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Unser heutiger Ritt hatte den Bir Hilu zum Ziele, weicher nicht auf dem nordsüdlichen Karawanenwege, sondern weit seitwärts von demselben liegt. Daß er auch von El Ghani genannt worden und ihm also bekannt war, lieferte mir den Beweis, daß dieser Mekkaner sich nicht immer nur in der Stadt des Propheten aufgehalten, sondern auch die Wüste ziemlich genau kennen gelernt haben mußte.
Die Wüste!
Ich habe sie und ihre verschiedenen Arten schon sooft beschrieben, daß ich mich nicht wiederholen darf. Ihre Physiographie ist bekannter als die bisher noch kaum gewürdigte Bedeutung, welche sie als Erzieherin des sie betretenden oder ihre Wahat bewohnenden Menschen besitzt. Wie die Prärie ein nur ihr eigenartiges Leben und die nur auf ihr möglichen Gestalten entwickelt, so hat auch die Wüste ihre besonderen Pflanzen-, Tier-, Menschen- und überhaupt Lebensformen, welche man in anderen Gegenden vergeblich suchen würde. Damit würde Freiligrath, wenn er es mit seinem »Wüstenkönig ist der Löwe« ernstgemeint hätte, allerdings nicht einverstanden sein, denn »der Löwe kommt auch in anderen Gegenden als nur in der Wüste vor«, würde er sagen; aber ich habe trotzdem recht, denn wenn der Löwe wirklich einmal in der Wüste vorkommt, so ist es doch nur am Rande derselben, und er hat sich verlaufen. Er braucht als Fleischfresser viel Wasser und ist also nichts weniger als ein Wüstentier, wie ja auch die Giraffe, auf welcher er seinen berühmten »Löwenritt« ausführt, es in der Wüste nicht viel länger als einen Tag aushalten würde.
Der Mensch hat die Gabe, sich den Naturverhältnissen des von ihm zum Aufenthalte gewählten Landes anzubequemen; er wird je länger desto mehr ein Sohn desselben, indem er die Eigenart des Bodens annimmt, der seine Wohnung trägt, mag diese nun eine festgegründete oder ambulante sein. So auch der Wüstenbewohner. Ich gestatte mir nämlich dieses eigentlich grundfalsche Wort, weil es sich nun einmal eingebürgert hat. Die Wüste ist ja unbewohnt, und, wenn sie von Karawanenpfaden durchzogen wird, kann doch nur von Wanderern, nicht aber von Bewohnern gesprochen werden.
Die Wüste liegt weit und flehend ausgebreitet wie ein endloses Gebet zu Gott um Gnade und Barmherzigkeit. Sie ist ein tief ergreifendes Bild irdischer Armut und Hilflosigkeit. Sonnendurchglüht, kahl und nackt ragen ihre Felsen empor, oft grotesk, phantastisch geformt, oft kühn vereinzelt, oft zu gemeinschaftlichen, wilden Zügen vereint, bald in seltsamen Gliederungen aufgebaut, so daß man zerfallene Städte, verödete Schlösser und Burgen oder prächtige Säulenhallen in der Ferne zu erblicken meint, bald wieder wie von der Faust eines unerbittlichen Schicksales niedergeschmettert, breitgedrückt, zerrissen und zerklüftet, von gähnenden Abgründen durchzogen, in deren Tiefe selbst die Glut der äquatorialen Sonne nicht zu dringen vermag. Gleicht dieses Bild nicht ganz genau der Geschichte dieses scheinbar, aber eben auch nur scheinbar von Gott verlassenen Landes?
Diesen oft gen Himmel ragenden Reliefs folgt das Warr, jene von zerstampften, wild durcheinander geworfenen Felsenmassen bedeckte Wüste, welche das Aussehen hat, als ob der Teufel im Zorne über seine Verstoßung hier eine ganze Weit zerschmettert und dann die Trümmerbrocken umhergewirbelt habe. In allen Größen liegen sie da, diese Steinblöcke, hier nur einer, nur zwei oder drei, dort hoch aufeinander getürmt, als ob der Böse dann »Markenumgang« in seinem Innern gehalten und jede einzelne Sünde, jedes einzelne Laster desselben mit einem aus zermalmten Bergen bestehenden Schandmale bezeichnet habe. Rundum bis an den Horizont, so weit das Auge reicht, sind diese Zeichen zu sehen, und je weiter er sich dehnt, desto größer wird ihre Menge. Zwischen ihnen liegen die Felsenbrocken gesäet wie unzählbare Körner von tausend Höllenfrüchten, die in der Wüstensonne nachreifen und sich schwärzen sollen. Den einsamen Wanderer durchschauert es trotz der glühenden Hitze; er treibt sein Kamel an, um schnell weiter zu kommen, und ruft: »Allah beschütze und behüte mich!«
Dann kommt die Wüste, in weicher der Sand sich mit dem Wasser vermählt. Dort im Westen, Tagereisen weit von hier, liegt die glatte Ebene des Sandes. Der stets vorherrschende Westwind streicht über sie und nimmt die feinsten, leichtesten Körnchen mit, um sie an jedem festeren Punkte, an jeder noch so kleinen Erhöhung abzusetzen. Die Erhöhung wird größer; sie wächst von Tag zu Tag. Der West baut höher auf, und die mit der Sonne gehenden Nebenwinde helfen ihm. Der von ihm getriebene Sand wird bis zur Spitze gehoben, und was nicht da liegen bleibt, fällt jenseits herab. Das gibt ein leises, süßes, metallisches Klingen und Tönen. »Die Engel flüstern«, sagt der Beduine, wenn er, halb schlafend und halb wachend, es während der Nacht hört. Das ist die Wüste der Sandhügel. Die feinen, klingenden Körner wandern weiter und immer weiter; sie erreichen das Warr; sie füllen seine Löcher und Vertiefungen, seine Zwischenräume aus; sie steigen an seinen Trümmern empor und hüllen sie, die harten, mit weichem Mantel ein, geben seinen scharfen Linien Milderung und verwandeln die rohen Trümmerhaufen nach und nach in sanfte Hügelwellen: Die flüsternden Engel decken das Teufelswerk in liebevoller, nie ruhender Arbeit zu.
Und weit, weit draußen endlich dehnt sich die von keiner Erhöhung unterbrochene, ewig gleiche Sahar, die Wüste des toten Sandes. Die Tageshitze liegt in sichtbarer Verdichtung manneshoch auf ihr; der Himmel zieht sich wie flüssiges Blei darüber hin und scheint sich am Horizonte mit einem Meere von glühendem Erze zu vereinigen; eine Grenzlinie zwischen beiden gibt es tagelang nicht. Das Auge brennt, der Sehnerv versagt ermüdet seine Tätigkeit, denn der sehnsüchtige Blick findet keinen Punkt, an dem er ruhen könnte. Der Sinn für die Entfernung geht verloren; man glaubt, inmitten einer halt- und gestaltlosen Ewigkeit zu reiten, und verliert in ihr den eigenen Halt. Die Tatkraft schwindet; der Wille wird verzehrt; die Schärfe der Sinne nimmt ab, und an die Stelle fehlender Wahrnehmungen treten Haluzinationen, welche das, was man wünscht, vortäuscht und vorgaukeln. Darum ist diese Wüste das eigentliche Gebiet der Fata morgana, wie sie auch den Hauptbereich der verderblichen Sandstürme bildet, denen schon mancher einzelne Wanderer und manche vollzählige Karawane zum Opfer gefallen ist. Weiches Entzücken dann der Anblick einer wirklichen, nicht vorgespiegelten Oase hervorbringt, das zu beschreiben, fehlen die Worte!
Und genau so, wie die Wüste ist, ist auch ihr Bewohner. In seinem Innern wohnt dieselbe Glut, unter welcher die Gebilde seiner Seele zu seltsamen, oft ungeheuerlichen, oft zauberischen, zuweilen auch wohl anmutigen Formen erstarren. Hilflos, hungrig und dürstend wie das steile Warr und der brennende Sand breitet sich sein Leben vom ersten bis zum letzten Tage dem Himmel entgegen, stets der Barmherzigkeit Allahs gewärtig. Daher seine tiefe Religiosität, deren äußerer Eindruck aber an tote, ermüdende Formeln gebunden ist. Die unerbittliche Strenge der Wüste macht ihn äußerlich ernst und innerlich hart; wie sie grausam ist gegen ihn, so ist auch er rücksichtslos gegen andere, ihm nicht nahestehende Wesen. Genau so unbeugsam, wie ihre Gesetze sind, besteht auch er auf der Unfehlbarkeit seiner Meinungen und auf der Überlegenheit seines Willens. Ihre Temperaturunterschiede sprechen sich in seinen Regungen aus; was ihn am Tage begeisterte, kann er am Abende schon kalt und verächtlich von sich werfen. Das Weib, welches er jetzt glühend liebt, kann er schon nach einigen Stunden durch die gesetzlich gültige Formel »Du bist geschieden« von sich jagen. Liebe, besonders Nächstenliebe, die zweite große Forderung der Christuslehre, kennt er überhaupt nicht, wie ja auch die Wüste nichts weniger als liebreich gegen ihn ist. Wie sie nichts gibt, sondern nur Opfer fordert, so ist auch er nur Egoist und will sogar den Himmel für sich allein haben. Hat sie den ganzen Tag gedürstet, so saugt sie den Tau der Nacht bis auf den letzten Tropfen auf; in derselben Weise unterwirft auch er sich geduldig allen Entbehrungen, um sich dann dem Genusse ohne Maß und Selbstbeherrschung zu ergeben. Da sein ganzes inneres Leben ein, nur von einigen Brunnen unterbrochenes, Wandern durch die Öde ist, schmückt er sich das Jenseits in den glühendsten Farben als paradiesische Oase aus, wo er ununterbrochen in Freuden schwelgt, von denen ihm das irdische Leben nur zuweilen einen leisen, kurzen Vorgeschmack bietet. Wie seine Leiden und Entbehrungen materielle sind, so sind auch die Ziele seiner Wünsche und Bestrebungen meist materieller Art; der Wüstensohn hat kein Gemüt; darum kann er sich weder ein irdisches Glück noch seine einstige Seligkeit rein herzlich denken. Der Boden seiner Seele gleicht der Felsen, der Trümmer und der Tiefsandwüste. Seltsam, verworren, abenteuerlich steigt es, oft mit elementarer Gewalt, von da unten auf; der heiße Samum fegt darüber hin und wirbelt tödliche, wie von höllischem Feuer gefärbte Sandwolken vor sich her. Aber wie die Wüste ist auch diese Seele nicht ohne Tau, und wie sich unter der Wüstendecke genug befruchtendes Wasser befindet, nach weichem man nur zu bohren braucht, um es klar und heil hervorsprudeln zu sehen, so sind auch ihr die geistigen Vorbedingungen der wirtschaftlichen, ethischen und religiösen Gesittung nicht versagt. Wo aber sind die rechten Pioniere, welche den wirklichen, echten, selbstlosen Beruf in sich tragen, nach diesem Wasser zu bohren? Wer hier durch artesische Brunnen helfen will, der darf dies nicht von der Berechnung abhängig machen, zu welchem Prozentsatze sich das dabei angelegte Kapital verzinsen wird, auch muß er zunächst auf diejenige religiöse Aggressivität verzichten, weiche dort den sofortigen, fanatischesten Widerstand hervorrufen und alles verderben, wenigstens das Gelingen auf unabsehbare Zeit hinausschieben würde. Es gibt Kapitalanlagen, welche der Herrgott in sein Buch einträgt, um erst am großen Tage der Abrechnung Soll und Haben zu vergleichen, und derjenige Mann oder dasjenige Volk ist der beste Missionar, weicher den Andersgläubigen mehr durch sein Leben als durch seine Lehren zu überzeugen sucht. Ein Gott wohlgefälliges und den Mitmenschen nützliches Leben ist die einzig richtige Vorbereitung des Bodens zu der Saat, die dann allerdings durch die Predigt in Worten zu geschehen hat.
Komm mit mir im Geiste in die Wüste, lieber Leser! Du hast gelernt, die Bedürfnisse deines Körpers auf das allergeringste Maß herabzumindern. Der Hunger ficht dich nicht mehr an, und auch den Durst hast du bis zum gebotenen Grade zu beherrschen gelernt. Du bist auf Fasten gestellt und wirst nun die Erfahrung machen, daß jetzt die Tätigkeit des Geistes diejenige des Körpers überragt. Das ist der Grund, weshalb selbst bei halb oder gar nicht zivilisierten Völkern vor wichtigen Wendepunkten im Leben des Einzelnen oder auch der Gesamtheit ein Fasten vorgeschrieben ist. Sogar der Indianer fastet längere Zeit vor der Zeremonie des Namengebens oder vor der Wahl der Medizin. Es ist, als ob die Seele freier geworden und in ihren Funktionen weniger gehemmt sei als vorher. Deine geistigen Sinne scheinen doppelte Schärfe und deine Gedanken Flügel bekommen zu haben. Du lebst mehr innerlich als äußerlich. Du hast dich an den schaukelnden Gang des Kamels gewöhnt; er stört dich nicht mehr. Im hohen Sattel des Hedschihn sitzend, achtest du nicht auf die Bewegungen des Tieres, dessen weiche, elastische Schritte nicht bis zu dir heraufwirken . Reitest du durch die Hochfelsenwüste oder durch das Warr, so fühlst du dich als körperliches Individuum so klein, so nichtig, so verlassen in diesem überwältigenden Stein und Trümmermeere; reitest du über den glatten Sandozean, so siehst du ihn nicht hinter dir verschwinden, während er sich aber vor dir immer weiter und weiter ausbreitet. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, keine Grenze hier, denn der Horizont ist zur Vermählung des Himmels mit der Erde geworden, die zwischen beiden keine Linie mehr kennt. Du weißt nicht, wo das Unten aufhört und das Oben beginnt, und hast das Gefühl, als ob die über dir glühende Sonne die Erde und dich mit ihr immer auf und stetig aufwärts ziehe. Und wie du Himmel und Erde nicht mehr zu trennen vermagst, so schaust du zu gleicher Zeit nach außen und nach innen. Die Endlosigkeit vor deinem körperlichen Auge ist gleich der unmeßbaren Weite, welche vor deinem geistigen liegt. Dein Leib wird fortgetragen, ohne daß du es fühlst, und deine Seele fliegt. Dein Leib? Du hast keinen Leib mehr; du bist nur Seele, nichts als Seele. Der Leib ist in dieser Grenzenlosigkeit immer leichter und leichter, immer nichtiger und nichtiger geworden, bis er als ein Nichts in der Unendlichkeit dir aus den Gedanken schwand. Aber daß deine Seele besteht, bestehen muß und auch fortbestehen wird, das ist dir zu einer Klarheit geworden, gegen die kein Hauch des Zweifels möglich ist. Du selbst bist ja diese Seele und kannst kein Ende nehmen, wie es hier überhaupt kein Ende gibt! Der Zweifel kann nur auf der Erde wohnen, und du befindest dich ja nicht mehr auf ihr. Du bist jetzt überirdisch und atmest im seligen Reiche der Zuversicht zu dem, der da ist das ewige Leben und dessen Eigentum du bist. Du fühlst es, und du weißt es, daß es von jetzt an keine Macht mehr gibt, der es gelingen kann, dich in der Überzeugung deiner Unsterblichkeit irre zu machen.
Da hörst du Worte; sie klingen wie aus weiter, weiter Ferne zu dir, aber sie rufen dich doch zur Erde zurück. Du bist nicht mehr jenseits, sondern diesseits unserer Grenzen und siehst, daß der Schech el Dschemali es ist, der gesprochen hat. Er deutet vorwärts, und indem du diesem Fingerzeige mit dem Auge folgst, bemerkst du eine Karawane, welche weit draußen in der Wüste vorüberzieht. Ihr Führer trennt sich von ihr und der eurige von euch. Beide reiten einander entgegen, um Frage und Antwort auszutauschen, während beide Karawanen ihres Weges weiterziehen. Du staunst über den Anblick dieser fremden Wanderer; du fragst dich, ob das die Wirklichkeit oder eine Phantasmagorie sei. Die Gestalten sind von zwei horizontalen Linien durchschnitten, zwischen denen sich nichts befindet; unter ihnen siehst du die langen, weiterschreitenden Beine und die halben Leiber der Kamele, während über ihnen die oberen Leibeshälften mit den Reitern in der Luft zu schweben scheinen; der eine Teil des Bildes ist senkrecht; der andere schräg. Die Ursache davon hast du in den von der Erde zurückgeworfenen Sonnenstrahlen zu suchen; das sagt dir das eigentümliche Zittern der zerschnittenen Gestalten. Wer sind sie? Wo kommen sie her, wo gehen sie hin? Der Schech el Dschemali wird es erfahren und euch sagen. Aber wer sie auch sein mögen, sie befinden sich in derselben Wüste und haben ganz dasselbe empfunden und gedacht wie du. Es gibt unter ihnen keinen, der an dem Dasein Gottes und an dem ewigen Leben Zweifel hegt, denn die Seele jedes von ihnen ist da oben gewesen, wo jetzt auch die deine war.
Der Tag vergeht, und um die Zeit des Moghreb wird Halt gemacht. Das Lager wird gebildet und dann das Wasser ausgeteilt. Wie erhebend klingt dann der Ruf:
»Hai'alas Salah, hai'alal Felah; Allah akbar; la Ilaha il Allah – – – auf zum Gebete, auf zum Heil; Gott ist sehr groß; es gibt keinen Gott außer Gott!«
Nach dem raschen Hereinbruche der Dunkelheit wird noch das Abendgebet gesprochen; dann hüllt ihr euch in eure Decken; die Beduinen schlafen; du aber hast die Augen offen, denn die Sterne Gottes sind aufgegangen, hier in größerer Pracht und Herrlichkeit als anderswo. Sie ziehen mit magischer Gewalt deinen Blick zu sich hinauf und mit ihm deine Seele mit allen ihren Gedanken.
Du denkst zunächst des heimatlichen Himmels, der andere Bilder hat als dieser südlichere. Das liebe Vaterhaus mit allen, die in ihm wohnen, kommt dir in den Sinn. Dein Herz eilt hin zu ihnen, denen deine Liebe gehört. Du hältst Heimkehr aus der Wüste, aus der fernen Fremde in die Heimat, die dich geboren hat. Aber der Glanz der Sterne zieht dich wieder her, ohne daß du das Gefühl, daheim zu sein, verlierst. Bist du nicht auch hier daheim, an der Seite des himmlischen Vaters, von welchem Jesaias sagt: »Kann denn ein Weib ihres Kindes vergessen, daß sie sich nicht erbarmte des Sohnes ihres Leibes? Und wenn sie es vergäße, so wollte doch ich dich nicht vergessen!« So wird dir selbst die Wüste zum Heim, und auch die Sterne grüßen dich nicht fremd. Es ist, als ob sie liebe, verheißungsvolle Worte herniederflimmerten von den Wohnungen im Hause des Vaters, welche Christus uns bereitet hat. Ist es nicht wunderbar, daß diese Sonnen und Welten, millionenmal größer als unsere winzige Erde, dich nicht erschrecken, sondern vielmehr deinen Glauben und dein Vertrauen stärken? Es drückt dich nicht nieder, daß sie schon Milliarden von Jahren bestanden haben und noch Billionen von Jahren bestehen werden, während dein Leben höchstens siebzig Jahre währt, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre. Und du tust wohl daran, so zuversichtlich zu sein, denn Christus sagt: »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!« Und diese Worte, welche ewig bleiben, sind die Worte von der Liebe, von der Liebe des Vaters, dessen Kinder wir sind für Zeit und Ewigkeit. Bist du ein guter Mensch, so schau hinauf zum Himmel und sag: Hast du nicht jeden einzelnen dieser lichten Sterne lieb? Sag »Nein«, wenn du es vermagst! Höre die Worte, welche einst nach meinem Tode mit meinen andern Gedichten veröffentlicht werden:
Ich fragte zu den Sternen
Wohl auf in stiller Nacht,
Ob dort in jenen Fernen
Die Liebe mein gedacht.
Da kam ein Strahl hernieder,
Helleuchtend, in mein Herz
Und nahm alle meine Lieder
Zu dir, Gott, himmelwärts.
Ich fragte zu den Sternen
Wohl auf in stiller Nacht,
Warum in jene Fernen
Er sie emporgebracht.
Da kam die Antwort nieder:
»Denk nicht an irdschen Ruhm;
Ich lieh dir diese Lieder;
Sie sind mein Eigentum!«
Ich fragte zu den Sternen
Wohl auf in stiller Nacht:
»Gilt denn in jenen Fernen
Auch mir die Himmelspracht?«
Da klang es heilig wieder:
»Du gingst von mir einst aus
Und kehrst wie deine Lieder
Zurück ins Vaterhaus!«
Schau, so fest und sicher ist mein Glaube, so unerschütterlich und freudig mein Vertrauen, daß diese Sterne wohl leichter ihr Licht verlieren, obgleich ihr Dasein nach Jahrmillionen zählt, als daß ich, das noch nicht sechzig kurze Jahre alte Menschenkind, von meiner Zuversicht zum Vater lassen würde, in dessen Haus auch mir ein Platz bereitet ist, wenn ich mich seiner nicht unwürdig mache!
Sieh die Wüste im Glanze dieser Sterne liegen! Geht er nicht vom Vater aus? Oder denkst du, daß er einen andern Urquell habe, den du mit Hilfe deiner sogenannten Wissenschaft erreichen und chemisch begutächteln kannst, um ihn dann in Flaschen mit patentiertem Gummiverschluß per Reklame zum Verkaufe en gros und en detail auszubieten? Ich sage dir, die einzige, untrügliche, also wahre Wissenschaft ist Gottes Allweisheit, und der Glanz, welcher von dieser Weisheit aus über alle Welten strahlt, kann von keines Menschen Sohn auf dem Wege der Wissenschaft bis an seinen Quell zurückverfolgt werden. Wenn Camille Flammarion, der bekannte französische Astronom, mit Hilfe des elektrischen Lichtes mit den Bewohnern des Mars sprechen will, so sind erst Vorfragen zu erledigen, die vielleicht in Jahrtausenden noch nicht beantwortet sind, und selbst wenn ihm dies gelänge, so hätte die Wissenschaft eine Linie nur bis zum nächsten äußern Planeten gezogen, was den unzählbaren Fixsternen und ihren unmeßbaren Entfernungen gegenüber nicht einmal als Anfang bezeichnet werden könnte. Es würde das ungefähr dasselbe sein, wie wenn der kleine, bewegliche Goldfisch in meinem Aquarium auf den Gedanken käme, den fernen Titicacasee einer ichthyographischen Untersuchung zu unterwerfen. Mein Halef nennt die Sterne am liebsten Ujun es Sema, Himmelsaugen, und als ich ihn einmal nach dem Grunde fragte, antwortete er: »Wenn ich in stiller Nacht unter dem glänzenden Firmamente liege, ist es mir, als schaue Allah mit tausend hellen, lieben, gütigen Sternenaugen aus dem Himmel auf mich hernieder, um mir zu sagen, daß ich in seinem Schutze ruhig und sicher schlafen könne. 0 Sihdi, ich habe diese freundlichen Ujun es Sema so herzlich lieb!«
Wenn dann der Mond erscheint und seinen lichten Schein mit ihren Strahlen vermählt, so liegt es wie ein durchsichtiges Meer von flüssigem Silber, dessen Kräuselungen im herrlichsten Perlmutterglanze flimmern, über die Wüste ausgebreitet. Ein so magisches, zauberisches Licht besitzt der Mond nirgend anderswo. In der bewegten Luft schweben seine Strahlen hin und her. Es geht die Fee der Wüste durch die helle Nacht. Der Saum ihres Gewandes streift leise über den Sand; ein Heer von Elfen fliegt umher, die Mondesstrahlen einzufangen, um die Gebieterin mit ihnen zu schmücken. Da werden spinnenfeine Lamettafäden zu glitzernden Shawls verwoben und mit sternleuchtenden Flimmern besetzt; smaragdene Kette und diamantener Einschlag bilden den Schleier, lang nachwehend wie ein schimmernder Duft. Aus brillantenen Szintillen entsteht das Diadem, funkelnd in märchenhafter Pracht. So schwebt sie dahin über lunarisch mild funkelnden Filigran, schöner noch als Scheheresades herrlichster Traum. Die am Tage so öde, todesstarre Wüste ist jetzt ein herrliches, geheimnisvolles Gedicht, von dessen Versen du nur den immer wiederkehrenden Refrain verstehst: »Lobe den Herrn, meine Seele, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobet den Herrn, ihr seine Engel, all seine Heerscharen, die ihr gewaltig seid an Kraft; vollziehet seinen Willen, die ihr seine Stimme hört!« Vernimmst du die Lobgesänge dieser Engel? Schließe die Augen, und lausche in dein Herz hinab! Auch dort sind leuchtende Sterne aufgegangen, und das Licht der Gottesnähe breitet sich über die erkenntnishungrige Einsamkeit. Es werden Stimmen laut in dir; beachte sie nur! Sie rufen dich von deinem bisherigen Pfade ab zum Karawanenwege der Gläubigen, der nach dem Lande der Verheißung führt. Deine Seele bricht auf, ihnen zu gehorchen; deinen müden Körper aber nimmt der Schlaf in seine Arme. Allah jebarik sik; Allah jatik nuro; leletak sa'ide –
Allah segne dich, er spende dir sein Licht; gute Nacht!
Die Wüste, durch welche wir heut kamen, war ein südöstlicher Ausläufer der arabischen Nefud, weiche selbst von den Eingeborenen sehr gefürchtet ist. Wir hatten Mühe, die Richtung beizubehalten. Sie besteht nämlich aus langgestreckten Sandhügeln, weiche oft parallel, oft divergierend voneinander liegen und durch unregelmäßige Querreihen miteinander verbunden sind. Dadurch entstehen zwischen ihnen tiefer liegende Vierecke, und das Ganze würde, aus der Vogelschau gesehen, jener Art von Back und Webwaren gleichen, welche man Waffeln nennt. Es läßt sich denken, daß es dafür uns ein sehr schwieriges Fortkommen gab, weil keine zusammenhängende, ebene Strecke vorhanden war und wir, um von einem Vierecke nach dem andern zu kommen, die zwischen ihnen liegende Höhe überwinden, also aus der einen Waffel heraus und hinauf und dann jenseits wieder in die andere hinunterreiten mußten. Das ermüdete die Kamele, zumal sie keine guten Kletterer sind, außerordentlich, denn die Abhänge waren oft sehr steil, so daß die Waffeltiefen wahre Abgründe bildeten, weiche um so schwer ergangbar waren, als die Wände aus lockerem Sande bestanden, weicher keinen festen Halt bot und bei jedem Schritte unter den Füßen der Hudschuhn wich.
Es war da sehr leicht, auf unnütze oder gar verderbliche Umwege zu verfallen, aber erstens besaßen wir ja Erfahrung genug, zweitens war der Ben Harb ein wirklich guter Führer, und drittens folgten wir den Spuren der Mekkaner, welche durch die Wahl ihres Weges bewiesen, daß sie diese Gegend ausgezeichnet kannten und ganz gewiß schon öfters durch sie geritten waren. Wenigstens galt dies von demjenigen von ihnen, weicher die Richtung zu bestimmen hatte. Wie wir später erfuhren, war das El Ghani selbst.
Diese Wüste war nicht ganz unbelebt. Es gab zuweilen einen einsamen, manneshohen Strauch, eine Eidechse und Spuren von kleinen Füchsen. Auch die Fährte eines Panthers entdeckten wir, doch gehörte er zur kleinen, weniger seltenen Art.
El Münedschi verhielt sich vollständig still; er bewegte sich kaum einmal und schien in einem immerwährenden Halbschlummer zu liegen. Wir hatten keine Ursache, ihn zu stören.
Es war noch nicht Mittag, als wir, indem wir uns auf einem der beschriebenen Hügelrücken befanden, im Zurückblicken bemerkten, daß es außer uns auch noch andere Menschen in dieser Gegend gab. Wir sahen auf einem der links seitwärts hinter uns liegenden Hügel eine Schar von Kamelreitern erscheinen, weiche sehr gut beritten sein mußten und große Eile verrieten. Ich zählte zweiundzwanzig Mann. Wir ritten unsern Schritt weiter. Sie kamen uns näher, und da sahen wir, daß zwanzig Mann von ihnen Uniformen trugen; sie waren also Soldaten. Türkische Soldaten hier in der arabischen Wüste! Das mußte einen ganz außerordentlichen Grund haben. Der arabische Beduine weist die Botmäßigkeit des großherrlichen Militärs mit aller Energie von sich ab. Auch uns ging die Sache jedenfalls nichts an, und so setzten wir also unsern Ritt ruhig fort.
Nach einiger Zeit holten sie uns ein. Die zwei Nichtmilitärs ritten voran; der eine von ihnen sprach uns an. Er war ein Perser; das sah ich ihm mit dem ersten Blicke an. Seine Kleidung bestand ganz aus Seide, und seine Waffen waren ausgesucht schön und von hohem Werte. Gradezu einzig aber war das Hedschihn, weiches ihn trug. Ein so fehlerlos gebautes, wunderbar gezeichnetes Reitkamel hatte ich noch nicht gesehen. Es war hellgrau gefärbt und fein fliegenschimmelartig dunkelbläulich getüpfelt, eine nicht älter als fünfjährige Stute mit leucotisch hellroten Augen. Und sonderbar, diese Augen schienen von dem hellen Tageslichte nicht im geringsten angegriffen zu werden, und ihr Blick war so treu, so intelligent, wie ich es noch bei keinem einzigen Kamele gesehen hatte. Die Füße waren außerordentlich klein und die Formen, ich möchte fast sagen, weiblich voll und rund. Bei einem Kamele kann natürlich von Schönheit nicht die Rede sein; hier aber möchte ich doch eine Ausnahme machen und behaupten, daß dieses schön gewesen sei. Ich gestehe, daß ich ganz entzückt über dieses Tier war.
Einen ebenso guten Eindruck machte der Reiter auf mich, doch nicht etwa seiner reichen Kleidung und Bewaffnung wegen, denn solche Äußerlichkeiten können mir niemals imponieren. Aber er saß im hohen Sattel aufrecht und stolz wie ein König, welcher gewohnt ist, zu gebieten und sofortigen Gehorsam zu finden. Und dieser Stolz war kein gemachter, sondern ein natürlicher; er kam von innen heraus. Auch war es kein dummer, hohler, kein mit Verachtung gepaarter Stolz, denn sein von einem dunkeln, wohlgepflegten Barte umrahmtes Gesicht trug die Kennzeichen geistiger Tätigkeit, und seine Augen hatten einen mildfreundlichen Blick, der aber erraten ließ, daß ihm das Feuer der Energie oder des Zornes auch nicht fremd sei. Alles in allem machte dieser Mann den Eindruck wirklicher Vornehmheit. Die Soldaten hatten respektvoll einen Zwischenraum zwischen ihm gelassen, und der andere Zivilist, wenn ich dieses Wort hier gebrauchen darf, welcher wohl der Khabir, der Führer der Truppe war, hielt sich jetzt auch seitwärts hinter ihm, ein unwillkürlich gegebenes Zugeständnis, daß dieser Mann der Herr sei und jetzt allein zu sprechen habe.
»Ässälam 'aleikum!« grüßte er mit persischem Anklange in höflichem Tone, indem er seinen Blick forschend über uns gleiten und dann in bewunderndem Ausdrucke auf unsern Pferden haften ließ.
»Vä'aleikum ässälam!« antwortete ich ebenso höflich und in demselben persischen Dialekte.
Halef hatte schon den Mund geöffnet, um zu sprechen; ich war ihm aber zuvorgekommen, denn seine vorschnelle Art und Weise war einem solchen Manne gegenüber nicht gut angebracht. Über die Züge des letzteren ging bei meiner Antwort ein freundliches Lächeln, und er fragte:
»Du verstehst und sprichst persisch?«
»Ja«, nickte ich.
