfir Bevorzugten den eigentlichen Eingang kannten. Diese standen jetzt oben, die andern aber unten, und indem sie sich nicht beisammen befanden und ihre Arbeit außerordentlich still verrichteten, konnten sie meiner Beobachtung keine Erfolge bieten. Ich wendete meine Aufmerksamkeit also der andern Abteilung, den Räubern, zu.

Räuber waren sie, denn es standen und lagen die zwölf Pferde und sechs Lastkamele des Kammerherrn da, die letzteren freilich nicht mehr belastet, denn was sie getragen hatten, lag in zwei Haufen vor den Mordgesellen, welche die einzelnen Gegenstände von dem einen nahmen, um sie zu beschauen, zu taxieren, über ihren Wert zu streiten und nach erfolgter, oft sehr schwieriger Einigung auf den andern zuwerfen. So wurde dieser immer größer und jener immer kleiner.

Aus diesem Abschätzen und Zanken ersah ich, daß das saubere Geschäft nicht auf Lohn, sondern auf Anteil abgeschlossen worden war. Ich zählte fünfzehn Personen, lauter Beduinen, natürlich dem oft erwähnten Stamme der Ghasai angehörend, sonnverbrannte, hagere, finster und gierig dreinblickende Gestalten.

Der Säfir saß bei ihnen. Er hatte in der Hand ein Buch und neben sich einen großen Geldbeutel. In das Buch trug er die einzelnen Stücke und die auf sie gefallene Taxe ein, und aus dem Beutel zahlte er einem alten, graubärtigen Kerl, der wohl der Vormann der Schurken war, den auf sie entfallenden Anteil vom Werte aus. Daß es dabei sehr laut, erregt und nicht ohne recht gefährlich klingendes Wettern und Fluchen abging, versteht sich ganz von selbst. Nur der Säfir bewahrte seine Kaltblütigkeit; er schien im Umgange mit der Art von Leuten erfahren zu sein, hörte ihrem Schimpfen ruhig zu, sprach ein abschließendes Machtwort, dem dann nicht mehr widersprochen wurde, griff in den Beutel und legte den Betrag in die ihm entgegengestreckte, schmutzige Hand. Diese Leute waren keine geschulten Rechner; sie konnten nicht addieren; darum ließen sie nicht die einzelnen Posten zusammenziehen und sich dann die Summe geben, sondern es mußte ihr Anteil für jedes einzelne Stück für sich entrichtet werden.

Einmal verlor der Säfir doch seine Ruhe. Es war bei einer orientalischen Stickerei, deren Gold bis zu mir herüberflimmerte. Die Ghasai taxierten sie zu hoch, und es entstand ein Streit, welcher sich so in die Länge zog, daß er, mit seiner Geduld zu Ende, aufsprang und zornig ausrief:

»Ihr seid von Sinnen und bellt um nichts, wie die Schakale beim Scheine des Mondes! Seht dort meine Leute an! Das sind neunzehn Männer; aber sie alle zusammen haben während der ganzen Nacht nicht soviel Lärm hören lassen, wie ein einzelner von euch in zwei Minuten macht. Das habe ich nun satt! Glaubt ihr, ich sitze nur für euch hier und habe nichts anderes vor, als euer Brüllen anzuhören? In einer halben Stunde sind die dort mit ihrer Arbeit zu Ende; dann müssen auch wir hier fertig sein, denn dann habe ich höchst notwendig noch für mich selbst zu thun. Bringt ihr noch länger zu, so packe ich hier alles zusammen, schaffe es fort, und ihr bekommt keinen, aber auch nicht einen Para mehr!«

Das wirkte; der Handel ging von jetzt an schneller von statten. Aber seine Worte sagten auch mir, daß ich mich beeilen müsse, denn was das war, war er in einer halben Stunde so notwendig für sich selbst zu thun hatte, das wußte ich. Er wollte zu mir und dem Kammerherrn, und da mußte er, wie mein Plan war, uns scheinbar grad so antreffen, wie er uns verlassen hatte.

Ich huschte also zunächst bis aus der Hörweite fort und lief dann, so schnell ich konnte, zu meiner hoffentlich tapferen Kavallerie. Der um mich besorgte Kol Agasi war erfreut, als er mich wiedersah.

»Jetzt beginnt eure Aufgabe,« sagte ich, so daß alle es hörten. »Merkt euch gut, was ihr jetzt von mir hört! Neun Mann bleiben hier an dieser Stelle bei den Pferden; sie haben dafür zu sorgen, daß kein Lärm entsteht. Ein zehnter geht mit mir und dem Pischkhidmät Baschi. Was er zu thun hat, wird er noch erfahren. Wer diese zehn sein werden, hat der Kol Agasi zu bestimmen. Und jetzt kommt die Hauptsache. Hört!«

Sie drängten sich näher zu mir heran, und ich fuhr fort:

»Ich führe die übrigen Fünfzig jetzt zu einer Stelle der Ruinen, wo einige Feuer brennen. Dort sitzen die Mörder und verteilen die Beute; es sind fünfzehn Mann. Da sind auch die Schmuggler, welche ihre Waren in die Trümmer tragen; sie zählen neunzehn, mit dem Anführer zwanzig Personen. Wir haben also zusammen fünfunddreißig Personen zu fangen. Wenn uns keine einzige, hört, ich sage, keine einzige, entkommt, erhält jeder Soldat von euch hundert und jeder Unteroffizier zweihundert Piaster!«

Das gab leise Ausrufe der Freude, des Staunens, der Zustimmung und Ermunterung. Ich sprach weiter.

»Wir fangen sie in folgender Weise: Ihr bildet eine Linie, welche von den Ruinen aus in einem Halbkreise um die Feuer herumführt und dann wieder an die Ruinen stößt. Dadurch werden diese Menschen vollständig eingeschlossen, sodaß keiner hinaus auf die freie Ebene entfliehen kann. Wer von ihnen sich eurer Linie naht, wird laut angerufen und zurückgewiesen; gehorcht er nicht und will den Durchbruch erzwingen, so wird er ohne Nachsicht und Zaudern niedergeschossen. Sie sollen nämlich zunächst zurückgewiesen werden, weil es meine Absicht ist, sie, sobald es hell wird, zusammen zu haben. Was dann geschieht, werdet ihr von mir erfahren, denn bis dahin bin ich wieder bei euch. Sagt mir, aber nicht zu laut, ob ihr alle mich verstanden habt!«

Ich bekam ein sechzigmaliges Ja zu hören. Die Leute waren von den versprochenen Piastern ganz begeistert, und ich konnte überzeugt sein, daß sie alles mögliche thun würden, sich dieses Geld zu verdienen. Um diesen Enthusiasmus auch dem Kol Agasi mitzuteilen, zog ich ihn auf die Seite und fragte ihn leise:

»Meinst du, daß sie nun ihre Pflicht thun werden?«

»Oh, Effendi,« antwortete er, »ich versichere dir, daß sie lieber sterben, als einen dieser Halunken entkommen lassen werden. Du hast dir mit einem Schlage ihre ganze und vollständige Anhänglichkeit, Liebe und Treue erworben!«

»So will ich versuchen, auch die deinige zu erlangen. Du hast vorhin eine höhere Charge gewünscht, und ich sagte dir, daß Allah dir helfen werde. Dieses mein Wort soll in Erfüllung gehen; Allah sendet dir seine Hilfe durch mich, denn ich teile dir folgendes mit: Wenn von den fünfunddreißig Personen, die wir haben wollen, keine entkommt, so bist du Bimbaschi, noch ehe wir nach Hilleh zurückkehren.«

Er stand vor freudigem Schreck ganz unbeweglich da und brachte kein Wort hervor. Dann nahm er sich zusammen und sagte, aber auch nur stammelnd:

»Bim – – ba – –schi – – noch – – ehe – – wir – –« und nun sprudelte er höchst schnell hervor. »Bimbaschi soll ich sein, noch ehe wir nach der Stadt zurückkehren?! Effendi, ich weiß, daß du die Wahrheit sagst und keinen unbegründeten Scherz mit mir treibst, und so will –--«

»Sei still, Amuhd Mahuli,« unterbrach ich ihn. »Noch bist du nicht Bimbaschi; du kannst und sollst es aber werden, wenn du die von mir gestellte Bedingung erfüllst. Rege dich also jetzt nicht auf, und sei darauf bedacht, meinen Erwartungen zu entsprechen.«

»Effendi, wir fangen sie; wir fangen sie alle, alle, alle! Ich bin überzeugt, daß uns kein einziger entschlüpft. Komm schnell, damit wir den Kreis um sie rasch schließen!«

»Erst hast du die neun auszuwählen, welche hier bleiben, und den einen, der mit mir geht.«

»Das ist in einer kleinen Minute geschehen, ich eile, es zu thun!«

Er nannte die betreffenden zehn Namen, und dann setzten sich die fünfzig in Marsch. Wir gaben uns natürlich Mühe, kein Geräusch zu verursachen, und als wir in der Nähe des Feuers angekommen waren, wurde die Linie nach der Anweisung des Kol Agasi so vortrefflich und behutsam gebildet, daß keiner von den Einzuschließenden etwas davon bemerkte, und ich sicher war, daß es keine Lücke gab, durch welche jemand entschlüpfen konnte. Hierdurch beruhigt, ging ich mit dem Kammerherrn und unserm einen Reiter nach der Stelle, welche Halef in seiner drolligen Weise »Markt der Stachelschweine« genannt hatte. Wie erinnerlich, war das der verborgene Mauereinschnitt, in dem wir die Pferde versteckt hatten, und wo ich mit dem Kammerherrn aus unserer Haft wieder an das Licht des Tages oder vielmehr das Dunkel der Nacht gekommen war.

Ich wußte, daß ich ein gewagtes Spiel unternahm; aber es war mir so frei, so leicht, so unbesorglich zu Mute, als ob ich es schon gewonnen hätte. Indem wir die Schutthalde hinaufstiegen, fragte mich der Perser:

»Warum suchst du diesen Ort wieder auf, Effendi? Wir haben doch, denke ich, hier gar nichts mehr zu suchen!«

»Ich suche hier sogar sehr viel.«

»Was?«

»Den Säfir.«

»Den sah ich doch vorhin bei seinen Leuten!«

»Vorhin, ja. Nun aber werden wir ihn in unserm Gefängnisse finden!«

»Willst du etwa wieder hinein?«

»Ja.«

»Allah! Bist du bei Sinnen?«

»Ich denke es. Und ich kehre nicht allein dorthin zurück, denn du wirst mich begleiten.«

Er blieb vor Schreck sofort im Ziegelmehle stecken, schlug die Hände zusammen und stöhnte:

»Denn – – du – – wirst – – mich – – begleiten! Effendi, das fällt mir ganz und gar nicht ein! Wenn du übergeschnappt bist, so ist das für mich kein Grund, es auch zu sein!«

»So höre, was ich hier noch weiter suche! Nämlich dein Eigentum.«

»Mein Eigentum? Wie meinst du das?«

»Von deinen Pferden und Kamelen will ich gar nicht sprechen, doch hast du gesehen, daß sie noch da sind, und wenn du thust, was ich wünsche, wirst du sie wieder bekommen; aber die letzteren waren schwer beladen, und zwar, wie ich denke, mit Gegenständen, welche nicht wertlos sind.«

»Bloß nicht wertlos? Du kannst mir glauben, ihr Wert ist so groß, daß er ein Vermögen, ein ganzes Vermögen beträgt. Es sind Geschenke des Schah-in-Schah, und was unser Beherrscher giebt, das kostet viel, sehr viel!«

»Was wird er da sagen, wenn du ihm berichtest, daß diese kostbaren Geschenke geraubt worden sind?«

»An das, was er sagen wird, mag ich gar nicht denken. Ich werde seine Gnade, seinen Schutz, sein Vertrauen verlieren und in den Staub gestoßen werden, aus welchem ich mich nie wieder erheben kann. Dazu kommen die Unterschriften, die ich dem Säfir geben mußte. Er wird mich durch sie zum Bettler machen!«

»Wäre es da nicht ein Glück für dich, ein großes Glück, wenn du das alles wieder bekämst, die Geschenke des Schah und auch deine Unterschriften?«

»Ja, das wäre ein Glück, für welches ich Allah nicht genug danken könnte!«

»Aber du willst sie ja gar nicht wieder; du verzichtest ganz auf sie!«

»Ich? Verzichten? Wer hat das gesagt?«

»Du selbst!«

»Ich selbst? Davon weiß ich kein Wort, kein einziges Wort!«

»Hast du nicht soeben ganz bestimmt gesagt, daß du nicht mit mir ins Gefängnis zurückkehren willst?«

»Das habe ich allerdings; aber was hat diese so wohlbegründete Weigerung mit den Geschenken meines hohen Regenten und mit den unterschriebenen Anweisungen zu thun?«

»Sehr viel. Wir kehren in das Gefängnis zurück, um das alles wieder zu holen. Wenn du dich entschließest, mitzukommen, garantiere ich dir die Möglichkeit, dir zu deinem Eigentume zu verhelfen.«

»Ist das wahr, Effendi?« fragte er schnell, sich mit den tief in den Schutt eingesunkenen Füßen energisch herausarbeitend.

»Ja.«

»Aber er wird uns festhalten!«

»Das kann er nicht; wir werden im Gegenteile ihn festnehmen. Dies ist ja der Hauptgrund, welcher mich veranlaßt, diesen ungewöhnlichen Schritt der Rückkehr zu thun. Hier weiß ich, was ich thue; wenn ich mich aber auf die Soldaten verlassen muß, ist es sehr leicht möglich, daß uns der Säfir entflieht. Wenn du es wünschest, gebe ich dir mein Wort, daß du mir ohne alle Sorge folgen kannst. Wenn du mir vertraust, zwinge ich ihn zur Herausgabe dessen, was er dir abgenommen und abgezwungen hat; du erhältst also die Geschenke des Schah-in-Schah wieder und wirst folglich nicht sein Vertrauen verlieren, sondern dich seiner Dankbarkeit für die richtige Ablieferung derselben erfreuen.«

»Dieses dein Versprechen beseitigt meine Bedenken bis auf das eine, daß er sich weigern wird, das zu thun, was du von ihm verlangst. Es wird wahrscheinlich einen Kampf geben.«

»Nicht einen Kampf, sondern nur einen einzigen Hieb von mir, und daß er daran genug haben wird, hast du ja gesehen, als ich den Sandschaki niederschlug!«

»Ja, du hast eine ganz außerordentliche und sehr gefährliche Faust. Also, ich will dir Vertrauen schenken und dich begleiten. Was thut und wagt man nicht, wenn es darauf ankommt, sich das Wohlgefallen des Beherrschers zu erhalten!«

»Gut! Wenn wir auf die Schultern des Soldaten steigen, erreichen wir mit Bequemlichkeit das Loch. Ich gehe voran, und du folgst. Warte nur noch einen Augenblick!«

Ich sagte dem Chejahl, daß er hier still zu warten habe, bis wir wieder kämen, und lieh mir von ihm das alte Gebetstuch, welches er im Hüftgurte stecken hatte. Ich brauchte es zur Verdeckung des Loches in der Gefängnisecke. Zündhölzer und einige Talgkerzen hatte ich schon in Hilleh zu mir gesteckt; auch hatte ich dem Pädär dort mein Messer wieder genommen; dazu kamen die Revolver und der Henrystutzen. Den Bärentöter hatte ich bei den Pferden gelassen. Ich war also hinreichend bewaffnet und brauchte mich vor dem Säfir nicht zu fürchten. Ich gebe zu, daß zu meinem Unternehmen ein gut Teil Wagemut gehörte; wer mir aber vorwerfen wollte, daß es nicht bloß ein gewagtes, sondern ein vermessenes gewesen sei, den müßte ich darauf aufmerksam machen, daß ich überzeugt war, es im Innern der Ruine nur mit einer ganz geringen Anzahl von Gegnern zu thun zu haben. Ich glaubte annehmen zu dürfen, daß nur einige der Schmuggler die Lage und Einrichtung der dortigen Räume kannten, denn es wäre eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit des Säfir gewesen, alle seine Pascher in das Geheimnis einzuweihen. Ich hatte also, ihn ausgenommen, ein Zusammentreffen mit höchstens nur den paar Personen zu befürchten, die mich hereingeschafft hatten, und mit diesen glaubte ich leicht fertig werden zu können.

Jetzt war es nun die allerhöchste Zeit, die uns so liebe, traute Stätte aufzusuchen. Der Soldat lehnte sich an die Wand; seine zusammengefalteten Hände bildeten die erste und seine Schultern die zweite Stufe aufwärts; so kam ich sehr leicht in das Loch, und der Kammerherr folgte mir. Daß ihm dabei das Herz nicht leicht war, hörte ich an dem schwer bedenklichen Seufzen und Krächzen, mit dem er sich hinter mir herschob. Wir hatten bequeme Passage, da der Gang jetzt frei von Ziegelmehl war; der leichte kurze Stutzen behinderte mich auch nicht.

Am Ende des wagrechten Ganges angekommen, richtete ich mich in dem senkrechten auf und lauschte; mein Kopf befand sich schon im Raume Nummer Fünf. Es regte sich nichts, und so stieg ich aus dem Loche; gleich kam dann auch der Perser heraus. Eine mit den tastenden Händen ausgeführte Untersuchung belehrte mich, daß wir unser Zwangsasyl genau so wiederfanden, wie wir es verlassen hatten. Unsere Fesseln lagen noch da, und auf der andern Seite fühlte ich den Müllhaufen, den wir aus dem Loche geworfen hatten. Wir waren allein, und so hätte ich gern ein Licht angezündet, aber der Schein desselben wäre zwischen den Stäben der Vorhangsthür hindurchgedrungen und hätte uns, falls in den anderen Räumen jemand war, sofort verraten. Wir mußten unsere Vorbereitungen also im Finstern treffen.

Zunächst warfen wir das Loch so weit, wie das Material reichte, wieder zu; ich steckte den Stutzen hinein, und breitete das Gebetstuch des Soldaten darüber, auf welches der Rest des Ziegelmehls gestreut wurde. Auf diese Weise wurden das Loch und das Gewehr den Augen des Säfir entzogen. Messer und Revolver hatte ich natürlich nicht sichtbar im Gürtel, sondern verborgen in den Taschen stecken.

Nun mußte ich den Perser wieder binden und brauche wohl nicht zu sagen, daß er dies nicht zugeben wollte. Als ruhige Vorstellungen nichts halfen, gab ich ihm einen etwas weniger freundlichen Rippenstoß, der ihn augenblicklich von der Notwendigkeit der von mir beabsichtigten Maßregel überzeugte. Er wurde genau so gefesselt, wie er es vorher gewesen war. Dann setzte ich mich nieder und legte mir auch meine Stricke wieder an, natürlich nicht so fest wie früher, denn das mochte und konnte ich auch nicht, aber doch so, daß es bei nicht genauer Untersuchung den Anschein hatte, als ob an ihnen nichts verändert worden sei. Nun fühlte ich mich beruhigt. Mein Wunsch, noch vor dem Säfir hier einzutreffen, war erfüllt: jetzt konnte er kommen!

Die Stimmung des Kammerherrn war, obgleich er sich einen »kühnen Krieger« genannt hatte, keinesfalls eine so zuversichtliche wie die meinige. Ich hörte wiederholt ein leises, bedrücktes »Ah« oder »Oh«, dem ein seufzendes »Allah, Allah!« hinzugefügt wurde. Er hatte Angst, und als wir nach einiger Zeit Schritte hörten und der Schein eines Lichtes zwischen den Drahtstäben hindurchdrang, flüsterte er mir, vor Furcht stotternd, zu:

»Effe – fendi, sie ko – kommen! Ia, Samaja, ia Hajaja – o mein Himmel, o mein Leben! jetzt ist es aus mit uns, vollständig aus. O, hätte ich mich nicht verführen lassen! Wäre ich doch nicht wieder hereingekrochen!«

»Schweig doch!« raunte ich ihm zu. »Ich höre, sie gehen zunächst zu Halef, und wir müssen lauschen!«

Die Schritte hatten sich nach Nummer Vier gerichtet; ich hörte den Säfir und auch Halef sprechen, konnte aber die Worte nicht verstehen, doch als der erstere sich wieder entfernte, und mein Hadschi ihm mit erhobener Stimme nachrief, verstand ich die Worte:

»Laß dich nicht auslachen! Ich kenne meinen Effendi. Er wird kommen, ganz gewiß kommen und mich herausholen. Dann rechnen wir aber mit euch ab!«

»So will ich dir sagen, daß er schon gekommen ist,« rief der Säfir zurück. »Er liegt schon lange Zeit hier unten, viel fester gebunden als du!«

»Das ist eine Lüge!«

»Es ist wahr!«

»Und wenn es wahr wäre, so hat er nur mit dir gespielt, sich einen Scherz gemacht; das ist so seine Weise, die er liebt. Er wird frei sein und auch mich befreien, ehe du es denkst!«

»Nur seine Seele wird frei sein, denn wir werden sie und auch die deinige mit Stöcken aus euern verfluchten Körpern treiben!«

»Die Stöcke sind für dich, nicht für uns. Ich schwöre dir bei Allah und dem Propheten zu, daß du schon in kurzer Zeit die Peitsche fühlen wirst, die ihr mir unter höhnenden Worten abgenommen habt! Dann wird es deine Seele sein, die aus deiner aussätzigen Haut direkt hinunter in die Hölle fährt!«

Der Säfir schlug ein verächtliches Gelächter auf, und dann näherten sich die Schritte unserer Thür. Ich hörte deutlich, daß es nur zwei Personen waren. Die Riegel wurden zurückgeschoben und die Drähte aufgezogen; dann trat der Säfir mit dem kleinen Kerl ein, welcher mich durch seine Verkleidung als Hadschi Halef getäuscht hatte, und jetzt hielt er ein brennendes Lämpchen in der Hand.

Der Anführer warf einen scharf forschenden Blick durch den Raum, trat zu dem Kammerherrn, weil dieser ihm näher lag als ich, bückte sich und untersuchte die Fesseln.

»Noch in Ordnung!« sagte er, indem er sich wieder aufrichtete. »Mit dir spreche ich später. Erst kommt der Christ daran, mit dem ich eigentlich noch gar nicht habe reden können.«

Er stellte sich vor mich hin und winkte den Kleinen mit der Lampe herbei, um mich besser sehen zu können. Auch meine Fesseln zu untersuchen, hielt er nicht für notwendig, weil diejenigen des Kammerherrn »in Ordnung« gewesen waren und meine zusammengekrümmte Gestalt den Anschein erweckte, als ob meine Lage noch dieselbe erzwungene und schmerzliche sei wie vorher.

»Du hast wahrscheinlich gehört, was der giftige Zwerg, dein Begleiter, soeben brüllte!« fragte er.

»Ja,« antwortete ich.

»Diese häßliche, widerwärtige Kröte ist wahnsinnig, ist verrückt!«

»Nein!«

»Nicht? Du stimmst ihr bei?«

»Ja?«

»So bist auch du verrückt, aus Angst vor mir vollständig übergeschnappt!«

»Das fällt mir gar nicht ein. Mein Verstand ist jedenfalls klarer und gesünder als der deinige.«

Da ließ er dasselbe Gelächter wie vorhin hören und rief aus:

»Frei will er sein; frei will er seinen Hadschi machen; Prügel mit der Peitsche soll ich bekommen! Das bestätigt dieser Kerl und redet dabei von seinem Verstand!«

»Pah! Was mein Hadschi sagt, das pflegt er stets zu halten. Wenn er dir Prügel versprochen hat, so wirst du sie bekommen, du magst dich dagegen wehren, wie du willst!«

»Hund, wenn du nicht verrückt bist, so kannst du nur die Absicht haben, mich zu beleidigen! Du scheinst gar nicht zu ahnen, was dir bevorsteht!«

»Willst du auch mich zum Lachen bringen? Wenn einer von uns beiden nicht weiß, was ihn erwartet, so bist du es. Ich habe dir vorausgesagt, was geschehen wird. Warte den Morgen ab!«

»Ja, ich erinnere mich,« nickte er mir höhnisch zu. »Das Strafgericht über mich wird mit dem Tage beginnen und mit dem Abende zu Ende sein; so oder ähnlich hast du ja gesagt. Das aber wäre mir zu kurz, viel zu kurz! Für dich habe ich da besser gesorgt. Du bekommst von mir nicht bloß einen kurzen Tag; du sollst die Freuden, mit denen ich dich beglücken werde, länger, viel länger genießen! Was du da drüben am Tigris verbrochen hast –--«

»Ah, an dem Pädär-i-Baharat!« fiel ich ein.

Da wich er in größter Überraschung einen Schritt zurück und fragte hastig.

»Pädär-i-Baharat? Was weißt du von ihm? Woher kennst du diesen Namen? Wer hat ihn dir gesagt? Schon dieser eine Umstand, daß du, ein Fremder und Christ, diesen Namen gehört hast, besiegelt deinen Tod!«

»Ich wiederhole, daß du dich immerfort mit mir verwechselst. Nicht mein, sondern dein Tod ist besiegelt. Du bist durchschaut worden; man weiß, daß du der ›Säfir‹ bist, von dem –--«

»Säfir!« unterbrach er mich. »Mensch, das ist für dich ein neuer Grund zu sterben! Wenn ich dein Ende nicht schon beschlossen hätte, würde ich jetzt bestimmen, daß du diesen Ort nur als Leiche verlassen darfst!«

»Bilde dir nichts ein! Du hast gar keine Macht über mich. Ich werde den Birs Nimrud gesund und frei verlassen und dich als meinen Gefangenen nach Hilleh bringen, um dich zum Pädär und seinen beiden Gefährten sperren zu lassen, die dort an Ketten gelegt worden sind.«

»Ich – – dein – – Gefangener – – nach Hilleh – – an – – Ketten – –!« rief er, mich wie einen Geist anstarrend, aus. »Es ist wirklich so, wie ich gesagt habe; du bist vollständig übergeschnappt!«

»So sagt dir jetzt ein Übergeschnappter, daß du den Pädär in eine Falle geschickt hast, in welcher er gefangen worden ist. Kein Mensch hat ihm dort das geglaubt, was zu sagen du ihm anbefohlen hast.«

»Was – – was hat man ihm nicht geglaubt?«

»Daß ich und der Haddedihn die Karwan-i-Pischkhidmät Baschi überfallen haben, und daß du uns nachgeschlichen bist, um unser Versteck zu erfahren, auch das nicht, daß ich die Leiche des Pischkhidmät Baschi mitgenommen habe, um sie ins Wasser zu werfen.«

Er wollte hierauf etwas sagen, brachte aber vor Bestürzung kein Wort hervor. Da kam mir der Gedanke, diese seine Verwirrung zur Entdeckung des auf die »Rose von Schiras« bezüglichen Geheimnisses auszunützen, und ich fuhr fort:

»Du siehst, daß eure Heimlichkeiten öffentlich geworden sind. Sogar hinter eure berühmte ›Gul-i-Schiraz‹ ist man gekommen.«

Da fuhr er wie ein Raubtier auf mich los und zu mir nieder, faßte mich an beiden Schultern, schüttelte mich und fauchte mich wildkatzig an:

»Die Gul-i-Schiraz? Die Biwä-i-Hakim, die Schems-i-Dschamal, unsere Sitarä-i-Dschira, die so tief im Verborgenen wohnt, daß selbst ich sie nur dreimal gesehen habe?