»Bist du Perser?«
»Nein, aber ich war wiederholt und längere Zeit in diesem Lande, habe es liebgewonnen und besitze treue Freunde dort.«
»Muhäbbät-i-tu käm nä schäwäd – deine Freundschaft möge nicht abnehmen! Ich bin Khutub Agha, der Basch Nazyr des Heiligtums von Meschhed Ali. Allah segne und beschütze diese Stätte!«
Auch wenn er mich nun nicht so fragend angesehen hätte, wie er es jetzt tat, hätte die Höflichkeit es mir geboten, ihm meinen Namen auch zu nennen. Ich tat dies also:
»Ich heiße Hadschi Akil Schatir Effendi und bin aus dem fernen Lande des Moghreb gekommen, um die Reiche des Ostens zu sehen und ihre Bewohner kennen zu lernen.«
Das war aber meinem kleinen Halef viel, viel zu bescheiden ausgedrückt. Ich hatte das letzte Wort noch nicht ganz ausgesprochen, so fiel er schnell und außerordentlich eifrig ein:
»Das ist aber nur der Anfang seines Namens; den glorreichen Fortgang und das herrliche Ende desselben pflegt er leider aus falscher Demut zu verschweigen. Er heißt mit seinem vollständigen Namen, der aber trotzdem noch viel, viel länger gemacht werden könnte, Hadschi Akil Schatir el Megarrib Ben Hadschi Alim Schadschi er Rani Ibn Hadschi Dajim Maschhur el Azami Ben Hadschi Taki Abu Fadl el Mukarram Effendi. Seine Geburtsstätte ist das große Wadi Draha, aus welchem nur berühmte Männer kommen, und in seinem Kopfe sind die Seiten, Zeilen und Paragraphen sämtlicher Wissenschaften aufgestapelt. Allah erhalte ihm diese Vorzüge seines Geistes!«
Khutub Agha wartete geduldig und lächelnd, bis dieser lange Riemen abgewickelt worden war, und erkundigte sich dann:
»Und du? Wer bist du, und wer sind die andern?«
»Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar. Diese Männer sind einige meiner Krieger, welche mit uns nach Mekka pilgern, wo wir die heiligen Stätten sehen und verehren wollen.«
Das bei der Nennung meines Namens etwas ironisch gewordene Lächeln des Persers verlor jetzt diesen Ausdruck.
»Ich habe von den Haddedihn gehört«, sagte er. »Sie sind sehr brave und ruhige Leute, welche die Ehrlichkeit und den Frieden lieben. Sie besitzen einen Freund aus dem Abendlande, weicher Kara Ben Nemsi Effendi heißt und ihr Lehrer in allen nützlichen Künsten des Krieges und des Friedens gewesen ist.«
»Das ist richtig; das ist wahr! Woher weißt du das? Von wem hast du es erfahren?«
»Von einem Manne, der mir mitgeteilt hat, daß auch du ihn kennst, wenn du wirklich Hadschi Halef bist.«
»Ich bin es. Wie heißt dieser Mann?«
»Mirza Dschafar, mein bester Freund.«
Mirza Dschafar! Der bei meiner letzten Reise mit Halef durch Persien eine für uns so bedeutende Rolle gespielt hatte! Der Perser nannte ihn Mirza Dschafar, nicht Dschafar Mirza, gab ihm also nicht den prinzlichen, sondern den gewöhnlichen Titel. Diese vorsichtige Art, diesen Namen zu nennen, gab mir den Beweis, daß er von Dschafar mehr wußte, als er hier sagen konnte. ich war überrascht. Khutub Agha bezeichnete Dschafar als seinen besten Freund, aber die eigentümlichen Verhältnisse des letzteren geboten uns doch, vorsichtig zu sein. Das beste war, gar nicht weiter auf diese Bekanntschaft einzugehen; leider aber war es dem sanguinischen Hadschi Halef gradezu unmöglich, in solchen Fällen, wie der gegenwärtige einer war, die von mir gewünschte Zurückhaltung zu üben. Ich wollte die Fortsetzung des Gespräches selbst übernehmen und ihm winken, zu schweigen; er sah mich aber in seinem Eifer gar nicht an und rief unmittelbar nach der Nennung des Namens, so daß ich gar keine Zeit fand, das Wort zu ergreifen, in froherstauntem Tone aus:
»Mirza Dschafar! Unser persischer Freund! Den kennst du auch? Ja, du nennst ihn ebenso Freund, wie wir ihn nennen?
Schau hin, und sieh den Chandschar, welcher dort im Gürtel meines Effendi steckt! Diese Waffe ist ein Geschenk von Mirza Dschafar, welches für ihn und uns einen großen Wert besitzt!«
O wehe! Welch eine Unvorsichtigkeit! Mit diesen Worten verriet Halef, ohne es zu wissen, daß ich gar nicht der Mann war, für den wir mich soeben ausgegeben hatten. Hanneh hustete warnend von ihrem Tachtirwahn herab; er sah zu ihr hinauf, ohne sie zu verstehen. Khutub Agha ließ sein Auge langsam über mich gleiten. Kein Zug seines Gesichtes sagte mir, ob er hinter unser Geheimnis gekommen sei oder nicht; aber er sprach von jetzt an nicht mehr zu Halef, sondern ausschließlich nur zu mir:
»Erlaube, daß ich dich nach dem Wege frage, den ihr bis hierher geritten seid! Den Grund, welcher mich diese Bitte aussprechen läßt, werde ich dir nachher gleich mitteilen.«
»Wir kommen aus der oberen Dschesireh«, antwortete ich, »und sind südwärts von Hit über den Euphrat gegangen.«
»Habt ihr den Nedschef-See berührt?«
»Nein.«
»Also auch nicht den Karawanenweg, welcher von Hilleh und Meschhed Ali nach Mekka führt?«
»Nein. Der hat stets weit links von unserem Pfade gelegen.«
»Wie schade!«
»Warum schade?«
»Wäret ihr diesen Weg geritten, so könntet ihr mir wahrscheinlich Auskunft über eine kleine Karawane geben, nach weicher wir suchen.«
»Suchen? Ihr sucht? Sonderbar!«
»Sonderbar? Warum nennst du unser Suchen so?«
»Weil du nach ihr suchst und mir doch sagst, wo sie zu finden ist, nämlich auf dem Wege von Meschhed Ali nach Mekka.«
»So will ich dir mitteilen, daß diese Karawane allen Grund hat, sich vor uns zu verstecken.«
»Wenn sie sich vor euch verbergen muß, hat sie auch alle Ursache, sich von andern, die sie an euch verraten könnten, nicht sehen zu lassen.«
Er nickte leise vor sich hin, ließ ein befriedigtes Lächeln um seine Lippen spielen, als ob bei ihm ein heimlicher Gedanke Bestätigung gefunden habe, und fuhr dann weiter fort:
»Ich sehe jetzt, daß du wirklich ein außerordentlich kluger Effendi aus dem Moghreb bist, denn du hast in einigen Augenblicken und in ganz wenigen Worten mehr durchdacht und mehr gesagt, als ein anderer Mann nach tagelangem Nachdenken erforschen würde und in einer stundenlangen Rede ausdrücken könnte. ich errate darum deine Gedanken und weiß also, daß du dich wunderst, uns hier an dieser Stelle zu sehen.«
»Du irrst. Ein anderer würde sich wundern, daß ihr hier seid, während du doch selbst sagst, daß die von euch Gesuchten den weit von hier liegenden Karawanenweg eingeschlagen haben. Ich aber schließe aus eurem Hiersein darauf, daß diese Leute von dem Karawanenwege abgewichen sind. Ihr werdet, denke ich, die Spuren dieses Abweichens gefunden haben.«
»Effendi, du bist noch scharfsinniger, als ich dachte! Ja, du hast recht. Wir haben entdeckt, daß sie von dem Meschhed-Ali-Wege nach Westen abgewichen sind.«
»Wußten sie sich verfolgt?«
»Nein. Aber sie mußten sich allerdings sagen, daß man ihnen sofort nachjagen werde, falls ihre Tat zur Entdeckung käme.«
»Darf ich fragen, was für eine Tat es ist?«
»Dir sage ich es. Man hat das Heiligtum von Meschhed Ali bestohlen. Kannst du das glauben?«
»Warum nicht? Ich kenne Menschen, welche noch viel Schlimmeres getan haben.«
»Etwas Schlimmeres gibt es nicht! Wer das Heiligtum bestiehlt, der bestiehlt Allah!«
»Ein Faulenzer, ein Tagedieb bestiehlt Allah auch, denn die Tage des Lebens gehören nicht ihm, sondern Gott, und ein Lebenstag ist wenigstens ebenso wichtig wie irgend ein Gegenstand in den heiligen Mauern von Meschhed Ali oder Kerbelah.«
»Ich kann darüber nicht mit dir streiten, denn als ein Mann aus Fran- – –« er hielt einen Augenblick inne und verbesserte sich dann, indem er fortfuhr, »als ein Mann aus dem fernen Moghreb mußt du anderer Meinung sein als ich. Wir entdeckten vier Tage, nachdem die Diebe fort waren, den Raub, und ich als Hüter und Bewahrer der Schätze des Heiligtumes bin ihnen ohne Verweilen nach, um sie zu ergreifen und zu bestrafen.«
»Fran – – –« hatte er gesagt; sollte das Frankistan, das Land der Franken, der Christen heißen? Wenn dies der Fall war, so hatte Halefs Unvorsichtigkeit es allerdings verraten, daß ich Kara Ben Nemsi, nicht aber ein Mann aus dem Wadi Draha war. Nun kam es darauf an, klug zu sein und die Folgen dieser Entdeckung zu verhüten.
»Wußtest du gleich, welchen Weg die Diebe eingeschlagen hatten?« fragte ich.
»Ja. Sie waren Mekkaner, also konnte ich über ihren Weg nicht im Zweifel sein.«
»Es war aber auch möglich, daß sie zunächst eine andere Richtung einschlugen, um euch irre zu führen«, warf ich ein.
»Ich war so vorsichtig, mir dies auch zu sagen, und traf demnach meine Vorkehrungen. Ich sandte Abteilungen auf die Wege, welche nach Kerbelah und Hit, nach Hilleh und Bagdad, nach Semawat und nach Djof führen. Daß alle diese Leute die Diebe nicht finden würden, entdeckte ich in Akabet esch Scheitan, wo ich erfuhr, daß die Mekkaner vor vier Tagen durchgekommen seien. Die Route nach Mekka, welche ich eingeschlagen hatte, war also die richtige.«
»Nun seid ihr dieser Route so lange gefolgt, ohne euren Zweck erreicht zu haben.«
»Du sagst leider die Wahrheit. Der Scheitan scheint die Schurken zu beschützen, indem er sie für uns unsichtbar macht.«
»So scheint der Scheitan über eure Augen mehr Macht zu besitzen als über die meinigen.«
Er sah mich erst groß an und fragte dann aber desto schneller:
»Die deinigen? Hättest du sie gesehen?«
»Ja.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Wo?«
»Den dritten Teil einer Tagereise von hier.«
»Also hinter euch?«
»Ja.«
»Allah sei Dank! Ich glaube deinen Worten; du kannst dich nicht täuschen, denn ich weiß, daß du der« wieder hielt er inne und gab dann seinen Worten eine andere Wendung: »daß du ein sehr kluger Effendi aus dem Wadi Draha bist. Wir müssen sofort umkehren, sofort, denn ich darf keinen Augenblick«
»Halt! Übereile dich nicht!« unterbrach ich ihn. »Sie sind nicht mehr hinter uns, sondern vor uns.«
»Wie? Wirklich?«
»Ja. Sieh da die Spuren, denen wir folgen! Das ist die Fährte der Diebe, die du suchst.«
Kaum hatte ich das gesagt, so rief Halef aus:
»Effendi, sag das nicht! Du wirst diesen bestohlenen Beschützer der Heiligtümer irreführen. Das sind ja die Spuren der – – –«
»Bitte, schweig du!« unterbrach ich ihn trotz der Anwesenheit Hannehs, seines Sohnes und der Haddedihn in sehr bestimmtem Tone. »Du hast erfahren, daß ich stets ganz genau weiß, was ich sage.«
»Ja«, antwortete er, noch immer oppositionslustig, »ich habe ja immer zugegeben, daß dein Verstand länger ist als der meinige; dafür ist aber meiner breiter als der deinige, und so fragt es sich also, ob hier der Irrtum in der Länge oder in der Breite liegt.«
»Lieber Halef, sei ja nicht stolz auf diese Breite deines Verstandes! Du hast trotz derselben vorhin einen Fehler begangen, der fast nicht zu verzeihen ist!«
»Ich – – – – ?« fragte er erstaunt.
»Ja, du.«
»Wann?«
»Vor zwei Minuten.«
»Also hier?«
»Ja.«
»Wodurch? Womit?«
»Das werde ich dir später sagen.«
»Nein, Sihdi! Ich will es jetzt wissen, jetzt gleich!«
Da wendete sich der Perser an mich:
»Erlaubst du, daß ich es ihm sage?«
»Ja, sage es«, antwortete ich ihm, da es dadurch auch mir klar werden mußte, wie weit die Wirkung der Unvorsichtigkeit Halefs reichte.
Khutub Agha ließ sein ironisches Lächeln wieder erscheinen und forderte den kleinen Hadschi auf:
»Sag mir noch einmal der Wahrheit gemäß, wer dieser dein Effendi ist!«
Halef richtete sich im Sattel in Positur und antwortete mit größter Bereitwilligkeit:
»Dieser mein Effendi heißt Hadschi Akil Schatir el Megarrib Ben Hadschi Alim Schadschi er Rani Ibn Hadschi Dajim – – –«
»Sei still, still, still!« fiel da der Basch Nazyr lachend ein . »So heißt er nicht. Ich weiß es besser, viel besser als du!«
»Besser – – – ? Als ich – – – ?« fragte Halef verwundert.
»Ja, besser!«
»So! Wenn du klüger bist, so sag doch seinen Namen!«
»Er ist Hadschi Kara Ben Nemsi aus Dschermanistan!«
Jetzt mußte man das Gesicht Halefs sehen! Es wurde vor Erstaunen fast noch einmal so lang, als es vorher gewesen war.
»Du weißt – – – weißt – – – weißt – – –«, stotterte er.
»Ja, ich weiß!« nickte der Perser.
»Hast du ihn schon gekannt?«
»Nein.«
»Gesehen?«
»Nein, auch nicht gesehen. Aber gehört habe ich von ihm und auch von dir.«
»Wie kannst du da aber wissen, daß dieser Effendi hier es ist?!«
»Es ist mir ja vorhin gesagt worden!«
»Von wem?«
»Von dir!«
»Von – – – ?!«
Das »Mir« blieb dem Hadschi im Munde stecken. Er sah Khutub Agha aus vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen an und fuhr dann aber zornig fort:
»Höre, ich verbiete dir, deinen Scherz mit mir zu treiben! Du bist zwar als der Bewacher der Heiligtümer von Meschhed Ali ein Mann, den man mit Höflichkeit und Achtung zu behandeln hat, aber wenn du meinst, mit mir, dem obersten Scheik der Haddedihn vorn großen Stamme der Schammar, ein loses Possenspiel treiben zu können, so wirst du sofort erfahren, was die Zunge der Unhöflichkeit zu leisten vermag. Ich werfe dir alle Grobheiten der Erde und des Weltalls an den Kopf, und auch noch einige hundert mehr! Sobald du dich mit mir streiten willst, können mir alle deine Heiligtümer ganz und gar nicht imponieren, weil die Wahrheit heiliger als dein ganzes Meschhed Ali ist, und du hast mir soeben die Unwahrheit gesagt. Gestehe es ein!«
»Ich kann nur eingestehen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe.«
»Beweise es!«
»Hast du vorhin von dem Chandschar gesprochen, den der Effendi im Gürtel hat?«
»Ja, das habe ich.«
»Hast du gesagt, daß er ein Geschenk von Mirza Dschafar sei?«
»Ja.«
»Nun, damit hast du verraten, daß der Effendi nicht Akil Schatir, sondern Kara Ben Nemsi heißt.«
»Wieso?«
»Weil ich von Dschafar weiß, daß er diesen Chandschar seinem Freunde Kara Ben Nemsi geschenkt habe.«
»Wann?«
»Vor einer Reihe von Jahren.«
»Wo?«
»In einem Lande, welches jenseits des großen, westlichen Meeres liegt und Yeni dünja genannt wird.«
Jetzt machte Halef wieder sein langes Gesicht.
»Das stimmt; das stimmt ganz und gar! Allah, was gibt es doch für unvorsichtige, leichtfertige Menschen! Wir wollten mit dem Effendi nach Mekka, und weil er als Christ die heilige Stadt nicht betreten darf, habe ich aus ihm einen berühmten, muhammedanischen Gelehrten gemacht und ihm einen Namen gegeben, dessen Länge von Bagdad bis nach Stambul reicht. Und nun ich mir alle diese Mühe gegeben habe, muß ich erfahren, daß diese Anstrengung der ganzen Breite meines Verstandes umsonst gewesen ist, weil Mirza Dschafar, unser Freund, so unvorsichtig war, dir die Geschichte von dem Chandschar mitzuteilen!«
Da konnte sich selbst Hanneh nicht länger halten. Sie bog sich über den Rand des Tachtirwahn herab und rief ihm zornig zu:
»Hadschi Halef, du bist der Unvorsichtige gewesen, du selbst, du, du!«
»Ich – – – ?« fragte er, zweifelnd zu ihr aufschauend.
»Ja, du!«
»Inwiefern?«
»Mirza Dschafar hat es gut gemeint, auch konnte er nicht wissen, daß uns dieser Basch Nazyr einmal zu einer Zeit begegnen werde, in welcher der Effendi Veranlassung hat, einen andern Namen zu tragen. Gibst du das wohl zu?«
»Ja, ja! Du weißt ja, wenn du sprichst, welche die klügste unter den weisesten aller Frauen ist, so hast du stets nur das gesagt, was auch ich in diesem Falle sagen würde!«
»Gut! Du aber wußtest, daß der eigentliche Name des Effendi verschwiegen bleiben soll; du hörtest auch, daß der Basch Nazyr den Mirza kennt, und sprachst dennoch von dem Chandschar! Du konntest dir doch denken, daß beide von dieser Waffe, von diesem Geschenke miteinander gesprochen hatten!«
»So? Konnte ich mir das denken?« fragte er kleinlaut.
»Du konntest nicht nur, sondern du mußtest es! Warum sprichst du immer, wenn der Effendi reden will? Der berühmte Scheik eines so großen Stammes muß nicht immer reden, sondern schweigsam sein!«
Da legte er den Körper zurück, die Hände zusammen und sagte:
»Du hast recht, o Hanneh, du verständigste unter allen Selbstverständigkeiten der Frauenzelte; ich bin berühmt und werde schweigen! Du hast mir auch dieses Mal aus der Seele gesprochen!«
Und nun nahm er mit der größten Seelenruhe den Trost entgegen, den ihm der Perser gab:
»Sorge dich nicht um die Sicherheit deines Effendi, o Scheik der Haddedihn! Keiner von uns wird seinen wahren Namen verraten; das verspreche ich dir bei Allah, dem Propheten und bei den Söhnen Alis, des Kalifen! Es macht mich so glücklich, Kara Ben Nemsi so unerwartet kennen zu lernen, und nur weil er es ist, habe ich seinen Worten ein solches Vertrauen geschenkt. Wenn er sagt, er habe die Diebe gesehen, welche ich suche, so bin ich überzeugt, daß es wirklich so und nicht anders ist!«
»Es ist so!« bekräftigte ich.
»Du hast Leute gesehen«, fuhr er fort. »Woher aber weißt du, daß es die sind, von denen ich spreche?«
»Du machtest wiederholt die Angabe von vier Tagen, und dies war mir im Zusammenhange mit einigen andern Umständen genug, die Personen, welche ich meine, für die Gesuchten zu halten.«
Hierbei muß ich bemerken, daß El Münedschi sich auch jetzt noch in seinem schlafähnlichen Zustande befand und von dem Stillhalten der Kamele und unsrem Gespräche gar nichts merkte. Wir hatten ihm das Schleiertuch über das Gesicht gezogen, damit die Sonne ihn nicht stören möge. Er war also nicht zu erkennen.
»Du hältst also einen Irrtum für nicht möglich?« fragte der Perser.
»Warum nicht möglich? Keine menschliche Meinung ist untrüglich; aber ich denke, daß ich mich in diesem Falle nicht irre. Laß mich fragen: Es handelt sich um sechs Personen?«
»Ja.«
»Darunter war ein Greis von sonderbarem Benehmen?«
»Ja. Er war von Djinns besessen. Von ihm glaube ich, daß er von dem Diebstahle gar nichts weiß.«
»Sodann ein älterer Mann mit graugemischtem Haare, dessen Sohn bei ihm war?«
»Ja.«
»Und drei Männer im mittleren Lebensalter?«
»Auch das stimmt.«
Ich beschrieb die Anzüge, was auch alles zutraf.
»Sagten diese Leute, daß sie aus Mekka seien?« fragte ich weiter.
»Ja. Der Vater des Sohnes kam sogar als Abgesandter des Großscherif zu uns.«
»Ist es nicht eine sehr kühne Idee, den Gesandten des Beherrschers der heiligsten Orte des Islam des Diebstahles zu beschuldigen?«
»Ja, man kann es kaum fassen! Nur darum hat es volle vier Tage gedauert, ehe wir den Beweisen glaubten; dann aber hatten sie sich auch so gehäuft und waren so unwiderstehlich geworden, daß wir nicht mehr zweifeln konnten, was wir bis dahin trotz der Sicherheit aller Zeichen doch noch getan hatten.«
»Ist es nicht möglich, daß ihr euch doch noch im Irrtum befindet? Ich spreche diese Frage nämlich auch meinetwegen aus, denn ich gestehe dir, daß die Beschuldigten auch für mich sehr wichtige Personen sind und vielleicht noch wichtiger werden als jetzt. Ich habe also meine Gründe zu dieser Erkundigung.«
»Effendi, ich weiß, daß Kara Ben Nemsi niemals etwas tut oder etwas spricht, ohne von guten Ursachen dazu veranlaßt zu werden. Ich ahne, daß euer Zusammentreffen mit diesen Leuten kein gewöhnliches gewesen ist, und versichere dir, daß ihr da wirklich mit Schurken in Berührung gekommen seid, weiche unsere Heiligtümer beraubt haben. Um dir die Überzeugung zu geben, welche ich besitze, müßte ich dir unsere Beweise bringen, und dazu würde die Mitteilung von Dingen und die Beschreibung von orten nötig sein, von denen wir mit keinem Schiiten und noch viel weniger mit einem Andersgläubigen sprechen dürfen. Ich gebe dir aber mein Wort, daß ich mich nicht irre. Wahrscheinlich ist es dir möglich, mir zur Ausführung meines Vorhabens behilflich zu sein, und so versichere ich dir, daß du das getrost tun kannst, ohne befürchten zu müssen, diesen Leuten wehe zu tun, ohne daß sie es verdient haben. Ich weiß von Mirza Dschafar, daß die Erfahrungen, welche du mit den Schiiten gemacht hast, nicht geeignet sind, in dir Liebe zu uns zu erwecken; aber ich bitte dich, mich nicht in gleicher Weise zu beurteilen wie diejenigen, weiche dir Abscheu und Verachtung einflößten. Du wendest deine Unterstützung hier einem Manne zu, welcher ihrer nicht unwürdig ist und auch nicht zu den Undankbaren gehört, deren du so viele kennengelernt hast!«
Das glaubte ich ihm sehr gern. Der Eindruck, den er nicht nur auf mich, sondern auf uns alle machte, läßt sich am besten mit dem Ausdrucke bezeichnen: ein Schiit, ja, ein sehr hoher Beamter der Stelle, an welcher die Schia sich ihres nichtsnutzigsten Bodensatzes zu entledigen pflegt, aber doch ein Gentleman. Ich war also sehr gern bereit, ihm die gewünschte Auskunft zu erteilen, und hatte dazu noch zwei weitere Gründe. Erstens sah ich nun ein, daß er sich nicht nur den Freund Dschafars nannte, sondern es wirklich war, und infolge dieser Freundschaft mir als Christen nichts in den Weg legen, sondern darüber schweigen werde. Und zweitens kam mir die so überraschende Entdeckung, daß der so anmaßende Ghani, der »Liebling des Großscherifs«, ein verfolgter Verbrecher sei, außerordentlich gelegen. Ich bin nie rachsüchtig gewesen und war es auch hier nicht im geringsten, denn ich habe mich stets bemüht, grad in der verzeihenden Liebe derjenigen Christenpflicht gerecht zu werden, welche eine der ersten, ja wohl die allererste ist; ich habe mich sogar soweit überwunden, daß ich, und zwar sehr gern, meine Feinde, die ja jeder Mensch hat, täglich in mein Gebet einschließe, denn für sich selbst, für Verwandte und Freunde zu beten, ist keine Kunst und bringt kein Verdienst; hier aber durfte ich es ohne alle Rachsucht oder Schadenfreude als eine für uns willkommene Entdeckung hinnehmen, daß der stolze, gegen uns von Verachtung strotzende Moslem, der uns noch beim Abschiede so schwer bedroht hatte, jetzt hier als ein ganz gemeiner Verbrecher bezeichnet wurde. Das machte uns ihm in der Weise überlegen, daß jede Besorgnis, die wir seinetwegen vielleicht noch gehabt hätten, schwinden mußte.
»Wir können und werden dir behilflich sein«, versicherte ich ihm aus den angegebenen Gründen. »Darum wollen wir keine Zeit verlieren und hier nicht länger im Gespräche halten bleiben. Ich habe dir schon gesagt, daß die Gesuchten sich nicht hinter, sondern vor uns befinden. Wir können im Weiterreiten das besprechen, was zu besprechen ist.«
Ich setzte mich, mit dem Basch Nazyr neben mir, an die Spitze des Zuges und winkte Halef, sich uns beizugesellen. Das liebe Kerlchen war infolge der Zurechtweisung, die er von dem Perser, von mir und auch von Hanneh bekommen hatte, kleinlaut geworden und machte Miene, bei dem Tachtirwahn zu bleiben. Ich wußte, daß ihm diese Zurückhaltung außerordentlich schwer wurde, und rehabilitierte ihn also dadurch, daß ich ihm durch den Wink die Stelle anwies, an weiche er als Scheik und als mein Freund gehörte. Seine Unvorsichtigkeit war nicht gutzuheißen; aber sie blieb ja ohne die befürchteten Folgen, und er hatte seine unbedachten Äußerungen nur aus Liebe zu mir getan. Hinter uns ritten die Haddedihn, denen die Soldaten mit ihrem Khabir folgten. Selbstverständlich trieben wir die Kamele dabei zur Eile an. Wahrscheinlich wartete Khutub Agha, um sofort bestimmte Mitteilungen von uns zu hören; aber da ein Zusammenhandeln zwischen ihm und uns zu erwarten war, so kam es mir vor allen Dingen darauf an, zu erfahren, welche darauf bezüglichen Eigenschaften und Ansichten er besaß; darum sprach ich zunächst die Erkundigung aus:
»Hast du bei deinem Aufbruche von Meschhed Ali an die Gefahren gedacht, weiche von einem solchen Ritte unzertrennlich sind?«
»Ja, aber ich fürchte sie nicht«, antwortete er. »Ich bin, bevor ich Basch Nazyr wurde, Offizier des Schahin-Schah gewesen und befinde mich nicht zum erstenmal in der Wüste. Auch ist unser Khabir ein ausgezeichneter Führer, auf den ich mich verlassen kann.«
»Daß du dich nicht vor der Wüste fürchtest, habe ich als selbstverständlich angenommen, denn scheutest du dich vor ihr, so hättest du diesen Weg nicht selbst gemacht, sondern einen Anderen damit beauftragt. Und daß euer Khabir ein tüchtiger Mann ist, unterliegt auch keinem Zweifel, denn wenn er das nicht wäre, hätte er es nicht gewagt, von der Karawanenstraße abzuweichen.«
»Er kennt die Brunnen, welche außerhalb dieses Weges liegen und von den Beduinen heimlich gehalten werden. So weiß er zum Beispiel ganz genau, daß wir heut an den Bir Hilu kommen werden, wo es gutes, nicht salziges oder bitteres Wasser gibt.«
»Dahin wollen wir auch, und dort werden wir höchst wahrscheinlich die Diebe treffen.«
»Wirklich?« fragte er rasch und in frohem Tone.
»Ja.«
»Welche Freude für mich! Ich will dir gestehen, daß ich es schon fast aufgegeben hatte, ihre Spur wiederzufinden und sie noch in der Wüste einzuholen, was doch unbedingt nötig ist, wie ich wohl nicht erst zu sagen brauche.«
»Ja, unterwegs haben sie die gestohlenen Sachen noch bei sich und können also überführt werden; auch zählen sie da nicht mehr, als gleichviele andere Leute zählen würden. Später aber, in Mekka, werden sie ihren Raub schleunigst verstecken, und außerdem würde eine Anklage gegen sie auch deshalb fast unmöglich sein, weil ihr Anführer ein Schützling des Großscherifs zu sein scheint, was dort von großer Wichtigkeit ist, während es hier unterwegs nicht in die Wagschale fällt. Das bringt mich aber wieder auf meine Frage zurück, mit welcher ich nicht die Gefahren der Wüste an sich gemeint habe.«
»Welche sonst?«
»Es gibt für euch noch andere, viel größere, deren Ursache in dem Hasse zwischen Schiiten und Sunniten liegt. Sobald du das an der Grenze befindliche Meschhed Ali verlassen hast, befindest du dich nicht mehr auf schiitischem Gebiete, und je weiter du dem Wege nach Mekka folgst, desto mehr näherst du dich dem Mittelpunkte der Feindschaft, welche gegen euch gerichtet ist. Die Bewohner Arabiens sind fanatische Sunniten, und dazu kommt, daß besonders die Nomaden unter ihnen jeden Zwang und jede Beeinträchtigung ihrer Freiheit mit rücksichtsloser Energie von sich weisen. Ihr Widerwille richtet sich darum ganz besonders gegen das Militär. Nun kommst du, der Schiit, mit zwanzig Soldaten in die arabische Wüste, in welcher jeder dir begegnende Beduine dich doppelt haßt. Ich bin überzeugt, daß jede Nomadenschar, welche nicht weniger Männer zählt als ihr und darum sich an euch wagen darf, sofort über euch herfallen wird. Hast du das bedacht, als du den jetzigen Ritt begannst?«
»Ja, aber doch so, wie du meinst, eigentlich nicht. Ich glaubte, die Diebe sehr bald zu erreichen.«
»Bei einem Vorsprung von vier Tagen, den sie hatten?«
»Den glaubte ich schnell verringern zu können, denn wir haben die besten Kamele, welche zu haben waren. Sieh mein Hedschihn an, welches Maschurah heißt! Dieser Name sagt zwar viel, aber doch noch nicht genug. Es stammt aus der berühmten Züchterei von Tscharbagh, deren Leiter der Bruder meines Vaters ist; er hat es mir geschenkt; verkäuflich wäre es nie. Du bist ein Kenner. Was sagst du dazu? Es ist doppelt so schnell als eine Bischaristute und hat die ausdauernde Lunge des Adlers. Sein Ahne stammt aus der afrikanischen Bajudawüste, und sein Großvater war der blaugraue Kamelhengst, welchen Mozaffar ed Din, der Emir von Bokhara, in der Schlacht bei Irdschar am Syrdarja ritt. Die beispiellose Schnelligkeit, mit welcher dieser Hengst seinen Herrn bei der Verfolgung rettete, ist dann von Ben Scha'at, dem Dichter, mit Begeisterung besungen worden.«
»Ich habe noch nie so ein Hedschihn gesehen und es schon im stillen bewundert. Allah bewahre es! Aber was nützt dir die Vortrefflichkeit der Stute, wenn die Hudschuhn der Soldaten nicht ebenso schnell sind? Wenn du berechnet hättest, welche Zeit selbst bei der größten Eile und Ausdauer dazu gehört, einen Vorsprung von vier Tagen auszugleichen, so wäre das Ergebnis gewesen, daß die Verfolgten Mekka doch noch eher erreicht hätten als du. Glücklicherweise aber ist ihnen das Wasser ausgegangen; sie blieben, halb verschmachtet, mehrere Tage liegen und wären zu Grunde gegangen, wenn wir sie nicht angetroffen hätten.«
»Yah'Ali! Ihr habt sie nicht bloß gesehen, sondern sogar mit ihnen gesprochen?«
»Noch mehr als das: Wir haben eine Nacht bei ihnen gelagert.«
»Sogar gelagert? Effendi, das mußt du mir erzählen, gleich, sofort!«
»Erst noch eine Frage! Wer ist dieser Abgesandte des Großscherifs eigentlich?«
»Hat er es dir nicht gesagt?«
»Ich will es aus deinem Munde hören.«
»Er soll reich, sehr reich sein und wird darum El Ghani genannt. Auch ist er als Scheich el Harah der Gebieter eines Stadtteiles von Mekka. Er gehört der berühmten Familie Qatadah an, ist ein Nachkomme Muhammed Abu Numehjj's und heißt Abadilah el Waraka, hört aber diesen Beinamen El Waraka nicht gern.«
»Warum nicht?«
»Weil ihm der Name leicht einmal gefährlich werden kann.«
»Ah! Also darum schwieg er davon! Er nannte sich nur El Ghani.«
»Und den eigentlichen Namen verschwieg er?«
»Ja. Worin liegt die Gefährlichkeit des Beinamens El Waraka?«
»Um das zu verstehen, müßtest du das Lebendes jetzigen Großscherifs und seinen langen, erbitterten Streit mit Othman Pascha, dem Abgesandten des Sultans, kennen.«
»Ich kenne beides. Der Pascha sollte und wollte Ordnung in die Verwaltung bringen, den Krankheiten, besonders der Pest und der Cholera steuern und vor allen Dingen Sicherheit der Karawanenwege schaffen. Der Großscherif glaubte sich dadurch in seinen Rechten verletzt und weigerte sich, den Pascha anzuerkennen. Es begann zwischen beiden ein erbitterter Kampf, der von seiten des Großscherifs mit allen möglichen, selbst den verwerflichsten Mitteln geführt wurde. So war zum Beispiel einmal an der Moschee zu lesen, daß der Pascha von Allah verflucht sei, und daß jeder, der ihn durch Mord aus der Welt schaffe, ohne Abrechnung, also ohne daß ihm seine Sünden angerechnet würden, Eintritt in die Seligkeit des Paradieses finden werde.«
»Das, das ist es, was ich meine«, fiel der Perser schnell ein. »Diesen Zettel soll El Ghani im Auftrage des Scherifs geschrieben und angeklebt haben, alle Weit weiß das und sagt das und nennt ihn darum Abadilah el Waraka, den Abadilah mit dem Zettel. Er will das nicht dulden, denn wenn ein Beamter des Sultans auf den Gedanken kommt, den Ursprung dieses Namens zu verfolgen, so kann es dem Träger desselben die Freiheit, das Vermögen und auch noch mehr kosten. Und nun bitte ich dich, mir zu erzählen, wie sich euer Zusammentreffen mit ihm zugetragen hat!«
Bei dieser Aufforderung lenkte Halef durch ein sehr demonstratives Hüsteln meine Augen auf sich und sah mich bittend, ja fast flehend an. Erzählt sollte werden, erzählt! Das wurde von mir verlangt und nicht von ihm! Wer da weiß, daß das Erzählen beinahe eine Leidenschaft von ihm war, der kann sich denken, was mir sein Blick sagen sollte. Er war vollständig überzeugt, daß nur er allein das Geschick besitze, eine Begebenheit in der richtigen Weise zu schildern. Selbst mich, dem er doch in jeder andern Weise mehr zutraute als allen andern Menschen, hielt er nicht für befähigt genug, irgend etwas so zu erzählen, wie es sich seiner Ansicht nach gehörte. Und nun gar ein Ereignis, wie dasjenige war, um welches es sich jetzt handelte! Eine Auferstehung von den Toten! Eine Beraubung des schiitischen Heiligtums durch einen sunnitischen Abgesandten des Großscherifs, der dessen Liebling war! Und wer sollte die Erzählung hören? Ein Mann, der eines der höchsten schiitischen Ämter bekleidete und sogar der Freund unseres Freundes Mirza Dschafar war! Waren das nicht mehr als genug Gründe, daß diesen Bericht ein dazu vollständig befähigter Mann zu übernehmen hatte? Und wer war so ein Mann? Nur Hadschi Halef Omar allein, der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar! Von jedem andern, auch von mir, war es gewiß, daß er die kostbare Erzählung vollständig verderben werde! Zudem war er vorhin ausgescholten worden und durfte von mir erwarten, daß ich sein Ansehen wiederherstellen werde, was am leichtesten und besten dadurch geschehen konnte, daß ich ihm Gelegenheit gab, das Licht seiner Beredsamkeit leuchten zu lassen. Dieser letztere Grund bewog mich, ihm einen gewährenden Wink zu geben. Er begann denn auch sofort und in frohem Tone seine Rede:
»In welcher Weise sich unsere Begegnung mit ihnen zugetragen hat, willst du wissen? Ich werde dir es genau so berichten, wie es sich ereignet hat, und bin überzeugt, daß du meiner Rede mit andächtiger Bewunderung folgen wirst. Allah schenkte jedem Menschen einen Mund und eine Zunge; nicht allen aber ist die köstliche Gabe verliehen, aus diesem Munde mit Hilfe dieser Zunge die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Ereignisse der Welt- und aller anderen Geschichte in so schöner und so vollständiger, ungestörter Ordnung hervorlaufen zu lassen, wie die Gesetze der Kunst und die Regeln der wohlklingenden Sprachfertigkeit es verlangen. Ich fordere dich also auf, ergebenst zuzuhören und mich nicht zu unterbrechen!«
Ich muß gestehen, daß wir jetzt allerdings ein Meisterstück zu hören bekamen, freilich ein Meisterstück nach Halefs Art. Er verstand es, das Unbewegliche beweglich und das Tote lebendig zu machen; alles bekam durch ihn Gestalt, Farbe und Inhalt; er wußte selbst das einfachste, und wenn es nur das Sandkorn der Wüste war, in einer Weise zu beschreiben, die ihm Interesse verlieh. Natürlich wurde der Sperling zum Albatros und der Tropfen zur Uberschwemmung umgewandelt. Aus Hanneh machte er eine Göttin, aus mir wenigstens einen Halbgott, aber aus sich eines jener unbegreiflichen, paradiesischen Wesen, wie sie, alle Mächte, Kräfte und Gesetze beherrschend, in der Poesie des Morgenlandes leben und Wunder über Wunder tun. Es wurde mir himmelangst, wie der Perser diese Schilderung aufnehmen werde. Glücklicherweise war er Orientale, verstand es also, das wirklich Wahre herauszufühlen, und hörte dem, was der Phantasie entsprang, mit jener stillen, in den Augen strahlenden Begeisterung zu, welche im Abendlande nur dem gläubigen Kinde beim Märchenerzählen eigen ist.
Als Halef geendet hatte, sah er ihn mit einem zur Äußerung fordernden Blicke an, und als der Agha trotzdem schwieg, weil er sich nicht so schnell wie der Erzähler in die Wirklichkeit zurückfinden konnte, fragte dieser:
»Nun, was sagst du dazu? Hast du schon jemals solche Taten vernommen und schon jemals in der wohlgesetzten Rede eines Hakawati so herrliche Poesie gehört? Begreifst du diese Kijahma, diese Auferstehung eines Toten, der noch gar nicht gestorben war, und wieder zur Erde zurückgekehrt ist, obgleich er sie noch gar nicht ganz verlassen hatte?«
»Ja, du bist ein sehr guter, ein ausgezeichneter Erzähler, wie ich noch selten einen gehört habe«, antwortete der Gefragte allen Ernstes. »Man könnte dir den ganzen Tag zuhören, ohne nur einen Augenblick zu ermüden.«
Das war ein Lob, welches ihm noch höher, viel höher stand, als wenn man sich über seine Klugheit, seinen Mut und seine Tapferkeit gewundert hätte. Er wendete sich im Sattel um und rief Hanneh, welche uns, von ihrem Sohne begleitet, in einiger Entfernung vor den Haddedihn folgte, zu:
»Jetzt hättest du hören sollen, was der Khutub Agha sagte, o Hanneh, du schönste Blume auf allen Beeten der beseligenden Weiblichkeit! Er meint, ich sei ein unvergleichlicher Erzähler, dem man von heut an bis zum jüngsten Tage zuhören könne, ohne sich nur ein einziges Mal nach den Freuden des Paradieses zu sehnen! So wird also der Getadelte gelobt, der Erniedrigte erhöht und das Genie endlich in seiner ganzen Erhabenheit und Größe anerkannt! O Hanneh, mein geliebtes Weib, o Kara Ben Halef, mein gehorsamer Sohn, eifert eurem Gatten und Vater immer nach, dann werdet ihr vielleicht denselben Ruhm erwerben und einst nur scheinbar sterben, sonst aber ganz wohlbehalten auf die Nachwelt kommen. Allah, der Behüter und Bewahrer, gebe es!«
»Du fragtest mich«, fuhr zu ihm der Perser in seinem Gedankengange fort, »ob ich diese Kijahma begreifen könne. Diese Mekkaner sind fast zwei Monate lang bei uns in Meschhed Ali gewesen, und wenn es da auch nicht vorgekommen ist, daß Ei Münedschi in das Grab gelegt wurde, so haben wir ihn doch oft stundenlang starr wie eine Leiche gesehen, bis seine Seele wieder zu ihm kam. Auch ist er oft im Schlafe gewandelt, ohne zu wissen, was er tat und wo er sich befand.«
»Durfte man da auf ihn einsprechen?« erkundigte ich mich.
»Wir haben es getan.«
»Wachte er davon auf?«
»Nein. Er gab Antworten, die wir oft gar nicht, oft nur halb und selten ganz verstanden, und wenn dann seine Seele zurückkehrte, kam er zum Bewußtsein, doch nur für einen Augenblick, denn er legte sich dann um und schlief ein, als ob die Abwesenheit seiner Seele ihn angestrengt habe und er sich davon erholen müsse.«
»Geschah das ohne Aufsicht?«
»Nein, denn El Ghani war stets dabei und bewachte ihn. Er zeigte ihn den Leuten und erlaubte, daß sie Fragen an ihn richteten, die der Münedschi beantwortete. Die Antworten klangen oft so wunderbar, als ob sie aus einer andern Welt, nicht von der Erde kämen, und dann wieder waren sie so leichtverständlich, daß jedes Kind gleich wußte, was er meinte. Er wurde besonders nach Mitteln gegen Krankheiten gefragt und nach allerlei heimlichen Dingen, die man durch ihn entdecken wollte. El Ghani ließ sich dafür mit Silber und sogar mit Gold bezahlen und hat von den vielen Pilgern, weiche die heiligen Stätten der Schiiten ja zu Tausenden besuchen und seine Wohnung ohne Aufhören belagerten, so viel Geld eingenommen, daß er es nicht nach Mekka schaffen konnte, sondern es bei einem Sarraf gegen einen Schein umtauschte.«
»Ah, er ließ den Blinden also für Geld sehen?«
»Ja.«
»So nützt er ihn also als immerwährend fließende und reiche Einnahmequelle aus! Nun ist mir seine sogenannte Mildtätigkeit gegen den Münedschi ja ganz klar. Ich traute ihr gleich anfangs nicht! Er wird das in Mekka ebenso und mit noch größerem Erfolge machen, ohne daß der Kranke es ahnt. Er behält ihn bei sich wie einen Gefangenen und nützt ihn aus, soviel er kann. Nun weiß ich auch, warum er den alten, gebrechlichen Mann mit nach Meschhed Ali genommen hat; als Dolmetscher, hat er ihm weisgemacht. Der eigentliche Grund war aber, daß er auch dort Geld mit ihm verdienen wollte, und weil er ihn doch nicht in Mekka lassen konnte. Er hätte ihn einstweilen andern Leuten anvertrauen müssen, durch welche dem Blinden der eigentliche, wahre Grund der Wohltätigkeit seines vermeintlichen Beschützers verraten worden wäre. Um das zu verhüten, mußte er ihn bei sich behalten und ihn also mitnehmen. Also du meinst, daß dieser bedauernswerte alte Mann von dem in Meschhed Ali verübten Diebstahle nichts weiß?«
»Er ist höchstwahrscheinlich unschuldig. Vielleicht erzähle ich dir noch, wie alles zugegangen ist, denn vor Kara Ben Nemsi brauche ich, obgleich er Christ ist, die Geheimnisse des Heiligtumes nicht so streng verschlossen zu halten wie vor andern Laien, und dann wirst du auch dieser meiner Meinung sein. Ich glaube sogar, der Alte würde uns gewarnt haben, wenn er gewußt hätte, daß wir bestohlen werden sollen. Ich weiß nicht, wie du als Christ seinen Zustand erklärst, wahrscheinlich als Krankheit, denn du hast ihn ›den Kranken‹ genannt; ich als Moslem aber bin überzeugt, daß er von Geistern besessen ist, und zwar von guten, nicht von bösen, denn alles, was er sagt und was er tut, ist fromm und gut. Es freut mich, daß er sich nicht mehr bei El Ghani, sondern bei euch befindet; da ist er in sicherer Hut, und wenn ich den ›Liebling des Großscherifs‹ einholen werde, kann ich mit ihm so streng verfahren, wie es mir beliebt, ohne auf den alten, unschuldigen Münedschi Rücksicht nehmen zu müssen!«
»Was wirst du mit ihnen tun, wenn es dir gelingt, sie festzunehmen?«
»Ich werde sie nach Meschhed Ali schaffen.«
»Und wenn sie sich wehren?«
»So schieße ich sie nieder. Das ist dir wohl zu streng?«
»Ich bin hier weder Ankläger noch Richter noch sonst irgendwie beteiligt und kann also keine Meinung haben. Gibt es vielleicht noch eine Frage, weiche wir dir beantworten könnten?«
»Nein. Wenn ich noch einen Wunsch finde, so werde ich ihn später aussprechen.«
»Wann?«
»Heut abend.«
»Wo?«
»Am Bir Hilu, wo wir doch wieder zusammentreffen.«
»So willst du dich vorher von uns trennen?«
»Natürlich, und zwar sogleich, denn ihr reitet mir zu langsam. Oder willst du deiner Karawane vorausreiten und mich begleiten? Ich brauche dir wohl nicht erst zu versichern, Effendi, daß mir das außerordentlich lieb sein würde.«
»Erlaube, daß ich bei den Haddedihn bleibe! Ich gehöre jetzt zu ihnen; auch ist es stets mein Grundsatz gewesen, mich nicht in Dinge zu mischen, die mir fernliegen. Daß das Heiligtum von Meschhed Ali bestohlen worden ist, geht mich nichts an, und mit dem Ghani habe ich einstweilen auch nichts mehr zu tun; es ist also gar kein Grund vorhanden, mich an der Jagd nach den Dieben zu beteiligen.«
»Auch nicht aus Rücksicht für mich?«
»Auch nicht. Diese Rücksicht verbietet mir im Gegenteil, dich zu begleiten.«
»Wieso?«
»Durch meine Beteiligung würde ich, zwar nicht in Worten, aber durch die Tat, der Ansicht Ausdruck geben, als ob du nur mit meiner Hilfe imstande seist, die Aufgabe, welche du dir gestellt hast, zu erfüllen, während ich doch der festen Überzeugung bin, daß du ganz der Mann bist, das auszuführen, was du dir vorgenommen hast. Habe ich recht?«
Ich sah ihm an, daß er zufrieden mit dieser meiner Äußerung war und sich geschmeichelt fühlte. Er antwortete:
»Ja, du hast recht, Effendi, ich bitte dich also, zurückzubleiben. Aber heute abend werden wir euch ganz bestimmt am Brunnen Hilu wiedersehen?«
»Ja. Ich bin, wie gesagt, überzeugt, daß wir die Diebe als deine Gefangenen finden werden.«
»Ganz gewiß, falls wir sie überhaupt noch dort treffen.«
»Sie werden nirgends anders sein, denn sie müssen wegen des Wassers hin. Und sie werden auch dort bleiben, weil sie zu schwach und angegriffen sind, um von dort aus noch weiterzureiten. Es ist viel eher möglich, daß ihr sie noch vor dem Bir Hilu einholt, als daß ihr gezwungen seid, ihnen von dort aus noch weiter nachzureiten. Das eine nur gestatte ich mir, dir zu sagen: Sei ja dafür besorgt, daß sie nicht fliehen, wenn sie euch von weitem kommen sehen und dich etwa erkennen!«
»Das denke ja nicht! Wir werden wie ein Wetter über ihnen sein. Nun Allah mich durch euch den richtigen Weg hat finden lassen, werde ich nicht so sorglos sein, ihnen Gelegenheit zum Entkommen zu geben. Jetzt erlaube, daß ich für einstweilen Abschied von euch nehme. Den Dank, den ich euch schuldig bin, werde ich euch später sagen!«
Er rief seinen Führer und die Soldaten herbei und eilte mit ihnen fort. Wir sahen sie noch einige Zeit vor uns auf den Hügelhöhen und in den Tiefen auf- und niedertauchen, bis sie sich so weit entfernt hatten, daß wir sie nicht mehr erkennen konnten. Da sagte Hadschi Halef zu mir:
»Sihdi, wäre es nicht besser gewesen, du hättest seinen Wunsch, mit ihm zu reiten, erfüllt?«
»Warum?«
»Du wärest gewiß nicht allein mit ihm gegangen, sondern hättest mich mitgenommen. Und dann wäre es für uns doch eine wahre Wonne gewesen, mit dabeisein zu können, wenn diesen ebenso stolzen wie dummen, räuberischen Mekkanern der Hochmut ausgetrieben wird!«
»Hättest du deine Hanneh wirklich verlassen, Halef?«
»Warum nicht? Es hätte sich doch nur um wenige Stunden gehandelt, und sie steht unter dem Schutze meines Sohnes und von fünfzig tapfern Kriegern.«
»Wenn du diese wenigen Stunden noch wartest, ist es dann noch immer Zeit genug, dich an dem Anblicke der mekkanischen Demut zu laben. Und wenn ich meine Emmeh hier in der Arabischen Wüste bei mir hätte, würde die Gegenwart von hundert Kriegern mir nicht den Vorwand geben können, sie nur auf eine Stunde zu verlassen. Unsere gemeinschaftlichen Erlebnisse müssen dich ja genugsam belehrt haben, daß die Gefahr meist plötzlich und ganz unerwartet kommt und oft größer ist, als man es für möglich gehalten hat. Nein, wir bleiben bei deiner Hanneh. Mit El Ghani kommen wir noch zeitig genug zu sprechen!«
Damit war sein Wunsch beiseite gebracht. Selbstverständlich lieferte uns nun das Zusammentreffen mit dem Perser ein hochinteressantes Gesprächsthema, weiches Halef mit Hanneh und seinem Sohne auf das eingehendste behandelte, wobei er sehr bestrebt war, zu verhüten, daß der von ihm gemachte Fehler berührt wurde. Dieses Vorhaben gelang ihm auch vollständig.
Die Mittagszeit war vorüber, und die Sonne hatte den Scheitelpunkt ihres Tagesbogens hinter sich. Die Hitze hatte ihren höchsten Grad erreicht, und so machten wir Halt, um die Kamele nicht zu sehr anzustrengen, sondern ihnen eine kurze Rast zu gönnen.
Der Münedschi erwachte, als wir ihn aus dem Sattel hoben, nicht aus seinem schlafähnlichen Zustande, fiel aber sonderbarerweise nicht um, als wir ihn auf die dazu ausgebreitete Decke setzten. Es schien also trotz seiner Geistesabwesenheit eine Art seelisches Prinzip vorhanden zu sein, durch welches die Bewegung seines Körpers beeinflußt wurde. Während er im übrigen vollständig regungslos wie eine aus Holz geschnitzte Figur dasaß, ahmten seine Lippen von Zeit zu Zeit, als habe er einen Tschibuk im Munde, das Tabakrauchen nach. Das sah trotz seiner Ehrwürdigkeit fast lächerlich aus, doch war die Teilnahme für ihn eine so ernstliche, daß sich auf keinem Gesichte ein Lächeln zeigte.
Da breitete er plötzlich die Arme nach beiden Seiten aus, als ob er sich rechts und links festhalten wolle. Ich griff schnell zu und stützte ihn, sonst wäre er umgefallen. Er tat einen tiefen, tiefen Atemzug, bewegte den Kopf, als ob er sich im Kreise umsehen wolle, und fragte dann:
»Wo sind wir jetzt?«
»Vier Reitstunden im Norden des Bir Hilu«, antwortete ich.
»Wer seid ihr? Meine Gefährten seid ihr nicht.«
»Wir sind die Haddedihn, welche dich heut früh aus dem Grabe genommen haben.«
Da richtete er, dem Klange meiner Stimme folgend, die weitgeöffneten, strahlenden Augen auf mich und sagte:
»Ja, ich besinne mich. Ich bin nicht mehr bei El Ghani, sondern bei euch, und du bist der Gelehrte aus dem Wadi Draha; ich erkenne dich am Klange deiner Rede. Ich war nicht hier bei euch, sondern an einem hohen, lichtherrlichen Orte und habe deinen Schutzengel gesehen. Er heißt Marrya und befahl mir, dich zu grüßen. Seine Wohnung schmiegt sich an die Stufen von Allahs Thron; seine Gestalt ist Schönheit, sein Gewand Weisheit, seine Stimme Sanftmut und sein Blick Liebe, Liebe, nichts als Liebe. Ich sah seine Hände ausgebreitet über dir, und Glaube, Zuversicht und Gottestreue floß von ihnen auf dich hernieder. Ich sah dich selbst in zwei verschiedenen Gestalten, welche gegeneinander kämpften; die eine war dunkel, wie der Schatten der Nacht, weicher sich gegen die Morgenröte empört, die andere heil und rein, wie das sanfte Licht, welches um christliche Altäre leuchtet. Die dunkle bestand aus deinen Fehlern, die du noch nicht überwunden hast, die lichte aus den Gedanken und Gefühlen, weiche du der Vervollkommnung und dem Himmel weihst. Die finstere war stark, gewandt und listig, die helle aber mächtiger als sie, gewappnet mit dem Schilde der göttlichen Gnade und mit dem Schwerte der Willensfestigkeit. Und indem ich sie miteinander ringen sah, hörte ich die Stimme deines Engels: ›Bange nicht für ihn, denn er wird siegen und immer reiner werden, bis das Dunkel sich ganz in Licht verwandelt hat. Er kann nicht unterliegen, denn er weiß, ich schütze ihn!‹ Um dir diese Worte des Herrlichen zu sagen, kehrte ich zu dir zurück; ich besinne mich!«
Er hatte in einem Tone gesprochen, als ob derartige befremdende Mitteilungen für ihn gar nichts Besonderes seien. Es hatte zwar nicht handwerksmäßig wie zum Beispiel bei einer Kartenlegerin geklungen, aber doch gewohnheitsartig und dabei unbefangen und überzeugt. Ich schwieg, denn ich wußte wirklich nicht, was ich darauf sagen sollte. Er schien aber auch gar keine Antwort zu erwarten, denn seine soeben an einem »hohen, lichtherrlichen Orte« gewesenen Gedanken beschäftigten sich sofort mit etwas sehr Materiellem:
»Gebt mir Tabak!« bat er, indem er seine Pfeife aus der Tasche nahm.
Wir erfüllten ihm diesen Wunsch, und er begann mit demselben, fast gierigen Eifer zu rauchen, den ich schon an ihm beobachtet hatte. Infolge unsers Gespräches mit dem Perser drängten sich mir einige Fragen auf, welche ich dem Blinden vorzulegen hatte. Ich wartete, bis sein starkes Qualmen und der dabei hochbefriedigte Ausdruck seines Gesichtes mir bewiesen, daß »seine Seele jetzt ganz bei ihm« sei, und erkundigte mich dann:
»Sagtest du mir nicht, daß El Ghani dich des Persischen wegen als Dolmetscher mit nach Meschhed Ali genommen habe?«
»Ja, das sagte ich, und es ist auch so«, antwortete er.
»So hast du ihn dort auf allen seinen Wegen und Ausgängen begleiten müssen?«
»Nein, denn ich bin ja blind. Wenn er ausging, fand er ja überall Leute, mit denen er sprechen konnte, weil sie arabisch oder türkisch verstanden.«
»So wäre es für ihn eigentlich gar nicht nötig gewesen, dich mitzunehmen!«
»O doch! Denn wenn er daheim war, bekam er oft Besucher, welche persisch sprachen; dann brauchte er mich.«
»Du bekamst aber auch wohl Besuche, wenn er ausgegangen war?«
»Nein, denn er schloß mich ein, und er tat sehr recht daran, denn ein blinder Mann ist an einem fremden Orte, gar wie Meschhed Ali, wo ganze Scharen von Pilgern verkehren, unter denen sich auch böse Menschen befinden, vielen Gefahren ausgesetzt.«
»In Mekka verkehren noch mehr Pilger als in der Stadt der Schiiten; also wirst du wohl dort auch eingeschlossen?«
»Ja, stets.«
»Ist dir das nicht langweilig?«
»Nein, denn es besuchen mich viele, viele Leute, und ich gehe auch zuweilen mit El Ghani, meinem Wohltäter, aus.«
»Diese vielen Leute besuchen dich jedenfalls wegen deiner Gelehrsamkeit?«
»Sie kommen meist, um wichtige religiöse Fragen auszusprechen, weiche ich ihnen beantworten soll. Ich weiß aber dann später nur ganz seiten, was ich gesagt habe, denn ich verliere das Bewußtsein und komme gewöhnlich erst wieder zu mir, wenn sie fortgegangen sind.«
»Was während deiner Bewußtlosigkeit geschieht, das weißt du nicht?«
»Ich sehe in alle Zeiten, die vergangene, gegenwärtige und zukünftige. Ich sehe Orte, welche der Erde angehören, und Orte, welche nicht auf ihr liegen. Nur alles, was mich selbst betrifft, was sich auf meine Person bezieht, das sehe ich nicht.«
»Höchst sonderbar, daß dir grad das verborgen bleibt, was dich am meisten interessieren muß!«
»Ich bin zufrieden, denn Ben Nur, der mir diese Zeiten und diese Orte zeigt, will es nicht anders.«
»Erfährt El Ghani alles, was du da zu sehen und zu hören bekommst?«
»Ich sage ihm vieles davon, aber er glaubt es nicht. Er lächelt nur immer, wenn ich ihm sage, daß ich im Lande der Abgeschiedenen gewesen sei; du aber würdest es mir glauben!«
»Irre dich nicht! Auch der Muhammedaner hält die Bibel für ein heiliges Buch, denn Muhammed hat aus demselben geschöpft und erklärt die Propheten der Bibel für wirkliche Propheten. Und dieses heilige Buch verbietet, daß man die Toten frage!«
»Wenn ich nicht auf der Erde bin, so sind es nicht die Toten, sondern die Lebenden, bei denen ich mich befinde, und wenn ich rede, so spreche ich nur mit Ben Nur, der kein Verstorbener ist. Niemand braucht sich zu scheuen, das zu hören, was meine Seele hört. Wenn ich dir sage, was ich sehe, so brauchst du auch dein Weib, dein Kind nicht fortzuweisen, denn es sind gute, reine, lautere Himmelsstimmen, die sich meiner Lippen bedienen. Ich bin nicht Stern, Traum oder Zeichendeuter, sondern seit ich hilflos geworden bin durch die Blindheit meiner Augen, gehöre ich zu den Armen und Unmündigen, denen offenbar wird, was den Reichen und Klugen verborgen ist. Ich bin weder ein Geisterseher noch ein Prophet, kein Lügner und auch kein Phantast; ich bin weiter nichts als ein in der Wüste verlorenes Schaf, welches seinen Hirten sucht. Wenn mich da die Aufmerksamkeit meiner Sehnsucht die Stimmen der Wüste hören läßt, die sonst niemand hört, und wenn mein Durst aus weiter Ferne die Feuchtigkeit des Wassers spürt, welche die Glücklichen nicht empfinden, die bei dem Hirten an der Quelle liegen, so mögen wohl sie von Selbstbetrug und Täuschung sprechen, ich aber lasse mir diese Stimmen und diesen feuchten Hauch als Führer aus der Verlassenheit zum Brunnen dienen. Ich wollte gegen dich schweigen, denn du warst mir fremd; aber nun ich dich im Kampfe, den ich dir beschrieb, gesehen habe, ist es mir, als müßtest grad du, der mich aus dem Grabe geholt hat, alles wissen, was ich jenseits desselben liegen sehe. Fürchte dich nicht! Es entspringt daraus kein Schaden für deine Seele und für deinen Glauben, sondern es wird dir dadurch die herrliche Erkenntnis gegeben, daß die Liebe der Ursprung alles Bestehenden ist und daß nur sie allein den Weg zum irdischen Glücke und zum Paradiese zeigt!«
»Hast auch du die Liebe?« fragte ich ihn, als er jetzt schwieg, fast genauso, wie ich ihn heut früh nach der Erklärung des Alispruches gefragt hatte.
»Ich habe sie und finde sie doch nicht«, antwortete er. »Kannst du das begreifen?«
»Ja.«
»Indem du dieses Ja aussprichst, denkst du an die Gegenliebe; sie ist es aber nicht, die ich meine, und doch meine ich auch sie. Du wirst mich freilich nicht verstehen!«
»Ich verstehe dich. Es gibt nicht Liebe und Gegenliebe, also Liebe hin und Liebe her. Die Liebe ist eins, ist unteilbar.«
»Das ist richtig, o wie so richtig! Die Liebe ist eine Gotteskraft, ist die Gotteskraft; sie kann nicht wie mit dem Messer zerschnitten werden, so daß jeder einzelne Mensch einen für ihn bestimmten Teil bekommt, der nun keine andere als nur seine Liebe ist. Zu sagen, ich liebe meine Mutter, ich liebe mein Kind, ist falsch, denn die Liebe, die wahre Liebe, läßt sich nicht begrenzen, nicht auf Personen beschränken; Liebe ist Leben, und Leben ist Liebe. Wie du sagst, ich lebe, so mußt du auch sagen, ich liebe. Und wie es unrichtig sein würde, zu sagen, ich lebe meinem Freund, so ist es auch nicht richtig, zu sagen, ich liebe meinen Freund. Die wahre Liebe kennt nicht ihr Gegenteil, kennt nicht den Haß; sie umfängt alle Wesen; sie kann kein einziges ausschließen, und wer diese wirkliche, diese Gottesliebe besitzt, von dem kann also nicht gesagt werden, daß er seinen Bruder, seine Schwester, daß er einen einzelnen Menschen liebe. Du lebst. Kannst du dieses dein Leben zerteilen? Du liebst, Kannst du diese deine Liebe zerlegen? Wenn du einen Menschen liebst, weil er dir nahesteht, und den andern, fernen nicht, so denke ja nicht, daß dies Liebe sei. Die Liebe kennt kein Weil' und kein ,Warum', kennt überhaupt keinen Grund als nur sich selbst. Nun wundere dich nicht, wenn ich dir deine Frage zurückgebe: Hast du die Liebe? Hast du diese wirkliche, diese richtige Liebe?«
Er richtete die toten und doch so hellen Augen auf mich. Es sollte der Ausdruck der Frage in ihnen liegen , aber der Blick war leer und inhaltslos wie die Herzen der Millionen, welche so viel von Liebe sprechen, ohne sie zu besitzen. Seine Frage, obwohl es genau dieselbe war, mußte mich, den Christen, ganz anders treffen, als die meinige ihn, den Muhammedaner, hatte treffen können. Da er mich für einen Anhänger des Islam halten sollte, durfte ich nicht von der Liebe sprechen, welche Christus lehrt; da ich aber doch etwas sagen mußte, weil aller Augen jetzt auf mich gerichtet waren, so antwortete ich:
»Ich befleißige mich, keine Ausnahme darin zu machen, daß ich alle Menschen mit meinem Herzen umfange. Ich tue das Gute und verabscheue das Schlechte, aber ich hasse nicht die Person dessen, weicher schlecht handelt. Es ist mein eifrigstes Bestreben, ein Kind Allahs zu sein, und ich hege den aufrichtigen Wunsch, in diesem Sinne alle Menschen als meine Brüder und Schwestern behandeln zu dürfen. Hoffentlich ist das die Liebe, weiche du meinst!«
»Nein, sie ist es nicht. Du sprichst vom Bestreben, vom Befleißigen, vom Wünschen, hast also das noch nicht, was du erstrebst und wünschest. Die wahre Liebe hofft nicht und wünscht nicht, denn sie ist ja an sich schon die Erfüllung, die ausgeführte, volle Tat. Sie ist die einzige Macht, die einzige Kraft im Himmel und auf Erden. Nenne mir die Namen aller scheinbar andern Kräfte, sie sind doch nichts als nur verschiedene Erscheinungs- oder Wirkungsformen von ihr. Die Liebe hört nie auf. Sie hat keinen Anfang und kein Ende, sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Beziehung; also kann es außer ihr nichts anderes geben. Sie erfüllt das Sonnenstäubchen und den Weltenraum, die kurze Sekunde des irdischen Zeitmaßes und auch die ganze Ewigkeit. Sie läßt sich nicht einteilen in Eltern, Kindes, Gatten, Freundes- und allgemeine Menschenliebe. Wer sie so zerstückeln zu können meint, dem ist sie unbekannt. Unser Erkennen und unser Weissagen ist solches Stückwerk, vor der Liebe aber, die das Vollkommene ist, hört jedes Stückwerk auf.«
Das war ja eine fast wörtliche Anführung aus dem herrlichen dreizehnten Kapitel des ersten Korintherbriefes! Daß er, der Moslem, die Heilige Schrift zitierte, durfte ich nicht ohne Bemerkung vorübergehen lassen, sondern ich mußte ihn zwingen, sich zu ihr zu bekennen. Darum fragte ich schnell
»Ist das deine eigene Ansicht oder steht es im Kuran geschrieben? Ich habe es nicht da gefunden.«
»Es ist eine Stelle aus dem heiligen Buche der Christen«, antwortete er.