Unsere schöne, unsere herrliche Königin, vor der wir alle unsere Häupter und unsere Kniee beugen? Sie, deren Blick die Herzen bezaubert und deren Stimme zu den schwersten, den verwegensten Thaten begeistert, sie willst du kennen, du elender, armseliger Wurm? Ich erwürge, ich erdrossele dich!«

Er griff mir nach der Gurgel. Schon wollte ich meine Hände schnell aus der Schlinge ziehen, um ihn abzuwehren, da fiel mir ein anderes Mittel ein, welches wahrscheinlich dieselbe Wirkung hatte und ihn vielleicht zu weiteren Unvorsichtigkeiten veranlaßte, denn er befand sich in einer Aufregung, die ihn hinderte, zu überlegen, was er sagte.

»Rühr mich nicht an!« herrschte ich ihn an. »Ich bin auch ein Sill!«

Er fuhr, als hätte er einen kräftigen Stoß erhalten, von mir zurück, riß die Augen weit auf und fragte:

»Du – – du – – ein Sill?!«

»Sogar ein Särtip-i-Sillan

»Ein Särtip? Mensch, entweder hast du den Teufel, der dir unsere Geheimnisse verraten hat, oder du bist wirklich ein Sill! Dann giebst du dich aber nur für einen Christen aus und bist eigentlich ein rechtgläubiger Schiit.«

»Wenn meine Hände nicht gebunden wären, so könnte ich meinen Ring aus der Tasche nehmen und dir damit beweisen, wer und was ich bin!«

»Er – & er hat – – hat auch einen Ring.« rief er in immer wachsender Erregung aus. »Wenn das wahr ist, so kann A dich prüfen. Ich brauche dich nur zu fragen nach dem Namen unseres höchsten Gebieters, nach Dscha – – –«

Er hielt nach dieser einen Silbe inne, denn er sah ein, daß er im Begriffe stehe, den größten Verrat, der einem Sill möglich war, zu begehen. Die fehlende Silbe des Namens war leicht zu erraten, und da ich an jenem Abende am Tigris dem Pädär abgelauscht hatte, wie dieser ›höchste Gebieter‹ genannt wurde, so ergänzte ich den unterbrochenen Satz:

»Du meinst Dschafar, den Aemir-i-Sillan

»Ja, ja, den meine ich! Du kennst ihn! Du weißt alles, alles, alles! Entweder bist du wirklich ein Särtip-i-Sillan und dein Rang ist höher als der meinige; dann muß ich dich sofort frei lassen. Oder du bist durch Verrat ein Wissender geworden und also ein Spion, den ich augenblicklich unschädlich zu machen habe.«

Er machte, indem er mit beiden an die Stirn gelegten Händen vor mir stand, jetzt den Eindruck vollständiger Ratlosigkeit auf mich. Da wandte er sich mit einer schnellen, entschlossenen Bewegung zu dem Kleinen um:

»Leuchte her; leuchte ihn an! Ich muß sehen, was für ein Gesicht er macht. Ich muß ihm bis hinunter in die Tiefe seines Herzens schauen!«

Als das Männchen dieser Aufforderung nachgekommen war, war es ein förmliches Bohren zu nennen, mit dem sich der Blick des Säfir in meine Augen senkte. Seine Narbe war angeschwollen und tief dunkelrot, und aus seinem Gesichte, seinen geballten, angriffsbereiten Fäusten und seiner sprungfertigen Haltung sprach eine Entschlossenheit, eine Spannung, welche, wenn sie zum Ausbruche kam, geradezu vernichtend zu werden drohte. Dennoch sah ich dem breitschulterigen, starkkräftigen Menschen mit ruhigem Lächeln in das Gesicht, zog aber die Schlinge des Strickes heimlich auseinander, um die Hände zur Gegenwehr bereit zu haben.

»Dein Antlitz ist mir unleserlich,« sagte er, obgleich meine Ruhe und Sorglosigkeit doch eigentlich sehr leicht zu erkennen war. »Ich sehe nichts, und ich entdecke nichts! Ich muß zu einem andern, einem bessern und untrüglichen Mittel greifen: Ich beschwöre dich bei Allah, oder, wenn du ein Christ bist, bei deinem Gotte, mir die Wahrheit zu sagen! Wirst du das?«

»Ja.«

»Hast du den Mut dazu, wirklich den Mut, falls du kein Sill bist, dies einzugestehen?«

»Ja. Glaube nicht, daß ich mich vor dir fürchte!«

»So sag, bist du ein gläubiger Schiit oder wirklich ein Christ?«

»Es kann mir nicht einfallen, deinetwegen oder aus irgend einem anderen Grunde, wäre die Gefahr für mich auch noch so groß, meinen Glauben zu verleugnen. Ich bin ein Christ.«

»Allah! Die Gesetze unseres Bundes machen die Mitgliedschaft eines Christen unmöglich. Du bist also kein Sill?«

»Nein.«

»Du bist also ohne unsere Erlaubnis in unsere Geheimnisse eingedrungen?«

»Ja.«

»So sei verflucht, tausendmal verflucht, und stirb!«

Er stürzte, in seinem Grimme nicht daran denkend, sich einer Waffe zu bedienen, mit auseinander gekrallten Händen auf mich nieder. Ich machte eine schnelle Seitwärtsbewegung, welche zur Folge hatte, daß er daneben griff, fuhr mit den Händen aus der Schlinge, faßte ihn am Halse, zog ihn vollends an mich, wälzte mich auf ihn und versetzte ihm rasch nacheinander zwei Hiebe auf das Schläfenbein. Er warf die dadurch machtlos gewordenen Arme in die Luft, streckte die konvulsivisch zuckenden Beine lang aus und bewegte sich nicht mehr.

Dies war schneller geschehen, als ich es erzählen kann. Es genügten zwei, drei kräftige Rucke an den Stricken, mich vollends von ihnen frei zu machen, dann sprang ich auf.

Der Kleine stand, mit der Lampe in der Hand, wie leblos da und starrte mich an. Da aber warf er die Lampe weg, welche verlöschte, so daß es finster wurde, und schrie:

»Hund, du entkommst uns dennoch nicht!«

Ich wollte vorsichtig ausweichen, aber schon war er da; ich fühlte seine Hand, die mich packte, und dann einen Stich, welcher in mein Herz gegangen wäre, wenn ich mich nicht schon in der beabsichtigten Wendung befunden hätte; nun traf er nur den Armmuskel und hatte, wie sich später zeigte, nur eine ungefährliche, zolltiefe Wunde zur Folge. Ich wollte ihn fassen, aber der kleine, behende Kerl entwich mir schnell und griff zur Pistole, was ich aber wegen der eingetretenen Finsternis nicht sah. Ich sprang nach dem Eingange, um ihm den Rückzug abzuschneiden; da krachte sein Schuß, welcher nach der Stelle gezielt war, an der ich soeben gestanden hatte. Der Pulverblitz zeigte mir seine Gestalt; ich sprang auf ihn zu und schlug ihm, weit ausholend, die Faust auf den Kopf, daß er niederstürzte. Mich sofort zu ihm bückend, überzeugte ich mich, daß nun auch er mir nichts mehr anhaben konnte.

Jetzt war es still, und auch ich bewegte mich nicht, um zu erfahren, ob der Schuß gehört worden sei. Es regte sich nichts. Da erklang die leise Stimme des Kammerherrn:

»Effendi!«

»Ja,« antwortete ich.

»Bist du tot?«

»Unsinn! Wenn ich antworte, kann ich doch nicht tot sein!«

»Also auch nicht erwürgt oder erschossen?«

»Nein; höchstens ein klein wenig mit dem Messer geritzt.«

»Wo sind diese beiden schrecklichen Menschen?«

»Sie liegen hier, leblos von meinen Hieben. Doch sprich jetzt nicht! Noch wissen wir nicht gewiß, ob der Schuß ungehört geblieben ist.«

Wir warteten noch einige Zeit; es kam niemand, und so hielt ich es für erlaubt, ein Licht anzubrennen. Die Lampe konnte nicht wieder angezündet werden, weil sie zerbrochen und ihr Inhalt verschüttet war.

»Baräkullah – Gott sei gepriesen!« seufzte der Perser. »Ich sehe, daß du Sieger geblieben bist. Mein Herz war starr vor Angst, als der Säfir wie ein hungriger Tiger vor dir stand und sich dann auf dich stürzte, um dich mit seinen Krallen zu erdrosseln! Nie in meinem ganzen Leben habe ich so gezittert und gebebt wie da, denn wenn er dich getötet hätte, so wäre auch ich verloren gewesen. Ich bin zwar ein sehr erfahrener und mutiger Krieger; aber wenn man gebunden ist, kann alle Tapferkeit nichts nützen. Wann machst du mich endlich wieder von den Fesseln frei?«

»Sofort. Wir werden sie zur Abwechslung nun diesen beiden anlegen.«

Ich band ihn los. Er sprang auf und frohlockte:

»Allah sei gepriesen, daß diese große, entsetzliche Gefahr vorüber ist! Ich bin derselben zwar mit großer Kühnheit entgegengegangen, doch –--«

»Schrei nicht so!« unterbrach ich ihn. »Von deiner großen Kühnheit weiß ich nichts, und wenn du wirklich meinst, daß die Gefahr vorüber sei, so irrst du dich. Wir haben nur erst diese zwei hier fest und es noch mit dreiunddreißig andern zu thun.«

»Allah bewahre uns! Noch dreiunddreißig!. Was wird das für ein Ende nehmen!«

Die Angst fuhr ihm abermals in die Glieder, was ihn veranlaßte, sich niederzusetzen; ich aber legte dem Säfir und seinem Gesellen die Stricke so fest an, wie es unsere Sicherheit erforderte, und war damit eben fertig, als ich die laut rufende Stimme Halefs hörte:

»Sihdi, Sihdi! Es wurde geschossen. Bist du da?«

»Ja, Halef!« antwortete ich ebenso laut.

»Ich stecke hier. Kommst du bald?«

»Gleich!«

»Wenn die Halunken doch meine Peitsche mitgebracht hätten! Hast du sie vielleicht gesehen?«

Ich konnte nicht anders, ich mußte trotz des Ernstes der Situation lachen. Kaum erfuhr der gute Hadschi, daß er gerettet sei, so war die heißgeliebte Peitsche der erste Gegenstand, an den er dachte! Ich bedeutete dem Perser, still zu bleiben, nahm das Licht und eine hinüber zu dem mich Erwartenden. Als er mich eintreten sah, sagte er.

»Der Säfir wollte mir weiß machen, daß du sein Gefangener seist; ich aber glaubte es ihm natürlich nicht und habe ihm eine innige Begegnung mit der Eindringlichkeit meiner Kurbadsch versprochen.«

»Das habe ich gehört. Er hat nicht gelogen; ich war wirklich gefangen; nun aber bin ich frei und habe ihn fester als er mich vorher. Ich werde dir das nachher erzählen; jetzt führe ich dich zu ihm.«

»So gieb mir erst den Gebrauch meiner Glieder wieder, denn so, wie ich daliege, würde es mir unmöglich sein, mich deiner freundlichen Leitung anzuvertrauen!«

Man hatte ihn in einen Teppich gerollt und diesen dann mit Stricken umwunden. Nur sein Kopf sah aus dem Bündel hervor. Ich holte ihn heraus. Kaum stand er auf den Beinen, so erhob er den Arm, hielt die Finger zum Schwur in die Höhe und sprach:

»So wahr ich hier endlich aus der Haut dieses Teppichs gefahren bin, so wahr werde ich mein Wort halten und dem Säfir meine Peitsche kosten lassen! Man hat sie mir genommen; aber ich suche sie; ich werde sie finden, und wenn man sie am Ende der Welt oder noch weit darüber hinaus versteckt hätte! Du liebst die Sprache meiner Kurbadsch nicht, Sihdi; diesesmal aber kannst du dagegen sagen und dagegen machen, was du willst, ich halte mein Wort!«

»Da will ich dich beruhigen, lieber Halef. Heut bin ich vollständig mit dir einverstanden. Als ich hörte, daß er dir mit Prügeln drohte und du ihm deine Peitsche versprachst, stand es bei mir fest, daß er ihr nicht entgehen solle.«

»So sei diese deine Einsicht und die Tiefe deines beglückenden Verständnisses gesegnet, soweit die Menschen auf der Erde wohnen! jetzt aber komm; führ mich zu ihm! Ich darf keinen Augenblick länger zögern, ihm die ersehnte Glückseligkeit meines Grußes zu bringen! Du kannst es gar nicht ahnen, Effendi, in welch heißer Erwartung mir sein Herz entgegenschlägt!«

Er nahm mich bei der Hand und zog mich fort. Ich erkannte, daß ich ihn diesesmal nicht hätte abhalten können, seinem Grimme – um mich seiner Ausdrucksweise zu bedienen – durch »die Segnungen der Peitsche« Luft zu machen. Dieser Säfir hatte aber eine solche Züchtigung mehr als verdient, und so stimmte der glühende Wunsch des kleinen Hadschi im gegenwärtigen Falle ausnahmsweise einmal mit meiner Ansicht überein.