»So ziehst du also die höchste und schönste aller Lehren nicht aus dem Werke Muhammeds, sondern aus dem Kitab el mukaddas?«
»Ja. Doch darf das für dich kein Grund sein, an meiner Rechtgläubigkeit zu zweifeln, denn Muhammed hat selbst oft auch aus diesem Kitab geschöpft, und wenn ich das auch tue, so folge ich nur seinem Beispiele, welches er uns für die Erkenntnis der Vollkommenheit gegeben hat. Für uns, die wir nicht so erleuchtet sind, wie er es war, besitzt sein Kuran zahlreiche Lücken, welche nur mit den Wahrheiten der Bibel auszufüllen sind.«
»So ist also die Vollkommenheit, von welcher du sprichst, nicht aus dem Kuran, sondern aus der Bibel zu schöpfen? Der Wert der letzteren ist folglich größer?«
»Das habe ich nicht gemeint und nicht behaupten wollen. Aus meinen Worten geht nur hervor, daß sie oft deutlicher, also leichter zu verstehen ist als die Suren des Propheten. Ihm war ein anderer Weg vorgeschrieben als dem Stifter der christlichen Religion, nämlich der Kampf, während Jesus der Prediger der Liebe und des Friedens sein durfte. Da Jesus nicht gehört wurde, mußte ihm ein Muhammed folgen. Christus faßte den ganzen Inhalt seiner Lehre in das Gebot zusammen du sollst Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen lieben und deinen Nächsten wie dich selbst'. Hätte er Gehorsam gefunden, so wäre das Reich des Friedens angebrochen, dessen Verkündigung in den Worten lag den Frieden hinterlasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch!' Er, der Friedensfürst, wurde an das Kreuz geschlagen, und wie dabei der Vorhang im Tempel mitten auseinanderriß, so war der Friedensbund zwischen Allah und der Menschheit zerrissen, und es mußte der Prophet kommen, dessen Religion bestimmt war, auf den Spitzen der Schwerter getragen und verbreitet zu werden. Wer den Frieden nicht haben will, der will den Kampf. Da die Menschheit die Lehren Christi verwarf und heut noch verwirft, wird sie sich von der Streitbarkeit des Islam bekehren lassen müssen.«
»Ist die Lehre Christi wirklich in der Weise abgewiesen worden, wie du sagst? Ich denke, es gibt weit mehr Christen als Muhammedaner, so daß auf fünfzehn Moslemin wenigstens vierzig Christen zu rechnen sind.«
»Wenn du die Köpfe zählst, so hast du recht; Allah aber siehet das Herz an; zähle also die Herzen, nicht die Köpfe! Dann wirst du erkennen, wie wenig wahre Christen und wieviel, viel mehr gläubige Anhänger des Islam es gibt. Ich kenne dieses Namenchristentum leider nur zu gut. Ich habe es studiert und darunter gelitten seit meiner Jugendzeit und – – –«
Er hielt plötzlich in seiner mit großem Eifer vorgetragenen Rede inne und fuhr dann, sich verbessernd, langsam und mit mehr Überlegung fort:
»Ich wollte sagen: Ich habe es aus vielen, vielen Büchern studiert und bin mit manchem sogenannten Christen zusammengetroffen, der grad und genau das Gegenteil von dem war, was ein Anhänger der Messiaslehre sein soll. Ich habe da soviel Trauriges erfahren und erlebt, daß ich nur höchst ungern davon spreche. Schweigen wir also über diesen Gegenstand! Gebt mir lieber Tabak, die Pfeife ist mir wieder ausgegangen!«
Als ihm dieser Wunsch erfüllt worden war, gab er sich seinem Lieblingsgenusse in einer Weise hin, welche, wenn ich die Absicht dazu gehabt hätte, es vollständig ausschloß, das Gespräch mit ihm fortzusetzen. Er sah ein, daß er mehr gesagt hatte, als eigentlich seine Absicht gewesen war; hierin lag der eigentliche Grund des plötzlichen Abbruches seiner Mitteilungen. Was mich betraf, so war ich vollständig zufrieden mit dem, was ich gehört hatte. Ich wußte nun, warum er die Heilige Schrift so gut kannte: Er war früher Christ gewesen und dann Muhammedaner geworden, Weshalb? Diese Frage beschäftigte mich freilich, doch brauchte ich mir nicht den Kopf darüber zu zerbrechen. Er hatte von Namenchristen und von schlimmen Erfahrungen gesprochen, doch war es mir unbegreiflich, daß ein gebildeter Mann aus solchen Gründen zum Renegaten werden kann. Zu der gebildeten Klasse zählte er, denn einige seiner Äußerungen ließen darauf schließen, daß er studiert hatte.
Als die Zeit unserer kurzen Rast vorüber war, halfen wir ihm wieder in den Sattel und ritten dann weiter. Halef gesellte sich mir wie gewöhnlich zu und teilte mir seine Ansichten über den Blinden mit. Auch ihm war es aufgefallen, daß dieser von seinen traurigen Erfahrungen gesprochen und dabei doch erklärt hatte, er habe das Namenchristentum aus vielen, vielen Büchern studiert.
»Weißt du, Sihdi«, sagte der Hadschi, »das mit den vielen Büchern mag wohl wahr sein, denn er ist wirklich ein Gelehrter; aber die Ansichten, welche er uns mitteilte, schienen weniger aus diesen Schriften, als vielmehr aus seinem Leben zu stammen. Ich möchte behaupten, daß er sehr oft mit Christen zusammengetroffen ist, welche sich nicht mit dem Herzen, sondern nur äußerlich zu diesem Glauben bekannten. Was meinst du dazu?«
»Er ist ein Rätsel, dessen Lösung großes Interesse für mich besitzt«, antwortete ich ausweichend. »Eine Meinung kann ich erst dann haben, wenn ich mir über ihn klargeworden bin. Zunächst müssen wir uns mit der Tatsache begnügen, daß er ein verlassener, unglücklicher Mann ist, dem wir unsern Beistand zu widmen haben.«
»Der soll ihm werden, Sihdi, und zwar von Herzen gern. Dieser vom Tode Erstandene hat mein Mitleid, meine ganze Teilnahme in der Weise erweckt, daß ich bereit bin, für ihn alles zu tun, was mir möglich ist. Als diejenigen, die ihm das bereits verschwundene Leben wiedergegeben haben, sind wir verpflichtet, in der Weise und so lange für ihn zu sorgen, wie es in unseren Kräften steht, und das werden wir tun!«
Im Verlauf der nächsten Stunde wurde die Beschaffenheit der Wüste eine andere, als sie bisher gewesen war. Der unsere Tiere so ermüdende Wechsel zwischen Höhen und Tiefen wiederholte sich weniger häufig, die Hügelwellen wurden nach und nach flacher, und die Täler hoben sich, bis sich beide in der Weise ausgeglichen hatten, daß das entstanden war, was man im gewöhnlichen Sinne unter Wüste versteht, nämlich eine vollständig ebene Sandfläche, deren Horizont einen ununterbrochenen Kreis bildet.
Der Sand war zunächst tief und fein. Die Füße der Kamele und Pferde »mahlten« förmlich im Mehle. Später wurde er seichter und gröber; der Untergrund war hart. Es traten von Zeit zu Zeit und dann immer mehr steinige Stellen hervor, welche an Größe zunahmen und in ihrer schließlichen Vereinigung den Sand verschwinden ließen. Wir befanden uns im Serir, der Wüste des glatten Steines. Der Boden war von den Winden kahlgefegt worden und zuweilen so glatt, daß die Kamele ausrutschten. Hier mußte man sehr gut aufpassen, wenn die Spuren, denen wir folgten, nicht verloren werden sollten. In dieser Art von Wüste pflegen die Temperaturunterschiede am größten zu sein, weil der am Tage in der Sonne fast glühende Stein seine Wärme des Abends schneller ausstrahlt als der Sand und dann erkaltet. Der Europäer hat sich vor solchen Gegenden sehr zu hüten, weil Fieber und Erkältungskrankheiten die unausbleiblichen Folgen sind.
Nach einiger Zeit änderte sich die Szene abermals. Der Steinboden wurde uneben. Er schlug zunächst flache und dann höhere Wellen, deren Zwischenräume, je weiter wir kamen und je tiefer sie waren, sich um so mehr mit Sand gefüllt zeigten, den der Wind hineingeweht hatte. Die wie glatt polierten Erhöhungen verwandelten sich in scharfgeschnittene Hügel, welche in dem weiten, ebenen Serir als einzelne, inselartige Gruppen aufragten und sich dem Blicke in die Ferne hindernd entgegenstellten. Ein solches Terrain ist für Leute, weiche eine Begegnung zu scheuen haben, natürlich gefährlicher als die offene Wüste, welche Umschau nach allen Richtungen gewährt. Da muß auch derjenige, der keinen Feind zu haben glaubt, vorsichtig sein, weil grad die Arabische Wüste eine Stätte nie aufhörender, blutiger Befehdungen ist.
Übrigens teilte uns der Ben Harb, unser Führer, mit, daß der Bir Hilu an den größten und zerklüftetsten der hier umhergestreuten Felseninseln liege, und zwar in der Entfernung von vielleicht einer halben Reitstunde von uns.
»Da müssen wir sofort unsere Richtung ändern!« sagte Halef.
»Warum?« fragte ich, obwohl ich wußte, was er meinte. »Welchen Grund könnte es wohl geben, von der geraden und darum auch kürzesten Linie abzuweichen?«
Da machte er eins seiner allerliebsten, pfiffigen Gesichter und antwortete:
»Du betest täglich das christliche Vaterunser und handelst jetzt doch selbst gegen den Teil desselben, welcher führe uns nicht in Versuchung!' lautet. Du weißt gar wohl, was ich will, denn ich habe es ja erst von dir gelernt. Man glaubt am. Brunnen, daß wir von Norden kommen werden, und darum machen wir einen Umweg, um ihn aus einer andern Richtung zu erreichen.«
»Hältst du diese Vorsichtsmaßregel heut für notwendig, Halef?«.
»Vorsicht ist stets notwendig, das mußt du dir merken, Effendi. Selbst dann, wenn gar keine Veranlassung dazu vorzuliegen scheint, ist Vorsicht immer besser als Unvorsichtigkeit. Besonders auf einer Reise wie die unserige ist, kann man nie wissen, was die nächste Minute bringen wird.«
Wir hatten einen Augenblick angehalten; unser Trupp war beisammen, und so konnten alle diese seine Worte hören. Es machte ihn nicht wenig stolz, jetzt einmal Prediger der Bedachtsamkeit sein zu können, und so fuhr er in belehrendem und sehr nachdrücklichem Tone fort:
»Die Tapferkeit ist die erste und vorzüglichste Eigenschaft, welche ein Krieger besitzen muß; gleich nach ihr aber ist die Vorsicht nötig. Ein nur tapferer Mann kann sehr leicht tollkühn werden, und ein nur vorsichtiger kommt leicht in die Gefahr, daß man ihn der Feigheit zeiht. Ist aber die Tapferkeit mit der Vorsicht gepaart, so können Unbesonnenheiten ebenso wenig wie Bezweifelungen des Mutes vorkommen. Die Tapferkeit ist nur im Kampfe, die Vorsicht aber zu jeder Zeit und an allen Orten nötig, zum Beispiel jetzt und hier. Wir wissen, daß die wenigen Mekkaner nach dem Dir Hilu geritten sind und daß der ihnen vierfach überlegene Basch Nazyr ihnen nachgeritten ist; wir sind überzeugt, daß sie vollständig ohnmächtig gegen ihn sind und noch weniger uns zu schaden vermögen; darum könnten wir den geraden Weg nach dem Brunnen getrost beibehalten. Ich schlage aber trotzdem vor, dies nicht zu tun, denn ich habe bereits gesagt, daß man auf einem solchen Ritte niemals weiß, was der nächste Augenblick bringen wird. Es können ja schon andere Leute am Brunnen gewesen sein, in weichem Falle sich das Zusammentreffen des Persers mit dem Liebling des Großscherifs gewiß ganz anders abgespielt hätte, als wir bisher angenommen haben. Wir müssen also vorsichtig sein und, ehe wir uns am Brunnen zeigen, zunächst zu erfahren suchen, wie es dort steht. Darum werden wir nicht direkt hinreiten, sondern uns ihm von einer andern Seite vorsichtig nähern. Sehen wir dann ein, daß dies nicht nötig gewesen wäre, so ist das um so besser, wir haben für den Verlust einer Viertelstunde das Bewußtsein eingetauscht, vorsichtig und also klug und weise gewesen zu sein. Nach welcher Seite reiten wir ab, rechts oder links, Sihdi?«
»Der Führer kennt die Gegend; also mag er entscheiden«, antwortete ich.
Der Ben Harb hielt es für geraten, den Umweg nach Osten zu machen, weil es dort die größere Anzahl hoher Felsen gab und wir also mehr Deckung hatten als auf dem westlichen Bogen. Es zeigte sich dann, daß diese Wahl die richtige gewesen war, und daß wir allerdings sehr wohlgetan hatten, vorsichtig zu sein.
Wir ritten südöstlich, teils über offene Flächen, teils an wie senkrecht aus dem Boden emporgetriebenen Felsengruppen vorbei, bis der Führer annahm, daß der Brunnen nun fast westlich von uns liege. Eben wollten wir in diese Richtung einbiegen, nachdem wir eine wirre Steinaufhäufung passiert hatten, als der uns jetzt voranreitende Ben Harb sein Pferd wendete und uns aufforderte:
»Zurück, schnell hinter die Felsen! Es kommen Reiter!«
»Wie viele?« fragte Halef, als wir diesem Rufe Folge geleistet hatten und nun von den Nahenden nicht gesehen werden konnten.
»Es sind nur drei«, lautete die Antwort.
»So brauchen wir uns doch nicht zu fürchten. Warum hälst du uns also zurück?«
»Weil du von der Vorsicht gesprochen hast.«
»Drei Personen, und wir sind über fünfzig, da brauchen wir doch nicht vorsichtig zu sein!«
»Es handelt sich nicht um die Zahl der Personen«, warf ich ein. »Woher kommen sie?«
»Aus Westen«, belehrte mich der Führer.
»Also vom Brunnen. Gehören sie zu den Leuten des Persers?«
»Nein, Soldaten sind sie nicht.«
»So haben wir allerdings Grund, zurückhaltend zu sein. Wie nahe sind sie uns?«
»Nur zwei Minuten, dann sind sie da.«
»Wir drei reiten ihnen entgegen, du, Hadschi Halef und ich. Die andern bleiben hier und folgen uns nur dann, wenn sie schießen hören. Ihre Fragen beantwortest du. Sag, was du willst, nur nicht, was wir sind, woher wir kommen und wohin wir wollen. Vorwärts!«
Wir bogen um die Steine und sahen die Reiter in einer Entfernung von vielleicht zweihundert Metern vor uns. Sie stutzten; wir ahmten das nach; dann ritten wir gegenseitig in sehr langsamem Schritte aufeinander zu. Da sagte der Führer im Tone der Überraschung:
»Maschallah! Den langen Bedawi in der Mitte kenne ich. Es ist Tawil, der Scheik der Beni Khalid.«
»Kennt er dich?« fragte ich. »Nein. Ich habe ihn nur einmal gesehen, er mich aber nicht.«
»Wie ist sein Charakter?«
»Roh, grausam, rachsüchtig, aber ohne Falsch; er ist stolz darauf, nie eine Lüge zu sagen.«
»So werden wir bald mit ihm fertig sein!«
»Denke das nicht, sondern nimm dich in acht, Sihdi! Er ist jedenfalls nicht allein in dieser Gegend. Furcht kennt er nicht. Er ist ehrlich wie der Löwe, weicher durch sein Brüllen anzeigt, daß er kommt; aber gleich nach dem Donner seiner Stimme folgt der tödliche Sprung!«
Zu weiteren Worten war keine Zeit, denn wir waren dem Beni Khalid jetzt so nahe gekommen, daß die Begrüßung vor sich gehen mußte, nur fragte es sich, wer damit beginnen sollte, sie oder wir. Ich fand nur noch Zeit, dem Führer zu sagen, daß nicht er das erste Sallam sagen möge, da hielten die drei Reiter auch schon ihre Pferde vor uns an.
Der mittlere von ihnen, also Scheik Tawil, war, ganz seinem Namen gemäß, welcher »groß von Gestalt« bedeutet, ein außerordentlich langgewachsener Mann mit einem sonnverbrannten Gesichte, dessen Züge allerdings nichts weniger als Liebenswürdigkeit verrieten. Er erwartete sichtlich, daß wir zuerst grüßen würden, und als wir das nicht taten, ließ er seinen Blick zornig lodernd über uns gleiten und fuhr uns streng an:
»Nun? Habt ihr keine Mäuler? Oder wißt ihr, trotzdem ihr erwachsene Männer seid, noch nicht, daß man ein Sallam zu sagen hat, wenn man sich begegnet?«
Ich sah meinem kleinen Halef an, daß es ihm Anstrengung verursachte, auf diese Anrede still zu sein. Doch machte unser Ben Harb seine Sache auch nicht ganz übel, indem er antwortete:
»Zu jeder Begegnung gehören zwei. Sag deine Worte also nicht bloß zu uns, sondern auch zu dir, zu euch!«
»Allah lasse dich an deiner Rede ersticken! Nur Narren sprechen mit sich selbst. Ich verlange den Gruß von euch. Wollt ihr es wagen, uns durch die Verweigerung zu beleidigen, so bedenkt die Folgen!«
»Auch dazu gehören zwei! Warten wir also ab, wen die Folgen treffen werden, uns oder euch!«
Tawil fuhr mit seiner Hand drohend nach dem Gürtel, aus welchem der Griff eines Messers und der sonderbar gestaltete Knauf einer alten Pistole hervorragten, besann sich aber eines andern und wendete sich in verächtlichem Tone an seine Begleiter:
»Diese Menschen scheinen von Allah ganz verlassen zu sein oder aus einer Gegend zu kommen, wo die Grobheit für Höflichkeit gehalten wird; ihre Unwissenheit kann uns also nicht beleidigen, sondern nur erbarmen. Haben wir also Mitleid mit ihnen!«
Hierauf richtete er seine Worte wieder an den Ben Harb:
»Ich bin Tawil Ben Schahid, der berühmte Scheik der Beni Khalid, deren Zahl ohne Ende ist. Meine Macht reicht über die ganze Wüste und alle ihre Grenzen, und kein Feind kann sagen, daß er den Sieg über mich gewonnen habe. Nun ich in meiner Güte euch dieses mitgeteilt habe, wirst du mir wohl sagen, wer ihr seid. Soviel wenigstens hast du doch gelernt, daß sich dies schickt und gehört?«
»Ich habe gelernt, höflich gegen Höfliche zu sein und mich überhaupt gegen andere genauso zu verhalten, wie sie sich gegen mich benehmen. Also werde ich, nachdem du uns gesagt hast, wer du bist, deine Wißbegierde auch befriedigen. Wir gehören zum Stamme der Beni Arab Solaib und kommen also aus der Dschesireh.«
Es muß bemerkt werden, daß die Solaib-Beduinen infolge abgeschlossener Verträge niemals von andern Stämmen angegriffen werden, dafür aber natürlich verpflichtet sind, sich stets friedlich zu verhalten. Sie stehen deshalb nicht im Rufe der Tapferkeit, und so brauchte ich mich jetzt nicht darüber zu wundern, daß Tawil die Brauen hochzog und mit geringschätzigem Lächeln erwiderte:
»Solaib, ah, Solaib! Damit ist eure Dummheit allerdings vollständig erklärt! Ich kenne euch. Hundert Männer eures Stammes ergeben, obgleich ihr ganz gut bewaffnet zu sein scheint, noch nicht einmal den tausendsten Teil eines Kriegers. Ihr genießt auf Grund eurer Feigheit die Nachsicht aller Stämme und sollt also auch die unserige haben. Wo wollt ihr hin?«
»Wir sind nach Schakra abgeschickt, um einige Zuchtkamele zu kaufen.«
»So habt ihr Geld bei euch?«
»Ja, natürlich!«
Es ging ein freudiges Aufleuchten, welches sich auf dieses Geld bezog, über sein Gesicht und daß er sich nicht scheute, dies und den bezeichnenden Blick, den er dabei seinen Gefährten zuwarf, sehen zu lassen, war ein Beweis, daß er uns wirklich für ganz harmlose, ungefährliche Menschen hielt, gegen die es nicht einmal nötig war, seine Absichten zu verbergen. Sein Plan, zu unserm Gelde zu kommen, schien auch sofort fertig zu sein, denn er sprach:
»Wenn ihr von hier nach Schakra wollt, so müßt ihr durch das Gebiet der Beni Lam, mit denen wir in Fehde liegen. Sie dürfen es nicht erfahren, wo ich mich jetzt befinde, und da alle Solaib-Araber alte, schwatzhafte Weiber sind, so werden wir euch bei uns zurückhalten, bis unser Streit mit den Beni Lam ausgeglichen ist.«
Unser Führer war so klug, diese Ankündigung der Gewalttätigkeit vollständig zu übergehen und anstatt einer Weigerung die unbefangene Frage auszusprechen:
»Wir wollen nach dem Bir Hilu. Befinden wir uns auf dem richtigen Weg dorthin?«
»Ja; aber ihr werdet einstweilen auf ihn verzichten und jetzt mit uns reiten.«
»Wohin?«
»Auf Kundschaft.«
»Warum? Gegen wen? Kundschafterritte pflegen gefährlich zu sein!«
»Da ist ja schon die Angst!« lachte er. »Man erkennt sofort den Solaib an deiner Furcht. Aber grad weil ihr zu diesem Stamme gehört, kann ich euch ohne Befürchtung sagen, was ihr in einiger Zeit doch erfahren würdet. Ich lag mit einer großen Schar von Kriegern am Bir Hilu, um uns mit Wasser für den Zug gegen die Beni Lam zu versehen; da kamen Bekannte von uns, Männer aus Mekka, welche wir gastlich aufnahmen. Ihnen folgten Soldaten des Sultans. Die bezahlten Kriegssklaven des Großherrn werden nie bei uns geduldet, und diese machten sich außerdem des Verbrechens schuldig, unsere mekkanischen Freunde dadurch tödlich zu beleidigen, daß sie sie des Diebstahles beschuldigten. Sie wurden also festgenommen und entwaffnet. Nun kommen aber noch andere Leute, eine Schar von fünfzig Männern. Sie sind Haddedihn vom Stamme der Schammar, mit dem wir auch im Kampfe liegen, obgleich wir eigentlich mit ihm verwandt sind. Schon aus diesem Grunde müßten wir uns dieser bemächtigen; aber es kommt als weitere Veranlassung noch dazu, daß auch sie sich gegen die Mekkaner in einer Weise benommen haben, weiche streng bestraft werden muß. Da sie sich uns nicht ohne Gegenwehr ergeben würden, habe ich einen listigen Plan ersonnen. Sie sollen glauben, ganz allein am Brunnen zu sein und darum von den gebotenen Vorsichtsmaßregeln absehen; dann fallen wir über sie her. Wir haben uns also so weit vom Brunnen zurückgezogen, daß sie uns nicht bemerken können; wenn sie dann sorglos lagern, kehren wir zurück.«
»Werden sie nicht eure Spuren sehen?«
»Die haben wir ausgelöscht.«
»Aber wenn ihr eine so große Schar seid, werdet ihr das Wasser des Bir so weit verbraucht haben, daß dieser Umstand ihnen auffallen muß!«
»Auffallen? Diesen Haddedihn, denen Allah wohl Köpfe, aber kein Gehirn hinein gab? Diesen Menschen würde selbst im Traume nicht der Gedanke kommen, daß ein ausgeschöpfter Brunnen auf Leute deutet, von denen er geleert worden ist! Sie wohnen zwischen den Flüssen und verstehen von dem Leben der Wüste grad so viel, wie der Wasserfrosch von den Eigenschaften eines Vollblutpferdes versteht! Wir drei sind jetzt auf einem Umwege von dem Bir fortgeritten, ihnen entgegen, um von weitem zu beobachten, was sie tun und wie sie sich verhalten werden. Ihr kommt mit! Es ist keine Gefahr dabei, denn wir haben uns von ihnen fernzuhalten, weil sie uns nicht sehen dürfen. Ihr habt also keine Veranlassung, euch zu ängstigen.«
»Aber auch keine, mitzureiten. Wir wollen nach dem Bir Hilu, an andern Orten haben wir nichts zu suchen.«
»Aber wir! Und da ich euch ohne uns nicht nach dem Brunnen lassen darf, so reitet ihr mit uns. Ich wiederhole, daß eure Furcht, uns zu begleiten, ganz unbegründet ist; es wird euch nichts, gar nichts geschehen. Die Haddedihn sind ja als Feiglinge bekannt, und von ihrem Anführer, welcher Hadschi Halef Omar heißt und mit bei diesen fünfzig ist, weiß man allüberall, daß er, wenn es einen Kampf gibt, gleich beim ersten Schusse auszureißen pflegt. Er ist eine Memme sondergleichen, von der ihr nicht die geringste Gefahr für euch erwarten dürft.«
Da fuhr Halef mit der rechten Hand nach dem Griffe seiner Peitsche und öffnete schon den Mund, um zornig loszuplatzen; ich warf ihm schnell das Wort »Kutub!« zweimal zu, und er war zum Glücke so klug, infolge der Bedeutung desselben seinen Grimm zu bemeistern und zu schweigen. Für mich aber war die Zeit gekommen, an dem Gespräche teilzunehmen. Die Aufrichigkeit des Scheikes der Beni Khalid war zwar ein Zeichen seiner Geringschätzung, ein Beweis, daß er uns für vollständig geistig arme Menschen hielt, sie konnte uns aber nicht beleidigen, sondern mußte von uns ausgenutzt werden, und dazu besaß unser Führer nicht die nötige Einsicht und Selbständigkeit, da er nicht wissen konnte, was Halef und ich erfahren wollten und wie dann unsere Entschlüsse ausfallen würden. Darum richtete ich an Tawil die Frage:
»Du bist also wirklich überzeugt, daß es uns nichts schaden wird, wenn wir jetzt mit euch reiten?«
Er ließ seinen Blick langsam und mit dem Ausdrucke unendlicher Verachtung an mir niedergleiten und antwortete:
»Ich kann dir versichern, daß eure teuren Körper nicht verletzt und eure schönen, reinlichen Anzüge nicht beschmutzt werden. Ihr werdet genau so heil und sauber bleiben, wie ihr jetzt seid.«
»Später aber wirst du uns zum Brunnen lassen?«
»Ja, sofort nachdem wir mit den Haddedihn fertiggeworden sind; jetzt aber darf niemand hin.«
»Sind denn eure Mekkaner nicht dort geblieben?«
»Nein, die sind auch bei uns.«
»Und die Soldaten?«
»Die haben wir natürlich auch mit fortgenommen. Sie sind, um uns die Bewachung zu erleichtern, in eine Seitenschlucht gesperrt worden, deren Steinwände so hoch sind, daß man sie nicht erklettern kann; vorn können sie auch nicht heraus, weil da ein Posten von uns steht. Ich sage das zu deiner Beruhigung, um euch zu überzeugen, daß auch diese Leute euch nichts tun können!«
»Hatten diese Soldaten denn keinen Offizier bei sich, der sie kommandierte? Ich denke nämlich, daß es euch bei der geübten Umsicht eines solchen Vorgesetzten wohl nicht so leicht geworden wäre, sie an euch zu locken und dann zwischen Felsen einzusperren.«
»Offizier! Geübte Umsicht!« lachte er, und seine beiden Begleiter stimmten in das Gelächter ein. »Du bist ein Solaib, und darum hat man dir diese Dummheit zu verzeihen! Du scheinst noch nicht dabei gewesen zu sein, wenn Soldaten exerzieren. Sie drehen sich nach rechts; sie drehen sich nach links; sie drehen sich ganz um; sie laufen bald vorwärts, bald schief, bald rückwärts; sie tun das Gewehr ganz herunter; sie nehmen es bis zur Brust empor; sie werfen es auf die Achsel; sie heben das rechte Bein und bleiben auf dem linken stehen; sie heben das linke Bein und bleiben auf dem rechten stehen; sie bücken sich nieder, sie springen wieder auf; sie rennen auseinander und laufen dann wieder zusammen; sie legen die Finger an die Stirn; sie drücken die Waden aneinander; sie pressen die Brust heraus, und das alles tun sie, weil der dabeistehende Offizier diese lächerlichen Verrücktheiten von ihnen verlangt! Und da meinst du, daß so ein Karagöz uns hätte hindern können, das zu tun, was wir getan haben? Das kann eben nur ein Solaib denken, der von kriegerischen Angelegenheiten kein Wort, keinen Laut, keinen Hauch versteht! Aber es war kein Offizier bei ihnen, sondern ein verdammter Schiit, den Allah verurteilt hat, im tiefsten Pfuhle der Hölle zu wohnen. Dieser Schurke war so frech gewesen, unsern Mekkaner Freunden zu folgen, um sie zu beschimpfen und als Diebe, als Räuber zu bezeichnen. Er wagte es sogar, dies in unserer Gegenwart zu tun und uns zuzumuten, sie ihm auszuliefern. Als wir uns weigerten, einen solchen Befehl von ihm anzunehmen, und gar auch auszuführen, besudelte er uns mit Vorwürfen und Beleidigungen, auf welche wir nur mit dem Tode dieses Mißgläubigen antworten konnten.«
»Er lebt also nicht mehr?« fragte ich, indem ich mir Mühe gab, den Eindruck zu verbergen, den diese Mitteilung auf mich machte.
»Jetzt ist er noch nicht tot, wird es aber morgen früh, wenn wir den Brunnen verlassen, gewißlich sein. Als wir mit unsern Mekkaner Freunden über ihn zu Gerichte saßen, wurde er zur Faßada verurteilt. Wäre er ein Christ, ein Jude oder sonst ein Heide gewesen, so hätten wir ihn ohne Gnade erschossen, aber da er zwar ein mißgläubiger Schiit, aber doch ein Moslem ist, haben wir ihm nur einige kleine Adern geöffnet, welche bis morgen zum Tagesanbruche auslaufen werden. So bleibt ihm also Zeit, seine Rechnung mit Allah und dem Engel des Todes in Ordnung zu bringen. Habt ihr schon einmal von der Strafe der Faßada gehört?«
»Ja. Es gibt Stämme, bei denen sie aus demselben Grunde angewendet wird, den du soeben bezeichnet hast: Der Tod ist bei ihr unvermeidlich, doch bietet die Langsamkeit des Sterbens dem Verurteilten die notwendige Zeit, sich auf den Schritt in das Jenseits vorzubereiten. Welche Ader habt ihr ihm geöffnet?«
»Zunächst nur zwei Fingerschlagadern; das ist für jetzt genug.«
»Die Soldaten, bei denen er liegt, werden aber die Verblutung dadurch zu verhindern suchen, daß sie ihn verbinden.«
»Das kann wieder nur ein Solaib sagen! Der Schiit ist ja gar nicht bei ihnen, sondern er liegt bei meinen Kriegern, welche streng darüber wachen, daß der Ausfluß des Blutes ein stetiger bleibt. Er ist so gebunden, daß er sich, und besonders den betreffenden Arm, gar nicht bewegen kann. Wenn ihr euch etwa darüber wundert, daß ich euch das alles so unbedenklich sage, so wiederhole ich, daß ihr es doch in kurzer Zeit erfahren und sogar sehen würdet, weil wir euch jetzt mit uns nehmen und dann nach unserm Lager bringen.«
»Werdet ihr das wirklich tun? Mein Gefährte hat euch ja gesagt, daß wir nach dem Brunnen wollen und diesen Vorsatz auch ausführen werden.«
»Was ihr beabsichtigt, das ist uns gleichgültig, denn hier geschieht nur das, was wir wollen!«
»Aber wenn wir uns weigern?«
»So zwingen wir euch!«
»Und wenn wir uns wehren?«
»Wehren? Lächerlich! Drei Solaib-Feiglinge gegen uns!«
Er lachte dabei wieder hellauf.
»Ihr seid ja auch nur drei!« warf ich ein.
»Das würde gegen zehn, ja gegen hundert von eurer Sorte genügen! Versucht ja keinen Widerstand, denn ich schwöre euch bei Allah und all sei – – –«
Er hielt mitten in der Rede inne und blickte mit dem Ausdrucke des größten Erstaunens an uns vorüber nach der Felsenecke, hinter weicher wir hervorgekommen waren. Als ich mich umdrehte, um zu erfahren, was seine Aufmerksamkeit in dieser Weise und so plötzlich in Anspruch nahm, sah ich die beiden Kamele, weiche den großen Tachtirwan trugen, auf dessen Kissen Hanneh thronte. Sie waren, wie das bei diesen widerspenstigen Tieren sehr oft vorkommt, aus irgendeinem Grunde unruhig geworden und kamen uns nun nach. In für uns erfreulicher Weise war keiner der Haddedihn so unklug, der Sänfte zu folgen. Sie hegten keine Sorge, weder um uns noch um Hanneh, weil sie wußten, daß wir es nur mit drei Personen zu tun hatten, und blieben also hinter ihrer Ecke stehen. Es war für uns köstlich, die erstaunten Gesichter der Beni Khalid zu sehen.
»Ein Tachtirwan mit einem Weibe!« rief Tawil aus. »Zu wem gehört diese Frau?«
»Zu uns«, antwortete ich.
»Warum ist sie nicht gleich mitgekommen, sondern zurückgeblieben?«
»Frage sie selbst! Oder, wenn du das für besser hältst, frag ihre Kamele, die es wahrscheinlich grad so und nicht anders gewollt haben!«
»Erlaube dir keinen solchen Scherz!« wies er meine Aufforderung zurück.
»Fragen, ein Weib fragen!« Er deutete mit der Hand auf Hanneh, die inzwischen so weit herangekommen war, daß ihre Tiere in ganz geringer Entfernung von uns stehenblieben, und fuhr fort: »Seht diese alte, häßliche Büjüdschih! So ein Gesicht kann nur die Urahne eines Solaib besitzen; bei uns dürfte sie sich gar nicht sehen lassen! Dreht euch auf die Seite, sonst macht sie euch mit ihren triefenden Augen zauberkrank!«
Hanneh hörte diese höhnischen Worte, verhielt sich aber still. Halef war zunächst ebenso still. Wer da weiß, mit welcher fast beispiellosen Liebe er an seiner »herrlichsten Blume der Frauenzelte« hing und daß er sie für die »Schönste aller Schönen« hielt, der kann sich, aber auch nur annähernd, denken, weichen Eindruck diese Beschimpfung seiner Liebe und seiner Ehre auf ihn machte. So etwas war ihm noch nie vorgekommen. Wenn ich gesagt habe: er war still, so ist das nicht das richtige Wort gewesen, denn er war nicht nur still, sondern starr, geradezu starr. Aber wie ihm eine solche Beleidigung noch nicht vorgekommen war, so hatte der Scheik der Beni Khalid das, was ihm jetzt geschah, jedenfalls auch noch nicht erlebt. Ich glaubte, Halef werde nun mit einer Flut von Schimpfworten gegen ihn losbrechen, sah aber bald, daß dies ein Irrtum von mir war. Der kleine Hadschi sprang, als habe er seine Starrheit mit einem einzigen Rucke überwunden, aus seinem hohen Sattel auf die Erde herab, schnellte zum Kamele Tawils hin, ergriff mit beiden Händen das eine Bein des Reiters und riß ihn mit einer Kraft herunter, über weiche sogar ich erstaunte. Im nächsten Augenblicke hatte er seine Peitsche aus dem Gürtel gerissen und schlug nun in einer Weise auf den am Boden Liegenden ein, daß dieser weder aufspringen noch etwas anderes tun als nur durch die vorgehaltenen Vorderarme sein Gesicht gegen die hageldicht fallenden Hiebe schützen konnte. Dabei ließ Halef kein einziges Wort hören; seine Wut war so groß, daß er sie nicht durch die Zunge auszudrücken, sondern nur mit der Peitsche zu betätigen vermochte. Desto mehr brüllte der Gezüchtigte. Er rief, nein, er schrie seinen Gefährten zu, ihm zu helfen. Sie wollten das auch tun; da zog ich den Revolver und gab einen Schuß ab, das verabredete Zeichen für unsere Haddedihn, weiche sofort herbeigeeilt kamen und durch ihr unerwartetes Erscheinen die Aufmerksamkeit der zwei darüber bestürzten Beni Khalid so in Anspruch nahmen, daß diese gar nicht daran denken konnten, sich um ihren Scheik zu bekümmern. Sie wurden umringt und von den Kamelen gerissen, wobei man dem Hadschi Platz ließ, seine Züchtigung fortzusetzen, was er auch so lange tat, bis er den Arm nicht mehr bewegen konnte. Da warf er die Peitsche von sich, trat zu mir heran und rief, vor Anstrengung atemlos, aber blitzenden Auges und mit noch vor Wut bebender Stimme:
»Sihdi, ich bitte dich um Allahs willen, sprich mir jetzt ja nicht darein, sonst platze ich! Dieses Mal darfst nicht du bestimmen, was geschehen soll, sondern ich bin es, dem man zu gehorchen hat. Dieser Hund hat mein Weib begeifert, meine Hanneh, das schönste, reinste und beste aller Wesen, die auf der Erde wandeln; er hat ihr nicht nur einen verachteten Namen, sondern auch triefende Augen gegeben, und wenn du mich hinderst, ihm diese Lästerung heimzuzahlen, so schwöre ich dir zu, daß ich die Freundschaft zu dir sofort aus meinem Herzen reiße! Ich verspreche dir, als Mensch mit ihm zu verfahren; mehr aber kannst du nicht von mir verlangen! Bist du einverstanden?«
»Ja«, antwortete ich, »denn ich weiß, daß du nichts tun wirst, was mich zwingen würde, dann meinerseits die Freundschaft zu dir aus dem Herzen zu reißen! Also abgestiegen, wer noch im Sattel sitzt! Wir bleiben einstweilen hier!«
Dieser Weisung wurde Folge geleistet. Man half Hanneh und dem Münedschi herab. Dieser letztere war wach und munter; er wollte wissen, was geschehen sei und noch geschehen werde, mußte sich aber mit einer ganz kurzen Auskunft begnügen. Die Beni Khalid waren gebunden worden. Das Gesicht und die Hände ihres Scheikes zeigte Spur an Spur der ihm gewordenen Züchtigung. Er brüllte in einem fort und rief Allah, den Himmel, Muhammed und alle Kalifen zu Zeugen an, daß er »sich fürchterlich und blutig rächen werde an den Solaib Hunden«, wie er sich ausdrückte. Er war also, obgleich Halef ihn doch eines ganz andern belehrt hatte, selbst jetzt noch der Meinung, daß wir feige Angehörige des genannten Stammes seien. Da nahm Halef seine Kurbadsch wieder in die Hand, trat zu ihm hin und drohte:
»Schweig, du Sohn aller Hundeväter und Ahne aller Hundesöhne, sonst beginne ich von neuem! Du sagtest, Allah habe die Haddedihn ohne Hirn geschaffen, wo aber hast du das deinige? Du weißt, daß Hadschi Halef Omar mit fünfzig Haddedihn kommen werde, und nennst uns noch immer Solaib. Hast du keine Augen? Zähle uns doch! Hast du nicht gehört, daß auch die Gebieterin seines Harems sich bei dem Scheik der Haddedihn befindet? Wo ist dir der Verstand verlorengegangen, der dir doch sagen müßte, daß wir nicht Solaib, sondern diejenigen sind, welche du erkundschaften und dann am Bir Hilu angreifen willst? Nun zwinge uns doch, mit dir zu reiten, du Wurm der Ohnmacht und des Unvermögens! Hast du dich wirklich vor hundert Leuten unserer Sorte nicht zu fürchten? Sind die Haddedihn wirklich die Wasserfrösche, als welche du sie bezeichnet hast? Da liegst du nun, bedeckt von den Hieben meiner Peitsche! Deine Gestalt ist fast doppelt so lang wie die meinige; aber wenn Allah sie noch hunderttausendmal längergezogen hätte, wäre sie doch ein Zwerg gegen die endlose Riesenhaftigkeit der Dummheit, weiche das einzige, dir hinterlassene Erbe aller deiner ohne Verstand geborenen und ohne Vernunft gestorbenen Ahnen ist. Wer nur einen einzigen Blick auf dich wirft, der muß sich sofort abwenden, sonst löst er sich so in Tränen der Trostlosigkeit auf, daß nichts, aber auch gar nichts von ihm übrigbleibt!«
Um diese seine Worte zu verdeutlichen, wendete er sich ab und zufällig seinem Sohne zu, der hinter ihm stand. Er nahm ihn bei der Hand, zog ihn vor, deutete auf Tawil und fuhr fort:
»Da siehst du ihn liegen, der deine Mutter, in welcher alle weiblichen und mütterlichen Vorzüglichkeiten in größter Vollkommenheit vereinigt sind, eine triefäugige Büjüdscheh genannt hat! Nun sag du mir, was ihm dafür geschehen soll!«
Kara Ben Halef, welcher seinen Namen Kara bekanntlich von mir bekommen hatte, machte eine abwehrende Handbewegung und sagte nur das eine Wort:
»Nichts!«
»Nichts?« fragte sein Vater ebenso erstaunt wie unbefriedigt. »Nichts soll ihm geschehen?«
»Nichts! Auf eine solche Frechheit kann nur die Peitsche antworten; das ist geschehen. Jede weitere Beachtung würde nur eine Ehre für ihn sein, und die darf ihm nicht werden!«
Der brave Jüngling wendete sich ab und ging zu seiner Mutter. Halef sah ihm nach, blickte einige Zeit sinnend vor sich nieder, hob dann sein Gesicht und rief mir in entzücktem Tone und strahlenden Auges zu:
»Sihdi, hast du gehört, was Kara Ben Halef, der Sohn meines Herzens, soeben sagte? Was sagst du dazu?«
»Er hat recht«, antwortete ich.
»Ja, er hat recht. Der Beleidigung der besten aller Frauen ist Genüge geschehen, und so soll in Beziehung auf sie dieses Hundes nicht wieder gedacht werden. Aber ich habe wegen anderer Dinge weiter mit ihm zu sprechen und hoffe, daß ich auch da das Richtige treffen werde. Bindet ihm seine Flinte lang an die Seite und den Arm so fest daran, daß er ihn und die Hand nicht bewegen kann!«
Während Omar Ben Sadek mit zwei Haddedihn diesem Befehle nachkam, trat Halef zu mir, hielt mir seine Hand hin und bat:
»Effendi, zeige mir, wo die Fingerschlagadern liegen; ich muß das wissen!«
Ich ahnte, was er wollte, und stimmte ihm vollständig bei, ohne ihm dies aber zu sagen. Ich hätte das, was er jetzt vorhatte, wahrscheinlich auch getan, weil es das beste, einfachste und für uns ungefährlichste Mittel war, den Perser zu retten. Darum zeigte und erklärte ich ihm in kurzen Worten die Lage und die Tätigkeit der betreffenden Adern. Als dies geschehen war, ging er nach dem Tachtirwan, um sich Hannehs kleines, scharfes Näh oder vielmehr Trennmesser zu holen. Dann kehrte er zu dem Scheik der Beni Khalid zurück, welchen, obgleich er gebunden war, drei oder vier Haddedihn halten mußten. Ich stand entfernt davon und sah nur, daß Halef sich über ihn niederbeugte. Dann erscholl ein Schrei, und ich hörte Tawil brüllen:
»Was tatest du mit meiner Hand? Du hast mich gestochen. Da spritzt das Blut empor!«
»Ja, ich habe dich gestochen«, antwortete Halef. »Es geschieht dir nach dem Gesetze der Wüste: Blut um Blut, Leben um Leben. Du lässest den Perser am Aderlasse sterben und teilst nun mit ihm dasselbe Geschick. Morgen früh wirst du mit ihm aus dem Lande der Lebenden gehen und mit ihm zu gleicher Zeit es Sfiret, die Brücke des Todes, erreichen. Allah weiß, wer glücklich hinüberkommt, er oder du!«
»So hast du mir die Faßada gegeben?«
»Ich habe dir nur zwei Fingerschlagadern geöffnet, ganz genau das, was du mit ihm getan hast.«
»Allah verdamme dich! Wie kannst du es wagen, mein Blut zu vergießen?!«
»So, wie du es gewagt hast, das seinige zu vergießen.«
»Das war der Beschluß des Gerichtes!«
»Hier auch, denn ich bin der oberste Richter des Stammes der Haddedihn.«
»Dieser Schiit soll an der Faßada sterben, weil er die Mekkaner, unsere Gastfreunde, beleidigt hat!«
»Und du sollst ebenso an der Faßada sterben, weil du ihn, der unser Gastfreund ist, beleidigt und sein Blut vergossen hast und auch noch weiter vergießen und ihn dadurch töten willst. Du siehst, ich tue ganz genau dieselbe Tat aus ganz genau demselben Grund wie du.«
»Es ist doch nicht dasselbe, denn dieser Schiit hat nicht bloß die Mekkaner, sondern auch mich und meinen ganzen Stamm beleidigt!«
»Und du hast dich nicht nur an ihm vergriffen, sondern auch mich und den ganzen Stamm der Haddedihn mit dem Schmutze deines Mundes besudelt.«
»Du darfst dir also nicht einbilden, etwas vor ihm vorauszuhaben!«
»Aber woher nimmst du das Recht, Richter über mich zu sein?«
»Daher, woher du dir die Befugnis genommen hast, über ihn abzuurteilen. Du siehst, es gibt für dich keine Tür, durch welche du mir entschlüpfen kannst. Stirbt er, so stirbst auch du; willst du leben bleiben, so muß auch er gerettet werden. Deine Lage ist genau dieselbe, wie die seinige, und ich sorge dafür, daß sie sich in jeder Beziehung auch weiter nach ihr richtet.«
»So ist es dein Ernst, daß ich mich hier verbluten soll?«
»Ja, natürlich! Wenn du geglaubt hast, daß ich scherze, so befindet sich in deinem Kopfe noch weniger Denkkraft, als ich dachte. Menschenblut ist eine sehr teure und ernste Sache, mit welcher man keinen Scherz treiben darf, zumal hier in der Wüste, wo strenger als sonstwo Blut mit Blut zu bezahlen ist. Überlege dir das. Du hast Zeit dazu. Jetzt bin ich einstweilen mit dir fertig.«
Er wendete sich von ihm ab und kam zu mir.
»Sihdi, habe ich einen Fehler gemacht?« fragte er mich.
»Nein«, antwortete ich.
»So bist du also mit mir zufrieden?«
»Ja, sogar sehr.«
»Wie mich das freut, lieber Effendi! Du weißt, wie ich dich liebe und daß dein Wohlgefallen das Endziel meines ganzen Strebens ist. Du bist so schwer zu befriedigen; um so größer ist mein Entzücken darüber, daß es mir hier gelungen ist, mich der ganzen Fülle deines Beifalles zu erfreuen. Nun wollte ich dich fragen, ob ich diesem Menschen jetzt die Bedingungen mitteilen soll, unter welchen er sich sein Leben erhalten kann.«
»Jetzt noch nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil er noch nicht überzeugt ist, daß du es mit dem Aderlasse ernst meinst. Er muß erst Angst, wirkliche Angst bekommen. Sorge also dafür, daß die Blutung nicht aufhört!«
»Kann das der Fall sein?«
»Ja, weil es sich nur um schwache Nebenadern handelt. Weiche Bedingungen willst du stellen?«
»Ich gebe ihn nur gegen den Perser und die Soldaten frei. Bist du damit einverstanden?«
»Ja.«
»Ich dachte auch an die Mekkaner und wollte verlangen, daß er sie dem Perser ausliefere. Aber er hat sie als seine Gastfreunde bezeichnet, und da verlangt die Wüstenregel von ihm, daß er lieber stirbt, anstatt auf diese meine Forderung einzugehen.«
»Das ist richtig, und bei seinem Charakter bin ich überzeugt, daß er auch gar nicht anders handeln würde. Laß ihm also diese Leute; wir bekommen sie doch!«
»Wann?«
»Heute am Abend oder in der Nacht.«
»Wieso?«
»Denke an das, was nun kommen wird, nachdem er in unsere Hände gefallen ist! Du willst doch seine Beni Khalid benachrichtigen lassen, wo er sich befindet?«
»Natürlich!«
»Und daß er sterben muß, wenn sie den Perser sich verbluten lassen?«
»Ja. Ich schicke einen seiner Begleiter fort, der ihnen zu sagen hat, daß ihr Häuptling solange bluten wird, bis der Perser sich bei uns einfindet. Wie meinst du, werden sie ihn schicken?«
»Jedenfalls.«
»Auch die Soldaten?«
»Auch diese. Es wird ihnen zwar schwer ankommen, aber um ihren Häuptling, ihren Scheik zu retten, bleibt ihnen ja nichts anderes übrig. Nun frage dich einmal, was die Mekkaner tun werden, sobald sie sehen, daß ihre Verfolger wieder freigelassen werden!«
»Sie werden sich schleunigst aus dem Staube machen.«
»In welcher Richtung'?«
»Nach Mekka zu; das ist doch selbstverständlich.«
»Ja; aber ebenso selbstverständlich ist es, daß wir sie dort erwarten und abfangen, um sie dem Perser auszuliefern. Freilich müssen wir auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß sie sich bei den Beni Khalid sicherer fühlen als anderswo und also bei ihnen bleiben wollen, bis wir und der Perser fort sind. Dies müssen wir zu verhüten suchen, denn diese mekkanischen Diebe haben sich so zu uns verhalten, daß es uns gar nicht einfallen kann, ihnen das Entkommen zu erleichtern. Es liegt vielmehr so eine Ahnung in mir, daß wir auch für uns ein kluges Werk vollbringen, wenn wir dafür sorgen, daß sie den Diebstahl eingestehen müssen. Wir haben dann eine Waffe gegen El Ghani in der Hand, falls es ihm einfallen sollte, sich in der heiligen Stadt feindlich gegen uns zu verhalten.«
»Das begreife ich gar wohl, Sihdi; aber du befindest dich da mit dir selbst im Widerspruch!«
»Wieso?«
»Erst sagst du, daß wir ihre Auslieferung von Tawil nicht verlangen dürfen, weil sie seine Gäste sind und er also lieber sterben als auf unsere Forderung eingehen wird, und nun bestimmst du, daß wir sie dennoch haben müssen, selbst wenn sie nicht fortgehen, sondern bei ihm bleiben, um unsere Entfernung abzuwarten. Wie sind diese verschiedenen Dinge zu vereinigen?«
»Durch ein allerdings sehr kriegerisches Mittel, bei welchem man das Leben auf das Spiel zu setzen hat.«
»Allah w'Allah! Du meinst den Zweikampf?«
»Ja. Den Perser und die Soldaten gibt er gegen seine eigene Freiheit heraus; das schändet ihn nicht, die Auslieferung der Gäste aber können wir nach dem Gesetze der Wüste nur durch die Entscheidung der Waffen, durch einen Zweikampf erzwingen. Es kann ihm dann niemand einen Vorwurf machen. Sage ihm also, daß ich bereit bin, mit jedem Gegner, den er mir stellt, und in jeder Waffe und Weise, die ihm beliebt, die Entscheidung herbeizuführen!«
»Du also, Sihdi, du?«
»Ja.«
»Du selbst?« wiederholte er.
»Ich selbst!«
»Maschallah! Nach der strengen Regel müßte da El Ghani mit dir kämpfen, weil es sich ja um ihn handelt. Der wird sich aber wohl hüten, sein teures Leben auf das Spiel zu setzen. Man wird also gezwungen sein, ihm aus der Schar der Beni Khalid einen Stellvertreter zu wählen.«
»Das setze ich voraus!«
»Aber, Sihdi, bedenke, daß man da nicht etwa einen Schwächling auslesen wird!«
»Eine solche Schande würde ich zurückweisen! Zur Besprechung dieser Angelegenheit ist noch Zeit. Es gilt mir zunächst, zu wissen, wo die Beni Khalid lagern, und da ihr Scheik uns das nicht sagen wird, so werde ich jetzt fortreiten, um es zu erkunden.«
»Ich reite mit!«
»Nein! Die Lage hier ist eine kritische; es kann sich von Augenblick zu Augenblick etwas Wichtiges ereignen, und da darfst du als Scheik und Anführer dich nicht entfernen; aber ich werde Kara Ben Halef mitnehmen.«
»Meinen Sohn? Ich danke dir, Effendi! Ich hätte mich nicht zurückweisen lassen; aber da es Kara Ben Halef und kein anderer ist, den du wählst, so stimme ich freudig bei und bleibe sehr gern hier, denn er findet da Gelegenheit, dir zu beweisen, daß er von mir gelernt hat, sich sogar am Tage unbemerkt anzuschleichen. Was reitet ihr? Kamele oder Pferde?«
»Unsere Pferde natürlich. Wer setzt sich, wenn er die Wahl hat, bei einem unter Umständen gefährlichen Späherritte auf unzuverlässige Kamele!«
»Gut! Ich werde sofort satteln lassen.«
»Ist nicht notwendig; wir reiten nur mit Zügel. Es dauert ja nicht lange. In einer kleinen Stunde ist es Nacht; da müssen wir wieder hier sein.«
Wenige Minuten später bestieg ich meinen Assil Ben Rih und Kara Ben Halef den Rappen seines Vaters, den er an Stelle seiner Schimmelstute nahm, weil die weiße Farbe derselben uns verraten hätte. Aus eben demselben Grunde hatten wir unsere hellen Haiks abgelegt und trugen also nur die Anzüge, deren Farbe nicht von der Umgebung abstach. Eine kurze, unauffällige Erkundigung bei dem Führer klärte mich über die genaue Lage des Brunnens und über seine Umgebung auf, so daß wir uns nicht irren konnten; dann ritten wir fort, erst langsam, dann aber schnell, um die uns gegebene Zeit recht auszunützen.
Wir hielten uns natürlich nicht auf der geraden Linie nach dem Brunnen, sondern etwas südlicher und kamen an mehreren der erwähnten Felseninseln vorüber. Wir ritten hinter keiner derselben hervor, ohne uns vorher überzeugt zu haben, daß die offene Strecke bis zur nächsten unbeobachtet sei. So ging es weiter und weiter, bis wir von weitem auf einem jener freien Zwischenräume helle Punkte bemerkten, welche sich bewegten. Das waren Beni Khalid-Beduinen, die ihren Pferden Bewegung machten. Sie ritten eine sogenannte Phantasia, ein wohlgeordnetes Figurenstück, woraus wir schließen konnten, daß sie es nicht für nötig hielten, da, wo sie sich befanden, vorsichtig zu sein und sich nicht sehen zu lassen. Sie waren ja weit genug vom Bir Hilu entfernt, um von dort aus nicht bemerkt zu werden, und verließen sich überhaupt ganz auf ihren Scheik, von welchem sie wußten, daß er auf Kundschaft geritten sei und sie von der Annäherung der Haddedihn rechtzeitig benachrichtigen werde. Sie waren ihrer Sache so sicher, daß sie die Möglichkeit, ihm könne etwas zustoßen, für ganz ausgeschlossen hielten.
Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, sobald wir sie erblicken würden, von den Pferden zu steigen, um uns möglichst nahe an sie zu schleichen; das war nun aber, da sie nicht lagerten, sondern sich in solcher Bewegung befanden, unmöglich auszuführen. Wir mußten also wohl oder übel darauf verzichten, über die Soldaten und die Mekkaner vielleicht etwas für uns Nützliches zu erfahren. Das Einzige, was wir tun konnten, war, den Brunnen aufzusuchen, wo sie alle bis vor kurzem gewesen waren. Günstigen Falles gab es dort eine Entdeckung, weiche geeignet war, uns die späteren Verhandlungen mit diesen Leuten zu erleichtern. Wir bogen also im rechten Winkel nach Norden ab und erreichten, da wir galoppierten, schon nach zehn Minuten die Gegend, in welcher der Beschreibung des Führers nach der Brunnen liegen mußte.
Vier ziemlich hohe und steil aufsteigende Felsenmassen bildeten die Winkelpunkte eines unregelmäßigen Viereckes, dessen längste Seite vielleicht achthundert, die kürzeste fünfhundert Meter messen mochte. Da, wo diese beiden Seiten zusammenstießen, befanden wir uns, und in der uns gegenüberliegenden Ecke trat aus dem Felsen ein schutzdachähnliches Gemäuer hervor, welches jedenfalls den Bir bezeichnete. Der Boden des Vierecks bestand aus Sand, und wenn Tawil auch gesagt hatte, daß die Spuren alle ausgelöscht worden seien, so kam mir jetzt die Uberzeugung, mit welcher uns diese Mitteilung von ihm gemacht worden war, im höchsten Grade lächerlich vor. Der Boden war nämlich so zerstampft, daß man hätte gradezu blind sein müssen, um nicht zu sehen, daß eine ungewöhnlich große Reiterschar sich hier befunden habe. Freilich, die einzelnen Fährten auseinander zu halten, das war selbst für meine geübten Augen eine absolute Unmöglichkeit.
Der Fährtenleser sucht beim Vorhandensein so massenhafter Fuß und Hufeindrücke ganz unwillkürlich nach einer Einzelspur, oft ohne eine andere Absicht dabei zu haben, als die, den eigenen Blick zu prüfen. So tat ich auch hier. Es war aber keine einzige herauszubringen und doch, grad da beim Vorderfuße meines Pferdes lag ein höchstens zwei Hände großes Steinstück, welches, sobald ich es erblickte, meine Aufmerksamkeit auf sich zog, weil die eine, glatte Seite desselben ein ganz sauberes, neues Aussehen hatte, während die andern Seiten schmutzig und verwittert waren. Ganz gewiß war dieses Stück erst vor kurzer Zeit von dem neben uns aufsteigenden Felsen abgebrochen worden und heruntergefallen. Höchstwahrscheinlich war das ein für uns ganz gleichgültiger Vorgang gewesen; ich sah aber doch nach oben und gewahrte da auch die Stelle, an welche die Bruchfläche des Steines ganz genau paßte. Damit hätte ich mich wohl zufriedengegeben, aber ich sah noch mehr. Nicht weit von der erwähnten Stelle gab es nämlich eine mit Sand gefüllte Ritze und in diesem Sande vier senkrechte, halb wieder zugekörnelte Striche. Da hatte jemand sich festhalten wollen, war aber ab und mit den vier Handfingern durch den Sand geglitten. Was hatte der Betreffende da oben gewollt?
Das war eigentlich eine ganz nichtige Frage; aber gewohnt, selbst auf Kleinigkeiten und scheinbar bedeutungslose Dinge stets auch zu achten, forderte ich Kara Ben Halef auf, einmal vom Pferde zu steigen und da hinaufzuklettern. Ich hätte das wohl selbst getan, wollte aber meinem Schützlinge Gelegenheit geben, seinen Scharfsinn zu zeigen. Der Beduine klettert nicht gern; wenn er es doch einmal tut, so muß immerhin eine nicht ganz gewöhnliche Ursache dazu vorhanden sein. Und grad hier an dieser Stelle war es gar nicht bequem gewesen, hinaufzukommen. Hatte etwa einer der Beni Khalid da oben etwas versteckt? Ah, es waren sogar zwei gewesen, denn jetzt, da ich nun genauer hinschaute, sah ich ganz unten und hart am Felsen die tiefen Eindrücke zweier Fußspitzen, aus denen ich schloß, daß der eine hier gestanden und sich angestrengt hatte, den andern emporzuschieben. Dieser andere mußte entweder unbehilflich oder alt gewesen sein, sonst hätte er dieser Hilfe nicht bedurft. Ich weiß nicht, warum und wie es kam, aber ich mußte dabei an EI Ghani denken, hielt dies jedoch für sehr erklärlich, weil ich mich in der letzten Zeit mit diesem Manne so viel in Gedanken und Worten beschäftigt hatte.
Der gewandte und sehr kräftige Kara schwang sich, ohne einer Hilfe zu bedürfen, schnell hinauf, bis dahin, wo ich ihn nicht mehr sehen konnte, und es verging einige Zeit, ehe er wieder erschien und, den Kopf vorbeugend, mir zurief:
»Sihdi, ich habe es gefunden.«
»Was ist's?«
»Ein Paket, in einen Gebetsteppich gewickelt und mit einer Burnusschnur umwunden.«
»Ist es groß?«
»Nein, aber schwer. Willst du es haben, Sihdi?«
»Nein, wenigstens jetzt noch nicht. Ich komme hinauf, um es selbst zu sehen.«
Ich sprang vom Pferde und kletterte an dem hier vielleicht acht Meter hohen Gestein empor. Oben angekommen, stand ich nicht etwa schon auf der Höhe der Felseninsel, sondern erst auf einem beinahe rundherumlaufenden Absatze derselben, welcher den Fußrand mehrerer kahl und nackt aufstarrenden Spitzen bildete. Ich sah, daß es zwar keine einzige Stelle gab, an welcher man bequem hier heraufkommen konnte, aber diejenige, welche wir erklettert hatten, war grad die schwierigste von allen. Daraus war zu schließen, daß diejenigen, welche das Paket nach oben brachten, sehr große Eile und darum keine Zeit gehabt hatten, sich eine zugänglichere Stelle zu wählen. Die erwähnten Spitzen waren mehrfach von Spalten zerrissen, und in einem dieser Einschnitte steckte das Paket, welches, damit man es nicht sehen solle, mit Steinen zugedeckt gewesen war, welche Kara jetzt weggenommen hatte.
»War der Pack gut versteckt?« fragte ich ihn.