Er zog mich hinaus in den Mittelraum und wollte von da aus mit mir weiter; ich blieb aber stehen und sagte:

»Ehe wir zum Säfir gehen, muß ich erfahren, wie man sich seit dem Augenblicke, an welchem ich in das Wasser sprang, zu dir verhalten hat. Erzähle es mir also!«

»Hat das nicht noch Zeit? Ich verschmachte, wenn du das Wiedersehen mit ihm noch länger hinausschiebst.«

»So thut es mir leid, daß ich gezwungen bin, dich verschmachten zu lassen. Ich muß sein Verhalten zu dir kennen, um das meinige gegen ihn danach einrichten zu können.«

»So muß ich die Fülle meines Verlangens nach ihm beherrschen, um dich zu unterrichten; aber ich sage dir, daß er für jede Minute, die ich länger warten muß, fünf Hiebe mehr bekommt!«

»So mach es kurz!«

»Kurz? O Sihdi, wie wenig Verständnis hast du doch für die Notwendigkeit derartiger freundschaftlicher Beweise! Ich werde es im Gegenteile so lang wie möglich machen, denn je größer die Zahl der Schläge ist, die er bekommt, desto höher wächst seine Erkenntnis meiner selbstlosen Zuneigung und desto gründlicher werde ich die Gefühle der Zärtlichkeit los, welche meine Seele mit der seinigen verbinden. Also, was willst du wissen, und was soll ich dir sagen? Es ist besser, ich frage dich, um die Kürze meiner Erlebnisse in die Länge deiner Neugierde ziehen zu können.«

»Hattest du, als ich aus dem Fährkorbe sprang, nicht den Gedanken, mir zu folgen?«

»Ja; er kam mir allerdings, und ich hätte ihn auch ganz ungehindert ausführen können, denn unsere zwei Busenfreunde konnten sich zunächst nicht um mich kümmern, weil sie genug damit zu thun hatten, die Fähre vor dem Umkippen zu bewahren. Aber die Einsicht des richtigen Verhaltens kam mir schon im nächsten Augenblicke. Wenn ich, an Händen und Füßen gebunden, dir nachsprang, so warst du gezwungen, dich meiner Unbehilflichkeit anzunehmen, wodurch wir in Gefahr kamen, wieder aufgefischt zu werden; ja, ich hätte mich und dich sogar in Lebensgefahr gebracht, da sie sehr leicht auf den höchst unzweckmäßigen Gedanken kommen konnten, auf uns zu schießen. Es war für dich notwendig, so rasch wie möglich zu verschwinden; du mußtest also untertauchen und unter dem Wasser sofort und so weit wie möglich weiterschwimmen. Das hättest du aber nicht thun können, wenn du gezwungen gewesen wärest, mir deine Hilfe und Unterstützung zuzuwenden. Darum blieb ich ruhig liegen, und ich glaube, daß ich da recht gehandelt habe.«

»Allerdings. Du hättest unsere Rettung sehr in Frage gestellt.«

»Das ist es, was ich dachte. Übrigens kennst du ja das Vertrauen, mit welchem ich das Dasein deines Lebens verschönere. Sobald du den Sprung gethan hattest, war ich überzeugt, daß du entkommen und zu den Pferden eilen würdest, um nach den Ruinen zu reiten und mich herauszuholen. Ich hatte also das süße Bewußtsein, im Innern über unsere Widersacher lachen zu können, während ich äußerlich ganz hilflos in ihre Hand gegeben zu sein schien. Dieser Gedanke verlieh mir diejenige Freudigkeit der seelischen Einrichtungen, ohne welche das Erdenleben mit einem Knochen zu vergleichen ist, von welchem das Schicksal schon das Fleisch heruntergegessen hat.«

»Dieser Vergleich ist wunderschön, lieber Halef!«

»O, meine Vergleiche sind stets vortrefflich und fehlerlos, was, verzeihe mir, mit den deinigen nicht immer der Fall zu sein pflegt; aber du darfst dich mit dem Umstande trösten, daß nicht jeder Mensch die Vorzüge, welche ich besitze, vertragen kann. Es gehört viel Demut und Selbstüberwindung dazu, die Größe seines Geistes so zu verhüllen, daß kein Unschuldiger durch sie niedergeschmettert wird.«

»So laß nur du dich auch durch die Größe des deinigen nicht niederschmettern, denn du bist vollständig unschuldig daran!«

»Wie meinst du das, Sihdi?«

»Denk später, wenn du Zeit hast, darüber nach. jetzt liegst du mit deiner Erzählung noch gefesselt und also hilflos im Binsenkorbe und hast also alle Veranlassung, dich in der Demut und Selbstüberwindung zu üben, von welcher du soeben sprachst. Was geschah weiter?«

»Etwas, worüber ich von Herzen lachen mußte. Nämlich als die Ruderer das Gleichgewicht ihres Fahrzeuges wieder hergestellt hatten, riefen sie dir nach. Sie befahlen dir zunächst, augenblicklich zurückzukehren, in welchem Falle sie dir deinen ganz aussichtslosen Fluchtversuch verzeihen wollten. Als sie dann sahen, daß dein Verstand nicht soweit reichte, die erhabene Vortrefflichkeit dieses ihres Vorschlages einzusehen, griffen sie zur Bitte. Sie flehten zu dir, doch zurückzukehren und sie nicht unglücklich zu machen, da es ihnen sehr schlecht ergehen würde, wenn sie bloß mich allein abliefern könnten. Ich erbarmte mich ihres Jammers und tröstete sie, indem ich ihnen sagte, daß meine Person ohne die deinige einen viel größeren Wert besitze, als wenn du dich bei mir befändest.«

»Ich danke dir!«

»Bitte! Sie waren nicht einsichtsvoll genug, mir dies zu glauben, und klagten noch eine ganze Weile fort, bis sie zu der Erkenntnis kamen, daß es dir im Wasser wahrscheinlich viel besser als bei ihnen gefalle; da ruderten sie weiter, und zwar mit großer Eile, denn sie glaubten, je eher sie zum Säfir kämen und ihm deine Flucht meldeten, desto leichter werde es ihm, dich wieder zu fangen. Wir kamen aus dem Flusse in den Kanal und auf demselben dann auch an das Ziel. Einer von ihnen ging fort, der andere blieb bei mir, um mich zu bewachen, obgleich ich alt und verständig genug war, selbst dafür zu sorgen, daß ich nicht aus dem Korbe weggestohlen wurde. Dann holte man mich, wobei man die Vorsichtsmaßregel traf, mir die Augen zu verbinden. Ich wurde getragen, lange Zeit und weit, sehr weit. Als man mich endlich niedergelegt und mir die Binde wieder weggenommen hatte, lag ich da, wo du mich gefunden hast, und der Säfir stand vor mir.«

»Er allein?«

»Nein. Ein kleine Kerl war dabei. Und nun geschah etwas, was ich nicht begreifen kann, und so wird also wohl auch dein Scharfsinn nicht ausreichend sein, mir eine Erklärung zu geben.«

»Was war es?«

»Der Kleine zeigte eine ganz überraschende Sehnsucht nach meinen Kleidern. Womit willst du dieses Verlangen begründen, Sihdi!«

»Ich kenne den Grund und sage dir ihn später. Erzähl nun weiter!«

»Man nahm mir die Fesseln ab und forderte von mir, daß ich mich ausziehe; ich weigerte mich natürlich; da wurde ich mit Prügeln bedroht. Da ich jetzt die Hände frei hatte, hätte ich mich wehren können, aber der Säfir stand mit der auf mich gerichteten Pistole vor mir und drohte, mich zu erschießen, wenn ich nicht gehorche. Da war nichts zu machen. Ich mußte mich fügen, doch nicht ohne daß ich eine Bedingung stellte.«

»Welche?«

»Ich erklärte ihnen, daß ich der Mann einer geliebten Frau und der Vater eines Sohnes sei, und also die Pflicht habe, auf die Erhaltung meiner Gesundheit stets bedacht zu sein; hier aber, in diesem Gewölbe, könne ich in unbekleidetem Zustande von einer Buruda befallen werden, auf welche ein ungeheurer Raschh und Sa'li zu befürchten sei; ich könne also den Wunsch des kleinen Menschen nur dann erfüllen, wenn mir erlaubt werde, nach Ablegung meines Anzuges die Schönheit meiner Glieder mit den seinigen zu umhüllen. Dies gab der Säfir zu, wahrscheinlich nicht aus ängstlicher Rücksicht auf mein Wohlbefinden, sondern um die Sache abzukürzen. Während des Umziehens wollte er allerlei von mir wissen und erfahren; ich sagte ihm aber, daß er sich an dich wenden solle; du werdest ganz gewiß kommen und ihm die gewünschte Auskunft mit Vergnügen geben. Damit mußte er sich begnügen. Als ich wieder gefesselt worden war, entfernten sie sich, und ich befand mich nun eine ganze Ewigkeit mit mir allein, was zwar unstreitig die geeignetste Gesellschaft für mich war, mir aber sehr wenig Unterhaltung brachte. Ich machte unausgesetzte Versuche, mich von den Banden zu befreien, hatte aber nicht den geringsten Erfolg.

Dann hörte ich, daß man einen andern Gefangenen brachte, der unausgesetzt jammerte und um Mitleid bat. Er wurde nicht zu mir, sondern an einen andern Ort geschafft. Wer es war, das weiß ich nicht.«

»Es ist der Pischkhidmät Baschi.« »Der? So ist der Überfall seiner Karawane gelungen?« »Ja. Seine Begleiter sind alle erstochen worden.«

»Allah! Aber er ist selbst schuld; warum hat er unsere Warnung verachtet! Dieser Mann ist ein großer Feigling; er wimmerte wie ein Kind, in dessen Mund der Disch agryssy wohnt. Als ihm sein Platz angewiesen worden war, kam man zu mir, um nachzusehen, ob ich noch fest gebunden sei, und dann verging wieder eine lange, lange Zeit, bis der Säfir und der Kleine wieder kamen und der Wiederumtausch der Anzüge erfolgte. Das Bewußtsein, wieder in meinen eigenen Kleidern zu stecken, erfreute und beruhigte mich so sehr, daß ich selig entschlummerte und so lange schlief, bis die beiden vorhin wieder kamen. Ich war sehr aufgebracht darüber, daß sie mich aus dem Schlafe weckten, und hielt es nicht für notwendig, sie über diesen meinen Zorn im unklaren zu lassen. Der Säfir wurde grob, und so kam es, daß wir in keinem traulichen Einvernehmen voneinander schieden und ich ihm meine Kurbadsch in Erwähnung brachte. Nach einiger Zeit fiel ein Schuß. Wer schießt, der ist bewaffnet, der ist ein Feind, ein bewaffneter Feind hier im Innern des Birs Nimrud aber, der konntest nur du sein, und so rief ich deinen Namen, damit du wissest, wo ich zu suchen und zu finden sei. So, jetzt weißt du, was du wissen wolltest, und nun wollen wir dem Säfir das Vergnügen, uns so schön beisammen zu sehen, nicht länger vorenthalten. Wenn man einem Menschen eine Freude machen kann, soll man es thun, und ich sehe schon vorher im Geiste das vor Wonne strahlende Angesicht, mit welchem er uns entgegenblicken wird. Übrigens bemerke ich soeben, indem ich in meine Taschen greife, daß der kleine Mensch sie leer gemacht hat. Ich werde meine Peitsche ersuchen, ihm in aller Freundlichkeit mitzuteilen, daß der Urheber meines Gewandes diese Taschen nicht für andere Menschen, sondern nur für mich angefertigt hat. Komm!«

Als wir nun in den Raum Nummer Fünf traten, hockte der Kammerherr wie ein verscheuchter Vogel in der Ecke und empfing uns mit den Worten:

»Subhanullah – Gott sei gelobt, daß du endlich wieder kommst, Effendi! Ich habe eine wahre Todesangst ausstehen müssen!«

»Weshalb?« fragte ich.

»Dieser schreckliche Säfir hat mich mit fürchterlichen Drohungen überschüttet.«

»Was hat dich veranlaßt, mit ihm zu sprechen! Er konnte dich doch nicht sehen!«

»Aber er hörte mich!«

»Wärst du doch still gewesen!«

»Du hast recht. Aber als ihm das Bewußtsein zurückkehrte, fragte er, ob jemand hier sei, und ich antwortete ihm. Seit dieser Zeit peinigt er mich mit der Drohung, daß es mir unendlich grausam ergehen werde, wenn ich ihn nicht während deiner Abwesenheit losbinde.«

»Und das hat dir Angst gemacht? Sei überzeugt, daß dieser Mensch vollständig ungefährlich ist!«

Halef hatte zunächst nur für seinen am Boden liegenden Doppelgänger Aufmerksamkeit. Er stellte sich breitspurig vor ihn hin und redete ihn an:

»Erlaube, daß ich dich begrüße, geliebter Freund meiner Seele! Ich bin dir unendlich zugethan, obgleich ich eigentlich gar nicht mit dir sprechen sollte, weil ich durch deine Undankbarkeit in so große Betrübnis versetzt worden bin. Du weißt wohl, was ich meine?«

Der Angeredete antwortete nicht und bewegte sich auch nicht.

»Du schweigst?« fuhr Halef fort. »Sihdi, sei so gut, und leuchte ihm einmal in die Lieblichkeit seines Angesichtes! Ich habe das große Verlangen, mich an der Herzlichkeit seines Lächelns zu erquicken.«

Als ich dieser Aufforderung folgte und den Schein des Lichtes auf das Gesicht des Kleinen fallen ließ, ohne selbst genau hinzusehen, rief Halef aus-.

»Was ist das! Wodurch kam er zum Fall, Sihdi?«

»Durch einen Hieb von mir.«

»So hast du ihn erschlagen! Das ist das Gesicht nicht eines Bewußtlosen, sondern eines Toten!«

Da betrachtete ich den Mann genauer. Sein Unterkiefer war weit heruntergefallen; der Mund stand offen, die Augen lagen gläsern, leblos, starr und unbeweglich in ihren Höhlen. Ich rüttelte ihn und untersuchte ihn, als dies keinen Erfolg hatte, sorgfältig.

»Lebt er doch noch?« fragte Halef.

»Nein; er ist tot,« mußte ich sagen, indem ich mich wieder aufrichtete.

»So ist es so, wie ich sagte: Du hast ihn erschlagen. Dein Hieb war für einen stärkeren Mann berechnet; du hast zu weit ausgeholt. Aber schau nicht so ernst darein! Nicht du bist es gewesen, sondern Allah war es, der deine Hand führte. Du bist kein Mörder› kein Totschläger, sondern der Rächer seiner Thaten. Wer war es, der vorhin schoß?«

»Er.«

»Auf wen?«

»Auf mich.«

»Hat er dich getroffen?«

»Nein.«

»So sei ruhig; du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen! Er wollte dich umbringen, indem er eine Kugel nach dir sandte, und hat den verdienten Lohn dafür erhalten.«

»Vorher stach er schon nach mir!«

»Auch ohne zu treffen?«

»Ich fühlte den Stich; er wird aber nicht von Bedeutung sein.«

Indem ich den Lichtschein auf die betreffende Stelle fallen ließ, sah ich, daß der Ärmel blutig war. Halef bemerkte es auch und rief schnell und besorgt:

»Das ist ja Blut! Schnell herunter mit der Jacke! Ich muß nachschauen, ob die Wunde gefährlich ist oder nicht; eher kann ich nicht ruhig sein!«

Ich that ihm den Willen. Die Verletzung war kaum der Rede wert; ein kleines Stück Kittahn, welches wir aus dem Nebenraume holten, genügte, die Wunde zu verbinden. Als dies geschehen war, untersuchte Halef die Taschen des Erschlagenen.

»Da, schau, Sihdi! Hier ist alles, was er mir gestohlen hat!« sagte er befriedigt. »Ich hoffe, daß ich meine Peitsche ebenso wieder bekomme! Sie ist es, nach der ich vor allen Dingen suchen werde. Ich werde mich beim Säfir nach ihr erkundigen.«

Dieser betrachtete und beobachtete uns mit einem ganz unbeschreiblichen Ausdrucke des Gesichtes und beantwortete die Fragen des Hadschi mit Schweigen. Da zog ihm Halef das Messer aus dem Gürtel, setzte es ihm auf die Brust und drohte:

»Wo meine Peitsche ist, will ich wissen! Sagst du mir es auch jetzt nicht, so ersteche ich dich! Also, wo habt ihr sie?«

Er bekam keine Antwort und stieß zu, doch nicht mit der Kraft, welche zu einem tödlichen Stiche gehört hätte, sondern er ließ ihm nur die Spitze des Messers fühlen. Da brach nun freilich die Schweigsamkeit des Bedrohten, welcher ja nicht wußte, wie weit der Hadschi gehen werde oder vielmehr gehen dürfe. Er entzog sich mit einer ängstlichen Bewegung dem Messer und antwortete endlich:

»Sie ist da! Der Pädär hat sie mitgebracht!«

»Wo finde ich sie?«

»Oben im Gange liegt sie, dein Messer auch!«

»Schau, wie schön du antworten kannst, wenn ich dir die Lippen öffne! Hast du schon seine Taschen untersucht, Sihdi?«

»Nein.«

»Soll ich sie untersuchen, was sie enthalten?«

»Das thun wir später. Nur eines einzigen Gegenstandes will ich mich einstweilen versichern. Nimm ihm den Schlüssel, den er unter der Kleidung an einer Schnur am Halse trägt!«

»Mensch, was geht dich mein Schlüssel an!« fuhr da der Säfir auf.

»Sei ruhig, mein Lamm!« lachte Halef. »Sieh hier das Messer! Ich steche sofort zu, wenn du nicht ganz ruhig liegen bleibst!«

»So nehmt ihn hin in Teufels Namen! Ich weiß ja, daß ich ihn sehr bald wieder bekommen werde. Ihr glaubt, es nur mit mir oder mit nur einigen Personen zu thun zu haben; aber es sind so viel Leute da, daß ihr diesen Ort nicht verlassen könnt, ohne wieder festgenommen zu werden!«

Indem ich von Halef den Schlüssel bekam und ihn einsteckte, antwortete ich:

»Du bist nicht allein; das weiß ich wohl. Es sind noch dreiunddreißig Männer da.«

»Die Hölle verschlinge dich! Wer hat dir das verraten?«

»Ich habe sie gesehen und gezählt.«

»Gesehen – – und – – gezählt?« wiederholte er meine Worte. »Du willst mich glauben machen, daß dein Blick durch Mauern und Schutthaufen dringe?«

»Nicht mein Blick, sondern ich selbst. Bist du denn wirklich so dumm, auch jetzt noch anzunehmen, daß ich während der ganzen Zeit gefesselt hier gelegen habe? Wärst du so klug gewesen, nur ein einziges Mal zu kommen, um nach mir zu sehen, so hättest du mich nicht gefunden. Du hattest diesen Raum kaum verlassen, so bin ich mit dem Pischkhidmät Baschi fortgegangen.«

»Lüge!«

»Pah! Wir ritten nach Hilleh, um den Pädär und seine Begleiter zu fangen, und holten Soldaten, mit denen wir euch umstellt haben. Ich sah dich bei den Ghasai-Beduinen sitzen, um den Raub zu taxieren, und hörte alles, was du mit ihnen sprachst. Dann kehrten wir hierher zurück und legten uns selbst die Fesseln wieder an, um dich zu täuschen. Du hast ja schon vorhin gehört, wieviel ich weiß, und schon dies allein hätte dich auf den Gedanken bringen müssen, daß wir fortgewesen sind und ich hinter deine heutigen Absichten gekommen bin.«

»Du täuschest mich nicht. Das ist doch Lüge, Lüge, nichts als Lüge!«

»Es kann mir gleichgültig sein, ob du mir glaubst oder nicht!«

»Es wäre euch gar nicht eingefallen, euch freiwillig wieder zu binden!«

»Das geschah ja nur zum Scheine. Wie schnell war ich aus den Fesseln heraus, als ich den Augenblick dazu gekommen sah!«

»Aber fortgewesen seid ihr nicht! Der Vorhang war von draußen verriegelt!«

»Es ist ein Beweis deines unendlichen Leichtsinnes, daß du die Wege selbst nicht kennst, die zu deinem Verstecke führen. Da, schau!«

Ich entfernte das Gebettuch des Soldaten und steckte es zu mir, um es ihm dann wiederzugeben, deutete auf das nun sichtbare Loch und sagte:

»Wie lange Zeit kennst du diesen Kerker, ohne zu ahnen, daß grad von ihm aus ein Weg in die Freiheit führt! Ich aber erkannte gleich beim ersten Blicke auf den Ziegelmehlhaufen, der hier lag, daß hier eine Gelegenheit zum Entkommen sei!«

Er starrte in die Ecke, ohne ein Wort hervorzubringen; ich zog meinen Henrystutzen heraus, so daß er ihn sah, und fuhr fort:

»Dieses Gewehr hatte ich doch nicht bei mir, als ich von euch hierhergeschleppt wurde. Wo kommt es her? Ich muß es mir doch wohl geholt haben! Wenn du jetzt noch zweifelst, so verdienst du für diese deine Dummheit noch mehr Prügel, als wir dir schon zugedacht haben!«

»Ia Bidadullah – oh Ungerechtigkeit Gottes!« stieß er hervor, weiter nichts. Seine Betroffenheit war so groß, daß er für diesen Augenblick weiter nichts sagen konnte. Ich hielt es für keinen Fehler, ihn noch weiter aufzuklären:

»Denke auch daran, mit welcher Bestimmtheit ich dir vorausgesagt habe, was geschehen wird! Das konnte ich nur, weil ich vorher wußte, daß ich dieses Gefängnis viel eher, als du ahntest, verlassen würde. Du behauptetest sogar, daß ich seine Schwelle überhaupt niemals wieder überschreiten würde!«

Da brüllte er endlich auf.

»Hund! Schwein! Teufel, der du bist! jetzt wird mir alles klar! Kein Mensch hat dir verraten, was du weißt, sondern du hast alles erlauscht! Aber es soll dir keinen Nutzen bringen, denn ich mache mich los, augenblicklich los und zermalme dich!«

Er zog die Ellenbogen hoch und die Kniee an den Leib, krümmte sich zusammen und streckte sich dann mit Anwendung seiner ganzen, ungewöhnlichen Körperkraft wieder aus. Man hörte den prasselnden Stoß, den das gab, aber die Absicht wurde nicht erreicht; die Fesseln hielten fest und verursachten ihm bei dem starken Rucke solche Schmerzen, daß er einen Weheschrei nicht unterdrücken konnte.

»Bemühe dich nicht; es ist ja doch umsonst!« sagte ich. Ich bin im Anlegen von Banden erfahrener als du. Wen ich zusammenschnüre, der kommt nicht ohne meine Erlaubnis wieder los! Und nun sage ich dir meinen Dank für die Bereitwilligkeit, mit welcher du mich, den Unwissenden, über die größten eurer Heimlichkeiten aufgeklärt hast!«

»Ich weiß nichts davon!« schrie er mich an.

»Über die Sillan!« erklärte ich.

»Nichts, nichts habe ich gesagt!«

»Über den Ämir-i-Sillan!«

»Den giebt es nicht!«

»Über die Gul-i-Schiraz!«

»Das ist eine Fabel; die ist gar niemals vorhanden gewesen!«

»Also auch nicht die Bivä-i-Hakim?«

»Nein.«

»Oder die Schems-i-Dschamal?«

»Nein, nein und tausendmal nein! Das sind ausgesonnene Namen, welche gar keine Bedeutung haben!«

»So ist wohl auch das Wort Sill nichts anders als nur eine Fabel?«

»Ja.«

»Aber die Gegenstände einer Fabel kann man doch nicht sehen!«

»Du siehst auch nichts!«

»Doch! Ich sehe etwas, und weil ich es sehe, kann es unmöglich etwas zu einer Fabel Gehörendes sein.«

»Was?«

»Den Ring an deiner rechten Hand.«

Ich sah, daß er erschrak; er nahm sich aber zusammen und antwortete mit freilich nicht ganz gelungenem Lachen:

»Das ist ein Ring, nichts als ein Ring, ein Ring wie jeder andere Ring!«

»Wir, nämlich ich und du, wissen das beide besser. Es ist der Ring der Sillan mit den Abzeichen des Ranges, den du unter ihnen einnimmst!«

»Hund – –!«

»Halt!« unterbrach ich ihn. »Hüte dich vor diesem Worte! Wenn ich es noch einmal höre, so zeige ich dir, wie man einen Hund zu behandeln hat. Merke dir das! Da ich weiß, daß du den Ring in diesem Leben nicht mehr brauchst, so wirst du ihn mir zum Andenken an unser hiesiges Zusammentreffen überlassen.«

»Ich denke nicht daran!«

»Das ist auch gar nicht nötig, hier gilt das was ich denke; deine Gedanken gehen uns nichts an. Gieb ihn her.«

Ich trat zu ihm, um ihm den Ring abzunehmen. Er zog die gefesselten Hände an sich und kreischte mich in höchster Aufregung an:

»Wage es nicht! Berühre ihn nicht! Ich wehre mich mit aller Kraft!«

»Pah! Selbst wenn du nicht gebunden wärst, würde ich über deine Kräfte lachen!«

»Es steckt ein böser Zauber in dem Ringe, ein Zauber, der dich verderben wird!«

»Grad diesen Zauber will ich kennen lernen!«

»Sieh hier meine Faust! Ich öffne sie nicht; also kannst du ihn nicht bekommen, außer du schneidest mir die Hand ab!«

»Das ist nicht notwendig; es genügt ein einziger Druck. Paß auf, wie man das macht! Ich mache dir diese Hand mit ebenso großer Leichtigkeit auf, wie ich dir schon die andere blutig gezeichnet habe.«

Ich faßte mit meiner Linken sein Handgelenk, legte den Daumen der Rechten auf seinen innern und den gebogenen Zeigefinger auf den äußern Mittelhandknochen und drückte die Knöchel so zusammen, daß er einen Schrei ausstieß und die Hand öffnen mußte. Ein schneller Griff nach dem Ringe, ein schraubendes Drehen desselben von dem Finger herab, und ich hatte ihn in der Hand.