»Nein«, antwortete er. »Der, welcher es hier verbarg, hatte sich fast gar keine Mühe gegeben, dies so zu tun, daß es nicht zu finden war. Die Stelle ist ja ganz gut ausgewählt, denn unter tausend Beduinen wird es wohl kaum einem einfallen, ohne besonderen Grund hier heraufzuklettern; aber das Zudecken mit den Steinen hat man mit sehr wenig Sorgfalt ausgeführt.«
»Weil die Zeit dazu gefehlt hat, lieber Kara. Nicht der Leichtsinn, sondern die Eile ist schuld daran. Ah, kennst du diesen Sidschdschadi?«
»Nein.«
»So hast du nicht auf ihn geachtet. Mir fiel er wegen seines eigentümlichen Musters auf, welches aus einem Fe und einem verkehrt darüberliegenden Khaf besteht. Dieser Teppich ist El Ghanis Eigentum.«
»So wäre es dieser Alte, der da heraufgeklettert ist?«
»Wahrscheinlich.«
»Was mag in dem Pakete stecken?«
»Ich vermute, daß es die in Meschhed Ali gestohlenen Gegenstände sind. Wir werden nachsehen, müssen aber dafür sorgen, daß es ganz genau wieder so zugebunden wird und zu liegen kommt wie vorher.«
Die Umschlingung des Teppichs bestand, wie Kara gesagt hatte, in einer Burnusschnur, weil nichts anderes dazu passendes augenblicklich dagewesen war. Wir entfernten sie und öffneten das Paket. Es enthielt über zwanzig Beutel, aus Leder gefertigt und von verschiedener Größe, welche mit goldenen Ouasten verziert und mit farbigen, seidenen Schnüren zugebunden waren. An jedem hing ein künstlerisch geschnittenes Elfenbeinblättchen, welches eine Buchstabennummer und die persische Bezeichnung des Inhaltes trug. Das machte den Eindruck des Wertes, des Reichtums. Ich las einige der Aufschriften; sie lauteten:
»Sih ängust = drei Finger, pänj tschasm = fünf Augen, du bini = zwei Nasen, tschähar dil = vier Herzen, nuh pah = neun Füße, sih zäbahn = drei Zungen, du kahm = zwei Gaumen.«
Diese Inhaltserklärungen kamen mir keineswegs verwunderlich vor, denn ich kannte den Brauch, der ihm zu Grunde lag. Es kommt nämlich unter den Schiiten besonders bei langwierigen Krankheiten und schwer heilenden Verletzungen sehr häufig vor, daß der Patient an den heiligen Stätten die Hilfe sucht, die er bei den Ärzten nicht gefunden hat. Dies geschieht, wenn es ermöglicht werden kann, durch die persönliche Wanderung nach Meschhed Ali oder Kerbelah; im andern Falle sendet man eine Ab oder Nachbildung des betreffenden Gliedes oder Körperteiles nach einem dieser Orte und dazu ein Geldgeschenk, weiches die »Heiligen der Stätte« veranlassen soll, sich des Absenders im Gebete anzunehmen. Dies ist das letzte und, wie man meint, zugleich sicherste Heilmittel, zu welchem man greift. Der Arme kann es nur zu einer Nachbildung aus Holz, aus Ton, aus Blei, Zinn oder sonst einem billigen Stoffe bringen und hat also nur wenig Hoffnung, von Allah geheilt zu werden. Der Reiche ist viel besser daran, weil er die Mittel besitzt, ein wertvolleres Material zu bezahlen. Er wählt Silber, Gold und sogar edle Steine. Auf diese Weise gelangen Kostbarkeiten nach den Pilgerstätten, mit denen man selbst den berühmtesten Arzt nicht honorieren würde. Es kommt vor, daß Fürsten oder sonstige Geldleute wahre Schätze schicken, die in den unterirdischen Kammern von Kerbelah und Meschhed Ali aufgehäuft werden und einen immer wachsenden Wert von vielen Millionen besitzen. Daß da Allah nicht der einzige Empfänger ist, versteht sich ganz von selbst. Auch ist es dagewesen, daß Eroberer sich dieser Schätze bemächtigt haben, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen. Aber sie wachsen immer wieder und immer weiter an, so daß man eben jetzt, in gegenwärtiger Zeit, behauptet, daß man mit den an den beiden genannten Orten angehäuften Vermögen ganz Persien aufkaufen und bezahlen könne.
Unser neuer Bekannter Khutub Agha war in Meschhed Ali als Basch Nazyr, als Oberaufseher der dortigen Schatzkammer angestellt, also einer der hervorragendsten Beamten dieser Stadt. Wenn so ein Mann die Verfolgung eines Diebes persönlich unternahm und sich dabei den Gefahren eines weiten Rittes durch die für ihn als Schiit doppelt gefährliche arabische Wüste aussetzte, so konnte es sich nicht um unbedeutende Objekte handeln. Ich öffnete den kleinen Beutel, welcher mit »Sih ängust« = drei Finger bezeichnet war. Er enthielt drei Finger, wie zu erwarten war, aus purem Golde und mit den erkrankten Stellen nachgebildet; an jedem steckte ein Ring mit Edelsteinen. Wenn der Inhalt der andern Beutel ein gleich oder auch nur ähnlich kostbarer war, so verlohnte es sich für einen Dieb gar wohl des allerdings großen Wagnisses, nach Meschhed Ali zu gehen und dort in den Kanz el A'da einzudringen. Kanz el A'da, Schatz der Glieder, heißt nämlich dort diejenige Abteilung der tief unter der Erde liegenden Räume, in weicher die aus edlen Metallen und Steinen bestehenden Nachbildungen menschlicher Körperteile aufbewahrt werden.
Wir banden den Beutel wieder zu und verzichteten darauf, noch andere zu öffnen, denn erstens fehlte uns die Zeit dazu, zweitens war eine Überraschung durch die Beni Khalid möglich, und drittens durften wir annehmen, daß wir den Inhalt der übrigen auch noch sehen würden. Wir wickelten den Teppich wieder zusammen und banden die Schnur genau wieder so um ihn, wie sie vorher um ihn geschlungen gewesen war.
»Nehmen wir das Paket mit, Sihdi?« fragte Kara, dem das, was er gesehen hatte, gewaltig imponierte, was bei seiner Jugend ja auch sehr begreiflich war.
»Nein«, erwiderte ich. »Nicht? Warum nicht, Effendi? Dieses Gold und diese Diamanten sollen hier liegen bleiben?«
»Ja, und zwar weil sie uns überhaupt nicht gehören und wir sie doch nicht stehlen werden, und weil wir El Ghani nur dann des Raubes überführen können, wenn er glaubt, daß niemand das Paket gesehen hat.«
Ich sah ihm an, daß er mich nicht begriff; da er es aber nicht wagte, mich mit einer darauf bezüglichen Frage zu belästigen, so forderte ich ihn auf:
»Komm jetzt wieder mit herab! Ich werde es dir nachher erklären. Leg die Steine möglichst so darauf, wie sie erst gelegen haben! Jetzt möchte ich vor allen Dingen erfahren, warum El Ghani beim Ersteigen des Felsens so große Eile gehabt hat. Es ist mir bis jetzt nicht möglich, dieses heimliche Heraufklettern und Verstecken der Sachen hier mit der Anwesenheit so vieler Beni Khalid in Einklang zu bringen. Sie müssen doch unbedingt gesehen haben, was er tat!«
Als die Stelle ihre frühere Beschaffenheit wieder erhalten hatte, stiegen wir wieder hinab und auf die Pferde, weiche, weil gut erzogen, ruhig stehen geblieben waren. Wir ritten hinüber nach dem Gemäuer, wo wir den Brunnen vermuteten. Er war es allerdings. Ein oben festgebundenes Seil aus Dattelfasern führte hinab; ein Ledereimer, mit einem Steine beschwert, hing daran. So und nicht anders war wohl auch der Brunnen beschaffen, aus welchem einst Rebekka dem Oberhirten Abrahams und seinen Kamelen Wasser schöpfte. An gewissen Einrichtungen und Gebräuchen des Orientes können Jahrtausende vorübergehen, ohne das geringste zu ändern.
In der Nähe des Brunnens war, ekelerregend gegen den Felsen geworfen, das Gescheide von zwei Gazellen zu sehen, und dort, vom Westen her, kam eine sehr breite, noch junge Reiterspur aus der Wüste herbei. Es war ein wahres Wunder, daß sich in der ganzen Umgegend kein einziger Geier zeigte, sonst wären die Überreste dieser beiden Tiere längst verschwunden gewesen. Mir aber kam, sobald ich sie sah, sofort die Klarheit, die mir bis jetzt gefehlt hatte.
»Schau dies Gescheide und sieh diese Spuren!« sagte ich zu Kara. »Sie teilen mir das mit, was ich vorhin so gern wissen wollte. Die Beni Khalid haben, während sie hier lagerten, die Gazellen gesehen und sind, von der Jagdlust gepackt, alle fortgeritten, ohne daß ein einziger von ihnen hier blieb. Inzwischen kamen die Mekkaner an, welche schwach und müde waren und also nicht weiterkonnten, sondern hier bleiben mußten, obgleich sie sahen, daß der Platz schon von Beduinen besetzt sei. Da lag nichts näher, als daß sie versuchten, vor allen Dingen ihren kostbaren Raub in Sicherheit zu bringen, denn mochten diese Beduinen ihnen befreundet oder nicht befreundet sein, Gegenstände von solchem Werte wirken, wenn sie zufällig entdeckt werden, überall verführerisch, diese hier wahrscheinlich sogar verräterisch. Während EI Ghani darum hier unten herum nach einem bequemen und zugleich zuverlässigen Verstecke vergeblich suchte, sah er die Beni Khalid zurückkehren. Nun galt es die höchste Eile. Da unten kein Ort zu finden war, richtete sich sein hilfesuchender Blick nach der Höhe des Felsens, welcher dem Brunnen am fernsten lag und darum wahrscheinlich am wenigsten beachtet wurde. Er packte die Sachen schnell in den Sidschdschadi, eilte hin und stieg mit Hilfe seines Sohnes, dessen Fußspitzeneindrücke wir noch sahen, hinauf, um sie dort zu verbergen. Er konnte die Stelle nur flüchtig mit Steinen zudecken, denn er mußte eher wieder herunter, als die Beduinen so nahe herankamen, daß sie sehen konnten, wo er sich befand und was er da zu tun hatte. Zu seiner Freude erkannte er in ihnen befreundete Leute, hütete sich aber doch, ihnen von dem Pakete etwas zu sagen, denn von gestohlenen Sachen spricht man, außer wenn sie Mitschuldige sind, selbst zu den besten Bekannten oder den nächsten Verwandten nicht. Später sah er den Perser mit den Soldaten kommen und war nun doppelt froh darüber, daß er die gestohlenen Gegenstände versteckt hatte, denn er konnte nun sich und seine Begleiter getrost aussuchen lassen und dadurch, daß man nichts fand, beweisen, daß er und sie unschuldig seien. Ja, er konnte noch mehr, nämlich seinen Verfolger dadurch verderben, daß er ihn, den von den Beduinen grimmig gehaßten und verachteten Schiiten, beschuldigte, ihm nur aus Glaubensfeindschaft nachgeritten zu sein, um ihn, den Liebling des Oberhauptes der Sunniten, zu überfallen und zu töten. Wenn es ihm gelang, die Beni Khalid hiervon zu überzeugen, so war der Perser unbedingt verloren. Daß es ihm gelungen ist, haben wir gehört, denn dem Oberaufseher des Kanz el A'da sind die Adern geöffnet worden, damit er sich verbluten möge.«
»So ist es, Effendi, ja, so, ganz genau so ist es! Ich freilich wäre nicht auf diese sich wie von selbst ergebenden Gedanken gekommen, deren Zusammenhang gar nicht zu zerreißen ist. Die Mekkaner haben natürlich die Absicht, die Sachen heimlich zu holen, ehe sie den Brunnen verlassen.«
»Ja. Eben darum nahm ich sie nicht mit, sondern ließ sie liegen, um beweisen zu können, daß der Liebling des Großscherifs den Schatz der Glieder wirklich gestohlen hat. Wenn ich bemerke, daß die Zeit dazu gekommen ist, steige ich, natürlich ohne daß er es ahnt, mit Scheik Tawil Ben Schahid heimlich hinauf, um ihn zu erwarten. Sobald er die Gegenstände aus dem Verstecke genommen hat, ist der Beweis erbracht. Es ist zwar immerhin möglich, daß diese Begebenheit einen andern Verlauf nimmt, als ich jetzt denke, aber dann werden wir uns in Beziehung auf unser Verhalten dieser Änderung anbequemen und auf keinen Fall den Vorteil, welchen wir hier errungen haben, aus der Hand geben. Jetzt aber wollen wir zurückreiten, denn die Sonne ist dem Horizonte nahe, und wir müssen, ehe es dunkel wird, bei unsern Leuten sein.«
Wir ritten zurück, eine ziemliche Strecke nördlich von dem Wege, den wir hierzu eingeschlagen hatten. Als wir ankamen, lagen die drei Beni Khalid noch immer gebunden an der Erde; es schien also, wie ich auch bestimmt erwartete, alles beim alten zu sein, doch Halef meldete mir, sobald er uns sah, mit lauter Stimme und in mit sich selbst zufriedenem Tone:
»Gut, daß ihr kommt, Sihdi! Wir haben nur noch auf euch gewartet.«
»Womit?«
»Den Vertrag mit dem Scheik der Beni Khalid abzuschließen.«
»So hast du mit ihm verhandelt?«
»Ja.«
»Ohne mich zu fragen?!«
»Ich habe dich doch gebeten, hier mich allein bestimmen zu lassen!«
»Das bezog sich nur auf die Bestrafung der Beleidigung deiner Hanneh, aber nicht auch auf das weitere.«
»Verzeih, Effendi! Das habe ich nicht gewußt. Ich bin aber überzeugt, daß du dem, was wir ausgemacht haben, deine Genehmigung nicht versagen wirst.«
»Ich bin nicht überzeugt, hoffe es aber. Welches Übereinkommen habt ihr getroffen?«
»Der Scheik der Beni Khalid ist einverstanden, sich gegen den Perser austauschen zu lassen; die Soldaten gibt er aber noch nicht frei.«
»Warum?«
»Er sagt, Person gegen Person; er mit seinen beiden Leuten hier seien drei, der Perser mit seinen Soldaten und dem Khabir aber zweiundzwanzig Personen, also ein sehr ungleiches Verhältnis. Darum sollen einstweilen nur er und der Perser freigegeben werden.«
»Wieso einstweilen?«
»Weil um die Mekkaner gekämpft werden soll. Siegen wir, so werden die Soldaten freigegeben, und wir bekommen die Mekkaner, doch nur gegen das Versprechen, ihnen nichts gegen Leib und Leben zuzufügen.«
»Und siegen die Ben Khalid, was dann?«
»In diesem Falle bekommen wir weder die Mekkaner, noch die Soldaten und haben auch den Perser wieder auszuliefern.«
»Auch diesen? Das ist zuviel verlangt! Warum bist du auf diesen Punkt eingegangen?«
Da ging ein unendlich selbstbewußtes Lächeln über sein liebes, kleines Gesicht, und er antwortete:
»Ich wäre auch auf noch mehr eingegangen, Effendi, denn daß wir besiegt werden, das liegt ja nicht im Bereiche selbst der allerentferntesten Möglichkeit. Davon bist du doch grad ebenso wie ich überzeugt!«
»Ich warne dich, allzu sicher zu sein. Hochmut kommt sehr leicht vor den Fall!«
»Es ist kein Hochmut, Sihdi, sondern nur die demütigste, die allerdemütigste Überzeugung. Gib dem großen, schwarzen Panther auf, mit einer Zeltkatze um Leben und Tod zu kämpfen! Ist es Hochmut, wenn er darüber lacht? Sie ist ja nicht seinesgleichen; sein Schwanz ist dreimal länger als sie; wenn er sie mit seiner Pranke nur berührt, muß ihre arme Seele aus dem Fell heraus. Das weiß er; aber das ist kein Hochmut von ihm, sondern nur bescheidene Selbsterkenntnis. Nun denke, daß wir Haddedihn die Panther, die Beni Khalid aber die Katzen sind. Wir besitzen infolgedessen die Demut und Bescheidenheit des Panthers, und es ist also eine vollständige Verkennung der Umstände und eine vollständig umgedrehte und ganz verkehrte Anwendung des Fernrohres deiner Urteilskraft, wenn du anstatt das kleine, das große Glas vor die Augen hältst und meine Demut als Hochmut bezeichnest.«
Wenn mir diese sonderbare Art seiner Beweisführung nicht bekannt gewesen wäre, so hätte ich jetzt lachen müssen; so aber fragte ich:
»Du sprichst von Leben und Tod. Soll der Kampf so scharf genommen werden?«
»Ja.«
»Sind die Personen schon bestimmt, zwischen denen er stattzufinden hat?«
»Nur erst zwei.«
»Was? Wie? Nur erst zwei? Das ist ja genug!«
»Nein, Sihdi, das genügt noch nicht.. Tawil Ben Schahid bestand darauf, daß es sechs sein sollen, von jeder Seite drei.«
»Warum?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe ihn nicht darnach gefragt. Es ist uns ja ganz gleich, oder vielmehr, meinen Haddedihn wäre es am liebsten, wenn bei dieser vortrefflichen Gelegenheit jedem von ihnen erlaubt würde, sich mit einem Ben Khalid zu messen.«
»Dennoch hättest du auf einen dreifachen Zweikampf nicht eingehen sollen, ohne mich vorher zu fragen! Weiche zwei sollen wir außer mir noch wählen? Es werden sich alle dazu drängen, und das macht die Sache schwer.«
»Außer dir, sagst du?«
»Natürlich!«
»Für so natürlich halte ich das nicht.«
»Habe ich dir nicht gesagt, daß du mich dem Scheik als denjenigen bezeichnen sollst, den der betreffende Ben Khalid als Gegner haben wird?«
»Ja, das hast du freilich gesagt.«
»Und du hast es getan?«
»Nein. Hast du denn wirklich geglaubt, daß ich so wenig Ehrgefühl besitze, einen andern an meine Stelle treten zu lassen? Ich habe selbstverständlich nicht dich, sondern mich genannt.«
»Hm! Was sagte Hanneh dazu?«
»Sie hatte gar nichts anderes erwartet und freute sich darüber.«
»So hat sie keine Sorge?«
»Sorge? Angst? Um mich? O Sihdi, Sihdi, Sihdi! Meine Hanneh soll Angst um ihren tapfern, unüberwindlichen Hadschi Halef Omar haben! Nimm es mir nicht übel, aber ich muß dich wirklich fragen, ob du vielleicht zufälligerweise von Sinnen, ganz von Sinnen bist! Ich bin ja schon überhaupt gar nicht zu besiegen; aber wenn ich während des Kampfes ihre schönen, lieben Augen auf mich gerichtet weiß, so würde ich hundert Riesen erwürgen, wenn sie es wagten, mich nur falsch anzusehen. Das kannst du dir doch denken? Erweckt der Anblick deiner Emmeh nicht auch solche Kampfeslust in dir?«
»Nein.«
»So kann ich wirklich nicht umhin, dir mitzuteilen, daß meine Hanneh deiner Emmeh vorzuziehen ist. Bei einem Weibe, die ihren Mann so friedlich stimmt, muß er ja seine ganze Tapferkeit verlieren! Wie kann sie denn stolz auf ihn sein und auf sein Heldentum, welches ihm von der Lieblichkeit ihres Angesichtes und von der Anmut ihres freundlichen Benehmens abgestohlen worden ist! Nein, meine Hanneh hat mich als Helden kennen gelernt, hat mich trotz aller ihrer fünftausend bezaubernden Eigenschaften einen Helden bleiben sehen und wird es nie erleben, daß in diesem meinem Ruhme jemals auch nur die allergeringste Lücke entstehe. Also, nicht dich habe ich dem Scheik genannt, sondern mich.«
»So fehlt also nur noch der dritte.«
»Du meinst, der zweite und der dritte?«
»Nein, denn der zweite bin ich.«
»Du? Effendi, ich bitte dich, sieh hier doch einmal ab von deiner Gewohnheit, die größten Gefahren immer auf dich zu nehmen! Erstens bist du doch eigentlich kein Haddedihn, obgleich du ganz zu uns gehörst, sondern ein Europäer, den stets für uns kämpfen zu lassen, uns unsere Ehre rauben würde. Und zweitens üben sich meine Krieger täglich, ohne Gelegenheit zu finden, ihre Tapferkeit im Ernste beweisen zu können, weil wir auf deinen Rat nach Allahs Willen mit allen Stämmen, die uns umgeben, in Frieden leben. Und nun sich hier einmal die Möglichkeit zeigt, sich mit andern Kriegern zu messen, willst du sie um diese große Freude bringen, indem du den Ruhm, gesiegt zu haben, für dich in Anspruch nimmst! Was sagst du jetzt?«
»Deine Gründe sind gut, doch weißt du ja, daß ich mich stets lieber auf mich selbst als auf andere verlasse.«
»So will ich dir noch einen bringen, und der wird deinen Widerstand ganz gewiß besiegen.«
Er trat ganz nahe an mich heran, machte ein höchst bedenkliches Gesicht, hob den Zeigefinger warnend empor und sagte leise:
»Wenn du mitkämpfest, und wir werden alle drei besiegt, so sind wir tot, und es ist alles, alles verloren. Bist du aber nicht mit dabei, so bist du eben dann noch da, und es ist noch nichts verloren! Das mußt du doch einsehen! Nicht, Sihdi?«
Jetzt mußte ich nun freilich lachen. Ich legte ihm die Hand auf die Achsel und antwortete:
»Du spielst den schlauen Fuchs, und zwar nicht ganz umsonst. Ich werde mir die Sache überlegen; wir haben ja noch Zeit! Komm mit hin zu den Beni Khalid!«
Indem wir zu ihnen gingen, kam ich an Kara Ben Halef vorüber, dem zu sagen ich vergessen hatte, daß er gegen jedermann, auch gegen seinen Vater und seine Mutter, von dem, was wir auf dem Felsen entdeckt hatten, schweigen solle. Ich holte das jetzt heimlich nach, weil unter Umständen eine unbedachte Äußerung genügte, meinen Plan zunichte zu machen.
Ich sagte schon, daß die drei Beni Khalid noch so dalagen, wie wir sie verlassen hatten. Dem Scheik spritzte noch das Blut aus den geöffneten, dünnen Adern, doch hatte ihn der Verlust desselben noch nicht geschwächt. Als ich zu ihm trat, richtete er seine dunkeln, finster blickenden Augen fest auf mich, sah mich forschend an und sagte:
»Ich habe mit dem Scheik Hadschi Halef Omar vom Stamme der Schammar ein Obereinkommen getroffen, von welchem er behauptete, daß es erst dann Gültigkeit habe, wenn es von seinem Effendi bestätigt worden sei. Der bist du?«
»Ja«, antwortete ich.
»Also Effendi wirst du genannt! Das genügt mir nicht. Wie heißt du, und wer bist du?«
Da fiel natürlich Halef, ehe ich ein Wort sagen konnte, rasch ein:
»Dieser in allen Erdteilen des In- und Auslandes hochberühmte Mann heißt Hadschi Akil Schatir el Megarrib Ben Hadschi Alim Schadschi er Rani Ihn Hadschi Dajim Maschhur el Azani Ben Hadschi Taki Abu Fadl el Mukarram; er stammt aus dem Wadi Draha im fernsten Moghreb und hat, wie alle Leute, weiche dort geboren sind, nicht nur die Bücher aller Wissenschaften in seinem Kopfe, sondern ist auch ein Krieger von solcher Tapferkeit, Klugheit und Stärke, daß ihn kein Feind jemals zu besiegen vermochte!«
Trawil Ben Schahid bedachte die lange Schlange meines Namens und Ruhmes mit keinem Worte, sondern fragte mich kurz:
»Bist du einverstanden?«
»Ja«, erklärte ich noch kürzer.
»Die Soldaten bleiben meine Gefangenen?«
»Ja.«
»Und hier meine beiden Begleiter die eurigen?«
»Darauf werde ich dir nachher antworten. Wann soll der vereinbarte Kampf stattfinden?«
»Wann es euch beliebt, doch möglichst bald.«
»Und wo?«
»An einem Orte, an welchem ihr euch sicher fühlt, denn ihr werdet euch natürlich fürchten, euch uns zuzugesellen, weil die Schar meiner Krieger der Zahl der eurigen so vielmal überlegen ist.«
Ich bewegte die Hand geringschätzend durch die Luft und erkundigte mich weiter:
»Habt ihr Holz, um Feuer zu machen?«
»Getrockneten Kamelmist und Holz genug! Da du einverstanden bist, so gib mir die Hände frei, denn ich habe versprochen, auf mein Hamail zu schwören, daß wir unser Übereinkommen ehrlich halten werden und jeder Hinterlist entsagen. Das werde ich jetzt tun, und Allah weiß, daß ich gewohnt bin, schon ein einfaches Versprechen als Schwur gelten zu lassen.«
»Wer soll deine Krieger benachrichtigen?«
»Es reitet einer von euch mit einem von meinen Begleitern hin zu ihnen; beide kommen zurück und bringen den Perser mit. Dann gebt ihr mich frei.«
Ich sah ihm ebenso fest in die Augen wie er vorhin mir, zog meine kleine Verbandtasche hervor und ließ mich zu ihm nieder; um zunächst die Blutung zu stillen. Als dies geschehen war, löste ich die Knoten seiner Fesseln. Er sprang sofort auf und fragte erstaunt:
»Du bindest mich los?«
»Wie du siehst!«
»Das soll ja erst dann geschehen, wenn der Perser hier ankommt und ihr euch also überzeugt habt, daß er von uns freigegeben worden ist!«
Ich antwortete nicht sofort, sondern band auch seine Leute los und sagte erst dann, als dies geschehen war:
»Sie sind auch frei. Das ist meine Antwort auf deine vorhin ausgesprochene Frage. Du meintest ferner, daß wir uns wahrscheinlich vor euch fürchten werden. Hadschi Halef Omar und seine Haddedihn, die fürchten sich vor keiner Feindesschar, auch wenn sie zehnmal größer wäre, als die eurige ist; das eben will ich dir beweisen.«
»Tajjib, tajjib – Bravo, bravo!« rief da Halef begeistert aus, und die Haddedihn stimmten ein.
Ich aber fuhr fort:
»Den Schwur auf dein Hamail erlasse ich dir. Ich sehe zwar diesen aus Mekka stammenden Kuran an der Schnur an deinem Halse hängen; aber du hast gesagt, dein Versprechen gelte gleich einem Schwure, und ich glaube und vertraue dir. Wer sein Versprechen nicht hält, der achtet auch nicht die Heiligkeit des Schwures. Ihr kehrt jetzt zu euren Leuten zurück, und wir reiten mit.«
»Sogleich?« fragte er, indem sein Gesicht ein einziges, großes Staunen war.
»Ja.«
»Ihr alle? Mit diesem Weibe? Ohne weitere Sicherheit?«
»Jawohl!«
»So glaubst du meinem Worte, wirklich nur meinem Worte?«
»Du siehst und hörst es ja!«
Da hellte sich sein finstres Gesicht auf, und der Ausdruck des Erstaunens ging in den der Freude über.
»Effendi«, rief er aus, »so etwas ist mir noch nicht vorgekommen! Entweder bist du ein höchst leichtsinniger oder ein sehr braver Mann!«
»Leichtsinnig bin ich nicht, sondern ich pflege jedem Menschen die Ehre zu geben, die ihm gebührt. Du bist ein rauher, ja ein harter, vielleicht gar ein grausamer und blutgieriger Krieger, aber das Wort, welches du gegeben hast, das wirst du niemals brechen! Habe ich recht?«
Da streckte er mir die Hand entgegen:
»Da, faß an! Ihr seid jetzt unsere Feinde, und wir sind die eurigen; der Kampf wird zwischen uns entscheiden; aber wenn ihr wirklich mit uns reitet, so könnt ihr nirgends sichrer sein, als bei uns! Ich habe, als ich euch für Solaib-Araber hielt, von den Haddedihn verächtlich gesprochen; jetzt weiß ich, daß sie keine Knaben, sondern furchtlose Männer sind, denen ich meine Achtung nicht versagen kann. Kommt also mit uns, wenn ihr wollt! Lieber aber ist es mir, wenn ihr mich voranreiten laßt, damit ich Zeit finde, meine Leute zu unterrichten, wie sie sich zu euch zu verhalten haben.«
»Gut, reitet fort, alte drei! Wir werden euch nicht folgen, sondern den Weg nach dem Brunnen einschlagen, welcher doch wohl euer eigentlicher Aufenthalt ist.«
»Kennt ihr den Weg? – Es wird gleich dunkel sein!«
»Wir finden ihn; wir brauchen keinen Führer.«
Sie bestiegen ihre Kamele und ritten fort. Als wir sie nicht mehr sahen, kam Hanneh, weiche schon längst ihre Sänfte verlassen hatte, zu mir her und sagte:
»Effendi, lieber Effendi, weißt du, daß du einen großen Sieg errungen hast?
«Ja».
Das war wieder einmal die Liebe, welche du nicht nur in Worten predigst, sondern auch durch dein Verhalten lehrst. Dürftest du diesem Scheik doch sagen, daß du Christ bist! Dann würde er wissen, wem er diese seltene Behandlung und das Vertrauen, welches du ihm zeigtest, zu verdanken hat. Der Zweikampf wird ganz gewiß für uns entscheiden; aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, würde dieser Scheik der Beni Khalid nicht taub gegen unsere Wünsche sein.«
»Aber wenn er sich nur verstellt hätte?« warf Halef ein. »Ich glaube es nicht, sondern gebe diesen Fall nur zu bedenken. Dann hätte dein Vertrauen uns wahrscheinlich in eine schlimme Lage gebracht!«
»Auch dann nicht, Vater«, antwortete ihm sein Sohn. »Unser Effendi weiß, was er tut. Wir können uns auf ihn verlassen.«
In so bestimmter Weise in unser Gespräch einzugreifen, das hatte Kara bisher stets unterlassen; aber daß ich ihn heut mitgenommen hatte und er dadurch Mitwisser eines Geheimnisses geworden war, das gab ihm den Mut, seiner Meinung auch einmal in solcher Art zu erkennen zu geben. Sein Vater sah ihn ganz verwundert an, nickte ihm aber dann befriedigt zu und sagte:
»Ja, wenn so große und bedeutende Leute sich des Effendi annehmen, dann muß freilich ich mit meinen Bedenken weichen. Hast du etwa noch etwas auf deinem mutigen Herzen?«
»Ja.«
»Was?«
Da flog ein energischer, leuchtender Blick vom Sohne zum Vater herüber, und die Antwort erklang:
»Ich will einer von den dreien sein, welche mit den Beni Khalid kämpfen!«
»Wa- – wa- – was? Du- – u- – u- – u- -u?!«
Halef fuhr einen ganzen, großen Schritt zurück und sah den Jüngling aus weit geöffneten Augen an.
»Ja, ich will; ich will!« wiederholte dieser in sehr bestimmtem Tone, indem sein ganzes Gesicht erglühte.
Ich ahnte, daß Halef ihn am liebsten vor Freude über diesen mutigen Entschluß an sein Herz gedrückt hätte; aber Kara war nicht nur sein sondern auch Hannehs Sohn; darum hielt er noch an sich, richtete einen unsichern Blick auf sie und fragte:
»Hanneh, du beste Mutter aller tapfern Söhne, hast du gehört, was Kara, unser Liebling, soeben für einen Wunsch ausgesprochen hat?«
»Ich habe es gehört«, nickte sie lächelnd.
»Was sagst du dazu?«
»Ich lasse dich zuerst sprechen.«
»Nein! Zwar weiß ich, daß ich der Gebieter meines Stammes und auch der Gebieter meines Zeltes, meines Weibes und meines Sohnes bin, aber hier hat nicht der Vater, der Krieger, zu bestimmen, sondern nur das Herz der Mutter zu entscheiden.«
»Und diese Mutter kennt den Vater und weiß, womit sie ihn erfreuen und glücklich machen kann. Es glüht in dir doch das heiße Verlangen, daß ich meinem und deinem Kinde nicht hinderlich sein möge, zu zeigen, daß er in der Führung der Waffen der Schüler seines Vaters gewesen ist.«
»Ja, das, das wünsche ich allerdings von ganzem Herzen!« gab Halef zu.