»Sieh, da ist er!« lachte ich. »Ich werde ihn als Andenken an dich tragen und bin dir herzlich dankbar für die Bereitwilligkeit, mit welcher du ihn mir überlassen hast! Ich werde, um dir meine Dankbarkeit zu beweisen, dir jetzt zeigen, daß dieses Loch hier wirklich der Anfang eines Ganges in das Freie ist.«

Er ließ nun ein tiefes, fast tierisches Stöhnen hören; es schien ihn eine solche Wut gepackt zu haben, daß ihm ein menschliches, artikuliertes Sprechen unmöglich war. Der Kammerherr mußte mir helfen, den Gang vom Schutte zu befreien; dann stieg ich hinab, kroch bis an das Ende desselben und forderte den dort noch stehenden Kavalleristen auf, mir die Waffen Halefs heraufzureichen; hierauf kehrte ich in das Gefängnis zurück.

Halef war außerordentlich erfreut, als er sah, was ich ihm brachte.

»Sihdi, erst jetzt fühle ich mich wieder als Mann,« sagte er. »So lange man nichts als nur die beiden Hände hat, ist man jedem, der einen Schuß Pulver im Laufe hat, in die Gewalt gegeben. Nun aber habe ich, was ich brauche, und bin bereit, es mit allen Säfirs der Welt aufzunehmen. Schau den dort an! Er wird nun nicht mehr schimpfen.«

Ich sah, daß dem Säfir ein Lappen auf den Mund gebunden worden war, und fragte, warum man das gethan habe.

»Als du hier in dem Loche verschwunden warst, sprach er wieder von Hunden; er glaubte wahrscheinlich, daß ich mir mehr gefallen lasse als du. Da habe ich ihm zwei Fetzen vom Gewand gerissen und den einen in den Mund gestopft, den andern aber daraufgebunden. Sagte er vorher, was er dachte, so hat er jetzt Gelegenheit, zu denken, was er sagen möchte. Was soll nun geschehen? Ich bin wieder bewaffnet und also zu allem bereit, was du von mir verlangst.«

»Wir müssen jetzt hinaus, um, da wir den Anführer haben, nun auch seine Leute festzunehmen.«

»Ja, thun wir das! Wie werden sie entzückt sein, an seiner Stelle zwei so tapfre Männer, wie wir sind, erscheinen zu sehen! Kriechen wir durch dieses Loch?«

»Nein. Wir gehen oben durch den Gang, um ihnen in den Rücken zu kommen. Vorher aber müssen wir uns des Säfir noch besser als bisher versichern.«

»In welcher Weise?«

»Wir binden ihn so an, daß er sich erwürgt, sobald er einen Versuch macht, sich zu befreien. Bringt ihn heraus, mir nach!«

Halef und der Kammerherr schleiften ihn in den Mittelraum. Ich ließ das Gitterwerk nieder und schob die Riegel vor. Hierauf suchten wir nach einer passenden Leine, und als wir sie gefunden hatten, lehnten wir den Säfir an die Drahtstäbe und banden ihn in der Weise daran fest, daß ihm die Leine an der Kehle saß und er also bei einer größern Anstrengung, loszukommen, sich erdrosseln mußte.

Als wir damit fertig waren und ich wieder zu dem Lichte griff, um den beiden andern voranzugehen, hielt mich der Pischkhidmät Baschi durch die Worte zurück-

»Ich hörte, daß ihr die Leute des Säfir festnehmen wollt, Effendi. Soll das jetzt geschehen?«

»Ja,« erwiderte ich.

»Und ich soll mitgehen?«

»Natürlich! Oder willst du allein hier bleiben?«

»Nein, oh nein! Ich möchte nicht tot hier sein, viel weniger lebendig. – Aber sag, wird es zum Kampfe kommen?«

»Wahrscheinlich.«

»Und ich soll mitkämpfen?«

Der hohe Herr hatte Angst; um diese zu erhöhen, antwortete ich:

»Ich begreife, daß du ganz begierig bist, dich endlich einmal rächen zu können. Du hast dich einen außerordentlich tapfern Krieger genannt, und wir freuen uns sehr, daß uns durch diese deine Tapferkeit der Sieg so sehr erleichtert wird!«

»Ja,« nickte auch Halef sehr ernst; »ein solcher Held wie du ist uns sehr notwendig, denn die Kugeln werden massenhaft herüber- und hinüber fliegen!«

»Fliegen – –? Nach allen Seiten – –?« fragte der Feigling erschrocken.

»Ja.«

»So – – so – – so – – ja, so giebt das einen sehr – – sehr schönen Kampf, und es thut mir außerordentlich leid, daß ich mich nicht daran beteiligen kann.«

»Warum nicht?«

»Ihr seht doch, daß ich vollständig unbewaffnet bin; ich bin also gezwungen, hier zu bleiben, bis ich die Flinte und die Pistolen, welche man mir abgenommen hat, wieder bekommen habe.«

»O, was das betrifft, so werden sich schon Waffen für dich finden, und wenn nicht, so leiht dir mein Effendi eine seiner Drehpistolen.«

»Das geht nicht, denn ich weiß nicht, wie man mit solchen Pistolen schießt.«

»Er zeigt es dir!«

»Nein! Ich habe das Gelübde gethan, mich nur meiner eigenen Waffen zu bedienen. Ihr seht also ein, daß ich euch nicht eher helfen kann, als bis ich diese zurückbekommen habe!«

»Das thut uns leid, unendlich leid, denn es ist schade, wirklich jammerschade um dieses wunderschöne, tapfere Gelübde. Was sagst du dazu, Effendi?«

»Daß ich, wenn ich nächstens in Persien bin, von dieser seiner Tapferkeit und von dem Gelübde, welches ihn hindert, tapfer zu sein, erzählen werde. Kommt!«

So gern ich mich in den Räumen umgeschaut hätte, ich mußte doch für jetzt darauf verzichten. Ich leuchtete, und wir gingen aus Nummer Drei nach Nummer Eins, wo wir die Stufen sahen, welche zu dem Gange emporführten. Weil zu vermuten war, daß sich da oben die Vertrauten des Säfir befinden würden, mußte ich das Licht auslöschen. Wir tasteten uns die Treppe hinauf, ich voran, dann Halef und der Perser hinterdrein. Als wir oben ankamen, war es vollständig dunkel in dem Gange, aber weit vor uns gab es einen hellen Schimmer. Das war der Eingang, welcher offen stand. Ich wollte weitergehen, fühlte aber, daß mir Gegenstände im Wege lagen; es waren, wie ich mich tastend überzeugte, lauter Säcke, Kästen und Pakete, also die hereingeschafften Schmuggelwaren.

»Ich möchte wissen,« flüsterte mir der Hadschi zu, »warum man durch diese Sachen den Gang so unwegsam gemacht hat!«

»Kannst du dir das nicht denken?«

»Nein. Warum hat man sie nicht gleich die Treppe hinuntergeschafft?«

»Weil nicht alle Mitglieder der Schmuggelbande die da unten liegenden Räume und den Weg, der zu ihnen führt, kennen dürfen. Die meisten von ihnen wissen wahrscheinlich gar nicht einmal von dem Gange etwas; sie dürfen die Ruine nur bis zu einem gewissen Punkt besteigen, bis zu welchem sie die Pakete tragen. Wenige andere kennen den Gang, weiter nichts, und holen die Sachen herein, und endlich sind es jedenfalls nur einige Personen, die von den untern Kammern wissen; diese schaffen die Waren hinunter und werden wohl auch nach Bedürfnis in andere Geheimnisse eingeweiht. So denke ich es mir, und so wird es wohl auch sein.«

»Wie verhalten wir uns? Steigen wir über diese Menge Sachen, so erregt das Lärm.«

»Ich fühle soeben, daß man hier links an der Mauer hin einen schmalen Pfad gelassen hat; den benutzen wir, nämlich du und ich; der Pischkhidmät Baschi aber bleibt hier zurück, und wartet, bis wir ihn holen.«

»Wann werdet ihr wieder kommen?« fragte der Genannte.

»Das kann ich jetzt nicht wissen.«

»Es wird doch nicht sehr lange dauern!«

»Wird dir etwa bange?«

»O nein, Effendi! Du kennst doch meine Tapferkeit zur Genüge!«

»Ja. Also warte hier recht tapfer. Wenn wir kommen, sind wir da; eher nicht!«

»Bära'i Khuda – um Gottes willen, wenn nun inzwischen hier etwas geschieht!«

»Wir bewundern deinen Mut und wissen also, daß du dich tapfer verteidigen wirst.«

Nun drängten wir uns zwischen der Mauer und den Gepäcksachen leise und langsam dem Eingange zu. Je näher wir demselben kamen, desto heller wurde der schon erwähnte Schein; wir sahen, daß es draußen inzwischen Tag geworden war. Die Zeit war schneller vergangen, als wir unten hatten bemerken können.

Da war es mir, als ob ich sprechen hörte. Ich blieb stehen und lauschte. Ja, es waren halblaute Stimmen, welche vom Eingange her zu uns klangen. Wir huschten weiter und konnten, als wir einen hohen Pakethaufen passiert hatten, die Betreffenden sehen. Es waren drei Personen, welche nebeneinander auf dem Boden saßen und, aus dem Gange hinausschauend, sehr eifrig gestikulierten. Sie schienen durch irgend etwas in Erregung versetzt worden zu sein. Je näher wir ihnen kamen, desto vernehmlicher wurde das, was sie miteinander sprachen. Schließlich befanden sich nur noch zwei aufeinander liegende Säcke zwischen uns und ihnen, und da hörte ich ganz deutlich einen von ihnen sagen:

»Nein, wir dürfen jetzt nicht zu ihm hinunter. Ihr wißt, es steht auf Ungehorsam der Tod!«

»Aber so ein unerwartetes Vorkommnis macht eine Ausnahme! Vielleicht bestraft er uns dann grad darum, daß wir es ihm nicht gemeldet haben!«

»Ich gebe dir recht,« stimmte ihm der dritte bei: »Was gehen uns überhaupt diese Ghasaihunde an? Es scheint ja nur auf sie abgesehen gewesen zu sein!«

»Ich befürchte, auch auf uns,« entgegnete der zweite.

»Warum denkst du das?«

»Weil die Asaker sich nicht entfernen. Sie halten ja den ganzen Platz so umschlossen, daß kein einziger von uns sich hindurchschleichen kann. Ich befürchte sehr, daß ihre Absicht nicht bloß auf die Ghasai, sondern auch auf uns gerichtet ist. Ich schlage also trotz seines strengen Verbotes doch vor, den Säfir zu benachrichtigen.«

Ging der Vorschlag dieses Mannes durch, so wurden wir bemerkt, wenn und wo es keinen Platz für uns, uns zu bewegen, gab; wir mußten ihnen zuvorkommen. Ich flüsterte dem Hadschi also zu:

»Pack du den links mit beiden Händen an der Gurgel, und laß ihn nicht schreien; es muß alles ganz still verlaufen. Ich nehme die beiden andern.«

»Töten wir sie?« erkundigte er sich.

»Wenn es zu vermeiden ist, nein. Knebel und Stricke von den Paketen sind hier ja mehr als genug zu haben.«

Wir schoben uns hinter den Säcken hervor, und als Halef von hinten nach dem von ihm bezeichneten Schmuggler griff, schlug ich zu gleicher Zeit den neben diesem sitzenden mit der Faust nieder und legte dann dem dritten die Hände um den Hals; er bewegte krampfhaft die Arme und Beine, bekam auch einen Hieb an die Schläfe und lag dann still. Halef hielt den seinen, der nicht bewußtlos war, an der Kehle fest; ich band den Mann mit den Strickenden, deren mehrere in der Nähe lagen, und hielt ihm, als er dann von dem Hadschi losgelassen wurde, das Messer mit der Drohung auf die Brust:

»Gieb keinen Laut von dir, sonst ersteche ich dich! Halef, mach aus seinem Turbantuche drei Knebel, die wir ihnen in den Mund binden, damit sie nicht laut werden können!«

»Mit größter Wonne, Effendi!« antwortete der Hadschi, »Wenn der Kerl das Maul nicht gutwillig öffnet, so werden ihm –--«

Er hielt inne; sein Blick war auf die andere Wand gefallen, die wir noch nicht beachtet hatten; da leuchteten seine Augen, und er fuhr fort:

»Hamdulillah! Dort sehe ich meine Kurbadsch und auch das Messer! Ich habe die Peitsche wieder, und nun ist die Eroberung sämtlicher Ruinen Babylons und der ganzen Erde für uns nur eine Kleinigkeit!«

Er nahm zunächst die liebe Peitsche an sich; dann erst schnitt er das Turbantuch des Paschers in Stücke und würgte ihm eines davon in den Mund. Auch die beiden anderen wurden gebunden und geknebelt, und dann, als dies geschehen war, konnten wir unsere Aufmerksamkeit nach außen richten.

Was wir sahen, war im höchsten Grade interessant. Uns sehr vorsichtig, um nicht selbst gesehen zu werden, dem Ende des Ganges nähernd, bemerkten wir, vielleicht dreißig Schritte von uns entfernt und neben dem Trümmerwege, welcher nach unten führte, fünfzehn Kerle, die sich hinter den dort liegenden Mauerbrocken versteckt hatten. Sie wollten nicht von den Soldaten gesehen werden, welche noch dieselbe Stellung inne hatten, die ihnen von mir und dem Kol Agasi angewiesen worden war. Dieser letztere saß im Teilpunkte der Halbkreislinie und beobachtete die Höhe, auf welcher wir uns befanden. Vor ihm lagen zwei Reihen Männer; lang ausgestreckt und von einigen Soldaten besonders bewacht. Ihre Haltung ließ annehmen, daß sie gefesselt seien; ich zählte fünfzehn Personen und mußte in ihnen also die Ghasai-Beduinen vermuten, die ich sonst nirgends sah. Die Entfernung war zu groß, als daß ich ihre Kleidung oder gar ihre Gesichtszüge unterscheiden konnte, aber wahrscheinlich waren sie es. Wie mochte Amuhd Mahuli es fertig gebracht haben, sie in seine Gewalt zu bekommen? Halef sah, wohin meine Augen gerichtet waren; er hatte natürlich dieselbe Beobachtung gemacht und sagte zu mir:

»Es sind eine Menge Asaker da unten. Wie kommen die hierher? Du hast mir überhaupt noch gar nicht mitgeteilt, was seit deinem Sprunge in das Wasser geschehen ist. Hoffentlich begreifst du, daß ich es gern wissen möchte!«

»Du sollst es erfahren, denn ich sehe, daß ich jetzt Zeit dazu habe, es dir zu erzählen.«

»Wirst du nicht von den Kerlen da gestört werden?« fragte er, indem er auf die Schmuggler draußen zeigte.