»So mag er kämpfen; ich gestatte es!«
Da stieß der Hadschi einen Jubelruf aus und öffnete die Arme, um sie in seinem Entzücken um Hanneh zu schlingen; da fiel ihm aber noch rechtzeitig ein, daß ihm dies so öffentlich nicht gestattet sei, und so suchte er sich denn ein anderes Objekt für diesen zärtlichen Ausdruck seines Entzückens: Er umarmte erst Kara ein, zwei, drei Mal und warf dann auch die Arme um mich, wobei er, vor Freude dem Weinen nahe, rief:
»Hast du es gehört, Sihdi? Hast du es gehört, daß Hanneh, die Blume meines Herzens, ihre Einwilligung zur Tat des Ruhmes gegeben hat? Alle Völker, welche zwischen dem Euphrat und dem Tigris wohnen, werden mich den glücklichsten Vater nennen, denn die Tapferkeit meines Sohnes wird der meinigen vollständig gleichen, und so wird man unser Lob verkünden in allen Zeiten und allen Häusern, in denen man von unsern Taten spricht. Das habe ich auch dir mit zu verdanken, weil du die Güte gehabt hast, zurückzutreten und nicht mit am Kampfe teilzunehmen!«
»Das habe ich nun freilich nicht versprochen. Ich habe nur gesagt, daß ich es mir überlegen wolle.«
»Zum Überlegen ist es nun zu spät, da Kara eingetreten ist.«
»Ich kann ja doch der Dritte sein!«
Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, so schob sich Omar Ben Sadek schnell herbei und sprach:
»Das wirst du nicht, Sihdi; ich bitte dich! Es wäre ja eine Schande für den ganzen Stamm, wenn keiner der gewöhnlichen Krieger sich beteiligen dürfte. Ich bin kein Held und kein berühmter Mann; aber ich war dein und Halefs treuer Gefährte durch die Sahara, durch Ägypten, Arabien und das ganze Kurdistan. Ich habe mit euch gehungert, gedürstet und gekämpft, und niemand kann sagen, ich hätte jemals meine Pflicht versäumt. Soll es jetzt heißen, daß mein Arm schwach geworden und meine Waffe eingerostet sei? Soll mein Platz in dem Winkel sein, in welchen man das alte, unbrauchbare, verrostete Eisen wirft? Das kannst du mir, deinem treuen Omar, doch unmöglich zuleide tun! Ich will dich nicht mit langen Bitten quälen. Hier stehen fünfzig Krieger. Sollen sie alle zusehen, daß ihr drei ihnen alles nehmt und ihnen gar nichts gönnt? Soll nicht wenigstens einer von ihnen zeigen dürfen, daß auch ein einfacher Krieger für die Ehre seines Stammes kämpfen kann? Ich bin fertig mit meinen Worten. Nun entscheide du!«
Da gab ich ihm meine Hand und sagte:
»Du hast vollständig recht, Omar. Es handelt sich um Haddedihn und Beni Khalid, also um die Ehre unsers Stammes; da darf ich mich euch nicht in den Weg stellen. Es sei dir also dein Wunsch erfüllt. Wir wissen, daß du die Haddedihn in einer Weise vertreten wirst, die uns erlaubt, stolz auf dich zu sein. Du wirst zu deinen frühern Siegen heute einen neuen fügen.«
Damit war diese Angelegenheit erledigt. Hanneh bestieg ihren Tachtirwan wieder, und dann ritten wir dem Brunnen zu, von welchem uns, als wir uns ihm näherten, die letzten Gebetsklänge des Moghreb entgegentönten. Die Beni Khalid waren also schon da.
Es war dunkel geworden, und nach dem Schlusse des Gebetes beschäftigten sich die Beduinen damit, ein Feuer anzuzünden. Darum wurde unser Kommen nicht sofort bemerkt. Wir hatten den Platz an der nordöstlichen, ganz unbeobachteten Ecke erreicht und hielten dort an. Wir wollten den Blinden zunächst den Mekkanern nicht sehen lassen; darum mußte er hier absteigen und Hanneh mit ihm, in deren Obhut wir ihn gaben. Es konnte nicht auffallen, daß sie sich hier absonderte, indem diese entlegene Stelle sozusagen ihren Harem bildete, wodurch zugleich die Mekkaner gezwungen waren, ihn zu meiden. Als wir beide gut und bequem untergebracht hatten, ritten wir weiter, der Brunnenecke zu, an weicher jetzt das Feuer aufloderte.
Der Scheik sah uns und kam uns höflich entgegen. Zwar begrüßte er uns nicht mit einem Marhaba, denn wir waren ja seine Feinde; er machte überhaupt keine Worte, aber diese stille Art und Weise drückte ebenso viel Achtung aus, als er uns hätte durch die Rede erweisen können. Um so lauter aber war einer, der vom Feuer, wo er saß, aufsprang und gar nicht wartete, bis ich abgestiegen war, sondern mir beide Hände entgegenstreckte und dabei in frohem Tone rief:
»Endlich, endlich sehe ich dich, Effendi! Ich wußte, daß du unbedingt kommen und mir helfen würdest; aber die Zeit wurde mir doch recht lang, zumal mit ihr mein Blut hinfloß!«
Es war der Perser.
»Du hattest also deine Hoffnung auf uns gesetzt?« fragte ich.
»Ja, nur auf dich, denn eine andere gab es nicht. Ich erfuhr vorhin, daß der Scheik dir mitgeteilt hat, was man mit mir beschlossen hatte, und habe also nicht nötig, es dir zu erzählen. Nur eins muß ich dir sagen, damit du weißt, woran du bist: Die Mekkaner sprachen davon, daß ihr kommen würdet; ich hütete mich aber, zu verraten, daß ich euch getroffen und mit euch gesprochen hatte. Du hast mir das Leben gerettet. Von meinem Danke wirst du nicht jetzt, sondern später hören!«
»Du hast mir nichts, gar nichts zu verdanken. Es war Allahs Schickung, daß dein Weg mit dem unseren zusammenstieß, und wenn dir dadurch das Leben erhalten wurde, so wende dich nicht an mich, sondern an ihn! Wo sind deine Asaker?«
»Gefangen, an einem Orte, den ich nicht kenne.«
»Du aber bist frei?«
»Ja. Als der Scheik vor kurzem von seinem Ritte zurückkehrte, wurden mir die Fesseln abgenommen und die geöffneten Adern verbunden. Ich hätte mich unbedingt während der Nacht verblutet.«
»Hat dich der Blutverlust bis jetzt angegriffen?«
»Doch! Ich bin ziemlich schwach, werde aber sehr bald nichts mehr davon merken. Komm mit mir an das Feuer, und sag mir, wie sich alles zugetragen hat, und was geschehen wird! Ich hörte, daß es einen dreifachen Zweikampf geben soll. Ist das wahr?«
Scheik Tawil Ben Schahid hatte sich wieder bei dem Feuer niedergesetzt, wir nahmen, als ob sich das ganz von selbst verstehe, neben ihm Platz, Halef und Kara auch. Unsere Haddedihn lagerten sich in geringer Entfernung von uns. Die Beni Khalid bildeten zerstreut rundum liegend Gruppen. Sie unterhielten sich sehr eifrig, doch nicht so laut, daß wir etwas verstehen könnten. Die Mekkaner endlich saßen abgesondert an der Brunnenmauer beisammen, ganz nahe bei uns. Sie hörten jedes Wort, weiches wir sprachen. Hierauf gar keine Rücksicht nehmend, beantwortete ich die Frage des Persers:
»Ja, es ist wahr. Wir haben die drei Betreffenden schon bestimmt.«
»Wer sind sie?« erkundigte er sich weiter.
»Scheik Hadschi Halef Omar, Kara, sein Sohn hier, und Omar Ben Sadek, einer unserer Krieger.«
»Wie und mit welchen Waffen soll der Kampf stattfinden?«
»Das ist wohl erst noch zu bestimmen.«
»Auf Tod und Leben?«
»Ja.«
»Allah! So bin ich schuld, daß diese drei ihr Leben für mich wagen müssen, und kann doch nichts dafür! Denke dir, diese diebischen Hunde haben ihren Raub unterwegs in der Wüste versteckt! Selbst wenn ihr siegt und meine Asaker wieder frei werden, haben wir den weiten Ritt umsonst gemacht und bekommen die gestohlenen Gegenstände nicht wieder!«
»Darüber hast du zu schweigen!« gebot ihm der Scheik der Beni Khalid. »Die, welche du beschuldigst, hören deine beleidigenden Worte; das darf ich nicht dulden, denn sie sind meine Freunde und Gäste. Wenn du in dieser Weise weitersprichst, nehme ich mein Wort zurück und lasse dir die Adern wieder öffnen.«
Vielleicht war es zu kühn von mir, aber ich durfte um unsertwillen ihn nicht in dem Glauben lassen, daß er hier der alleinige Gebieter sei, und erwiderte ihm darum in zwar ruhigem aber doch sehr bestimmten Tone:
»Gestatte mir, o Scheik, daß ich da anderer Meinung bin! Habe ich auf eines der Rechte, weiche ich besitze, hier zu verzichten?«
»Nein«, antwortete er.
»Gut! Wenn die Mekkaner deine Freunde sind, so ist er der meinige. Er wurde gegen dich ausgetauscht und ist also ein ebenso freier Mann wie du. Ein freier Mann aber darf auch frei sprechen, und wenn er damit jemanden beleidigt, so mag dieser jemand sich dagegen wehren; einem andern aber geben wir die Erlaubnis nicht dazu!«
»Ob ihr es mir erlaubt oder nicht, das ist mir gleich«, entgegnete er stolz. »Hier an diesem Brunnen bin ich der Herr, und wenn meine Gäste beleidigt werden, so bin auch ich beleidigt und werde das bestrafen. Ich wiederhole, daß ich diesen Schiiten wieder fesseln lasse, wenn er nochmals ähnliche Worte sagt!«
»So tue ich mit dir dasselbe!«
»Was?«
»Ich nehme auch dich wieder fest.«
»Maschallah! Wie wolltest du das anfangen?«
»Das laß getrost meine Sache sein! Ich weiß ganz genau, wie man sich in einer solchen Angelegenheit zu verhalten hat. Kennst du vielleicht diese Art von Waffen?«
Ich zog meine beiden Revolver aus dem Gürtel und zeigte sie ihm.
»Allah!« rief er aus. »Das sind Pistolen mit vielen, schnellen Schüssen, wie die Franken haben! Wie bist du zu solchen Waffen gekommen?«
»Du hast gehört, daß ich aus dem Moghreb bin. Dort besitzen nicht nur die Christen, sondern auch die Moslemin dergleichen Pistolen und verstehen, sehr gut mit ihnen umzugehen. Sobald du die Bestimmung träfest, hier meinen persischen Freund wieder festzunehmen, würde ich meinen Haddedihn befehlen, dich wieder zu ergreifen, und wenn du dich dagegen wehrtest führe dir sofort die erste Kugel aus einem dieser vielschüssigen Läufe durch den Kopf!«
»Du scherzest!« versuchte er zu lächeln.
»Es ist mein Ernst; darauf gebe ich dir mein Wort, und ich halte mein Wort ganz ebenso wie du das deinige!«
Er sah mir lange und starr in das Gesicht. Als ich diesen Blick aushielt und erwiderte, zürnte er:
»Fast bereue ich es, dir mein Wort gegeben zu haben!«
»Sorge lieber dafür, daß ich es nicht bereue, diesem Worte mein Vertrauen geschenkt zu haben!«
»Du drückst dich sehr gebieterisch aus, Effendi!«
»Dazu bin ich auch berechtigt! Du meintest vorhin zwar, daß du Herr hier am Brunnen seist; mag sein, aber du bist es nicht allein; es sind noch andere Herren da.«
»Wer?«
»Zum Beispiel ich! Der Bir Hilu gehört weder dir noch mir; wir haben also beide gleiche Rechte.«
»Ich war eher hier als du!«
»So warst du eher Herr, und ich bin es später geworden; das ändert aber an der Gleichheit unserer Rechte nichts. Ich gebe dir übrigens den Rat, nicht so oft und nachdrücklich zu erwähnen, daß diese Mekkaner deine Freunde seien! Wenn ich hier den Basch Nazyr als meinen Freund bezeichne, so wage ich nichts, denn er ist ein ehrlicher Mann; aber Leute, welche des Diebstahls wegen durch die halbe Wüste gejagt worden sind, als meine Freunde darzustellen, das würde ich mir wohl erst reiflich überlegen!«
»Sie sind keine Diebe; sie sind unschuldig!«
»Wer sagt das?«
»Ich!«
»Beweise es!«
»Wir haben sie ausgesucht und nichts, gar nichts bei ihnen gefunden!«
»Khutub Agha behauptet dagegen, daß sie ihren Raub versteckt haben. Es steht also Behauptung gegen Behauptung.«
»So reitet zurück, und durchsucht die Wüste! Wenn ihr die gestohlenen Gegenstände findet und mir bringt. dann werde ich euch glauben, eher aber nicht!«
»Gut! Wir werden suchen und nicht bloß finden, sondern dich auch überzeugen. Ja, ich sage noch mehr: du selbst sollst diese Sachen finden!«
»Willst du, daß ich über dich lache?«
»Tue, was dir beliebt; wir werden ebenso tun, was uns beliebt. Am allerwenigsten aber lassen wir uns vorschreiben, was wir sprechen dürfen und was nicht!«
Er öffnete schon den Mund zu einer scharfen Erwiderung, hielt sie aber zurück, denn grad in diesem Augenblicke erscholl da, wo die Mekkaner saßen, ein mehrstimmiger Schrei, und als ich mich nach der Ursache ihres Schreckes umschaute, sah ich die hoch aufgerichtete Gestalt des Blinden, weicher langsamen Schrittes in den Lichtkreis des Feuers trat und da stehen blieb. Er hielt die Linke so, als ob ihn jemand an dieser Hand führe; die Rechte hatte er zu einer sehr eigentümlichen, Aufmerksamkeit heischenden Geste erhoben. Hanneh sagte uns später, daß er erst wie im Schlafe gelegen und dann plötzlich aufgesprungen und fortgegangen sei, ohne daß sie Zeit gefunden habe, ihn zurückzuhalten.
»El Münedschi, el Münedschi – – – ! Sein Geist – – – sein Geist – – – sein Geist!« schrie El Ghani vor Entsetzen laut auf, und seine Gefährten schmiegten sich vor Angst eng aneinander und blickten starren Auges auf die allerdings geisterhafte Erscheinung.
Auch die Beni Khalid waren im höchsten Grade betroffen. Sie sahen die vom flackernden Feuer ungewiß und gespensterisch beleuchtete starre Figur; sie hörten das Wort »Geist!« und als abergläubische Leute fühlten auch sie sich von der Furcht ergriffen. So waren alle Augen erschrocken auf den Münedschi gerichtet, die unserigen voller Erwartung, was er jetzt tun werde.
Da trat er zwei schnelle Schritte vor und rief mit lauter, vernehmlicher Stimme, hoch erhobenen Hauptes, die Augen aber geschlossen haltend:
»Ich schwöre bei dem Tage der Auferstehung, und ich schwöre bei der Seele, die ihre Sünden bekennt. Will der Mensch wohl glauben, daß wir seine Gebeine nicht einst zusammenbringen können? Wahrlich, wir vermögen es, selbst die kleinsten Gebeine seiner Finger zusammenzufügen, doch der Mensch will selbst das, was vor ihm liegt, gern leugnen! Er fragt: Wann kommt der Tag der Auferstehung? Wenn das Auge sich verdunkelt und der Mond sich verfinstert und Sonne und Mond sich verbinden, dann wird der Mensch an diesem Tage fragen: Wo findet man wohl einen Zufluchtsort?' Aber vergebens, denn es gibt dann keinen Ort des Versteckes. Dein Standort an diesem Tage wird vor dem Herrn sein, und an demselben wird man dem Menschen verkünden, was er zuerst und was er zuletzt getan hat, und der Mensch wird Zeuge gegen sich selbst sein, und wenn er seine Entschuldigungen vorbringt, so werden sie nicht angenommen werden!«
Das war der Anfang der fünfundsiebzigsten Sure des Kuran. Er hielt inne. Er hatte mit tiefem, hohlem Klange gesprochen; sein langer, silberweißer Bart zitterte, und sein Gewand bewegte sich leise; das Feuer warf wechselnde Lichter und Schatten über seine Gestalt. Das gab ihm etwas Jenseitiges, etwas Überirdisches, zumal die gesprochenen Worte sich auf die Auferstehung bezogen. Ich gestehe aufrichtig, daß selbst ich, der ich doch wußte, woran ich war, nicht unergriffen blieb. Eine ganz eigene Art von Grauen ging mir nicht bloß durch die Seele, sondern, ich möchte sagen, auch fühlbar durch die Glieder. Wer kennt alle die vielen, verschiedenen Regungen des Menscheninnern und die geheimnisvollen Antriebe, von denen sie emporgeweckt werden!
Da begann der Blinde in demselben eindringlichen Tone von neuem:
»Ja, du bist da; du sprichst mit mir; du leitest mich, und ich folge dir! Ich bin fern von der Erde. Ich kann die Körper der Menschen nicht erkennen, aber ich sehe die Fluten ihrer Gebrechen und Sünden wogen wie einen Ozean von Pol zu Pol. Hoch über mir leuchtet ohne Anfang und Ende die Liebe des Himmels. Hoch über mir beten die Scharen der Seligen zum Lichte der Welt. Tief unten zieht Finsternis über die Länder, der Haß und die Zwietracht über Berg und über Tal. Wo sind die, welche Gottes Stimme hören und aufwärts steigen zum ewigen Glück? Es sind ihrer so wenige, daß ich sie nicht zu sehen vermag. Das Geschlecht der Menschen hat keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören; es geht der Nacht entgegen anstatt dem Tage. Einer lockt und winkt dem andern; einer schiebt und drängt den andern; so führen und stoßen sie sich weiter und weiter, vom Lichte ab und der Finsternis entgegen. Die Menschen wollen sich von Allah nicht mehr strafen, nicht mehr leiten und führen lassen. Sie halten ihren eigenen Geist für klüger als den Geist der Liebe und der Wahrheit, der alle Himmel regiert und alle Welten lenkt. Sie sitzen darüber zu Gericht, ob es einen Gott gibt oder nicht. Entweder verleugnen sie ihn, oder, wenn sie das nicht tun, so lassen sie sich von ihrer armen, blinden Wissenschaft einen Tempel bauen, in welchen sie ein Abbild ihrer hochmütigen Schwäche setzen, um es Gott zu nennen. Ich sage euch, diese Anbetung ihrer eigenen Ohnmacht ist eine Abgötterei, welche Allah strenger bestrafen wird als den unverschuldeten Irrtum der Heiden, welche nur deshalb Götzen verehren, weil sie keine Offenbarung hatten! Das sagt Ben Nur, der Sohn des wahren Lichtes, dem ihr verwehrt, in eure Herzen einzudringen und eure Seelen zu erleuchten!«
Nach diesen Worten blieb er noch einige Zeit mit hoch erhobenem Arme stehen, ließ ihn dann sinken und drehte sich um, den Lichtkreis wieder zu verlassen und im dunkeln Hintergrunde zu verschwinden. Niemand wagte es, ihm dorthin zu folgen. Keiner der Beni Khalid rührte sich von der Stelle. El Ghani, der erst starr vor Schreck gewesen war, sprang jetzt auf und rief:
»Er war es; er war es ganz gewiß! Es ist eine Kijahma! Er ist von den Toten auferstanden und uns erschienen, um uns von dem Leben nach dem Tode zu überzeugen, wie er es mir einst, als ich nicht daran glaubte, versprochen hat!«
»Eine Kijahma? Vom Tode erstanden?« fragte Scheik Tawil Ben Schahid. »Also ein Geist! Welchem Manne hat diese zurückgekehrte Seele angehört?«
»Dem Münedschi, von dem ich dir heut nach unserm Zusammentreffen mit euch erzählt habe, daß er gestorben und von uns begraben worden ist.«
»Allah beschütze und bewahre uns! Es gehe ja keiner von euch da hinüber, wo der Geist verschwunden ist, denn er würde ihm ins Reich der Toten folgen müssen! Wir wollen uns vielmehr beeilen, so schnell wie möglich von diesem Orte der Gespenster fortzukommen.«
»Aber der Zweikampf? Was wird aus ihm?« fragte ich.
»Er wird morgen, wenn es Tag ist, ausgefochten werden. Wir reiten jetzt hinaus in die Wüste, bis dahin, wo wir vorhin gewesen sind. Ihr reitet natürlich mit?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil wir uns nicht vor Gespenstern fürchten und weil unsere Kamele durstig sind. Wir müssen sie tränken.«
»Der Brunnen ist leer; wir haben ihn ausgeschöpft, und das Wasser muß sich erst wieder ansammeln. Ihr könnt also vor dem Morgen eure Tiere doch nicht trinken lassen.«
Ohne meine Antwort darauf abzuwarten, wendete er sich an El Ghani:
»Steht auf, und macht euch fertig! Ihr bleibt natürlich auch nicht hier an diesem Orte der spukenden Geister.«
Der Mekkaner antwortete, anstatt sogleich ja zu sagen:
»Erst muß ich wissen, ob die Haddedihn mitgehen.«
»Warum?«
»Da uns der Geist unseres Freundes erschienen ist, so müssen wir noch kurze Zeit hier bleiben, uni für ihn zu beten . Dabei müssen wir aber ungestört von ihnen sein. Wenn sie sich mit euch entfernen, können wir das tun, sonst nicht. Dann kommen wir sogleich nach.«
Es konnte gar nichts Dümmeres als diese Bedingung und dieses Versprechen geben. Es handelte sich natürlich um das Versteck. EI Ghani wollte die Sachen dort holen und dann mit seinen Leuten die Flucht ergreifen. Gelang ihm dies, so bekam er während der langen Nacht, die vor uns lag, einen Vorsprung, der ihn in Sicherheit brachte, zumal der Perser gar nicht wagen durfte, ihn noch weiter zu verfolgen. Da vorhin das Entsetzen des Mekkaners vor dem vermeintlichen Geiste ein so großes gewesen war, so mußte sich der Scheik der Beni Khalid eigentlich sagen, daß ihn wohl ein anderer Grund als derjenige des Gebetes hier zurückhalte; es kam ihm aber kein derartiger Gedanke. Er sah mich fragend an, und ich erklärte ihm:
»Gut, wir wollen diese Männer nicht in der Ausübung ihrer frommen Pflicht stören; wir reiten also mit euch. Du hast aber dafür zu sorgen, daß sie uns auch wirklich folgen, da um sie gekämpft werden soll. Brechen wir also auf!«
An Hanneh, welche sich da drüben befand, wohin der Münedschi verschwunden war, schien keiner von allen diesen Leuten zu denken; darum brachte ich sie gar nicht in Erwähnung. Wir konnten sie ruhig lassen, wo sie war, da es gar nicht in meiner Absicht lag, den Platz zu verlassen. Ich gab vielmehr Halef die heimliche und schnelle Weisung;
»Paß auf, was ich dir sage, und führe es genau aus! Ich habe jetzt keine Zeit, dir die Gründe zu sagen. Wir reiten hinter den Beni Khalid her. Sobald die Mekkaner euch nicht mehr sehen, bleibt ihr zurück, um den Platz des Brunnens heimlich zu umzingeln. Ihr bildet einen Kreis, innerhalb dessen die vier Felsen liegen, und laßt keinen Mekkaner durch.«
»Aber warum soll – – –«
»Still, wir müssen fort!« unterbrach ich ihn.
»Und was soll mit Hanneh – – – –«
»Keine Angst um sie! Die bleibt, wo sie ist. Ich werde mit dem Perser nicht bei euch bleiben. Kara, dein Sohn, wird dir Aufklärung geben. Sage ihm, daß ich das erlaube!«
Von einer Stelle, wohin der Schein des Feuers nicht reichte, klang jetzt die laute, kommandierende Stimme des Scheikes. Es handelte sich um die Soldaten, weiche dort vor uns versteckt gewesen waren und mit fortgeschafft werden sollten. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, dessen Schluß die Haddedihn bildeten.
Als wir uns weit genug entfernt hatten, blieb Halef mit ihnen zurück. Den Perser behielt ich bei mir.
»Effendi, ich merke, daß ihr etwas vorhabt«, sagte er. »Darf ich erfahren, was es ist?«
»Jetzt noch nicht, jedoch schon in kurzer Zeit. Jetzt muß ich den Scheik Tawil rufen.«
Dies zeigte sich als gar nicht nötig, denn der Beni Khalid war halten geblieben, um die Reiter an sich vorüber zu lassen, bis wir kommen würden. Er sah trotz der Dunkelheit, daß wir zwei allein waren, und erkundigte sich darum:
»Wo sind die Haddedihn? Warum bleiben sie so weit zurück?«
»Um mir zu ermöglichen, mein dir gegebenes Wort zu halten.«
»Welches Wort?«
»Daß sogar du selbst die gestohlenen Gegenstände finden wirst, ohne sie gesucht zu haben. Vor allen Dingen, sag: Hältst du mich für einen ehrlichen Mann?«
»Ja.«
»So hast du Vertrauen zu mir?«
»Ja. Du bist stolz und gewalttätig, aber kein Betrüger.«
»So laß deine Leute weiterreiten, und komm mit uns!«
»Wohin?«
»Nach dem Orte, an welchem El Ghani seinen Raub versteckt hat.«
»So ist das von dem Diebstahle also wahr?«
»Ja. Als er euch von der Jagd zurückkehren sah, verbarg er die Gegenstände.«
»Und du kennst den Ort?«
»Ja.«
»Wer hat ihn dir verraten?«
»Ich habe jetzt keine Zeit, es dir zu erzählen. Komm!«
Er zauderte doch, mir zu folgen.
»Führst du mich etwa in eine Falle, um mich wieder gefangen zu nehmen?« fragte er.
»Ich denke, du hast Vertrauen zu mir! Wäre es auf dich abgesehen, so könnte ich es mir bequemer machen.«
»Das ist wahr. Sind die Gegenstände, um welche es sich handelt, wertvoll?«
»Sehr!«
Er überlegte noch einen Augenblick und sagte dann:
»Wohlan, ich werde tun, was du willst. Dauert es vielleicht lange?«
»Nein. Wir haben nur eine kurze Strecke zurückzukehren.«
Wenn es Tag gewesen wäre, so hätte ich in seinem Gesichte wahrscheinlich folgende Gedanken lesen können: Dieser Effendi aus dem fernen Moghreb, weicher trotz seiner großen Gelehrsamkeit ein sehr dummer Mensch ist, weil er mir das Versteck zeigen will, soll erfahren, daß ich gescheiter bin als er. Wenn die Sachen so kostbar sind, wie er sagt, so bekommt sie weder er noch der Perser noch ein anderer Mann, sondern ich behalte sie!
Wir kehrten um und ritten rechts ab nach dem betreffenden Felsen hinüber. Da wurden wir angerufen. Es war einer unserer Haddedihn, dem ich mich zu erkennen gab. Wir ließen unsere Kamele niederknieen, stiegen ab und wiesen ihn an, auf sie zu achten. Dann führte ich die beiden zu Fuße weiter, bis wir den Felsen erreichten, und zwar nicht da, wo ich mit Kara hinaufgestiegen war, sondern auf der entgegengesetzten Seite, wo das Erklettern weniger Schwierigkeiten bot. Ich bat, so leise und vorsichtig wie möglich zu verfahren, und da wir uns unterstützten, kamen wir verhältnismäßig schnell und leicht hinauf. Der Platz war mir bekannt, und so konnte ich trotz der Dunkelheit die für unsern Zweck geeignetste Stelle bestimmen; da setzten wir uns nieder, um auf EI Ghani zu warten, von dessen Kommen ich so vollständig überzeugt war, als ob er selbst es mir versprochen hätte. Der Scheik verhielt sich still; der Perser aber war zu erregt, als daß er hätte schweigen können. Die Mekkaner waren ausgesucht worden, ohne daß man etwas bei ihnen gefunden hatte; es war für ihn ein großes Glück gewesen, vom Tode errettet und wieder freigeworden zu sein; auf die Erreichung des Zweckes seines weiten und gefährlichen Rittes hatte er verzichtet. Da hörte er so ganz unerwartet von mir, daß die gestohlenen Gegenstände zwar versteckt, aber doch vorhanden seien. Natürlich versetzte ihn das in eine Aufregung, die er nicht beherrschen konnte. Wir hatten kaum nebeneinander Platz genommen, so flüsterte er mir zu:
»Ich kann kaum glauben, was ich von dir höre! El Ghani hat also die Sachen wirklich bei sich gehabt?«
»Ja.«
»Und hier oben versteckt?«
»Ja.«
»Weißt du das genau?«
»Ich habe sie gesehen, alle die Beutel mit den persischen Aufschriften auf den Elfenbeinplättchen.«
»Allah! Beutel – Aufschriften – Elfenbeinplättchen! Nun ich diese Worte höre, muß ich es glauben! Der Kanz El A'da wird in solchen Beuteln aufbewahrt! Du denkst, daß der Dieb hier heraufkommen wird?«
»Er kommt ganz gewiß.«
»Wo stecken die Sachen?«
»Hier nebenan in einer Ritze. Sobald El Ghani sie herausgenommen hat, halten wir ihn fest. Er ist dann so überführt, daß er unmöglich leugnen kann.«
»Also darum wollte er am Feuer bleiben, darum! Trotz der Angst, welche ihm das Gespenst einflößte!«
»Ja, darum! Seine Habsucht war doch noch größer als seine Furcht.«
»Wie aber hast du diese Stelle entdeckt?«
»Ich war mit Kara Ben Halef hier und sah an den Spuren, daß jemand hier oben gewesen war. Das fiel mir auf. Wir stiegen also herauf und fanden den Schatz.«
»Warum nahmt ihr ihn nicht sogleich mit?«
»Hätten wir da den Mekkanern beweisen können, daß sie die Diebe sind?«
»Nein; das ist wahr. Du hast sehr klug gehandelt. Nun können wir sie überführen, und ich werde mit ihnen so streng verfahren, daß sie –«
»Pst! Still! Ich hörte ein Geräusch.«
Wir lauschten. Ja, es kam jemand, und zwar da herauf, wo auch wir heraufgestiegen waren. Der Betreffende hatte also bemerkt, daß es auf dieser Seite bequemer war. Erwähnen will ich, daß das Feuer noch brannte. Wir konnten es aber nicht sehen, weil die Spitze unseres Felsens dazwischen lag.
»Seid ganz still!« flüsterte ich den beiden zu. »Überlaßt ihn nur meinen Händen, und sagt nicht eher etwas zu ihm, als bis ich euch dazu auffordere. Je ruhiger es hier oben abläuft, desto weniger kommen seine Gefährten da unten auf den Gedanken, die Flucht zu ergreifen.«
Das Geräusch wurde, je weiter er heraufkam, um so lauter. Nun hatte er oben Fuß gefaßt und ging gerade auf die Spalte zu. Wir saßen so, daß wir, als er vorüber war, nur ein wenig vorzurücken brauchten, um ihm den Weg zu verlegen. Er bückte sich. Wir hörten und sahen auch, daß er die auf dem Pakete liegenden Steine entfernte. Dann zog er dieses vor und schickte sich an, den Rückweg anzutreten.
Ich richtete mich hinter ihm auf. Er drehte sich um und sah mich stehen, denn jetzt befand sich die Felsenspitze nicht mehr zwischen mir und dein Feuer.
»Allah kehrim – Gott sei mir gnädig!« rief er aus, doch mit unterdrückter Stimme, vielleicht unwillkürlich, vielleicht auch vor Schreck.
Ich zog mein Messer, ließ die Klinge vor seinen Augen funkeln und herrschte ihn an, doch auch nicht laut:
»Hier stehen noch zwei Männer. Siehst du sie? Wenn du ein lautes Wort sprichst, stoße ich dir das Messer in das Herz! Setz dich nieder!«
Er gehorchte augenblicklich und war ganz still. Er gehörte zu derjenigen Art von Dieben, weiche unternehmend und pfiffig, aber dabei feig sind. Ich nahm ihm die Waffen aus dem Gürtel und sagte zu dem Scheik und dem Perser:
»Haltet ihn hier fest! Ich komme bald wieder.«
Ich entfernte mich, um hinabzusteigen, denn er war jedenfalls nicht alleinhier am Felsen, und ich wollte seinen Begleiter auch noch ohne großen Lärm bekommen. Ich hatte den Abstieg kaum begonnen, so fragte eine Stimme von unten:
»Kommst du?«
»Ja.«
»Es war doch noch alles da?«
»Jawohl.«
»So komm! Ich stütze dich. Dann aber machen wir uns augenblicklich fort!«
»Wo sind die andern?«
»Bei den Kamelen am Feuer. Wir brauchen nur aufzusteigen. Spring!«
Er hatte an meiner gedämpften Stimme nicht erkennen können, daß er nicht mit demjenigen sprach, dem seine Worte galten. Ich tat den letzten Sprung, und zwar mit Absicht so, daß ich ihn niederriß.
»Paß doch auf – – – – !«
Mehr konnte er nicht sagen, denn ich hatte ihn schon mit den beiden Händen an der Gurgel. Der Schreck darüber machte ihn stumm. Es war der Sohn des Alten, ebenso feig wie sein Vater. Er ließ sich, ohne Widerstand zu versuchen, die fünfzehn oder zwanzig Schritte bis zu dem Haddedihn schleppen, dem wir unsere Kamele gelassen hatten.
»Hole schnell aber still die fünf nächsten Krieger herbei!« befahl ich diesem.
In kaum zwei Minuten waren sie da. Ich übergab ihm und einem von ihnen den Sohn des Ghani und ging mit den andern vier rasch hinüber zu dem Brunnen, wo das Feuer noch nicht ausgegangen war und ich die Gefährten des»Lieblings des Großscherifs« erwartungsvoll bei den Kamelen stehen sah, welche schon bepackt und zum Besteigen bereit an der Erde lagen. Diese Männer ahnten nicht, was mit ihrem Anführer und seinem Sohn geschehen war; sie hatten geglaubt, wir seien fort, und waren daher über unser unerwartetes Erscheinen nicht nur erstaunt, sondern sogar betroffen, weil wir ja das Paket nicht sehen durften, mit welchem EI Ghani ihrer Überzeugung nach jetzt erscheinen mußte.