»Ich glaube nicht, denn es steht zu vermuten, daß sie nicht hierher kommen dürfen.«

»Warum sollte es ihnen verboten sein?«

»Aus Vorsicht, daß sie den Gang nicht kennen lernen. Wenn sie ihn betreten dürften, lägen sie jetzt nicht da unten, sondern hätten sich in das Innere zurückgezogen, wo sie doch viel besser verborgen wären, als da draußen.«

»Das ist richtig. Sie sehen sich umzingelt, dürfen aber ohne den Befehl des Säfirs nichts unternehmen. Nun warten sie auf seine Rückkehr aus der Ruine. Was werden sie für Augen machen, wenn wir an seiner Stelle erscheinen! Ich freue mich ordentlich darauf! Doch, du wolltest mir ja dein Erlebnis mitteilen!«

Wir setzten uns nieder, und ich erzählte ihm ausführlich, was geschehen war. Selbstverständlich ließen wir die vor uns liegende Scene nicht aus den Augen, es geschah nichts, was mich in meinem Berichte störte, und auch Halef unterbrach mich mit keinem Worte; aber als ich geendet hatte, ließ er erst ein leises Lachen und dann die Worte hören.

»Sihdi, hast du eine Nase?«

»Mit deiner gütigen Erlaubnis, – ja!« antwortete ich.

»So bitte, zupfe dich daran, so oft es dir wieder einmal einfallen sollte, mir wegen meiner sogenannten Unvorsichtigkeit Vorwürfe zu machen! Ist es für möglich zu nehmen, daß du mich mit dem Kerl verwechselst, der nichts als meine Kleider mit mir gemeinsam hatte! Du hast dich blamiert, unendlich blamiert! Wenn meine Achtung und Liebe zu dir nicht die Größe meines ganzen Herzens hätte, so würde die Fülle meiner Ehrerbietung sich in ein Nichts verwandeln. Wie soll ich meiner Hanneh, der lieblichsten von allen irdischen Lieblichkeiten, und Kara Ben Halef, meinem Sohne und Nachfolger, der meinen und deinen Namen trägt, den von dir begangenen Fehler glaubhaft machen? Beide werden die Köpfe schütteln, bis sie Gefahr laufen, locker zu werden und herabzufallen! Und denke auch an Dschanneh, welche die einzige Perle deines Harems ist! Was wird sie sagen, wenn sie erfährt, was du in der heutigen Nacht begangen hast! Und das ist noch nicht alles; es fällt mir etwas ein, was noch viel schlimmer ist!«

»Was?«

»Ich weiß, daß du Bücher schreibst, in denen alles steht, was du von mir und dir zu erzählen hast. Nun denke dir die vielen, vielen Menschen, welche durch das Lesen deiner Bücher hinter das Geheimnis kommen, daß es in deinem Verstande einige Stellen giebt, welche zugeklebt und ausgebessert werden müssen! Muß das nicht schrecklich für dich sein? Ich will mich aber als dein wahrer Freund erweisen und dir erlauben, diese in die Bücher gehörige Stelle wegzulassen, verlange aber dafür allen Ernstes, daß du es von jetzt an aufgiebst, bei mir immer nach ähnlichen Stellen der Reparatur zu suchen! Und nun sei nicht allzu betrübt und niedergeschlagen, sondern tröste dich und ermanne dich! Es giebt ja keinen Menschen, der nicht einmal einen Fehler macht, und so darfst du nicht gleich an dir selbst verzweifeln. Ich will dir ganz gern behilflich sein, dich aus der Tiefe der selbstverschuldeten Betrübnis zu erheben, und erteile dir das tröstliche Zeugnis, daß du dich im übrigen gar nicht übel benommen hast. Was wahr ist, gebe ich zu! Der Pädär und Konsorten liegen in Fesseln; den Säfir haben wir auch; die Ghasai liegen da unten, und so handelt es sich nur noch darum, diese fünfzehn Schmuggler auch zu fassen. Auf welche Weise meinst du wohl, daß dies am besten zu geschehen hat?«

»Das fragst du mich, Halef?«

»Ja. Wen soll ich sonst fragen?«

»Meinetwegen jeden anderen Menschen, doch mich ja nicht!«

»Warum?«

»Wer es so nötig hat wie ich, zugeklebt und ausgebessert zu werden, dem darf man nicht erlauben, in so wichtigen Angelegenheiten dreinzureden. Ich halte es vielmehr für ratsam, daß du nun an meine Stelle trittst, um die Sache vollends zu Ende zu führen.«

Da fuhr er, sich kratzend, nach dem Hinterkopfe und antwortete:

»Ja, so bist du nun! Du verträgst keinen Tadel, und doch ist der Tadel der leibliche Onkel und Urgroßvater des Bessermachens. Wenn ich mich jetzt an die Spitze dieses Unternehmens stelle, so ernte ich den ganzen Ruhm und alle Ehre, und dir verbleibt für deine Bücher nichts, als nur zu sagen, daß du dabei gewesen seist. Das aber will ich nicht. Ich als dein Beschützer wünsche, daß man deinen Wert erkenne und dich als meinen Begleiter achten lerne; das kann ich aber nur dadurch erreichen, daß ich dir nicht meine Befehle erteile, sondern dich so handeln lasse, wie es dir beliebt. Also magst du getrost bestimmen, was geschehen soll; es wird alles vortrefflich gehen, denn ich stehe treu an deiner Seite, und du weißt, daß du dich auf mich verlassen kannst!«

»Ich danke dir, mein lieber, mein außerordentlich rücksichtsvoller und aufopfernder Freund! Mein Ohr ist entzückt von deinen Worten und mein Herz voller Wonne über deine Güte und hingebende Nachsichtigkeit! Da du es erlaubst, werde ich meinen beschränkten Geist anstrengen, die Art und Weise ausfindig zu machen, wie wir diese Schmuggler –--«

»Nein, Sihdi, beschränkt bist du nicht!« unterbrach er mich im Tone der Überzeugung. »Das habe ich nicht sagen wollen und auch nicht gesagt! Dein Verstand ist mir in der Länge überlegen, und nur in der Breite kommst du nicht an mich. Von Beschränktheit kann also keine Rede sein. Raffe dich nur auf zum notwendigen Selbstvertrauen, dann wirst du ganz gewiß das Richtige finden! Ich, dein treuer Halef, bin ja jetzt bei dir!«

»Gut! Deine Gegenwart stärkt und ermuntert mich. Mit Hilfe deiner Einsicht und deines guten, stets vortrefflichen Rates werde ich auf den richtigen Gedanken kommen, die Schmuggler auf eine für uns möglichst ungefährliche Weise festzunehmen.«

»Was wirst du aber thun, wenn sie sich wehren?«

»Wehren? Mit was für Waffen sollten sie das thun?«

»Sie haben jedenfalls Messer, und bei einigen sehe ich Pistolen!«

»Mit den Messern können sie nur im Nahekampf etwas machen; wir aber werden uns hüten, sie heranzulassen. Und aus der Ferne können uns die Kugeln ihrer alten Furuhd auch nichts thun. Flinten haben sie nicht bei sich; jedenfalls haben sie diese irgendwo abgelegt. Ich will einmal nachsehen, ob vielleicht hier draußen in der Nähe.«

Ich legte mich auf den Boden nieder und schob mich hinaus. Ich hatte mich nicht getäuscht. Die Gewehre waren links vom Eingange an das Gemäuer gelehnt; rechts aber lag ein Haufen von teils einzelnen, teils zusammengebackenen Ziegelsteinen, welch letztere durch Erdpechmörtel miteinander verbunden waren. Mehrere dieser Steine zeigten auf der Außenseite Keilinschriften, und es war nicht schwer zu erraten, daß diese Ziegel den Verschluß des Loches bildeten, aus welchem ich gekrochen war.

Ich lag mit dem Vorderleibe außerhalb desselben, ohne bemerkt worden zu sein; eben wollte ich wieder zurück, da drehte sich einer der Schmuggler um und schaute herauf; er sah mich und erkannte sofort, daß ich ein seiner Gesellschaft Fremder sei. Einen Schrei ausstoßend, machte er seine Kameraden auf mich aufmerksam, indem er auf mich deutete. Ich sprang schnell entschlossen auf, holte meinen Stutzen aus dem Gange und richtete die Mündung des Gewehres auf die Leute. Halef folgte sogleich meinem Beispiele.

»Der Effendi,« hörte ich rufen, »der Effendi! Er ist frei! Allah behüte uns!«

Sie waren aufgestanden und konnten also von unten gesehen werden.- Sie dachten nur an Halef und mich, nicht aber mehr an die Soldaten, denen sie sich nicht hatten zeigen wollen. Ich rief ihnen zu:

»Bleibt, wo ihr seid, sonst schießen wir! Wer die Stelle verläßt, an welcher er steht, bekommt augenblicklich eine Kugel!«

»Du aber vorher die meinige!« antwortete einer, indem er seine Pistole hervorriß und auf mich abdrückte; drei andere ließen sich verleiten, dasselbe zu thun, aber keiner dieser Schüsse traf.

»Ihr habt gewagt, auf uns zu schießen,« entgegnete ich; »Jetzt kommt die Strafe: Ich werde euch niederwerfen, indem ich euch in die Kniee schieße. Paßt auf!«

Ich gab die Schüsse schnell hintereinander ab und die vier Pascher stürzten mit zerschmetterten Knieen nieder. Sie brüllten überlaut; um so stiller waren die andern. Sie hatten nie in so rascher Folge vier Schüsse aus einem Laufe gesehen und gehört; das ging über ihre Begriffe. Halef benutzte ihre Bestürzung, indem er sie in seiner bekannten Weise belehrte:

»Warum reißt ihr die Augen und die Mäuler auf? Das Gewehr des Effendi ist eine Zauberflinte, welche, wenn er will, zehntausend Jahre lang immerfort losgeht, ohne daß er zu laden braucht. Und daß keine Kugel daneben geht, habt ihr jetzt gesehen. Alle, die hier im Innern der Ruine waren, befinden sich in unserer Gewalt. Ihr könnt nichts thun, als euch auch ergeben, denn gegen das Zaubergewehr könnt ihr nichts, gar nichts machen. Effendi, zeige ihnen doch, wie schnell deine Kugeln sich folgen und wie sicher du mit ihnen triffst!«

»Ja, sie sollen es sehen,« antwortete ich. »Es stehen noch elf von ihnen aufrecht; ich werde in jedes von den zweiundzwanzig Beinen eine Kugel schicken und sicher keines fehlen. Also jetzt!«

Ich legte an, und in demselben Augenblicke hockten sie alle nieder, hielten die Gewänder oder die Hände vor die Beine und schrieen, was sie konnten; die vier Betroffenen aber ließen ihre Stimmen mit mehrfacher Stärke erschallen.

Natürlich waren ihre Augen alle auf uns gerichtet, und so sahen sie nicht, was unten vor der Ruine geschehen war und noch geschah. Der Kol Agasi nämlich hatte die Schüsse gehört und mich gesehen. Entweder war ich von ihm trotz der Entfernung erkannt worden, oder er hatte sich gesagt, daß Schüsse Kampf bedeuten; wo man kämpft, da giebt es aber Feinde, und diese Feinde oder dieser Feind der Schmuggler konnte nur ich sein. Er mußte mir zu Hilfe kommen und hatte seinen Leuten also den Befehl gegeben, die Ruine zu ersteigen. Sie kamen so schnell, wie es ihnen möglich war, herauf; wir sahen es; die hinter den Steinböcken ängstlich zusammengekauerten und ihre Augen nur auf uns richtenden Schmuggler aber bemerkten es nicht. Der Kol Agasi war so klug, seine Asaker nicht in einer Reihe hintereinander avancieren, sondern in breiter Linie heraufklettern zu lassen, wodurch er die Umzingelung beibehielt, so daß es auch jetzt keine Lücke zum Entschlüpfen gab.

Die vier Blessierten vollführten einen außerordentlichen Lärm; sie jammerten, klagten und schimpften in einem Atem; wir achteten natürlich nicht auf ihre beleidigenden Interjektionen. Die Kerle waren alle feig; zwar mit der nötigen Gewandtheit zum nächtlichen Schmuggeln und Schleichen begabt, entging ihnen die Neigung zur mutigen That, und das war wohl auch der Grund, weshalb der Säfir nicht sie, sondern die Beduinen zum Überfalle der Karwan-i-Pischkhidmät Baschi genommen hatte. Um ihre Aufmerksamkeit festzuhalten und ihr keine Zeit zu lassen, sich nach rückwärts zu richten, hielt der Hadschi ihnen eine Strafrede, in welcher er ihnen bewies, daß sie der Abschaum der Menschheit, wir aber die tadellosesten Heiligen und Helden seien. Er erreichte seinen Zweck vollständig, denn er hatte noch lange nicht geendet, so stand der Kol Agasi mit seinen Leuten schon vor den Trümmerresten, hinter denen die Schmuggler hockten. Darum unterbrach er sich und wendete sich an mich:

»Die Asaker sind da; ich muß also leider meine Strafpredigt mitten auseinanderschneiden. Jetzt kommst du wieder an die Reihe; sprich weiter!«

»Das fällt mir gar nicht ein; es wird ein Zeichen meiner Hand genügen.«

Der bei seinen Leuten und heimlich hinter den Schmugglern stehende Kol Agasi hielt seine Augen fragend auf mich gerichtet; ich gab ihm einen Wink; er rief ein Kommandowort, und seine Soldaten drangen auf die Schmuggler ein, welche über den plötzlichen Angriff so erschrocken waren, daß sie fast alle gar nicht auf den Gedanken kamen, sich gegen ihre Festnahme zu wehren. Unsere Beihilfe war nicht notwendig; wir konnten als Zuschauer stehen bleiben, wo wir standen; dem quecksilbernen Hadschi freilich war es unmöglich, sich ganz der Beteiligung zu enthalten. Er sagte:

»Ich habe da drin im Gange ein Habl aus Palmfaser liegen sehen, an welches wir die Kerle so binden können, wie man Datteln auf Schnuren reiht. Ich werde es holen.«

Er ging hinein und brachte dann nicht nur das Seil, sondern auch eine ganze Menge von Schnuren, Leinen und Strickteilen heraus, welche er den Soldaten hintrug. Es war höchst interessant, zu sehen, in welcher Weise er nun die Fesselung der sich sträubenden Gefangenen dirigierte und überwachte. Als man damit fertig war, wurden sie, in langer Reihe an dem Seile hängend, abgeführt; die Verwundeten mußten natürlich getragen werden. Dabei vorkommende Störungen, Unterbrechungen und ähnliche Scenen darf ich wohl übergehen. Es versteht sich ganz von selbst, daß die drei Männer, welche wir am Eingange überrumpelt hatten, den Abgeführten mit angeschlossen waren. Als dieser Transport sich in Bewegung gesetzt hatte, trat der Kol Agasi zu mir und erkundigte sich:

»Effendi, wie war es dir möglich, hier herauszukommen? Du hast dich, als du von uns gingst, doch nach der andern Seite der Ruine entfernt. Ich war sehr erstaunt, als ich dich dann hier oben sah.«

»Hast du mich sogleich erkannt?« fragte ich.

»Ja. Wir hatten den Aufgang nach hier oben so eng besetzt, daß du unmöglich durch unsere Reihen gekommen sein kannst!«

»Vielleicht erzähle ich dir, wie es mir möglich gewesen ist, über den Birs hinweg- und hierherzufliegen.«

»Fliegen? Nein, geflogen bist du freilich nicht. Hier sehe ich einen Eingang; vielleicht giebt es auf der andern Seite auch einen, den du gekannt hast; du bist dort hinein und durch das Innere hierhergegangen.«

»Davon später! jetzt sage mir, wie es dir gelungen ist, die Ghasai-Beduinen zu ergreifen!«

»Das geschah auf die einfachste Weise. Wir beobachteten sie, bis der Perser, welcher der Freund des Sandschaki ist, mit ihnen fertig war und sich entfernte. Ich glaubte, du habest ihm die Hand zerschmettert, aber die Verletzung scheint doch nicht so groß gewesen zu sein, denn er hatte sie zwar verbunden, konnte aber die Finger doch ganz gut bewegen und gebrauchen.«

»Ja, den Beweis hiervon hat er auch mir geliefert.«

»Als er fort war, rüsteten sich auch die Ghasai zum Aufbruche. Die Pferde und Kamele der Karwan-i-Pischkhidmät Baschi waren ihnen bei der Verteilung der Beute zugefallen. Wenn ich sie diese Tiere besteigen ließ, war der Verlust wenigstens einiger von ihnen zu befürchten; darum durfte ich es gar nicht so weit kommen lassen. Ich zog also meine Leute schnell zusammen, und wir drangen so unerwartet auf sie ein, daß sie grad so erschrocken wie hier die Schmuggler waren. Einige, welche sich wehrten, wurden mit dem Kolben niedergeschlagen. Wir wurden so rasch und leicht mit ihnen fertig, daß ich mich nachher fast darüber gewundert habe. Freilich ging es dabei nicht ohne großen Lärm und lautes Geschrei ab, wodurch die Schmuggler gewarnt wurden; ich mußte also die Linie der Einfassung schleunigst wieder herstellen lassen, um ihnen die Flucht unmöglich zu machen. Sie kamen auch sehr bald dahinter, daß sie umzingelt waren, und zogen sich nach der Höhe zurück, von wo aus sie keinen Angriff wagten. Was dann geschah, das weißt du ja. Du kanntest die Zahl dieser Leute und stelltest mir die Bedingung, keinen von ihnen entkommen zu lassen. Es fehlen aber der Perser und noch eine Person, doch glaube ich nicht, daß wir daran schuld sind. Ich bin vielmehr überzeugt, daß es ihnen unmöglich gewesen ist, sich durch uns hindurchzuschleichen.«

»Sorge dich nicht um deine Belohnung! Diese Personen haben wir selbst festgenommen.«

Da hellte sich das bisher etwas besorgt gewesene Gesicht des Offiziers ganz auf, es legte sich ein vertraulich pfiffiges Lächeln auf dasselbe, und er sagte:

»So darf ich dich wohl fragen: Ist jemand entkommen, Effendi?«

»Wir haben sie alle!«

»Deine Bedingung ist also erfüllt?«

»Ja.«

»Da du selbst soeben das Wort Belohnung erwähnt hast, wirst du mir wohl nicht zürnen, wenn auch ich daran denke. Oder nimmst du mir das vielleicht übel?«

»Übel? Nein! Du hast ja ohne Zweifel das Recht, mich an mein Versprechen zu erinnern. Etwas anderes freilich ist es, ob du glaubst, daß ich es werde erfüllen können.«

»Allah gebe es!« rief er, tief Atem holend, aus.

»Hm! So ganz überzeugt scheinst du doch nicht tu sein?«

»Verzeih, Effendi! Du bist ein berühmter Mann; du stehst im Schatten des Padischah, den Allah segnen möge, und darfst Berichte schreiben lassen, welche der Seraskier wirklich liest; auch habe ich gesehen, wie freundlich der Pascha aus Stambul mit dir gesprochen hat. Ich bin also überzeugt, daß deine Worte und Vorschläge an den hohen Stellen der Regierung wohl beachtet und berücksichtigt werden, aber – aber – – aber – –«

»Was, aber – –?« »Darf ich es sagen?« »Ja.« »Du wirst mir nicht zürnen?« »Nein.«

»Daß ich jetzt und sofort Bimbaschi sein soll, das – das – – das –--«

»Sprich doch weiter!« »Das bringst du wohl nicht fertig!« »Warum nicht?«

»Erstens bist du ein Christ, während die hohen Offiziere, welche über mich zu bestimmen haben, Muhammedaner sind.«

»Schön! Zweitens?«

»Zweitens kann dein Einfluß jetzt gar nicht wirken, weil dein Bericht an den Seraskier noch nicht in seinen Händen ist.«

»Wenn das alle deine Bedenken sind, so steht es um den Bimbaschi gar nicht schlecht. Ich gebe niemals ein Versprechen, von welchem ich nicht vollständig überzeugt bin, das ich es halten kann. Den Seraskier brauche ich heute nicht. Und grad weil ich ein Christ bin, kannst du dich auf mein Wort mehr und mit größerer Sicherheit verlassen, als wenn ich ein Moslem wäre. Ich habe dir gesagt: Wenn du von den fünfunddreißig Personen keine entkommen lässest, bist du sofort Bimbaschi. Was ich gesagt habe, das gilt!«

»Allah! So bedenke, Effendi, daß keine entkommen ist!« »Das bedenke ich!« »Ich müßte also jetzt Bimbaschi sein!«

»Das bist du auch!«

»Aber ich sehe und merke nichts davon!«

»So schau hierher; dann wirst du es wohl sehen und merken!«

Ich zog das von Osman Pascha erhaltene Dokument heraus und gab es ihm. Er nahm es und las es. Ich hatte einen lauten, begeisterten Ausbruch der Freude erwartet, sah mich aber getäuscht. Als er mit dem Lesen fertig war, bewegte er sich nicht und blickte still und stumm vor sich nieder; dann ging über seinen Körper ein krampfhaftes Zucken, als ob er laut aufschluchzen müsse und dies noch unterdrücken wolle; aber aus seinen Augen rollten große Thränentropfen über die gebräunten, hagern Wangen. Hierauf sank er auf die Kniee nieder, faltete die Hände, hob sie empor und betete:

»Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, über welche du zürnest, und nicht den der Irrenden!«

Das war die erste Sure des Kurans, die »heilige Fatiha«, die »Eröffnende«, der Anfang, auch wohl Umm el Kitab genannt. Sie ist, wie bei uns Christen das heilige Vaterunser, das Hauptgebet der Muhammedaner und wird andern Gebeten gern als Einleitung vorangesandt. Dann fuhr er fort:

»Ich danke dir Gott, daß du mich begnadet hast mit deinem Segen! Es war dunkel in meiner Seele und finster in meinem Herzen. Das Meer der Trübsal umwogte mich, und die Fluten der Sorge gingen mir bis an die Lippen. Ich flehte zu dir, und du schienst mich nicht zu hören; ich rief dich an, und du wolltest nicht kommen, so glaubte ich. Aber du hattest meine Not gesehen und meine Worte wohl vernommen und wartetest nur eine Weile, bis die richtige Zeit gekommen sei, den Ratschluß deiner Güte auszuführen. Nun ist der Augenblick des Glückes angebrochen; deine Liebe hat sich meines Jammers erbarmt und mich mit Gnade überschüttet. Nun liege ich vor dir und blicke auf zu deiner Herrlichkeit, um dir den Dank zu stammeln, der auf zu deinem Himmel steigt. Du hast Großes an mir gethan. Dein Name sei gelobt und deine Huld gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen!«

Nun stand er wieder auf, ergriff meine beiden Hände und sagte:

»Effendi, du bist ein Mensch, aber doch der Bote Allahs, den er hierher sandte, mir die Erhörung meines täglichen Gebets zu bringen. Verzeihe mir den Zweifel, den ich gegen diese schnelle Erfüllung deines Versprechens hegte! Du hast mich aus schwerer Not befreit; nun bin ich aller meiner Sorgen los und bitte dich, mit meinem Hause täglich für dich beten zu dürfen. Es wird vor Allah keine Sünde sein, wenn ein Moslem für einen Christen zu ihm bittet!«

»Eine Sünde! Dein Gebet wird ganz im Gegenteil vor Allahs Ohr einen doppelten Wohlklang haben. In der zweiundzwanzigsten Sure steht geschrieben: ›Siehest du denn nicht, daß alle Gott verehren, die im Himmel und auf Erden sind?‹ Denk ja nicht, daß euer Glaube der allein richtige sei! Und wenn er es wäre, grad dann müßtest du zu Allah für diejenigen flehen, die ihn nicht besitzen. Ich bete täglich für alle Menschen, welche keine Christen sind, also auch für dich. Und als du zu mir von deiner Not und Sorge sprachst, da nahm ich mir vor, dir zu helfen, und dachte dabei nicht daran, daß du in meinen Augen ein Ungläubiger bist. Also bete getrost für mich! Niemand bedarf es so sehr wie ich, daß für ihn gebetet wird.«

»Ja, Effendi, ich werde es thun. Und nun sag, was jetzt geschehen soll!«

»Ich habe mit Halef noch hier oben zu thun. Du aber begiebst dich hinunter zu deinen Leuten, um deine ganze Aufmerksamkeit auf die Gefangenen zu richten, denn du bist dafür verantwortlich, daß keiner von ihnen fehlt, wenn der Dscheneral kommt.«

»Du meinst Osman Pascha?«

»Ja.«,

»Er wird hierher kommen?«

»Ich wünsche es. Schicke sofort einen Boten auf einem schnellen Pferde zu ihm nach Hilleh! Er mag ihn holen und sein Führer zu uns sein.«

»Ich werde meinen besten Reiter senden. Und noch eine Frage, Effendi! Wirst du sie mir vielleicht übelnehmen?«

»Du wirst nichts fragen, was mir nicht gefällt. Also sprich!«

»Ich meine das Versprechen, welches du meinen Asaker gegeben hast –---«

»O, die zugesagten Piaster?«

»Ja. Sei mir nicht böse darüber, daß ich dich daran erinnere! Ich gönne ihnen eine solche bisher noch nie erlebte Freude von ganzem Herzen. Ich bin froh, da sollen auch sie fröhlich sein!«

»Diese Fürsorge und Teilnahme kann dich nur ehren. Ich sage auch hier.- Was ich verspreche, das halte ich. Sie bekommen das Geld.«

»Darf ich ihnen das sagen?«

»Ja.«

»Ich danke dir!«

Er ging, wendete sich aber nach einigen Schritten wieder um und sagte:

»Effendi, wenn in den Herzen aller Christen deine Lebe und deine Güte wohnte, so würde dein Glaube dem unsern sehr gefährlich sein. Allah segne und bewahre dich!«

Nun stieg er hinab.


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