»Ihr seid wieder hier?« fragte mich einer von ihnen. »Warum seid ihr zurückgekehrt?«
»Um euch zu fragen, wo euer Anführer ist«, antwortete ich.
»Er ist einmal fortgegangen.«
»Wohin?«
»Das wissen wir nicht. Wir haben ihn nicht gefragt.«
»Ihr wolltet doch beten. Seid ihr damit schon fertig?«
»Was geht das dich an? Wer hat dir erlaubt, dich in dieser Weise um uns zu bekümmern?«
Es wurde mir erspart, ihm hierauf die richtige Erwiderung zu geben, denn in diesem Augenblicke kam Halef eiligst herbei und sagte:
»Sihdi, ich habe deinen Auftrag ausgeführt und bin dann zu Hanneh, der Krone aller Frauentugenden, gegangen, um ihre etwaige Bangigkeit zu zerstreuen. Da sah ich euch hier und bin herübergekommen, um dich zu fragen, ob du mich jetzt vielleicht brauchst.«
»Du kommst zur richtigen Zeit; auch deine Leute können kommen.«
Er legte, um den Schall zu verstärken, die Hände an den Mund und rief nach den Haddedihn, weiche sich rasch einstellten und der Mekkaner versicherten. Der Sohn des Ghani wurde von den betreffenden zwei Kriegern gebracht; dann ging ich mit Halef und Kara nach dem Felsen, um auch den Alten zu holen. Der Scheik der Beni Khalid und der Perser standen noch oben bei ihm und zwangen ihn jetzt, herabzusteigen. Dann wurde er mit seinem Pakete nach dem Feuer geschafft, in welches wir, um es jetzt anzufachen, eine Anzahl von Dschilal warfen, von welchen die Beni Khalid einen Vorrat daneben gelegt und nicht mitgenommen hatten, weil sie früh doch wiederkommen wollten. Es sind das Fladen aus getrocknetem Kamelmist, die in der Wüste als Brennmaterial dienen.
Wir hatten die Mekkaner nicht gefesselt, denn diese Leute waren viel zu feig, als daß sie zum Zwecke der Flucht einen gewalttätigen Widerstand hätten wagen mögen. Sie saßen beisammen, und wir bildeten einen Kreis um sie. Tawil Ben Schahid hatte zwischen Halef und mir Platz genommen. Ihn interessierte die Entdeckung der gestohlenen Gegenstände so sehr, daß er gar nicht mehr an den »Geist« dachte, vor weichem er doch vorhin mit allen seinen Leuten geflohen war. Er hatte sich des Pakets bemächtigt, was Halef außerordentlich ärgerte, mir aber heimlichen Spaß machte, denn es verstand sich doch von selbst, daß er es nicht behalten durfte, obgleich es wahrscheinlich seine Absicht war, nichts, aber auch gar nichts davon herzugeben. Er nestelte an der Burnusschnur herum, um es zu öffnen. Halef war zornig darüber; ich winkte ihm aber, ebenso zu schweigen, wie ich still war.
Der liebe Scheik der Beni Khalid befand sich in sichtbarer Verlegenheit. Er hatte die Mekkaner als seine Freunde und Gäste bezeichnet und mußte sich also demgemäß verhalten. Durfte er da nehmen, was sie mitgebracht hatten? Als Diebe konnte er sie bezeichnen, und zwar ganz ohne Besorgnis, sie dadurch zu beleidigen, denn der Raub ist, zumal wenn er an einem Andersgläubigen begangen wird, in den Augen dieser Beduinen kein entehrendes Verbrechen. Aber wenn er ihnen damit das Recht des jetzigen Besitzes zugestand, so war es ihm nicht erlaubt, ihnen die Sachen vorzuenthalten. Dazu kamen die noch viel berechtigteren Ansprüche des Persers, die wir jedenfalls sehr kräftig unterstützen würden. Der Schiit war feindlich behandelt worden und hatte sogar sterben sollen, weil er die Mekkaner fälschlich angeklagt haben sollte, und nun stellte es sich heraus, daß er recht gehabt hatte. Wie war aus diesen Widersprüchen herauszukommen! Endlich hatte er einen Entschluß gefaßt. Das Paket war geöffnet. Er wog einen der Beutel nach dem andern wie spielend in der Hand und sagte:
»Ich habe diese Sachen hier gefunden, und es ist nun zu entscheiden, wem sie gehören sollen.«
Der Perser wollte schnell und mit Nachdruck antworten; ich winkte aber auch ihm zu, dies nicht zu tun. Der Scheik konnte also fortfahren:
»Wahrscheinlich erheben zwei Parteien Anspruch darauf. Ich werde ihre Rechte genau abwägen und dann die Entscheidung treffen.«
Da wurde er gestört. Es kamen zwei Beni Khalid zurückgeritten. Einer allein hätte sich vor dem »Gespenst« gefürchtet; darum waren es zwei. Man hatte bemerkt, daß der Scheik fehle, und sie beauftragt, nach ihm zu sehen. Es war ihm anzusehen, daß ihm diese Unterbrechung nicht gelegen kam. Er gab in unwilligem Tone den Bescheid:
»Bin ich ein Kind, welches beaufsichtigt werden muß? Ich habe hier zu tun. Reitet sofort wieder hin, und sagt den Kriegern, daß sie sich nicht um mich kümmern sollen! Ich komme, wenn es mir beliebt, und wenn es erst morgen früh sein sollte. Vorwärts, fort!«
Er hatte dabei den Teppich wieder zusammengeschlagen, so daß die Beutel nicht zu sehen waren. Er schien die Angelegenheit also so handhaben zu wollen, daß seine Leute, falls es ihm gelang, sich in den Besitz der Sachen zu bringen, nichts oder wenigstens nichts genaues darüber erfuhren. Mir aber hätte nichts so erwünscht kommen können, wie der Bescheid, den er diesen beiden Boten gab, denn er hatte dadurch für jetzt und für die ganze Nacht auf den Beistand seiner Krieger verzichtet. Als sie fortgeritten waren, öffnete er den Teppich wieder und sagte, zu El Ghani gewendet:
»Hattest du diese Sachen da oben im Felsen versteckt, oder ist's ein anderer gewesen?«
»Ich selbst habe es getan«, antwortete der Gefragte, dessen finstere, entschlossene Miene die Absicht verriet, auf den Besitz der Gegenstände nicht Verzicht zu leisten.
»Warum verbargst du sie?«
»Aus Vorsicht.«
»Vor mir, vor uns, euren Freunden!«
»Nicht vor euch, denn wir wußten ja gar nicht, wer die Krieger waren, die wir von weitem kommen sahen.«
»Das mag dich entschuldigen. Vor Freunden versteckt man nichts. Wo hast du diese Beutel her?«
»Ich besitze sie schon seit langen Jahren, nämlich seit dem Tode meines Vaters, von dem ich sie geerbt habe.«
»Warum trägst du sie mit dir in der Wüste herum? Solche Dinge läßt man doch daheim!«
»Nein, denn bei mir sind sie sicherer als daheim, wenn ich mich nicht dort befinde. Ich verlange ihre augenblickliche Auslieferung!«
»Warte noch eine kleine Weile! Ich befürchte nämlich, daß sich noch andere Eigentümer melden werden.«
»Allerdings!« fiel da der Perser ein. »El Ghani hat die Unwahrheit gesagt. Ich brauche das wohl gar nicht zu beweisen, denn seine Lüge ist eine so alberne und ungeschickte, daß derjenige, bei dem sie Glauben fände, geradezu ohne Kopf sein müßte!«
»Willst du etwa behaupten, daß du der rechtmäßige Herr dieser Beutel seist?«
»Nein, das sage ich nicht; aber ich behaupte, daß der ganze Inhalt dieses Teppichs aus dem Kanz el A'da der heiligen Stätte Meschhed Ali gestohlen wurde.«
»Was du behauptest, mußt du auch beweisen können!«
»Ich kann es!«
»So tue es!«
Der Perser nahm aus seinem Gürtel ein Notiztäschchen, öffnete es und erklärte:
»Ich habe sofort, als ich den Verlust bemerkte, ein genaues Verzeichnis der gestohlenen Gegenstände angefertigt. Hier ist es. Ich werde es vorlesen, und du kannst da hören, daß es genau mit den hier an den Beuteln hängenden Inschriften stimmt!«
Er las, und der Scheik verglich das, was er hörte, mit den auf den Elfenbeintäfelchen stehenden Worten. Das eine klang ganz so wie das andere; es war keine Silbe zu wenig oder zu viel.
»Nun? Habe ich recht?« fragte der Perser.
»Es ist allerdings beides gleich«, gab der Scheik notgedrungen zu; »aber wenn du meinst, damit den Beweis geliefert zu haben, so irrst du dich. Dein Verzeichnis scheint sich freilich hier auf diese Gegenstände zu beziehen; aber ob diese gestohlen worden sind, und zwar aus dem Schatz der Glieder in Meschhed Ali, davon mußt du uns erst überzeugen!«
Der Perser war von dieser so ganz unerwarteten, ja für unmöglich gehaltenen Einwendung so betroffen, daß er nicht gleich eine Entgegnung fand. Dafür aber machte sich El Ghani diesen Kniff mit größter Geistesgegenwart zunutze, indem er schnell ausrief:
»Halt! Ich kann jetzt nachweisen, daß ich nicht der Dieb, sondern der Bestohlene bin! Dieses Verzeichnis gehört nämlich mir! Ich habe es angefertigt über mein Eigentum, welches ich bei mir hatte, und es ist mir in Meschhed Ali, als ich in der Wohnung dieses schiitischen Basch Nazyr war, aus der Tasche gestohlen worden. Nun ist er so frech, dieses Verzeichnis dazu zu benutzen, mich um meine Habe zu bringen. Dieser Halunke hat also nicht nur die Strafe, von welcher er leider vorhin errettet wurde, sondern eine noch viel schärfere und strengere verdient!«
Halef sah mich an und ich ihn. Jetzt waren wir beide ebenso erstaunt wie soeben der Perser. Diese Halunkenhaftigkeit des alten Mekkaners war zugleich empörend und imponierend! Dem Scheik der Beni Khalid kam sie sehr gelegen. Er lächelte mit dem ganzen Gesichte, als er dem Perser nun die Frage vorlegte:
»Was sagst du dazu? Du bist aus dem Ankläger der Angeklagte geworden. Verteidige dich!«
Diese Aufforderung steigerte den in dem Oberaufseher kochenden Grimm in der Weise, daß er nicht imstande war, zusammenhängend zu antworten, sondern nur mühsam und in Pausen hervorstieß:
»Verteidigen – – – ? Ich – – mich – – – ? Ya Ali – – – – – ! Welch eine – – – eine Frechheit – – – ! Kein Wort – – – kein Wort sage ich!«
»Das war zu erwarten! Daß du von Frechheit sprichst, darüber werde ich noch mit dir abrechnen! Der Diebstahl liegt jetzt folgendermaßen: Du behauptest, die Sachen seien in Meschhed Ali gestohlen worden, und mein Gast und Freund behauptet, du habest ihm das Verzeichnis gestohlen, uni in den Besitz dieser Sachen zu kommen. Ihr beide befindet euch hier aber im Bereiche des Stammes der Beni Khalid, welcher also über diesen Fall zu entscheiden hat. Sobald der ganze Stamm, von dem wir hier nur eine kleine Abteilung sind, versammelt ist, werde ich die Dschemmah zusammenrufen, weiche dann das gerechte Urteil fällt. Bis dahin lege ich Beschlag auf alles, was sich hier in dem Teppich befindet, und nehme es in meine Verwahrung.«
Er wickelte das Paket wieder zu und band die Schnur darum. Der Perser wollte die Arme ausstrecken, um ihn daran zu hindern; ich gab ihm aber wieder einen Wink, dies nicht zu tun. Als der Scheik mit dem letzten Knoten fertig war, wollte er aufstehen; ich hielt ihn aber am Arme zurück und fragte:
»Du willst fort?«
»Ja« antwortete er.
»Wohin?«
»Zu meinen Leuten.«
»Mit diesem Pakete?«
»Natürlich! Es wurde ja so darüber bestimmt!«
»Von dir, ja! Aber willst du nicht vorher abwarten, was ich darüber bestimme?«
»Du – – – ?«
»Ja, ich! Ich erlaube mir nämlich, etwas anderer Meinung zu sein als du.«
»In welcher Beziehung?«
»In mehrfacher Hinsicht. Zunächst sagtest du vorhin wörtlich: ich habe diese Sachen hier gefunden. Bist wirklich du es gewesen, der sie gefunden hat?«
»Das hat gar keine Bedeutung. Es ist ganz gleich, wer der eigentliche Finder ist.«
»Nein, denn dem Finder haben diese Gegenstände zu gehören, bis über sie entschieden worden ist.«
»Das ist ja soeben geschehen!«
»Nein, denn derjenige, welcher sich einbildet, entschieden zu haben, besitzt nicht das geringste Recht dazu, eine gültige Entscheidung zu treffen.«
»Meinst du damit mich?«
»Ja. Ich sagte dir heut schon einmal, daß nicht ihr hier die Herrn seiet. Als ich dies sagte, waren deine Beni Khalid zugegen; jetzt aber sind sie fort, und der Bir Hilu befindet sich im Besitze der Haddedihn, welche also jetzt hier zu befehlen haben. Aus diesem Grunde liegt der Fall, den wir verhandeln, nicht so, wie du gesagt hast, sondern so, wie ich dir jetzt sagen werde: Nämlich der Basch Nazyr behauptet, die Sachen seien in Meschhed Ali gestohlen worden, und El Ghani behauptet, dieser habe ihm das Verzeichnis entwendet, um dadurch in den Besitz der Gegenstände zu kommen. Beide befinden sich hier im Bereiche der Haddedihn, welche also über diesen Fall zu entscheiden haben. Hadschi Halef Omar, der Scheik dieses Stammes, hat folglich die Pflicht, auf alles, was sich in dem Teppich befindet, Beschlag zu legen, bis das Urteil gesprochen worden ist. Das ist die richtige Ansicht über diese Angelegenheit, und sie gilt, die deinige aber ist falsch und gilt also nicht.«
Er hatte wohl einen Widerspruch erwartet, aber einen so klaren und bestimmten nicht. Er mußte sich sagen, daß er gegen diese meine Worte unmöglich etwas Kluges und Überzeugendes vorbringen könne, und darum an die wenigstens jetzt einzige Art und Weise denken, uns das Objekt des Streites zu entziehen. Daß er dies tat, sah ich ihm an: Er warf einen langen, lauernden Blick in mein Gesicht und zog den Fuß zum schnellen Sprunge an den Leib. Zugleich bemerkte ich, daß ich nicht der einzige war, der dies beobachtete. Kara, der Sohn unsers Halef, stand von seinem Platze auf und tat so, als ob er bei einem naheliegenden Kamele etwas zu tun habe. Dabei ging ein bezeichnendes, listiges Lächeln über sein hübsches, jugendliches Gesicht. Grad dieser seiner Jugend wegen wurde er von dem Scheik der Beni Khalid für ungefährlich gehalten. Dieser tat einen raschen Griff nach dem Pakete und sprang auf, um fortzueilen und im Dunkel der Nacht zu verschwinden. Da aber holte Kara aus, machte einen weiten Satz durch die Luft und sprang ihn von hinten in der Weise an, daß der Fliehende nach vorn in den Sand stürzte. Er wollte sofort wieder auf, konnte aber nicht, denn Kara lag auf ihm und hielt mit beiden Händen seinen Hals fest umklammert. Ganz selbstverständlich warfen sich nun mehrere Haddedihn auf Tawil und sorgten dafür, daß er an Händen und Füßen so gebunden wurde, daß er sie nicht bewegen konnte.
Halef war auch aufgesprungen, um den blitzschnellen Vorgang zu beobachten. Sein Gesicht strahlte vor Freude, als er mir nun die Worte zuwarf:
»Sihdi, hast du es gesehen, alles ganz genau gesehen?«
»Jawohl«, antwortete ich.
»Hat er es gut gemacht?«
»Ausgezeichnet!«
»Ja, ausgezeichnet! Schade, wirklich jammerschade, daß Hanneh, die vortrefflichste und berühmteste aller Mütter und Frauen, so weit von hier entfernt ist, daß sie es nicht auch sehen konnte! Was soll nun mit diesem Scheik der Beni Khalid werden?«
»Tue mit ihm, was du willst!«
»Du übergibst ihn also mir?«
»Ja.«
»Gut! Sei überzeugt, daß ich ganz in deinem Sinne handeln werde.«
»Wenn du das tust, so übergebe ich dir noch mehr.«
»Was?«
»Das Paket und hier die Mekkaner dazu.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Ich danke dir! Vor allem danke ich dir dafür, daß du mich dadurch in den Stand setzest, als Scheik der Haddedihn handeln zu können, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen. Du wirst sofort hören, was für weise und praktische Bestimmungen ich treffen werde!«
Er trat in würdevoller Haltung zu Tawil Ben Schahid hin und sagte:
»Jetzt haben wir dir bewiesen, wer nun hier zu bestimmen hat, ich oder du, mein Stamm oder der deinige. Ich habe dich schon einmal mit der Peitsche darüber belehrt, daß die Haddedihn vorn großen Stamme der Schammar gar wohl wissen, wer sie sind und was sie leisten; du aber hast es dir nicht gemerkt und darum diese Wiederholung meines Unterrichtes erhalten . Wir sind überall, wohin wir kommen, die Gebieter, also auch hier. Wir werden tun, was uns gefällt, selbst wenn du zehntausend oder noch mehr Krieger bei dir hättest. Du hast zwar einen Vertrag mit uns abgeschlossen, den wir bisher gehalten haben und auch ferner halten wollten; aber glaubst du denn, daß ich dir getraut habe? Von dem Augenblicke an, da meine Peitsche dich überzeugte, daß Hanneh der huldreichste Inbegriff aller Lieblichkeit, Anmut und irdischen Schönheit ist, mußte in deinem Herzen die Rache gegen uns gären, und wenn du das auch zu verbergen suchtest, so konntest du doch mich nicht täuschen.«
»Schweig!« herrschte ihn der Gefangene an. »Ich hätte unsern Vertrag gehalten!«
»Du hast ihn doch schon dadurch gebrochen, daß du uns um das Paket betrügen wolltest!«
»Das ist in unserem Übereinkommen nicht mit genannt worden!«
»Gut, so will ich annehmen, daß du unsere Bedingungen erfüllt hättest! Von dem Momente an aber, an welchem wir uns von euch getrennt hätten, wärest du uns gefolgt, um dich zu rächen.«
»Ja, das hätte ich getan! Ich bin zu stolz, um dies zu leugnen, und sage dir auch jetzt, daß ich auf diese meine Rache nicht verzichte. Ihr seid gleich von allem Anbeginn betrügerisch gegen uns aufgetreten, indem ihr euch für Beni Solaib ausgabt, während ihr doch Haddedihn seid.«
»Ja«, lachte Halef vergnügt. »Beni Solaib, welche Einkäufe machen wollten und also Geld bei sich hatten, dem du deine ganz besondere Aufmerksamkeit schenken wolltest! Da tut es deinem menschenfreundlichen Herzen nun unendlich wehe, zu erfahren, daß es dieses Geld entweder gar nicht gibt oder daß es, falls es doch vorhanden sein sollte, uns nicht genommen werden kann. Wer so ein gutes, liebevolles Gemüt besitzt wie du, den muß das bitter kränken!«
»Höhne nicht! Ich verlange, losgelassen zu werden. Nach unseren Abmachungen habt ihr kein Recht, mich wieder zu binden. Ich habe den Perser freigegeben und muß darum verlangen, auch frei zu sein! Sogar sein kostbares Hedschihn hat er wieder bekommen!«
»Das verstand sich ganz von selbst! Nicht so selbstverständlich aber ist es, daß wir deine Fesseln jetzt zum zweitenmal zu entfernen haben. Einmal taten wir es, um dich gegen ihn auszulösen; da waren wir mit dir quitt. Das zweite Mal wurdest du aber nicht seinetwegen festgenommen, sondern weil du uns mit dem gestohlenen Teile des Kanz el A'da ausreißen wolltest, und nun steht es nicht in deinem Willen, sondern in unserem Belieben, ob und wann wir dir für diesen Schatz der Glieder den Gebrauch der Glieder wiedergeben werden.«
»So mache ich euch darauf aufmerksam, daß meine Krieger zurückkehren und mich nicht nur befreien, sondern blutig rächen werden!«
»Allah w' Allah! Vor morgen kommen sie nicht; dafür hast du vorhin ja selbst gesorgt. Und wenn sie kämen oder wenn sie früh kommen, so denke ja nicht, daß wir uns vor ihnen fürchten! Ein Haddedihn nimmt es mit zwanzig Beni Khalid auf, und außerdem bist du für uns der beste Schutz gegen sie. Wenn sie erfahren, daß du im Falle eines Angriffes sofort eine Kugel in den Kopf bekommst, werden sie sich wohl sehr hüten, dein teures Leben in Gefahr zu bringen!«
»Allah verbrenne euch!«
»Denke ja nicht, daß er das tut! Wir brennen nicht so gut wie ihr, die ihr in euren Sünden dürr wie altes Holz geworden seid. Du bist also einstweilen abgetan und hast ruhig zu warten, was ich über dich bestimmen werde. Jetzt kommen die hohen Mekkaner Herrschaften daran!«
Der Scheik mochte einsehen, daß Worte jetzt unnütz seien; er schwieg. Halef wendete sich an EI Ghani:
»Mit euch brauche ich mir keine Mühe zu geben; ich werde es also so kurz wie möglich machen.«
Der Angeredete glich einem mit Wut gefüllten Feuerwerkskörper, den die verächtlichen Worte des Hadschi in Brand setzten. Er prasselte los. Die arabische Sprache ist, wie wohl kaum eine andere, reich an Schimpfwörtern. EI Ghani schien sie alle zu kennen und jetzt die Absicht zu haben, sich ihrer so schnell wie möglich zu entledigen. Es brach ein solcher Redeschwall über Halef herein, daß er, den doch nicht so leicht etwas verblüffte, zunächst ganz still war vor Erstaunen; dann aber lachte er, erst in seiner gewöhnlichen, herzlichen Weise, hernach lauter und immer lauter. Ein Haddedihn fiel ein, noch einer, noch einer, immer mehrere und mehrere, bis sie alle, alle im Chore und zwar derart lachten, daß ich mit einstimmen mußte, ich mochte wollen oder nicht. Das brachte den Mekkaner doch zum Schweigen. Als dann die lustige Explosion vorüber war und Halef sein beinahe krampfhaft verzerrtes Gesicht wieder in Ordnung gebracht hatte, rief er El Ghani zu:
»Du siehst, daß du uns beinahe getötet hast! Du bist ein noch viel gefährlicherer Mensch, als ich dachte, denn wer keine gute Lunge hat, der muß vor Lachen über dich ersticken. Darum will ich lieber gleich gar nichts mit dir zu tun haben und es mit dir noch kürzer machen, als ich vorhin beabsichtigte. Ich übergebe dich dem Basch Nazyr. Er hat dich verfolgt, um dich zu fangen; er hat euch hier eingeholt und nun gehört ihr ihm. Keine Sünde bleibt unbestraft, also auch die eurige nicht!«
Da fragte der Perser schnell:
»Hadschi Halef Omar, sag, ist das dein Ernst?«
»Ja, natürlich«, antwortete Halef.
»Aber bedenke: Indem du diese Leute mir übergibst, erklärst du, daß sie schuldig sind!«
»Das weiß und will ich ja!«
»Ich kann also mit ihnen machen, was ich will, sie bestrafen, wie es mir beliebt?«
»Nein.«
»So widersprichst du doch dir selbst! Du gibst sie in meine Hände und erlaubst mir doch nicht, mit ihnen nach meinem Gefallen zu verfahren.«
»lch bitte dich, mich richtig zu verstehen! Indem ich, der hier zu bestimmen hat, sie dir übergebe, entscheide ich die Schuldfrage zu deinen Gunsten. Du warst gefangen und bist frei; sie waren frei und sind nun gefangen. Daran würden tausend oder selbst zehntausend Beni Khalid nichts ändern können. Sie sind dir zugesprochen worden; aber über ihre Bestrafung hast nicht du allein, sondern haben auch wir mit zu bestimmen, weil du dich mit ihnen im Bereiche der Haddedihn befindest und weil wir in Beziehung auf sie mit dem Scheik der Beni Khalid Verpflichtungen eingegangen sind, die wir erfüllen müssen, weil man ein einmal gegebenes Wort selbst seinem ärgsten Feinde zu halten hat. Du sagtest heut am Tage, daß du die Absicht habest, die Mekkaner, falls du sie ereiltest, nach Meschhed Ali zu schaffen, wo man sie, wie mit Gewißheit vorauszusehen ist, am Leben strafen wurde. Wir aber haben mit Tawil Ben Schahid das Übereinkommen getroffen, daß um sie gekämpft werden solle, und dabei versprochen, daß ihnen, falls wir siegen, an Leib und Leben nichts geschehen soll. Um dieses unser Versprechen mit deinen Absichten in Einklang zu bringen, werden wir eine Beratung abhalten, an welcher drei Personen teilzunehmen haben.«
»Wer sind diese drei?«
»Das bin zunächst ich, denn ich habe ja –«
»Kutub, kutub!« fiel ich ihm da in die Rede.
Er mußte sich doch einen Augenblick besinnen, was ich mit diesem Zurufe meine; dann verbesserte er sich, indem er mir lachend antwortete:
»Verzeih, Sihdi; du hast recht, weil ich wieder mich zuerst genannt habe! Also die drei sind folgende Personen: Zuerst unser Effendi, dem ich durch diese Ernennung zum Schiedsrichter meinen Dank dafür abstatte, daß er meine Herrschaft vorhin anerkannte. Sodann du, o Khutub Agha, als Oberaufseher des Schatzes, welcher bestohlen worden ist. Und zuletzt – – -hörst du, Sihdi, zuletzt; ich komme zuletzt! zu allerletzt ich, als Scheik der Haddedihn, in deren Machtbereich ihr alle euch befindet. Also wir drei werden beraten, was geschehen soll, und was wir beschließen, das wird dann ausgeführt; kein Mensch soll uns daran hindern!«
Da widersprach El Ghani zornig:
»Ihr habt nichts, gar nichts zu beraten und zu bestimmen! Die Sachen gehören mir, wie das mir gestohlene Verzeichnis beweist. Bedenkt, welche Macht ich in Mekka besitze, und –«
»Sei still!« unterbrach ihn der Scheik der Beni Khalid. »Wer und was du in Mekka bist, das ist diesen Haddedihn hier doch sehr gleichgültig, und deine Drohungen sind also ganz unnütz. Ich aber kann ganz anders sprechen, weit das, was ich sage, Grund und Nachdruck hat. Ich bin zwar unvorsichtig gewesen, als ich vorhin die zwei Boten fortwies, denn meine Krieger werden nun bis früh warten; dann aber kommen sie gewiß, und dann wird es sich ja zeigen, ob ein Haddedihn es mit zwanzig von ihnen aufnimmt. Außerdem haben wir die Soldaten fest, welche uns als Geiseln dienen. Wird nur einem einzigen von uns ein Haar gekrümmt, so werden sie alle erschossen. Das werden die drei mächtigen und berühmten Männer, welche es wagen wollen, über uns zu Gericht zu sitzen, wohl bedenken müssen . Der Beschluß, den sie treffen werden, kann uns also gar nicht bange machen! Außerdem ist abgemacht worden, daß nicht nur um diese Soldaten, sondern auch um euch gekämpft werden soll. Es kann euch also vor Austrag dieses Zweikampfes nichts geschehen, und da es gar keinem Zweifel unterliegt, daß wir Beni Khalid siegen werden, so ist es für mich schon jetzt gewiß, daß ihr ebenso wie ich dann freigelassen werden müßt!«
Da fiel Halef spöttisch ein:
»Dein Scharfsinn ist unendlich groß. Er reicht von hier bis zum Himmel hinauf; aber weil er seinen Kopf so hoch da oben hat, kann er nicht sehen, daß diese Angelegenheit sich hier unten inzwischen ganz anders gestattet hat! Zunächst hat kein Mensch gesagt, daß auch um dich gekämpft werden soll; du bleibst also unser Gefangener, wie immer das Ergebnis ausfallen wird. Sodann wurde unsere Vereinbarung getroffen, als die Mekkaner sich noch in deinem Schutze befanden; sie sind jetzt in unserer Gewalt, und so hat also unser Abkommen, soweit es sich auf sie bezieht, keine Geltung mehr. Oder hältst du uns wirklich für so dumm, um den Besitz von Sachen oder Personen zu kämpfen, den wir indessen schon auf andere Weise ergriffen haben?«
»Das wäre feig!« brauste der Scheik auf. »Wir würden es aller Welt verkünden, daß ihr euch vor uns fürchtet!«
»Darüber lache ich. Verkündige es doch, indem du unser Gefangener bist, der wahrscheinlich eine Kugel bekommt! Auch irrst du dich gewaltig, wenn du meinst, der Mann zu sein, dessen Urteil über den Mut der Haddedihn maßgebend sei. Wir sind fünfzig, ihr aber zählt mehrere hundert Krieger; dennoch liegt ihr gefesselt hierbei uns. Eure tapfern Beni Khalid sind vor dem ›Geiste‹ ausgerissen; wir aber sind geblieben. Wer hat da Mut und wer nicht? Und was die Soldaten betrifft, so wird der Zweikampf natürlich nur dann über sie entscheiden, wenn sie sich zu der Zeit, in welcher er beginnen soll, noch in den Händen der Beni Khalid befinden. Merke dir genau, was ich dir jetzt gesagt habe, denn um Leute, welche ihr nicht mehr habt, kann es keine Entscheidung geben! Damit bin ich einstweilen mit euch fertig. Ich wünsche, von jetzt an nicht mehr von euch mit Worten belästigt zu werden. Seht hier meine Peitsche! Wer von euch noch ein Wort sagt, ohne daß ich ihn dazu auffordere, dem wird sie den Mund sofort schließen. Dies ist ein Versprechen, welches ich gewißlich halten werde. Wir haben mehr zu tun, als uns so ganz unnützerweise hier mit euch herumzustreiten!«
Der Ton, in welchem er dies sagte, war so überzeugend, daß sie von nun an schwiegen. Sein Verhalten hatte meine volle Billigung. Ich freute mich über ihn. Seit ich die Entscheidung in seine Hand gelegt hatte, war es, als ob er ein ganz anderer Mann geworden sei. Er fühlte sich unabhängig von mir und das gab ihm eine Sicherheit, eine Ruhe, welche von seiner sonstigen Leichterregbarkeit wohltätig abstach. So stellte er auch jetzt, ohne mich vorher zu fragen, einige Haddedihn als Posten aus, weiche den Zweck hatten, uns von einer etwaigen Annäherung der Beni Khalid rechtzeitig zu unterrichten. Der Brunnen wurde untersucht, der hinabgelassene Eimer schöpfte Wasser, und so konnten, wenigstens so weit es jetzt reichte, unsere Pferde und Kamele getränkt werden. Während dies geschah, ging er zu Hanneh hinüber, um ihr Bericht zu erstatten. Wir hätten sie gern herüber zu uns geholt, aber da sich der Münedschi, den wir noch verheimlichen wollten, unter ihrer Aufsicht befand, so konnte dies für jetzt noch nicht geschehen.
Kara Ben Halef überwachte die Arbeiten am Brunnen, damit jedes Tier sein Teil bekomme, und ich machte einen Spaziergang, um nachzusehen, ob die Posten sich so, wie es ihrer Aufgabe entsprach, aufgestellt hatten. Unser Zusammentreffen mit den Beni Khalid hatte sich jetzt verwickelter gestaltet, als es anfangs zu vermuten gewesen war, doch zweifelte ich nicht daran, daß die Lösung eine für uns befriedigende sein werde. Wir hatten ja immer Glück gehabt, und es gab keinen Grund, anzunehmen, daß es uns grad dieses Mal verlassen werde – –